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SAO: Progression

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben in diesem Kapitel:

☯ Nachdem alle Spieler auf dem großen Platz versammelt sind, taucht der Spielleiter auf und man erklärt euch die aktuelle Situation
☯ Ihr verwandelt euch in euer reales Aussehen
☯ Nachdem die Barrieren aufgelöst sind, zieht Haia dich aus der Menschenmasse die anfängt durchzudrehen
☯ Versuche dich zu sammeln und nochmal alles durchzugehen. Warte die Nacht ab, bis du aufbrichst.
☯ Überlege dir wie du weiter vorgehen willst (Willst du in einer Gruppe oder alleine reisen? Wie viele Leute willst du maximal dabei haben? Was möchtest du vielleicht leveln?), denk aber auch an dein Leben in der realen Welt. Dass du nun hier gefangen bist, wird sicher nicht spurlos an dir vorbeigehen. Je nachdem, wem du dich mehr widmest, wird sich die Storyline wenden.

♔ Bonus: Ich stelle dir frei, ob du Haia dazu überredest vorerst mit dir zu kommen. Er wird jedoch schon in der Nacht aufbrechen wollen, bring ihn dann davon ab.
♔ Bonus: Solltest du dich dagegen entscheiden, frag ihn, ob er dir noch Tipps geben kann (bezüglich guter Level Plätze etc.) Er wird dir selbstverständlich nicht alles sagen, aber ein paar wenige Informationen, die dir eine Woche Vorsprung verschaffen, erhältst du.
♔ Bonus: Solltest du geplant haben in einer Gruppe weiter zu ziehen, kannst du ruhig schauen, ob dir ein paar Leute sympatisch erscheinen. Dir können Gesichter gerne bekannt vorkommen :) Ansprechen solltest du die Leute jedoch erst am nächsten Morgen, wenn sich alles ein wenig beruhigt hat. Beachte auch, dass nicht jeder direkt abreisen mag. Komplett anzeigen

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2nd Floor - Instructions

Was ist hier los?“ „Wieso sind wir hier?“ „Ich muss nach Hause!“

 

Ich war niemand, der sich von anderen in Panik versetzen ließ, aber im Zusammenhang mit den Geschehnissen der letzten Minuten war ich auch nicht gerade die Ruhe selbst. Ich wollte nicht nur das Negative sehen, dachte, dass sich dieser Zwangsteleport, wie Haia neben mir murmelte, eine Art Konferenz oder dergleichen darstellte. Weil das normale Log Out nicht funktionierte. Damit sie uns so komplett vom System trennen konnten. Eine Art Shut-Down von Administratorebene. Nichts weiter.

Dass ich damit aber weit entfernt lag von dem, was mich bzw. uns erwarten sollte, konnte ich nicht einmal erahnen.

Mein Blick glitt von der bunten Menschenmenge um mich herum zu den Dächern und schließlich zum abendroten Himmel der SAO-Welt. Schäfchenwolken zierten diesen, aber nicht nur das... sondern auch ein sechseckiges Zeichen, das immer wieder aufblinkte. Nun mehr konnte ich auch das Geräusch zuordnen, was für mich bis eben wie der Hall der Turmuhrglocke geklungen hatte: Es kam von diesem länglichen Hexagon, welches in großen Lettern WARNING als Inschrift trug. Doch kaum hatte ich es entziffert, dockten sich weitere rote Felder an – System Announcement.

Das Firmament füllte sich mit jenen geometrischen Formen, bis es komplett umzingelt war. Die Zellwände wirkten stabil und doch tropfte eine undefinierbare Flüssigkeit aus der Mitte der angeordneten Fläche. Ich bekam eine Gänsehaut, erinnerte mich diese fluide Essenz zu sehr an Blut und an so mancherlei Szenen aus Neon Genesis Evangelion.

Die Art und Weise wie sich die Tropfen zu Fäden, dann zu Streifen und schließlich zu einer Form bildeten, welche blitzte und mit einem Mal die Silhouette eines Menschen einnahm, ließ mich umso mehr anspannen.

Nein, ich wollte wirklich nicht nur das Negative der Situation sehen, aber mein ungutes Gefühl drückte mir mehr und mehr im Magen herum.

Die Silhouette hatte sich schlussendlich zu einem übergroßen Wesen mit karminroten Mantel gebildet, welcher goldene Säume und Borten sowie eine Kapuze aufwies. Die Figur schwebte am Himmel, als wäre es das Natürlichste der Welt. Vermutlich war es das hier auch.

Ein Spielleiter?“ „Wieso trägt der eine Kapuze?“ „Ist das ein spezielles Event?“

Letzteres konnte man wirklich fast annehmen, so zelebrierend, wie die Gestalt nun beide Arme seitlich empor hob und uns willkommen hieß:

„Spieler, eure Aufmerksamkeit. Willkommen in meiner Welt. Mein Name ist Kayaba Akihiko und ich bin momentan die einzige Person, die diese Welt kontrollieren kann.“

Die Stimme des Wesens war angenehm. Für einen Moment beruhigte sie mich fast sogar ein wenig. Nicht, dass mir der Name von dem Typen etwas sagte, aber wenn er versuchte, so Vertrauen zu erwecken, schaffte er es ganz gut. Ausnahme: seine Worte.

Mir gefiel weniger das kann als das meine Welt. Wenn dies ein Spielmacher war, war es selbstverständlich auch seine Welt. Aber bevor ich darüber weiter grübeln konnte, zeigten mir schon die Reaktionen der anderen, dass es sich tatsächlich um einen Spieleentwickler oder ähnliches handeln musste: Sie waren erstaunt, überrascht, ihre Augen wurden größer vor Ehrfurcht, aber auch vor Respekt und Dankbarkeit.

Ich hatte meine Augen nur für den Bruchteil einer Sekunde von diesem Kayaba abgewandt und trotzdem bereits so viele unterschiedliche Emotionen meiner Mitspieler erhaschen können. Vielleicht war Kayaba ja so etwas wie ein Tajiri Satoshi für die Pokémon-Fans? „Ich bin mir sicher, dass ihr bereits bemerkt habt, dass der Log Out-Button im Hauptmenü entfernt wurde.“ Mit einer fließenden Handbewegung seiner Linken rief er zur Demonstration das Menü auf, sprang in das Untermenü der Einstellungen und tippte auf das Symbol mit der geöffneten Tür, wo normalerweise Log Out hätten stehen sollen. Soweit so gut, das hatten wir bemerkt – Ja. „Jedoch ist dies auf keinen Fall ein Fehler.“ Okay... nun wurde es seltsam. „Ich wiederhole: Es ist kein Fehler, aber ein Feature des wahren Sword Art Online. Ihr alle seid unfähig, euch aus SAO auszuloggen und niemand in der realen Welt kann das NerveGear entfernen oder dessen Anwendung unterbrechen.“ Okay, nun wurde es wirklich seltsam. „Sollte dies versucht werden, wird ein starker Strom durch Mikrowellenstrahlung von einem Transmitter ausgehend in das NerveGear gesendet und euer Gehirn zerstören, sprich: euer Leben beenden.“

Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals zu bilden begann, der mir das Atmen erschwerte. Das konnte ja nur ein schlechter Witz sein? Ein ziemlich mieser, aber... ein Witz, nicht?

„Das... ist doch gar nicht möglich, oder?“, wandte ich mich an Haia, welcher immer noch neben mir stand und setzte ein Lächeln der Ungläubigkeit auf. Wenn es so gefährlich wäre, hätte man das NerveGear nie in den Handel gegeben. Wenn man uns das NerveGear also entfernte, würden wir vielleicht etwas irritiert sein, aber deswegen doch nicht gleich sterben?

