Roter Winter von Tales_ (*Winterwichteln 2016/2017*) ================================================================================ Prolog: -------- Steif stand er einfach nur da und betrachtete die Szene vor seinen Augen. Rot. Seine Lieblingsfarbe. Jetzt wohl nicht mehr… So viel Rot war da. Eine große Lache hatte sich auf dem Boden bereits gebildet und wurde stetig mehr. Ein seltsames Bild was er da sah. Schon komisch, wenn man ihn vorher gefragt hätte, wäre er sicher gewesen, bei sowas sofort panisch zu reagieren. Doch dem war nicht so. Nein, eher das Gegenteil war der Fall. Seine Augen konnte er einfach nicht von der Szenerie lösen. Wie sie da lag… Völlig ruhig, keine Atemzüge… nichts… Sie war tot, gerade gestorben. Ihr Blut verteilte sich einfach auf dem Boden, es war auch auf seiner Kleidung und an dem Messer in seiner Hand. Überall Blut. Soviel Blut… Leise Schritte näherten sich, er hörte sie, war jedoch unfähig sich zu rühren. Nicht mal den Blick konnte er heben, nichts. Er war wie eine leblose Puppe, sein Körper gehorchte nicht. In seinem Kopf herrschte gähnende Leere und die Gewissheit, dass sie tot war. Jemand betrat das Zimmer und Sekunden später hörte er Schreie. Seine Schwester stürzte an ihm vorbei, zu ihr. Sie schrie, rief nach Hilfe, ja sogar nach ihm. Er hörte es… wirklich. Aber er konnte ihr nicht helfen. Dann brach ein wahrer Tumult los, Leute rannten in den Raum. Einige stürzten zu seiner Schwester, zerrten sie von der Toten. Auch er wurde gepackt, das Messer seiner Hand entrissen. Jeder schrie und rief panisch durcheinander, alle waren geschockt. Überfordert schloss er einfach die Augen, wollte nicht sehen und nichts hören. Zu viel, viel zu viel. Kapitel 1: ----------- Ernst sah der Kommissar in den Raum in dem gerade die Spurensicherung zu Gange war. Dieser Fall war schrecklich, nicht sein erster Mord. Wahrlich nicht. Doch wenn Familienmitglieder sich gegenseitig umbrachten war es immer eine Tragödie. Was hatte den jungen Mann nur dazu getrieben seine eigene Mutter zu töten? Matthias Lang konnte es einfach nicht verstehen. Er kannte diese Familie bereits, da er bereits vor einem Jahr mit ihnen zu tun hatte. Damals ging es jedoch um den Vater, Rainer. Zweifellos ein seltsamer Kerl und wahrscheinlich kein guter Vater. Betrunken im Streit, wurde er von einem anderen niedergestochen. Ein einfacher Fall, der Mörder hatte es ihnen wirklich leicht gemacht. Noch innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden hatten sie den immer stark alkoholisierten Mann aufgegabelt und anhand der Zeugenaussagen überführt. Jetzt schien es wieder ein leichter Fall zu sein. Christopher wurde mit dem Messer in der Hand gefunden, direkt bei der Leiche. Doch trotzdem konnte er es nicht glauben. Der Junge war immer freundlich und hilfsbereit. Mit seiner Mutter und Schwester schien er sich gut zu verstehen und jetzt passierte sowas. Ihm war selbst klar, dass die wenige Zeit die er in Gegenwart der Familie verbracht hatte nicht ausreichte um sich ein Urteil zu bilden. Dennoch fiel es ihm schwer. Seufzend wandte Matthias sich ab und ging den langen Gang entlang. Das Haus war alt, sehr alt. Es war schon lange im Besitz der Familie Schneider. Justin Schneider, der Bruder des Opfers war der jetzige Besitzer. Sarah war mit ihren beiden Kindern nach dem Tod ihres Mannes zu ihm gezogen. Nachdenklich ging der Kommissar weiter und dachte kurz über den Weg nach. Das alte Herrenhaus war einfach riesig, er wusste jetzt schon wieder nicht mehr, wie genau er ins Wohnzimmer kam. Lag es hinter einer dieser vielen Türen oder musste er weiter? Leise Stimmen nahmen ihm die Entscheidung ab vorsichtig an einer der Türen zu