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Stolen Dreams Ⅶ

von

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2. Kapitel

„Fabian, was sind denn das für Noten?! Schau dir das an, 'ne Vier in Mathe! Wie kann man denn eine Vier in Mathe haben?! Ich dachte, Naturwissenschaften liegen dir?!“

„...“

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?! Ich will eine verdammte Antwort von dir haben!“

„...“

„ANTWORTE MIR!“, schrie Dad so laut, dass ihm der Speichel aus dem Mund tropfte. Fabian brachte sich unauffällig in Sicherheit, indem er einige Schritte nach hinten ging, und ließ Dads Geschrei schweigend über sich ergehen.

„Fabian, was ist los mit dir?“, fragte Mom, die zwar auch nicht sonderlich erfreut über das Ergebnis der letzten Matheklausur war, aber mehr Sorge als Wut verspürte. „Schon seit Wochen redest du nicht mehr. Was ist passiert?“

Fabian zuckte mit den Schultern und wartete verzweifelt auf die nächstbeste Gelegenheit, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Er war müde, genervt und schlecht gelaunt.

„Junger Mann, du antwortest uns jetzt“, zischte Dad gereizt. „Rede mit uns!“

Angesprochener schüttelte den Kopf. Er wollte nicht reden, sondern bloß seine Ruhe haben.
 

„Wenn du uns nicht sagst, was das Problem ist, können wir dir auch nicht helfen! Selbst schuld!“

Selbst schuld...

„Kann es sein, dass du das nur machst, weil du Aufmerksamkeit brauchst? Das ist wirklich bescheuert, Fabian!“

Bescheuert...

„Denkst du, dass das cool oder niedlich ist? Vertrau mir, junger Mann, dein Schweigegelübde – oder was auch immer das sein soll – wirkt einfach nur unterbelichtet! Jemand, der nichts sagt, schweigt, weil er dumm ist!“

Unterbelichtet... dumm...

„Ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn! Wenn du nicht mit uns reden willst, ist das dein Problem!“

Blödsinn..., echote es in Fabians Kopf. Er spürte, wie seine blauen Augen feucht wurden, und versuchte, sie wieder trocken zu blinzeln, was ihm jedoch nicht gelang.

Nein! Ich darf nicht vor ihnen weinen! Schnell, denk an etwas Anderes, sonst--!
 

Bevor er es verhindern konnte, liefen ihm die Tränen über die Wangen. Er vergrub das Gesicht in seinen Händen, aber es war zu spät. Dad hatte es bereits gesehen.

„Geh auf dein Zimmer“, raunte er, ehe er sich von Fabian abwandte und zu Mom ging, die ihren Sohn sprachlos anstarrte.

Der Junge nickte und verschwand aus dem Blickfeld seines Vaters, der die Meinung vertrat, dass weinen eine Frauensache war. Männer weinten nicht; das war unmännlich und ein Zeichen von Schwäche.

Kaum war Fabian in seinem Zimmer verschwunden, schloss er die Tür hinter sich ab und ließ seinen Tränen freien Lauf. Eine verhauene Klausur war eigentlich kein Weltuntergang, aber in seinem Fall der eine Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Hör auf, dich selbst zu bemitleiden, sagte er sich. Es gibt Menschen, die es viel schlimmer als du haben.

Er wollte seine Wut, Trauer und Enttäuschung unterdrücken, aber das machte es nur noch schlimmer. Um sich abzulenken, las er ein Buch, aber völlig egal, wie oft er seinen Blick über das bedruckte Papier schweifen ließ, er konnte sich einfach nicht konzentrieren.
 

Schließlich kam es so, wie es kommen musste. Fabian legte das Buch zur Seite, ehe er ausholte – und sich selbst gegen den Kopf schlug. Sein rationales Denken unterdrückend, das ihn daran hindern wollte, hieb er so lange auf seine Schläfe ein, bis ihm der Schädel brummte. Es tat weh, aber diese Schmerzen fühlten sich auf irgendeine Art und Weise befriedigend an. Fast schon als hätte er sie verdient...

Fabian gönnte seinem armen Kopf eine Pause, doch stattdessen fing er nun an, sich die Haut an den Unterarmen aufzukratzen. Zuerst zeigte sein Körper keine Reaktion, aber dann lösten sich kleine Hautpartien in Form winziger Schnüre von seinen Armen. Sie rieselten zu Boden, während Fabian mit dem Kratzen fortfuhr und bemerkte, dass seine Haut an den Stellen ein wenig feucht wurde, ehe sie zu bluten begann. Der Schmerz kam erst danach; es war ein lästiges Brennen, das sich so anfühlte, als hätte man Sand in eine offene Wunde gestreut.