Doch der Ausdruck, der sich in Haias Gesicht gelegt hatte, zeigte mir alles andere als Zustimmung. Ich hatte diesen Jungen als aufgeweckt und schlagfertig erlebt. Er war Beta-Tester und kannte SAO somit besser als wohl viele andere. Gerade deswegen war ich der Meinung gewesen, dass er mir einfach zustimmen musste. Einfach rein rational betrachtet. Dass Haia aber zähneknirschend neben mir stand, mich nicht ansah oder mich vermutlich nicht einmal gehört hatte, ließ mich straucheln. Glaubte er dem Typen etwa?

Die Meute um uns herum war ebenso unsicher wie ich mich fühlte. Wieder hob sich das Stimmengemurmel hervor. Jene, die dies für einen Scherz hielten. Andere, die glaubten, dass das Spiel so nur noch beliebter gemacht werden sollte. Solche, die gehen wollten.

Ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe, während ich wieder zu dem Spielmacher aufsah, der auf uns so erhaben herunterblickte.

Nur mal angenommen, diese Signale, die vom NerveGear an unser Hirn ausgesendet wurde, wären tatsächlich Mikrowellenstrahlung... ab wann war diese schädlich? Wie viel konnte ausgesendet werden, dass tatsächlich ein menschliches Gehirn verbrannt werden konnte? Die letzte Physikstunde meines Lebens war nun mehr fast zehn Jahre her und da hatten wir uns zum Schluss eher mit Compton und Millikan beschäftigt als mit Radiowellen und dergleichen...

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir hier mit einem Gerät spielten, welches eine solch erhebliche Sicherheitslücke aufwies? Auf der anderen Seite... was war in der Geschichte der Menschheit nicht schon alles passiert, das als sicher gegolten hatten? Flugzeugabstürze, selbstfahrende Autos, Experimente aller Art, … kein besonders beruhigender Gedanke. „Unglücklicherweise ist es sicherlich möglich, dass die Familie oder Freunde eines Spielers die Warnung ignorieren und mit Gewalt versuchen, das NerveGear zu entfernen. Als Beweis dessen sind 213 Spieler sowohl von dieser als auch der realen Welt gegangen.“

„Schwachsinn“, entfuhr es mir tonlos, wollte mein Verstand nicht glauben, dass diese Art Gefängnis möglich war, geschweige denn, dass ich in diesem ebenso steckte wie all die anderen. Ich war hier, um mein Jahr in Japan zu verbringen und nicht, um in einer Spielwelt festzusitzen! Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast – Weisheit diverser Mathelehrer unserer Schule damals.

Ich glaubte so auch nicht an die 213 angeblich Toten. Und trotzdem kniff mich mein Magen von innen nur noch mehr, je weiter ich mich aus dem Fenster lehnte und zu ignorieren versuchte, was uns hier erzählt wurde. „Wie ihr sehen könnt, ist meine Warnung und die benannte Anzahl der Opfer weltweit in die Nachrichten übertragen worden.“

Um die Gestalt herum, ploppten diverse Frames auf. Bekannte Websites wie CNN, Facebook, GamePro, NHK oder auch die russische Adaption der Microsoft-Site waren vertreten und zeigten allesamt die gleichen Schlagzeilen: Online-Game fordert Todesopfer – 213 Menschen weltweit im Spiel gestorben. „Es ist nun also sicher zu sagen, dass die Gefahr der Versuche, das NerveGear zu entfernen, äußerst minimiert wurde. Ich hoffe, ihr werdet euch nun alle beruhigt darauf fokussieren können, das Spiel zu beenden. Aber ich möchte, dass ihr folgendes stets vor Augen habt: Von diesen Punkt an, werden alle Funktionen der Wiederbelebung in dem Spiel nicht länger aktiv sein. Wenn eure HP Null erreichen, wird euer Avatar für immer verenden und im selben Moment... wird das NerveGear euer Gehirn zerstören.“

Absurd. Einfach nur absurd.

Mein kleines Magenknäuel begann sich als Übelkeit zu entpuppen.

Träumte ich? War das nur ein Traum und ich saß eigentlich noch im Flieger nach Japan? Über dem russischen oder chinesischen Gebirge? Ja. Das musste es sein. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

Mir wurde heiß. Nein, kalt. Oder doch wieder heiß? Ein absolutes Wechselbad.

Gerade wünschte ich mir, dass die Simulation der Empfindungen in diesem Spiel nicht so real gestaltet worden wären...

„Es gibt allerdings nur eine Bedingung, die ihr erfüllen müsst, um euch zu befreien: die Beendigung dieses Spiels.“ Der Spielmacher bewegte seinen Zeigefinger über das Hauptmenü und nach einem Wischen und Tippen erschien eine runde dreidimensionale Fläche, die Rasterlinien und mehrere rote Punkte aufwies. Ich glaubte, dass dies der Ort sein müsste, an dem wir uns gerade befanden, nur weitaus simpler dargestellt. „Ihr befindet euch momentan alle in der ersten Ebene, dem niedrigsten Punkt in Aincrad.“ Die Fläche drehte sich und aus dem Längsschnitt wurde ein kokonartiger mehrschichtiger Bau. Hatte Haia nicht davon gesprochen, dass aus vielen Welten die Ebenen erstellt worden seien? „Wenn ihr den Dungeon einer Ebene erobert und dessen Boss besiegt, werdet ihr in die nächste aufsteigen können. Angenommen ihr schafft es, den Endboss in der 100. Ebene zu besiegen, gilt das Spiel als abgeschlossen.“ Die oberste Etage der visuellen Darstellung blinkte auf, um die Erklärung des Spielmachers zu unterstreichen. Einhundert Ebenen... das klang heftig.

Mir war bewusst, dass SAO natürlich einige Level bereit hielt, aber gleich 100 Stück? Und wie lange würde man brauchen, bis man alle bewältigt hätte?

„Das ist doch Wahnsinn...“, hörte ich Haia zum ersten Mal etwas sagen, seit wir hier angekommen sind, „Keiner von uns ist zuvor bis dorthin vorgedrungen.“ Super... das machte es gewiss nicht besser.

„Und zu guter Letzt habe ich für euch alle ein Geschenk in eurem Item-Vorrat vorbereitet. Seht nach.“ Kabaya sprach nicht weiter und schien zu warten, bis wir alle seiner Aufforderung Folge leisteten. Ich tat es Haia und dem Rest gleich, die das Menü aufriefen und dann in die Item-Sektion switchten. Mein eigener dürfte bis auf die zwei, drei kleinen Einkäufe von vorhin leer sein, aber... was sah ich da?

 

Spiegel.

 

Ein Spiegel? Ich tippte die Zeile an und wie aus dem Nichts erschien vor mir ein mehreckiger Spiegel, welcher mir in die Hand fiel. Nicht so filigran und hübsch wie die von dem Händler, aber er erfüllte seinen Zweck. Er zeigte mein Spiegelbild, meinen Avatar. Interessanterweise musste ich dabei feststellen, dass obwohl ich mich so schlecht fühlte, mein Aussehen nicht darunter litt. Ich war nicht leichenblass oder saunarot. Nur mein irritierter und überforderter Gesichtsausdruck selbst war etwas, was mir dennoch erhalten blieb. Doch selbst das sollte nicht von Dauer sein.

Von der gesamten Situation schlichtweg übermannt, bekam ich gar nicht mit, wie manche um mich herum erschrockene Töne ausstießen. Erst, als an der Stelle, wo Haia stand, eine hell weiße Lichtsäule aufleuchtete und ihn erfasste, wurde ich aufmerksamer. Und da packte es auch schon mich selbst! Das Licht kam von meinen Füßen her, tauchte mich komplett in dessen Säule und ließ mich die Augen zusammenkneifen, weil ich die blendende Helligkeit nicht ertragen konnte. Das Spektakel war in nur wenigen Sekunden vorbei und als ich die Augen öffnete, hatte sich weder die Umgebung verändert, noch die Leute … oder? Ich war mir unsicher. Sie trugen dasselbe wie vorher, aber... etwas stimmte nicht.

