Blutsbande von Cedar ================================================================================ Kapitel 3: Teil 1. Verschwörung. Verrat. Shōgi (2/2). ----------------------------------------------------- XI No hope for the hopeless I can see the pieces all laid out in front of me No point even asking why Couldn't help even if you tried Step aside or you might just be the next contestant to feel the brutality [The Curse – Disturbed] An alle Dorfbewohner: zieht euch sofort in die Evakuierungstunnel zurück! Das ist ein Befehl des Hokage! Konoha ist in Gefahr! Helft euch gegenseitig! Alle Ninja versammeln sich auf dem 34. Übungsgelände! Wartet auf weitere Befehle! – Nara Shikaku hielt die Hand seines Sohnes, als der Ruf zum ersten Mal durch die Straßen von Konoha hallte. Sie standen im Eingangsbereich ihres Hauses, zwei Mitgliedern der Konoha Keimu Butai gegenüber. Kōdō-kihan?, hörte Shikaku sich in seiner Erinnerung fragen, in der er Shikamarus kleine Hand automatisch fester drückte. Einer der Polizisten nickte. Leider, Nara-san. Und der zweite fügte hinzu: Sie sollen sich umgehend im Konferenzraum der Hokage-Residenz melden. Shikaku spürte Shikamarus fragenden Blick auf sich ruhen. Ein Blick, der flaues Kitzeln in seinem Magen weckte. Alles in Ordnung, mit der freien Hand tätschelte Shikaku über den braunen Haarschopf seines Sohnes, Du brauchst keine Angst zu haben. Ich hab' keine Angst, erwiderte der Junge. Warum? Hast du etwa Angst? Wovor? Shikaku schwieg. Hinter ihnen trat Yoshino aus der Küche. Um den Körper trug sie eine weiße Schürze mit braunen Soßenflecken. Shikaku?, fragte sie zögerlich und sah an ihm vorbei zu den beiden Agenten der Keimu Butai. Dem unsicheren Schimmern in ihren dunklen Augen nach zu urteilen, hatte sie den Ruf von der Straße ebenfalls gehört. Shikaku erinnerte sich daran, wie er dachte, dass ihr das nicht stand – dieses Zögerliche, diese Unsicherheit. Er mochte es lieber, wenn ihre Augen vor Angriffslust Blitze schlugen (selbst wenn sie dann meistens einen harten Gegenstand nach ihm warf). Kōdō-kihan. Als Shikaku das sagte, sog sie scharf die Luft ein. Beeil' dich und bring' den Jungen in Sicherheit. Yoshino nickte. Ohne irgendwelche Fragen zu stellen, verschwand sie noch mal kurz in der Küche. Vermutlich um den Herd abzuschalten, denn eigentlich kochte sie gerade das Abendessen. Als sie in den Flur zurückkehrte, trug sie keine Schürze mehr. Und was ist mit dir?, fragte sie, als sie sich im schmalen Flur an ihm vorbei schob. Sie nahm Shikamarus freie Hand und Shikaku ließ auf der anderen Seite los. Er verspürte den Drang sie zu küssen und fragte sich, warum er es nicht getan hatte. Der Hokage scheint andere Pläne für mich zu haben. Mit sanften Druck schob er Yoshino an den Schultern Richtung Haustür. Sie zog Shikamaru an der Hand mit. Was immer uns erwartet, vielleicht sieht er noch eine Möglichkeit, diese Krise doch abzuwehren. Oder er braucht mich für einen Schlachtplan. Ich weiß es nicht. Sei trotzdem auf alles vorbereitet. Otō-san? Shikaku erkannte keine Angst in den Augen seines Sohnes, nicht mal Unsicherheit. Der Junge konnte wahrscheinlich noch nicht wirklich verstehen, was hier vor sich ging. Und Shikaku war dankbar dafür. Es ist alles in Ordnung, Shikamaru. Du brauchst keine Angst zu haben. Das waren seine letzten Worte an das Kind, bevor es mit seiner Mutter das Haus verließ. Sie verschwanden aus Shikakus Blick und einen Augenblick lang hatte er