Welt aus Metall von Kekune ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1: Kupfer ---------------------------- Kapitel 1: Kupfer Am Abendhimmel stand ein tiefroter Sonnenball, der den Weg beschien, der von herbstlichem Laub gesäumt wurde und auf dem provisorische Kupferrohre verlegt worden waren, unter denen der Teer der Straße leicht brach. Die Münzen in Jo(anne)s Hand schmerzten, als sie ihre Finger zusammendrückte und aus ihnen eine Faust bildete, um den Wert des Geldes spüren zu können. Ein Wert, der dem ihres Lebens glich. Ein Leben, so wenig kostbar wie rostfarbenes Metall, so viel weniger wert als Gold und Silber, so viel weniger prunkvoll und deshalb höchstens an Kupfer erinnernd. Wie alles in den Slums. Die kupfernen Straßen, kupfernen Rohre, kupfernen Schwebebahnen. Ein Ort, an dem selbst das Leben der Menschen aus Kupfer zu sein schien. Tragischer Weise konnte man Kupfer nicht essen. Das war es, weshalb dieses Edelmetall den Menschen hier nichts bedeutete. Jo war auf dem Weg zur Arbeit, das Glänzen des Kupfers hätte so schön sein können, aber sie ignorierte es. Ihre Schuhe klackerten auf dem Boden, genauso wie die Schuhe der Personen um sie herum. Es herrschte auch zu dieser Zeit ein reges Treiben. Jeder arbeitete, die meisten hier hatten zwei Jobs, manche sogar drei. Abends kellnerte sie, an Orten von Silber und besseren Metallen als Kupfer. Im „Rosie’s Ring“ um den Ort beim Namen zu nennen, einer kleinen Bar in der Silberstadt. Sie mochte den Job. Sie kramte eine der Münzen aus ihrer Hosentasche, den Rest hatte sie zuvor wieder verstaut. Die Schwebebahn hielt auf ihren Kupferschienen und viele Leute drängten heraus. Die meisten schnell, aus Angst, dass sie ohne eine Karte erwischt wurden. Der Schaffner verengte zwar die Augen, kontrollierte aber nicht. Er selbst kannte den Hunger, der ihre Kupfer-Gesellschaft stets begleitete. „Ich hätte gerne eine Fahrkarte. Einmal für diese Fahrt und eine für die letzte Bahn vor der Sperrstunde.“ Der Zugführer nickte nur und betrachtete die Münze, die Jo ihm gereicht hatte. „Das ist zu wenig, mein Mädchen, du kriegst nur eine Fahrt dafür, die Preise sind letzte Woche wieder einmal gestiegen.“ Vielleicht erkannte Jo ein wenig Mitleid in den Augen des Schaffners, aber wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein. Es war die Aufgabe dieses Mannes, viele Menschen hier in die Schranken zu weisen. Über jeden einzelnen nachdenken zu müssen, würde diese Arbeit unerträglich machen. Vielleicht konnte sie die Rückfahrt mit ihrem Trinkgeld bezahlen. „Dann nehme ich nur die Hinfahrt.“ „In Ordnung.“ Der Schaffner hinterfragte es nicht. Jo konnte nur hoffen, heute Abend das nötige Trinkgeld zusammenzubekommen. Nach Sperrstunde war es einem Kupfermenschen untersagt, die Silber- oder Goldstadt zu besuchen, sie nur zu betreten. Das Vergehen war groß. Viele hatten schon ihre Finger oder eine Hand dafür verloren. Man wurde immer entdeckt, die Wachmänner waren hart und unerbittlich. Noch nie hatte sie die Regeln gebrochen und sie wollte heute nicht damit anfangen, denn zu oft wurde öffentlich gezeigt, was mit denen passierte, die sich wiedersetzten. Früher war das einmal anders gewesen, die Menschen hatten keinen Grund gehabt vor etwas Angst zu haben. Als Letzte betrat sie das Abteil, sie mochte nicht von den anderen immer weiter nach vorne gedrängt und gequetscht zu werden. Einen Sitzplatz bekam sie so aber nicht mehr. Die Fahrt würde eine Stunde dauern, aber sie war es durch das Kellnern gewohnt, lange zu stehen. Sie suchte sich eine Kupferstange, um sich daran festhalten zu können. Die Bahnen waren schon oft alt, ruckelten und bremsten abrupt. Umzufallen konnte bedeuten, tot getrampelt zu werden. Natürlich nicht aus Absicht, aber Versehen kamen immer wieder vor, besonders, wenn jemand in Panik geriet. Panik war in einer solch großen Menschenmasse keine Seltenheit. Und der Zug war voll. Zum Glück nahm sie die Bahn, die die Kinder von der Schule nach Hause brachte, weshalb sie die Köpfe um sie herum überragte. Sie konnte sich zwar kaum bewegen und der Lärm um sie herum war ohrenbetäubend, aber so konnte sie den ein oder anderen Blick aus einem der Fenster erhaschen. Außerhalb der Städte sah das Land so unberührt und friedlich aus. Langsam