Greenhorn von Anemia (In guten Händen) ================================================================================ Kapitel 3: 3. Kapitel --------------------- Er hätte sich einsam, ja regelrecht verloren gefühlt in dieser riesigen Villa ohne Gackt, der ihm Gesellschaft leistete, wenn er nicht wenigstens den riesigen Fernseher in der Wohnstube angeschaltet hätte, welcher ihn nun mit seinem japanischen Programm bedudelte. Im ersten Moment wirkten die Sendungen, die man in Schweden allesamt nicht empfangen konnte, erfrischend anders und dadurch auch interessant, aber allmählich wussten sie Yohio, der es sich auf der Couch mit einer Decke gemütlich gemacht hatte, doch zu ermüden. Doch dies lag vielleicht daran, dass er noch immer Nachholbedarf besaß, was Schlaf anging. Wahrscheinlich würde er längst ins Land der Träume gedriftet sein, wenn Gackt zurück nach Hause kam. So lange konnte er unmöglich die Augen offen halten, zumal der andere ihm keine verbindliche Info zu geben vermocht hatte, wie lange dieser Fernsehtermin dauern würde. Allerdings hatte er ihm erzählt, auf welchem Kanal er auf Sendung sein würde und um welche Uhrzeit die Show begann. Wahrscheinlich, weil er das ehrliche Interesse diesbezüglich aus Yohios blauen Augen hatte lesen können. Schließlich gab es für Yohio nichts, was ihn an seinem Idol kalt gelassen hätte. Er saugte alle Informationen auf, die er finden konnte, und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, ihn anzuschmachten, sei es in Echt oder eben durch eine Mattscheibe hindurch. An jemanden wie Gackt vermochte man sich einfach nicht sattzusehen oder auch nur zu hören. Dieser Mann besaß eine ungemein einnehmende Aura und die Fähigkeit, andere mit seinen Worten derart zu fesseln, dass diese nur noch gebannt an seinen Lippen hingen. Und so war es keine Überraschung, dass sich das bei der heutigen Fernsehsendung, der er beiwohnte, aufs Neue bewies. Yohio rieb sich hektisch die Augen, in der Hoffnung, seine Müdigkeit zu vertreiben und die Show im wachen Zustand erleben zu können. Der Name der Sendung entging ihm deshalb, aber wahrscheinlich wäre dieser ohnehin nicht sonderlich aufschlussreich ausgefallen. So ließ Yohio sich einfach überraschen, reagierte aber mit ein wenig Enttäuschung, als das schlichte, kleine Studio eingeblendet wurden, in welchem mehrere Männer saßen, von welchen er nur Gackt wiedererkannte. Als offensichtlicher Ehrengast hatte man ihm einen Platz auf einem ledernen Sessel zugedacht, in welchem er wenig beeindruckt lümmelte, mit Sonnenbrille auf der Nase und über alles erhaben wirkend, so, wie Yohio ihn kennengelernt hatte. Dass dieser Mann derart nett und auf seine Weise liebevoll sein konnte, würde man in Anbetracht der kühlen Ausstrahlung, die er in dieser Show an den Tag legte, niemals vermuten. Aber Yohio wusste es inzwischen besser, und irgendwie gefiel es ihm, dass er nicht jedem mit der Herzlichkeit begegnete, die Yohio kennengelernt hatte.   Es dauerte gar nicht lange, bis selbst Yohio, der hin und wieder etwas schwer von Begriff war, herausfand, dass es sich bei der Show um eine Art Ratgeber handelte. Die Redaktion hatten Briefe mit Fragen zu Liebe, Beziehungen und sogar Sex erreicht, was erklärte, wieso die Show so spät abends ausgestrahlt wurde. Wirklich jugendfrei mutete dies nämlich nicht an, was Yohio aber erst recht an den Fernseher fesselte. Das Format ähnelte diversen Rubriken in schwedischen Teenagerzeitschriften, aber die Antworten, die die Jungs und Mädchen in diesen erhielten, waren oftmals recht kurz gehalten