Actio est reactio von Ur (von Nerdherzen und den physikalischen Gesetzen ihrer Eroberung) ================================================================================ Kapitel 12: friendship 101 -------------------------- Wenn man morgens aufwacht und am Abend vorher viel Alkohol getrunken hat, schmeckt es im eigenen Mund immer ein bisschen so, als wäre da über Nacht ein kleines Tier rein gekrabbelt und verreckt. Ugh. Mein erster Gang ist ins Bad und ich stoße mich ausgesprochen unelegant an der Türklinke meines Zimmers, bevor ich dort ankomme und unter die Dusche wanke. Da ist definitiv noch eine Menge Restalkohol im System, auch wenn es Dank des Übergebens nicht so mies ist, wie es sein könnte. Der Digitalwecker im Bad sagt mir, dass es viertel nach elf ist. In der Küche höre ich meine Mutter klappern und leise zum Klang des Radios mitsingen. Unter dem heißen Wasser erwachen meine Lebensgeister ein wenig mehr und als ich ungefähr fünf Minuten lang meine Zähne geputzt und meinen Mund ausgespült habe, geht es mir ein bisschen besser und ich stecke meinen Kopf in die Küche. Marina sitzt am Küchentisch und knabbert an einem Stück Kohlrabi, während meine Mutter anscheinend mit der Vorbereitung zum Mittagessen beschäftigt ist. »Na? Wieder unter den Lebenden?«, sagt Mari mit einem breiten Grinsen. Ich strecke ihr die Zunge raus und setze mich neben sie. Meine Mutter hält sich nicht mit solchen Floskeln auf, sie kommt sofort zur Sache: »Wie war die Klausur gestern?« Ich sacke sofort ein wenig in mich zusammen. Das hebt meine Stimmung für den Rest des Tages nicht unbedingt, aber ich hole tief Luft und zucke mit den Schultern. »Kann ich schlecht einschätzen… hatte zuerst nen Blackout. Und dann… naja. Ich hab auf jeden Fall überall was hingeschrieben«, murmele ich. Mari sieht mich mitleidig an. Meine Mutter verengt die Augen ein bisschen. »Ist doch gut, dass du aus dem Blackout rausgekommen bist«, sagt Mari und lächelt mich aufmunternd an. Ich zucke mit den Mundwinkeln, kriege allerdings kein erwiderndes Lächeln gebacken. »Ja, Tamino hat… eh… geholfen«, sage ich und setze mich neben Mari, auch wenn ich eigentlich lieber in mein Zimmer flüchten würde. Dann wiederum bringe ich das Verhör durch meine Mutter lieber jetzt hinter mich, als dass sie mich später in meinem Zimmer aufsucht und ich dann ohne Maris Unterstützung mit den Fragen leben muss. Ich erinnere mich an Taminos Stimme, die leise auf Französisch mit mir gesprochen hat. Natürlich hab ich nur ungefähr die Hälfte verstanden, aber es hat die Sprache etwas weniger gruselig gemacht. Aus Taminos Mund ist sie definitiv nicht gruselig. Nope. Meine Mutter runzelt verwirrt die Stirn. »Ich dachte, Tamino ist krank?« »War er. Ich hab ihn… äh… vom Klo aus angerufen?« Ich sehe Mari aus dem Augenwinkel blinzeln. Meine Mutter schnaubt empört. »Wenn du erwischt worden wäre es, dann wären das bestimmt null Punkte geworden!«, klagt sie. »Tamino ist ran gegangen?«, fragt Mari und klingt erstaunt. Ich sehe sie verwirrt an. »Ja? Hey, so scheiße findet er mich nun auch wieder nicht!« Sie verdreht die Augen. »Das meine ich nicht! Ich weiß nur, dass er… naja. Er telefoniert nicht so gerne«, erklärt sie. Sehr mysteriös. Ich ignoriere den merkwürdig schleimigen Wurm in meiner Magengegend, der sich unangenehm windet, weil meine Schwester mehr über Tamino weiß, als ich, obwohl ich derjenige bin, der von ihm Nachhilfe bekommt. Ich beschließe den inneren Verräter dark Juls zu nennen und ihn später ordentlich zu verhören. »Bekommst du nicht auch nächste Woche Deutsch und Bio zurück?«, will meine Mutter wissen. Natürlich war das Verhör noch nicht zu Ende. Ich unterdrücke ein Seufzen und friemele an einem Brotkrümel auf der Tischplatte herum. »Jap.