das schmerzhafte Gefühl, es sei für immer. Was steht uns wirklich bevor?, fragte er, als er mit den beiden Uchiha der Konoha Keimu Butai allein war. Jetzt, wo Shikamaru außer Hörweite war, glaubte er, jede noch so schlimme Nachricht ertragen zu können. Es tut mir leid, Nara-san, sagte einer der beiden. Seine Augen funkelten. Wir haben auch keine Details, nur Anweisungen. Shikaku konnte sich beim besten Willen nicht mehr an das Gesicht dieses Uchiha erinnern; nicht mal, ob es überhaupt ein Er oder vielleicht doch eine Sie gewesen war. Nur die funkelnden Sharingan-Augen sah er immer noch ganz deutlich vor sich. Mann oder Frau – wie kann man so etwas vergessen?! „Mein Sohn besucht seit ein paar Wochen die Akademie.“ Fugakus Stimme zwängte sich so gewaltsam in Shikakus Gedanken wie ein Mann seinen Unterleib zwischen die Schenkel einer unwilligen Frau. „Ich glaube erst in derselbe Klasse wie-... Wie heißt dein Sohn noch mal?“ „Shikamaru.“ Als Shikaku den Namen seines Sohnes aussprach, spürte er ein Ziehen in seinem Herzen. Kalter Schweiß benetzte seinen Nacken: Er ist gestorben! Ich habe meinen Sohns sterben sehen! Ohne, dass Shikaku sich dagegen wehren könnte, sah er es wieder – Blut (Wie kann aus so einem kleinen Körper so viel Blut strömen?), geplatzte Haut (Geplatzt wie ein Luftballon – peng!) und einen roten, stückigen Brei mit Knochensplittern (Sein Herz! Wo ist sein Herz?!). Shikaku versuchte sich klar zu machen, dass das nicht wirklich passiert war. Shikamaru geht es gut. Er lebt. Das ist nie geschehen. Es ist geschehen!, donnerte ein empörter Teil seines Verstandes dagegen. Dein Sohn ist gestorben! Du hast es gesehen! Seine zerfetzte Leiche lag zu deinen Füßen! Es mag nur ein Trugbild gewesen sein, aber deine Gefühle waren echt. Du hast es geglaubt. Du hast geglaubt, dass er tot sei, und weil du es geglaubt hast, war das für eine gewisse Zeit deine Realität. Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt, in Shikamarus Blut zu knien. Und das ist genau das, was er wollte. Er wollte, dass du dieses Gefühl kennenlernst! Fugaku nickte und Shikaku erschrak, weil er einen kurzen Augenblick glaubte, es sei eine Reaktion auf seine Gedanken. Die Lippen des Uchiha verzogen sich zu einem freudlosen Grinsen. Gleich lacht er wieder, dachte Shikaku. Gleich lacht er wieder. „Ach ja, richtig – Shikamaru.“ Fugaku lachte tatsächlich auf und es war unheimlich, wie ehrlich und herzlich sein Lachen klang. „Ja, der ist in Sasukes Klasse. Dann weißt du sicher, was sie erst vor ein paar Tagen im Unterricht durchgenommen haben...“ Fugaku fischte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der linken Tasche seines Haori und klappte es auf. Wie zum Beweis hielt er es nach oben. Das Papier war zwei Mal gefaltet worden – ein mal längs, ein mal quer. Die Knicke überschnitten sich in der Mitte des Blattes und teilten es so in vier Rechtecke auf. Kōdō-kihan, stand da in etwas verwackelter, aber ansonsten erstaunlich sorgfältiger Kinderhandschrift geschrieben, ist die Bezeichnung für das Sicherheitsprotokoll der höchsten Krisenstufe. Es umfasst drei Punkte: Dorfbewohner evakuieren. Streitkräfte formieren. Anweisungen befolgen. Sobald eine Einheit (z.B. Spionage-Abteilung, Anbu, Konoha Keimu Butai etc.) Hinweise hat, dass eine unmittelbare Gefahr für das Dorf besteht und keine Zeit mehr bleibt, um die üblichen Abwehrmaßnahmen (siehe Krisen-Vorschriften 18.4 bis 30.1) zu ergreifen, gilt die Weisung, dem