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Erinnerungen an ein Palastleben

von

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Im Haus des Mōri-Clans

„Sag mir noch einmal, warum genau wir das hier machen?“, flüsterte Benjiro Keiji zu.

Doch Keiji konnte sich diese Frage in diesem Moment nicht einmal selbst beantworten. Gestern noch waren sie die Gefangenen der Rebellen und schon heute standen sie mitten in Hagi vor dem Haupthaus der Mōri-Familie. Der mächtigsten Familie in dieser beschaulichen Stadt und dem erklärten Feind von Isami.

Keiji sah sich noch einmal im Vorhof um. Alle Ein- und Ausgänge wurden von Soldaten bewacht und außer einer perfekten Bepflanzung konnte man nichts weiter sehen. Es gab nur noch das prächtige Haupthaus und die Mauern zu bewundern. Zehn Minuten warteten sie hier schon auf Einlass. Eine Schikane, die Keiji nicht vergessen würde.

Sein Blick ging hinüber zu Kasumi, die einige Meter entfernt stand und ihren Blick in den Garten gerichtet hatte. Kazuma direkt hinter ihr. Seit er sie nach der Gefangenschaft wieder gesehen hatte war er ihr keine fünf Schritte von der Seite gewichen. Und falls er sich doch einmal weiter entfernen musste, blieb sein Blick stets auf ihr gerichtet. Wie eine Glucke behütete er Kasumi. Mit einem kleinen Lächeln bewunderte er Kasumis Stärke. Er selbst hätte bei diesem Verhalten schon längst den Verstand verloren.

Aber es schien, als verstand sie mehr, als man erwarten würde. Generell war Kasumi eine sehr kluge Frau, die es verstand auf Kleinigkeiten zu achten und auch ohne Worte zu erkennen, was vor sich ging. Und vor allem musste sie es niemandem erzählen. Ihr Handeln allein sagte alles. Noch nie im Leben hatte er so eine Person kennengelernt. Und irgendwann auf ihrer Reise, hatte sich das Interesse an ihrer Vergangenheit und ihrem Wissen um die Yōkai in ein Interesse auf alles an ihr verändert. Weshalb er ihrem Plan auch nicht hatte widersprechen können.

Noch bevor Keiji einen Plan zur Flucht aus den Gefängniszellen umsetzten konnte, war er von einem Oni in einen großen Raum gebracht worden. Dort hatte Kasumi auf ihn gewartet und ihm kurz alles erklärt, bevor die Herrin des Hauses den Raum betreten hatte.

Die Vereinbarung war denkbar einfach: Sie würde alle Männer von Keiji frei lassen, wenn sie ihr halfen ihre Männer aus der Gefangenschaft der Mōri-Familie zu befreien. Männer, die Teilweise auch Yōkai waren.

Sie waren tatsächlich von den Rebellen gefangen genommen worden, doch es war nicht so, wie sein Daimyō es gesagt hatte. Nicht sie hatten die Menschen angegriffen, sondern sie waren von den Menschen angegriffen worden. Isami hatte versucht in Frieden zu leben, doch die Menschen hatten sie als Bedrohung angesehen und versucht sie zu beseitigen. Mit den Geiseln versuchten sie sie zum Aufgeben zu bewegen, doch sie würde sich nicht geschlagen geben.

Deshalb hatte Kasumi diesen Plan entwickelt. Sie waren hier um sich als Unterstützung aus der Hauptstadt auszugeben. Sie wollten die Familie ausfragen und sich nach Möglichkeit alles genau ansehen, um schließlich Isamis Gefolgschaft befreien zu können. Ein Plan, der auch von Keiji selbst hätte sein können. Vielleicht hatte er auch deshalb nichts gegen diese Idee gehabt.

„Willst du Deinesgleichen nicht auch befreien? Wir tun das um den Frieden zu sichern-“

„Dir ist hoffentlich klar, dass dich der Daimyō zum Seppuku zwingen wird, wenn er das erfährt?“, unterbrach ihn Benjiro.

Keiji sah seinen Feldwebel an, der seine Arme vor der Brust verschränkte und ihn prüfend ansah.

„Das wird er nicht!“, widersprach Keiji, wobei sein Blick noch einmal zu Kasumi wanderte.

Er würde ganz sicher nicht wegen so etwas sterben.

„Wenn wir diese Sache in Frieden lösen können, muss der Daimyō nichts davon erfahren!“

Benjiro schnaubte verachtend, sagte aber nichts mehr. Auch wenn er unter dem Daimyō diente, so verachtete er diesen doch abgrundtief. Keiji wusste, dass es nicht leicht werden würde, doch was war das Leben ohne etwas Aufregendes und Gefährliches?