Klopfen. Zielstrebig lief er einfach weiter bis er zu einer offenen Tür ankam. Ohne Zögern betrat er den Raum und sein Blick fiel sofort auf Samantha. Das arme Mädchen saß zitternd auf dem Sofa, eine ältere Dame hielt sie in den Armen und sprach leise auf sie ein. Das Hausmädchen soweit er wusste, Dorothe. Justin Schneider stand neben dem Sofa und unterhielt sich mit seiner Kollegin Olivia Weber. Der Schock stand allen ins Gesicht geschrieben, kein Wunder bei solch grausigem Fund. Langsam trat Matthias an seine Kollegin heran, welche von ihren Notizen aufblickte. „Die Kollegen brauchen noch ein wenig“, sagte Matthias ruhig. Ernst nickte Olivia und wandte sich erneut ihren Notizen zu. „Herr Schneider sagte gerade aus, dass er nichts von alledem mitbekommen hatte. Er wurde erst darauf aufmerksam als Samantha um Hilfe rief“, sagte sie langsam und bedachte den Gemeinten mit einem musternden Blick. Zustimmend nickte dieser und zuckte mit den Schultern. „Glauben Sie mir, hätte ich es verhindern können…“ „Natürlich“, antwortete Olivia. Matthias wusste sofort, dass sie ihm nicht glaubte. Jeder war verdächtig solange sie nicht das Gegenteil beweisen konnten. „Was passiert jetzt mit Christopher?“, fragte Justin zögernd. „Nun, unsere Kollegen haben ihn mit zur Wache genommen und werden ihn dort erst mal verhören. Danach steht ihm wohl das Jugendgefängnis bevor“, sagte Matthias. „Aber er war es doch nicht!“, rief Samantha dazwischen. Verwundert schauten alle zu der Sechzehnjährigen. Zitternd und mit tränenverschmiertem Gesicht blickte das junge Mädchen ihnen entgegen. „Wer war es denn dann?“, wollte Justin stirnrunzelnd wissen. „Das Haus“, antwortete Sam verzweifelt. Verwirrt tauschten die Polizisten einen Blick aus, ehe sie sich erneut dem Mädchen zuwandten. „Das ist Unsinn Samantha. Dein Bruder hat sich in der letzten Zeit häufiger mit deiner Mutter gestritten. Ich hätte zwar nie gedacht dass es so weit gehen würde, aber das alles spricht doch einfach für ihn und nicht für einen lächerlichen Geist“, erwiderte Schneider erbost und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das ist kein Unsinn“, schrie Samantha wütend und sprang vom Sofa. „Chris hat sich doch nur mit Mom gestritten, weil er wollte dass wir hier wieder ausziehen. Wir hatten Angst…“ „Moment mal, ganz ruhig bitte. Ein Haus kann keinen Mord verüben, soviel ist schon mal klar. Trotzdem würde ich gerne wissen von was du sprichst, Samantha“, unterbrach Olivia sie abrupt. Missmutig schaute Matthias seine Kollegin an und seufzte. Die Kleine hatte heute ihren Bruder blutverschmiert neben der Leiche ihrer Mutter stehen sehen. Ein bisschen Mitgefühl war da schon angebracht, doch hielt sich das bei Weber meist in Grenzen. „Erzähl uns einfach alles, was du für wichtig erachtest“, sprach Matthias zögernd. Unsicher sah die Kleine ihn an, ehe sie nickte und sich zurück aufs Sofa sinken ließ. „Es fing alles mit dem Einzug in dieses Haus an. Wir hätten hier niemals einziehen dürfen…“ Missmutig sah Samantha aus dem Autofenster und beobachtete ihr altes Haus so lange wie möglich. Es tat weh diesen Ort nun zu verlassen, wie gerne wäre sie hier geblieben. Aber das war nun leider nicht mehr möglich. Ihre Mutter konnte die Miete für das Haus alleine nicht bezahlen und ihr Vater... Er war tot, vor ein paar Monaten gestorben. Immer noch verspürte sie einen stechenden Schmerz wenn sie an ihn dachte. Klar hatte er seine Fehler gehabt, nicht zuletzt den oftmals viel zu großen Alkoholkonsum. Doch trotzdem war er immer noch ihr Vater und sie liebte ihn. Er fehlte ihr! Mit dem Haus verließ sie jetzt nicht nur ihr wunderschönes, perfektes Zuhause, sondern auch den Ort mit dem sie so