Actio est reactio von Ur (von Nerdherzen und den physikalischen Gesetzen ihrer Eroberung) ================================================================================ Kapitel 16: low battery warning ------------------------------- »…und der Kuss zwischen Kirk und Uhura damals in den sechziger Jahren war ein Skandal! Wenn man bedenkt, wie progressiv Star Trek damals war, bin ich einfach wahnsinnig enttäuscht darüber, dass sie mir da so einen Actionfilm hinklatschen, der keinerlei gesellschaftskritischen Ton hat und die Minderheitenrepräsentation hätte man jawohl auch hochschrauben können! Und war es wirklich nötig, dass Uhura in dieser Szene in Unterwäsche rumspringt? Warum hat man diese bekloppten sexualisierten Uniformen nicht abgeändert? Es ist ein modernes Remake von einem alten Klassiker, wieso ist es dann so rückständig?« Ich starre Tamino an. »Wie kannst du nach viereinhalb Gläsern Rum solche komplexen Dinge sagen, ohne zu lallen?«, will ich wissen. Meine Stimme klingt schon ziemlich verschwommen, muss ich sagen. Ich habe Schwierigkeiten Taminos Gedankengängen zu folgen. Ich bin daran hängen geblieben, dass diese Sache mit der Unterwäsche wohl damit zusammen hängt, warum alle Kerle aus meiner Mannschaft dauernd über Felis Brüste reden, als wäre das alles an ihr. Aber so ganz hab ich den Bogen noch nicht bekommen, vor allem, weil ich mir vorher noch nie so richtig Gedanken darüber gemacht habe. Tamino trinkt den Rest seines Glases aus. Seine Augen sind definitiv glasig, er redet viel mehr und gestikuliert ausschweifender. Daran kann ich erkennen, dass er durchaus angesäuselt ist. Aber meine Fresse, wie läuft sein Gehirn noch so auf Hochtouren? Meins ist wahrscheinlich im nüchternen Zustand immer noch weniger aktiv als Taminos. »Ich meine ja nur… Leute waren damals geschockt, weil der Kuss zwischen Uhura und Kirk der erste zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau im Fernsehen war. Hätte ihnen keinen Zacken aus der Krone gebrochen, aus Scotty oder Bones eine Frau zu machen. Oder einen schwarzen Kirk zu casten. Wie auch immer…« Tamino schenkt sich ein neues Glas ein. Ich glaube, mittlerweile ist die Cola nur noch zur Färbung drin und ich habe keine Ahnung, wie er dieses Zeug runterspült, als wäre es Wasser. »Hab ich zu viel geredet?«, fragt er dann ganz plötzlich und seine Stimme klingt sehr klein, als hätte er sich daran erinnert, dass der nüchterne Tamino für gewöhnlich kaum zwei zusammenhängende Sätze spricht. Ich schüttele hastig den Kopf. »Nein, bitte red weiter«, sage ich und komme mir sofort wahnsinnig peinlich vor. Juls, du Pfosten! Was zum Teufel ist los mit dir? Tamino blinzelt, dann breitet sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus, das mir die Röte ins Gesicht treibt. Ich hab mich noch nicht getraut, nach der Umarmung zu fragen, auch wenn ich schon längst über das nächste Bier hinweg bin. Der Film sollte ursprünglich etwa zwei Stunden dauern, aber durch Taminos Kommentare zwischendurch und mehrere Toilettengänge hat er sich auf etwa zweieinhalb Stunden verlängert. »Es ärgert mich, wenn moderne Medien eine Quotenfrau und einen Quotenschwarzen haben und wenn man Pech hat, stirbt einer von beiden. Und wenn wir schon dabei sind, hätte ich es auch ziemlich gut gefunden, wenn sie Kirk und Spock zu einem Paar gemacht hätten.