In diesem Moment öffnete sich das Tor zum Haupthaus und sie wurden alle von einem alten Mann herein gebeten. Keiji folgte dem Mann gefolgt von Benjiro, Kasumi und Kazuma als Schlusslicht.

Der alte Mann führte sie in eine große Halle, an dessen Ende auf einem Podest ein einzelner Stuhl ohne Beine Stand. Auf der Stufe darunter, stand auf der rechten Seite des Stuhls ein weiterer. Das und ein paar große, wohlgeformte Pflanzen war die einzige Einrichtung in diesem Raum.

„Der Stadtverwalter Ankoku wird sie gleich empfangen.“, sagte der Mann und war im nächsten Moment bereits verschwunden.

So schnell, dass Keiji nicht einmal Widersprechen konnte. Sie waren doch nicht hier um mit irgendeinem Stadtverwalter zu sprechen. Sie wollten den Herrn des Hauses.

„Ich fange an Isami zu verstehen. Mit diesen Leuten hier kann man nicht vernünftig reden!“, zischte Keiji wütend.

„Sich aufzuregen bringt jetzt auch nichts mehr. Vielleicht müssen wir erst den Stadtverwalter überzeugen, bevor wir mit dem Oberhaupt des Hauses sprechen dürfen.“, sagte Benjiro ruhig und ließ seinen Blick einmal durch den Raum wandern.

Keiji war bewusst, dass sein Feldwebel alle Ein- und Ausgänge des Raumes prüfte. Egal wo er war und wir ruhig er schien. Er rechnete doch immer mit einem Hinterhalt. Dennoch konnte er sich die folgenden Worte nicht verkneifen:

„Wer hat sich gerade noch aufgeregt?“

Was Benjiro verächtlich schnauben ließ.

„Benjiro hat Recht. Sicher wird der Verwalter eine Erklärung dafür haben, warum wir nicht mit dem Oberhaupt der Familie sprechen können. Wir dürfen nur nicht vergessen warum wir hier sind. Also sollten wir abwarten und sehen was passiert!“

Kasumi trat näher an Keiji, als sie sprach. Doch es war Benjiros entsetztes Gesicht, das ihn am meisten überraschte und schließlich Lachen ließ. Er legte seine Hand auf Kasumis Schulter und nickte.

„Wahre Worte, Imōto-chan. Auch wenn wir Benjiro vielleicht hier raus tragen müssen, falls er jetzt zu Stein geworden ist vor lauter Schreck. Das du ihm einmal recht geben würdest…“

Keiji konnte nicht anders, als erneut aufzulachen und seinem Freund auf die Schulter zu klopfen. Benjiro sah tatsächlich so aus, als könnte er sich nicht mehr bewegen. Er stand einfach nur da und starrte Kasumi an, die deshalb langsam rot wurde und einen Schritt zurück trat. Zurück an Kazumas Seite, der sein Grinsen hinter seiner Hand versteckte. Doch als Kasumi wieder bei ihm stand, schlang er seine Arme um sie und rieb seinen Kopf an ihrem.

„Meine kleine Kasumi ist so süß, wenn sie Rot wird!“, rief er dabei, was sie nur noch röter

Ein Gongschlag brachte sie alle wieder dazu ernst zu werden und ihren Blick zum Kopf des Raumes zu richten. Gerade als eine kleine Seitentür aufgeschoben wurde und eine Schar von Wachen, gefolgt von einem kleinen Mann in teuren Gewändern den Raum betrat. Die Wachen stellten sich um das Podest herum auf, während der kleine Mann dieses erklomm und sich auf den unteren Stuhl nieder ließ. Danach richtete er seine Gewänder und in der ganzen Zeit schenkte er Ihnen keinen einzigen Blick.

Keiji unterdrückte den Drang seine Hand an den Griff seines Katanas wandern zu lassen. Es wäre sowieso unnütz gewesen, da ihnen alle Waffen am Eingang des Hauses abgenommen worden waren, aber das Verhalten dieser Leute reizte ihn bis aufs Blut.

Erst, nachdem der Stadtverwalter mit allem zufrieden war sah er auf und musterte Keiji und seine Freunde. Einen Moment lang glaubte Keiji, der Verwalter würde ihn erkennen, doch dann war sein Gesicht wieder wie eine Maske die nichts seiner Gefühle zeigte. Erst beim Anblick von Kasumi verzog er den Mund. Eine Geste, die ihn äußerst abstoßend machte.

