YORU - Was die Nacht verrät von Dollface-Quinn ================================================================================ Kapitel 3: Gegen die Angst -------------------------- Erst als sie sicher außerhalb der Hörweite zum Hauptquartier waren, ließ Raphael den hinter ihm her trottenden Michelangelo los. Der hatte immer noch den Finger im Mund, aber wahrscheinlich nur, um seinem Bruder ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber der beachtete ihn gar nicht, sondern sprang mit beiden Beinen in den Kanal, sodass sich Michelangelo mit einem Sprung zur Seite retten musste, um nicht nass gespritzt zu werden. Nach kurzer Suche zogen die muskulösen Arme etwas sehr nasses und labbriges aus dem Wasser. „Na also, ich wusste doch ich hab' das Ding hier gesehen.“, rief Raphael zufrieden. Es war ein sehr altes, sehr löchriges und hoffnungslos verschmutztes Handtuch von eklig okker-rot-grauer Farbe. Michelangelo warf einen Blick auf den Lappen und fürchtete sofort eine neue Gemeinheit, darum trat er vorsichtshalber ein paar Schritte vom Kanalrand zurück. „Was willst du denn damit, Alter?“, fragte er angewidert und sah zu, wie die großen Hände seines Bruders den Lappen zu einem triefenden Ball zusammendrückten. Als der Klumpen stabil war, zog Raphael einen Sai, ließ ihn kurz in der Hand wirbeln und griff ihn schließlich mit beiden Fingern am Metall. Dann stach er mehrmals auf das tropfnasse Ding unter seinem Arm ein, bevor er den Sai wieder weg steckte und Michelangelo sein Werk zeigte. Er hatte dem schlabbrigen Klumpen ein Gesicht geschnitzt. Michelangelo betrachtete das Kunstwerk unbehaglich. Es erinnerte ihn auf unangenehme Weise an etwas, das ihm nicht gleich einfallen wollte. „OK und was sollen wir jetzt damit?“, fragte er unsicher, ohne dabei den Finger aus dem Mund zu nehmen. Raphael stöhnte und ließ genervt die Schultern hängen. Dann kam er aus dem Wasser, stellte sich seinem Bruder gegenüber und hielt ihm den tropfenden Klumpen hin. „Das ist unsere Kraang-Attrappe, du Genie. Damit sollst du trainieren.“, erklärte er unwillig und warf Michelangelo das Ding vor die Brust. Der nahm endlich den Finger aus dem Mund, fing es auf und brackiges Abwasser spritzte ihm ins Gesicht. Er sah sich das Ding noch einmal mit zugekniffenen Augen genau an. Irgendwie erinnerte der Stoffklumpen tatsächlich an die rosa Alienhirne, aber etwas wichtiges fehlte noch. Das war ein Fall für Mikey! Nun war sein Hang zur Albernheit geweckt. „Das Ding braucht Tentakel!“, stellte er fest. Raphael schlug sich die Hand vor die Stirn und konnte es einfach nicht fassen wie schwer es war nett zu dem Kindskopf zu sein. Am liebsten wäre er jetzt losgezogen und hätte einen Kraang besorgt, den er dann mit seinen Tentakeln an Michelangelos Bettpfosten gebunden hätte. „Ehrlich Mikey, du machst mich wahnsinnig! Sollen wir erst Donnie fragen, ob er dir eine lebensechte Kraang-Puppe bastelt, oder können wir endlich anfangen?“, knurrte er hinter zusammengebissenen Zähnen. Aber hinter der orangenen Bandana liefen Dinge ab, die keinen Platz für Raphaels Gemurre ließen. Sein Blick bohrte sich in den dreckig-nassen Stoffballen. Dann erhellte sich plötzlich sein Gesicht und er warf den nassen Klumpen grob in die Richtung aus der er ihn erhalten hatte, bevor er nun seinerseits platschend in den Kanal sprang. Beherzt tunkte er beide Arme tief in das trübe Wasser und begann darin herumzuwühlen. Trotzdem, dass er beim Werfen gar nicht gezielt hatte, flog der Stoff-Kraang direkt auf Raphael zu, der beim Auffangen das Gesicht abwenden musste, um kein Spritzwasser abzubekommen. Michelangelo war ein meisterhafter Werfer. Wahrscheinlich durch sein jahrelanges Training mit Wasserbomben als Dr. Frankenstreich, wie er sich selbst betitelte. Raphael klemmte sich die Übungspuppe unter den Arm und wischte sich die Wassertropfen von Wange und Hals ab. „Gut dass du schon drin bist, so sparst du mir die Mühe dich rein zu werfen!