Hokage Meldung zu erstatten und Kōdō-kihan auszurufen. Ab diesem Zeitpunkt unterstehen alle verfügbaren Ninja von Konoha Gakure dem Kommando der Abteilung, die das Sicherheitsprotokoll ausgerufen hat (Hinweis von Iruka-sensei: nur Befehle des Hokage haben eine höhere Priorität): diese Abteilung weiß, was los ist und kann somit am schnellsten Evakuierung und Verteidigung einleiten. Kōdō-kihan soll im Notfall Zeit sparen, indem es die Prioritäten festlegt und Kompetenzgerangel vermeidet. [-> zuhause Otō-san oder Nii-san fragen: kann eine Gefahr, die ganz Konoha bedroht, überhaupt so plötzlich auftreten, dass ein solches Protokoll nötig ist?] Um den Textblock war mit rotem Buntstift ein ordentlicher Rahmen gezogen worden. Darunter folgte eine schematische Darstellung der Kommandokette von Konoha: in grünen Kästen standen stichpunktartig die Pflichten und Autorisierungen der einzelnen Ränge, in blauen dasselbe für die jeweiligen Abteilungen. Das alles war durch leuchtend gelben Pfeilen und Klammern miteinander verbunden, die veranschaulichen sollten, wer wem Befehle erteilen durfte und wer wem gehorchen musste. Shikaku erinnerte sich tatsächlich daran, in den Unterrichtsnotizen seines Sohnes ebenfalls einen kurzen Abschnitt über Kōdō-kihan entdeckt zu haben. Was sich bei Fugakus Jungen jedoch wie ein Lehrbucheintrag las, hatte Shikamaru auf seine ganz eigene Art zusammengefasst: Du spiehlst mit deinen Freunden Versteken. Dabei entdeckst du ein Feuer. Bis du die Feuerwerr allermiert hast wird es sich zu einem geferhlichen Brand ausgebreitet haben. Das weist du. Deshalb hollst du deine Freunde. Weil die nicht wissen wo das kleine Feuer ist, must du es ihnen zeigen und sie müsen auf dich hören, damit ihr das Feuer zusamen auspinkeln könnt, bevor es geferhlich wird. Das ist Kōdō-kihan. Für diese Definition hätte Shikamaru in einem Test wohl nicht nur wegen der Rechtschreibfehler und der unbeholfenen Ausdrucksweise keine Punkte erhalten, aber trotzdem fand Shikaku die Pragmatik in den Worten seines Sohnes beeindruckend, so abstrakt sie auch dargestellt war. Der Junge hatte die Idee von Kōdō-kihan verstanden, mit der sein Vater seinerzeit kurz nach dem Angriff des Kyuubi vor den Hokage getreten war. Shikaku suchte den toten Blick von Sarutobis zertrümmertem Schädel. Der Anblick forderte auch seinen Brechreiz heraus, aber es ging, angesichts dessen, was er im Gen-Jutsu mitansehen hatte müssen. Es tut mir leid, Hokage-sama. Es ist wirklich alles schief gegangen. Momente wie diese hatte Shikaku zuvor schon einige Male durchlebt; Momente, in denen sein Verstand solch überwältigende Kräfte entwickelte, dass die Welt schrumpfte und die Zeit neben der Geschwindigkeit seiner rasenden Gedanken still zu stehen schien. An alle Dorfbewohner: zieht euch sofort in die Evakuierungstunnel zurück! Das ist ein Befehl des Hokage! Konoha ist in Gefahr! Helft euch gegenseitig! Alle Ninja versammeln sich auf dem 34. Übungsgelände! Wartet auf weitere Befehle! Shikaku erkannte, dass alles zusammenhing. Hast du je darüber nachgedacht, wie mächtig Glaube ist? Es war eine lange Kette von Ereignissen. Ein Angriff mit vier Figuren kann nicht schiefgehen. Er sah sie vor sich: alles, was bisher geschehen war, und alles, was noch geschehen würde. Es bedeutet, dass Konoha morgen früh entweder von den Uchiha angeführt wird, oder aber in Trümmern liegt. Es lag vor ihm ausgebreitet, wie die Figuren auf einem Schachbrett. Hast du