viele Erinnerungen an ihren Vater verband. Es tat weh, aber wie ihre Mutter sagte, war dieses Schritt einfach unumgänglich. Ihr Onkel Justin, zudem sie jetzt ziehen würden, hätte sie zwar auch finanziell unterstützt um das alte Haus zu halten, aber das wollte ihre Mutter nicht. Lieber zogen sie zurück in das ehemalige Elternhaus ihrer Mutter. Eine Entscheidung die sich akzeptieren musste, auch wenn es schwer fiel. Das Haus in das sie ziehen würden… Sogar bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz anders. Sie waren schon ein paar mal dort gewesen. Es war alt und verstrahlte auch die passende Atmosphäre dazu. Aber es war seltsam, sie fühlte sich meist unwohl und war froh wenn sie da wieder raus konnte. Hoffentlich änderte sich das nun und sie konnte sich dort wohl fühlen. Ihrem Bruder Chris ging es genauso, er war noch weniger begeistert von dem Umzug als sie. Das hatte in der Vergangenheit zu einigen Diskussionen geführt und es würden sicherlich noch einige folgen. Doch ändern konnte er es auch nicht. Ein weiterer Grund wieso sie nicht zu ihrem Onkel ziehen wollte, war dieser selbst. Streng, herrisch und selten ein Lächeln im Gesicht, beschrieb ihn am besten. Karriere war das, was für ihn zählte, seine Ehe ging schon vor Jahren zu Bruch und seither war er alleine. Ihre Mutter sagte, dass er sich schon um die Familie sorgte, gerade da er sie auch zu sich aufnahm, aber sie merkte ansonsten davon wenig. Tja, vielleicht würde sich das nun ändern. Sie gab sich optimistisch, versuchte es zumindest. „Jetzt zieht nicht so ein Gesicht, es wird sicher alles halb so schlimm wie ihr denkt“, sagte ihre Mutter milde lächelnd und sah in den Rückspiegel. Ein trauriges Lächeln umspielte Sams Lippen, sie wollte ihrer Mutter keinen Kummer mehr bereiten. Sie musste so viel durchstehen, da musste sie es ihr nicht noch schwerer machen. Kurz schaute sie zu Chris, welcher verkniffen auf seine Hände starrte und seufzte leise. Chris und sie waren gleich alt, Zwillinge im stolzen Alter von Sechzehn Jahren. Doch vom Charakter her unterschieden sie sich wirklich stark. Während sie eher ruhig und zurückhaltend war, war ihr Bruder das genaue Gegenteil. Wenn ihm was nicht passte, sagte er das lautstark und nahm kein Blatt vor den Mund. Normalerweise bekam das ihre Mutter nicht so ab, doch in diesem Fall wollte Chris seine Niederlage nicht eingestehen. Sie wusste dass er sich nur sorgte, doch sein Weg war der Falsche. Sagen brauchte sie ihm das nicht, denn das brachte ebenso wenig. Ihr Verhältnis war zwar wirklich sehr eng und sie stritten so gut wie nie. Aber manchmal konnte selbst sie ihn nicht zur Vernunft bringen. „Es ist ein Fehler, also was willst du hören?“, fragte Chris genervt. Frustriert seufzte Samantha und schüttelte den Kopf. Das Lächeln ihrer Mutter verschwand augenblicklich und das versetzte ihr einen Stich. „Hör endlich auf, Chris“, mahnte sie ihn leise. „Was denn? Du willst doch da auch nicht hinziehen!“, fuhr dieser sie an. „Nein, aber ändern können wir das nun auch nicht mehr und ich hab jetzt keine Lust auf deine Streitereien“ „Schön“, murrte er. Mit einer Hand fasste er in seine linke Hosentasche und holte seinen Mp3 Player raus und stopfte sich die Kopfhörer in die Ohren. Sekunden später konnte Sam auch schon leise Musik hören. Enttäuscht schüttelte sie den Kopf, ihr tat das Verhalten ihres Bruders weh. Sie hatte die ständigen Diskussionen einfach satt. War es nicht schlimm genug dass sie gerade erst ihren Vater verloren hatten? Mussten sie da auch noch ständig streiten? Klar verstand sie Chris Gründe, es wäre ihr auch lieber wenn sie nicht in dieses furchtbare Haus ziehen würden. ~.