„W-Was... ist das?“, hörte ich eine hellere Stimme neben mir sprechen, die ich zuvor noch nie gehört hatte. Aber da ich wusste, dass dort Haia stehen musste, sah ich natürlich auf – aufs übelste überrascht. Nein, das... war nicht Haia... Der Junge mit den kastanienbraunen kurzen Haaren war verschwunden und stattdessen stand ein etwas gleichgroßer junger Mann um die 19 oder 20 Jahre vor mir, schwarze Haare, die kurz, aber gewellt waren und ihm in der Stirn hingen. Er betrachtete sich schockiert im Spiegel, drehte sich dann mir aber zu, „Aya...?!“, sprach er mich fast schon fragend an, worauf ich nur nicken konnte, denn... anscheinend war es Haia, der mich nun irritiert ansah. Ich gab der Neugier nach, ebenso in den Spiegel zu schauen und... erschrak nicht minder. Das... war ich nicht. Das... war nicht mehr mein Avatar. Das Bild, was sich mir jetzt zeigte... war ich selbst! Meine blaugrauen Augen, die dunkelbraunen schulterlangen glatten Haare und die eindeutig prominente Nase sowie die vollen Lippen. Ich kannte mein Spiegelbild zu gut – das... war wirklich ich. „J-Ja... du... bist Haia?“

„Ja...“

„Was... geht hier vor?“ Ich konnte immer noch nicht Eins und Eins zusammenzählen. Mein rationales Ich verbot es mir und auch Haias Erklärungskünste machten es nicht besser:

„Das NerveGear muss all unsere eingegebenen Daten zurückgesetzt haben. Oder aber... nein, es hat sie nicht zurückgesetzt. Es hat unsere Daten, als wir unsere Avatare erstellt haben, gesammelt und nun mehr umgesetzt?“ Haia ließ seinen Blick schweifen, durch die Menge der verwirrten Personen um uns herum. Es war keine Einbildung gewesen – die Leute waren tatsächlich verändert. Jeder von ihnen trug nun anscheinend genau das Gesicht, mit welchem er auch im realen Leben zu tun hatte.

„Soviel zur Datenspeicherung“, konnte ich mir meinen schwarzen Humor nicht klemmen und verschränkte schließlich die Arme vor der Brust, sah noch einmal in den Spiegel, welcher mir kein anderes Bild mehr zu zeigen wagte.

„Ich habe bereits mein Ziel erreicht“, sprach der Spielmacher nun erneut zu uns, nachdem sich der erste Tumult gelegt hatte, „Ich habe die Welt von Sword Art Online einzig und allein für meine persönliche Unterhaltung erschaffen. Und jetzt sind die Vorbereitungen abgeschlossen. Dies beendet das Tutorial für das offizielle Launch von Sword Art Online. Spieler, ich wünsche euch viel Glück.“

Und mit diesen letzten Worten, begann die gesamte Existenz des Wesens vor uns dahinzuschwinden. Sich in Pixel und flüssige Materie wieder nach und nach auflösend, schien es, als wich der Geist aus dem Körper, der nur noch aus einem in sich zusammensackenden Mantel bestand und sich in Luft auflöste. Die blutähnliche Flüssigkeit zog sich wieder in die Wand der Zelle zurück, wo sie hergekommen war und der rote Himmel war mit einem Mal wieder frei von jeglichen Feldern und zeigte sich erneut im schönsten Abendrot.

Wir waren unter uns.

Und mit uns die Stille.

Keiner von uns brauchte die Gedanken des anderen zu lesen, denn obwohl es für uns nicht real erschien, zeigte sich doch, dass es nicht anders sein konnte.

Wir befanden und immer noch in der SAO-Welt.

Wir konnten uns immer noch nicht ausloggen.

Die Spiegel in unseren Händen hatten uns unser wahres Ich geschenkt.

Und doch verstand ich rein gar nichts von dem, was hier vor sich ging.

Aber wie ich es bereits sagte: Ich war niemand, der sich von anderen in Panik versetzen ließ. Nur waren es gerade diese, die einander aufbauschten und nun begannen, eine Massenhysterie auszulösen. Das machte Panik.

Denn bevor ich mich selbst auch nur zu der kleinsten Entscheidung durchringen konnte, was ich jetzt tun sollte, spürte ich den ersten Ellbogen in meiner Seite, gefolgt vom ersten Fuß auf meinen. Die Meute schob sich vor, wollte raus, drängte, schubste und machte ihrer Angst und Panik in Worte klar und deutlich hörbar. Ich verlor die Orientierung. Vermutlich hätte ich mich just mitreißen lassen, hätte ich in diesem Moment nicht eine Hand an meinem Handgelenk gespürt, welche mich packte und bestimmt mit sich zog. Ich sah auf, blickte dem neuen – dem echten – Haia in die Augen, der sich über das Stimmengewirr der anderen hinwegsetzte und mir ein „Komm mit!“ zusprach, ehe er mich weiterzog.

Ich gab keine Worte der Widerrede von mir, war sogar ganz froh, hier . Um etwas Luft zu schnappen. Überhaupt wieder atmen zu können.

 

Wir liefen nicht weit, aber weit genug, als dass der Trubel um uns verblasste und wir etwas Ruhe genießen konnten. Erst, als wir eine kleine Seitengasse erreicht hatten, blieben wir stehen und mein Handgelenk wurde wieder losgelassen. Es drückte an der Stelle, wo Haia mich mitgezogen hatte, und ließ mich abermals an der Unechtheit des Spiels zweifeln...

Ich rieb mir die Stelle mit der anderen Hand und betrachtete diese dabei aufmerksam.

Das... waren auch meine Hände. Meine für Violine zu große und für Gitarre zu kleinen Händen, die nicht filigran geformt waren und zudem nicht gerade hübsche Fingernagelformen besaßen. Meine Hände – nicht die des Avatars. Seltsam.

„Alles okay?“

„Ja. Ja, alles okay“, antwortete ich mehr geistesabwesend als alles andere und starrte immer noch meine Hand an, welche meinen Unterarm hielt. Haia hätte mich auch fragen können, ob gerade Schweine am Himmel entlang geflogen wären und ich hätte es bejaht.

„Aya?“ Als ich meinen Spielernamen hörte, sah ich dann doch zu dem jungen Mann vor mir auf und hielt mit einem Mal erschrocken inne. Ich kannte diesen Blick... dieser besorgte Ausdruck in seinen Augen, der sagte, dass er wusste, dass etwas nicht okay war.

Seltsam...

Mir kam ein unbeholfenes Lächeln über die Lippen, welches meinen Gegenüber nur noch mehr die Stirn runzeln ließ. Haia erinnerte mich in diesem Moment an jemanden, der mich auch schon so einmal angesehen hatte und... seltsamerweise spürte ich, wie mein Herz regelrecht danach schrien, ihn jetzt sehen zu wollen. Und es war auch mein Herz, das mir zusprach, dass ich nicht einfach aufwachen und vom Traum heulend im Flugzeug sitzen würde. Der Schmerz, die plötzlich aufkommende Sehnsucht nach diesem einen Menschen und der Gedanken an andere wichtige Menschen waren es, was mir leider bewusst machte, dass dies nicht das Ende einer Reise war, sondern leider erst der Beginn.