« »Ich bin sicher, da würde Mari dir zustimmen«, sage ich geistreich und immer noch total abgelenkt von diesem Lächeln, das ich gerade gesehen habe. Was er wohl dabei gedacht hat? Jetzt mustert er mich wieder. Er sitzt im Schneidersitz vor mir und ich umklammere mein Bier, als wäre es in der Lage, mich erfolgreich durch den Abend zu manövrieren. Wahrscheinlich ist eher das Gegenteil der Fall. »Weißt du…«, sagt Tamino nachdenklich und ich glaube, mir fallen gleich die Augen raus, weil Tamino das verfickte fünfte Glas Rum Cola in einem Zug leert, es beiseite stellt und aussieht, als wäre das nötig gewesen, um zu sagen, was er sagen möchte. »Du bist…« Er scheint über ein passendes Wort nachzudenken, während ich jeden Augenblick mein Bier verschütte. Oder die Flasche sprenge, weil ich sie so fest umkralle. »Ziemlich großartig.« Oh. Erstens: Nüchtern hätte Tamino sowas nie im Leben gesagt. Zweitens: Nüchtern hätte Tamino mich – selbst wenn er so etwas gesagt hätte – nicht aus großen braunen Augen hinter seiner Brille hervor angesehen, als würde er ganz genau überprüfen wollen, was nach dieser Offenbarung in meinem Gesicht abgeht. Drittens: Wenn ich nüchtern wäre, wäre ich vermutlich einfach an einem Hitzeschlag gestorben. Viertes: Mein Gehirn kann nicht verarbeiten, dass Tamino mich auf irgendeine Art und Weise großartig findet. Ich glaube nicht mal, dass das am Alkohol liegt – es würde mir nüchtern garantiert auch so gehen. Meine Fresse, ich brauche ein Beatmungsgerät und eine kalte Dusche. In meinem schon ziemlich angetrunkenen Zustand öffne und schließe ich den Mund mehrmals hintereinander, dann passiert wieder diese Sache. Meine Zunge beschließt, dass sie meinem Gehirn voran eilen kann und ehe ich es mich versehe, habe ich mich zum gefühlt dreihundertsten Mal an einem Tag zum absoluten Deppen gemacht. »Ich will mit dir befreundet sein. Wenn das für dich ok ist. So richtig. Auch wenn ich aus verlässlicher Quelle erfahren hab, dass ich nicht wirklich weiß, wie das funktioniert.« Tamino blinzelt angesichts meines Ausbruchs, während ich schnell mein Bier abstelle und mich dann auf dem Bett aus lauter Scham zur Seite kippen lasse, um mein Gesicht in der Bettdecke zu vergraben. Kurz herrscht Stille, dann legen sich ganz behutsam ein paar Fingerspitzen auf meine Schulter, als hätte Tamino Angst, mich zu zerbrechen. »Ich glaube, ich muss den Rest Rum austrinken, um diese Peinlichkeit zu ertränken«, murmele ich in die Bettdecke. Keine Ahnung, ob Tamino das überhaupt versteht. Die Fingerspitzen verwandeln sich in ganze Finger und dann eine Handfläche. Er kommentiert den Satz mit dem Rum nicht. Anscheinend ist er gedanklich bei meiner wahnsinnig peinlichen Freundschaftsanfrage hängen geblieben – und ich kann es ihm nicht mal verübeln. »Wirklich?