~ Eine halbe Stunde fahrt später waren sie endlich am Ziel angekommen. Das Haus ihres Onkels lag nicht weit weg von ihrem ehemaligen Zuhause. Das einzig Positive war also, dass sie dennoch ihre alte Schule besuchen konnten. Wenigstens etwas… Kaum angekommen im neuen Haus, wurden sie sogleich vom Hausmädchen Dorothe empfangen. Das meiste ihrer Sachen war bereits in den letzten Tagen hierher gebracht worden. Das wenige Gepäck was sie jetzt noch dabei hatten, konnten sie auf einmal ins Innere des Hauses bringen. Dorothe zeigte ihnen sogleich die neuen Zimmer. Sams Zimmer lag im ersten Stock, ebenso wie das von Chris. Dessen Zimmer war direkt gegenüber, während das ihrer Mutter im zweiten Stock lag. Sie wollte wieder ihr altes Zimmer beziehen, welches sie schon in ihrer Jugend als ihr Eigen nennen konnte. Gleich nach der Ankunft begann Samantha damit ihre Kisten auszupacken. Zum Glück waren die Schränke alle bereits aufgebaut, so konnte sie sich diese Arbeit sparen. Auch ihr Bett stand bereits, das hatten die Möbelpacker heute morgen abgebaut und hier her gebracht. So musste sie sich einfach nur noch alles einräumen. Es dauerte etwas aber drei Stunden später war das meiste aufgeräumt und nur noch ein paar kleine Dinge übrig. Müde ließ sie sich auf das Bett fallen und schloss die Augen. Es war keine Absicht gewesen, doch dann schlief sie ein. Das Nächste was sie wahrnahm, war das Gefühl nicht alleine zu sein. Müde öffnete sie die Augen und sah sich um. Das Zimmer lag im Dunkeln, es mussten ein paar Stunden vergangen sein. Blinzelnd versuchte sie sich an die Dunkelheit zu gewöhnen und richtete sich leicht auf. Nur langsam nahm sie ihre Umgebung war und begriff wo sie war. Alles war fremd und neu und sie fühlte sich beobachtet. Das seltsam beklemmende Gefühl machte sich in ihr breit, etwas das sie zuvor immer bei Besuchen in diesem Haus verspürt hatte. Zögernd tastete sie nach ihrem Handy auf dem Nachtisch und schaltete die Lampe ein. Langsam durchleuchtete sie das Zimmer, als sie dann bei der Tür hängen blieb sah sie jemanden. Erschrocken schrie sie auf und ließ das Handy fallen. Für einen schrecklichen Moment befand sie sich wieder in der absoluten Finsternis. Panisch taste sie nach dem Telefon, fand es zum Glück recht schnell. Mit einem Ruck richtete sie das Licht erneut an die Tür, doch da war niemand. Kein Mann stand dort mehr, keine durchdringenden Augen starrten sie mehr an. Erleichtert atmete Samantha auf, ehe sie sich ruckartig von dem Bett erhob. Schnell rannte sie aus dem Zimmer, direkt gegenüber auf die Tür ihres Bruder zu. Sie klopfte nicht, wie sie es normalerweise tat, nein, sie riss die Tür einfach auf. Erleichtert betrat sie den hell erleuchteten Raum und schaute sich suchend nach ihrem Bruder um. Das Zimmer war immer noch voll von Kisten, anscheint hatte er im Gegensatz zu ihr nicht ausgepackt. Chris saß ebenso wie sie noch vor wenigen Momenten auf dem Bett und starrte mit ausdruckslosem Blick an die Wand. „Chris“, rief sie schrill. Ihr Herz klopfte schnell in ihrer Brust, sie hatte Angst. Was war da passiert? Was war hier los? Christopher riss sich nach ihrem Ruf endlich von der Wand los und sah sie mit großen Augen an. „Ich… hab da was gesehen“, hauchte Samantha aufgebracht. „Du auch?