Wie Regen nach der Trockenheit von abranka (DD x BZ) ================================================================================ Kapitel 10: X. -------------- Eigentlich hatte sich Dudley die letzten drei Monate in dieser ihm neuen Welt recht wohl gefühlt. Er war sich bewusst gewesen, dass er hier ein gewisser Exot war, ein Fremdkörper, wie ihm manche Leute deutlich gemacht hatten. Aber er hatte auch das Gefühl gehabt, dennoch nützlich zu sein und auf seine Art und Weise irgendwie angekommen zu sein. Es fühlte sich ein bisschen an wie Regen nach einer langen Trockenzeit. Doch jetzt fragte er sich, ob er hier wirklich am richtigen Ort war. Oder ob er sich nicht besser seiner eigentlichen Welt stellen sollte. Der wirklichen Welt. Nicht, der Muggelwelt, wie sie die Hexen und Zauberer nannten. Denn schließlich war er doch nichts anderes als eben ein Muggel. Er ertappte sich dabei, wie er bereits an diesem Tag danach das Zaubereiministerium mit einem ganz anderen Gefühl im Bauch betrat. Er betrachtete alles anders, distanzierter. Die Zauber, mit denen er so leicht hierher reisen konnte – wie leicht konnte es bedeuten, dass jemand im Büro des Premierministers auftauchte und einfach seine Rolle übernahm. Wie leicht wäre es, irgendjemanden einfach so zu töten – ohne dass irgendwer von den sogenannten Muggeln jemals die Wahrheit erfuhr? Was hinderte die Hexen und Zauberer daran? Wie lange würden sie kein Interesse daran haben, sich über die ganz normalen Menschen emporzuheben? Wie er in den Geschichtsbüchern gelernt hatte, hatte dieser Voldemort doch genau das vorgehabt. Erst die Welt der Hexen und Zauberer erobern und dann alle nicht-magischen Menschen unterjochen und versklaven für seinen eigenen Nutzen. Weil sie aus seiner Sicht nichts wert waren. In Gedanken versunken und gänzlich auf Autopilot steuerte Dudley sein Büro an, ließ sich auf den Stuhl sinken und starrte an die Wand. Was tat er hier? Warum half er diesen Menschen, sich vor seinen eigentlichen Leuten zu verstecken? Weil er sich bei seinem Teil der Menschheit nicht akzeptiert fühlte? Nein, eigentlich war er dort nur davon gelaufen. Weil es schwierig geworden war. Weil er gewusst hatte, dass diese Vorstrafe ihm das Leben schwer machen würde. Und weil er vielleicht viel zu leicht aufgegeben hatte. Im Endeffekt ahnte er doch, dass seine sexuelle Orientierung hier vielleicht weniger eine Rolle spielte, als sie es in der Welt seiner Eltern tat – aber er würde auch dort zurechtkommen. Klar, es würde nicht einfach sein, aber wenn er sagte, warum er sich diese Bewährungsstrafe eigentlich eingefangen hatte, würde das die Dinge vielleicht doch ändern. Außerdem hatte er jetzt etwas, das ihm vor zwei Monaten noch gefehlt hatte: Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Er konnte sehr viel mehr, als er je von sich gedacht hatte. „Dudley?“ Die Tür öffnete sich und Tracey Davis trat ein. „Oh, hallo.“ Er schaute auf. Es war schon 10.00 Uhr und er hatte noch nichts Sinnvolles zustande gebracht. „Ich wollte mich wegen gestern entschuldigen. Ich hätte dich vorwarnen müssen, was beim Apparieren passiert, und ich hätte dich nicht einfach alleine lassen dürfen. Es tut mir Leid.“ Sie blickte Dudley nur kurz in die Augen und sah dann zu Boden. Dudley schob die Unterlippe vor und nickte knapp. „Entschuldigung angenommen. Und jetzt entschuldige mich, ich habe zu tun.“ „Ja, sicher. Aber... vielleicht hast du ja Lust nachher rüberzukommen. Es gibt Kuchen. Ellasbeth hatte am Wochenende Geburtstag und hat welchen mitgebracht. Wir würden uns freuen, wenn du dazu kommen würdest.“ „Danke.