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Stolen Dreams Ⅶ

von

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3. Kapitel

Jedes Mal, wenn Antonia das Haus ihres Bosses und guten Freundes Marius betrat, hatte sie die Befürchtung, Marius' Sohn Luca tot oder blutend im Badezimmer liegend vorzufinden. Der junge Mann hatte vor fast zwei Wochen versucht, sich das Leben zu nehmen, und stand nun unter Beobachtung, weil jeder mit der Angst lebte, er könnte einen zweiten Versuch wagen und es diesmal wirklich schaffen.

„Guten Morgen, Luca“, sagte Antonia und betrat sein Zimmer, das genau wie Luca selbst eine deprimierende Ausstrahlung besaß. Die Jalousien waren zugezogen, sodass kaum Licht in den Raum fiel, auf den Büchern und dem Laptop lag eine hauchdünne Staubschicht und alles war so aufgeräumt worden, dass es den Eindruck erweckte, Luca wollte ausziehen.

„Luca? Hey, bist du wach?“, fügte Antonia hinzu, als von dem jungen Italiener keine Reaktion kam. „Frühstück ist fertig.“

„Schön für das Frühstück“, erwiderte eine mürrisch klingenden Stimme.

„Komm schon, Luca, steh auf. Du kannst nicht den ganzen Tag im Bett verbringen.“

Angesprochener knurrte etwas Unverständliches, ehe er sich aufrecht hinsetze und langsam aus dem Bett quälte.
 

Obwohl Antonia ihn schon unzählige Male gesehen hatte, war sein Anblick jedes Mal ein Schock für sie. Lucas Körper war durchschnittlich groß, aber abgemagert und äußerst knochig. Seine blasse Haut besaß im Schatten einen ungesund aussehenden Grauton, seine Hände und Füße waren so sehnig wie die einer Leiche und seine Unterarme und Oberschenkel waren mit Narben, Kratzern und Schnitten übersät, die der junge Mann sich selbst zugefügt hatte.

„Hast du irgendwelche neuen Verletzungen?“, fragte Antonia, wofür sie einen bösen Blick erntete. „Tut mir ja leid, aber ich muss dich das fragen. Dein Vater verlangt das von mir.“

„Dann solltest du vielleicht aufhören, dich wie seine Hure zu verhalten und... sorry, ich habe schlechte Laune.“

„Schon gut, ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast. Also, kommst du dann gleich zum Frühstück?“

„Wenn's unbedingt sein muss.“

Auf seinen flechsigen Beinen ging Luca zu seinem Schrank, aus dem er ein graues T-Shirt und eine dunkle Jeans herausholte. Anschließend folgte er Antonia ins Esszimmer, das im Vergleich zu seinem Raum stark beleuchtet war, setzte sich an den Tisch und starrte ausdruckslos den Kaffee an.
 

„Guten Appetit“, sagte Antonia, aber das schien Lucas Motivation, etwas zu essen, nicht zu steigern. Seine bernsteinfarbenen Augen lösten sich von der Kanne und sahen stattdessen Antonia an, die Luca gegenübersaß.

„Das Essen wird nicht von alleine in deinen Magen fliegen“, sagte sie lächelnd. „Na los, iss etwas.“

„Ich habe aber keinen Hunger.“

„Das ist mir egal. Marius hat gesagt, dass du auf jeden Fall etwas essen sollst, weil du fast von den Knochen fällst.“

„Na und?“

„Ist das etwa deine neue Methode, dich umzubringen, oder was soll das werden?“

„Ich bitte dich, man braucht viel zu lange, um zu verhungern. Bis ich abgekratzt bin, habt ihr schon längst etwas dagegen unternommen. Verdursten geht viel schneller.“

„Gut, dann trinkst du bitte etwas.“

Luca verdrehte genervt die Augen, ehe er sich Kaffee einschüttete, an der Tasse nippte und Antonia genervt ansah.