„Ich dulde keine Frauen in diesem Saal. Hinaus mit ihr oder ihr könnt alle zusammen zurück zur Hauptstadt reisen!“

„Was?!“, rief Kazuma, noch bevor Keiji etwas sagen konnte.

Kazuma hatte seine Hand hinter seinen Rücken wandern lassen, nur um festzustellen, dass auch er seine Wurfmesser hatte abgeben müssen. Sicher hätte er sonst eines nach dem Stadtverwalter geworfen. Auch wenn Kazuma eher friedliebend war und so etwas immer sein letzter Ausweg war.

Doch auch Benjiro hatte seine Position verändert und war bei dem Satz des Stadtverwalters näher an Kasumi herangetreten. Nur dürfte man das Benjiro nicht sagen, wo er doch immer versuchte einen gehörigen Abstand zwischen sich und Kasumi zu halten.

„Bitte verzeihen sie meinem Berater, aber meine Schwester gehört zu meinem Beraterstab, genauso wie meine zwei Brüder… Sicher lässt sich ein Weg finden, mit dem wir alle zufrieden sind.“, versuchte es Keiji auf dem diplomatischen Weg.

Nachdem Kazuma ihm die Rolle des aufgebrachten Bruders abgenommen hatte, musste er versuchen ihren Plan zu retten. Auch wenn es ihm ganz und gar nicht gefiel den Rücken vor diesem Nichts zu krümmen.

„Maeda Keiji… Ich habe viel über den Hauptmann des Daimyō gehört. Vielleicht sogar mehr als dieser selbst. Was würde er nur sagen, wenn er wüsste, dass einer seiner fähigsten Männer die Yōkai sympathisiert? Ihr seid hier in meiner Stadt und wenn Ihr euch nicht an meine Regeln haltet, dann verzichten wir gerne auf die Hilfe der Hauptstadt. Bisher sind wir auch ganz gut ohne diese ausgekommen!“

Keiji ballte seine Hände zu Fäusten, doch noch bevor er etwas sagen konnte, trat Kasumi an ihm vorbei und verneigte sich vor dem Stadtverwalter.

„Ich wollte keinesfalls unhöflich sein. Ich werde die Geschäfte meinen Brüdern überlassen und mich selbstverständlich zurückziehen.“, sagte sie, während ihr Blick auf den Boden gerichtet war.

Daraufhin ging sie Rückwärts, bis sie neben Keiji stand.

„Denkt an den Plan. Wir müssen Isamis Leuten unbedingt helfen, wenn sie an so einem Ort gefangen gehalten werden. Ich werde mich so lange draußen etwas umsehen.“, flüsterte Kasumi ihm zu, bevor sie sich wieder erhob und Keiji direkt ansah.

Dieser nickte leicht und nachdem sie Kazumas Hand gedrückt hatte, verließ sie die Halle.

 

 

Draußen vor der Halle ließ Kasumi ihren Blick den Flur hinauf und hinunter wandern. Niemand war zu sehen, weshalb sie die Richtung einschlug, aus der sie nicht gekommen waren. Natürlich ärgerte sie sich über den Rauswurf aus der Halle, aber wenn hier Frauen so minderwertig behandelt wurden, wer würde da schon auf eine achten die durch die Gänge schritt?

Eine bessere Gelegenheit die Räumlichkeiten zu erkunden würde es so schnell sicher nicht mehr geben. Weshalb Kasumi jede Tür öffnete, an der sie vorbei kam und jeden der Räume genau inspizierte. Der Flur schien endlos zu sein und in der ganzen Zeit begegnete sie keiner Menschenseele.

Bis sie schließlich um eine Ecke bog und das Jubeln einiger Menschen hörte. Neugierig ging sie auf das Geräusch zu, bis sie einen Weg in den Garten hinter dem Haus fand. Dort standen einige Leute um einen abgegrenzten Bereich und bejubelten die beiden Kämpfer auf diesem Platz.

Kasumi trat näher und erkannte zwei Männer, die mit langen Stäben gegeneinander Kämpften. Der eine musste in etwa Kasumis Alter haben. Er hatte den Oberkörper entblößt und Schweiß glitzerte auf seiner muskulösen Brust. Sein Atem ging gleichmäßig und seine schwarzen Haare saßen in einem perfekten Haarknoten auf seinem Kopf.

