Memories von Chibi-Neko-Chan ================================================================================ Kapitel 4: Depressionen ----------------------- Es sind schon einige Monate vergangen, die ich im Krankenhaus verbringe. Ich glaube ich habe Dion noch nie so viel weinen sehen. Er ist still geworden, lächelt kaum noch. Ich glaube, er kommt alleine in der Wohnung auch nicht mehr gut zurecht. Das einzige, was er aktiv tut, ist zu mir ins Krankenhaus zu kommen. Von seinem Arzt wurde er krankgeschrieben, da er nicht in der Lage ist, richtig zu arbeiten. Nennt man das schon Depressionen? Ich habe meine dritte Chemotherapie angefangen und ich weiß nicht, ob überhaupt noch etwas meinen Magen verlassen kann. Es wird die letzte Therapie sein, die ich mache. Ich möchte das nicht mehr. Gesund kann ich nicht werden und den Tod in die Länge ziehen ist für mich nur eine Qual. Aber wie soll ich Dion in diesem Zustand alleine lassen? Im Moment bin ich über einen Eimer gebeugt, seine Hände liegen beruhigend auf meiner Schulter und ich übergebe mich. Ein paar vereinzelte Tränen fallen in den Eimer, dann stelle ich ihn wieder beiseite und spüle meinen Mund aus. „Tut mir leid…“, murmele ich Dion zu, aber er schüttelt nur den Kopf. „Du kannst nichts dafür.“ Wenigstens das hat er endlich begriffen. Ich habe mir das Leben so nicht ausgesucht. Ich fahre mir mit meiner Hand über den Kopf, Haare sind dort schon lange keine mehr. Dion setzt sich neben mir auf das Bett und zieht mich in seine Arme. „Pass auf die Kabel auf“, murmele ich, kuschele mich aber an seine Brust. Er riecht immer noch so wie damals, er ist immer noch so warm und groß. Er trägt auch die gleichen Klamotten, aber trotzdem wirkt er nicht mehr wie mein Dion. Schweigend liegen wir da und starren ins Nichts. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch sagen soll. Dion selber schweigt sowieso nur noch. Ich bin überfordert mit der Situation. „Wollen wir ein Eis essen gehen?“, frage ich nach einiger Zeit und lächele Dion an. Er scheint zu überlegen, ehe er mit den Schultern zuckt. Dann steht er auf und hebt mich aus dem Bett in den Rollstuhl. Wie komme ich in meinem Zustand auf so eine Idee? Es bleibt doch sowieso nichts in meinem Magen. Den Tropf befestigt er an meinem Rollstuhl, ehe er mich aus dem Zimmer schiebt. „Dion, erinnerst du dich noch daran, als ich die Diagnose bekam? Und du völlig durchgedreht bist? Ich meinte, wenn ich merke, dass es dich völlig kaputt macht, dann trenne ich mich von dir.“ „Ja, ich weiß das noch.“ Wenigstens antwortet er mir dieses Mal. „Dion, ich merke, dass es dir nicht gut geht. Und das gefällt mir nicht. Ich kann verstehen, dass ich ein grauenvoller Anblick bin, aber-“ Plötzlich bleiben wir stehen und Dion kommt um den Stuhl herum, um sich vor mich zu knien. „Nein! Du bist kein grauenvoller Anblick. Du bist immer noch das schönste, was ich je in meinem Leben sehen werde. Du hast immer noch das Funkeln in den Augen, wenn du lachst und ich… Ich will meinen Blick niemals von dir abwenden müssen. Dazu wäre ich gar nicht in der Lage.“ Immer wenn Dion so etwas Unerwartetes tut, kommen mir die Tränen. Zum einen weil ich weiß, was ich verliere. Zum anderen, weil es mir selber so sehr wehtut, ihn alleine zurückzulassen. Gerade durch die Zeit, die er mit mir im Krankenhaus verbringt, hat er sich von seinen anderen Freunden abgewendet. Er klammert sich so sehr an mich, dass ich wirklich die Sorge habe, was passiert, wenn ich nicht mehr da bin. „Danke“, meine ich leise und mit brüchiger Stimme. Dion gibt mir einen Kuss auf die Stirn und lächelt das erste Mal seit längerer Zeit wieder ein wenig. „Das Eis wartet…“ Er schiebt mich wieder voran, in das kleine Krankenhauscafé. Damit ist das Gespräch wohl beendet. Er weiß, was ich ihm eigentlich sagen wollte und ich weiß, dass er es nicht hören will. Aber ich mache mir ernsthafte Sorgen. Seufzend lasse ich mich