und wenig brauchbar. Die Männer in dieser Sendung allerdings gingen sehr genau auf jedes Anliegen ein. Allen voran natürlich Gackt, was Yohio schon bald ganz große, erstaunte Augen bescherte. Das Los entschied, dass er einem Mädchen Tipps geben sollte, welches keine Zungenküsse mochte. Und dies tat er mit solch einer Selbstverständlichkeit und einem Fachwissen, dass Yohio gebannt auf seiner Lippe herumzukauen begann. Der Junge konnte kaum fassen, was Gackt alles wusste. Ihm war zwar klar gewesen, dass der Japaner äußerst intelligent war, aber das hieß schließlich noch lange nicht, dass man auch in Liebesdingen über einen derart großen Wissensschatz verfügte. Yohio war verblüfft. Aber nicht nur das - als Gackt schließlich einen der anderen Männer, die der Show beiwohnten, zu sich beorderte und mittels seinem Zeigefinger und ohne jede Berührungsangst demonstrierte, welche Stelle am Gaumen besonders empfindlich war und stimuliert werden sollte, schlug Yohio sich geschockt die Hand vor den Mund. Gackt entlockte dem Kerl ein ungehaltenes Stöhnen, was das gesamte Studio zu Gelächter bewegte, bei Yohio aber nur für knallrote Ohren sorgte. Oh Mann, Gackt kannte sich ja unglaublich gut mit G-Punkten aus und musste einfach ein fantastischer Liebhaber sein. Selten erlaubte Yohio sich Gedanken wie diese, aber hin und wieder hatte Gackt sich bereits in seine feuchten Teenagerträume geschlichen und Dinge mit ihm angestellt, die er ganz bestimmt niemals in der Realität mit ihm zu tun gedachte. Allerdings scherte sich das Unterbewusstsein des jungen Schweden nun erst recht nicht mehr darum, wo es doch durch Gackts offensichtliche Zuneigung regelrecht bestärkt in seinen heimlichen Wünschen worden war. Dass Gackt im späteren Verlauf der Sendung auch noch offen zugab, gern Jungs zu küssen, sorgte für einen kleinen Jauchzer der Euphorie bei Yohio. Er kannte die Gerüchte, die sich um Gackts angebliche Bisexualität drehten, bereits, aber diese so ungeniert bestätigt zu bekommen versetzte ihn in einen förmlichen Glücksrausch. Als hätten sich seine Chancen, bei Gackt landen zu können, damit noch weiter vergrößert. Nur sein Verstand holte ihn zurück auf den Boden der Tatsachen. Gackt mochte zwar gern Jungs küssen, aber ganz bestimmt keine kleinen Bubis, wie er leider einer war. Garantiert sah Gackt in ihm nur einen kleinen Bruder oder gar einen Sohn, welchen er wie ein Miezekätzchen adoptiert hatte. Aber niemals zog er sicherlich in Erwägung, ihn anzufassen oder gar zu küssen. Und das konnte Yohio ihm noch nicht einmal verübeln. Es mochte sein, dass Gackt ihn wirklich niedlich fand, aber eben eher so wie ein junges Tier und nicht wie einen Sexualpartner. Sexualpartner. Dieses Wort verbannte Yohio verschämt aus seinen Gedanken. Nein, er wollte überhaupt keinen Sex mit seinem Idol haben, auch wenn die Vorstellung davon auch jetzt wieder warm in ihm prickelte. Schließlich konnte er Gackt im Bett überhaupt nichts bieten, hätte eine blanke Enttäuschung für ihn dargestellt. Mit ihm hätte er sich eher gelangweilt als amüsiert, das stand fest. Und auch, wenn dieses Wissen Yohio ein wenig traurig stimmte, schlief er schon bald tatsächlich ein, entspannt durch den Klang von Gackts ruhiger, tiefer Stimme, die aus dem Fernseher drang und sich fast so anhörte, als säße er nun wirklich hier bei ihm und würde über seine Träume wachen.     *     Yohio hatte aufgrund seiner Schüchternheit nicht anders gekonnt, als zu lügen. Gackt nämlich war interessiert an seiner Meinung bezüglich der Sendung gewesen, und Yohio hatte behauptet, schon vorher eingeschlafen zu sein und die Show verpasst zu haben. Nie im Leben hätte er seinem Idol unbeschadet gestehen können, dass er es unheimlich faszinierend und schon fast erregend fand, dass er quasi der Sexperte schlechthin war und dass kleine Jungs im ganzen Land nun sicherlich davon träumten, von ihm aufgeklärt zu werden, in Worten und Taten. Gackt bedauerte dies freilich und war der Ansicht, dass Yohio sicherlich auch den ein oder anderen Tipp der Sendung hätte entnehmen können, sprach das Format doch vornehmlich junge Zuschauer wie ihn an, welche im Leben noch nicht so erfahren waren. Yohio hoffte, dass seine warmen Wangen ihn nicht der Lüge überführten, ahnte er doch, dass er aufpassen musste, was er in Gackts Gegenwart sagte oder machte, wo dieser doch sehr kundig war in zwischenmenschlichen Angelegenheiten und aus ihm bestimmt lesen konnte wie aus einem offenen Buch. Aber zum Glück bohrte er nicht weiter nach und ließ die Sache auf sich beruhen, vielleicht auch, weil er merkte, dass die Angelegenheit Yohio wie so viele Unbehagen bescherte. Verglichen damit begann die Party am Abend wesentlich angenehmer. Hyde und auch die anderen, denen Yohio vorgestellt wurde, waren wirklich sehr nett und fühlten sich durch Yohios bewundernden Blick, der all den Männern, die er bislang nur von Bildern und Videos gekannt hatte, zuteilwurde, offenbar nicht belästigt. Gottseidank, denn der Schwede vermochte sein unverhohlenes Staunen einfach nicht im Zaum zu halten. Selbst, als Gackt ihm ein Sektglas in die Hand drückte und er begierig daran schlürfte, wanderten seine großen Augen noch durch Hydes Wohnung, die der Gackts in Luxusfragen in nichts nachstand und musterten interessiert alle anwesenden und teilweise von ihm auch angehimmelten Gäste. Er fühlte sich wie in eine andere Welt gebeamt, und im Grunde war es so auch. Auf einmal hatte er Zutritt zu Räumlichkeiten, die sonst nur den großen, japanischen Rockstars vorbehalten waren, denn mit Gackt als Schlüssel konnte man wahrlich überall hingelangen. Da er sich trotzdem reichlich unsicher fühlte in Gegenwart all dieser Größen klebte er die ganze Zeit an seinem Begleiter, dem dies jedoch offenbar nichts auszumachen schien. Er schien es beinahe zu genießen, sich mit Yohio zu schmücken, dieser kleinen, nordeuropäischen Schönheit, und so verbrachten sie fast die ganze Zeit auf der großen Couch im Wohnzimmer. Sicherlich sorgte ihr Verhältnis bereits für einigen Gesprächsstoff, und vielleicht würden morgen in der Presse bereits die ersten Gerüchte lautwerden, aber dem begegnete Gackt mit einigem an Gleichgültigkeit. Yohio hingegen wusste nicht, ob es einen guten Karrierestart für ihn bedeuten würde, wenn ihm angedichtet wurde, dass er sich hochschlief, um in Japan Fuß fassen zu können. Mit jenen Gedanken jedoch musste er sich wohl oder übel befassen, als Gackt ihm dank einer kurzen Abwesenheit allein zurückließ. Zumal die Gelegenheit jemand ergriff und sich zu ihm gesellte, um ihm ein paar verfängliche Fragen zu stellen. "Wie um alles in der Welt hast du Gackt rumgekriegt?", wollte seine Gesellschaft wissen, die sich zu seinem großen Erstaunen als Mia von Mejibray entpuppte, welcher in Natur noch um einiges besser aussah als auf retouchierten Fotos. Jünger vor allen Dingen ohne das ganze Make Up. Er hätte der nette Junge von nebenan sein können, hätte er sich solch eine unangenehme, aufdringliche Frage gestellt. "Ich habe ihn überhaupt nicht rumgekriegt", verteidigte er sich etwas unwirsch und gab sich Mühe, den eigentlich sehr attraktiven Kerl nicht