Actio est reactio von Ur (von Nerdherzen und den physikalischen Gesetzen ihrer Eroberung) ================================================================================ Kapitel 40: Scharfe Salami mit Pepperoni und extra Chili -------------------------------------------------------- Am dritten Tag gebe ich Julius einen Zweitschlüssel für unsere Wohnung. Ich sage meinem Vater nicht Bescheid deswegen, wahrscheinlich ist es ihm sowieso egal. Wenn ich aus dem Bett aufstehe, um Ororo zu füttern, versuche ich zumindest eine Flasche Wasser aus der Küche zu holen und meine Zähne zu putzen, bevor ich wieder ins Bett falle. Julius war jeden Tag hier, seit Montag. Er zwingt mich zum Essen und gestern auch zum Duschen, er lässt Frischluft in mein Zimmer, spielt mit der Katze und sitzt in einem Sicherheitsabstand von dreißig Zentimetern neben mir auf dem Bett und schaut mit mir Deep Space Nine. Er erzählt von seinem Tag, er kommentiert die Folgen. Ich schweige. Meine Zunge fühlt sich an, als hätte sie das Sprechen verlernt und ich kann sehen, dass es Julius aufs Gemüt schlägt, wie ich mich verhalte, aber ich hab schlichtweg keine Energie für irgendetwas. Ich möchte mich bedanken, ich möchte mich entschuldigen. Ich möchte ihm nicht zur Last fallen, aber ich kann nicht— Ich kann einfach nichts im Moment. Es fühlt sich an, als würde mein Inneres aus Teer bestehen. Mein Kopf ist gefüllt mit einer wattigen Apathie, die ich einfach nicht abschütteln kann. Bis Sonntag habe ich es geschafft es nicht zu bereuen, von Noah weggefahren zu sein. Jetzt liege ich den ganzen Tag alleine im Bett und starre an die Decke und wünsche mir nichts sehnlicher als wieder dort zu sein, wo ich hergekommen bin. Ich weiß, dass es Julius gegenüber unfair ist. Dumpf denke ich daran, dass Mari mal gesagt hat, ich wäre einer von Julius‘ anständigen Freunden. Wenn sie wüsste, was in mir drin vorgeht, würde sie das sicherlich anders sehen. Er gibt sich so viel Mühe und ich will einfach nur weg. Er hat mal gesagt, dass er nie sauer auf mich ist. Vielleicht hat er das sogar ernst gemeint. Aber ehrlich gesagt würde ich einen sauren Julius eintauschen gegen das, was ich auf der Party gesehen habe. Wenn er einfach sauer wäre, dann wäre es vielleicht einfacher, dann müsste ich mich nicht mit einem Bild von einem weinenden Julius herumschlagen, das sich auf die Innenseite meiner Augenlider tätowiert hat. Er hat geweint, weil ich ihn fast geküsst habe. Ich erinnere mich noch sehr genau an die panisch riesigen Augen und wie er geflüchtet ist, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Und das wohl gemerkt, nachdem er wenige Sekunden vorher noch mit Cem geknutscht hat. Ich hab’s einfach total verkackt. Was hab ich mir in diesem Moment gedacht? Ich weiß es natürlich. Ich war notgeil und Julius ist— Ich schneide meinen Gedankengang an der Stelle entschieden ab, weil ich schon genug verschissen habe. Es muss wirklich nicht sein, dass ich auch noch darüber nachsinne, dass Julius super gut aussieht und es wahnsinnig heiß war, ihn mit Cem beim Knutschen zu beobachten. Ororo hat sich auf meinem Brustkorb zu einem Kringel eingerollt und schläft zufrieden, während ich darüber nachdenke, was für ein elendes Arschloch ich bin. Und um das ganze zu krönen, hab ich dann auch noch Julius‘ besten Freund entjungfert, ohne so richtig drüber nachzudenken, dass das sein verdammtes erstes Mal Sex mit einem Jungen ist. Fuck. Cem nimmt es mir nicht übel. Aber wahrscheinlich würde er es mir auch nicht sagen, falls es doch so wäre. Meine Gedanken kreiseln darum, was für ein scheußlicher Mensch ich bin und ich kann förmlich Annis Stimme hören, die mir streng sagt, dass das die Depressionen sind, die da reden. Aber im Moment hilft der Gedanke an Annis Stimme nicht. Ich hab einfach alles verbockt. Keine Ahnung, wieso Julius überhaupt noch mit mir befreundet sein will. Als ich höre, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wird, stelle