«, fragt er sehr leise. Ich hebe meinen Kopf und sehe wahrscheinlich aus wie ein Besen, weil meine Haare sich aus dem Zopf gelöst haben. Taminos Augen sind riesig. Er sieht aus, als könnte er es überhaupt nicht glauben. Ich schlucke und nicke. »Ich glaube schon, dass du weißt, wie das geht«, meint Tamino leise. Ich lache peinlich berührt und fahre mir durchs Haar. »Nah. Aber ich bin ja lernfähig. Falls du es noch nicht wusstest, ich bin ein echter Deutschcrack geworden. Hab zehn Punkte in meiner Klausur geschrieben«, scherze ich. Tamino lächelt noch ein bisschen mehr. »Jap. Definitiv lernfähig«, sagt er und nickt. »Ich flüchte mich eben aufs Klo, um mich da n bisschen weiter zu schämen«, sage ich und verlasse das Bett. Tamino gluckst leise und ich merke, dass er mir nachschaut. Was dazu führt, dass ich prompt mit der Schulter gegen den Türrahmen laufe. Fuck my life. Ich muss tatsächlich dringend aufs Klo, aber ich bleibe etwas länger im Bad, binde meine Haare wieder zusammen und wasche mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Als ich in den Spiegel sehe, erblicke ich knallrote Wangen und glasige Augen. Die Vorstellung, morgen direkt schon wieder einen trinken zu gehen, lässt meinen Magen angestrengt aufstöhnen. Als ich zurück ins Zimmer komme, ist Tamino aufgestanden und hat das Fenster geöffnet. Von draußen kommt angenehm frische Luft herein und der Himmel färbt sich allmählich orange. Als ich eintrete, dreht er sich um. Hatte ich schon erwähnt, dass er zehn Zentimeter größer ist als ich? Und erstaunlich muskulöse Oberarme hat? »Ich find Umarmungen super«, gesteht Tamino leise und fährt sich durchs Haar. Oh. Er hat es nicht vergessen. Mir wird schon wieder sehr warm. »Aber ich hab seit mehreren Monaten keine bekommen. Ich bin überempfindlich und komplett ausgehungert.« Oh. Dafür fünf Gläser Rum. Ich glaube, Tamino wankt ein bisschen auf der Stelle. Es liegt vielleicht… wahrscheinlich? Gar nicht an mir. »Also… wenn… das Angebot noch steht… ich bin nicht sicher–« »Es steht!«, sage ich hastig. »Ich will anständig Danke sagen.« Tamino schluckt. »Und wenn…« »Du kannst deine Batterie an mir aufladen.« Meine Stimme klingt definitiv nicht wie ein Krächzen. Nope. Tamino lächelt verlegen und fährt sich erneut durch die Haare. »Die Batterie ist leer und hat ein ziemlich großes Fassungsvermögen.« Aha! Diesmal hat er definitiv gelallt! Er benutzt immer noch größere Worte als ich, aber ich hab es eindeutig gehört. Das fünfte Glas hat was bewirkt! »Ich hab gehört, für sowas hat man Freunde«, sage ich mit einem schiefen Grinsen. Tamino macht einen Schritt auf mich zu. »Dürfen alle deine Freunde dich umarmen, als wären sie ein Oktopus?« »Cem würde ich es erlauben. Auch wenn’s n bisschen seltsam wäre. Weil es Cem ist. Aber hey, ich hab ihm mal auf die Schuhe gekotzt, es kann kaum schlimmer sein als das.« Tamino gluckst und macht noch einen Schritt. Er steht jetzt direkt vor mir und schaut zu mir hinunter. »Ich bin ziemlich betrunken. Wenn ich nicht loslasse, kannst du mich wegschieben«, erklärt Tamino sehr ernst, als würde ich es tatsächlich in Erwägung ziehen, ihn von mir wegzuschieben, nachdem ich mich heute mehrmals total zum Deppen gemacht habe und jetzt endlich diese beschissene Umarmung bekomme, über die ich schon seit gefühlt hundert Jahren nachdenke. Ich beschließe, dass ich Tamino einfach davon überzeugen muss, dass diese ganze Umarmungssache eine gute Idee ist, also mache ich den letzten kleinen Schritt nach vorn, Tamino hebt automatisch die Arme und dann… Meine Arme finden einen