allzu böse anzufunkeln. "Wir sind uns nur zufällig begegnet, und Gackt hat mir einen Schlafplatz gegeben, weil ich sonst auf der Straße gelandet wäre..." Mia entwich ein amüsiertes Schnauben. "Und das macht er einfach so, ohne Gegenleistung?" Seine linke, gezupfte Augenbraue zuckte in die Höhe. "Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Gackt ist schließlich dafür bekannt, sich hier und da einen kleinen Bettwärmer anzulachen." Noch ehe Yohio sich der Verletzung gewahr werden konnte, die diese Worte und die Gewissheit, womöglich nicht der einzige zu sein, den Gackt so behandelte wie ihn, auslösten, beugte Mia sich vertraulich zu ihm vor und sah ihn neugierig an. "Und? Wie ist er so in der Kiste? Lohnt es sich, sich bei ihm einzuschleimen und ihm schöne Augen zu machen, abgesehen davon, dass man mit ihm auch den Luxus bekommt?" "Nochmal", setzte Yohio seufzend an und staunte selbst, wie ruhig er bleiben konnte. Wahrscheinlich besaß der Alkohol diese Wirkung auf ihn. "Ich schlafe nicht mit ihm. Und überhaupt, ich will gar nichts von ihm. Er ist mir doch viel zu alt." Hastig blickte er sich um, um sicherzugehen, dass ihn niemand diese Dinge sagen gehört hatte. Aber er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, um Mia davon zu überzeugen, dass zwischen Gackt und ihm nichts lief. Und offenbar glaubte ihm Mia nun sogar. "Umso besser", beschied er ihm mit einem gefälligen Schmunzeln und warf ihm einen etwas lüsternen Blick zu. "Weise von dir, dich nur auf Jungs deines Alters einzulassen. Bin ich dir mit meinen sechsundzwanzig Jährchen denn auch schon zu alt?" Yohio wollte dies grimmig bejahen, aber er musste sich eingestehen, dass Mia ihm gewissermaßen gefiel, und dass er seine freche, forsche Art im Grunde ziemlich reizvoll fand, auch wenn sie ihn andererseits auf die Palme brachte. "Das geht schon noch", brummelte er deshalb in seinen nicht vorhandenen Bart, hoffend, dass Mia diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstand. Und das tat er. Zufriedenheit blitzte in seinen schmalen Mandelaugen auf, und sein Mund verzog sich zu einem gewieften Lächeln. "Gut", hauchte er, als er sich Yohio weiter genähert hatte und ihre Gesichter nur noch ein paar Zentimeter trennten. "Ich bin zwar nicht so reicht wie Gackt, aber in anderen Dingen kann ich ihm bestimmt das Wasser reichen..." Seine gewitzten Finger strichen verspielt eine Haarsträhne aus Yohios Gesicht und glitten dann seine Wange hinab, wanderten zart über seinen Hals, was Yohio einen Schauer über den Rücken sandte. Er hatte plötzlich das Gefühl, als wäre er nicht mehr Herr über die Situation, als würde sie ihm entgleiten. Denn auch, wenn er Mia gewissermaßen mochte und attraktiv fand, so fühlte er sich gewissermaßen überfordert von diesen zweideutigen Berührungen. Natürlich hatte er schon manchmal mit jemandem herumgeknutscht, aber sein Gefühl sagte ihm, dass dies Mia nicht genügen würde. Wenn er anfing, auf Mias Anbaggerungsversuche einzugehen, würde er sich wohl so leicht nicht mehr aus seinen Fängen winden können. "T-tut mir leid", verkündete er deshalb und gab dem verdutzt dreinblickenden Mia entschlossen seine Hand zurück. "Das geht mir dann doch ein bisschen zu weit." Damit sorgte er dafür, dass der Mejibray-Gitarrist genervt mit den Augen rollte und sofort auf Distanz ging. "Boah, also vögelst du doch mit Gackt", behauptete er und brummte unwirsch. "Aber willst es nicht zugegeben, weil es dir peinlich ist, einem alten Mann als billiges Flittchen zu dienen, richtig?" "Das ist überhaupt nicht wahr!" Empört