Unwritten von Puppenspieler ================================================================================ Mai • New Beginning ------------------- Der Team-Gruppenchat, den sie führten, seit Nozomi persönlich ihn im ersten Schuljahr eingeführt hatte, war verdächtig still geworden in den letzten zwei Tagen. Das kam manchmal vor. Vor Trainingscamps. Vor Valentinstag. Vor Weihnachten. Nozomi wusste, was das bedeutete:   Boykott.   Sie musterte ihr Handy mit gebührender Missbilligung, legte es dann zur Seite und seufzte theatralisch. Es war immer dasselbe. Seit nunmehr über zwei Jahren schlug sie diese verzweifelte Schlacht gegen ihr Team, weil sie einfach nur von Banausinnen umgeben war. Dabei könnte es so einfach sein.   Golden Week stand vor der Tür. Golden Week, und damit das alljährliche Golden-Week-Trainingscamp, das in der Schule abgehalten wurde. Etwas, das natürlich nicht nur ihr Club machte, sondern auch einige der anderen Sportclubs nutzte – unter anderem das Jungen-Volleyballteam. Fünf Tage in der Schule. Fünf Tage, die sie vierundzwanzig Stunden des Tages in unmittelbarer Nähe zu Oikawa Tooru verbringen würden. Fünf Tage, in denen sie ihm endlich den Liebesbrief überreichen konnte, den sie seit dem ersten Schuljahr, als sie ihn das erste Mal geschrieben hatte, regelmäßig überarbeitet hatte, damit er aktuell blieb. Inzwischen war sie bei Version dreiundzwanzig angekommen, und sie hatte sich ganz fest vorgenommen, dass dreiundzwanzig die magische Zahl sein sollte, die nicht bei den anderen Briefen in ihrer rosa Pappschachtel landen sollte.   Wäre es nach ihr gegangen, sie hätte den Brief schon vor zwei Jahren abgegeben. Warum auch nicht? Sie war hübsch. Sie war selbstbewusst. Sie war sportlich talentiert. Sie hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Warum sie es trotzdem nicht tat? Weil sie von Banausinnen umgeben war. Banausinnen, die sie seit zwei Jahren und mehr boykottierten, weil niemand in Seijohs Mädchen-Volleyballteam außer ihr einsah, was für ein umwerfender Mann Oikawa Tooru war. Es war eher das Gegenteil der Fall – die anderen Mädels hassten ihn. So sehr, dass sie einstimmig einig darin waren, dass sie ihn nicht in der Nähe ihrer Teamkollegin sehen wollten. Kurzum: Sie hinderten Nozomi ständig daran, ihren Brief zu überreichen. Mit unfairen Mitteln. Nutzten aus, dass sie sich ablenken ließ. Begleiteten sie selbst noch zur Toilette, damit sie bloß nicht die Gelegenheit bekam, etwas zu erreichen. Sie sprachen sich hinter ihrem Rücken ab, um ihre schändlichen Missetaten vorzubereiten. Es war schrecklich.   Mari hatte angefangen. Mari, die pragmatische, romantische, sentimentale, durchgreifende Mari, die Oikawa ganz besonders furchtbar fand, hatte im ersten Schuljahr begonnen, all ihre Geständnisse zu boykottieren.  „Es ist besser für dich, Carissima“, hatte sie schon damals behauptet, mit einem gütigen Lächeln wie dem einer Mutter, die sich um ihr Kind sorgte. Nozomi hatte es ihr damals schon nicht geglaubt, und sie glaubte es ihr heute nicht, egal, wie oft Mari es wieder betonte, sobald erneut die Gerüchte um eine Oikawa-Trennung durch die Schule gingen. Für Nozomi war es logisch, dass er sich trennte, wenn er die Richtige einfach noch nicht gefunden hatte. Dass sie die Richtige sein konnte – natürlich! Bestimmt. Einen Versuch war es doch in jedem Fall wert!   Aber der Versuch kam einfach nicht zustande.   