passend zu den Oberarmen muskulösen Rücken und ein Stück nackte Haut am Nacken, wo das Shirt leicht ausgeschnitten ist. Tamino macht ein Geräusch irgendwo zwischen einem Seufzen und einem Wimmern, als wäre er monatelang durch die Wüste gestolpert und hätte endlich einen Schluck Wasser bekommen. Dann schlingen sich diese Arme, die ich schon den ganzen Abend angestarrt habe, um mich und es scheint, als wäre so ziemlich jeder Damm gebrochen, denn Tamino vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und presst sich an mich, als würde er sonst jeden Augenblick krepieren. Fuck. Wow. Fuck. FUCK. Seine Haut unter den Fingern meiner rechten Hand fühlt sich sehr warm an. Überhaupt ist Tamino ziemlich warm. Und ugh. Er riecht so gut. Ich wage es in einem durch Bier begünstigten Anfall von Mut, mit einer Hand sachte über seinen Rücken zu streicheln, was ein weiteres Geräusch zur Folge hat und dazu führt, dass ich noch fester gedrückt werde. Ich stelle mich ein bisschen auf die Zehenspitzen, was es Tamino gestattet, sein Gesicht statt in meinen Haaren in meiner Halsbeuge zu versenken. Ich spüre sehr definitiv seinen Atem auf meiner Haut. Mir ist wahnsinnig heiß und ich weiß, dass das definitiv nichts ist, was ich jemals mit anderen Freunden tun würde. Nicht mit denen vom Fußball. Auch nicht mit Cem. Vielleicht nicht mal mit Mari, wenn sie nicht gerade todtraurig ist und getröstet werden muss. Ich bin hundertprozentig noch niemals so umarmt worden. Als wäre ich ein Rettungsboot auf weiter See. Die meisten Umarmungen sind nach wenigen Sekunden vorbei. Diese hier nicht. Taminos Finger haben sich hinten in mein Shirt verkrallt und ich glaube nicht, dass er vorhat mich in nächster Zeit loszulassen. »Wie lange hattest du keinen Alkohol mehr?«, erkundige ich mich. »Ungefähr so lange, wie ich keine Umarmung mehr hatte«, nuschelt er. Gegen meinen Hals. Ich würde gerne sagen, dass das alles mich kein Stück überfordert und ich ganz lässig damit umgehe, dass ein Typ, den ich aus unerfindlichen Gründen echt dringend umarmen wollte, gegen meinen Hals spricht. Aber in Wirklichkeit kriege ich eine Gänsehaut und halte die Luft an. »Wow, so lange. Dafür bist du recht gut im Training«, gebe ich zurück. Da ich auf Zehenspitze stehe, kann ich mein Kinn auf Taminos Schulter ablegen. Allerdings ist meine Balance durch das ganze Bier nicht mehr die beste und ich wanke ein wenig auf der Stelle wie ein Baum im Wind. Tamino hält mich fest und ich gluckse. »Würde mich nicht wundern, wenn ich mich heute auch noch auf die Schnauze packe.« »Wieso?« »Weil ich mich schon so zum Horst gemacht hab.« »Ich finde nicht, dass du ein Horst bist«, sagt Tamino. Er macht ein unzufriedenes Geräusch und ich merke, wie er seine Arme von mir löst. Also lasse ich mich zurück auf den Boden sinken und ziehe meine Arme ebenfalls zurück. Tamino sieht ausgesprochen unglücklich aus über den Kontaktverlust und ich sehe, wie er schluckt. »Wir müssen uns noch mal umarmen«, platzt es aus mir heraus. Tamino blinzelt. Er steht immer noch direkt vor mir, sodass ich seine Körperwärme spüren kann. »Ich hab mich noch nicht für Französisch bedankt!