war Yohio aufgesprungen, konnte er doch auf Mias Gesellschaft und dessen Unterstellungen gut und gerne verzichten. Er war beinahe schon heilfroh, dass er prompt Gackt in die Arme lief, der sich gerade angeregt mit Hyde und Kaz unterhielt, weshalb er sich auch für seine Verhältnisse überraschend wenig genierte, ihr Gespräch mittels eines aufmerksamkeitsheischenden Zupfen an Gackts Jacke zu unterbrechen. "Wäre es vielleicht okay, wenn wir nach Hause fahren?", piepste Yohio zum Amüsement der anderen Männer, die wissenden Blickes die Köpfe zusammenstecken und sich garantiert irgendwelche schmutzigen Dinge zuflüsterten. "Mir ist irgendwie schlecht." Gackt schaute ihn daraufhin mit erhobenen Augenbrauen an. "Auf einmal? Bestimmt hast du mal wieder zu wenig gegessen, mh?" In anderen Situationen mochte Yohio es insgeheim sehr, wenn Gackt ihm in seiner Fürsorge durch das Haar strich, aber als er es nun tat, vor allen Leuten, wäre er am liebsten im Erdboden versunken. "K-kann sein", gab er gepresst zurück und versuchte, nicht allzu vertraut mit dem Japaner zu wirken, um den ohnehin schon munkelnden Musikern zumindest ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen. "Ich würde mich wirklich gerne hinlegen." Gackt drückte Hyde sein Sektglas in die Hand und lächelte ihm entschuldigend zu. "Tut mir leid, dass der Abend für mich schon vorbei ist, aber ihr versteht sicher, dass Yohios Wohlbefinden vorgeht", erklärte er den anderen Männern, deren breites Grinsen Yohio regelrecht grimmig stimmte. Am liebsten hätte er sich in die Mitte des Raumes gestellt und lautstark offenbart, dass zwischen ihm und Gackt überhaupt gar nichts lief, ganz egal, was sie sich einbildeten und dass man sich auch mögen konnte, ohne miteinander ins Bett zu gehen, aber zu solch einem Auftritt wäre er erstens nicht fähig gewesen und zweitens hätte er damit wohl alles nur noch verschlimmert. Wieso hatte er sich nicht einfach auf Mia eingelassen? Dann hätte er sich die fiesen Gerüchte wahrscheinlich gleich von Backe gemacht, zumindest größtenteils. Aber er war eben ein zu großer Angsthase. In allen möglichen Belangen.     *     "Gehts dir wieder besser?" Yohio kam partout nicht umhin, sich wie ein kleiner Prinz zu fühlen. Gackt tat aber auch alles dafür, dass er den Eindruck gewann, etwas Besonderes zu sein, ganz egal, wie vehement er sich auch dagegen wehrte. Die Tatsache, dass er ohne Widerrede mit ihm nach Hause gefahren war und ihn mit Litchipudding fütterte, seitdem sie es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten, hinterließ schlichtweg Spuren bei Yohio. Zwar war es ihm wahrlich unangenehm, derart in den Himmel gehoben zu werden, war er doch nach wie vor ein stinknormaler Teenager, der eben zufällig Japanisch sowie das Gitarrenspiel im Selbststudium gelernt hatte. Doch es zeigte sich immer deutlicher, dass er sich an diese Sonderbehandlung würde gewöhnen müssen, wenn er bei Gackt zu Gast war. Dieser nämlich bestand darauf, dass der Schwede sich rundum wohl fühlte. "Geht schon", entgegnete Yohio knapp und schob sich noch einen Löffel Pudding in den Mund, obwohl ihn von Anfang an kein sonderlich großer Hunger gequält hatte. Seine Übelkeit hatte - entgegen Gackts Vermutung - andere Ursachen als einen knurrenden Magen. Aber da der Pudding sehr gut schmeckte, brachte er ihn trotzdem mit einer Leichtigkeit herunter. Yohio wusste nicht, ob der andere sich mit dieser Antwort zufriedengeben würde. Zunächst erweckte er den Anschein, denn er sagte nichts und sah genau wie der Junge auch dem Spiel der flackernden Kerzen