Du bist selbst schuld, flüsterte Dads Stimme in Fabians Kopf. Ich habe keine Zeit für diesen bescheuerten, unterbelichteten und dummen Blödsinn. Wenn du nicht darüber reden willst, musst du alleine mit deinen Problemen klarkommen.
 

„Ich möchte doch darüber reden“, wisperte Fabian so leise, dass er sich selbst kaum verstehen konnte. „Aber ihr werden mir nicht glauben. ''Wie kann ein Mädchen denn einen Jungen vergewaltigen?'', werdet ihr fragen und würde euch darauf keine zufriedenstellende Antwort geben können... ich weiß es nicht. Sie hat mich an Stellen berührt, an denen ich weder von ihr noch von sonst irgendjemanden angefasst werden will.“

Fabian setzte sich an seinen Schreibtisch und tat fast eine ganze Stunde lang nichts anderes außer mit tränenden Augen aus dem Fenster zu starren. Draußen gewitterte es, der Regen trommelte gegen die Fensterscheibe und gelegentlich zuckte ein Blitz über den dunkelgrauen Himmel, der Fabians Stimmung ziemlich gut widerspiegelte. Der Junge fühlte sich betrübt und unbeliebt – so viele Menschen würden sich freuen, wenn er sich verziehen und das schlechte Wetter gleich mitnehmen würde. Insbesondere Mom und Dad, die nicht wussten, was mit ihrem Sohn los war, und sich für seine schlechten Noten schämten.

Langsam erhob sich Fabian von seinem Stuhl und ließ sich stattdessen auf seinem Bett nieder. Am liebsten würde er einschlafen und nie wieder aufwachen, aber er wusste, dass sich Letzteres leider nicht vermeiden ließ. In wenigen Stunden würde man ihn zum Abendessen wecken und dann machte sein miserables Leben dort weiter, wo es aufgehört hatte.
 

Fabian hatte gehofft, dass ihn seine Sorgen wenigstens in Ruhe lassen würden, wenn er schlief, aber sie verfolgten ihn sogar bis in seine Träume und sorgten dafür, dass er ein weiteres Mal erleben musste, wie Clara... diese unaussprechlichen Dinge mit ihm tat. Wie ihre spitzen Fingernägel über seine Haut kratzten, sie mit ihren vor Gier triefenden Augen auf ihn nieder sah und sich die mit Lippenstift beschmierten Lippen leckte. Es war, als wäre alles, was Fabian dazu bewegt hatte, Clara zu seiner offiziellen Freundin zu machen, mit einem einzigen Schlag ihrer geschminkten Wimpern verschwunden. Mittlerweile war sie wieder ganz die Alte, aber Fabian musste ihr nur in das Gesicht sehen, um daran erinnert zu werden, wie sie auf ihm saß, seine Worte als Scherz abtat und einfach weitermachte, obwohl er sie mehrfach darum bat, mit ihrer Handlung aufzuhören. Weil ihm nichts anderes übrig geblieben war, hatte er sie geschlagen, worauf er nicht sonderlich stolz war. Und zu allem Überfluss hatte sie ihm auch noch verziehen, was bedeutete, dass er sie nicht als abgeschlossenes Thema betrachten konnte, sondern immer noch mit ihr rechnen musste.

Müde stieg Fabian aus seinem Bett. Er ließ das Abendessen ausfallen, weil er keinen Hunger hatte, und nahm eine Dusche, um sich abzulenken, was jedoch nicht funktionierte. Als die Wunden, die der Junge sich mit seinen Fingernägeln zugefügt hatte, mit dem Wasser in Berührung kamen, brannten sie wie Feuer. Fabian hätte schreien können und das nicht nur wegen dem körperlichen Schmerz.
 

Nachdem er mit dem Duschen fertig war, trocknete er sich vorsichtig ab und klatschte lieblos ein paar Pflaster auf seine Verletzungen. Anschließend wollte er das Badezimmer verlassen, warf dabei versehentlich einen Blick in den Spiegel und stellte erschrocken fest, wie hässlich er mal wieder aussah. Nicht abgrundtief hässlich, aber seine Nase könnte ruhig etwas kleiner sein, seine Augen ein wenig größer und der Rest seines Gesichtes ein bisschen schöner. Außerdem besaß er diese blöden braunen Locken, die er allzu gerne gegen glatte Haare eingetauscht hätte. Auch seine Augen gefielen ihm nicht; dieses Blau wirkte so auffällig und arrogant, Fabian besäße lieber eine dunkle Augenfarbe.