« Ich warte nicht auf seine Reaktion, sondern umarme ihn einfach noch mal. Er lacht leise, aber es klingt auch ein bisschen erstickt und ich frage mich, wie überwältigt man sich wohl fühlt, wenn man seit Monaten nicht mehr wirklich angefasst wurde und dann eine Umarmung bekommt. Und noch eine. »Danke für mein Abi.« Taminos Arme legen sich diesmal vorsichtiger um meinen Oberkörper. »Gern geschehen.« »Ich muss noch wissen, was du eigentlich gemacht hast«, sage ich. Es ist schon ein bisschen komisch, sich in einer Umarmung zu unterhalten. Aber ich werde mich nicht beklagen. »Du hattest in Aufgabe drei genau dasselbe geschrieben wie ich und er hat mir volle Punktzahl gegeben, weil ich mehr rumgeschwafelt habe. Und er hat dir ein paar Fehler angestrichen, wo nicht unbedingt welche waren. Wahrscheinlich nicht mit Absicht, aber er ist halt kein Muttersprachler.« Hab ich schon erwähnt, wie gut Tamino riecht? Ich würde ihn gerne nach seinem Duschgel oder Deo oder was auch immer fragen, aber ich glaube, das wäre etwas zu krass. Selbst dafür, dass wir hier schon wieder länger als normal stehen. Tamino ist wieder der Erste, der loslässt und er sieht schuldbewusst drein. Als hätte ich ihm nicht einen Freifahrschein gegeben, um seine Batterie an mich aufzuladen. »Ich fasse es nicht, dass du kompetenter bist als unser Lehrer«, nuschele ich. Die nackte Haut an meinen Armen und Händen kribbelt nachdrücklich von dem Kontakt. Tamino grinst ein wenig und zuckt mit den Schultern. »Wie viel Prozent hat deine Batterie jetzt?«, will ich wissen. Tamino wirft mir einen Blick zu und geht dann hinüber zu seiner Flasche Rum, um das nächste Glas einzuschenken. Ich lasse mich aufs Bett fallen und greife nach der Tüte Chips, die wir bisher noch nicht angerührt haben. »Vielleicht so… zwei Prozent?« »Brauchst du noch mehr Rum für die nächsten zehn Prozent?« Er hebt wieder seine Augenbraue. Ob er das schon früher gemacht hat, oder ob er sich das heimlich von Spock abgeguckt hat? Wenn sein Ziel ist, dass ich mich merkwürdig fühle, weil er mich so anschaut, dann klappt es definitiv. Aber wahrscheinlich ist das nicht sein Ziel. »Zehn Prozent gleich. Hoch gesteckte Ziele«, nuschelt er. Und weg ist das nächste Glas. Ich grinse breit. »Ich nehme diese ganze Freundschaftssache sehr ernst«, sage ich ihm. »Offensichtlich. Willst du den zweiten Teil auch noch sehen? Ich hoffe, du bist kein Fan von Benedict Cumberbatch, dann sollten wir den vielleicht überspringen«, meint er. »Ich hab keine Ahnung, wer Benedict Cumberbatch ist«, sage ich. Tamino setzt sich zu mir aufs Bett und reicht mir die Flasche Rum. Es ist echt nicht mehr viel drin. Soviel zum Thema er schafft keine ganze Flasche. Ich nehme die Flasche und trinke. Bah. »Du hast im ersten Film auf das klingonische Fluchen verzichtet«, erinnere ich ihn. Tamino lacht. Neue Lebensmission: Tamino öfter zum Lachen bringen. »Keine Sorge, wenn ich Benedict Cumberbatch sehe, werde ich schon ordentlich fluchen«, verspricht er und hebt sehr feierlich die Hand. Seine Zunge stolpert definitiv über den Namen Cumberbatch. »Was mache ich, wenn die Flasche Rum leer ist und du noch nicht voll genug bist?«, frage ich und reiche ihm die Pulle zurück. »Wann bin ich voll genug?« »Weiß nicht. Wenn du dir keine Sorgen mehr um gar nichts machst und es dir nicht peinlich ist, deine Batterie an mir aufzuladen?