ich mich schlafend und fühle mich dafür sogar noch schlechter, aber ich kann Julius einfach nicht ansehen. Wenn ich noch mal sehen muss, wie er mich anschaut, dann— Ich höre, wie Julius leise in mein Zimmer kommt und seinen Rucksack abstellt. Dann passiert eine Weile lang gar nichts und ich muss mich bewusst dazu zwingen, gleichmäßig zu atmen, falls er mich ansieht. Auch wenn ich nicht weiß, warum er so ein Wrack wie mich ansehen wollen würde. Nach einigen Momenten der Stille verschwindet er in die Küche und ich höre fernes Klappern, Rascheln und das Auf- und Zugehen des Kühlschranks. Wahrscheinlich hat er neue Sachen eingekauft. Ich glaube, wenn ich heute noch mal in diesem großen Abstand von Julius auf dem Bett sitzen und Star Trek gucken muss, dann drehe ich durch. Also halte ich meine Augen geschlossen und lausche auf jedes Geräusch. Julius kommt zurück in mein Zimmer und kippt mein Fenster, ehe ich Papierrascheln höre. Vermutlich legt er die Schulunterlagen auf den Schreibtisch zu den anderen Sachen. Ich spüre, wie er kurz Ororo über den Kopf streichelt und sie prompt anfängt zu schnurren. Dann wieder nichts. Mein Herz hämmert wie verrückt, weil ich das eindeutige Gefühl habe, dass er mich anstarrt. Dann, ganz vorsichtig—und es kostet mich alles an Willenskraft, um nicht zusammenzuzucken—tasten Fingerspitzen nach meiner Hand auf der Matratze. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Seine Hand legt sich auf meine und bleibt dort. Ich zähle die Sekunden. Neunzehn—zwanzig—einundzwanzig— Meine Haut kribbelt an der Stelle, an der Julius mich berührt. Dann zieht er die Hand zurück und ich höre ihn leise seufzen, ehe er wieder aufsteht und das Zimmer verlässt. Er kommt noch einmal zurück und stellt irgendwas auf meinen Nachtschrank—wahrscheinlich eine frisch gefüllte Wasserflasche und irgendwas Unaufwendiges zu essen—dann lausche ich, wie er seinen Rucksack wieder aufsetzt, leise meine Tür hinter sich zuzieht und im nächsten Moment öffnet und schließt sich die Wohnungstür. Ich öffne die Augen und schlucke mehrmals. Als ich den Kopf drehe, sehe ich die erwartete Flasche Wasser, eine Banane und die Tüte Zimtschnecken auf meinem Nachtschrank, die er am Montag schon mitgebracht hat. Meine Kehle fühlt sich an, als würde jemand heftig darauf drücken. Meine Augenwinkel brennen, während ich die Sachen anstarre. Ich bin wirklich das größte Arschloch unter der Sonne. * Am Freitag bugsiert Julius mich in den Park. Rational ist mir bewusst, dass es eigentlich eine gute Idee ist ein bisschen Sonne und frische Luft zu tanken, aber ich bin trotzdem eher ungewillt mich aus dem Bett zu bewegen. Julius stopft eine Wolldecke in seinen Rucksack, besteht darauf mir im Park ein Eis zu kaufen und hockt sich neben mich, als ich mich auf die Wolldecke im Gras lege und den Himmel anstarre. »Das Spiel morgen geht um elf los«, informiert Julius mich, als wäre ich momentan nicht wie eine Backsteinmauer, der man seine Lebensgeschichte erzählt. Julius ist ziemlich gut darin so zu tun, als würde es ihm nichts ausmachen, dass ich so gut wie nie antworte während er so gut wie ununterbrochen vor sich hinblubbert wie ein Glas Mineralwasser. Das Spiel hatte ich schon fast vergessen. Ich bin seit Wochen nicht laufen gewesen und hab natürlich viel zu wenig gegessen. Bis sich das wieder eingependelt hat, brauche ich wahrscheinlich nicht zum Training gehen. Nachdem ich Konstantin eine reingehauen habe, brauche ich vielleicht generell gar nicht mehr zum Training gehen. Noch eine Sache, die ich vermasselt habe. Auch wenn ich das kein bisschen bereue, weil Konstantin ein elender Wichser ist. »Gegen wen spielt ihr?