jemals darüber nachgedacht, wie mächtig Glaube ist? Nicht nur der Hokage, die Ältesten und die Clan-Oberhäupter, nein, sie alle, jeder in Konoha, war ein Teil davon. Auch Yoshino und – bei allen Mächten dieser Welt – sogar Shikamaru: Figuren auf einem Schachbrett, die dank Kōdō-kihan genau da standen, wo Fugaku sie haben wollte. „Vier Figuren“, murmelte Shikaku. Seine rasenden Gedanken bewegten immer noch auf einer anderen Zeitebene als jener, die in Sekunden und Minuten die Realität bestimmte. Seine eigene Stimme klang fremd, irgendwie verzerrt. Als würde sie nicht aus seinem Mund kommen, sondern aus weiter Ferne in sein Ohr dringen. Es kam ihm so vor, als klebte die Zunge an seinen Gaumen. Die Worte erstickten beinahe in Heiserkeit. „Ich habe mein Kind sterben sehen...“ Shikaku dachte an Inoichi, wie er den Namen seiner Tochter kreischte, heulend durchs Zimmer kroch und sich die Haut von der Hand schabte, bis die Knöchel bluteten. „Und da bin ich nicht der einzige...“ „Aber das ist doch nicht wirklich passiert!“ Shikaku drehte das Gesicht zur Seite und blickte in die grauen Augen von Juns Tochter Amaya. Das Mädchen lächelte. Aber es war ein unbehagliches Lächeln, fast so als erwartete sie von Shikaku so etwas wie eine Bestätigung für ihre Worte. „Es war ein Gen-Jutsu. Von Anfang an. Alles, was wir gesehen haben, war nur eine Illusion. Niemand wurde verletzt. Niemand ist gestorben.“ Shikaku lachte auf. Er wollte nicht, aber er tat es – heiser und bitter wie ein Mann, der in seine eigene tödliche Falle getappt war. „Das ist es doch, was es so grausam macht, Mädchen! Shikamaru ist nicht tot. Das weiß ich. Aber er ist gestorben. Er lag da. Ich habe neben ihm auf dem Boden gekniet. In seinem Blut. Die Rippen ragten gesplittert aus seinem Bauch – nicht aus seiner Brust, seinem Bauch. Von seinen Organen war nur roter, stückiger Brei übrig und das Gesicht hing in Fetzen von seinem blanken Schädel! Und sein Herz...“ ...klebte an der Fassade der Marktplatz-Konditorei... „...war einfach weg. Ob Illusion oder nicht, ich habe es geglaubt. Und deshalb ist es, als sei es wirklich passiert: alles, was ich beim Anblick seines verstümmelten Leichnam empfunden habe, war real. Diese Gefühle kamen nicht vom Gen-Jutsu, sondern von mir!“ Shikaku holte tief Luft und schloss die Augen. „Das Kind zu verlieren ist mehr, als der Verstand erfassen kann. Aber das kann man erst verstehen, wenn man eines hat: ich werde meinen Sohn niemals wieder ansehen, ohne mich daran zu erinnern wie ich empfand, als er starb. Ich werde wissen, dass es jederzeit passieren kann.“ „Aber der Geister-Samurai existiert nicht“, murmelte Amaya und dieses Mal war sich Shikaku sicher, dass sie versuchte, sich selbst zu überzeugen. „Er existiert nicht!“ Und das ist die wahre Illusion! Fugakus Leute haben uns dieses... Shikaku wollte 'Monster' denken, aber Amayas Bezeichnung schien ihm passender, ...diesen Geister-Samurai nicht wegen der schönen Dramatik sehen lassen. Sie haben ihn uns gezeigt. Wir sollen wissen, dass er existiert und welchen Schaden er anrichten kann. Auf eine unbestimmte Art und Weise hatten sie es vermutlich alle schon viel früher geahnt, aber jetzt spürte Shikaku förmlich, wie ihre Köpfe aus der unbestimmten Ahnung eine konkrete Erkenntnis formten. Und er spürte, dass Amayas es nicht tat. Nicht etwa weil sie zu dumm war, um es zu erkennen, sondern weil sie mit voller Absicht die Augen davor verschloss. Er existiert