“ Er lächelte unverbindlich und wartete, bis die blonde Hexe sein Büro wieder verlassen hatte. Kurz fragte er sich, was wohl geschehen war, dass sie auf einmal auf die Idee kam, sich zu entschuldigen und ihn einzuladen. Kurz hatte er Blaise in Verdacht. Dieser war auf eine verquere Art der einzige, der sich immer für ihn interessiert und Anteilnahme gezeigt hatte. Ja, Blaise würde er schon vermissen. Vermutlich sogar sehr. Gleichzeitig war sich Dudley aber auch darüber im Klaren, dass er gar nicht wusste, ob er überhaupt bereit wäre, sich auf jemandem im Sinne einer Beziehung einzulassen – falls denn Blaise daran Interesse hätte. Und Zweifel hegte er daran sowieso. Dudley seufzte leise. „Du wirkst richtig positiv.“ Die vertraute Stimme troff nur so vor Ironie. Wenn man an den Teufel dachte... Dudley rang sich ein Lächeln ab, als er aufblickte. Blaise lehnte lässig in der Tür, die Tracey offenbar nicht geschlossen hatte. „Wie lange stehst du da schon?“ „Lange genug.“ Lässig trat Blaise ein und ließ sich auf den Besucherstuhl fallen. „Wie geht es dir?“ „Ich frage mich, ob ich überhaupt hier sein sollte“, erwiderte Dudley offen. Warum um den heißen Brei herumreden? Das hatte ihn noch nie weiter gebracht. Direktheit war das neue Zauberwort. „Was kann ich euch schon bieten? Wissen über die normalen Menschen und ihre Welt? Sicherlich. Was macht ihr daraus? Erobert ihr irgendwann die Welt, so wie es dieser Voldemort vorhatte? Wer weiß.“ Er schüttelte den Kopf. „Ihr habt Macht. Und diese Macht ist ziemlich erschreckend. Und ich frage mich, was ich im Schatten dieser Macht überhaupt verloren habe.“ „Das sind gute und ziemlich berechtigte Fragen.“ Blaise lehnte sich zurück und blickte Dudley aus seinen dunklen Augen forschend an. „Aber frag dich, warum du hergekommen bist. Und ob dieser Grund nicht immer noch Grund genug ist.“ „Warum ich hergekommen bin?“ Dudley lachte heiser auf. „Weil ich gescheitert bin und keine große Wahl hatte, als um Hilfe zu bitten. Und Harry war die bessere Wahl als meine Eltern. Mit denen komme ich momentan nicht besonders gut klar. Sie wissen auch nicht, was ich momentan tue. Sie wissen nicht, was passiert ist... Keine Ahnung, ob sie mich überhaupt wirklich kennen.“ „Und was ist passiert?“, fragte Blaise sanft nach. „Ich bin vorbestraft.“ Dudley zuckte mit den Schultern. „In meiner Welt ist das nicht gerade hilfreich.“ „Was hast du getan?“ Jetzt runzelte Blaise die Stirn. Es war ihm anzusehen, dass er überrascht war. Das war etwas, was er ganz offenkundig überhaupt nicht erwartet hatte. „Körperverletzung. Und jetzt tu nicht so, als wenn dich das wirklich so sehr überrascht. Sieh mich an. Sehe ich wie ein Unschuldsengel aus?“ „Nein, das nicht.“ Blaise tippte sich mit einem ironischen Lächeln an seine Nase. „Das ist schon ein recht deutlicher Hinweis“, meinte er und spielte damit auf Dudleys mehrfach gebrochene Nase an. „Aber ich denke, dass du einen guten Grund dafür gehabt haben musst, wenn du so etwas getan hast.“ Dudley seufzte leise. „Interessant. Ich glaube, du bist der einzige, der so denkt.“ „Ich kenne dich mittlerweile schon recht gut. Also, was ist passiert?“ „Da war dieser Junge... Ich kannte ihn aus einer Bar. Er war erst 16, hat sich aber trotzdem reingemogelt. So viele Möglichkeiten gibt es für schwule Jungs halt nicht. Ich bin kurz nach ihm rausgegangen und habe gesehen, wie ihn vier andere Jungs auf der Straße verprügelt haben. Einfach, weil er aus einer Schwulenbar kam. Also habe ich mich eingemischt.“ Dudley hob die Schultern. „Der eine Prügler war der Sohn von irgendeinem Kerl aus dem Oberhaus. Der hatte den besseren Anwalt.“ Blaise nickte verstehend. „Also hast du im Endeffekt nur jemandem geholfen und bist dafür bestraft worden.