wurde es Abend, die Sonne war nur als Halbkreis über einem der Weizenfelder zu erkennen. Überhaupt gab es nicht viel zu sehen auf dem Weg in die Silberstadt. Meistens nur Felder, Weizen, Raps, Mais, die ein oder andere Weinplantage, je näher sie den kostbaren Städten kamen. In der Stadt gab es keine Natur, alles war aus kaltem Stein und Metall, gerne wäre sie durch eines der Felder marschiert, doch dieser Wunsch war unmöglich. Ihre Beine schmerzten ein wenig. Nichts, was sie nicht bereits kannte. Sie blieb weiter tapfer stehen, dachte daran, dass sie das beim Kellnern ja auch schaffte. Eine Alternative gab es ja auch nicht. Die Kinder um sie herum schnatterten fröhlich trotz der zerfetzten Kleidung und den schweren Rucksäcken. Wenigstens gab es Bildung für sie, zu ihrer Jugendzeit hatte man darum kämpfen müssen. Nur ein Bürgerkrieg hatte dazu geführt, dass sich die hohen, goldenen Leute erweichen ließen. Dies war schon ein paar Jahre her. Allerdings hatte es Bildung gegeben, als sie noch ein Kind gewesen war, innerhalb von wenigen Jahren hatte sich das ganze System verändert. Aber dennoch sie hatte immerhin Schulbildung genossen und mochte ihren Job. Mehr als die meisten von sich behaupten konnten. Ihre Chefin Rosie war herzlich und bezahlte ihre Mitarbeiter so gut sie konnte. Jo mochte sie und sie mochte Jo. Sie war erleichtert als der Zug endlich zum Stehen kam, die Luft war schon recht stickig und es roch nach Schweiß. Die Kinder waren bereits in einem anderen Teil der Kupferstadt ausgestiegen, stattdessen hatten sich Arbeiter und Durchreisende angesammelt. Es zischte und die Bahn öffnete ihre Türen. Sie musste sich kaum bewegen, die Körper der anderen schoben sie quasi nach draußen. Jo ging zur Seite und wartete, bis sich die Menschentraube aufgelöst hatte. Endlich konnte sie einen Blick über den nun leerer werdenden Bahnhof werfen. Dieser Schimmer, poliertes Silber überall. Es war schön anzusehen, alles glänzte viel mehr als in der Kupferstadt, in der das Metall meistens mit Staub und Dreck bedeckt war. Hier kümmerte man sich um den Ort, reinigte ihn säuberlich, sorgte dafür, dass alle Welt über dessen Schönheit sprach. Rosie's Ring war nicht weit von ihrer Station entfernt, sie konnte dorthin laufen, Geld für den Bus hätte sie aber sowieso nicht gehabt. Sie schloss die Tür zur Bar auf, schlüpfte durch den Türspalt und schloss wieder hinter sich ab. Der Laden würde erst in einer Stunde aufmachen. Rosie aber kam ihr schon entgegen, anscheinend hatte sie sie kommen hören. Die mittelalte Frau schloss ihre Arme um Jo und drückte sie an sich. "Freut mich, dass du heute nochmal aushelfen kannst, ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde. Ehrlich, Jo!" "Mache ich doch gerne, das Geld kann ich auch immer brauchen, wie du weißt.", antwortete sie und erwiderte die Umarmung. "Abgesehen davon bin ich heute sogar richtig motiviert, ich übernehme die Bar, wenn du nichts dagegen hast?" Jo zog fragend eine Augenbraue in die Höhe, wusste die Antwort aber bereits. Rosie konnte ihr einfach keinen Wunsch abschlagen. "Einverstanden, aber erst wird geputzt!" Die Barbesitzerin warf ihr einen Lappen und einen Mopp entgegen und verschwand wieder im Laden. Jo wusste, dass sie Geschirr abwaschen und Kerzen anzünden gegangen war. Sie lief zu dem alten Radio auf der Fensterbank und drehte es voll auf. Wenn sie schon putzen würde, dann hatte sie auch Spaß dabei. Kurze Zeit später glänzte alles und Rosie reichte ihr als Dankeschön ein Getränk als Erfrischung. "Wir machen gleich auf." Sie beide nahmen ihre Plätze ein und polierte Gläser hinter dem Tresen, Rosie hatte bereits die Türen geöffnet. Gleich würden die Kunden kommen. Der Abend war schon vorangeschritten und ein Großteil ihrer Besucher hatten sich schon auf den Heimweg gemacht, vor allem die, die von weiter herkamen, auch sie mussten schließlich die Sperrstunde einhalten. Dabei spielte es keine Rolle wie viel Alkohol sie getrunken hatten und wie zurechnungsfähig sie noch waren. Gesetzesbruch blieb Gesetzesbruch. Es gab keine Ausnahmen. Die Uhr schlug zehn. Wie nicht anders zu erwarten, schaltete sich der Fernseher automatisch zur royalen Übertragung ein. "Sehr geehrter Bürger von Nobelium, Euer König möchte Euch daran erinnern, dass in