„Das Zeug ist nur lauwarm.“

„Ja. Weil du dich letzte Woche absichtlich damit verbrüht hast.“
 

Luca seufzte und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. Mit seinen langen schmalen Fingern raufte er sich das schwarze Haar und starrte sein Gegenüber so hasserfüllt an, als wünschte er sich, dass Antonia vor seinen honigfarbenen Augen das Zeitliche segnen würde.

„Nein, Luca, ich werde mich nicht in Luft auflösen. Das kannst du so viel hoffen, wie du willst, das wird nicht passieren“, sagte sie gelassen. „Wie dem auch sei, würdest du jetzt bitte etwas essen? Dein Kaffee wird kalt... oder noch kälter als er ohnehin schon ist.“

„Ich habe keinen Hunger.“

„Das ist mir egal.“

„Mir ist schlecht.“

„Das Symptom kam aber 'n bisschen plötzlich, findest du nicht auch?“

„Ich meine das ernst; ich will nichts essen.“

„Und ich meine das auch ernst; dein Vater wird mich umbringen, wenn er wieder nach Hause kommt und sieht, dass du kurz vorm Verhungern bist.“

„Ich glaube eher, dass er dir einen Geschenkkorb überreichen würde.“
 

Antonia seufzte.

„Geht das jetzt schon wieder los? Zum letzten Mal, Luca, dein Vater hasst dich nicht und ist auch nicht enttäuscht von dir.“

„Du hast doch keine Ahnung... ich soll später die Familie übernehmen, aber wie soll ich mich um eine Gruppe von Menschen kümmern, wenn ich mich nicht einmal um mich selbst kümmern kann?“

„Das hat doch noch Zeit.“

„Außerdem bin ich ein Schwächling, der sich lieber das Leben nehmen würde, anstatt seine Probleme zu beseitigen, und jeder weiß das.“

„Du bist kein Schwächling, Luca. Wir kennen deine Geschichte und wissen, dass du es nicht einfach hattest.“

„Ach ja? Und warum ist Dad dann alleine nach Russland gereist? Weil er sich nicht traut, seinen inkompetenten und nutzlosen Sohn mitzunehmen?“

„Das habe ich dir schon hundertmal erklärt, aber ich kann es dir auch ein weiteres Mal erklären. Marius hat dich zurückgelassen, weil er sich um dich und deine mentale Gesundheit sorgt.“
 

„Das glaubst du doch selbst nicht“, fauchte Luca, ehe er sich vom Tisch erhob und in sein Zimmer gehen wollte, was Antonia jedoch verhinderte.

„Junger Mann, es reicht. Entweder kommt du jetzt zurück oder ich sorge dafür, dass man dich in Zwangsjacke zum Krankenhaus bringt, wo man dir ein Rohr in den Magen schieben und dich mit komischer Flüssignahrung abfüllen wird. Ist dir das lieber?“

Luca gab sich schließlich geschlagen und schaffte es irgendwie, sich ein halbes Brötchen und einen Tee in den Rachen zu zwängen. Das Essen schmeckte wie Pappe und danach war ihm schlecht, aber Hauptsache, Antonia gab endlich Ruhe.

„Was wollen wir heute tun?“, fragte sie, während er noch kaute. „Schach spielen? Einen Spaziergang am Strand machen? Oder vielleicht--“

„Gar nichts davon. Ich möchte--“

„Nein, Luca, du wirst dich nicht für den Rest des Tages in dein Zimmer zurückziehen. Wir machen etwas an der frischen Luft oder gehen dahin, wo viele Menschen sind.“

„Aber ich hasse Menschen. Und dich erst recht.“

„Dankeschön.“

„Gern geschehen.“
 

Die beiden diskutierten so lange weiter, bis es damit endete, dass Antonia Luca zu einem Spaziergang am Strand nötige. Einige Stunden später hatte er einen Termin bei seiner Psychotherapeutin, die ihn seit dem Tag, an dem er nach seinem Selbstmordversuch im Krankenhaus aufgewacht war, belästigte. Sie versuchte, mit ihm zu reden und herauszufinden, ob er ''nur'' an Depressionen oder auch an etwas anderem litt, aber er ignorierte sie und verweigerte ihr die Kooperation.

