The Day We First Met von Aphrodi ================================================================================ ...Wasn't The Last. ------------------- Er erinnerte sich noch viel zu gut an ihre erste Begegnung, eine, die er längst hätte vergessen wollen. Unangenehm, peinlich und irgendwie störend hatte er sie damals empfunden. Die Aufmerksamkeit, die er ihm geschenkt hatte, war gering gewesen und trotzdem hatten sich Teile dieses Aufeinandertreffens in sein Gedächtnis eingebrannt. Viel zu schnell hatte er lernen müssen, dass es ohnehin aussichtslos war, seine Existenz zu ignorieren. Er war unübersehbar, unüberhörbar und vor allem nicht loszuwerden. Was das alles sollte, hatte Henri eine ganze Weile nicht einmal verstanden – nicht, dass er sich darüber Gedanken gemacht hätte... Er wusste nur, dass sie ihm nicht in den Kram passte, diese aufdringliche Aufmerksamkeit, die ihm der Japaner schenkte. Es war eigentlich egal von wem sie kam, Henri mochte kein freundschaftliches Gehabe unter Konkurrenten. Er glaubte nicht daran. Noch dazu konnte er diese ganzen lauten Selbstdarsteller nicht leiden. Dass seine einzige engere Bekanntschaft, die schon beinahe als Freundschaft durchgehen mochte, daher ein ruhiger Kerl war, war nicht überraschend. Er hatte wirklich Glück mit seinem Rinkmate Lynn Bishop. Wenn er sich vorstellte, er müsste jeden Tag mit JJ trainieren... Nein. Es war eine gute Entscheidung gewesen so jung in die USA auszuwandern.   Und ausgerechnet dort war es damals passiert – ihr erstes Treffen, 2014 in Chigaco.       „Du hast einen Fan“, kommentierte Lynn irgendwo zwischen amüsiert und neckend, deutete mit dem Blick zu einem der Tische in ihrer Nähe, an dem sich ein ziemlich schriller Asiate befand. Henri sah ihn nicht einmal länger als einen Wimpernschlag an. Nicht lang genug, um zu sehen, wie der Andere ertappt zusammenzuckte, dann aber die Hand in die Luft riss, um ihm zuzuwinken. „Wen interessiert's?“, fragte Henri genervt und trank seine Apfelschorle aus. Ihn jedenfalls interessierte es nicht im Geringsten. Der Junge war schließlich auch nicht der erste Fan, der ihm begegnete, eine Sonderbehandlung kam nicht in Frage. Er war sich sicher, dass Lynn wusste, wie wenig er darauf gab, was der Kerl machte. Er wollte ihn nur ein bisschen aufziehen, indem er sich weiter dafür interessierte, was ein paar Tische weiter passierte. „Er hat dir zugewunken, ist das nicht süß?“ „Nein, ist es nicht.“ Henri kannte Lynn nun schon lange genug, um zu wissen, dass keines seiner Worte wirklich ernst gemeint war, egal wie ehrlich es klingen mochte. Es war offensichtlich für ihn, dass er sich über den Fan lustig machte. Ihm selbst war es egal, ob Lynn über den Kerl lachte oder nicht, einzig genervt war er davon, dass er involviert war in den Spott. „Oh, ich glaube, er kommt her...“, bemerkte Lynn mit einem Hauch Erheiterung in seiner Stimme. Henri wollte nicht glauben, was er da hörte, einen Moment wurden seine Augen größer, entsetzt. Eilig war er aufgestanden, sein Glas war ja ohnehin bereits leer. Er hatte wirklich keine Lust darauf, sich mit einem Fan herumzuschlagen, schon gar nicht um diese Uhrzeit. In seinem Hotel, wo er eigentlich nur seine Ruhe haben wollte so kurz vor dem Wettkampf. Schließlich wollte er den Skate America gewinnen. „Was denn, gehst du etwa schon?