drei Stunden die Sperrstunde eintritt. Wir bitten deshalb darum, dass alle Personen ihre Versammlungsräume und Feierabendorte rechtzeitig verlassen. Wir wünschen allen später eine angenehme Nachtruhe und freuen uns schon auf die Morgenrede, die unser König am sechs Uhr halten wird. Die Fernseher schalten zu dieser automatisch ein." Ein kurzer Videoabschnitt mit einem fröhlich winkenden Monarchen wurde eingeblendet, bis sich die die Aufnahme in Schwärze verwandelte. Jo hörte ein leises Zischen und beobachtete den schwarz-weiß flimmernden Bildschirm, bevor sich dieser ausschaltete. Sie seufzte erleichtert. Allerdings kam ihr immer dieser eine Gedanke, wenn sie den Landesreden lauschte. Wieso hatte der König diese Situation zugelassen, der Unterschied zwischen den Kasten und auch die Armut. Als sie ein kleines Mädchen war, war das System noch nicht so ausgeprägt gewesen, den Menschen ging es besser, der König besuchte sogar die Stätte, hielt persönlich Ansprachen und sie war damals nicht umhingekommen, ihn sympathisch zu finden. Was war mit diesem Mann passiert, diesem Mann, der sich tatsächlich um sein Volk gekümmert hatte. Weshalb hatte er sich zurückgezogen und gab sich nur noch über den Fernseher preis, die momentane Situation der Bürger völlig ignorierend. Aber leider konnte man mit Gedanken nichts verändern. Sie musste nur noch eine Stunde arbeiten. Auch wenn sie die Abendnachricht schon allzu gut kannte, war ihr Blick dennoch auf den Bildschirm gerichtet gewesen, sie hatte nicht bemerkt, dass sich ein neuer Kunde direkt vor ihr auf einem Barhocker niedergelassen hatte. Er war adrett gekleidet, trug tatsächlich einen Anzug mit einer Fliege und hatte einen goldenen Koffer neben sich. Jo atmete tief ein, sie hatte noch niemals in ihrem Leben etwas Goldenes gesehen. Sicher gab es die Übertragungen der goldenen Stadt, bei der sie die prunkvollen Monumente und gelbglänzende Möbel im Palast zeigten, aber hier, direkt vor ihr, das war zum Verwundern. Sie stotterte leicht, als sie den Mann bediente. "Was darf es für Sie sein, mein Herr?", fragte sie höflich. Er bestellte nur ein Bier und starrte die ganze Zeit bloß auf sein Getränk. Jo fand ihn etwas seltsam, ganz hübsch, aber auf gewisse Art und Weise sehr merkwürdig. Was machte ein fein gekleideter Herr denn hier? Und das auch noch mit einem Koffer aus Gold? Also suspekt war das schon. Nach etlichen Getränken stand er auf, gab ihr eine Goldmünze -EINE GOLDMÜNZE- als Trinkgeld, so schien es und verließ den Laden. "Jo, meine Liebe, ich denke, alle sind schon auf dem Weg nachhause, lass uns doch aufräumen und eine Stunde früher Schluss machen, der Tag hat viel eingebracht." Rosie war plötzlich aufgetaucht und lächelte sie an. Zumindest so lange, bis ihr Blick auf den Koffer fiel. "Huch? Wem gehört der denn?" Ihre Augen weiteten sich vor Verwunderung. "Also, ähm..", Jo stotterte "...das ist meiner." "Aber ich habe dich vorhin nicht damit kommen sehen, Liebes, woher hast du solch einen Koffer." Rosie war verwirrt und Jo konnte es ihr nicht einmal verdenken. An gleicher Stelle hätte sie dieselben Fragen gestellt. "Ich soll ihn für jemanden verwahren, aber ich sollte auch gehen, denke ich, sonst verpasse ich die Bahn. Also ich würde dann die frühere nehmen, wenn es dir recht ist." Sie lallte und sie redete und stoppte nicht. Jo tat alles, um die Aufmerksamkeit von der glänzenden Tasche, die sie schon fest in ihren Händen hielt, wegzulenken. Beim Rausgehen wäre sie beinahe gestolpert und verharrte kurz an der frischen Luft. "Wieso habe ich das gesagt?", fragte sie sich selbst. "Wieso habe ich behauptet, dass ich mich um den Koffer kümmern muss? Bin ich denn total verrückt geworden?" Nun, eines war ihr nun sicher, rückgängig konnte sie das ganze jetzt nicht mehr machen. Trotz des Koffers befand sie den Arbeitstag als gut. Das Goldstück würde für so viele Zugrückfahrten reichen, dass sie sich für den nächsten Monat keine Sorgen mehr machen musste. Sie lief zum Zug, stieg ein, schenkte dem Schaffner ein strahlendes Lächeln. Etwas später starrte fast jeder Mitfahrer den goldenen Koffer an, aber Jo merkte das gar nicht mehr. Sie atmete ein und aus, als sie die Tat realisierte. Was hatte sie getan? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)