«, bringe ich hervor und lasse Julius‘ Antwort über die Gegner des morgigen Spiels über mich hinwegwaschen. Vielleicht sollte ich hingehen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich es schaffe mich aus dem Bett zu quälen ist sehr gering. Julius hat neben mir Hausaufgaben ausgepackt—ein seltener Anblick, auch wenn er in der letzten Woche immer mal wieder an meinem Schreibtisch saß und irgendwelche Sachen gemacht hat. Vermutlich, um mir einfach Gesellschaft zu leisten. Ich frage mich, ob meine Freunde ihn gecoacht haben, wie man depressive Tamino Episoden am besten betreut. Julius quält sich ganze zehn Minuten allein mit Französisch, bevor er angestrengt stöhnt und mich um Hilfe bittet. Ich drehe mich auf die Seite und angele nach dem Blatt, das er gerade bearbeitet. Obwohl mein Gehirn sich anfühlt wie ein Backstein, helfe ich Julius bei den Französischhausaufgaben. Dann bei Bio. Als er auch noch seine Englischsachen hervorkramt, kommt mir langsam der Gedanke, dass er das mit Absicht macht. Ich mustere ihn von der Seite, während er über den Aufgaben brütet. Obwohl er wahrlich kein Musterschüler ist, hat Julius eine wahnsinnig steile Lernkurve im Umgang mit mir hinbekommen. Er mag kein Genie sein, wenn es um akademisches Lernen geht, aber im Lernen über Menschen scheint er ein unbestreitbares Talent zu haben. »Morgen Abend DVD-Abend mit Cem und Feli?«, murmelt Julius neben mir, immer noch über seine Englischhausaufgaben gebeugt. Ich blinzele und frage mich, wieso er nach dem Spiel abends nicht mit seiner Mannschaft einen trinken gehen will. Dann erinnere ich mich an das Baggerseedebakel. Mir ist kein bisschen nach Gesellschaft zumute, aber ich weiß, dass es eine gute Idee ist. »Ok.« »Wir kommen zu dir.« »Ok.« Julius schaut von seinem Blatt auf und mustert mich eindringlich. Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. »Und du wirst mindestens ne halbe Pizza essen«, droht er. Ich nicke stumm. Julius lächelt mich schief an und widmet sich dann wieder seinem Arbeitsblatt. »Ich hoffe, du bist bereit für Jurrassic Park und Black Panther«, sagt Julius und malt ein paar Kringel auf sein Blatt, statt sich mit Aufgabe drei auseinander zu setzen. »Ich bin immer bereit für Black Panther«, murmele ich leise und lege mich wieder auf den Rücken, um den Himmel anzustarren. Warum ist er so nett zu mir? Ich hab diese ganze Nettigkeit kein bisschen verdient. Ich stelle mir vor, wie Julius auf der Party einfach vor Schreck eingefroren wäre, statt zu gehen. Dann hätte ich ihn gegen seinen Willen geküsst und— »Hey«, sagt Julius leise neben mir und ich reiße mich aus meinem Gedankenkreisel, nur um zu merken, dass mein Atem schneller geht als vorher. Julius schaut mich aus seinen hellgrünen Augen besorgt an. »Komm raus aus deinem Kopf.« Ich schlucke mehrere Male schwer. »Geht nicht so einfach«, krächze ich. Julius lächelt traurig. »Ich weiß. Tut mir leid.« * Wie Julius mir scherzhaft mitteilte, hat Frau Lüske ihn streng ermahnt das Spiel am Samstag zu gewinnen, damit all mein Aufwand für ihn nicht umsonst war. Alles, was das mit mir angestellt hat, ist, dass ich mich noch schlechter fühle als ich a) Samstag nicht beim Spiel dabei bin und b) weil ich Julius mit meiner beknackten Depression unter Druck setze. Eigentlich würde ich den DVD-Abend gerne absagen, aber ich weiß, dass Julius das nicht durchgehen lassen würde. Außerdem hat er jetzt einen Schlüssel. Ich hab keine Ahnung, ob er Feli und Cem davon erzählt hat, dass ich Depressionen habe, aber wenn sie auch nur ansatzweise wissen, was für Symptome die Krankheit mit sich bringt, dann werden sie es spätestens wissen, wenn sie mich und mein Zimmer heute gesehen haben. Überall liegen Plastikverpackungen von Snacks herum, die ich ohne Zubereitungsaufwand essen kann. Mein Schreibtisch ist ein Berg aus Unterlagen, garniert mit einem Teller voller Bananenschalen. Ich sehe aus wie ein Zombie, weil ich abwechselnd gar nicht oder viel zu viel schlafe und in den letzten Wochen viel zu wenig gegessen habe. Ich weiß, dass Feli und Cem um sieben hier auftauchen werden, aber alles, was ich heute produktives hinbekommen habe, ist Ororos Katzenklo zu sieben und zu duschen, damit ich