“, fragte Lynn amüsiert und warf noch einmal einen Blick in die Richtung des Fans, während er mit den Fingern an seinem Strohhalm spielte. Henri war längst abgedreht, gab ihm als Antwort nur noch ein genervtes Brummen und verzog sich schnellstmöglich.   Leider war sein Fan von der hartnäckigen Sorte, wie er feststellen musste.   „Henri!“, hörte er eine ihm unbekannte Stimme rufen, leicht zu wissen, wem sie gehörte, war es allerdings trotzdem. Er drehte sich nicht um, ging unbeirrt weiter und tat so, als habe er es überhört. Zugegeben, es war eigentlich unmöglich zu überhören gewesen. „Henri!“, ertönte sein Name noch einmal und er sah die anderen Menschen um sie herum ihre Köpfe drehen. Längst war der Andere Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, etwas das Henri hasste, solange er sich nicht gerade auf dem Eis befand. Er wusste, dass wenn er sich jetzt umdrehen würde, diese Blicke auch auf ihm liegen würden und so ignorierte er es weiter, ging unbeirrt den Gang entlang. Unruhig landete eine seiner Hände in den blond gebleichten Locken. Innerlich betete er, dass dieser Kerl verstand, dass er keine Lust auf ihn hatte. Wäre der Hotelboden nicht aus Teppich gewesen, hätte Henri es wohl früher bemerkt, doch so sah er ihn erst kommen, als er schon im Augenwinkel neben ihm erschien. Im nächsten Moment hatte er eine Hand an seinem Oberarm. Vielleicht hätte er genervter gucken sollen, als er dem Asiaten direkt ins Gesicht sah, doch sein Blick war beinahe so emotionslos wie ein Pokerface. Einzig seine Mundwinkel waren ein Stück heruntergezogen. Warum der Andere ihn so anstrahlte, verstand er nicht.   „Du bist Henri, richtig? Henri Lee“, sprach der Andere in seiner Meinung nach schlecht verständlichem Englisch. Henri musste teilweise raten, was er gerade gehört haben könnte. Die Situation half allerdings einigermaßen bei der Übersetzung, die Worte machten eben so am meisten Sinn. Eine Antwort gab er dem Anderen trotzdem nicht, den Blick wendete er ab, hin zu der Hand, die seinen Arm gegriffen hatte. Es war eine stille Aufforderung, ihn loszulassen. Leider war sein Gegenüber scheinbar nicht von der subtilen Sorte. „Ich hab dich im Fernsehen gesehen, du warst großartig!“ Nicht, dass es Henri interessierte. Er hatte keine Zeit und keine Lust auf Fantalk. „Kannst du aufhören, mich anzufassen?“, fragte er ruhig – viel ruhiger als er war -, doch seine Stimme war nicht annähernd freundlich dabei. Es war deutlich zu sehen, wie der Andere kurz stutzte, dann ließ er tatsächlich von seinem Oberarm ab. Leider dauerte es nicht einmal halb so lang, wie Henri gehofft hatte, bis er seine Stimme wiederfand – Flucht gescheitert. „Ich bin Ugly Kidokoro, auch Eiskunstläufer. Das ist mein erstes Jahr bei den Senioren, aber vielleicht hast du ja trotzdem schon-“ „Nein“, war die Antwort von Henri, noch bevor er die Frage überhaupt ausgesprochen hatte und er sich weiter fragen musste, ob sein Vorname nun Ugly war, oder ob er sich gerade selbst als hässlich bezeichnet hatte. Andererseits war es ja einerlei und keinen unnötigen Gedanken mehr wert. „Das macht nichts, dafür kennen wir uns jetzt und morgen wirst du mich sowieso laufen sehen“, kam es sehr zuversichtlich und selbstzufrieden von dem Anderen – Japaner, wie der Nachname verraten hatte. Ein ziemlich bunter und scheinbar geschmacksverirrter Japaner... „Was auch immer, Ugly Kidokoro...“ „Ugly.