Um sein scheußliches Aussehen nicht länger ertragen zu müssen, schaltete Fabian das Licht aus und verließ das Badezimmer. Er verkroch sich in sein Zimmer, hörte Musik und las Bücher, um sich irgendwie von seinen Problemen abzulenken. Es gab Menschen, die sich ihren Ängsten und Sorgen tapfer stellten, aber so ein Mensch war Fabian nicht. Er war kein Kämpfer, sondern ein Feigling, der vor seinen Problemen davonrannte und sich von ihnen zu Tode hetzen ließ.
 

In den folgenden Wochen passierte nichts Außergewöhnliches. Fabian wurde von seinen Lehrern gefragt, warum er seine mündliche Beteiligung schleifen ließ, und von seinen Eltern dazu gedrängt, darüber zu reden, warum er so wenig sprach.

„Weiß nicht“, sagte er, als er dem Druck nicht mehr standhalten konnte. „Ich... fühle mich einfach nicht gut.“

„Aber das ist doch kein Grund, so einen Aufstand zu machen“, erwiderte Mom. „Jeder hat mal einen schlechten Tag. Ich auch und trotzdem fange ich nicht an, mich so komisch wie du zu verhalten.“

Darauf wusste Fabian keine Antwort, außer dass er sich für einen kurzen Moment wünschte, jemand würde Mom vergewaltigen, damit sie am eigenen Leib erfuhr, wie es war, wenn man... Nein, das wäre nicht das Gleiche. Mom ist eine Frau; wenn jemand sie missbraucht, wird es eine Anzeige samt Gericht und Verurteilung geben. Und sollte der Fall eintreten, dass man sie nicht ernst nimmt, müsste sie nur etwas davon in den sozialen Netzwerken berichten und schon hätte sie mehrere tausend Menschen hinter sich stehen. Ich sage nicht, dass das schlecht ist – ganz im Gegenteil – aber ich wäre froh, wenn es so etwas auch für Jungs gäbe, die von Mädchen missbraucht worden sind.
 

Fabian fühlte sich, als wäre er in einem Teufelskreis gefangen. Ihm widerfuhr etwas Schlechtes, was total bedeutungslos sein konnte, aber ihn trotzdem über den Rand schubste, woraufhin er sich selbst Schmerzen zufügte, um wieder unter Kontrolle zu kommen. Anschließend tat er so, als wäre alles in Ordnung, und ertrug die seelischen Qualen so lange, bis das Fass wieder überlief und er sich erneut verletzen musste. Langsam, aber sicher rutschte er diese Spirale hinunter und verlor immer mehr Hoffnung. Einmal hatte er seine Eltern darum gebeten, für ihn einen Termin beim Psychotherapeuten zu machen, aber Dad hatte sich geweigert, weil Männer und insbesondere sein Sohn so etwas nicht nötig hätten. Der Mann war das starke Geschlecht und er benötigte von nichts und niemanden Hilfe; erst recht nicht, was psychische Krankheiten betraf, denn Krankheiten waren Schwäche und Schwäche war eine Frauensache. Auch Mitleid, Verständnis und Hilfe waren Dinge, die nur Frauen zustanden.

Manchmal frage ich mich echt, wie Dad das aushält. Ständig spielt er den Macho und geht seinen Weg, ohne hinzufallen oder auch nur zu stolpern. Ich wäre auch gerne so stark und mutig wie er, aber ich bin bloß ein erbärmliches Sensibelchen, das den Charakter von Dads Frauenbild besitzt.
 

Fabian seufzte. Nicht nur seine Persönlichkeit, sondern auch sein Körper war schwach und uninteressant. Zwar war er einigermaßen sportlich, aber mit einer Größe von 1,69 nicht wirklich groß und so breit und stämmig wie Dad war er erst recht nicht.

