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Stolen Dreams Ⅶ

von

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5. Kapitel

Es dauerte keine 24 Stunden, bis Fabian seinen ersten und letzten Fluchtversuch wagte. Luca kriegte davon nicht viel mit, außer dass mitten in der Nacht plötzlich Lärm im Haus entfachte. Türen wurden geknallt, wütende Schreie und panische Laute hallten durch die Räume und dann ertönte ein Geräusch, das klang, als wäre ein menschlicher Körper mit unnatürlich viel Wucht gegen eine Wand geprallt.

Luca runzelte die Stirn und warf einen Blick auf seinen Wecker. Es war kurz nach halb vier Uhr morgens. Er wartete, bis die Schreie verstummten, ehe er sich in die

Küche aufmachte und ein wenig Wasser trank. Auf dem Weg dahin wäre er beinahe in einer Pfütze ausgerutscht, die sich im Flur befand und ihrer tiefroten Farbe nach zu urteilen Fabians Blut war.

„Lebt der Junge noch?“, fragte Luca, als Marius aus dem Keller kam, in dem er Fabian wahrscheinlich eingesperrt hatte, und die Küche betrat.

„Eine blutende Nase hat noch niemanden umgebracht“, knurrte der Ältere und wusch sich die blutigen Hände sauber. „Der kleine Pisser hat ernsthaft gedacht, dass er eine Chance hätte... so ein Idiot.“
 

Luca erwiderte nichts, sondern trank sein Glas aus und ging wieder ins Bett. Als er ein paar Stunden später von Antonia zum Frühstück gezerrt wurde, meinte er, ein leises Schluchzen aus dem Keller vernehmen zu können, aber er war sich nicht sicher.

Marius erzählte während des Essens, dass er den Jungen erst wieder an dem Tag herauslassen würde, an dem Onkel Lorenzo nach Italien zurückkehrte, aber noch am gleichen Tag änderte er seine Meinung und holte Fabian aus dem Keller.

Der Kleine sah ziemlich angeschlagen aus. Luca bezweifelte, dass er sich bis zu dem Zeitpunkt von Lorenzos Rückkehr erholen würde, denn selbst nachdem er sich das getrocknete Blut vom Körper gewaschen und seine Wunden mit Pflastern versorgt hatte, sah er immer noch so aus, als wäre er unter ein Auto geraten.

Fabian bekam den Auftrag, das Wohnzimmer zu putzen. Während er seiner Arbeit schweigend nachging und sich wie ein verletztes Tier möglichst leise und unauffällig verhielt, saß Luca vor dem Fernseher und langweilte sich.
 

In der Glotze lief nur hirnloser Blödsinn, weshalb Lucas Aufmerksamkeit recht schnell zu Fabian wanderte. Der Kleine putzte die Fenster und sah betrübt zu Boden, als er auf einmal seine freie Hand in seinen Bauch krallte und das Gesicht verzerrte, als hätte er starke Schmerzen. Er warf einen flüchtigen Blick Richtung Küche, bemerkte, dass Luca ihn beobachtete, und widmete sich sofort wieder dem Säubern der Glasscheiben.

„Hast du Hunger?“, fragte Luca, als das Knurren von Fabians Magen die Stimme einer jungen Dame übertönte, die im Fernseher Waschmittel glorifizierte und versprach, dass sich alle Probleme in Luft auflösen würden, sobald man ihre verdammte Chemikalienbrühe kaufte.

Fabian schüttelte schweigend den Kopf und rubbelte über eine Stelle, gegen die Luca vor wenigen Tagen seine Stirn gelehnt hatte, als er überlegt hatte, ob er nach draußen gehen sollte. Der Ältere interessierte sich eigentlich nicht für den Jungen, weil er dessen Schicksal nicht ändern konnte und er bereits genug Probleme mit sich selbst hatte, aber zu sehen, wie der Kleine trotz seiner Schmerzen die Fenster putzte, löste Mitleid in ihm aus.
 

Luca ging in die Küche und dachte darüber nach, was er Teddy zu essen machen könnte. Weil er keine Ahnung hatte, was der Junge mochte, nahm er einfach einen Teller, auf den er Toastscheiben, Käse, getrocknete Apfelringe, Mandeln und ein Croissant legte, und kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo er sich neben Teddy auf einen Sessel setzte und ihm den Teller hinhielt.