nicht, war das, was sie glauben wollte und Shikaku konnte es verstehen. Das Mädchen tat ihm leid, und wenn er gekonnt hätte, hätte er ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Du hast recht, Fugaku, dachte Shikaku und sah dem Uchiha direkt in die Augen. Ob voller Abscheu oder Anerkennung, wusste er selbst nicht so genau. Glaube ist etwas sehr Mächtiges... „Der Geister-Samurai existiert, Amaya“, sagte Shikaku, weil er wusste, dass sie es nicht glauben würde, solange es niemand aussprach. „Das Gen-Jutsu war keine Illusion, sondern eine Vision, verstehst du? Es gab noch keinen Angriff, es wurde noch niemand verletzt und es ist noch niemand gestorben. Aber es kann passieren. So ist es doch, oder Fugaku?“ „Susano'o“, sagte der und musste nicht erklären, dass dies der Name des Jutsu war, das sie im Gen-Jutsu gesehen hatten. Ein Jutsu, das keiner von ihnen kannte, aber dessen Existenz sie auch nicht im geringsten anzweifelten. „Das ist der erste Stein“, sagte Shikaku. „Eine von vier Figuren, die uns matt setzen soll. Und die zweite... Beim Shōgi dürfen Steine, die man vom Gegner erobert hat, auf der eigenen Seite eingesetzt werden, um sie gegen ihn zu verwenden...“ Shikaku stöhnte auf. Sein Verstand entfesselte wieder diese überwältigenden Kräfte: wenn die anderen nur sehen könnten, was er sah. „Wir wissen nicht, ob wir in Konoha sicher sind – wir müssen es glauben. Wir wissen nicht, ob wir einander vertrauen können, wir müssen es glauben. Wir wissen nicht, ob Kōdō-kihan das Dorf vor Unheil beschützen kann, aber sobald es ausgerufen wurde, müssen wir daran glauben. Anders funktioniert es nicht. Fugaku verwendet diesen Glauben gegen uns.“   XII Water shapes it's course according to the ground over which it flows A soldier works out his victory in relation to the foe he is facing Therefore, just as water retains no constant shape In warfare, there are no constant conditions  [The Art of Warfare – Sabaton (ursprünglich aus The Art of War von Sun Tzu)] Es war beinahe unheimlich, wie schnell das 34. Übungsgelände sich mit Menschen füllte. Fast so als wären sie alle nur Schauspieler, die schon die ganze Zeit auf ihren Auftritt gewartet hatten und nun auf die Bühne gerufen worden waren. Vielleicht hatte Hatake Kakashi deshalb die ganze Zeit über das absurde Gefühl, Teil eines Theaterstückes zu sein. Er stand ganz am Rand des Geländes und lehnte mit dem Rücken gegen einen Baum. Die Arme hielt er locker vor der Brust verschränkt. Das Gewicht seines Körpers ruhte auf dem rechten Bein, die Fußsohle seines linken lag flach am Stamm des Baumes, an dem er lehnte. „Die wenigsten werden merken, wie verunsichert sie sind. Sie sind es, aber sie werden es nicht merken. Das ist reine Psychologie: Konoha musste schon viele Krisen durchstehen und egal, wie hart es auch war, wir haben es immer überstanden. Wir haben zusammengehalten und den Krieg überstanden, den Angriff des Kyuubi... Es gibt keinen Grund, warum sie glauben sollten, dass es dieses Mal anders sein könnte. Sie glauben, dass alles gut wird. So wie jedes Mal...“ „Weiß den wirklich niemand was Genaues?“ Kakashi drehte den Kopf zur Seite. Durch die Sichtlöcher seiner Maske entdeckte er einige Meter von sich entfernt im Meer aus Gesichtern die von Shiranui Genma und Namiashi Raidou. Raidou zuckte mit den Schultern: „Ich hab' gehört, Iwa plant eine Großoffensive gegen Konoha.“ „Iwa?