„Luca, so kann das nichts werden!“, sagte sie verzweifelt. „Wenn du nicht willst, dass man dir hilft, dann kann dir auch niemand helfen!“

„Das kann sowieso niemand“, knurrte er mürrisch. „Ich werde meine Probleme nicht los, indem ich sie so lange berede, bis Ihnen die Ohren bluten. Und Ihr Mitleid brauche ich nicht; heben Sie sich das für jemand anderen auf.“

Die Psychotherapeutin gab nicht auf, aber ihre Mühe war vergebens. Genau wie alle anderen Sitzungen kam sie nicht von der Stelle und hatte absolut gar nichts erreicht, außer dass Lucas Laune sich verschlechtert hatte, weil er der Meinung war, seine Zeit zu verschwenden.
 

Es folgte ein Mittagessen, dessen Einnahme fast genauso schwierig wie das Frühstück war. Nur dank Antonias Geduld und Redegewandtheit gelang es ihr, das Essen in Luca hinein zu reden, dessen Laune mit jeder vergangener Minute sank. Er wollte nichts essen oder mit irgendwelchen Leuten reden, sondern sich in sein Zimmer verkriechen und nie wieder herauskommen.

Zu blöd nur, dass Antonia andere Pläne für ihn hatte.

„Also, wie wollen wir den Nachmittag rumkriegen? Hast du doch keine Lust auf Schach?“

„Nein.“

„Wir können auch ein anderes Spiel spielen oder--“

Der Rest ihres Satzes ging in dem Läuten der Türklingel unter. Während Antonia sich zur Haustür aufmachte, hing Luca teilnahmslos auf dem Esstisch und beobachtete, wie der Staub, der von den goldbraunen Sonnenstrahlen beschienen wurde, auf seine blasse Hand rieselte.

„Hallo, Luca.“

Als er ihre Stimme vernahm, spürte er, wie ein Ruck durch seinen Körper ging. Ein Teil in ihm wollte zu ihr, aber der andere wollte von ihr weg, was dazu führte, dass Luca sich fühlte, als würde sein Inneres zerreißen.
 

„H-hallo, Chiara“, antwortete er und sah zu der jungen Frau, die ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Abscheu betrachtete. „Schön dich zu sehen.“

Sie erwiderte vorerst nichts, sondern blickte mit so viel Ekel auf ihn herab, als würde sie in ein Klo sehen.

„Ich habe gehört, was passiert ist“, sagte sie. „Du hast versucht, dich umzubringen.“

„Ich weiß... das war wohl keine so gute Idee.“

„Das ist dir aber schnell aufgefallen, Sherlock. Warum kannst du nicht wenigstens ein einziges Mal nachdenken, bevor du handelst?“

„Weiß nicht.“

„Du bist echt gewöhnungsbedürftig. Machst uns Angst und jetzt hängst du deinem Vater auf der Tasche, weil man dich nicht alleine lassen kann. Wo ist der gute Mann eigentlich?“

„Urlaub“, log Luca und senkte betrübt den Blick.

„Wahrscheinlich hält er es auch nicht aus, sich ständig um dich kümmern zu müssen.“

„Mag sein...“

„Auch egal, ich bin hier, um dich abzuholen. Schon seit zwei Wochen wohnst du bei deinem Vater; es wird dringend Zeit, dem armen Mann mal eine Pause von dir zu gönnen.“
 

„Findest du mich wirklich so anstreng--?“

„Können wir das ein anderes Mal bereden? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, also beeil dich gefälligst.“

„Ich freue mich auch, dass es dich gibt“, zischte er schnippisch und bereute seine Worte sofort.