“ Henri bemerkte keinen Unterschied zu dem, was er gesagt hatte... Er schüttelte kurz den Kopf, resignierend, genervt, erschöpft. Er hatte keine Lust auf das Gespräch, so sinnlos wie es für ihn war. Der Kerl interessierte ihn nicht, egal wie aufdringlich er sich verhielt, höchstens noch als Konkurrent auf einer ganz anderen Ebene. Es war höchstens interessant, was er auf dem Eis konnte, wie gefährlich er für ihn war und wie er sein Programm an diesen Läufer anpassen müsste, um im Notfall besser zu sein als er. Das war leicht mit Videomaterial nachzuprüfen – ein anderes Mal jedenfalls. (Wie hätte er auch wissen sollen, dass er unter Ugly Kidokoro nicht finden würde, was er gesucht hatte.)   „Von mir aus“, gab er lustlos zurück – im Grunde war ihm egal, wie der Japaner hieß –, dann wandte er sich ab. Er hatte schon genug Zeit mit unnötigem und ziemlich einseitigem Smalltalk verschwendet. Und dieser Blick des Japaners, diese großen, ihn fixierenden Augen, erwartungsvoll und aufgeregt zugleich, irritierte ihn viel zu sehr, als dass er ihm noch länger standhalten wollte. Henri verstand diese Art von Passion nicht. „Viel Glück morgen, Henri!“ Die Aussage blieb unbeantwortet, als sich der Kanadier aus dem Staub machte. Glück. Er brauchte kein Glück, er hatte Können.       Es sollte nicht das Einzige bleiben, das er an Ugly nicht verstand, wie sich am nächsten Tag herausstellte, als er ihn tatsächlich laufen sah, weil der Hallensprecher angekündigt hatte, dass der Schwierigkeitsgrad des Japaners höher war als der der anderen Teilnehmer. Höher als seiner. Es hatte zumindest kurzfristig sein Interesse geweckt. Henri hätte sich beinahe dafür Ohrfeigen können, dass er auf diese Finte reingefallen war, denn das, was er danach auf dem Eis beobachtete, war eine Farce, hochgradig peinlich in seinen Augen. Es war eine Sache, seinen Schwierigkeitsgrad so hoch zu stecken, aber eine andere, die Sprünge dann auch sauber zu beherrschen. Oder sie überhaupt zu landen. Was er sich dabei gedacht hatte, konnte Henri nicht sagen, aber klar war für ihn, dass es pure Idiotie war. Er war nicht annähernd eine Gefahr für ihn, wie er schnell bemerkt hatte und seine Aufmerksamkeit nicht wert.   Jedes weitere Mal, dass sie sich trafen, versuchte Henri, es dem Japaner klar zu machen, doch dieser wollte nie verstehen. Er war diesbezüglich genau so idiotisch und hoffnungslos wie auf dem Eis. Jeder Wettkampf war ein Grauen für Henri. Er wusste schon vorher, was ihn erwarten würde und er vermied es, sich mit Ugly abzugeben. Eines Tages begann er sogar, ihn vollends zu ignorieren, ihn nicht einmal mehr anzusehen.       „Henriiii!“   Der Gerufene hob den Kopf von der Zeitschrift, die er schon seit Minuten nur angesehen hatte, ohne irgendetwas davon wirklich wahrzunehmen. Seufzend schloss er sie auf seinem Schoß, ein schmaler, goldener Ring blitzte an seinem Ringfinger auf. Unglaublich, wie die Zeit vergangen war. Eine einzige, atemberaubende Kür konnte für einen Eiskunstläufer entscheidend sein und Gold sichern – ganz gleich, ob nun Goldmedaille oder... Ugly hatte es bewiesen.   „Wo bleibst du? Wenn wir nicht langsam losfahren, verpassen wir unseren Flieger“, fragte der Japaner und streckte den Kopf vom Flur aus ins Wohnzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung. „Ich komm ja schon...“, murmelte er mit fehlendem Elan, als er endlich vom Sofa hochkam und die Zeitschrift auf den Tisch legte.   Noch immer waren sie Konkurrenten auf dem Eis, aber sie waren längst mehr als das. Letzteres würde für die Ewigkeit bleiben. 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