Warum kann Clara nicht die ganzen Makel bei mir sehen, die ich sehe? Dann wäre ich wenigstens eines meiner Probleme los, hoffte er, aber Clara weigerte sich, von ihm abzulassen. Tag und Nacht schickte sie ihm Nachrichten, fragte ihn in der Schule, warum er ihr nicht antwortete, und wunderte sich, dass er ihr aus dem Weg ging. Fabian war mittlerweile bereits so verzweifelt, dass er sich in den Pausen auf der Jungentoilette einsperrte und immer einige Minuten zu spät zum Unterricht kam, damit Clara ja keine Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen. Natürlich litten auch Fabians Noten darunter, aber das war ihm egal. Sein Zeugnis war ohnehin nicht mehr zu retten, Nachhilfe brachte nichts, weil Fabian sich weigerte und nicht konzentrieren konnte, und obwohl es noch niemand ausgesprochen hatte, stand bereits fest, dass er das Schuljahr wiederholen würde.
 

Außerdem hatte Fabian mit dem Schwänzen angefangen. Er ging nur noch sehr unregelmäßig zur Schule, verbrachte mehrere Stunden im Kino, auf einem Spielplatz oder an sonstigen Orten – einmal hatte er sich sogar in einem Pferdestall herumgetrieben, der den Eltern von seinem Klassenkamerad Kim gehörte – und wunderte sich nicht, als er eines Tages mit einem Lehrergespräch konfrontiert wurde.

Während Frau Kammer über seine unzähligen Fehlstunden sprach, Dad wütend seinen Sohn beschimpfte und Mom fassungslos zusah, blieb Fabian stumm. Er sagte nichts – wozu auch? Sie würden ihm sowieso nicht zuhören und wenn doch, dann würden sie ihm nicht glauben, und wenn doch, dann würden sie das gar nicht machen, sondern nur so tun, und wenn doch, dann wäre es ihnen egal und wenn nicht – dann wüsste Fabian, dass er träumen würde. Denn er war ein Junge und Jungs wurden nicht vergewaltigt; so etwas passierte nur Mädchen.

Der 16-Jährige hoffte, dass sein Leben irgendwann wieder bergauf gehen würde und er in der Lage wäre, das Licht am Ende des dunklen Tunnels zu sehen, doch es wurde nicht besser. Alles blieb beim Alten, die Lehrer beschwerten sich, Mom und Dad waren ratlos, Clara nervte und mittlerweile wünschte sich Fabian, dass jenes Licht am Ende des Tunnels nicht der Ausgang, sondern ein Zug war, der ihn von dieser Qual erlösen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Usaria
2017-04-14T20:43:42+00:00 14.04.2017 22:43
Huuu! Armer Fabian. Da bittet er seine Eltern um fachliche Hilfe und dann kommt so ein doofer Spruch: "Männer sind stark! Männer brauchen so was nicht!" Grrrrrrr! Yukito darf ich vorbei kommen und den Eltern ein scheuern! Klar das wägst sich schon wieder aus! Klaro! Ich könnt platzen vor Wut! Genauso haben alle Erwachsene in meinem Umfeld reagiert! Das Ende vom Lied! Ich hab ne Persönlichkeitsstörung entwickelt!
Also Fabian, Felix und Riley mit diesen dreien kann ich sowas von mit fühlen.
Antwort von:  Laila82
14.04.2017 23:11
Ich kann am ehesten Alexander nachfühlen und Sebastian auch ein wenig. Ich glaub die Eltern sind einfach eine andere Generation. Das ist keine Entschuldigung, aber das ist glaub nicht nur in der Ffso.
Antwort von:  mor
22.04.2017 19:28
Das mit der anderen Generation glaube ich auch.....aber es kann auch daran liegen das viele Menschen dieses Schubladen Denken haben
Von:  Laila82
2017-04-14T20:03:41+00:00 14.04.2017 22:03
Shit. Egal ob Frau oder Mann, niemand hat das Recht mit jemandem anderen etwas zu tun was derjenige nicht will. Warum soll ein Mann keinen Psychiater brauchen? Quatsch, immer diese veralteten Ansichten.
Antwort von:  Yukito
14.04.2017 22:09
Und schon wieder hast du etwa drei Sekunden, nachdem ich ein Kapitel hochgeladen habe, ein Kommentar dazu geschrieben. Das wird langsam unheimlich .-.
XD
Antwort von:  Mamesa
14.04.2017 23:02
😂vieleicht hat sie sich ja in deinen Computer gehäckt und liest vorher schon alles mit

Und zum Kapi
Echt krass bin gespannt wie das weiter geht
Antwort von:  Laila82
14.04.2017 23:04
Mir werden Fähigkeiten unterstellt... Sorry, aber von Technik hab ich mal so gar keine Ahnung.
Antwort von:  Mamesa
14.04.2017 23:05
Schade 😅
Muss wohl ne andere Erklärung her


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