Sein Gegner war ein Junge. Höchstens sechzehn, dessen Atmung flach und abgehackt ging. Er trug ein hellblaues Haori, darunter ein dunkelblaues Kimono Hemd und eine passende Hakama. Seine schwarzen Haare waren so dunkel, dass sie fast blau wirkten und hatten sich bereits aus seinem hohen Zopf gelöst.

Das zwei so unterschiedliche Personen gegeneinander Kämpften fand sie höchst verwunderlich. So sah ganz sicher kein fairer Kampf aus. Doch nach einigen Minuten des Zusehens begriff sie, dass das hier ein Übungskampf zwischen einem Meister und seinem Schüler war. Das erleichterte sie etwas, denn Kasumi hatte schon angenommen, dass es in dieser Stadt immer ungerecht und herzlos zuging.

Nach dieser Erkenntnis wollte sich Kasumi schon wieder abwenden um sich das Haus weiter anzusehen, als sie den Aufschrei einer Frau vernahm. Es war eine der Zuschauerinnen, die versuchte auf das Kampffeld zu gelangen, aber von den umstehenden Männern zurückgehalten wurde. Und dann sah Kasumi das kleine Mädchen, das einem Schmetterling nachjagte und überhaupt nicht begriff worauf sie zulief. Denn die beiden Kämpfer waren so versunken in ihrem Tun, dass sie das Kind überhaupt nicht bemerkten.

„Pass auf!“

Noch bevor Kasumi nachdenken konnte, schrie sie auf und rannte auf die Kleine zu. Die Männer würden sie noch umbringen, wenn sie niemand retten kam. Also stürmte sie auf das Kampffeld, warf sich auf den Boden und schirmte die Kleine mit ihrem Körper vor dem Schlag ab, der definitiv kommen würde.

Erst als ein überraschtes Raunen durch dir Reihen der Zuschauer ging, öffnete Kasumi wieder ihre Augen. Diese hatte sie geschlossen, um nicht sehen zu müssen, wie der Schlag auf sie hernieder gehen würde. Denn immerhin saß sie jetzt direkt zwischen den beiden kämpfenden Männern und hielt das kleine Mädchen an ihre Brust gepresst. Diese sah verwundert zu ihr auf, befreite sich schließlich aus ihrem Griff und lief mit einem Lächeln zurück zu ihrer Mutter.

Erleichtert ließ Kasumi ihren Arm sinken, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie ihn über sich gestreckt hatte. Zu ihrer großen Überraschung befand sich in ihrer Hand ein goldener Stab. Verdutzt blinzelte sie und sah sich den Stab genauer an. Er war perfekt gleichmäßig und lag angenehm in ihrer Hand. Ohne Schnörkel oder Verzierungen wirkte er bis auf die goldene Farbe fast unscheinbar. Doch er hatte den Angriff der Männer ohne weiteres abgewehrt.

„Wer bist du Frau, dass du es wagst einfach diese Unterrichtsstunde zu stören?“, fragte der ältere der beiden Männer verärgert.

Kasumi sah den Mann an und stand langsam auf.

„Ich wollte nur das Kind beschützen, auf das ihr keine Rücksicht nahmt.“, sagte sie und hob ihr Kinn.

Der Mann griff seinen Stab fester, holte aus und wollte damit nach ihr schlagen, doch Kasumi parierte auch dieser Attacke mit ihrem Stab. Und es fühlte sich einfach so unglaublich natürlich und vertraut an sich mit diesem zu bewegen, dass sie nicht anders konnte als zu Lächlen.

Da sie auch diesen Angriff abblocken konnte, stieg rote Farbe in das Gesicht des Mannes. Der Jüngere hatte sich ein paar Schritte zurückgezogen und beobachtete nur das Schauspiel vor ihm. So wie all die anderen Zuschauer.

„Frauen ist es verboten eine Waffe zu tragen!“, zischte der ältere Mann nun und musterte sie einmal von oben bis unten.

Offenbar suchte er nach einer Schwachstelle. Doch Kasumi war nicht hier um zu kämpfen. Das Leben des Mädchens war gerettet. Sie wollte keinen Ärger provozieren, wo sie doch versuchen mussten einige Zeit hier zu bleiben.

„Es ist nur ein Stab. Wäre ich eine alte Frau müsste ich mich darauf stützen. Wollt ihr etwa sagen, ihr wollt jeder alten Dame ihren Stock abnehmen aus Angst sie könnte ihn euch überziehen?“

Das war nichts womit sie Ärger vermeiden konnte, dachte Kasumi sofort, als sie gesprochen hatte. Doch irgendwie hatte es ihr Gegenüber nicht anders verdient.

