Necromance von KnK-Romane (Von Tod und Liebe) ================================================================================ Kapitel 5: Du kannst mich mal! ------------------------------ Das Geräusch der Reifen kam näher. Wie in weiter Ferne hörte sie das erschrockene Schreien von Menschen. Doch an Stelle von hartem, tödlichem Stahl wickelte sich etwas anderes um sie - wärmer, weicher. Einige Sekunden verharrte sie verkrampft, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen und die Augen fest zusammengekniffen. „Oh großer Gott, das war knapp“, hörte sie die Stimme einer vorbeigehenden Frau. Schließlich traute sie sich langsam, ihre Augen zu öffnen. Sie blickte gegen eine Halsbeuge und den runden Kragen eines weißen T-Shirts. Perry? Ihr Herz schlug ihr heftigst gegen die Brust und das Adrenalin ließ ihre Hände kribbeln. Alles wechselte zwischen heiß und kalt. Eine Hand strich ihr beruhigend über den Rücken. „Alles Gut, nichts passiert“, sagte Perish und drückte sie leicht gegen seine Brust. Obwohl er gesehen haben musste, wie sie beinahe gestorben wäre, spürte sie weder unruhigen Atem noch einen schnellen Herzschlag. Er schien vollkommen ruhig zu sein. Jetzt, wo sie so dicht bei ihm war, breitete sich Unwohlsein in ihr aus. Irgendetwas in ihr, wollte instinktiv vor ihm fliehen. Vermutlich einfach, weil sie solch eine Nähe zu anderen Menschen nicht gewohnt war. Lyrika wandte sich aus seinem Griff und musste sich an einer Hauswand abstützen. Ihr war ganz schwarz vor Augen. Schließlich blickte sie sich irritiert um. Sie standen etwa zehn Meter von der Straße entfernt und in Anbetracht dessen, dass sie eben noch drauf und dran war, vor das nächste Auto zu fallen, kam ihr die Frage auf, wie er sie hier hergebracht hatte, denn sie konnte sich nicht daran erinnern, weggezogen worden zu sein. „Wie...komme ich denn hierher? Ich bin doch gerade noch...“, faselte sie noch ein wenig durch den Wind „...auf die Straße“. Perry strich sich durch die Haare, sodass sie ihm noch viel mehr zu Berge standen, und zuckte leicht mit den Schultern. „Du bist wohl vor Schreck ein paar Sekunden ohnmächtig gewesen. Ich habe dich bloß gerade noch so von der Straße gezogen und ein paar Meter weg gebracht. Dann bist du wieder zu dir gekommen“, erklärte der junge Mann und Lyrika warf ihre Stirn in Falten. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass sie das Bewusstsein verloren hatte. Andererseits waren die ganzen letzten Minuten irgendwie unwirklich und so schockierend, dass ihr Gedächtnis sicher gerne aus Selbstschutz die ein oder andere Information über Bord warf. „Sieht aus als wären wir jetzt quitt“, sagte die Biologiestudentin schließlich, als sie sich so langsam wieder gefasst hatte. „Du meinst abgesehen davon, dass du mich bei dir wohnen lässt und dich um mich kümmerst?“, merkte Perry an und Lyrika lächelte sacht. „Lass uns nach Hause gehen.“ Wenige Gehminuten später schloss sie die kleine Wohnung auf, und während Lyrika wortlos die Reste vom Picknick beseitigte, sah sich Perry noch interessiert in dem Wohn- und Schlafzimmer um. Schließlich bereitete sie ihm sein Bett erstmal provisorisch aus einer Wolldecke und einem kleinen Kuschelkissen auf dem Teppich vor ihrem Bett. Nachdem sie einen Film geschaut und zu Abend gegessen hatten, sprang Perry noch unter die Dusche und Lyrika nutzt die Zeit, um ein wenig im Internet zu surfen. Schließlich ging ein erster Tag mit ihrem neuen Mitbewohner dem Ende zu und während sie es sich in ihrem Bett bequem machte, musste Perish mit dem Boden vorlieb nehmen. Zum Glück hatten in England die meisten Geschäfte auch sonntags auf, sodass sie ihm morgen eine Matratze besorgen konnten. Dieser Montag morgen war anders, als sonst. Denn sie saß nicht alleine im Zug Richtung Bath, hatte sich nach dem Aufstehen um das Bad zanken müssen und würde nun nicht alleine in der Vorlesung sitzen. Perry hatte darauf bestanden mit ihr an die Universität zu fahren. Eigentlich war sie von der Idee alles andere als begeistert, doch als der Junge eine Immatrikulationsbescheinigung ihrer Universität aus seinem Rucksack gezogen hatte, bestand kein Zweifel daran, dass sie eigentlich sogar Kommilitonen waren. Dementsprechend hatte sie kein Argument mehr, wieso er sie nicht begleiten durfte. Allerdings zog der attraktive Perry viel mehr Aufmerksamkeit auf sich, als ihr lieb war. Ständig mussten sie stehen bleiben, weil irgendjemand ihn begrüßen wollte, ihm diverse Fragen stellte, wieso er die erste Vorlesungswoche verpasst hatte und so weiter und so fort. Hauptsächlich handelte es sich dabei um weibliche Studentinnen, von denen es in ihrem Kurs jedoch gar nicht so viele gab. Schließlich blieb sie die uninteressante, graue Maus, die in Perishs Schatten kaum auffiel und eigentlich sofort zur überflüssigen Nebenfigur wurde. Das sollte allerdings keinesfalls Kritik sein. Lyrika beschwerte sich darüber nicht, sie nahm es dankend entgegen und schwelgte in ihrer Unscheinbarkeit. „Hallo, ich rede mit dir“. Was? Wie? Lyrika saß in der Mensa, Perry unterhielt sich gerade mit zwei Mädchen und sie hatte gar nicht bemerkt, wie sich jemand zu ihr gesetzt hatte. „Was, wer bist du denn?