Im zweiten Jahr war der Boykott schlagartig größer geworden – Tsuyuha und Nagisa hatten sich angeschlossen, und nicht viel später waren auch weitere Neulinge mit eingestiegen. Das Netz aus Intriganten war inzwischen so weitläufig gesponnen, dass Nozomi längst nicht mehr wusste, wen sie alles mit Missachtung strafen müsste, wenn sie denn endlich einmal daran denken würde, aber im Grunde war es einerlei. Sie waren alle Verräter! Wer den Boykott nicht aktiv unterstützte, hielt ihn auch nicht auf, also waren sie am Ende alle Mittäter! Verräter, allesamt, die obendrein auch noch einen eigenen Gruppenchat gegründet hatten, an dem Nozomi nicht teilnehmen durfte. Einen Gruppenchat, den sie nutzten, um ihre Boykotts zu planen. Etwas, das sie zweifelsohne auch jetzt taten, wo der eigentliche Team-Chat so still geworden war.   Nozomi warf noch einen bitterbösen Blick auf ihr Handy, eine stumme Kriegserklärung. „Ich weiß, was ihr tut“, erklärte sie dem Gerät mit gerümpfter Nase, „Und diesmal werdet ihr nicht damit durchkommen!“   Sie hatte eigene Pläne. Großartige Pläne. Wasserdichte Pläne. Dieses Mal würde sie es schaffen.   Dreiundzwanzig war die magische Zahl.     ***     „Tatamiya-Senpaaaaaaaai!“   Hayashis fröhliche Stimme hätte nicht gereicht, um Nozomi anhalten zu lassen. Die Tatsache, dass das kleine Mädchen die Arme um ihre Körpermitte geschlungen hatte und sie festhielt hingegen, die hielt sie effektiv vom Weiterlaufen ab. Boykott, war der erste Gedanke, der durch Nozomis Kopf schoss. Sie schürzte die Lippen. So nah und doch so fern. Sie konnte Oikawas Schuhfach sogar schon sehen! „Sen-Pai!“ Hayashis Gesicht drückte in ihren Rücken und Nozomi musste gegen ihren Willen lachen. Sie hob geschlagen die Hände. „Ich bin hier, Hayashi.“ Sie konnte auch gleich noch zu Oikawas Schuhfach, huh? Die Mittagspause war lang genug, und sie wusste, wenn Hayashi schon so aufdringlich ankam, dann ließ sie nicht  mehr locker, bis sie losgeworden war, was sie loswerden wollte. Und außerdem hätte Nozomi es gar nicht übers Herz gebracht, ihre Mädels stehen zu lassen. Auch nicht für ihren Liebesbrief. Hayashi löste sich endlich von ihr, kam mit hüpfenden Schritten um sie herum, bis sie aufrecht vor ihr stand. Sie wirkte klein, selbst gegen Nozomi, die selbst nicht mit der deutlichsten Größe gesegnet war.   „Ich hab da hinten was gesehen!“, verkündete sie, demonstrativ geheimnisvoll, und ihre Augen funkelten schalkhaft. Hayashi entdeckte ständig irgendetwas. Schneckenhäuschen, Spinnennetze, Babykatzen – sie hatte ein seltsames Talent, absolut alles und nichts ausfindig zu machen. Dafür, dass sie so klein war, hatte sie ausgleichend die absolut größte Wahrnehmungsspanne von ihnen allen. Und auch wenn Nozomi an sich ahnen konnte, dass es nichts herausragend spannendes sein würde – allein Hayashis offenkundige Aufregung machte sie neugierig. Hayashi war ansteckend. „Zeig her?“ Die Mittagspause war lang. Nachher. Das Schuhfach lief ihr nicht weg.   Und jetzt war es ohnehin zu spät für einen Rückzieher – Hayashi nahm ihre Worte als Einladung, sie zu packen und enthusiastisch mit sich zu ziehen. Nozomi folgte lachend, strauchelnd, weil sie nicht damit gerechnet hatte, gleich wortwörtlich abgeschleppt zu werden. „Ich hoffe, es ist noch da, wenn wir ankommen. Aber ich hab’s eben bestimmt ne halbe Stunde beobachtet, und verschwunden sind sie nicht, also…“ Noch ein Grinsen. Hayashi strahlte breit über die Schulter zu ihr hinüber, in ihren Augen strahlte das Geheimnis, das da vor ihnen lag. Nozomi wollte nachfragen, doch sie wusste längst viel zu genau, dass Hayashi nichts verriet, weil sie viel zu viel Freude daraus zog, sich vor ihrem Fund aufbauen und ihn präsentieren zu können. Also versuchte Nozomi es gar nicht mehr. Sie hatte aufgegeben.   