zu, die den Couchtisch schmückten. Allerdings rief Yohio sich ins Gedächtnis, dass man Gackts Menschenkenntnis um keinen Preis unterschätzen durfte. Er hatte ihn ja während dieser Fernsehsendung erlebt. Dieser Mann musste ein Genie sein, was soziale Belange anging. Ganz im Gegensatz zu Yohio, der hin und wieder in ein Fettnäpfchen trat... "Dich bedrückt doch noch irgendwas", kam schließlich jener Satz über Gackts Lippen, auf den der Jüngere förmlich gewartet hatte. Dennoch hatte er gehofft, dass er nicht fallen würde. Natürlich vergebens. "Magst du mir davon erzählen?" Als Yohio es wagte, dem anderen ins Gesicht zu sehen, sah er das deutliche Interesse, dass Gackt ihm entgegenbrachte. Die Dinge, die Gackt sagte, waren stets mehr als bloße Floskeln der Höflichkeit. Er hätte nie nachgehakt, wenn ihm schlichtweg am Arsch vorbeigegangen wäre, was Yohio auf diese Frage erwidern würde. So recht wusste der Junge nicht, ob er ihm tatsächlich sein Herz ausschütten sollte, weshalb er noch etwas unschlüssig den Löffel ableckte und angestrengt das Für und Wider abwog. Da Gackt ihn aber Sekunden später noch immer mit dieser Engelsgeduld musterte, entschied er sich schließlich dafür. Zumindest einen Teil dessen, was ihn bewegte, würde er ihm anvertrauen. Denn im Grunde seines Herzens wusste er ganz genau, dass Gackt der richtige Ansprechpartner für diese Art von Problem war. "Vorhin auf der Party hat mich ein Typ angesprochen, Mia", verriet Yohio, während er nachdenklich in seinem Puddingrest herumstocherte. "Besser gesagt, er hat mich ziemlich offensiv angegraben, wenn du weißt, was ich meine." "Und ob ich das weiß", antwortete Gackt reichlich erheitert klingend. "Mia ist schon eine Marke für sich. Und nur Gast auf solchen Parties, weil er es versteht, älteren, wohlhabenden Männern schöne Augen zu machen. Man kann ihm auch wirklich schlecht widerstehen, wenn man gewisse Neigungen sein eigen nennt. Er ist hübsch, nicht wahr?" "Schon." Yohio fragte sich unwillkürlich, ob Gackt Mia genauso verwöhnt hätte wie ihn, hätte er ihn für sich gewonnen, brach den Gedanken jedoch ab, da er ihm Bauchschmerzen bereitete. "Eigentlich fand ich es ja auch gar nicht so übel, dass er sich für mich interessiert hat, aber..." Er hielt inne und schluckte, denn nun kam der schwierige Part, der einiges an Überwindung kostete. "Ich hatte das Gefühl, als würde er gleich mehr wollen, wenn ich mich auf einen Kuss einlasse." "Und das hat dir Angst gemacht?" Gackt schlussfolgerte ganz richtig, und Yohio nickte betreten. Einmal mehr fühlte er sich ziemlich nackt vor dem anderen, was auch kein Wunder darstellte, war er doch drauf und dran, eine Art Seelenstriptease vor dem anderen Mann hinzulegen. "Na ja...", versuchte Yohio sich zu verteidigen, da er nicht als totales Weichei dastehen wollte, doch da streckte Gackt bereits tröstend die Hand aus und kraulte ihm behutsam den Nacken. "Dafür musst du dich nicht rechtfertigen", versuchte er den Jungen zu beruhigen, der aufgrund der Streicheleinheit wie ein schockgefrostetes Eichhörnchen dasaß, nur, dass seine glühenden Wangen wohl jede Eisschicht zu schmelzen gewusst hätten. "Es ist sehr wichtig, in solchen Situationen auf sein Bauchgefühl zu hören und sich nicht anderen zuliebe zu irgendetwas überreden zu lassen, dem man sich nicht gewachsen fühlt." Wenig zufrieden mit dieser Antwort lehnte Yohio sich gegen Gackts Schulter und genoss weiterhin seine sanft über seine Nackenhärchen fahrenden Fingerspitzen, die ihn erkennen ließ, wie sehr er sich nach derartigem Körperkontakt gesehnt