“ Knapp neigte Dudley den Kopf. Ihm ging erst jetzt auf, dass er Blaise gegenüber gerade angedeutet hatte, dass er schwul war. Nun, früher oder später wäre das eh passiert. Dann sollte das doch lieber so beiläufig der Fall sein als hochdramatisch als große Erklärung. „Nun, ich würde sagen, dass das nicht besonders fair ist. Und es ist mit Sicherheit nichts, wofür man sich in irgendeiner Art und Weise schämen müsste. Eher ist es traurig, wenn dir das irgendwelche Möglichkeiten verbaut. Aber du bist hier. Du hast die Entscheidung hierfür getroffen. Keine schlechte Entscheidung, wie ich finde, denn wir wären uns sonst wohl eher nicht über den Weg gelaufen. Und das wäre durchaus schade.“ Ein breites Lächeln erhellte Blaises ernstes Gesicht. „Stimmt schon.“ Dudley rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. „Es ist nur... ich bin hier hilflos.“ „Bist du nicht.“ Blaise schüttelte den Kopf. „Sicher, du kannst nicht zaubern – und? Du zeigst aber die ganze Zeit, dass du uns dennoch etwas beibringen kannst. Schon allein den Respekt vor Menschen, die anders sind. Du solltest nicht vergessen, dass wir dazu neigen, in einer sehr abgeschlossenen Welt zu leben. Auch diejenigen, die aus reinen Muggelfamilien stammen, wenden sich am Ende nahezu vollständig dieser magischen Welt zu. Sie können nämlich nur hier sein, wer sie wirklich sind. Denn frag dich umgekehrt einmal, was Muggel tun würden, wenn sie von uns wüssten. Wenn sie wüssten, wozu Magie in der Lage ist. Wer würde am Ende wen ausnutzen und beherrschen wollen?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es gibt immer zwei Seiten von einer Medaille. Im Moment haben wir ein ganz gutes Gleichgewicht gefunden. Aber ich denke, gegenseitiges Verständnis dürfte uns auf jeden Fall weiterbringen. Und ehrlich: Ich wäre in einem Muggelsupermarkt sicher auch total aufgeschmissen.“ Ein entwaffnendes Lächeln zog seine Mundwinkel nach oben. Dudley konnte nicht anders als dieses zu erwidern. „Nun, du hast zumindest jemanden, der dir das System Supermarkt erklären kann und dich bei deinem ersten Besuch auch durchaus begleiten würde.“ „Du weißt, dass ich auf das Angebot definitiv zurückkommen werde, oder?“ „Das kannst du gerne tun.“ Dudleys Lächeln wurde entspannter. Er hatte das Gefühl, als wenn ein gewisser Druck von ihm genommen worden wäre, bei dem er gar nicht gewusst hatte, dass er da war. Er fühlte sich, als wenn er wieder freier atmen könnte. Auch wenn er sicherlich noch genug hatte, worüber er nachdenken und was er für sich an Gefühlen und Gedanken sortieren musste. „Also ist unser erstes Treffen außerhalb der Arbeit dann ein Muggelsupermarkt?“, fragte Blaise und zwinkerte ihm zu. Unwillkürlich runzelte Dudley die Stirn. Wie war das jetzt wieder gemeint? „Ein Bier mit Fish and Chips wäre auch eine Option“, entgegnete er betont lässig, während sein Herz einen Satz machte. „Heute Abend?“ Blaise grinste breit. „Okay...“, erwiderte Dudley und gab dann doch seiner Verunsicherung nach. „Als freundschaftlich-kollegiales Treffen oder als... was anderes?“ „Ich hätte nichts dagegen, wenn es 'was anderes' im Sinne eines Dates wäre.“ Blaise erhob sich. „Das wäre äußerst reizvoll.“ „Okay.“ Dudley stand ebenfalls auf. „Okay, ein Date. Aber ohne große Versprechen oder so. Keine Ahnung, ob ich überhaupt...“ „Oh, bei Merlin, Dudley. Das ist ein erstes Date. Warte ab, was daraus wird. Danach können wir uns den Kopf zerbrechen, ja?“ Blaise verdrehte die Augen und lachte dann auf. „Ich hole dich um 6.00 ab.“ Ein schiefes Lächeln auf den Lippen sank Dudley auf seinen Stuhl zurück. Es stimmte: Wer wusste schon, was die Zukunft bringen mochte. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er sich ja auch nicht hier gesehen. Er wusste noch nicht, ob das hier ein Ort war, an dem er bleiben wollte. Aber das würde die Zeit schon zeigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)