Fabian sah Luca entsetzt an und schüttelte den Kopf.

„Dein Vater wird mich umbringen“, sagte er mit seiner schönen Stimme, die brüchiger und leiser als gestern klang. „Er hat gesagt, dass ich nicht einmal ans Essen denken soll, bevor ich nicht das Wohn--“

Bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte Luca ihm bereits vorsichtig eine Toastscheibe zwischen die Lippen geschoben.

„Anscheinend hast du das nicht mitgekriegt, aber mein Vater hat vor 'ner halben Stunde das Haus verlassen“, sagte der Ältere und beobachtete zufrieden, wie Fabian nach dem Toast griff und zu essen begann. „Die einzige Person, die es nicht gutheißen könnte, dass ich dich füttere, ist Antonia, aber die lässt mich eigentlich alles machen, solange ich mir nicht die Arme aufschneide.“
 

Fabian zögerte kurz, ehe er sich einen Ruck gab, den Putzlappen zur Seite legte und auf dem anderen Sessel Platz nahm. Eigentlich konnte er getrost darauf verzichten, ein weiteres Mal von Marius zusammengeschlagen zu werden, aber wen Luca ihn dazu einlud, eine Pause einzulegen und etwas zu essen, müsste das schon in Ordnung gehen...

„Erzähl mir etwas über dich“, sagte Luca, weil er keine Lust hatte, Fabian mehrere Minuten lang anzuschweigen und beim Essen zu beobachten.

„Über mich gibt es eigentlich nichts besonders Spannendes zu erzählen“, nuschelte der Junge und griff nach den Apfelringen. „Meine Eltern kommen beide aus Italien, aber ich wurde in Deutschland geboren, weshalb ich zweisprachig aufgewachsen bin.“

„Echt? Ich finde, die deutsche Sprache klingt irgendwie... hart. Als würden die Sprecher jeden zweiten Vokal verschlucken.“

„Mag sein.“

„Und wie bist du hierher gekommen?“
 

„Nun... Meine Klasse und ich haben eine Klassenfahrt nach Russland gemacht. Wir hatten gerade ein Kunstmuseum besucht, als unser Bus in einer Lagerhalle parkte, in der einige bewaffnete Männer standen. Ich kann mich nicht genau an alles erinnern, es geschah so schnell und so unerwartet... jedenfalls habe ich irgendwie wahrgenommen, dass wir wie Tiere verkauft wurden. Und... anscheinend bin ich bei deinem Vater gelandet.“

Fabian sah betrübt zu Boden und blinzelte einige Male mit seinen blauen Augen, die verdächtig feucht waren.

„Ich denke, ich sollte weitermachen“, sagte er, ehe er den Teller auf dem kleinen Wohnzimmertisch abstellte und sich wieder dem Putzen der Fenster widmete.

Von dieser Interaktion abgesehen hatten Fabian und Luca in den folgenden Tagen nicht viel miteinander zu tun. Letzterer bemerkte, dass Teddy öfters Ärger von Marius bekam – ob das verdienter Ärger war oder nicht, war eine andere Sache – doch wirklich interessieren tat ihn das nicht.

Genau wie viele andere Menschen würde Fabian ebenso schnell aus Lucas Leben verschwinden wie er es betreten hatte und dann würden sie sich wahrscheinlich nie wieder sehen. Also gab es keinen Grund, sich um eine gute Beziehung zu bemühen.
 

Die Zeit verging wie ihm Flug, was vermutlich daran lag, dass Luca die meiste Zeit in seinem Bett oder vor dem Fernseher verbrachte, und schließlich kam der Tag, an dem Onkel Lorenzo nach Italien zurückkehrte und Marius einen Besuch abstattete.

Das Ganze lief wie eine Familienfeier ab. Während die beiden Älteren sich gegenseitig von den Geschehnissen der letzten Wochen berichteten, saß Luca schweigend in einem Sessel und wartete ungeduldig darauf, von dieser Versammlung erlöst zu werden und in sein Zimmer gehen zu dürfen. Er dachte darüber nach, ob es auffiele, wenn er sich jetzt aus dem Staub machen würde, als Marius zu dem Punkt kam, auf den Luca sich schon gefreut hatte. Nicht weil er sich darauf freute, Zeuge zu werden, wie Teddy an einen Pädophilen verschenkt wurde, sondern weil er neugierig auf Lorenzos Reaktion war.