„T-Tut mir leid... du... hast mich gerade nur... an jemanden erinnert“, sprach ich leise und hatte dabei nicht einmal wirklich die Kontrolle über meine eigene Stimme, die mit jeder Silbe etwas mehr schwankte. „Wir... sind jetzt also hier und müssen... diese 100 Ebenen schaffen, damit das Spiel als beendet gilt?“, versuchte ich meine Gedanken wieder zusammenzubringen, „100 Ebenen und wenn das einer von uns schafft, dann kommen wir zurück?“

Haia nickte langsam, schien sich noch einmal zu vergewissern, wie ich die Situation gerade annahm. Er schien sicher genug dessen zu sein, dass ich nicht sofort zusammenbrechen oder ausrasten würde, so dass auch er pragmatischer wurde, was unsere Unterhaltung betraf,

„Ja... Ich denke, sobald es einer von uns schafft, werden wir hier entlassen.“

„Okay... wäre es... dann nicht das Beste, wenn sich alle zusammentäten und wir gemeinsam vorangehen?“ Mein Gegenüber nickte zwar, verschränkte dann aber die Arme vor der Brust,

„An sich schon... aber... das wird nicht funktionieren. Du weißt, was ich dir über Partien gesagt habe?“

„Die man bilden kann?“

„Richtig... Du wirst es nie schaffen, nur eine Gruppe zu bilden und... denk an die anderen, wie aufgebracht sie waren und wohl immer noch sind... keiner von ihnen hat dafür die Ruhe, sich sofort loszustürzen. Zumal es jetzt auch dunkel wird.“

Das leuchtete ein. Ich verzog ein wenig die Lippen. Leider hatte ich wirklich zu wenig Ahnung von dem Spiel und die Tatsache, dass ich auf einen Beta-Tester wie Haia getroffen bin, der mich ein bisschen an die Hand genommen hatte, war mehr als nur ein Segen. Aber ich müsste auch von mir aus meine Einstellung bzw. Denkweise etwas ändern, denn ansonsten würde ich nicht vorankommen. Ich war schließlich auch keine Person, die sich von anderen durch Situationen schleifen ließ... wobei ich zugegebenermaßen dies gerade liebend gerne täte.

„Aber... es... gibt doch Leute, die nicht so stark sind? Die... nicht bestehen würde ohne andere?“, versuchte ich meinen Gedanken entsprechend in Worte zu formen und mich langsam vorzutasten, „Was... machen die?“

Haia überlegte einen kurzen Moment und deutete dann auf mein Schwert,

„Nun... es gibt auch jene, die mehr oder weniger als Supporter im Spiel arbeiten. Du brauchst Upgrades deiner Waffen, Ausrüstung und was nicht alles... Manche der Spieler ziehen eigene Schmieden oder Schneidereien auf. Oder arbeiten als Bauern und Händler.“

„Das geht?“

„Klar. Du kannst dir hier sogar einen Partner suchen und ihn heiraten.“

„W-Wie?“ Das warf mich jetzt doch sehr aus der Bahn – und dafür war ich ihm im Nachhinein fast schon dankbar. Es lenkte von der Schwere der Lage ab. „I-Ich dachte, hier geht es nicht darum, eine Dating-Simulation zu tilgen?“, platzte es so überrascht aus mir heraus.

Haia musste daraufhin fast schon amüsiert schmunzeln,

„Es... ist ja keine Simulation. Du unterhältst dich mit echten Menschen. Wenn ich dir also das Angebot einer Partnerschaft machen würde und einer Heirat, dann tue ich das wohl nur deswegen, weil ich dich mag.“

Irgendwie war mir die Vorstellung unangenehm, dass dies eines Tages hier im Spiel eintreffen könnte und jemand auf die Idee käme, mich heiraten zu wollen. Heirat hatte ich eigentlich für nur eine Person vorgesehen und jemanden einen solchen Korb geben zu müssen... wäre echt heftig.

„Hat es denn einen Vorteil, sich hier mit jemanden so zu verbinden?“ Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es nur aus Jux möglich war, Liierungen einzugehen.

„Ähnlich wie im echten Leben. Dein Inventar verschmilzt mit dem deines Partners und du hast mehr Platz für dieses. Du kannst den Status des anderen willkürlich einsehen. Als nettes Gimmick erhältst du einen Ehering. Und ähnlich funktioniert die Scheidung.“

„Also... wie bei einem Ehevertrag mit Scheidungsvereinbarung?“

„So in etwa? Keine Ahnung? Was ist das?“

Nun... ihm im genauen zu erklären, wie nach deutschen Recht solch eine Vereinbarung aussehen könnte, erachtete auch ich als sinnlos und schüttelte demnach nur den Kopf.

„Das... heißt also, dass ich die Möglichkeit habe, selbst die einhundert Ebenen zu bewältigen oder aber... mich hier niedersetze und ein Geschäft eröffne...“ Und in der Hoffnung bleibe, dass irgendwer anderes dies schafft... Ich merkte, wie mein Gesichtsausdruck wieder ernster wurde.

Ich sah mich keineswegs als grandiosen Kämpfer an und noch weniger als Goldschmied oder hervorragender Bäcker. Selbst, wenn ich in der realen Welt gut backen konnte, besaß ich hier doch noch nicht einmal das nötige Grundlagen Know-How, um irgendwie zu bestehen. Wie sollte ich da eine virtuelle Existenz aufbauen? Für mich waren beide Varianten abstrus. In der ersten würde ich im Kampf sterben und in der zweiten auf Grund von... Hunger? Vielleicht würde irgendjemand einen Angestellten suchen? Blöder Gedanke... das Problem waren zudem meine Gedanken selbst. Ja, ich war ein schlechter Kämpfer, aber ich konnte auch nicht einfach nichts tun und dabei zusehen, wie die Zeit an mir vorbeizog.

„Was auch immer du vorhast... ich werde definitiv weiterziehen“, sprach Haia nun von sich aus nach einem langen und klar hörbaren Durchatmen, „Ich werde zusehen, ob ich nicht noch andere Beta-Tester antreffen kann. Wir sind damals weiter gekommen als manch anderer... es gab sogar sehr fähige von uns, die jetzt wohl die größten Chancen haben dürften“, holte mich mein erster Weggefährte aus meiner Grübelei in das eigentliche Geschehen zurück. Ich horchte auf und sah entsprechend etwas überfahren zu ihm. Er wollte also weiter... natürlich. Es gab keine andere Möglichkeit für ihn. Er würde sich nicht verstecken wollen. Ebenso wenig wie ich, aber... im Gegensatz zu mir hatte er Fähigkeiten und Erfahrung. Beides Dinge, die mir fehlten. „Angenommen das stimmt, was uns erzählt wurde... bleibt uns im Grunde nichts anderes übrig als mitzuspielen. Sollten wir irgendwann doch wieder rauskommen... umso besser.“ Er klang weitaus erwachsener als sein Spiel-Ich den Anschein erweckt hatte, „Du kennst dich doch ein bisschen mit RPGs aus, oder?“

Ich nickte schweigend. „Dann weißt du, dass du definitiv leveln musst. Je höher die Ebene, desto schwieriger sind die Gegner. Und noch etwas: in einem MMORPG sind die zu erhaltenden EXP und Cor limitiert. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst... das heißt, es wird hier bald nichts mehr geben und du wirst mit schwierigeren Gegnern Probleme bekommen.“ Ich blinzelte. Das war mir bisher noch nicht klar gewesen. Tatsächlich hatte ich geglaubt, dass ich durchaus einfach nur für mich leveln könnte. Dass Gegner immer wieder aufträten. Der Fall, dass sie verschwinden würden, war mir nur von speziellen Event-Bossen aus einem Freeware MMORPG bekannt. So hatte ich noch weniger Zeit nachzudenken, sondern müsste alsbald handeln.

„Das bedeutet... du wirst wann aufbrechen?“

Haia warf mir einen längeren Blick zu und verschränkte dann die Arme vor der Brust.

„Heute Nacht.“

Das war schnell.

„E-Eh?“

„Je früher, desto besser. Ich kenne die Wege aus der Beta-Phase. Sie werden sich nicht groß geändert haben. Die Gegner, die uns erwarten, sind immer noch die gleichen. Es ist nur klug, schneller voranzukommen als die anderen.“ Einen Moment lang schweigend, sah er mir in mein hilfloses Antlitz, als sein Blick auch schon etwas weicher wurde, „Du... hast nicht viele dieser Spiele gespielt, oder?“ Nun musste ich mit dem Kopf schütteln.