“ „Du hast dir das sicher nur eingebildet, Samantha. Du hast geschlafen, warst noch müde und dann passieren solche Dinge“, sprach Justin Schneider stirnrunzelnd. Man merkte sofort, dass er diese Geschichte überhaupt nicht glaubte. Matthias konnte es ihm nicht verübeln, denn er glaubte auch nicht an Geister oder sonstiges übersinnliches. Ihm war derartiges nie begegnet und es gab aber auch in diesem Fall eine logische Erklärung. Schneiders Erklärung klang auch für ihn mehr als einleuchtend. Doch die kleine Samantha schien daran zu glauben und in Anbetracht der jüngsten Ereignisse sollte sich Herr Schneider ein wenig mitfühlender seiner Nichte gegenüber verhalten. Das Kind hatte heute den Rest ihrer Familie verloren. „Es ist aber passiert, ich hab mir das nicht eingebildet. Chris hat es auch gesehen, Onkel“, erwiderte Sam mit zitternder Stimme. „Ich lebe hier mein ganzes Leben lang und mir ist nie etwas dergleichen aufgefallen. Meinst du nicht dass ich in all den Jahren auch etwas seltsames hätte sehen müssen?“, fragte Herr Schneider erbost. Im Stillen gab Matthias ihm Recht, aber im Moment wollte er sich nicht dazu äußern. „Erzähl einfach weiter, was ist danach passiert?“, sprach Lang ruhig und sah zu seiner Kollegin, welche ihn skeptisch musterte. Ihm war klar, dass sie ebenfalls nicht an diese Geistergeschichten glaubte, aber sie mussten herausfinden was hier passiert war. Welches Motiv Christopher hatte um solch eine Bluttat zu verüben. „Danach sind Chris und ich zu unserer Mutter“, sagte Samantha leise. „Chris hat ihr davon erzählt und sie darum gebeten hier wieder auszuziehen. Aber sie hat uns nicht geglaubt und uns weggeschickt“ „Das hätte ich an ihrer Stelle auch getan“, murmelte Justin schnaufend. „Hätte sie das nicht getan, würde sie wahrscheinlich noch leben“, murmelte Sam leise. Ihre Hände verkrampften sich in ihrem Schoss und Tränen traten in ihre Augen. Sofort verspürte Matthias eine neue Welle des Mitleids über sich hinweg fegen. „Du denkst also, dass das Motiv deines Bruders der Auszug aus diesem Haus war?“, fragte Olivia ernst. „NEIN“, rief Samantha aufgebracht. „Er hat das nicht getan, hören sie mir den nicht zu?“ „Wer war es denn dann? Du selbst hast doch deinen Bruder am Tatort mit dem Messer in der Hand gefunden“, bemerkte Weber spitz. Innerlich stöhnte Matthias bei der harschen Art seiner Kollegin. Keiner der Anwesenden schien wirklich Nachsicht mit der Kleinen zu zeigen. „Er war es aber nicht“, murmelte Samantha verzweifelt. „Ist sonst noch irgendetwas passiert, was für uns wichtig sein könnte?“, fragte Lang zögernd. Diese Diskussion würde sie alle nicht weiter bringen, soviel war klar. „Die ersten Wochen danach waren ruhig, ich glaubte selber, dass ich mir das damals eingebildet hatte. Es passierte nichts, aber dieses beklemmende Gefühl blieb. Daher verbrachte ich so viel Zeit wie möglich außerhalb bei Freunden. Wenn ich zu Bett ging, ließ ich immer meine Lavalampe brennen. Aber der Mann tauchte nicht mehr auf. Es dauerte eine Weile bis ich merkte, dass er nur nicht mehr bei mir auftauchte…“ Leise summte Samantha vor sich hin, während sie den Gang entlang zu ihrem Zimmer ging. So langsam gewöhnte sie sich an das Leben hier, auch wenn es ihr immer noch schwer fiel, das alte Haus als ihr Zuhause zu bezeichnen. Die meiste Zeit fühlte sie sich immer noch unwohl hier, aber sie ließ sich davon nicht mehr beeinflussen. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, als sie an die Gestalt des Mannes dachte, der am ersten Tag in ihrem Zimmer gewesen war. Sie hatte ihn seither nicht mehr gesehen und glaubte inzwischen selbst daran, dass es nur eine Einbildung war. Es musste so sein, sie hoffte es wirklich. Eine Wiederholung brauchte es wirklich nicht. Als sie an ihrer Zimmertür ankam, hielt sie inne als sie die leise Stimme ihres Bruders hörte. Verwundert drehte sie sich um und schaute zu der geschlossenen Tür. Seit sie hier eingezogen waren, veränderte sich Chris. Er verschloss sich immer mehr, stritt immer häufiger mit ihrer Mutter. Es tat ihr weh, dass er sich so verhielt, aber was sollte sie schon tun? Schon so oft hatte sie ihn