nicht auch noch rieche wie ein absolutes Desaster. Als um halb sechs ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wird und wenigen Momente später Julius in die Wohnung schneit, denke ich, ich hätte mich in der Uhrzeit geirrt. »Hey! Ich dachte, ich kann noch ‘n bisschen beim Aufräumen helfen«, sagt er, als er bei mir ins Zimmer schneit und sein erster Gang wie immer zum Fenster ist, um es aufzureißen. Draußen regnet es heute und das Geräusch der prasselnden Tropfen an meiner Fensterscheibe hat etwas Beruhigendes an sich. Der Geruch, der von draußen hereinkommt, ist angenehm. Und Julius Timmermann, Starkapitän der Schulfußballmannschaft und Jahrgangsprinz, ist hier, um mir beim Aufräumen zu helfen, weil ihm klar war, dass ich es selber nicht schaffen und mich deswegen vor Besuch unwohl fühlen würde. In meinem Brustkorb passiert etwas sehr Merkwürdiges, während ich dabei zusehe, wie Julius sich den Teller mit Bananenschalen greift und damit in die Küche verschwindet, um sie zu entsorgen. Mein Herz fühlt sich an, als hätte es sich in einen Schwarm nervöser Kolibris verwandelt. Julius summt eine sehr schiefe Melodie vor sich, die verdächtig nach einem der türkischen Popsongs klingt, die ich Cem schon öfter habe singen hören. Als er zurück in mein Zimmer kommt, starre ich ihn an, als hätte ich ihn noch nie gesehen. Prompt hört Julius auf zu summen und läuft scharlachrot an. »Ähm...«, sagt er. »Habt—habt ihr das Spiel gewonnen?«, krächze ich. Ich höre nicht auf zu starren. Julius‘ große Menge Sommersprossen ist kaum noch zu sehen, wenn er so rot wird wie jetzt und ich bin sehr dankbar für meine braune Haut. Sein Undercut ist gerade frisch rasiert worden—wahrscheinlich von Mari—und er trägt ein schlichtes, weißes Poloshirt. Aus irgendeinem Grund war er noch nie attraktiver als in diesem einen Augenblick. Das ist doch bescheuert, Tamino. Mein Hals fühlt sich sehr trocken an. »Huh? Oh! Ja. Ja, drei zu eins«, gibt Julius verwirrt zurück. Seine Augen kleben immer noch an meinem Gesicht. Wieso stehen wir hier inmitten meines Chaos‘ und starren uns an wie zwei, die noch nie einen anderen Menschen gesehen haben? »Hast du... hast du einen Müllbeutel?«, fragt Julius. Seine Augen sind rund wie Teller und er scheint vergessen zu haben, wie man blinzelt. Ich nicke in Zeitlupe. Tamino. Tamino, was zum Henker ist los mit dir? Ich rühre mich nicht vom Fleck. »Herzlichen Glückwunsch«, sage ich. Jetzt blinzelt Julius sehr verwirrt und mir wird klar, dass das eine viel zu verspätete Antwort auf die Information ist, die er mir über das Spiel gegeben hat. »Oh. Äh, danke. Cem hat das letzte Tor gemacht«, sagt Julius und offenbar ist ihm aufgefallen, wie komisch wir uns verhalten, denn er schaut weg und fängt an, nervös an seinen Haaren herumzuspielen. Fuck, ich will ihn so dringend anfassen, dass es mir wehtut. Ich verlasse hastig das Zimmer, um einen Müllbeutel zu organisieren und anschließend beobachte ich mit hämmerndem Herzen, wie Julius alles an Abfall und Verpackungen einsammelt und in den Beutel stopft. Mein Zimmer sieht automatisch fünfzig Prozent ordentlicher aus als vorher. Schleppend und mit jammernden Gliedmaßen, als wäre jeder Schritt eine Tortur, begebe ich mich zum Schreibtisch und fange an, die Unterlagen nach Fächern zu sortieren und dann in einen ordentlichen Stapel zu legen. Abheften ist zu viel des Guten, aber wenn alles im rechten Winkel liegt, sieht es schon gar nicht mehr so scheiße aus. Julius hat mehrere Tüten Chips gekauft und ein paar Gummitierchen, von denen ich nur vermuten kann, dass sie für Cem gedacht sind. Soweit ich das beurteilen kann, isst Cem keine Süßigkeiten außer Gummigedöns und Erdnussflips—eine Tatsache, die ich persönlich für ein entsetzliches Fehlurteil auf Seiten Cems halte. Beim Gedanken an Cem steigt mir die Hitze an den Kopf. Wir werden uns gleich das erste Mal wiedersehen, nachdem— Scheiße. Was, wenn es komisch ist? Was, wenn wir jetzt nicht mehr normal miteinander umgehen können? Was, wenn ich alles ruiniert habe mit meiner bekloppten, besoffenen, abgefuckten— »Hey.