„Ich bin aus Neugier in SAO gelandet, nicht, weil ich ein MMORPG Fan bin“, gestand ich fast schon etwas verärgert, doch sprach ich mir auch zu, dass ich ja nichts dafür konnte, wenn man uns in solch eine Lage brachte. Keiner hatte davon gesprochen, dass SAO nur für eingefleischte Fans dieses Spiele-Genres war...

Ein Gedanke legte sich mir immer mehr auf der Zunge, trug ich diesen doch bereits die ganze Zeit mit mir herum, seit ich Haia getroffen hatte … aber ich traute mich schlicht nicht, diesen auszusprechen. Es wäre mir unhöflich vorgekommen. Nun aber... war es womöglich meine einzige Chance? „Haia...“, sprach ich ihn schließlich von alleine an und biss mir dabei mich unwohl fühlend auf die Unterlippe.

„Hm?“

„... Ist es zu viel verlangt, wenn... ich mit dir kommen dürfte? Nur den ersten Weg. Ich weiß, dass ich vermutlich mehr Ärger als alles andere bin und besonders hilfreich bin ich auch nicht, aber...“ … aber wenn es tatsächlich stimmte, was dieser Spielmacher sagt, dann will ich hier gewiss nicht sterben.

Und das würde ich, wenn ich allein unterwegs wäre.

Mein Gegenüber war nicht überrascht, dass ich meine Bitte vortrug, ehe noch schien es so, als hätte er damit gerechnet. Trotzdem brauchte er einen schier für mich zu langen Moment um zu antworten, war ich froh, als er es endlich tat:

„Ich dachte schon, du fragst nie.“ Sein Mundwinkel schien fast schon ein wenig nach oben zu zucken, doch sprach er nun umso ernster und überlegter, „Wir müssen bei dir mit einigen Basics anfangen. Ich werde dich nicht den gesamten Weg über begleiten können oder wollen. Vielleicht erwischt es mich auch früher als geplant. Du kannst nicht wissen, was dir über den Weg laufen wird, welche Gefahren auf dich warten und welche Hinterhalte. Und ich werde dich nicht beschützen können. Das musst du selbst tun. Keine Hinterfragungen, keine Diskussionen. Du musst mir vertrauen, wenn du mit mir kommen willst. Geht das für dich in Ordnung?“

Was sollte ich darauf erwidern?

Natürlich wollte ich überleben. Ich wollte dieses Spiel beenden und wieder in meine Welt kommen. Allein schon, wenn ich daran dachte, dass in diesem Moment Keiichi davon erfuhr, was den Spielern von SAO passiert war oder dass ich deswegen meine Familie und Freunde eventuell nie wieder sehen würde – das alles ließ mich gar nichts anderes antworten als ein eindeutiges, klares und gefügiges „Ja, das ist es.“

Haia war in diesem Moment meine einzige Chance, dass ich länger als fünf Minuten in dieser verrückten Welt überleben konnte. Er war jetzt gerade mein einziger Freund, der zudem nicht die Nerven verloren hatte, wie manch andere auf dem großen Platz. Notsituationen konnte die Menschen zusammenschweißen, aber auch zu ihren einander ärgsten Feinden machen. Das war schon immer so gewesen und wenn es darauf ankam, seine eigene Haut zu retten, dann waren es eher noch jene Art Hinterhalte, die mir mehr Sorgen bereiteten als solche von den Spielmachern arrangierte, die Haia vielleicht gerade angesprochen hatte. Hätte ich im Voraus einige Spieler kennenlernen können, dann hätte ich mich durchaus mit Vertrauen auch an diese gewandt, aber so schaltete sich mein eigenes Misstrauen ein und ich würde fortan in den Beobachtermodus übergehen. Etwas, gegen das ich versuchte anzukämpfen, aber auch ich war nur ein Mensch und sobald ich mich in meinem Dasein, meiner Existenz als Person oder einfach nur mein Leben selbst bedroht sah, war ich nicht groß anders als die anderen. Lediglich konnte ich diese nicht für meine Zwecke benutzen. Das war noch nie der Fall gewesen und würde es auch jetzt nicht sein.

Umso dankbarer war ich Haia, dass er sich meiner annahm, obwohl er davon wohl am wenigsten Nutzen hatte...

„Okay, dann werden wir alsbald aufbrechen. Noch heute Nacht“, beschloss er ohne lange zu zögern und ließ mich damit gleich das erste Mal schwanken.

„H-Heute Nacht?“, wiederholte ich überrumpelt und konnte dabei meine Überraschung in der Stimme nicht verbergen. Vielleicht war es aber auch mein Gesichtsausdruck, der ihn wissen ließ, dass ich mich damit gerade ein wenig überfordert fühlte, sofort loszuziehen. Haia schwieg nämlich einen bedenklichen Moment, ehe er mit der Erklärung für seinen Entschluss herausrückte,

„Ja. Wie ich sagte, das ist das Beste. So sind wir noch vor Mittag in der nächsten Stadt, wenn wir zu Fuß unterwegs sind, und können außerdem den anderen aus dem Weg gehen. Ebenso Gegnern. Nachts sind zwar ebenso welche unterwegs, aber weniger als am Tag.“ Das klang einleuchtend. Natürlich. Jetzt, wo alle so aufgewühlt waren, würden sich auch die schwarzen Schafe herauskristallisieren – Keilereien waren das Letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten. Ich bezweifelte, dass es unmöglich war, einander hier das Leben zu nehmen. Vielleicht sah man es sogar darauf ab, dass sich die Spieler untereinander dezimierten. Sozusagen als erste Auslese. Der Mensch war leider ein Gewohnheitstier und zu dem auch noch dumm. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass unsere Spezies immer und immer wieder denselben Fehler beging und sich in Kriege und Kämpfe gegeneinander begab, wo doch Zusammenhalt die bessere Option gewesen wäre... „Stimmt etwas nicht?“, hakte mein neuer Begleiter nun etwas skeptisch nach, weil ich immer noch nicht geantwortet – oder besser: zugestimmt – hatte.

Ich schüttelte schnell den Kopf, musste aber hörbar ausatmen.

„Ich... dachte nur, dass es vielleicht besser wäre, bis zum Morgengrauen zu warten? Wir... sind schon den ganzen Tag auf den Beinen und außerdem könnten wir dann noch einige Besorgungen machen? Ausrüsten und vorbereiten?“ Ich wollte ihm nicht direkt auf die Nase binden, dass ich mich mit der Situation etwas überfordert fühlte und hoffte, dass dies Ausrede genug war. Zumal nicht mal gelogen: die ganze Zeit hier in SAO herumzulaufen und all die Eindrücke auf sich wirken lassen müssen, forderten bei mir durchaus ihren Tribut und ich spürte, dass mein Kopf sich nach ein bisschen Ruhe sehnte, um sich erholen zu können. Nicht, dass ich mich sonderlich körperlich müde fühlte – das war seltsamerweise gar nicht der Fall. Vielleicht war es das Adrenalin, vielleicht fühlte man sich hier aber auch schlichtweg nicht müde?

Was mich zu einem anderen Gedanken brachte, der mir regelrecht die Farbe aus dem Gesicht trieb: Was geschah eigentlich mit unseren Körpern, während wir hier in dieser virtuellen Welt um unser Überleben kämpften?

Haia hielt mich in diesen kurzen Momenten des Schweigens zwischen uns im Auge und legte dann den Kopf zur rechten Schulter, die Arme vor der Brust verschränkt. Irgendetwas ließ ihn ein bisschen einlenken, so dass ich als nächstes einen kleinen Seufzer hörte, und er mit einem „In Ordnung“, nachgab, „Aber zu Morgengrauen brechen wir wirklich auf. Lass' uns eine Pension aufsuchen, wo wir übernachten können. Ich kenne hier eine gute und günstige.“ Ohne Widerspruch nickte ich, doch lag mir meine Überlegung immer noch auf der Zunge und ich musste mich dazu zwingen, an etwas anderes zu denken und mich auf meine Umgebung und Haia zu konzentrieren, selbst wenn wir nicht sprachen.