« Tamino legt den Kopf schief und mustert mich. Dann mustert er seine Flasche Rum und scheint kurz nachzudenken. Ich sehe, wie er mit den Schultern zuckt, die Flasche ansetzt und ich falle fast vom Bett. HOLY SHIT. Die leere Flasche landet unfeierlich auf dem Fußboden. »Für null Sorgen kann ich nicht garantieren«, sagt er und friemelt mit fahrigen Fingern nach der DVD, um sie gegen den ersten Film in seinem Laptoplaufwerk auszutauschen. »Ist dir klar, dass du der King auf Parties wärst?«, will ich wissen. Er schnaubt. »Eher nicht. Das ist auch eigentlich kein Partytrick.« Ich verstehe nicht wirklich, was er meint. Bis ich es mit dem Puzzlestück zusammenstecke, dass Tamino meinte, dass er für null Sorgen eigentlich noch mehr trinken müsste. Ich schlucke und frage mich, ob er diese hohe Alkoholtoleranz überhaupt nicht auf Parties entwickelt hat, sondern eher… im Privaten. Ich kann auf keinen Fall danach fragen. »Du hast wieder schlecht geschlafen letzte Woche«, sage ich stattdessen. Er lehnt sich gegen die Wand und zuckt wieder mit den Schultern. Ich rutsche diesmal absichtlich näher zu ihm, sodass unsere Oberarme sich nun berühren. Taminos leises Seufzen angesichts des Körperkontakts geht mir durch Mark und Bein. Fuck. »Jup. Passt schon.« »Einfach so?« »Einfach so.« »Wirklich?« »Ich schlafe fast immer schlecht«, sagt er, dreht den Kopf und schaut mich glasig an. »Außer mit viel Alkohol. Oder wenn ich krank bin anscheinend. Oder in der richtigen Gesellschaft.« Nope. Ich frage nicht, wer alles unter die richtige Gesellschaft fällt. Definitiv nicht. Er lehnt den Kopf an die Wand und grinst. »Ich bin ganz schön voll«, nuschelt er. »Das will ich hoffen! Du hast fast ne ganze Pulle Rum gesoffen!« Tamino gluckst leise. »Es ist nett, dass du fragst«, sagt er ganz leise. Ich schnaube. »Hey! Also so mies bin ich jetzt auch wieder nicht mit dieser ganzen Freundschaftssache«, gebe ich empört zurück. Er grinst und sieht mich an. »Hab ich doch schon gesagt.« Oh. Ach ja. »Ok, starte diesen Film mit Benedict Cumberbitch oder wie auch immer der Kerl heißt«, sage ich und wedele in Richtung Laptop. Tamino lacht. Er hält sich wieder die Hand vor den Mund, aber ich sehe, dass sein ganzer Körper bebt und betrachte die Fältchen neben seinen Augen. Er hört überhaupt nicht mehr auf zu lachen. Ich bin ganz verdattert. Weil ich ihn so doll noch nicht hab lachen sehen, weil ich offensichtlich der Grund dafür bin und weil ich keine Ahnung, worüber er lacht. Nach einer Weile gibt er es auf, sein Gesicht hinter der Hand zu verstecken und hält sich mit beiden Armen den Bauch, während er lacht. »Ich hab keine Ahnung, was los ist!«, sage ich halb verzweifelt, halb amüsiert. Das bringt ihn nur noch mehr zum Lachen. Er hat Tränen im Augenwinkel. Vor Lachen. Krass. Nachdem er sich ein wenig beruhigt hat, wischt er sich über die Augen. »Cumberbitch«, sagt er glucksend und fängt dann gleich wieder von vorne an. Jap. Definitiv betrunken. Ich bin schon ein recht großer Fan vom betrunkenen Tamino. Ich greife nach der DVD-Hülle und schaue nach, wie der Name richtig heißt. Ups. Naja, da Tamino ihn sowieso nicht mag, ist der Name Cumberbitch ja vielleicht auch ganz passend. Ich starte den Film, weil Tamino offenbar nicht in der Lage dazu ist. »Wenn ich einer von deinen anderen Freunden wäre, wie würdest du dann jetzt hier sitzen?