Eine Ader begann an der Schläfe des Mannes zu pulsieren. Offenbar hatte sie gerade seinen Stolz verletzt.

„Ungehöriges Frauenzimmer. Was fällt dir ein so mit mir zu sprechen? Ich bin Großmeister der Kampfkünste und exklusiver Lehrer des Oberhaupts dieses Hauses. Als hätte ich es nötig Angst vor einer schwachen Frau zu haben!“

Sie hatte wirklich einen Nerv getroffen.

„Müsstet ihr als Lehrer nicht wissen, dass man sich nicht nur blind in einen Kampf stürzen kann, sondern immer seine Umgebung im Blick behalten sollte-“

„Genug!“, schrie der Lehrer und setzte zu einem weiteren Angriff an.

Kasumi erinnerte sich nicht daran, jemals etwas über Verteidigung gelernt zu haben, geschweige denn über Kampfkunst im Allgemeinen oder Angriffe mit einem zwei Meter Stab. Doch sie konnte jedem der Angriffe ausweichen oder sie abblocken. Bis sie den Lehrer schließlich mit zwei gezielten Schlägen zu Boden schickte.

Einen Moment lang herrschte totenstille im Garten, doch dann brach der Jubel der Zuschauer aus. Diesen nahm Kasumi jedoch nur entfernt war, denn in dem Moment spielte sich eine Szene vor ihrem inneren Auge ab, ähnlich der, die sie bei Isami das erste Mal erlebt hatte. Sie erinnerte sich an etwas:

 

//Rin saß auf der Engawa und mörserte einige Kräuter zu Pulver zusammen, welches sie anschließen in kleine Stoffsäckchen verschnürte. Doch egal wie sehr sie den Anschein erweckte, sich auf ihr Tun zu konzentrieren, lag doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf Sesshōmaru. Dieser stand einige Meter entfernt im Garten und vollzog seine täglichen Übungen mit Tessaiga.

Natürlich würde er auch mit Bakusaiga trainieren, doch da er den Palast nicht in Schutt und Asche zerlegen wollte, beschränkte er sich hier auf Übungen mit seinem heilenden Katana.

Dass er sein Training Oberkörper frei vollzog, tat er einzig und allein für Rins Vergnügen. Denn er wusste ganz genau, dass sie ihn beobachtete.

„Bevor man seinen Gegner angreift, muss man wissen, womit man es zu tun hat. Man muss den Gegner einschätzen. Seine Stärken und Schwächen herausfinden und mit gezielten Attacken ans Ziel gelangen. Am besten lässt man den Gegner einige Angriffe führen, die man einfach pariert, bevor man zum Angriff übergeht. Es spielt dabei auch keine Rolle welche Waffen gegeneinander antreten. Einzig und allein das taktische Vorgehen ist entscheidend. Das und mit welcher inneren Ruhe man das ganze angeht.“

Sesshōmaru sprach vermeintlich zu sich selbst, doch Rin war klar, dass er die Worte an sie richtete. Da sie sich stets geweigert hatte mit ihm den Umgang mit ihrem Stab zu trainieren, hatte er sich darauf beschränkt ihr einige Dinge zu sagen oder zu demonstrieren, wenn sie ihm einmal zusah. All diese Dinge versuchte sie anschließend in ihrem eigenen Training, dass sie stets ohne ihn vollzog. Denn auch wenn sie noch nicht lange bei Sesshōmaru lebte, sie wollte doch allein auf sich Acht geben können.

Leise legte sie ihre Kräuter beiseite und betrat den Garten. Barfuß machte sie fast kein Geräusch, doch natürlich hörte er sie kommen und hielt augenblicklich inne, als sie ihre Arme von hinten um seine Taille schlang und sich an ihn schmiegte. Seine schweißnassen Haare und Rücken störten sie dabei kein bisschen. Sie liebte es sogar ihn so zu sehen. Das machte ihn ein kleines bisschen Menschlich, auch wenn er das ganz und gar nicht war, doch sie schätzte das sehr.

„Erster Angriff…“, hauchte sie über seine Haut und küsste dann seine Wirbelsäule.

„Zweiter Angriff…“, fuhr sie fort, bevor sie ihre Hände über seinen perfekt definierten Bauch nach unten gleiten ließ und begann den Knoten seines Obis zu lösen.