 

Tatsächlich erreichten wir mit nur zehn Minuten Fußweg in einer kleinen Seitengasse eine komfortable private Pension, welche uns mit einer kuscheligen Wärme begrüßte, sobald wir die Tür öffneten. Die frische Abendluft hatte die Temperatur ziemlich abgekühlt und ich merkte, wie sich die Blutgefäße unter meiner Haut wieder zu weiten begannen, sobald ich eintrat.

Ich erwartete nicht viel, ließ meinen Blick demnach nur oberflächlich schweifen, musste aber feststellen, dass sich die Unterkunft als klein, jedoch sehr heimelig herausstellte. Die Pensionsbesitzerin war eine recht junge Frau, die Haia freudig begrüßte, als kannten sie sich schon eine Ewigkeit. Womöglich war dem auch so, wenn er zuvor Beta-Tester ward. Sie führte uns in unsere Zimmer, eine Etage höher. Wir verließen den Aufenthaltsraum, stiegen die leise knarrende Treppenstufen hinauf, während meine Hand Halt an dem glatt geschliffenen Holzgeländer fand, und gingen dann durch einen warm erleuchteten Flur, zu dem auf jeder Seite zwei Türen abgingen.

Die Zimmer hatten alles, was man benötigte: Ein gemütlich aussehendes Bett mit Daunenbettzeug, ein hölzerner großer Kleiderschrank, ein Tisch mit Stuhl und Lampe zum Fenster hin ausgerichtet. Außerdem noch eine kleine Kommode und ein runder Teppichvorleger, damit man keine kalten Füße bekam. „Das Bad befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite. Es ist ein Gemeinschaftsbad.“ Damit hatte ich keine Probleme. Um ehrlich zu sein... als ich mich auf das Bett niederließ und dessen Matratze sanft meinem Gewicht nachgab, war mir alles andere vollkommen egal. Jetzt spürte ich doch die Trägheit in meinen Knochen und hätte mich am liebsten gleich sofort in das Kissen geworfen. Wäre allerdings unhöflich gewesen und so ließ ich die Pensionsbesitzerin noch die Konditionen erklären, ehe sie sich verabschiedete und Haia und mich in dem einen Zimmer alleine ließ. Er drehte seinen Kopf zu mir und musste sich fast schon ein Lächeln verkneifen.

„Wenn du möchtest, kannst du dich ausruhen. Ich gehe noch einmal los.“ Augenblicklich aufspringend, wollte ich verneinen. Immerhin sollte er nicht denken, dass ich eine faule Begleiterin war oder gar träge oder... müde. Auch wenn letzteres stimmte. „Nein, ehrlich. Lass mich machen und ruh' dich aus. Ich weiß, wo ich hier am schnellsten und am günstigsten die besten Dinge besorgen kann. In der nächsten Stadt zeige ich dir ein paar Tricks zum Handeln und worauf du achten solltest, aber für jetzt ist es okay, ja?“, beschwichtigte er mich und drückte mich an den Schultern kurzerhand wieder herunter, so dass ich erneut auf der Matratze saß.

Keine Widerrede.

Und ich wusste, dass ich nicht zu widersprechen hatte. Immerhin hatte ich Haia versprochen, ihm zu vertrauen und mich auf seine Art einzulassen, wie er das Spiel gedachte zu meistern. Das war der Deal. Dafür nahm er mich mit.

„Okay“, wiederholte ich kleinlaut und nickte.

Haias Lippen zogen sich nun wirklich zu einem schmalen Lächeln und er wandte sich um, um zur Tür hinauszugehen,

„Ich werde wohl in einer Stunde wieder zurück sein.“

 

Im Nachhinein kann ich mich nicht daran erinnern, wie lange er wirklich unterwegs war.

Ich wusste nur, dass ich mich in das Kissen hab kippen lassen und daraufhin wie durch Zauberhand in Schlaf gefallen war.

Meine Idee, dass man hier also weder Hunger noch Müdigkeit verspüren konnte, war entsprechend verflogen. Man konnte beides mehr als nur gut nachempfinden, denn als Haia wiederkam – was ich durch das Knarren der Tür bemerkte – hatte sich mein Magen zu einem kleinen Loch entwickelt und begann zu knurren.

„Hey, wieder wach?“ Ich sah ihn irritiert und noch schlaftrunken an, rieb mir die Augen und fuhr mir einmal durch die Haare, weil ich wusste, wie diese immer in alle Richtungen abstanden, nachdem ich mich hingelegt hatte.

„Ja, schon...“ Ich war ebenso überrascht, dass es so dunkel im Zimmer war, erkannte dann aber mit einem Blick zum Fenster, dass die Abenddämmerung längst vorbei und die Nacht nun die Vorherrschaft übernommen hatte. Haia hatte das Zimmer mit einer großen Kerze erleuchtet, welche er in einem Halter auf die Nachtkommode neben meinem Bett stellte.

„Tut mir leid, ich habe etwas länger gebraucht. Hier.“ Er reichte mir ein in Papier eingepacktes Etwas und als ich danach griff, nachdem ich mich aufgesetzt hatte, bemerkte ich dessen Weiche und den herzhaften Geruch. „Ist ein belegtes Brot. Nichts besonderes, aber es sollte den Hunger stillen.“

Ich bedankte mich leise und packte meine Ration aus. Haia zog den Stuhl heran, welcher ordentlich an den Schreibtisch gestellt war und setzte sich zu mir. Sein eigenes Brot auspackend, legte er das Papier auf die Nachttischoberfläche ab und biss dann wie selbstverständlich hinein. Ich zögerte noch, wusste ich ja nicht, was mich erwartete, aber sein sicheres Tun bestätigte mir, dass es in Ordnung wäre, zu essen. Also versuchte auch ich mich an dem Brot und musste beim ersten Bissen und anschließendem Kauen feststellen... dass es sogar sehr gut schmeckte!

Es war mit einem Blatt Salat, Käse und... Ei belegt. Der Brotteig war aus mehreren Körnern gefertigt und schmeckte fast noch besser als jener, den man bei uns kannte. „Ist doch ganz okay, oder?“, erkundigte sich mein Gegenüber fast schon amüsiert über meinen plötzlichen Enthusiasmus zu essen und ich nickte begeistert,

„Mehr als das.“

Wir aßen einige Momente in Ruhe, als Haia dann von sich aus das Gespräch anzufangen schien, „Wie geht es dir? Du... wirktest etwas... durcheinander.“ Der Bissen, welchen ich gerade herunterschluckte, drohte sich querzustellen und ich half noch einmal nach, mir auf das Brustbein klopfend, als ich zu ihm aufsah. Ich wusste nicht, was ich in seinem vom Kerzenschein beleuchteten Gesicht ablesen sollte. Besorgnis? Neugier? Haia wusste, wie man ein Pokerface aufsetzte und auch wenn wir jetzt irgendwie Kumpanen waren, verbarg er auch vor mir seine Empfindungen. Wohl nicht die schlechteste Idee.