„Schau nur, was ich aus Russland mitgebracht habe“, sagte Marius und schnippte mit den Fingern, was für Fabian das Zeichen war, das Wohnzimmer zu betreten. „Ein hübscher Bursche, nicht wahr?“

Luca spähte unauffällig zu Lorenzo, der leicht irritiert war, aber seine Verwunderung nicht ansprach.
 

„Ähm... ja, ein hübscher Bursche“, sagte Onkel Lorenzo. „Hast du ihn dir als zusätzliche Haushaltshilfe angeschafft? Oder ist er für einer deiner Freunde?“

Komm schon, Dad. Du siehst doch, dass Lorenzo nicht erwartet, diesen Jungen angedreht zu bekommen. Sag einfach, dass du vorhast, ihn in ein Bordell zu stecken oder--

„Oh ja, und er ist für einen ganz besonderen Freund. Ich wollte ihn dir schenken.“

Nailed it.

Luca legte sich die rechte Hand aufs Gesicht und unterdrückte ein nervöses Lachen. Er spreizte Mittel- und Ringfinger, um zu sehen, wie Lorenzo reagierte, und verspürte den Wunsch, sich Teddy über die Schulter zu werfen und gemeinsam mit ihm den Raum zu verlassen.

„Für mich?“, fragte Onkel Lorenzo entgeistert. „Was soll ich denn damit?“

Bin ich der Einzige, dem auffällt, dass die über Teddy reden, als wäre er ein Gegenstand?

„Na was wohl?“, lachte Marius, der nicht einmal ahnte, wie beleidigt sich sein Freund gerade fühlte. „Du sollst ihn...“ Lorenzos ernster Blick ließ ihn verstummen.
 

„Hör mir gut zu“, sagte Lorenzo mit todernster Stimme. „Ich mag ein Pädophiler sein, aber ich habe noch nie ein Kind belästigt und dabei soll es auch bleiben. Ich bin nicht dafür verantwortlich, mit dieser Neigung geboren worden zu sein, aber ich bin dafür verantwortlich, ob ich meine Fantasien in die Realität umsetze oder nicht. Und ich kann dir versichern, dass ich niemals und unter keinen Umständen das Leben eines Kindes ruinieren werde, nur um ein paar Minuten Spaß zu haben.“

„I-ich... ich dachte nur, dass--“

„Du stehst auf Frauen, nicht wahr, Marius?“

„Ähm... ja?“

„Heißt das, dass du dich auf jedes Lebewesen mit Brüsten stützen wirst, sobald du es siehst?“

„N-natürlich nicht.“

„Na also. Bei mir ist es nicht anders. Ich bin kein primitives Tier, das den ganzen Tag nur an Sex denkt.“

Nach diesem Statement herrschte eine peinliche Stille im Wohnzimmer. Luca nahm die Hand von seinem Gesicht und Fabian starrte voller Entsetzen Lorenzo an, der gelassen zu Marius sah, dem eine Schweißperle über die Wange rann.
 

Mal schauen, wie du dich da herausreden willst, Dad.

„Ach, Lorenzo, das war doch nur ein Scherz!“, lachte Marius plötzlich. „Natürlich hatte ich nicht vor, ihn dir zu schenken. War nur ein kleiner Spaß, den ich mir nicht verkneifen konnte, verstehst du?“

Lorenzo wirkte nicht so, als würde er es verstehen, sondern als würde er etwas Hartes nach Marius werfen wollen.

„Wie dem auch sei, Fabian, bring uns Kaffee.“

Teddy ließ sich das nicht zweimal sagen. Er flüchtete in die Küche und Luca, der dank der Spannung zwischen den beiden Älteren endlich eine Gelegenheit gefunden hatte, das Wohnzimmer zu verlassen, folgte ihm. Kaum hatte er jedoch den nächsten Raum betreten, wurde er von Teddy gegen die Wand gedrängt und geschockt angesehen.