„Dritter Angriff…“

Im Bruchteil einer Sekunde hatte Sesshōmaru ihre Hände gepackt, sich zu ihr umgedreht und seine Lippen auf ihre Gepresst.

„Gegenangriff… und außer Gefecht gesetzt!“, flüsterte er an ihren Lippen, was sie kichern ließ.

Sie beugte sich zu ihm nach oben und küsste ihn erneut. Lange und intensiv, bevor sie sich wieder löste.

„Ich glaube das habe ich verstanden.“, lächelte sie dabei.//

 

Kasumi schnappte erschreckt nach Luft. Sie hatte den Mann in ihrer Erinnerung nicht klar erkennen können. Wie schon in der kurzen Vision bei Isamu war seine gesamte Gestalt wie verschwommen vor ihren Augen. Doch das Gefühl, dass sie verspürte war das Selbe. Ein Druck auf ihrer Brust. Wie ein bittersüßer Schmerz, dem ihr Herz mit schnellem Schlagen zu entrinnen suchte. Und ihr ganzer Körper kribbelte beim Gedanken an diesen Mann, den sie nicht erkennen konnte. Das war definitiv der Vater ihres Kindes und wie schon bei der letzten Vision war das Bedürfnis ihn wieder zu finden überwältigend.

„Dafür wirst du büßen!“

Der Aufschrei des Lehrers riss Kasumi aus ihren Gedanken. Er war wieder aufgesprungen und stürmte auf sie zu, als sein Schüler seinen Stab zwischen ihn und Kasumi brachte.

„Das reicht jetzt!“, sagte er mit fester Stimme und sofort herrschte wieder Stille im Garten und der Lehrer verharrte in seiner Angriffsposition.

„Aber mein Herr… Diese Dreistigkeit muss-“

„Ich sagte das reicht jetzt! Lasst mich mit der Frau allein.“, verlangte der Junge und in dem Moment wurde Kasumi wirklich bewusst, dass sie ihr vor dem Oberhaupt des Hauses Mōri stand.

Der Lehrer wollte noch einmal wiedersprechen, doch nur ein Blick des jungen Herren reichte, dass er verstummte und zusammen mit allen Schaulustigen davonging. Bis Kasumi mit dem Jungen allein war.

„Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein.“, sagte sie und wand schließlich den Blick von den Menschen zum jungen Herren des Hauses.

„Ich habe noch nie eine Frau so kämpfen sehen. Wo hast du das gelernt? Und woher ist nur dieser außergewöhnliche Stab?“, fragte der junge Herr und Kasumi blinzelte.

Er klang jetzt wie der Junge, der er eigentlich war und nicht wie ein Herr über dieses ganze Haus und die ganze Stadt. Der noch gerade eben so Stellungsbewusst mit seinem Lehrer gesprochen hatte.

„Ich kann mich leider nicht erinnern Herr. Mein gesamtes Gedächtnis wurde mir genommen. Deshalb tut es mir Leid, dass ich euch keine angemessene Antwort geben kann.“, erklärte sie.

Der Junge musterte sie einen Moment, dann legte er seinen Stab ab und trat näher um sich Kasumis anzusehen.

„Darf ich?“, fragte er und streckte eine Hand aus.

Kasumi übergab ihm den Stab, doch sobald er die Hand des jungen Herren berührte, verwandelte er sich in eine kleine goldene Kugel.

„Zauberei!“, rief dieser aus und ließ überrascht die Kugel zu Boden fallen.

Dort sprang sie ein paar Mal auf, bevor sie sich auflöste. Automatisch ließ Kasumi ihre Hand an das O-Mamori wandern, dass sie stets an ihrem Obi trug. Sie hatte die Kugel darin schon öfter gespürte. Hatte sich sogar immer daran festgehalten, wenn sie ein Moment der Angst überfallen hatte. Doch nie hätte sie damit gerechnet, dass diese kleine Kugel ein Stab werden könnte mit dem sie auch noch umzugehen wusste.

„Ich habe ihn gerade zum ersten Mal gebraucht, seit ich mein Gedächtnis verloren habe. Ich wusste nicht das er das kann.“, sagte sie fasziniert und sah den jungen Herren überrascht an.

„Ich bin Terumoto. Oberhaupt des Mōri-Clans und Herr dieses Hauses, seit mein Vater im letzten Winter verstorben ist. Wie ist dein Name? Und wo kommst du her? Ich habe dich noch nie her gesehen!“

Das Lächeln, dass Terumoto ihr in diesem Moment schenkte, erwärmte etwas in Kasumi, was sie das Lächeln erwidern ließ.