« Warme Finger legen sich behutsam auf meinen Unterarm und ich zucke so heftig zusammen, dass Julius sich erschreckt. Die Finger ziehen sich so schnell von meinem Arm zurück, dass ich kaum gucken kann. Als hätte Julius sich verbrannt. Er sieht aus, als hätte er ein wahnsinnig schlechtes Gewissen und ich sehe, wie er die Hände kurz zu Fäusten ballt und dann wieder locker lässt. »Sorry. Du sahst aus, als wärst du zu sehr in deinem Kopf.« »Ja. Ähm. Wegen—wegen Cem«, krächze ich und sinke in mir selbst zusammen. Julius blinzelt kurz, als wäre er verwirrt, dann sehe ich ihn erneut rot anlaufen. Weiß der Geier, was in ihm vor sich geht. »Oh, achso. Ah. Ha, ich glaube, du—du musst dir keine Gedanken machen. Er war. Er war kein bisschen reumütig darüber, als ich mit ihm drüber geredet habe«, meint Julius und schafft ein schiefes Grinsen. Mein Gehirn dreht sich im Kreis, als ich mir vorstelle, dass Julius mit Cem darüber redet, dass wir Sex miteinander hatten. Aus irgendeinem Grund schaut Julius meine Finger an und wird noch röter im Gesicht, ehe er mit der vollen Plastiktüte fluchtartig das Zimmer verlässt. Ich betrachte meine Finger einen Augenblick lang verwirrt, dann fange ich schwermütig an, meine verteilten dreckigen Klamotten auf einen Berg zu legen und anschließend in den Wäschekorb im Badezimmer zu befördern. Ich verstecke mich für fünf Minuten im Bad, um mich zu beruhigen, während ich Julius draußen rumoren höre. Die Depression flüstert mir zu, dass ich ein Stück Dreck bin, weil ich meinen Freund für mich aufräumen lasse, während ich hier drinnen wie ein fauler Nichtsnutz hocke und einfach nur atme. Ugh. Ich wasche mir das Gesicht und putze meine Zähne, um irgendwas zu tun, das mir nicht wie eine Zeitverschwendung vorkommt. Als ich wieder aus dem Bad komme, hockt Julius mitten bei mir im Zimmer und spielt mit Ororo. Ich bleibe im Türrahmen stehen und beobachte die beiden miteinander. Julius hat mir diese Katze geschenkt. Auch, wenn er mich bei weitem noch nicht so lange und gut kennt wie meine anderen Freunde, hat er ein ausgesprochen gutes Gefühl dafür entwickelt, was ich in welcher Situation brauche. Und das, obwohl er—wie er selbst gesagt hat—keine Ahnung hat, wie Freundschaft so richtig funktioniert. Mein Herz schwillt auf die doppelte Größe an, als ich die beiden miteinander beobachte und ich vergesse ganz in Panik zu verfallen, als es an der Tür klingelt und sich damit Cem und Feli ankündigen. Julius öffnet die Tür und ich habe kaum Zeit, Panik zu schieben, als schon Feli und dann Cem plötzlich in meinem Flur stehen und Julius zur Begrüßung umarmen. Als Cem mich ansieht, grinst er breit und dann umarmt er mich schlichtweg ebenfalls. Oh. Ok. »Oh mein Gott, das ist die süßeste Katze der Welt«, quietscht Feli hingerissen und stürzt an mir vorbei auf Ororo zu, die von der doppelten Menge an Personen im Flur ein wenig alarmiert aussieht, es aber zulässt, dass Feli sie streichelt. Während die Drei in mein Zimmer gehen, verschwinde ich in der Küche, um Getränke zu besorgen und mich ein bisschen zu beruhigen. Als ich zurückkomme, vier Gläser in den Händen und zwei Flaschen unter die Arme geklemmt, höre ich, wie sie sich unterhalten. »—bestellen. Was für Pizza will Tamino?«, fragt Feli. »Scharfe Salami mit Pepperoni und extra Chili«, sagt Julius ohne nachzudenken. Mein Herz stolpert und ich halte mitten im Flur an. Ein Kribbeln breitet sich in mir aus, das ich von früher kenne, aber es scheint sich verdreifacht zu haben, seit ich es zum letzten Mal gespürt habe. In meinem Innern schlägt mein Magen mehrere Saltos, während ich sehr tief ein- und ausatme und das überdeutliche Gefühl in meinem Inneren vorsichtig anstupse und dann absolut zweifelsfrei identifiziere. Oh. Oh. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)