“ Zwischen Genmas Lippen steckte eine Wurfnadel. Er nahm sie heraus und rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. „Wer sagt das?“ „Hab's von Iwashi gehört“, antwortete Raidou. „Es gab die Tage wohl Auffälligkeiten an der Grenze.“ Genma nickte verständig. „Späher?“ „Vielleicht.“ Raidou zuckte wieder mit den Schultern. Kakashi konnte sehen, wie er die Lippen zu einem erwartungsvollen Grinsen verzog. „Die Gerüchte werden sich von ganz allein verbreiten. Auch in Zeiten des Friedens ist die Ninja-Welt niemals sicher: beinahe jeder Shinobi schnappt auf Missionen irgendwelche Informationen auf, die potenzielle Bedrohungen für Konoha bedeuten. Wenn es so etwas wie den perfekten Zeitpunkt für Spekulationen gibt, dann ist er jetzt gekommen.“ Kakashis Blick klebte förmlich an Raidous erwartungsvollem Grinsen. Es war das perfekte Bild für die eigenartige Stimmung, die hier auf dem 34. Übungsgelände herrschte – so desorientiert und doch irgendwie voller Zuversicht. Wie ein Theaterstück, dachte Kakashi und diesem Gedanke folgte das Gefühl, dass es nur für ihn aufgeführt wurde. Die bittere Ironie konnte er erst später verstehen: sie waren tatsächlich Statisten in einem Theaterstück, der Inszenierung des Uchiha-Clans. „Absurderweise sind es die Spekulationen und die Fragen, auf die niemand eine Antwort gibt, die die ganze Geschichte authentisch machen. Es gehört dazu. So ist unsere Welt nun mal: voller Intrigen und unvorhersehbaren Katastrophen... Deshalb gibt es Kōdō-kihan. Deshalb hat es eigene Spielregeln. Ohne absolute Kooperation geht es nicht. So lange niemand etwas weiß, müssen sie glauben: die Bedrohung, wie auch immer geartet, wird so lange als real anerkannt, bis das Gegenteil bewiesen ist. Nicht mal die scharfsinnigsten unter ihnen werden es wagen, zu zweifeln.“ „Senpai.“ Kakashi löste endlich den Blick von Raidous erwartungsvollem Grinsen und das Gefühl, Zuschauer eines Theaterstückes zu sein, verging. Ein junger Mann mit braunem Haar trat an ihn heran. Auch er trug eine Maske. Ihre Konturen waren dem Gesicht einer Katze nachempfunden. Grüne, zugespitzte Streifen zogen sich links und rechts über den Kiefer und unterhalb der spitzen Ohren zur Mitte der Maske hin. Rote, zueinander geöffnete Mondsicheln rahmten die Augen mit den Sichtlöchern ein. „Hast du was raus gefunden, Tenzō?“ „Nicht viel“, antwortete Tenzō. „Nur Gerüchte. Die Keimu Butai hat Kōdō-kihan ausgerufen – das ist das einzige, was wirklich fest steht.“ Kakashi nickte. „Ja, ich weiß. Uchiha Yashiro hat hier das Kommando, so lange sein Vorgesetzter sich mit dem Hokage und den Clan-Oberhäuptern berät.“ „Die meisten vermuten einen groß angelegten Überfall durch ein anderes Dorf“, fuhr Tenzō fort. „Kiri, Suna, Iwa – da gibt’s verschiedene Theorien. Der heißeste Kandidat ist Kumo. Wegen des Streits, den es vor ein paar Jahren mit den Hyūga gab.“ „Unser Glaube an alles, wofür dieses Dorf steht, das ist Fugakus zweite Figur. Er hat sie mit Kōdō-kihan erobert, sie unter seiner Kontrolle wieder ins Spiel gebracht und damit nun die Streitkräfte von Konoha außer Gefecht gesetzt. Ganz ohne Gewalt.“ Kakashi runzelte die Stirn. „Nein, auf keinen Fall“, sagte er. „Wenn uns ein Angriff durch feindliche Ninja bevorstünde, wäre es unsinnig, uns an einen Platz außerhalb des Dorfes zu beordern und es ungeschützt zurückzulassen. Ganz abgesehen davon, dass die Konoha Keimu Butai für die Innere Sicherheit zuständig ist. Wenn sie Kōdō-kihan ausgerufen hat, dann wegen einer internen Angelegenheit.