„Mein Name ist Kasumi. Wobei ich mich an meinen richtigen Namen ja nicht erinnern kann. Ich bin hier mit meinen Brüdern aus der Hauptstadt. Wir sind gekommen um unserer Hilfe anzubieten. Der Daimyō hat von den Angriffen der Yōkai gehört und uns deshalb als Unterstützung geschickt.“, erklärte sie.

Als sie die Yōkai erwähnte, verdunkelte sich das Gesicht von Terumoto für einen Moment.

„Mein Stadtverwalter tätigt im Moment noch alle Geschäfte, da ich erst in ein paar Tagen sechzehn werde und den Posten des Oberhaupts der Familie offiziell übernehmen kann. Aber er hat mir von den Yōkai-Angriffen berichtet. Es muss schrecklich sein, aber…“

Er sprach nicht weiter, weshalb Kasumi ihn fragend ansah, doch er schüttelte nur den Kopf und sah sie dann mit einem Lächeln an.

„Es wäre mir eine Ehre euch als meine Gäste hier zu haben. Um ehrlich zu sein war ich schon immer der Meinung, dass meinem Lehrer einmal die Leviten gelesen werden müssten.“, erklärte er mit einem Grinsen, das Kasumi nur erwidern konnte.

„Da habt Ihr sicher Recht!“

Terumoto streckte erneut seine Hand aus und nahm Kasumis in seine.

„Ich will deine Brüder kennenlernen und dann sollten wir ein Festmahl abhalten!“, rief er und zog Kasumi dann hinter sich durch den Garten zurück zum Haus.

Die ganze Zeit über ließ er ihre Hand nicht los und Kasumi stieg die Röte ins Gesicht. Auch wenn der Herr dieses Hauses knapp zehn Jahre jünger als sie war, fand sie ihn doch bezaubernd und eine Überraschung im Vergleich zu den frauenfeindlichen Männern, die sie bisher hier getroffen hatte.

So stürmte Terumoto in die Empfangshalle, wo Keiji, Benjiro und Kazuma noch vor dem Stadtverwalter saßen und alles andere als Erfolgreich aussahen. Doch als Terumoto die Tür mit einem Knall aufschlug verschwand das selbstzufriedene Lächeln auf den Lippen des Stadtverwalters und ihre Brüder drehten sich allesamt zu Kasumi um.

Der Schock auf ihren Gesichtern ließ sie lächeln und sie löste sich von Terumoto, als alle drei auf sie zu liefen. Benjiro blieb zuerst stehen, kurz darauf Keiji und Kazuma zog sie kurz in seine Arme, bevor er sie von oben bis unten ansah.

„Was ist passiert? Deine Kleidung ist ganz staubig?“, fragte er besorgt.

Kasumi streichelte über seinen Kopf, was ihn bisher immer beruhigt hatte und schenkte den dreien ein Lächeln.

„Darf ich euch Terumoto vorstellen? Das Oberhaupt des Mōri-Clans!“, erklärte sie und wies auf den jungen Herrn.

„Das sind meine Brüder: Keiji, der Hauptmann des Daimyōs. Benjiro, sein Feldwebel und Kazuma, sein Berater!“

Terumoto ließ seinen Blick von den fassungslosen Dreien zu Kasumi wandern.

„Und das sind deine echten Brüder?!“

Seine Aussage ließ sie Lächeln.

„Nein. Aber sie haben mich gefunden und sich um mich gekümmert. Sie sind wie eine Familie für mich und ich würde alles für sie tun.“, erklärte sie, was den jungen Herren nicken ließ.

„Darf ich fragen was das zu bedeuten hat?“

Die Stimme des Stadtverwalters schnitt wie ein Schwert durch die Stimmung. Sofort richteten sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Mann, der sich jetzt erhoben hatte und eilig auf sie zugelaufen kam. So wie sich Keiji versteifte, konnte Kasumi in etwa erahnen wie schlecht ihr Gespräch verlaufen sein musste.

„Diese Herren waren gerade dabei zu gehen. Ihr Angebot in allen Ehren, aber wir können diese Probleme allein lösen. Wie alles andere sonst auch.“, erklärte der Verwalter.

Daraufhin trat Terumoto vor und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sie werden bleiben. Ich habe Kasumi bereits eine Unterkunft zugesagt und ihr wollt doch nicht etwa, dass ich mein Wort brechen muss? Was wäre ich denn für ein Familienoberhaupt, wenn mein Wort nichts zählt? Und sicher wären unsere Männer über etwas Unterstützung sehr froh.“, wiedersprach Terumoto.