von ihm an einen Tisch schieben und denke an die Zeit zurück, als ich damals das letzte Mal im Rollstuhl gesessen habe. Er hat sich mir wirklich aufgezwungen, mich einfach geküsst, als ich nicht weglaufen konnte. Und ich hatte gedacht, er hätte mich alleine gelassen. Dion hätte damals sterben können und hat es geschafft. Wieso muss ich jetzt in die Knie gezwungen werden? Als würde man nicht wollen, dass wir glücklich zusammenleben. Aber wir hatten eine glückliche Zeit. Ein Jahr waren wir zusammen und unzertrennlich. Und unsere Beziehung war perfekt. Natürlich haben wir uns ab und an in die Haare bekommen, aber das war nie ein Zeichen dafür, dass wir uns nicht lieben würden. Es war meine kleine, perfekte Welt, in die ich mich blind gestürzt habe und die ich nun verlassen muss. Um der Realität zu begegnen. Dion geht und zwei Eis kaufen und kommt damit zu mir zurück. Ich lächele und nehme das Schälchen entgegen. Dann stelle ich es ab und sehe es an. Ich habe keinen Hunger, ich vertrage auch kein Eis. Es ist viel zu kalt und zu süß. Aber Dion hat es mir extra gekauft und er sieht mich lächelnd und erwartungsvoll an. Weil er sich immer noch wünscht, dass der Alptraum bald endet. Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten, aber ich will nicht weinen. Ich kann es auch kaum noch, es ist zu anstrengend geworden. Ohne den Rollstuhl könnte ich nicht einmal mein Bett verlassen und auch das aufrechte Sitzen fällt mir schwer. Ich sehe Dion an, der seine Kugel in Ruhe isst und aus dem Fenster schaut. Wenn ich irgendwann weg bin, sucht er sich dann einen neuen Freund? Wird er unsere Wohnung aufgeben und umziehen? Ein glückliches Leben führen? Ich wünsche es mir für ihn und doch zerreißt der Gedanke mir das Herz. Er soll ohne mich weiterleben können, dennoch bin ich egoistisch genug, zu denken, dass ich das eigentlich nicht will. „Hast du keinen Appetit?“, fragt mich Dion, als er seine Kugel aufgegessen hat und reißt mich somit aus meinen Gedanken. Ich blinzel ein paar Mal und schlucke heftig, ehe ich lächelnd den Kopf schüttele. „Entschuldige. Übelkeit und so.“ Er nickt verständnisvoll und isst mein Eis einfach für mich mit. Danach schiebt er mich nach draußen und wir verbringen ein wenig Zeit an der frischen Luft, bevor ich wieder in mein Bett muss. Meine Kraft hat mich verlassen und meine Augen fallen mir immer wieder zu. Dion trägt mich und legt mich sanft auf die Matratze, bevor er mich gut in die Decke einwickelt und sich vorsichtig neben mich legt. Er streicht mir sanft durch die Haare und legt seinen Arm um mich herum. „Humpty Dumpty Sentado en un muro, Humpty Dumpty Se dio un golpe muy duro ; todos los Caballeros y pinete des rey, fueron a levantarlo y no pudieron con él.“ Ich weiß nicht, wann Dion damit angefangen hat, mir den Kinderreim immer und immer wieder ins Ohr zu murmeln, aber ich glaube er beruhigt sich selber damit, während er hofft, dass es mir hilft. Weil ich sein Spanisch so sehr liebe. So wie seine Stimme, seine Augen, seinen Geruch. Alles an ihm würde ich für nichts auf der Welt umtauschen wollen. Er ist und bleibt für mich der perfekte Freund. „Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben?“, frage ich leise nach und Dion nickt. „Natürlich, wie könnte ich das denn vergessen?“ Er sieht mich amüsiert an und ich erwidere sein Grinsen mit einem Lächeln. Meine Hand streicht sanft über seine Wange, bevor ich meine Augen schließe. „Erzählst du mir davon?“ Es ist nicht so, als wüsste ich es nicht mehr. Aber ich fand es immer toll, Dion dabei zuzuhören, wie er mir seine Seite von der Geschichte erzählte. Seine Gefühle und Gedanken, die er damals hatte, zu erfahren. Damit ich es nicht vergessen kann, will ich unsere kleine Geschichte in meinem Herzen verschließen. Niemand anderes soll sie erfahren, sie gehört nur uns und ist unser kleines, perfektes Märchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)