“, rief er seinem Bruder zu, wohl wissend, das der sich gerade in einer ganz anderen Welt befand. Aber dann verließ ihn doch die Geduld und er trat näher an der Kanalrand heran. „Was machst du da eigentlich?“, wollte er mit Nachdruck in der Stimme wissen. Michelangelo antwortete nicht, sondern wühlte mit der Zunge zwischen den Lippen weiter im Schlamm der Kanalisation. Kurz darauf hatte er schließlich gefunden was er suchte. Die Arme nun bis zu den Schultern im Abwasser begann er zu ziehen und beförderte mehrere lange, glibbrige, graue Algenstränge an die Oberfläche. So etwas hatten sie 15 Jahre lang gegessen, bevor sie nach oben in die Stadt gedurft hatten, wo sie sich jetzt aus den Hinterhöfen der Einkaufszentren die abgelaufenen Lebensmittel holten, schoss es Raphael durch den Kopf. Michelangelo stieg mit beiden Armen voller Algen aus dem Wasser und trat damit auf den grimmig dreinblickenden Raphael zu. Der Blick sagte: Wenn du es wagst mich mit dem Zeug zu bewerfen, bist du tot! Aber der Kindskopf meinte nur: „Halt den Kraang mal hoch.“ und stubste Raphaels muskulösen Arm mit dem Fuß an, weil er selbst beide Hände voll hatte. Mit einem entnervten Knurren hielt er Micheangelo den Klumpen mit einer Hand entgegen, woraufhin der Künstler in orange sofort begann die Algenstränge um den Kraang-Dummy zu binden, bis er genug 'Tentakel' hatte. Mit dem übriggebliebenen Schlamm auf seinen Händen und Armen, malte der Kindskopf dann noch die Löcher aus, die Raphael in den Stoff gestanzt hatte. Dann trat er selig lächelnd ein paar Schritte zurück, betrachtete sein Werk und schrie urplötzlich auf. „Was denn?“, fragte Raphael alarmiert, ließ die Attrappe fallen und hatte im Nu seine Sais fest in beiden Händen, bevor er sich aufmerksam umsah. „Das Ding sieht plötzlich so echt aus.“, wimmerte Michelangelo und deutete auf die am Boden liegende Konstruktion aus Stoff, Algen und Schlamm. Der Turtle in rot begriff, dass keine Gefahr drohte und schob wütend über den Fehlalarm die Sais zurück in den Gürtel. Dann versetzte er dem Klumpen zu seinen Füßen einen heftigen Tritt, der ihn genau auf Michelangelos ängstliches Gesicht zufliegen ließ. Dieser begann zu Kreischen und schlug mit der flachen Hand nach dem leblosen Angreifer, der dadurch mitten in der Luft gestoppt wurde. Die Algententakel wurden durch die Wucht des Aufpralls jedoch nach vorn geschleudert und wickelten sich um die grüne dreifingrige Hand des Turtles. Entsetzt kniff der die Augen zusammen und schüttelte den gestreckten Arm, aber die Kraang-Attrappe fiel nicht ab. „Raaaaahahahaaaaaph!“, heulte er, den Arm immer noch weit von sich gestreckt. Aber der Sai-Spezialist hielt sich inzwischen den Bauchpanzer vor Lachen und nun war es an Michelangelo grimmig zu gucken. „Na vielen Dank auch für die Hilfe, Bro.“, beschwerte er sich. Für Raphael war die Kraang-Puppe immer noch eine Ansammlung von Stoff, Algen und Schlamm, aber sie funktionierte großartig. Immer noch lachend, trat er auf den Bruder zu, zückte einen Sai und schnitt die Tentakel auf Michelangelos Haut durch, sodass die Attrappe klatschend auf dem Boden aufschlug. „Bist du dann jetzt soweit zu trainieren, du Held?