«, will ich wissen. Ich angele mir ein neues Bier. Tamino bebt immer noch leicht vom Lachen und beißt sich auf die Unterlippe. »Weiß nicht. Wir sind immer irgendwie ineinander verknotet«, meint er. Ja, das hab ich auf den Fotos gesehen. Das sage ich natürlich nicht, sondern drücke ihm mein Bier in die Hand und klettere kurzerhand zwischen seine Beine, wobei ich beinahe vom Bett falle, was Tamino wieder zum Lachen bringt. »Hey!«, sage ich empört, muss aber selber auch lachen. Tamino scheint zu verstehen, was ich vorhabe, denn er macht mir mit seinen drei Meter langen Beinen Platz, sodass ich vor ihm und zwischen seinen ausgestreckten Beinen sitze. Ich nehme mein Bier zurück und lasse mich dann einfach nach hinten sinken, als wäre Tamino ein gemütlicher Sessel. Jap. Definitiv nicht die Art von Freundschaft, die ich sonst pflege. Da Taminos Gesicht jetzt direkt neben meinem Ohr ist, höre ich ihn zischend einatmen und frage mich, ob das wohl ok ist. Aber der Arm, der sich im nächsten Moment unter meinen Armen hindurch schlängelt und jetzt meinen Bauch umarmt, ist Kommentar genug. Ich nehme einen Schluck Bier und platziere meinen Kopf auf Taminos Schulter. »Du bist zu knochig«, klage ich. Tamino schnaubt und sein Atem streift mein Ohr. Zack, Gänsehaut. Er angelt mit seinem freien Arm nach einem Kissen, platziert es auf seiner Schulter und gegen die Wand und ich lehne meinen Kopf dagegen. »Besser?«, nuschelt er. Ich nicke und trinke noch einen Schluck. Und dann höre ich in den nächsten zwei Stunden Tamino beim Fluchen auf Klingonisch zu, lausche einem kurzen, gelallten Vortrag darüber, dass man keine weißen Schauspieler für Rollen casten sollte, die ursprünglich von braunen oder schwarzen Menschen gespielt worden sind, spüre sehr definitiv Finger an meiner Seite, die sich wahrscheinlich unbewusst bewegen und sehe, wie es in der Tat empörend ist, dass Kirk und Spock kein Paar sind. Als Kirk am Ende stirbt, lasse ich fast mein Bier fallen und greife nach Taminos Unterarm. »Was? WAS? Was zum–« Das ist der Moment, in dem Spock vollkommen ausrastet, weil Khan seinen Jim umgebracht hat. Ich kann das durchaus nachvollziehen. »So ist er nicht mal bei seiner eigenen Mutter durchgedreht«, sage ich kopfschüttelnd. Tamino gluckst leise. »Hey, vielleicht sollte ich zu deinem nächsten Spiel kommen«, nuschelt Tamino. Direkt in mein Haar. Ich weiß, dass er mit seinen besten Freunden genauso kuschelig ist, aber ich bin da definitiv nicht dran gewöhnt. Kuscheln steht nicht auf der Liste der Dinge, die ich normalerweise mache – besoffen oder nüchtern. Mit wem auch immer. Dumpf erinnere ich mich an Katharina – meine erste und einzige Freundin von der neunten bis zur zehnten Klasse. Da war kuscheln wohl ok. Aber es ist ein Weilchen her und sie war auch meine Freundin. Feste Freundin. »Wie kommst du darauf?« Mein Bier ist leer. Tamino angelt mir ungefragt ein neues. »Du hast Star Trek mit mir geguckt«, sagt er. »Ich bin zu voll, um das zu checken«, gebe ich zu. Er lacht leise. Ich dachte, wir sollen nicht über Fußball reden. Ich brauche ein größeres, neues Gehirn, das mit Taminos mithalten kann. »Du hast dir mein Hobby reingezogen. Dann kann ich das ja auch machen.