Immerhin musste sie nicht lange warten, um ihre Antwort noch zu bekommen. Einmal über den halben Schulhof gelaufen erreichten sie eine Ecke, die an blühende Sträucher grenzte. Blühende Sträucher, an denen unzählige Schmetterlinge in den schönsten Farben herumschwirrten. Nozomi riss ungläubig die Augen auf, schlug die Hände vor den Mund, um einen begeisterten Schrei zu ersticken. „Ta-dah!“ Mit ausschweifenden Bewegungen, die sie glatt größer wirken ließen, als sie wirklich war, wies Hayashi auf das atemberaubende Schauspiel. Nozomi konnte wirklich nur staunen, starren. Sie verfolgte den bunten Tanz der Schmetterlinge fasziniert, und es dauerte Minuten, bis sie sich lange genug davon losreißen konnte, um Hayashi wieder anzusehen, die vor lauter Stolz ein paar Zentimeter gewachsen zu sein schien. „Das ist ja wunderschön!“, hauchte sie überwältigt. Hayashi nickte wild. „Ne? Das ist so cool! Ich hab sie vor ein paar Tagen schon mal hier entdeckt, die scheinen den Busch echt zu mögen!“   Nozomi war froh, dass sie ihr Handy dabei hatte. Außerhalb der Sporthalle durfte sie das immerhin haben! Und dieses Bild schrie einfach danach, Erinnerungsfotos zu machen. Viele. Von allen Schmetterlingen am besten. So völlig beschäftigt mit Fotos und Schmetterlingen und einem strahlenden Kouhai verging die Mittagspause wie im Flug – und am Ende war Nozomi einfach nur froh, dass sie nicht zu spät zum Nachmittagstraining kamen, denn Tsuyuhas Zorn gegen Unpünktlichkeit war schrecklich.   Als sie an ihren üblichen Platz in einer Hallenecke trottete, um ihre Aufwärmroutine zu beginnen, sah sie noch, wie Hayashi lachend mit Mari abklatschte.     ***     Mittagsdienst war eine großartige Gelegenheit – drei Jahre Erfahrung zeigten, dass immer irgendetwas fehlte, egal, wie sorgfältig man plante, und immer irgendjemand zum Einkaufen musste, um die fehlenden Sachen zu besorgen. Und es war auch gar nicht schwer, da ein bisschen nachzuhelfen, damit auch wirklich etwas fehlte. Nozomi musste sich das Grinsen verkneifen, als die Managerinnen mit einem Seufzen verkündeten, dass ihnen die Karotten für ihr Curry fehlten. Und ein Gewürz, das Nozomi überhaupt nichts sagte, aber das war völlig egal – Hauptsache, es fehlte! „Ich übernehm das!“, verkündete sie bemüht wenig enthusiastisch und sprang von ihrem Platz am Tisch auf. Es war so wunderbar idiotensicher. Jetzt konnte sie legitim raus, musste nur das Zeug besorgen, und hatte dabei alle Zeit der Welt, den Brief abzugeben. Es war ein brillanter Plan. Etwas, das niemand hätte vorhersehen können. Unboykottierbar.  „Ich komme mit.“   Oder auch nicht.   Nozomis Gesicht engleiste, als sie zusah, wie Han sich ebenfalls erhob. Das– das war nicht fair! Gar nicht fair! Der Plan hätte absolut boykottsicher sein sollen! Aber es war nicht, als könnte sie ablehnen, nicht wahr? Also fügte sie sich seufzend ihrem Schicksal und beschloss, dass sie immer noch am Ende des Ausflugs ganz dringend auf Toilette gehen könnte, während Han die Einkäufe zurückbrachte. Das war wirklich boykottsicher. Niemand wollte mit Einkaufstüten zur Toilette, das war eklig.   Der Weg zum Supermarkt war wenigstens nicht weit. Eigentlich war Nozomi auch nicht unglücklich über die Gesellschaft, denn sie mochte Gesellschaft, aber sie war trotzdem immer noch beleidigt, dass ihr Plan nicht aufgegangen war. Schon wieder. Zum, inzwischen, achten Mal, seit das Trainingscamp begonnen hatte, und sie waren erst am dritten Tag! Aber ständig war irgendetwas dazwischen gekommen. Irgendjemand brauchte Hilfe. Irgendjemand hatte irgendwo die neuesten Tratschgeschichten her, die er unbedingt erzählen musste, und natürlich konnte Nozomi sich das nicht entgehen lassen! Noch am Vorabend war es gescheitert, weil Tsuyuha sie nach dem Bad noch