« »Aber du hast ja gesagt, dass Deutsch ganz gut gelaufen ist, oder?«, sagt Mari und wirft unserer Mutter einen ungnädigen Blick zu, den diese geflissentlich ignoriert und sich ein Stück Kohlrabi in den Mund schiebt. Ich meine… ich hasse diese Art von Verhör, aber ich muss auch daran denken, dass Taminos Vater sich nicht mal dafür interessiert, dass sein Sohn auf dem Weg zum Klo abklappt, weil es ihm so dreckig geht. »Ja, ich glaub schon. Taminos Sprachnachrichten haben geholfen«, gebe ich zurück. Mari lächelt auf eine Art und Weise, die mich irgendwie nervös macht. »Was für Sprachnachrichten?«, will meine Mutter wissen. Gerade, als ich Luft holen und antworten will, erscheint Linda im Türrahmen. Sie hat ein Handtuch als Turban gewickelt auf dem Kopf und scheint direkt hinter mir ins Bad geschlichen zu sein. Linda ist eine hoffnungslose Langschläferin, selbst wenn sie relativ früh im Bett war. Sie trägt ein langes Nachthemd mit einem Wonder Woman Motiv darauf und auf ihren Socken sind Katzenpfoten. »Hey Juls«, sagt sie mit einem müden Lächeln. Ich hebe die Hand zum Gruß. Linda hat ein rundes Gesicht mit riesigen, braunen Augen. Ihre Brille hat sie noch nicht aufgesetzt und ich wechsele meinen Platz am Tisch, damit Linda neben Mari sitzen kann. Sie kommt der Einladung sofort nach und die beiden drücken sich einen Kuss auf den Mund, bevor Linda sich auf dem Stuhl in einen Ball verwandelt und die Augen schließt. Meine Mutter mustert die beiden einen Augenblick lang amüsiert, dann wendet sie sich wieder mir zu. »Was für Sprachnachrichten?«, fragt sie erneut. Ich bin nicht sicher, wie ich meiner Mutter erklären soll, dass Tamino mehrere Stunden seines Lebens darauf verwendet hat, Sprachnachrichten aufzunehmen, weil ich besser lerne, wenn ich den Stoff hören kann, statt ihn zu lesen. »Tamino hat für Julius in Deutsch und Bio stundenlange Sprachnachrichten aufgenommen, damit Juls sich die wichtigsten Sachen vom Stoff noch mal anhören kann«, erklärt Mari gut gelaunt und legt einen Arm um Linda. Die beiden sind so zuckrig, es ist nicht zu fassen. Ich merke allerdings, wie ich bei dieser Beschreibung rot anlaufe. Meine Mutter sieht aus, als hätte sie sich vielleicht verhört. »Stundenlang? So viel Arbeit hat der Junge sich gemacht?« »Aww, das ist ja total süß«, nuschelt Linda. Verräterin. »Hat er dir nicht auch letzte Woche vor der Klausur noch geholfen, obwohl er krank war?«, will Mari scheinheilig wissen. Meine Mutter sieht schockiert aus. »Julius! Das musst du mir doch sagen! Er bekommt schließlich Geld dafür!« »Ach, mach dir keinen Kopf, Mama. Er legt nicht wirklich Wert auf das Geld«, erklärt Mari mit einer wegwerfenden Handbewegung. Es hat ja nicht gereicht, dass ich über meine Klausuren verhört werde, nein. Jetzt muss ich auch noch ein schlechtes Gewissen haben, weil ich mir nicht genau notiert habe, wie viele Stunden Zeit Tamino auf mich Volldeppen verwendet hat. »Und seit wann kennst du ihn eigentlich so gut?«, maule ich Mari und erkenne meinen Fehler eine Millisekunde zu spät. Meine Schwester legt den Kopf schief und mustert mich mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. »Wieso? Stört es dich?«, stichelt sie. Ich gebe ein paar undefinierbare Geräusche von mir. Linda grinst mit geschlossenen Augen und meine Mutter sieht einfach nur verwirrt aus. Sie fragt allerdings nicht weiter nach. »Wie auch immer, sag Tamino, dass er dir die Stunden aufschreiben soll, die ich ihm noch nicht bezahlt habe«, meint sie und ich habe das Gefühl, dass ich das Verhör jetzt endlich überstanden habe. Es hätte schlimmer sein können. Ich hieve mich von meinem Stuhl und gehe hinüber zum Toaster, um zwei Scheiben darin zu versenken. Eigentlich würde ich direkt wieder ins Bett gehen. Zwei Stunden später höre ich Linda im Flur »Tschüss, Juls!