„Bitte sag mir, dass das wirklich nur ein dummer Scherz war“, flehte er Luca an, der sich körperlich etwas überrumpelt fühlte. „Sag mir, dass dein Vater mich nicht gerade an einen echten Pädophilen verschenken wollte.“
 

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich, Teddy. Die schlechte ist, dass Dad genau das vorhatte, und die gute ist, dass es ihm nicht gelungen ist. Ich sollte dir wahrscheinlich gratulieren.“

„Das ist nicht lustig, du Wichser.“

„Also... um ehrlich zu sein, finde ich es sehr unterhaltsam. Euch drei zu beobachten, war etwa so spannend wie zu sehen, wie sich ein Schüler mit einem Lehrer prügelt.“

„Und es hätte dich nicht interessiert, wenn ich bei diesem Kerl gelandet wäre?“

„Nein, nicht wirklich.“

Teddy warf Luca einen verächtlichen Blick zu, ehe er Kaffeetassen holte und sie vorbereitete.

„Du bist noch schlimmer als dein Vater“, zischte er im Vorbeigehen, woraufhin Luca gelassen erwiderte: „Ich weiß.“

Der Ältere verbrachte den Rest des Tages damit, in seinem Zimmer Musik zu hören und am Abend eine Konversation mit seinem Vater zu führen, die man mit ''Ich hab's dir doch gesagt'' zusammenfassen konnte.
 

„Sei bloß still“, grummelte Marius und schenkte sich Wein ein. „Ich will von dem Thema nichts mehr hören.“

„Aber du musst noch entscheiden, was wir stattdessen mit Teddy machen, wenn Lorenzo ihn nicht will.“

„Sag mir nicht, was ich zu tun habe und was nicht... wahrscheinlich werde ich ihn weiterverkaufen oder für mich arbeiten lassen.“

Ironischerweise betrat Teddy in genau dieser Sekunde den Raum.

„Für sie arbeiten?“, fragte er zaghaft. „Sie meinen doch nicht etwa...?“

„Nein, du sollst für ihn Ostereier suchen gehen“, zischte Luca und verdrehte genervt die Augen. „Natürlich redet er von Prostitution, von was denn sonst?“

Teddy setzte die gleiche entsetzte Miene auf, die er auch vor Lorenzo gezeigt hatte, und schaute geschockt zu Marius.

„D-das können Sie nicht machen! Ich bin erst 16!“

„Ja, 16 ist ein schwieriges Alter“, stimmte Luca zu. „Für normale Bordelle bist du zu jung und für die speziellen Bordelle zählst du zum Gammelfleisch.“
 

Das schien Teddy nicht im Geringsten zu beruhigen, was aber auch nicht Lucas Absicht gewesen war. Er wusste, dass es ziemlich gemein war, den Jungen so anzustacheln, aber irgendwie war es auch lustig.

„B-bitte, ich... ich kann für sie kochen, putzen, alles machen; ich-- bitte lassen sie mich hier im Haus arbeiten.“

Luca kicherte leise, was Teddy den Rest gab. Der Kleine drehte sich wütend zu ihm um und funkelte ihn herausfordernd an.

„Dein Vater hat gesagt, dass du selbstmordgefährdet seist. Ich weiß nicht, wer oder was dich dazu getrieben hat, aber ich weiß, dass du es verdient hast. Du bist einer der widerlichsten Personen, die ich je kennenlernen musste.“

Luca kicherte erneut, aber diesmal klang es nicht humorvoll, sondern kalt und selbstsicher.

„Ich hätte eigentlich kein Problem damit gehabt, dich hier im Haus zu haben, aber meine Ansicht hat sich soeben geändert. Dad, kannst du ihn bitte möglichst weit wegschicken? Ich hasse Menschen, die wenig Ahnung, aber viel Meinung haben.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  mor
2017-10-01T15:31:29+00:00 01.10.2017 17:31
die beiden sind weit davon endfernt jemals sowas wie Freunde zu werden
Antwort von:  Laila82
17.12.2017 16:00
Das sehe ich anders. Luca braucht jemanden der ihm Kontra gibt und mal die Grenzen zeigt. Die Beiden würden sich gut ergänzen.


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