„Ich fühle mich etwas besser“, log ich demnach, wandte den Blick aber ein bisschen zu schnell auf mein Brot ab. Besser war nämlich die Übertreibung des Jahres. Erholter, ja, aber nur körperlich. Denn selbst, als Haia gegangen und ich in den Schlaf gefallen war, hatten meine Gedanken weitergedreht. Es war ein Phänomen, was ich bisher nur zweimal in meinem Leben hatte – zu schlafen und dennoch wach genug zu sein, um zu grübeln. Dass man sich beim Aufwachen dann erschlagen fühlte, war also kein Wunder. Und die meisten Dinge konnte ich nicht mit einem Schlussstrich belegen, weil sich zu viele unbeantwortete Fragen ergeben hatten. Auf die ich eine Antwort brauchte. Vielleicht konnte ich sie jetzt stellen? Sie brannten mir seit vorhin auf der Zunge und jetzt, wo wir in Ruhe zusammensaßen, war es der beste Zeitpunkt, oder? „Haia... in SAO können wir Hunger und Müdigkeit spüren, nicht wahr? Ich bin vorhin vor Müdigkeit einfach weggenickt“, begann ich und ließ mein Brot, welches ich mit beiden Händen hielt, auf das Papier in meinen Schoß sinken, „Was... ist mit unseren echten Körpern? Wir brauchen irgendwann Nahrung, sonst sterben wir am Hunger und Durst? Und... was ist, wenn das Internet einmal nicht funktioniert? Die Verbindung auf einmal unterbrochen wird oder der Akku des NerveGears leer geht oder dieses sogar kaputt? Dann... sterben wir alle auch so... oder?“ Meine Gedanken nun durch Worte Realität zu verleihen, ließ mich die aufkommende Angst nicht mehr unterdrücken. Sie verselbstständigte sich und legte sich um meinen Brustkorb, dass mir das Atmen schwerfiel, „Das sind Dinge, die wir doch gar nicht beeinflussen können?“ Es war für mich eine viel schlimmere Vorstellung, dass wir durch solche Banalitäten sterben würden als durch einen starken Gegner im Kampf. Hier konnte ich selbst mein Handeln bestimmen, aber solche Dinge wie eine gekappte Internetverbindung oder die einfachen menschlichen Bedürfnisse, damit man am Leben blieb, lagen nicht in meiner Hand. Ich könnte hier der Sieger des Spiels sein und dann mit einem Mal kurz vor dem Log-Out sterben, weil auf einmal kein Netz mehr vorhanden war. Das... war nicht nur angsteinflößend, sondern regelrecht gruselig.

Ich hatte mich zwar nicht in Rage geredet, aber trotzdem sah mich Haia so an, als hätte ich genau das getan. Als würde ich Gefahr laufen zu hyperventilieren. Dabei suchte er eigentlich nur nach einer Möglichkeit, Antworten zu finden, die ich nicht besaß.

Sein Atem ging langsamer als sonst, regelrecht bedacht, und er schloss für einen Moment die Augen, wohl um selbst einen kühlen Kopf bewahren zu können?

„Ich... denke nicht, dass Kayaba dies so einfach zulassen wird. Wenn alle Spieler aufgrund von leeren Akkus sterben, würde das sein Ziel verfehlen. Selbst erfahrene Spieler würden SAO wohl kaum innerhalb solch eines Limits schaffen.“ Da hatte er Recht. Der Spielmacher und somit auch unser Entführer (konnte man das so sagen?), würde sich nur ins eigene Fleisch schneiden, wenn leere Batterien für frühzeitige Tode von potenziell talentierten Spielern führen würde. Vorausgesetzt, dass dies sein Grund für all das war. Den Fähigsten unter uns allen zu finden. Krank, aber keine Seltenheit, wie ich aus vielerlei Spielen, Filmen und Büchern immer mal wieder mitbekommen hatte. „Vielleicht gibt er unseren Familien und Freunden in der Realität die Möglichkeit, uns ins Krankenhaus zu bringen oder so.“ Und da ging mir ein Licht auf. Das wäre das Simpelste und die sicherste Variante, nicht nur eine fortwährende Versorgung des Körpers zu gewährleisten, sondern auch einen konstanten Strom- und Netzzugang. Natürlich!

Es gab für uns also kein Entkommen, solange wir in diesem Spiel gefangen waren.

„Also... haben wir nur zwei Optionen?“, schlussfolgerte ich leise und jenen Gedanken auszusprechen, behagte mir überhaupt nicht, doch übernahm dies der junge Mann vor mir und sah mir dabei ernst in die Augen:

„Sterben oder überleben.“

Ich senkte den Kopf, hob mein Brot an und biss appetitlos in dieses.

Sterben oder überleben.

Im Grunde war es der Urkampf aller Lebewesen: Fressen oder gefressen werden.

„Wer... sorgt für dich?“, kam es mir kaum mehr als im Flüsterton über die Lippen, sah ich Haia aber nicht an. Er gab stattdessen einen längeren Seufzer von sich und atmete hörbar aus,

„Wohl... meine Mutter. Ich werde ganz schön Ärger kriegen, wenn das hier vorbei ist – Sie hatte mir vorher noch verboten, dass ich mein Geld für das Spiel rausschmeiße.“ Er lachte auf, aber ich konnte nicht erkennen, ob es deswegen war, weil er eine Erinnerung vor seinem geistigen Auge sah oder weil er wirklich annahm zu gewinnen. „Bei dir... ist es deine Gastfamilie, oder?“ Ich nickte nur. „Es wird schon bald die ganze Welt wissen, was hier vor sich geht“, mutmaßte Haia dann wieder ernster und ich spürte seinen Blick auf mich ruhen. Mich beobachtend und meine Reaktion einschätzend. Interpretierend. Vielleicht wollte er daraus schließen, auf wen er sich hier eingelassen hatte. Ob ich noch mehr Ballast als angenommen war. Vielleicht war er aber auch einfach nur neugierig, weil er bisher nicht mit Ausländern zu tun gehabt hatte.

Ich wusste noch zu genau den überraschten Blick einer japanischen Oberschülerin in der Tokyoter Yamanote-Linie, als sie Nadine und mich entdeckt hatte und dann die gesamte Strecke immer wieder hatte anstarren müssen. Wir konnten uns noch so gut den japanischen Gewohnheiten anpassen: im Grunde blieben wir immer die Ausländer.

„Ja... das denke ich auch“, gab ich eine fadenscheinige Antwort von mir, um überhaupt etwas gesagt zu haben. Ich brauchte allerdings nur verstohlen zu meinem Gegenüber zu schauen um zu wissen, dass ich nicht gerade überzeugend wirkte. In den letzten Jahren hatte ich verlernt, gewisse Barrieren aufrecht zu erhalten und man konnte in mir wie in einem Buch lesen. Auch, wenn ich es nicht wollte. Gerade solche Momente wie der jetzige, in denen ich mich absolut überfordert fühlte, ließen mich einknicken.

„Und woran denkst du noch?“, fragte Haia somit direkt nach, ohne Umschweife, ohne viel Worte.

„Über vieles?“, gab ich die Frage zurück und zuckte dann mit den Schultern.

„Du hast Angst, oder?“

„Du nicht?“

„Klar.“ Jetzt ebenso sein Brot zur Seite legend, ruhten seine Hände daraufhin ineinandergelegt in seinem Schoß, „Das... hat wohl jeder. Und diejenigen, die keine Angst haben, sind dumm...“ Weil Angst uns hilft, aufmerksam zu bleiben und nichts zu überstürzen oder uns zu überschätzen. Das war mir selbst alles bekannt. „Vielleicht bin ich auch gerade nur deswegen so gefasst, weil ich es sein muss. Wenn es drauf ankommt, bin ich wohl der pragmatische Typ.“ Wieder dieses leise Auflachen, nun mehr aber mit einem ebenso überforderten Unterton in der Stimme, die mich erkennen ließ, dass sich auch der vor mir sitzende Beta-Tester nicht komplett von den Sorgen verschont blieb, die sich hier wie eine Schlinge um jedermanns Kehle legen wollten.

„So... bin ich an sich auch“, murmelte ich und erhielt dafür einen überraschten Blick, „Ich meine... ich war mal so. In Notsituationen.“

„Hast du... denn welche bereits erlebt?“

„Einmal. Zweimal.“ Ich musste in meinem Gedächtnis kramen, aber es gab mehrere Episoden, die ich während meiner Zeit als Azubi in der Krankenpflege durchlebt hatte – wenn vor allem aber auswärts der Klinik. Immer gefasst. „Bei mir schlägt es dann hinterher ein, wenn sich die Lage beruhigt hat.“

„Geht mir ähnlich.“

„Keine gute Kombination.“

„Nein, nicht wirklich. Hast du ein Geheimrezept dagegen gefunden? Weil du meintest, dass du auch so warst ?“ Nun lag es an mir, ein leichtes Prusten zu unterdrücken. Nicht, dass ich Haia auslachte oder belächelte, aber... genau nach dieser Partoutlösung suchte ich immer noch selbst. Ihm das ebenso erklärend, hatte ich den Rest meines Essens auf der Folie neben mir platziert und ich zog nun mehr die Beine an den Körper, um sie mit meinen Armen festzuhalten.