in eine spontane Besprechung über das Team verwickelt hatte. Die Gedanken an die Zukunft ihrer Mädels hatten den Brief völlig abgedrängt – bis sie irgendwann im Bett gelegen hatte, so spät, dass sie es nicht mehr gewagt hätte, durch die Schule zu geistern. Sie seufzte schwer, geschlagen. Ihr Leben war eine Tragödie. Und niemand schien auch nur einen Funken Mitleid mit ihr zu haben. War das nicht unfair? Scheinbar nicht. Han lachte leise neben ihr. Dafür, dass sie groß war, war Han überraschend leise. Das genaue Gegenteil von dem lauten Winzling Hayashi. Nozomi schnaufte undamenhaft und warf ihr einen säuerlichen Blick zu. „Lach nicht.“ „Du sollest einfach aufgeben“, gab das andere Mädchen unbekümmert zurück. In ihrer Art lag eine nüchterne Leichtigkeit, die Nozomi ehrlich ein bisschen beneidete. Sie hoffte, dass Han wirklich im nächsten Jahr den Captain-Posten übernehmen würde. Es stand ihr.   Sie schüttelte entschieden den Kopf und die Gedanken ans Team ab. Gerade gab es wichtigeres! „Nein! Ich werde nicht aufgeben! Oikawa ist–!“ „Ja? Kennst du ihn? Hat er je ein Wort mit dir gewechselt?“ Nozomi schnaubte beleidigt, verschränkte die Arme vor der Brust. „Dank euch nicht…“   Wieder lachte Han. Nozomi warf ihr einen zutiefst säuerlichen Blick zu, der nicht so recht sauer bleiben wollte, weil das Mädchen bei allem Gelächter keinen Deut gehässig wirkte, sondern einfach – nett. Freundlich. Freundschaftlich. Tatsächlich besorgt um ihr Wohlergehen, so wie der Rest des Teams, und genau deshalb konnte Nozomi ihnen am Ende doch einfach gar nicht böse sein. Sie meinten es lieb. Es war total dumm und deplatziert, aber sie meinten es ja lieb.   „Weißt du, ehrlich. Wenn du nach so langer Zeit noch keinen Schritt vorangekommen bist – ist es da wirklich so wichtig?“   Auch wenn sie wirklich einfach gar nichts verstanden! Nozomi nickte wild. Natürlich war es wichtig! Es war überlebenswichtig! Aber sie wusste, dass jede Erklärung, die sie zustande bringen konnte, an Han abperlen würde wie Wasser an einer Regenjacke. Sie war einfach nicht romantisch genug veranlagt für solche Dinge. Das Konzept romantische Liebe war eben ein kompliziertes, verworrenes Konstrukt, das nur die verstanden, die ihrer Opfer waren! Der Gedanke ging verloren, als sie im Supermarkt standen, ohne Einkaufszettel, und vergessen hatten, was sie eigentlich kaufen sollten.     ***     „Ich hab da so ne Idee.“   Nagisa stand vor ihr, die Finger ineinandergehakt und nervös auf den Fußballen wippend. Eigentlich hatte Nozomi sich gerade auf den Heimweg machen wollen. Das Trainingscamp war viel zu schnell vergangen, viel zu fruchtlos gewesen, und heute Abend war ihre letzte Chance, ihren Brief an den Mann zu bringen. Aber konnte sie noch daran denken, wenn da ihre Kouhai vor ihr stand und offensichtlich etwas sehr, sehr Großes auf der Seele hatte? Nein. „Was denn?“ „Na ja, also…“ Nagisa grinste scheu, gestikulierte vage. Sie war ein süßes Ding, aber hatte entschieden zu wenig Selbstvertrauen. Nozomi lächelte ihr aufmunternd zu, während sie ihre Tasche schulterte. Mit einer Geste wies sie Nagisa, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen; aus Erfahrung wusste sie, dass es dem Mädchen leichter fiel, zu sprechen, wenn sie irgendwie beschäftigt war – und da reichte sogar nur plattes Laufen. Zumindest ein Stück konnten sie zusammengehen. Bis zum Schultor, denn danach mussten sie ohnehin in andere Richtungen. Nagisa nach Hause, und Nozomi zu Oikawas Schuhfach.   