Der Verwalter hatte den Mund bereits geöffnet um zu Wiedersprechen, doch ähnlich wie bei seinem Kampfkunstlehrer genügte ein einzelner Blick und er schloss den Mund wieder, trat einen Schritt zurück und verneigte sich knapp.

„Wie Ihr wünscht, mein Herr.“, sagte er, ging zur Tür und öffnete sie wieder.

„Dann herzlich Willkommen im Hause Mōri.“, fügte er zähneknirschend hinzu.

Diese Wendung gefiel dem Verwalter ganz und gar nicht, doch auch wenn Terumoto noch nicht offiziell seine Stellung übernehmen konnte, galt sein Wort offenbar dennoch über allem anderen.

Und so folgten sie alle Terumoto, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, durch die Flure zu einem geräumigen Speisezimmer. Nur der Stadtverwalter brachte für den Rest des Tages keinen Ton, geschweige denn ein Lächeln über die Lippen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo *wink wink*

Nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder mal ein neues Kapitel! *überglücklich*
Ich hatte in letzter Zeit so viel Stress… weshalb ich mich jetzt umso mehr freue endlich wieder einmal weiterschreiben zu können. Und dafür ist das Kapitel auch etwas länger geworden ^^

Diesmal ist ziemlich viel passiert. Vor allem der erste Flashback (gekennzeichnet mit // //) von Rin/Kasumi. Damit das ganze FF nicht ohne Sesshōmaru auskommen muss werde ich immer wieder ein paar kurze Szenen aus Rins leben, vor dem Überfall, einbauen. Da sie sich hier an eine Zeit erinnert, in der sie ihr Gedächtnis noch hat, werde ich die Flashbacks auch mit ihrem richtigen Namen schreiben (Sorry, falls das irgendwie für Verwirrung sorgt^^)
Ansonsten haben sie jetzt das Oberhaupt der Mōri Familie getroffen. Terumoto – ein neuer Nebenchara, der bereits seinen eigenen Steckbrief hat. Damit geht die Episode im tiefen Westen allerdings auch mit schnellen Schritten ihrem Ende entgegen.

Ich hoffe ihr habt viel Spaß mit dem neuen Kapitel!

Und noch die kurze Worterklärung:
Seppuku = der traditionelle Selbstmord (siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Seppuku)
Haori = ist eine Art Überjacke (siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Haori) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Anitasan
2017-08-27T18:13:46+00:00 27.08.2017 20:13
Ich finde das Kapitel einfach toll.
Einfach super umgesetzt und wie Rin oder momentan Kazumi das Kind gerettet hat und somit sich wieder etwas erinnert hat, einfach toll.
Ich bin schon so gespannt wann sie endlich Sesshomaru trifft.
Wann wird das sein??? Ich kann es echt nicht abwarten. Ich bin so neugierig.
Mach schnell weiter.
LG Anitasan
Antwort von:  C-T-Black
27.08.2017 20:34
Es freut mich, wenn es dir gefällt. Die Szene, mit Kasumi und wie sie mit ihrem Stab umgeht, hat mir auch viel Spaß gemacht zu schreiben ^^
Leider wird es noch ein paar Kapitel dauern, bis sie Sesshōmaru wieder gegenüber steht… Aber sie hat es bald geschafft 
Aktuell bin ich mitten im nächsten Kapitel. Es dauert also nicht mehr lange. Ich bin nur aktuell an ein paar anderen Sachen dran, die ich parallel schreibe, deshalb dauert es bis zur Veröffentlichung der Kapitel jetzt etwas länger. Dafür entschuldige ich mich schon mal.
Gruß
C-T-Black
Von:  Kazu27
2017-07-23T17:41:03+00:00 23.07.2017 19:41
So.......
Hab deine ff noch mal komplett gelesen und ich möchte wissen wie es weiter geht😁😁😁
Wie sie den Lehrer fertig gemacht hat, Respekt. Der junge Herr kann noch einiges von Rin lernen. 😂😂😂😂😂

Super kapitel, mach schnell weiter
Antwort von:  C-T-Black
23.07.2017 21:37
Schön, wenn dir das Kapitel gefallen hat. Und dann hast du noch mal alles gelesen *sprachlos* *geehrt verbeug* Vielen Dank für die Treue :D
Ich hoffe ich schaffe es jetzt wieder öfter und regelmäßiger Kapitel online zu stellen.

LG C-T-Black


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