« rufen und einen Moment später geht die Wohnungstür auf und wieder zu. Es dauert keine drei Sekunden, da klopft es bei mir und nach einem missmutigen »Ja« von mir öffnet sich meine Zimmertür und Mari kommt herein. Sie hat eine kuschelige Haushose an und ein Shirt, auf dem in großen Buchstaben »He’s dead, Jim« steht. Ich habe mich tatsächlich einfach wieder in mein Bett verkrochen und meinen Fernseher eingeschaltet, auch wenn ich nicht wirklich hinsehe. Mari wirft sich neben mich aufs Bett und schaltet den Fernseher aus. »Wie war die Feier?«, will sie wissen. Ich gebe ein Schnaufen von mir, woraufhin sie mich in die Seite knufft und ein kurzes Gerangel zwischen uns entsteht. Mari gewinnt – zweifellos wegen des Restalkohols in meinem Blutkreislauf – und wickelt mich in einen festen Deckenburrito, woraufhin ich mich nicht mehr rühren kann und nur noch mein Kopf heraus schaut. »Gut. Markus hat über den Balkon gekotzt. Ich hab zu viel Bier getrunken. Cem findet Tamino scharf«, zähle ich die wichtigsten Ereignisse des Abends auf. Mari blinzelt. »Was?« »Er findet Tamino scharf. Also, auch Michi und Daniel und… äh… ja. Cem ist bi. Hat er mir gesagt.« »Und hat er dir gesagt, dass es kein Problem ist, dass du das irgendwem erzählst?«, will Mari wissen. Sie hat offenbar den Kern meiner Botschaft noch nicht verarbeitet, wenn sie sich damit aufhält. »Nicht direkt, er meinte, dass Fußball nicht so der beste Ort ist, um–« »Juls! Du kannst doch nicht einfach rumlaufen und das Leuten auf die Nase binden!«, sagt Mari empört. Ich blinzele. »Hä?« »Man outet andere Leute nicht, wenn sie nicht gesagt haben, dass es ohnehin kein großes Geheimnis ist oder sie vor allen anderen auch geoutet sind!« Ich klappe meinen Mund zu. »Oh«, sage ich kleinlaut. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich meine, es ist Mari. Aber so insgesamt hat sie natürlich schon Recht. Sie schüttelt streng den Kopf und seufzt. »Naja, ich bins ja nur. Aber trotzdem!«, meint sie und legt sich neben mich ins Bett. Ich rücke ein Stück, um ihr Platz zu machen. »Über mich kannst du das jedem erzählen.« Ich grummele in mein Kissen. Das wusste ich schon. Es gibt wohl auch jemanden, dem ich erzählen könnte, dass meine Schwester stockenlesbisch ist, dem sie es nicht schon selbst erzählt hat. Sie ist sehr offensiv damit. Ich denke daran, wie Cem noch mal nachgefragt hat, ob ich jetzt vorhabe, deswegen komisch zu sein. Das heißt ja auch, dass er sich nicht hundertprozentig sicher war, ob ich es nicht seltsam finden würde. Und das, obwohl wir jetzt seit gut sechs Jahren beste Kumpels sind. Das muss ja schrecklich sein. Aber er hat es mir gesagt. Mit jeder Menge Alkohol. Es klang alles so lässig, aber vielleicht wollte er es mir ja auch schon länger sagen und hat nur keine Gelegenheit gefunden? »Hast du es Tamino auch schon gesagt, wo ihr doch jetzt best buddies seid?«, murmele ich in mein Kissen. Ein längeres Schweigen antwortet mir und als ich den Kopf drehe, um zu prüfen, ob Mari eingeschlafen ist, sieht sie mich mit einem recht merkwürdigen Blick an. Ich bin nicht sicher, was dieser Gesichtsausdruck bedeuten soll. »Mein WhatsApp Status ist ‚Move, I’m gay‘, Juls«, sagt sie dann mit einem sehr nüchternen Tonfall und ich merke, wie meine Wangen heiß werden. Achja. »Wirst du mir jetzt sagen, warum du so maulig darüber bist, dass ich mich mit deinem Nachhilfelehrer gut verstehe? Er ist echt nett!« Ich ziehe mir mein Kissen über den Kopf, damit ich mich mit der Frage nicht auseinander setzen muss. Maulig, ha. Das ist ja wohl etwas übertrieben. Mari zieht mir das Kissen weg und es entsteht ein weiteres Gerangel. Ich ziehe wieder den Kürzeren und jetzt sitzt Mari mit ihrem vollen Gewicht auf meinem Rücken und ich pfeife aus dem letzten Loch. »Runter!