“, fragte er gut gelaunt. Michelangelo starrte erst böse, dann ängstlich, aber dann entschlossen auf die Trainingspuppe und griff nach seinen Nunchakus. „Ich bin startklar, Alter!“, gab er an und ließ die Waffen wirbeln, um sie dann unter den Armen einzuklemmen. „Pack die wieder weg. Du gehst direkt auf das Ding los.“, kommandierte Raphael und wischte Mikey damit die Entschlossenheit wieder vom Gesicht. „Aber die Kraang sind so eklig! Ich will das Ding nicht nochmal anfassen!“, protestierte er. Raphaels linkes Augenlid begann zu zucken. „Eben hast du noch halb im Abwasser gelegen, um dem Ding Tentakel zu verpassen und jetzt willst du es nicht... aaaaarrrrrghhh!“, er brach ab und gab ein wütendes Knurren von sich. Drohend richtete er die Fäuste bereits gegen die orangene Bandana, dann aber griff er sich mit beiden Händen an die Schläfen, schloss die Augen und atmete tief ein. Michelangelo beobachtete fasziniert das Gesicht seines Bruders. „Alter, du müsstest dich mal sehen. Du siehst so wütend aus.“, kicherte er unbekümmert. Daraufhin nahm Raphael die Hände wieder runter, sah Michelangelo mit gefletschten Zähnen an und trat unvermittelt auf ihn zu. Bevor der Kleinere noch ausweichen konnte, hatte der andere ihm schon die Kusarigama abgenommen. „Hey.“, empörte der sich kleinlaut. Aber Raphael wandte ihm schnaubend den Rücken zu und schob die Sichel der Kettenwaffe in das obere Ende der Kraang-Puppe. Die Kette warf er über ein Rohr an der Tunneldecke und zog das ganze Ding auf Michelangelos Augenhöhe. Abschließend verhakte er die Kettenglieder mit seinem Sai, damit die Konstruktion so hängen blieb. Im Dämmerlicht der Kanalisation sah das schwammige Ding mit seinen feucht-glibbrigen Algenarmen tatsächlich ein bisschen wie ein Kraang aus. Mikey war sichtlich unwohl bei dem Anblick. Raphael trat hinter die Attrappe und hielt sie fest wie einen Sandsack. „Jetzt hau drauf.“, kommandierte er. Michelangelo schob sich seitlich etwas näher heran, zögerte aber. Raphael stieß die Puppe mit den Armen nach vorn, ohne sie loszulassen. Der Kleine schrie auf und sprang drei Meter zurück. „Wenn du ihn nicht haust, fängt er dich.“, versprach der Turtle hinter der Trainingspuppe mit einem fiesen Grinsen. Nun fühlte sich Michelangelo doch vorgeführt. Er fokussierte sich, wie er es bei Meister Splinter gelernt hatte. Dann sprang er vor und verpasste dem Stoff- und Algenklumpen einen gestreckten Tritt. Raphael wurde zwei Zentimeter zurückgeschoben, änderte aber seine Haltung nicht. „Weiter!“, befahl er und Michelangelo schlug zu. Immer wenn er unsicher wurde und zwischen zwei Angriffen zögerte, stieß Raphael die Puppe nach vorne und zwang seinen Bruder zur Verteidigung. Dabei wickelten sich ab und zu die Algen wieder um Michelangelos Handgelenke, aber schon nach kurzer Zeit, hieb er sie mit der Handkante durch und machte weiter. Schlag, Tritt, Tritt, Schlag, Abwehr, Knie, Ellbogen, Ducken, Hieb nach oben, Rückwärtssalto, Tritt nach vorne, Schlag, Schlag. Schließlich hatte der Stoffballen statt eines Gesichtes eine tiefe Delle. „Gut, stopp.“, rief Raphael, und fing den nächsten Fausthieb mit seiner Hand ab. Michelangelo atmete schnell, aber kontrolliert. Voller Ninja-Modus, würde Leonardo sagen. Man sah den Kleinen selten so konzentriert. „Das Ding wird mich in meinen Träumen verfolgen.“, meinte er, während er sich den Schlamm und die Algenstücke von den Händen wischte. „Ja, aber du wirst ihm eine rein semmeln.“, versprach Raphael, während er sich daran machte, die Konstruktion an der Kette herunterzulassen. „Na ich weiß nicht.“, murmelte der Freigeist und nahm die Kusarigama wieder an sich. „Willst du's testen?