darauf angesprochen, aber er blockte einfach ab. Sie wusste, dass er an jenem Abend vor einigen Wochen auch etwas gesehen hatte. Doch er schwieg sich aus, wollte nicht darüber reden. Ein Umstand über den sie eigentlich ganz froh war, wenn sie ehrlich zu sich war. Trotzdem ging es so nicht mehr weiter, sie wohnten nun schließlich hier. Die ständigen Streitereien mit ihrer Mutter brachten gar nichts, belasteten bloß alle Anwesenden. Onkel Justin interessierte sich nicht dafür, überhaupt bekamen sie ihn selten zu Gesicht. Wenn er nicht gerade in der Firma war oder auf Geschäftsreise, hielt er sich meist in seinen eigenen Räumen auf. Ihre Mutter hingegen war auf der Suche nach einem Job und auch endlich in der letzten Woche fündig geworden. Seitdem war sie auch weniger zu Hause, ihre Arbeitszeiten waren recht durcheinander im Moment. Es schmerzte Samantha, sie vermisste ihre glückliche Familie. Seit dem Tod ihres Vaters war nicht mehr viel davon übrig… Die Einzige mit der sich Sam in der letzten Zeit immer mehr verstand, war das Hausmädchen Dorothe. Sie mochte die ältere Dame schon immer, aber gerade in der letzten Zeit hatte sie doch öfters mit ihr gesprochen. Die Stimme ihres Bruders riss sie erneut aus ihren tristen Gedanken. Sie war froh, dass er mit jemanden sprach. Wahrscheinlich telefonierte er mit seinem besten Freund Josh. Das erleichterte sie nun doch, denn diesen hatte sie seit ihrem Einzug auch nicht mehr bei ihrem Bruder gesehen. Plötzlich antwortete eine Stimme der ihres Bruders, die Worte waren nicht klar. Doch sie kannte diese Stimme nicht, es war auf keinen Fall Josh. Es war komisch, diese Stimme hatte etwas an sich. Sie klang merkwürdig, fremd und hallend. Als wäre sie nicht von dieser Welt. Sofort bekam sie eine Gänsehaut und das beklemmende Gefühl verstärkte sich. Unschlüssig trat sie an die Zimmertür heran und legte den Kopf an das Holz. Zuerst hörte sie ihren Bruder, dann wieder diese Stimme. Die Gänsehaut verstärkte sich, sie wollte wissen was das auslöste. Ohne nachzudenken klopfte sie an die Tür und öffnete jene ohne eine Antwort ihres Bruders abzuwarten. Mit einem Ruck stieß sie das Holz zur Seite und saß Chris auf dem Bett sitzen. Erschrocken drehte dieser sich um und schaute sie wütend an. Sam ging darauf gar nicht erst ein und schaute sich weiter um, doch… Da war niemand. Chris war alleine und er hatte weder den Fernseher noch den Computer an. Sein Handy lag auch nicht bei ihm, also was hatte sie da gehört? „Mit wem hast du gesprochen?“, fragte sie Chris irritiert. „Mit niemanden“, fauchte jener und erhob sich vom Bett. „Aber ich habe dich doch gerade mit jemanden reden gehört“, behaarte sie unsicher. „Du musst dich täuschen und jetzt verschwinde“, rief er aufgebracht und stellte sich bedrohlich vor sie. Erschrocken betrachtete sie das wutverzerrte Gesicht ihres Bruders, er machte ihr Angst. Sie kannte ihn so gar nicht, sonst war er nie so zu ihr. Unsicher ging sie einen Schritt zurück und schaute sich nochmals in dem Raum um. Doch sie fand nichts wodurch sie diese Stimme hätte hören können. „Du sollst verschwinden“, rief Chris plötzlich laut, packte Samantha an den Schultern und schob aus seinem Zimmer. Mit einem lauten Knall schlug die Tür vor ihr Nase zu. Überrumpelt schaute sie auf das dunkle Holz, ihre Schulter schmerzte leicht. Noch nie hatte Christopher sie dermaßen grob angefasst, so kannte sie ihn gar nicht. Sein Verhalten machte ihr Angst, irgendetwas stimmte da nicht. Gern hätte sie ihn darauf angesprochen, aber sie traute sich nicht mehr zu klopfen. Stattdessen ging sie einfach in ihr Zimmer… „Sie sagen also, dass sich das Verhalten Ihres Bruders verändert hat? Er wurde aggressiver?