Hochzeitskuss von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 1: One-Shot ------------------- Das vierte Mal, das er versuchte, betont langsam und ruhig ein und aus zu atmen, verschluckte er sich an der Erinnerung an die furchtbare Mütze, die er einmal getragen hatte, um seine neue Haarfarbe zu verstecken. Hustend ließ er sich auf die Sofalehne plumpsen und seufzte. Seine Hand zuckte, als er sich davon abhielt, seine Frisur zu ruinieren. Heute nicht. Jemand lachte. „So nervös?“ – „Natürlich!“ Aguri sprang sofort wieder auf die Füße. Wie könnte er nicht nervös sein? Natürlich war er nervös! Kein normaler Mensch wäre nicht nervös! Und dass sein Freund – Verlobter. Beinahe-Ehemann!!! – gerade nicht hier war, machte auch nichts besser! Also. Vielleicht doch. Aber eher nicht.   „Wenn du peinlich aussiehst, lass ich dich einfach stehen.“   Aguri hatte die Drohung nicht vergessen. Sah er dämlich aus? Reflexartig sah er an sich hinunter. „Du siehst gut aus“, kommentierte Rafa gutmütig – der dunkelhaarige Brasilianer kannte das Drama immerhin schon. Wie oft hatte Aguri ihm in den Ohren gelegen? Sicher oft. Ihm. Seinem Trainer Akki. Dessen Frau Regina. Jedem, der es hatte oder nicht hatte hören wollen. Seiner Schwester, die irgendwann nur noch mit Prügel gedroht hatte. Noch ein prüfender Blick hinunter, ein unnötiges Glattstreichen seines Hemdes, dann hob er den Blick auf die Uhr. Immer noch zu früh. Rafa war seinem Blick gefolgt, bemerkte er nach kurzer Zeit. „Wir können auch schon los“, bot er an, „Und extra langsam fahren, damit wir uns nicht die Beine in den Bauch stehen.“   Natürlich fuhren sie am Ende nicht extra langsam. Hätte Aguri auch gar nicht ausgehalten. Autofahren war langweilig genug, wie es war, aber langsam Autofahren war eine reine Folter.     ***     „Hen-!“   Aguri stoppte sich selbst, als ihm wieder einmal bewusst wurde, dass die Zeiten, dass er Henri laut hinterherrufen und auf eine Reaktion hoffen musste, schon lange vorbei waren. Unwillkürlich grinste er. Es war einer dieser Blicke, die bei seinem Verlobten – Fast-Ehemann, erinnerte er sich mit rasendem Herzen – in der Regel für genervtes Augenrollen sorgten. (Er hatte viele solcher Blicke. Henri war trotzdem immer noch da.)   Es war immer noch sehr unglaublich, wie viel sich verändert hatte, seit er damals spontan beschlossen hatte, sich unbedingt mit diesem Kerl anfreunden zu wollen. Und der Weg war hart und steinig und chaotisch gewesen – voller Pleiten und Peinlichkeiten (Er erinnerte sich an die peinliche Aktion in Henris Hotelzimmer. Woher hätte er auch wissen sollen, dass der Kerl scherzte?! Mit diesem nichtssagenden Blick?!), aber mindestens tausendfach so vielen schönen Dingen. Und er hatte hierher geführt. Das war unbezahlbar.   Unbezahlbar wie die Tatsache, dass Henri ihn nicht stehen ließ. „Du siehst nicht so schlimm aus, wie ich gedacht hätte“, kommentierte er trocken, was für Aguri gleichbedeutend mit einem riesigen Kompliment war. (Er war aber auch ein bisschen optimistisch.) Unbezahlbar wie die Eheringe, die sie austauschten, in relativ kleinem Kreis, weil ehrlich, großen Trubel hatten sie bei allen Eiskunstlaufturnieren schon genug. (Vor allem, wenn gewisse Kanadier dabei waren… und das waren sie eigentlich immer.) Ein paar Freunde, Familie – und das reichte doch auch. Aguri, so gern er Action und Trubel mochte, war eigentlich nur froh, dass gerade nur so wenige Menschen da waren, mit denen er seinen Ehemann teilen musste.   Unbezahlbar wie der Hochzeitskuss.     ***     Stunden später war es vorbei, die kleine Hochzeitsgesellschaft hatte sich aufgelöst, die teuren Anzüge wurden eingetauscht gegen bequeme Schlafklamotten. Wenn er ehrlich war, Aguri hatte sich die ganze Verheiratetsein-Kiste um einiges beeindruckender vorgestellt. Aber es war immer noch – sie waren immer noch die gleichen Personen. Saßen auf dem Sofa, während im Fernsehen irgendetwas lief, das Aguri eingeschaltet hatte, um es dann doch nicht zu verfolgen. Henri aß Kuchen; ein Überbleibsel der Hochzeitstorte. Aguri knisterte nachdenklich mit dem Bonbonpapier, aus dem er eben noch sein Kirschbonbon ausgewickelt hatte. Sein Blick fiel auf den Ring an seinem Finger, sein Magen machte einen Purzelbaum und sein Herz hüpfte. „Du grinst schon wieder so dumm.“ Lachend lehnte er sich gegen Henri. Sein leerer Teller mit ein paar letzten Kuchenkrümeln stand inzwischen auf dem Wohnzimmertisch. Er warf sein Bonbonpapier mit darauf.   „Es stört dich nicht.“ „Doch.“ „Du bist trotzdem hier.“   „…“   Aguri reckte sich, um einen Kuss auf Henris Mundwinkel zu hauchen. Wenn er allzu griesgrämig war, würde er ihm jetzt die kalte Schulter zeigen. Wenn nicht… Warme Lippen streiften seine. Der Kuss schmeckte vertraut, nach süßer Torte und Kirschbonbons. Hochzeitsküsse waren toll und einzigartig, keine Frage. Und Aguri würde sich noch lange, lange an seinen erinnern, aber eigentlich fand er, die Küsse, die nach der Hochzeit kamen, waren noch viel besser. Immerhin waren sie unlimitiert und schmeckten nach gemeinsamer Zukunft. (Und gemeinsamer Vergangenheit, die überhaupt erst hierher geführt hatte.)   „Hey, Henri.“ „Mh.“ „Glaubst du mir jetzt eigentlich endlich?“ „–was?“ „Ich bin immer noch da.“   Henri antwortete nicht. Eigentlich brauchte Aguri auch keine Antwort mehr, schon seit einer ganzen Weile. Ihr Leben sprach für sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)