« »Heh… du hast jetzt schon mit mir gesoffen, das ist nach Fußball mein zweitgrößtes Hobby!« »Ts. Ich glaube, das zählt nicht«, nuschelt Tamino, während Spock Khan verprügelt. Es ist irgendwie befriedigend zu sehen, wie Spock wegen Jim durchdreht, auch wenn ich empört darüber bin, dass Kirk einfach gestorben ist. Ich meine… ist er nicht der Hauptcharakter? Und der Captain! Wieso stirbt der Captain? »Wenn du zu nem Spiel kommst, zeig ich dir nen Fallrückzieher.« »Beeindruckend.« Mir wird schon wieder heiß. Ich fühle Taminos Oberkörper warm und fest an meinem Rücken und sein Arm ist ein bisschen wie ein Anschnallgurt im Auto. Seine Finger an meiner Seite bewegen sich ein ganz kleines bisschen, fast so, als würde es ihn jucken, mein Shirt beiseite zu schieben und statt des Stoffes Haut zu erfühlen. »Ist die Batterie schon bei zehn Prozent?« Diese ganze Wärme und der Alkohol machen einen ganz schön müde. Ich unterdrücke ein Gähnen. »Vielleicht.« Ich könnte schwören, dass der Arm ein bisschen mehr drückt, als würde Tamino erwarten, dass ich gleich aufspringe. Ich rutsche ein bisschen an Tamino herunter und bin zufrieden, weil Kirk doch nicht tot ist. »Gibt es noch einen?«, will ich wissen. »Hmhm. Der dritte war gar nicht übel.« »Oh. Ich glaub, den schaff ich nicht mehr.« »Ich auch nicht.« »Vielleicht sollte ich mich auf den Weg machen, bevor ich einpenne.« Tamino gibt ein unzufriedenes Geräusch von sich und dann merke ich, wie er seinen Arm zurückzieht und ich treffe eine sehr dumme und sehr besoffene Entscheidung, die ich wahrscheinlich bereue, sobald ich wieder nüchtern und wach bin. Ich fahre Taminos Laptop herunter, als der Abspann beginnt, klappe ihn zu und lege ihn kurzerhand auf den Boden. Dort bekommt er Gesellschaft von meiner letzten, leeren Bierflasche. Ich traue mich nicht, Tamino noch mal anzuschauen, bevor ich einfach wieder nach hinten kippe und dort lande, wo ich vorher auch war. Tamino gibt ein leises »Uff« von sich und ich frage mich, ob ich vielleicht zu weit gegangen bin, aber im nächsten Moment ist der Arm wieder da und dann komplementiert mich Tamino mehr oder minder subtil auf die Seite und wir kippen einfach um. Ich glaube, das nennt man löffeln. Ich schlucke, während Tamino seine Beine von meinen entwirrt, nach der Bettdecke grabbelt und mich dafür loslässt und ehe ich es mich versehe, ist die Bettdecke halb über uns, ich rutsche ein Stück auf dem Bett nach oben, um meinen Kopf im Kissen zu vergraben und Tamino bleibt einfach hinter mir liegen. Sein Atem kitzelt mich ein wenig im Nacken und ich seufze leise. »Ok?«, flüstert er. Fast hätte ich ihn nicht gehört. »Hmhm. Ich will meinen Anschnallgurt zurück«, murre ich. Ein ganz leises Glucksen. Dann kehrt der Arm zurück und meine letzte Gedanken, bevor ich wegdämmere, drehen sich um Ari und Dante und die Geheimnisse des Universums, um Spocks und Kirks Hochzeit, die nicht stattgefunden hat und darum, dass Tamino gesagt hat, dass er mit Alkohol und in der richtigen Gesellschaft gut schlafen kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)