“ Tenzō lachte trocken auf. „Fatal genug für das Sicherheitsprotokoll mit der höchsten Krisenstufe? Senpai, da müsste uns schon ein Staatsstreich bevorstehen.“ „Wissen wir etwa, dass es nicht so ist?“ „Und während sie noch abwarten und spekulieren, schließen sich in den Evakuierungstunnel die Bunkertüren... Die Dorfbewohner glauben, sie seien in Sicherheit, aber in Wahrheit sitzen sie in der Falle.“ Tenzō räusperte sich. „Nein.“ „Ganz genau – nein, wir wissen es nicht.“ Kakashi biss sich auf die Lippe. „Die Agenten der Keimu Butai sagen zwar, sie hätten auch noch keine genauen Informationen, aber in Wahrheit halten sie sie nur zurück. Sie beschützen unsere Gemeinschaft vor der Wahrheit. So lange es geht zumindest.“ Maito Gai stach in seinem grünen Trainingsanzug aus der Menge heraus. Er stand bei Ebisu und riss gerade die Arme zum Himmel empor. „Okay, dann lasst uns ordentlich Krach machen, wenn sie zuschlagen!“, rief er aus und grinste dabei so breit, dass seine Zähne im gold-orangen Licht der Abenddämmerung aufzublitzen schienen. Kakashi seufzte. Reiß' dich zusammen, Gai. Das ist immerhin eine Krisensituation. „Welcher Wahrheit, Senpai?“, fragte Tenzō. „Dass wir einander nicht so bedingungslos vertrauen können wie wir bisher geglaubt haben.“ „Hunderte Tonnen von Fels, Beton und Stahl machen Konohas Evakuierungstunnel zu einer uneinnehmbaren Festung. Heute Abend sind sie ein Gefängnis.“ „Ein Grab“, korrigierte Fugaku. Shikaku schloss die Augen. „Ja, in der Tat – ein Grab... Die dritte Figur, der dritte Stein zum Matt... Sie sind mit ihm eingesperrt – die Dorfbewohner und unsere Familien... Sie sind ihm schutzlos ausgeliefert.“ „Ich spreche von Verschwörung, Tenzō“, fügte Kakashi hinzu. „Von Verrat.“ Ein Team von Ge-Nin, alle drei höchstens zwölf Jahre alt, stürmte nahe an ihm und Tenzō vorbei und verschwand gleich wieder in der Masse der wartenden Shinobi. Es hatte den Anschein, als würden die drei Kids Fangen spielen und so absurd ihm das momentan auch erschien, vermutete Kakashi, dass sie genau das taten. Sie spielten. Vielleicht nicht Fangen, aber irgendwas spielten sie. Kinder können das, dachte Kakashi, spielen, auch wenn die Welt untergeht. Und wieder war das Gefühl, eine Rolle in einem Theaterstück zu spielen, ganz nah. Kälte durchzog die Adern in Kakashis Körper. „Spürst du diese eigenartige Stimmung hier?“, fragte er Tenzō. „Mir kommt es vor wie Zuversicht. Ist das nicht paradox? Das Sicherheitsprotokoll der höchsten Krisenstufe wurde ausgerufen und die Menschen sind zuversichtlich. Das schafft unsere Gemeinschaft; alle Katastrophen, die wir bisher zusammen überwunden haben... Wenn wir von außen angegriffen werden, halten wir zusammen, und egal wie hart die Verluste sind, unsere Gemeinschaft übersteht das. Es schweißt uns sogar noch enger zusammen, macht uns noch stärker.“ Kakashi sah einen der Ge-Nin. Der Junge drängte sich gerade an Ibiki vorbei und lachte. „Aber wenn der Angriff aus unserer Mitte erfolgt, brechen wir auseinander. Glaub' mir, ist der Glaube an unsere Gemeinschaft erst mal zerstört, erholen wir uns davon nie wieder.“ „Er?“ Hiashis Stimme zitterte. Ganz untypisch für ihn, wie Shikaku feststellte. „Wer? Wer ist die dritte Figur, Shikaku?“ Doch Shikaku schüttelte nur den Kopf: nein, er würde nicht derjenige sein, der das Unaussprechliche aussprach. Tenzō schnaubte. „Und allein das Wissen um Verschwörung und Verrat würde unserem Glauben schon nachhaltig schaden. Hier bräche Chaos aus! Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Aber solange nicht eindeutig klar ist, wer Freund und Feind ist, muss es geheim bleiben!“ Geheim bleiben... Kakashis Bizeps spannte sich unwillkürlich an. Er drückte seine Finger so fest in die Haut seiner Oberarme, dass die Adern auf seinem Handrücken hervortraten. „Oh, Mann!“, rief Tenzō aus. „Du weißt es schon!“ „Kssht!“, zischte Kakashi. „Gar nichts weiß ich! Ich habe nur einen Verdacht.“ Tenzō senkte die Stimme: „Du bist wirklich unglaublich, Senpai! Na los, sag's mir! Wer ist es? Wie hast du's rausgefunden?“ Kakashi blickte sich prüfend in alle Richtungen um, um sicherzugehen, von niemandem beachtet zu werden. Dann drückte er sich leicht vom Baumstamm hinter seinem Rücken ab und lehnte sich nah zu Tenzōs Ohr, um möglichst leise sprechen zu können: „Die, die hier sind, sind nicht das Problem. Es gibt eine Gruppe, die fehlt. Und zwar geschlossen. Welche? Sieh genau hin!“ Tenzō ließ den Blick schweifen. Zugegeben, es war schwer zu erkennen. Bei dieser Masse an Shinobi verlor man einfach die Übersicht darüber, wer da war und wer nicht. Aber Kakashi war... zuversichtlich, dass Tenzō die chaotische Masse durchschauen würde. Und tatsächlich, er zog scharf die Luft ein. „Nein“, stieß er atemlos hervor. „Unmöglich.“ „Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, warum Danzō in letzter Zeit so unruhig war“, murmelte Kakashi. „Die Stimmung zwischen ihm und dem Hokage schien noch angespannter zu sein als sonst. Mir ist inzwischen klar, warum...“ Tenzō schüttelte den Kopf. „Nein, Senpai. Du irrst dich. Ich hoffe wirklich, dass du dich irrst. Denn das wäre-“ Er brach ab. „Böse“, ergänzte Kakashi das einzig passende Wort. „Ja, es ist böse. Ich meine, du weißt am besten, wozu die Mitglieder der Ne in der Lage sind.“ Tenzō wankte und einen Augenblick glaubte Kakashi, seine Beine würden unter ihm nachgeben und er einfach zu Boden sinken. „Die Ne verschwört sich gegen Konoha. Danzō verrät den Hokage.“ Ein tiefer Atemzug. „Manchmal vergesse ich wie skrupellos er ist. Aber dass er so weit gehen könnte...“ Kakashi nickte. „Die Ne ist dem Rest von Konoha zahlenmäßig unterlegen, aber mit dem Überraschungseffekt auf ihrer Seite hätten sie uns eiskalt erwischt. Außerdem möchte ich wetten, dass das ganze Dorf mit Fallen der tödlichen Art präpariert ist. Wäre es dort zum Kampf gekommen...“ Kakashi sah es vor sich: Sprengfallen, die Explosionen oder giftigen Nebel auslösten, stählerne, mannshohe Dornen, die aus dem Boden empor schossen. „Möglicherweise hat uns die Keimu Butai vor einem großen Unglück bewahrt.“ Tenzō atmete noch mal tief durch. „Und was machen wir jetzt?“ „Na, was schon? Wir halten uns an das Protokoll.“ „Namikaze Minato“, sagte Fugaku schließlich, als Shikaku sich auch nach Minuten noch in hartnäckiges Schweigen hüllte. „Uzumaki Kushina. Umino Ikkaku. Umino Kohari. Tetsuka Sana...“   XIII The desperation of the situation getting graver Getting ready when the wild wind blows Have you seen what they said on the news today Have you heard what they said about us all Do you know what is happening to just every one of us Have you heard, have you heard? There will be a catastrophe the like we've never seen There will be something that will light the sky That the world as we know it, it will never be the same Did you know, did you know? [When the wild Wind blows – Iron Maiden] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)