Sie trotteten schweigend nebeneinander her. Es war dunkel, die Luft langsam aber sicher spürbar kühl werdend. Erst, als das Schultor nur noch ein paar Schritte von ihnen entfernt lag, begann Nagisa schließlich leise zu sprechen. Es würde still werden, wenn die Drittklässler weg waren. Kein Grund mehr für verrückte Gruppenchat-Planungen, und irgendwie war das schade. Es war das erste Jahr, in dem wirklich das ganze Team in Außervolleyballaktivitäten involviert war. Nozomi war schon kurz davor, beleidigt das Gesicht zu verziehen, weil sie den ganzen Boykott sicher nicht vermissen würde, als Nagisa weitersprach. „Man ist sich irgendwie näher so.“ Sie hob mit einem verlegenen Grinsen abwehrend die Hände. „Nichts gegen das Team letztes Jahr. Oder nächstes Jahr. Aber dieses Team – das ist das erste Mal, das ich sagen würde, wir sind ehrlich alle in der Startaufstellung Freunde. Gehören zusammen. Verstehst du, was ich meine?“ Nozomi nickte, nun selbst schief grinsend. Sie verstand. Sie waren wirklich ungewöhnlich eng miteinander verbunden, und jetzt, wo sie darüber nachdachte. Sie würde– „Ich werd das vermissen. Deshalb…“ Nagisa hielt noch einmal inne. Inzwischen stand sie am Schultor und sah ein bisschen zu verloren aus, als dass es Nozomi nicht das Herz brechen würde. Sie lächelte dem Mädchen noch einmal aufmunternd zu, versuchte, ihren eigenen Kummer nicht durchdringen zu lassen. Sie verstand es wirklich. Wie könnte sie das Team nicht vermissen, wenn es erst vorbei war? Irgendwie würde sie am Ende wahrscheinlich doch sogar den Boykott vermissen. Sie hob die Augenbrauen, abwartend, auffordernd.   „Deshalb?“     ***     Deshalb war am Ende des Tages der Grund, weshalb Nozomi schon wieder den Brief vergessen hatte und sich am Schultor nur von Nagisa getrennt hatte, um direkt nach Hause zu gehen. Als sie in ihrem Zimmer ihre Tasche auspackte und den rosa Umschlag schon wieder darin fand, seufzte sie. Resigniert. Amüsiert. Verzweifelt. Sie schüttelte den Kopf, Hans Worte noch viel zu deutlich im Ohr. Drei Jahre das Gleiche. Keine Veränderung. Sie kam Oikawa keinen Schritt näher. Ihre Gedanken wanderten weiter, zu Nagisa und ihrem kleinen Geständnis. Dieses Team war etwas Besonderes für sie. Wie viel sich seit den ersten Tagen der ersten Klasse verändert hatte! Mari und Tsuyuha waren längst Nozomis besten Freundinnen geworden. Die Kouhai, allesamt, gehörten ohne jede Diskussion in ihr Leben, und sie würde jede Einzelne viel zu sehr vermissen, wenn sie die Schule verließ. Die ganze Startaufstellung war schon mehr wie eine chaotische, große Familie, als wie ein Haufen Fremder, die zufällig im gleichen Team Sport machten. Drei Jahre voller Veränderung. Und jeder Tag ein Schritt näher zueinander hin.   Wichtig.   Sie sah auf den Brief hinunter, unscheinbar, ordentlich mit Oikawas Namen beschrieben. Dachte an die tausend Male, die ihre Mädels sie davon abgehalten hatten, diesen Brief oder seine Vorgänger in Oikawas Hände zu bringen, dachte daran, wie sie diese Boykotts keinen Schritt weiter auf ihrem Weg in Richtung Oikawa gebracht hatten, und stattdessen dafür gesorgt hatten, dass sie und ihr Team immer mehr untrennbar zusammenwuchsen. Nozomi lächelte flüchtig. „Deshalb“, sagte sie, eine Endgültigkeit in ihren Worten, die sie dort noch nie gefunden hatte. Sie sah beinahe feierlich zu, wie der Brief in den Mülleimer neben ihrem Schreibtisch segelte, dann stand sie auf und riss die Fenstern auf, um sich hinauszulehnen und tief die frische Mailuft einzuatmen. Es roch nach Frühling und neuem Leben. „Deshalb.“   Deshalb würde sie jetzt daran arbeiten, Nagisas Idee in die Tat umzusetzen. Und das würde nicht über zwei Jahre liegenbleiben, weil sie sich ständig davon ablenken ließ.   Es war schließlich wichtig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)