„Aber es hilft zu reden. Mit jemanden reden, sich ab und zu etwas Trost spenden und sich... aufbauen zu lassen. So ein bisschen.“

Haia erwiderte zunächst nichts, beobachtete mich weiter. Dann erhob er erneut die Stimme:

„Hast du... so jemanden?“ Die Frage tat ihr Übriges. Ich musste sie nicht einmal mit Worten beantworten, denn meine Reaktion darauf sprach für sich Geschichte: Mein Kopf sank nämlich gegen meine Knie, bis meine Stirn diese berührten und ich mich ein bisschen von dieser virtuellen und doch nun mehr für mich realen Welt abwenden konnte. So ein bisschen.

Seltsam, wie wir mit einem Mal manche Worte zu assoziieren wussten, wo sie sonst immer nur daher gesagt waren. Floskeln. Jetzt aber machte es mir diese Floskel schwer, die Fassung zu bewahren. Ich hatte es schon am Flughafen nicht geschafft, doch in diesem Moment, wo nicht sicher war, ob ich überhaupt noch einmal die eigentliche Realität und damit auch mein eigentliches Leben wiedersehen würde, war es, als wäre ein Damm gebrochen.

Von allen Menschen, die ich liebte und die mir wichtig waren, gab es genau zwei Personen, die zusammen mein Herz bildeten – jeder eine Hälfte. Niko, meine kleine Schwester.

Und dann war da noch...der Doc. Den ich nach all der langen Zeit endlich an meiner Seite wusste, der mein für immer darstellen sollte und den ich nun vielleicht für immer verloren hätte. Das war doch unfair! Es hatte schon gereicht, dass ich diesen Einschnitt wagte, überhaupt nach Japan zu gehen – gewissermaßen hatte er mich sogar noch zu ermutigt, nahezu gedrängt, die Chance zu nutzen, weil ich nicht wollte; hatte ich doch alles, was ich brauchte, in meiner Heimat. Und dann... das.

Ich wollte nicht dran denken, wie viele Vorwürfe er sich nun machen würde, sobald meine Gastfamilie die Botschaft und diese dann meine Angehörigen kontaktierte, was diesen Vorfall hier betraf. Ich konnte nur hoffen, dass die Information solange wie möglich unter Verschluss gehalten wurde... Kummer war das Letzte, was ich irgendwem bereiten wollte. Am wenigsten eben meinen Liebsten. Ich griff ganz automatisch an meinen Hals, dort, wo normalerweise der Anhänger meiner Kette auf meiner Haut auflag, aber hier natürlich nicht vorhanden war. Nicht einmal dieses kleine Accessoire, das mir immer Kraft zu geben wusste, weil es eine Art Talisman war. Einer, den er mir vor sechs Jahren geschenkt hatte. „Das... ist gut“, sprach Haia schließlich und ich merkte auf einmal, wie die Matratze zu meiner Linken sich absenkte. Kurz darauf spürte ich seine Hand auf meiner rechten Schulter aufliegen und diese zaghaft klopfend, „Dann solltest du auch zu diesem jemand wieder zurückkehren, nicht?“ Vermutlich konnte er sich denken, um welche Art Verbindung es sich zu dieser Person handelte, von der wir beide mich bezüglich sprachen.

Ich nickte ein weiteres Mal, hob allerdings noch nicht den Kopf, ehe ich mir nicht irgendwie verstohlen über die Augen gewischt hatte, denn die Tränen liefen immer noch stumm über meine Wangen. „Und bis dahin... werde ich dir ein wenig zuhören und dir Mut geben. Wenn du gleiches auch bei mir machst?“ Es bescherte mir sogar ein zartes Lächeln auf die Lippen, als er so neckisch sprach und schließlich konnte ich auch wieder die Augen öffnen, um sie nicht mehr vor dem Unumgänglichen zu verschließen.

„Mach ich“, versprach ich dann und wandte mich Haia schließlich direkt zu, „Wir... sind Macher, oder?“

„Sind wir.“

Für den Moment wären wir Weggefährten. Wie lange diese gemeinsame Reise gehen würde, konnte ich noch nicht wissen, aber Haia war nicht nur der einzige Ansprechpartner für mich, was das Erlernen von den Grundlagen betraf, sondern auch mein jetziger Halt in dieser prekären Situation. Er erinnerte mich daran, mein Augenmerk auf das wirklich Wichtige zu legen – hier rauszukommen. Lebendig.

Es ließ mir im genau rechten Moment ein Zitat einfallen, welches mich bereits seit einer Dekadenz begleitet hatte: Never give up. These are the words which changed the value of my life. Und sie waren nun mehr wahrer denn je. Ich hatte nicht aufzugeben. Vor allem nicht noch bevor ich es versucht hatte. Wenn ich voranging, kämpfte und verlieren würde, war es das eine. Mich aber zu ergeben und dem Tod in die offenen Arme zu laufen, das andere. Und wie Haia sagte, gab es genug Grund, zurückkehren zu wollen. Denn das wollte ich. Mein Leben war noch längst nicht in voller Blüte, diese hatte erst angefangen. Vielleicht später als bei anderen, aber ich war auf dem rechten Weg und ich wollte diesen nicht wieder verlieren. Ich hatte eine Zukunft für mich im Sinn. Eine gemeinsame Zukunft mit meinem Mann, der von all den Vorkommnissen noch nichts wusste – oder zumindest nicht, dass seine Freundin genau in dieser schrecklichen Lage steckte. Ein gemeinsames Leben. Ein gemeinsames Heim. Eine eigene Familie. Heirat.

Ja, ich wollte all diese so spießigen Klischees erfüllen. Nur müsste ich dafür den Ausgang finden.

Und die Suche nach jenem würde mit Anbruch des neuen Tages beginnen.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Der pragmatische Typ ... bin ich wirklich. Es ist gut für Notfälle, aber dafür schlägt es im Nachhinein umso mehr ein. Kann nur noch besser werden, was dies betrifft. ;)
Ich muss zugeben, dass ich Haia inzwischen ziemlich gut leiden kann. Im letzten Kapitel war er mehr oder weniger schlicht eine "Aufgabenfigur", aber nun mehr wird er doch zum Kumpanen in der schweren Zeit. Gerade, wenn man über mehr als nur das Wetter redet, beginnt doch langsam eine zarte Bindung zu entstehen. Der Abschied wird schwer fallen (lach).
Schwierig war es zugegebenermaßen, die Anweisungen für SAO selbst niederzuschreiben. Ich habe hierbei den Anime als Vorlage genommen.
Gerade bin ich nämlich dabei, ein bisschen Recherche zu betreiben und nach den Romanen Ausschau zu halten bzw. zu lesen. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Maeyria
2017-07-08T09:30:24+00:00 08.07.2017 11:30
Ich kenn auch nur den Anime x'D
Daher kann ich mri das einigerßen brauchbar vorstellen x'D
Und das mit der Pragmatik kene ich auch sehr gut, bin auch so einer x'D
Bin schon gespannt wies weitergeht^^

Grüße
Mae x'D
Antwort von:  Ikeuchi_Aya
08.07.2017 12:48
Puh, sehr gut! (lach)
Transparenz ist irgendwie schon schwierig bei solchen Themen, finde ich. Zumindest bin ich da einfach nicht geübt drin. xD
Haha, mal schauen ~ sitze jedenfalls am nächsten Kapitel. :3
Danke dir. <3


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