“ Michelangelo sah seinen Bruder erst skeptisch an, dann wurden seine Züge aufgeschlossener. „Wie denn?“ Ohne Vorwarnung gab Raphael der Kraang-Attrappe einen Fußtritt, sodass sie erneut auf das Gesicht mit der orangenen Bandana zuflog. Michelangelo stieß einen kriegerischen Schrei aus, vollführte einen Salto und trat das Ding mit der Ferse zu Boden, bevor er in Angriffsposition landete, bereit weiter auf seinen Gegner einzuprügeln. Aber der bewegte sich nicht mehr. Seine Augen wurden wieder klar, als er aus seiner Kampfhaltung auftauchte. „Alter, was sollte das?!“, fuhr er den selbstgefällig dreinblickenden Raphael an. Aber der brauchte nicht einmal zu antworten. „Ich hab den Kraang erledigt.“, stellte Mikey ungläubig fest. Dann vollführte er einen seiner berüchtigten Freudentänze. „Dam dam dam dam dam-da-da-dam.“, summte er die 'Teenage Mutant Ninja Turtle - Melodie' beim tanzen und zeigte überlegen auf seinen am Boden liegenden Gegner. „Ich hab dich voll erwischt!“ „Ja, und heute Nacht schläft der in deinem Zimmer.“, verkündete Raphael, indem er Michelangelo den Ellbogen auf die Schulter legte. Der Kleine erstarrte und sah ungläubig zur roten Bandana hinauf. „Ich soll das gruselige Ding in mein Zimmer bringen?“, fragte er. Raphael nickte. „Aber dann schlafe ICH bei dir!“, verlangte er mit Nachdruck in der Stimme. Der Blick hinter der roten Bandana wurde kalt wie Stahl. „Nein!“, stellte er klar und gab Michelangelo einen Klaps auf den Hinterkopf. Dann schob er den Fuß unter den Stoffklumpen und kickte ihn in Michelangelos Arme, der ihn auffing, ohne hinzusehen, weil sein Blick immer noch den Bruder durchbohrte. „Warum?“, fragte er weinerlich. „Weil dieses Ding dich nicht fressen wird und wenn du das kapiert hast, können wir endlich alle wieder schlafen.“, damit drehte er den unglücklichen Michelangelo herum und schubste ihn, damit er sich in Bewegung setzte. „Du vielleicht.“, murrte der und betrachtete den schwammigen Kraang-Kopf mit Unbehagen. „Wenn du Angst kriegst, verpasst du dem Ding eben noch ein paar.“, beendete Raphael die Diskussion, während sie zurück ins Hauptquartier liefen. Leonardo saß auf der Couch vor seiner Lieblingsserie 'Space Heros', als die Beiden durch die Drehkreuze kamen. „Wo kommt ihr denn her?“. Fragte er, ohne sich umzusehen. Raphael nutzte das und bedeutete Michelangelo die Attrappe schnell in sein Zimmer zu bringen. Dieser schlich unwillig davon. „Und warum stinkt ihr so?“, war die nächste Frage des Anführers, der sich nun doch umwandte. Aber er erblickte nur noch Raphael. „Och, keine Ahnung, vielleicht, weil wir IN DER KANALISATION LEBEN!“, brauste der Sai-Kämpfer auf. Er musste etwas Zeit gewinnen, um sich eine glaubhafte Ausrede zu überlegen. Leonardo, der solche Ausbrüche gewöhnt war, sah ihn skeptisch an. „Mikey ist in den Kanal gefallen, wenn du alles wissen musst!“, motzte Raphael ihn an. Da mischte sich Donatellos Stimme von der Werkstatt aus ein: „Ist er gefallen, oder gefallen worden, Raph?“ „Er ist gesprung... aaaarrrghhh, WAS GEHT EUCH DAS EIGENTLICH AN!“ , erwiderte dieser jähzornig, die Hände wieder an die Schläfen gepresst. Dann drehte er sich um, verpasste der Sandsack-Puppe, die hinter der Couch hing, einen Schlag, der sie ordentlich in Bewegung brachte und knallte die Badezimmertür hinter sich zu. „Langsam werden seine Gefühlsausbrüche echt anstrengend.“, bemerkte Leonardo sachlich. „Wem sagst du das.“, stimmte Donatello zu. „Mir tut immer noch der Panzer weh, wo er mich heute morgen erwischt hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)