„Könntest du mal für fünf Minuten aufhören, dich so aufzuspielen? Verdammt, Luca, du hast mir mit deinem bescheuerten Suizidversuch einen Schrecken eingejagt und jetzt meinst du auch noch, das Opfer spielen zu müssen! Nicht du hast den Anruf von der Polizei bekommen, sondern ich! Hör auf, so verdammt egoistisch zu sein, und denk auch mal an mich!“

„Tut mir leid, ich wollte nur--“

„Wenn du Mitleid suchst, solltest du zu einem Psychologen gehen und dich bei dem ausheulen! Ich habe für so einen Schwachsinn keine Zeit! Schließlich ist es nicht meine Schuld, dass du so unglaublich schwach bist und--“

Plötzlich flog eine Tasse durch das Esszimmer. Sie verfehlte Chiaras Nasenspitze nur knapp und schlug lautstark gegen die Wand, wo sie in viele Einzelteile zersplitterte.
 

„Hoppla, mir ist die Tasse aus der Hand gefallen“, flötete Antonia gespielt unschuldig. Sie konnte gar nicht glauben, was Chiara da gesagt hatte, und noch weniger konnte sie glauben, dass Luca sich das auch noch gefallen ließ. Bei jeder anderen Person nahm er kein Blatt vor den Mund und sprach seine direkte Meinung aus, aber in der Nähe seiner Freundin redete er so vorsichtig, als würden seine Worte auf Eierschalen laufen.

„Oh nein, jetzt liegen hier überall Scherben herum“, fuhr Antonia fort und wandte sich Chiara zu. „Ich denke, es wäre am besten, wenn du nun gehst.“

„Aber... ich wollte Luca--“

„Ich habe gehört, dass du ihn abholen willst, aber das kann ich nicht zulassen. Seine mentale Verfassung--“

„Wer ist das, Luca?“, unterbrach Chiara sie und drehte sich zu ihrem Freund. „Ist das diejenige, die sich Tag und Nacht deine Wehwehchen anhören muss, weil der arme kleine Luca nicht mit seinem Leben zurechtkommt? Oder ist das 'ne Nutte, die dich ablenken soll?“

„Antonia ist bloß eine Freundin von mir.“

„Ja, natürlich, und ich bin der Weihnachtsmann.“

„Nein, du verstehst das falsch. Sie--“
 

„Für wie blöd hältst du mich eigentlich?! Zuerst machst du uns alle nervös, weil du dich umbringen wolltest, dann lässt du es dir hier gut gehen und jetzt besitzt du auch noch die Dreistigkeit, die 'ne neue zu suchen!“

„Nein, sie ist nicht--!“

„Halt die Klappe, Luca! Ich will dich nicht mehr sehen! Du enttäuscht mich jedes Mal aufs Neue und machst mich langsam, aber sicher kaputt! Ich halte dich nicht mehr aus!“

Mit diesen Worten stürmte sie zur Tür. Luca wollte ihr nachrennen, aber Antonia hielt ihn davon ab.

Kaum hatte Chiara ihr Auto erreicht, stieg sie hinein und schlug wütend gegen das Lenkrad. Sie war nicht aufgebracht, weil Luca irgendetwas Falsches getan hatte, sondern weil er sich in dem Haus seines Vaters befand, wo es für Chiara nicht möglich war, ihren Freund zu isolieren und zu manipulieren. Sie wollte ihn noch mehr brechen als sie es ohnehin schon getan hatte und ihn in die Knie zwingen, weil es ihr unglaublichen Spaß machte, eine starke Person zu einem psychischen Wrack zu machen.

Luca war nicht ihr Freund. Er war ihr Spielzeug.

Und sie würde um jeden Preis verhindern, dass sich das änderte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Laila82
2017-04-23T11:47:56+00:00 23.04.2017 13:47
Also Nikita, ich hätte den nächsten Auftrag für dich. Es gibt soviel zu tun.
Antwort von:  Bitterblue1998
14.11.2017 22:38
True
Von:  mor
2017-04-22T18:03:27+00:00 22.04.2017 20:03
Was für Ein Biest...


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