«, röchele ich und flapse mit den Armen wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Erst, wenn du mir sagt, was das Problem ist!«, fordert sie und hobbelt ein wenig auf und ab. Ich würde sie sehr gerne treten. Außerdem weiß ich selber nicht so richtig, was eigentlich das Problem ist und wenn sie weiter so auf meiner Wirbelsäule herum wackelt, breche ich wahrscheinlich einfach in der Mitte durch. Dann muss ich immerhin die Frage nicht beantworten. »Du bist eifersüchtig«, sagt Mari. Ich gebe ein Geräusch von mir wie ein sterbendes Walross und Mari beschließt, dass sie mich genug gequält hat und lässt sich seitlich von meinem Rücken gleiten, ehe sie sich wieder aufs Bett legt. »Red keinen Unsinn«, schnaufe ich angestrengt und drehe mich so schnell wie möglich auf den Rücken, damit sie sich nicht noch mal darauf setzen kann. Mari sieht mich mit einem breiten Grinsen an, als wüsste sie ganz genau, wie heiß mir gerade geworden ist und wie sehr ich selbst nicht wirklich gecheckt habe, was eigentlich das Problem ist, bis sie es laut ausgesprochen hat. »Es ist nur… ich hab jetzt wochenlang mit ihm rumgehangen und er kriegt immer noch regelmäßig das P in die Augen, wenn ich irgendwas sage und ich weiß überhaupt nichts über ihn! Und du hast drei Sekunden mit ihm geredet und plötzlich seid ihr Busenfreunde? Ich hab nie Probleme mich mit irgendwem anzufreunden!«, sage ich empört und ignoriere, dass meine Wangen sich anfühlen, als könnte man Spiegeleier darauf braten. Wann ist es schwierig geworden, Freundschaften zu schließen. Normalerweise ist das ganz einfach. Man lacht drei oder viermal zusammen über irgendeinen Lehrer, haut sich gegenseitig kumpelhaft auf den Rücken und trifft sich zum Fußballspielen oder zum Saufen. Spätestens wenn man den anderen fürs Kotzen ausgelacht hat, ist man quasi befreundet. So einfach ist das! »Ok, aber hast du dabei bedacht, dass Tamino ein wahnsinnig schüchterner Nerd ist und so beliebte Sportlerkerle wie du normalerweise seine natürlichen Fressfeinde sind?« Ich blinzele ein paar Mal langsam. »Ähm… Fressfeinde?« »Juls, ich liebe dich sehr, aber sei ehrlich: Hast du dich nicht vielleicht auch ab und an mal über ihn lustig gemacht, bevor du ihn kennen gelernt hast, weil er nur Einsen in der Schule schreibt und alle Lehrer ihn vergöttern?« Mari sieht mich sehr streng an und ich schrumpfe ein wenig auf dem Bett zusammen. Ok, vielleicht hab ich ab und an mal darüber gelacht, dass Taminos Hand bei jeder Frage in die Luft schießt, egal um welches Thema es geht. Und dass Lehrer sich mit ihm unterhalten, als wäre er einer von ihnen. Und darüber, dass er bei fast jeder Klausur noch mal extra erwähnt wird, weil er die volle Punktzahl bekommen hat. Manchmal sogar mit Extrapunkten. »Und außerdem«, fährt Mari unbarmherzig fort, während ich mich fühle, als wären ihre Worte eine Dampfwalze, die über mich hinweg rollt, »funktionieren deine üblichen Kumpelmethoden bei Tamino nicht. Er wird sich kaum davon beeindrucken lassen, wie viel Bier du auf ex trinken kannst und was für tolle Fallrückzieher du machst.« »Hey! Ich mache wirklich großartige Fallrückzieher!«, gebe ich schwach zurück. Mari verdreht die Augen. »Ich weiß. Sie sehen aus, als wärst du ein junger Gott. Aber erstens hat Tamino das noch nie gesehen und zweitens… also… es tut mir leid, aber ehrlich gesagt ist das, was ihr als ‚Männerfreundschaft‘ bezeichnet auch ein Witz und kommt der eigentlichen Definition von Freundschaft nicht sehr nahe. Über Cem können wir da ja noch mal reden, aber deine ganzen anderen Heinis sind doch gar nicht wirklich deine Freunde. Das sind irgendwelche Bekannte, mit denen du saufen gehst und Fußball spielst und wenn ihr irgendwann mal nicht mehr zusammen zur Schule geht, werdet ihr euch innerhalb von drei Wochen vergessen haben.