hatte. Das Gefühl ließ ihn realisieren, was ihm gefehlt hatte, und er kam nicht umhin, die Augen zu schließen und sich zu bemühen, nicht vollkommen durchzudrehen vor Glück. Gackt war so ein toller Mann. Fast schon waren ihm seine Ratschläge über seiner Streicheleinheit gleichgültig geworden, aber dennoch hörte er ihm zu, als er mit seiner wohklingenden Stimme weitersprach. "Wenn du in der Liebe noch unerfahren bist, ist es außerdem besser, wenn du dich mit unverbindlichen Abenteuern zurückhältst", erklärte Gackt ihm, der sicherlich längst bemerkt hatte, wie gut Yohio die Zärtlichkeiten taten, die er ihm schenkte. Der Junge stellte sich vor, wie er ihm nun mit einem Schmunzeln ins Gesicht sah, denn genau eine solche Reaktion hätte zu diesem Moment gepasst. Aber er wagte es nicht, die Augen zu öffnen und nachzuschauen, ob er mit seiner Vermutung richtig lag. "Für das erste Mal solltest du dir jemanden aussuchen, den du kennst und dem du vertraust und der idealerweise bereits über einiges an Erfahrung in Liebesdingen verfügt." So jemanden wie dich, schoss es Yohio durch den Kopf, woraufhin er sich selbst strafend die Augenbrauen zusammenkniff. Gackt jedoch missinterpretierte diese Reaktion und lachte leise, wie sein hüpfender Brustkorb verriet, auf dem inzwischen Yohios Wange ruhte. "Ja, ich weiß, so jemand ist sehr schwer zu finden", musste er zugeben und strich dem Jungen mit dem Daumen eine verirrte Strähne aus seinem Gesicht. "Aber es lohnt sich, zumindest nach so jemandem zu suchen. Denk daran, dass dich niemand hetzt und du alle Zeit der Welt hast. Es ist auch nicht schlimm, schon zwanzig zu sein, wenn man sein erstes Mal hat. Wenn dich irgendjemand deswegen verspottet, ist er sowieso nicht der Richtige." "Du bist so schlau", brummelte Yohio mit nach wie vor halbgeschlossenen Augen, hob aber nun träge den Blick, um Gackt ins Gesicht zu sehen. "Woher weißt du das eigentlich alles?" "Das Leben ist der beste Lehrer", behauptete er und lächelte Yohio zu. "Mit den Jahren kommt auch die Erfahrung. Und außerdem habe ich einfach Interesse an Menschen und wie mit ihnen umzugehen ist." "Woah." Yohio staunte wahrlich Bauklötzer, auch wenn er aufgrund seiner Müdigkeit, die er in Gackts Armen gefunden hatte, nicht sonderlich beeindruckt klang. "Ich find das voll cool." "Wenn du irgendwelche Fragen haben solltest, kannst du immer zu mir kommen", versprach er Yohio, während das Kerzenlicht geheimnisvoll flackernde Schatten in seine dunklen Augen zeichnete. "Ich bin jederzeit bereit, mein Wissen an Interessierte weiterzugeben. Und insbesondere an dich, wo ich doch nicht möchte, dass irgendjemand dein gutes Herz ausnutzt." Wo nahm Gackt eigentlich immer diese wunderschönen Worte her? Sie schienen das Krönchen zu sein, welches Yohio endgültig zu einem Prinzen machte. Hatte er sich an einem anderen Ort und in anderen Armen jemals so ruhig und beschützt gefühlt? Yohio vermochte diese Frage mit einem Nein zu beantworten. Hier bei Gackt, an seine Brust geschmiegt und mit seinem beruhigenden Herzschlag am Ohr, war der schönste Ort auf Erden. Am liebsten hätte er für immer an ihm verweilt, schien die Zeit doch für den Moment stillzustehen und die Welt sich ohne in weiterzudrehen. Seine Sorgen und Probleme drifteten langsam von ihm weg, als er in einen friedlichen Schlaf fiel, gespickt von Träumen, in welchen er ebenfalls auf den Mann traf, dem er so viel zu verdanken hatte und der sich innerhalb weniger Tage einen festen Platz in seinem Herzen errungen hatte.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)