“, entfloh es ihr unfreundlich und sie presste sogleich die Lippen aufeinander. Obwohl sie kein Menschenfreund war, bemühte sie sich jedoch stets wenigstens höflich zu sein. Grober Fehlschlag. Neben ihr saß ein junger Mann in ihrem Alter. Sein Haar war so dunkel wie ihres ganz im Kontrast zu seiner blässlichen Haut. Sein Gesicht war ebenmäßig, fast schön, wenn man das bei einem Mann so sagen durfte. Eine gerade, römisch anmutende Nase und volle Lippen. Was jedoch das Auffälligste an ihm war, waren die herausstechend eisblauen Augen. Es war eines dieser Gesichter, die man einfach fasziniert anstarren wollte. „Ich bin Eric“, stellte sich der Fremde vor und schenkte ihr ein charmantes Lächeln. Was wollte der jetzt von ihr? War sie plötzlich interessant geworden, nur weil sie neben Perry saß? „Lyrika“, murmelte sie und starrte nun herab auf ihr Essen. Wenn sie sich nur lange genug unhöflich verhielt, würde er vielleicht einfach wieder verschwinden. „Ich wollte dich die letzte Woche schon ansprechen, aber du wirktest so schüchtern, dass ich Angst hatte, dich zu überfordern“, erklärte Eric und stach einen Strohhalm in sein Milchpäckchen, das auf seinem Tablett stand. „Jetzt komme ich hierher und du bist in Begleitung dieses Kerls. Er ist doch nicht etwa dein Freund?“ Wollte er sie verarschen? Die Schwarzhaarige schob ihre Hornbrille hoch. Sie hatte heute morgen keine Lust gehabt sich Kontaktlinsen anzuziehen, trug ihre Haare zu einem unordentlichen Pferdeschwanz, hatte sich nicht die Mühe gemacht irgendeine Schminke aufzutragen und lief heute in Chucks, Jeans und viel zu großem Gammelpulli herum - das jemand wie er Interesse an jemandem wie ihr hatte, war so unwahrscheinlich wie ein Elefant im Weltall. „Nein, mein Mitbewohner“, mehr brauchte er nicht zu wissen. Eric war jedoch keinesfalls enttäuscht sondern schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein. „Hier, hör mal, wenn du eine Wette verloren hast, dann ist das nicht mein Problem. Ich möchte hier einfach in Ruhe essen und will dabei nicht gestört werden. Ich habe keine Lust mich von Jungs wie dir verarschen zu lassen, also, wenn du mich dann bitte in Ruhe lassen könntest?“ Lyrika blickte ihn nun wieder direkt an und ballte unter dem Tisch die feuchten Hände zu Fäusten. Es war ihr einfach so unheimlich unangenehm, aber so hatte sie es wenigstens schnell hinter sich! Eric blinzelte ein paar Mal und starrte sie an. Dann schlug er die Augen nieder und seine Mundwinkel zuckten zu einem milden Lächeln. „Ich bin hier nicht derjenige, der dich verarscht“, sagte er und stand auf, „ich meine es ernst, ich will dich zu nichts zwingen - einfach nur kennenlernen.“ Er nahm sein Tablett und ging. Nicht derjenige, der sie verarscht. Wie meinte er das? Perry hatte sich inzwischen zu ihnen umgedreht. Die Mädels, die ihn bisher belagert hatten, mussten zurück in ihre Vorlesungen. Zum ersten mal sah Lyrika etwas in seinem Gesicht, dass anders war als dieser glückliche, ja nahezu unschuldige Ausdruck: Seine Stirn war in Falten gelegt, seine Mimik hart und kühl. Er blickte Eric nach. Schließlich wanderte sein Augenmerk zu ihr. „Wer war das?“, fragte er. Lyrika zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, er heißt Eric. Ich kenne ihn nicht, aber offenbar sind wir in einem Kurs.“ „Rede nicht mit ihm“, herrschte Perry sie nun an, was sie dazu veranlasste ihre Augenbrauen hochzuziehen. „Wie bitte?“, fragte sie als habe sie sich verhört. „Ich sage, du sollst nicht mit ihm reden“, wiederholte er sich und wollte dann weiter essen, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass er sie so herumkommandieren konnte. Für wen hielt er sich? Für ihren Freund? „Du kannst heute Nacht woanders pennen!“, rief Lyrika und stand ruckartig auf, sodass ihr Stuhl nach hinten kippte. Vielleicht reagierte sie über, aber das war ihr alles einfach zu viel. Erst starb er in ihren Armen, sie belebte ihn wieder, dann war er im Krankenhaus nicht auffindbar und sie hatte ihn fast wieder verdrängt, als er plötzlich vor ihrer Tür stand. Sie bot ihm eine Bleibe und kümmerte sich um ihn, weil er unter Amnesie litt. Dann zog er hier in der Uni alle Aufmerksamkeit auf sich, zerrüttete einfach ihr friedliches Leben. Schließlich kam auch noch irgend so ein Eric daher, der plötzlich ‚angeblich‘ ein Auge auf sie geworfen hatte und als ob das alles nicht schlimm genug war, herrschte er sie jetzt auch noch an. Nein - das war zu viel. Sie wollte einfach ihr altes, einsames Leben zurück! Lyrika wandte sich um und verließ schnellen Schrittes die Mensa. Perry ließ sie einfach zurück. Du kannst mich mal! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)