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Achja? Und was ist falsch an Saufen und Fußballspielen?«, brumme ich. »Nichts. Aber ehrlich, angenommen du würdest morgen ins Krankenhaus eingeliefert werden und bräuchtest jemanden, der Hausaufgaben für dich mitschreibt und der dich mehrmals die Woche besuchen kommt und dir vielleicht auch neue Klamotten zum Wechseln bringt, würde dann einer deiner Kollegen auftauchen? Wenn ich morgen krepiere und es dir echt schlecht geht deswegen, mit wem von diesen Kerlen würdest du dann darüber reden? Vor wem würdest du dich so richtig ausheulen? Wem von denen erzählst du deine Geheimnisse – und tu nicht so, als hättest du keine? Mit welchem davon kannst du über Gott und die Welt reden und bei welchem bist du dir sicher, dass du mit einem amputierten Bein immer noch der King wärst, auch wenn du dann keine Fallrückzieher mehr machen kannst?« Ich starre sie an. »Du würdest das machen«, sage ich dann leise. Sie lächelt mich an und wuschelt mir durch meine Haare. »Ja, würde ich. Und auch nicht nur, weil wir Geschwister sind – es gibt auch genug Leute, die ihre Geschwister richtig kacke finden. Aber du bist schon auch mein bester Freund.« Ich habe das dringende Bedürfnis meine Schwester zu drücken und dann nicht weiter über dieses Thema nachzudenken. Immerhin kann ich sagen, dass ich nach diesen Kriterien nicht vollkommen versagt habe, wenn es um Tamino geht, schließlich hab ich ihm eine ganze Woche lang Hausaufgaben gebracht und sogar Medikamente besorgt. Dumpf frage ich mich, ob er das auch für mich machen würde. Aber es ist wahrscheinlicher, dass er davon ausgeht, dass meine anderen Freunde das für mich machen. Und ich bin nicht sicher, welcher meiner Kumpels – vielleicht mit Ausnahme von Cem – wirklich Bock hätte, das für mich zu tun. Wahrscheinlich keiner. »Das ist die richtige Art Freundschaft für Tamino«, endet Mari ihren Vortrag und drückt ihren Zeigefinger kurz auf meine Nase. »Aber… ich hab keine Ahnung… ich kann überhaupt nichts anderes als saufen und Fußball spielen!«, sage ich empört und Mari lacht leise und schüttelt den Kopf. »Es läuft doch schon recht gut. Das mit den Medikamenten war wirklich süß von dir!« »Ich hab ihm auch schon ein Geheimnis erzählt«, murmele ich. Mari hebt die Augenbrauen. »Ach?« »Er weiß, dass ich nicht schwimmen kann.« »Wow. Du möchtest wirklich, wirklich gerne mit ihm befreundet sein, was?« Ich grummele und verstecke mein Gesicht wieder im Kissen. Das ist doch bekloppt. Ich hatte noch nie ein so dringendes Bedürfnis mit irgendwem befreundet zu sein, weil ich immer Freunde hatte. Wieso also will ich jetzt plötzlich, dass Tamino mir vertraut und mir von sich erzählt und wir uns nicht nur für Nachhilfe treffen und… Ugh. »Das solltest du ihm sagen. Wahrscheinlich glaubt er’s nicht, weil du so ein beliebter Hecht bist und er so ein Außenseiter«, meint Mari und streckt sich. Dann steht sie aus meinem Bett auf und sieht zu mir herunter. »Ich bin doch nicht mehr im Kindergarten! Man sagt nicht einfach ‚Ich will dein Freund sein‘!« Mari lacht und geht zur Tür. »Kannst es ja irgendwie cooler formulieren. Ich hab ihm das jedenfalls gesagt. Ich glaube, meine Worte waren in etwa… ‚Du bist echt cool, ich fänds toll, wenn wir Freunde werden könnten‘. So in die Richtung. Ich glaub an dich, Bruderherz!« Und mit einem letzten amüsierten Zwinkern ist sie aus meinem Zimmer verschwunden und lässt mich mit all meiner Verlegenheit zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)