“, fragte Olivia Weber. „Ja, aber das lag am Haus“, erwiderte Samantha verzweifelt. „Haben Sie sonst noch irgendwas mitbekommen? Einen weiteren Streit zwischen Ihrer Mutter und Ihrem Bruder? Oder hat er ihr gedroht?“ „Nein, die Streitereien wurde weniger“, antwortete Sam leise. „Aber Christopher verschloss sich immer mehr. Er sprach kaum noch mit Sarah und das verletzte sie. Sie hat mit mir darüber gesprochen und gefragte was sie tun soll“, mischte sich Justin Schneider mit ein. „Und was haben Sie ihr geraten? Haben Sie mit Christopher gesprochen?“, wollte Matthias stirnrunzelnd wissen. Diese Geschichte war merkwürdig, beinahe haarsträubend. Samantha wollte eine Stimme gehört haben? Nun was sollte man davon halten. Vielleicht gab es doch eine logische Erklärung für die Stimme, an etwas Übernatürliches glaubte er nicht. „Ich habe Sarah geraten, den Jungen einfach in Ruhe zu lassen. Irgendwann würde sich Chris schon mit der Situation abfinden. Mit ihm Reden hielt ich für sinnlos, da wir kein inniges Verhältnis zueinander haben“, erklärte Justin. „Hat Sie ihnen gegenüber mal erwähnt, dass sie sich von Christopher bedroht fühlt?“, fragte Olivia Weber. „Glauben Sie mir, wenn sie mir so etwas gesagt hätte, dann hätte ich eingegriffen“, antwortete Justin ernst. ~.~ Seufzend fuhr Matthias sich durchs Haar und nahm einen Schluck Kaffee. Die Befragung von Samantha und Justin Schneider erbrachte keine weiteren Hinweise. Herr Schneider hatte eh kaum etwas von den Dingen in seinem Haus mitbekommen. Zum Tatzeitpunkt befand er sich ein Stockwerk höher in einer Besprechung mit dem Hausmädchen. Das einzige was Samantha noch zu sagen hatte, war dass ihr Bruder sich immer weiter von ihr abschottete. Diese seltsame Stimme schien sie noch mehrmals aus dem Zimmer ihres Bruders gehört zu haben, aber hatte sich seitdem nicht getraut den Raum zu betreten. Tja, was sollte er davon halten? Ob es für den Fall relevant war, konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Morgen wollten er und seine Kollegen sich mit weiteren Menschen aus Christophers Umfeld unterhalten. Abwarten ob noch mehr Leute, dass seltsame Verhalten des Jungen bemerkt hatten. Auf seiner Liste stand auf jeden Fall die Lehrerin, Frau Vogt und Chris bester Freund, Josh Meier. Die Tür ging auf und Olivia steckte ihren Kopf durch selbige. „Wollen wir?“. Zustimmend nickte Matthias und erhob sich träge um seiner Kollegin zu folgen. Vor der Tür zu einem der Verhörraum hielt sie kurz inne und ließ ihm den Vortritt. Mit einem seltsamen Gefühl sperrte Lang das Schloss auf und betrat den Raum. Sofort fiel sein Blick zu Christopher welcher angespannt an dem einzigen Tisch in der Mitte des Raumes saß. Seine Kleidung war immer noch mit Blut verschmiert, doch wenigstens waren seine Hände und das Gesicht nun frei von dem roten Lebenssaft. Christopher reagierte nicht, als sie hereinkamen, ebenso wenig, als sie die Tür verschlossen und sich ihm gegenüber setzten. Sein Blick war leer, wirkte abwesend… ~.~ Steif stand er am Fenster und schaute hinaus. Sacht fiel der Schnee auf den Boden und blieb dort liegen, eine dünne Schicht hatte sich bereits auf der Erde gebildet. Der Anblick weckte Erinnerungen, an eine Zeit in der noch alles in Ordnung war. In der es keine Gitter vor dem Fenster gab. Eine Zeit in der nicht im Jugendgefängnis saß und nicht der Mörder seiner Mutter war. Seit dem Moment in dem sie starb, lebte er wie in einem Traum. Er nahm alles um sich herum wahr, erinnerte sich noch deutlich an das panische Gesicht seiner Schwester. An ihre Tränen und Schreie… Der Moment in dem die Polizei ihn verhaftete und zur Wache fuhr. Ja, sogar die beiden Polizisten die ihn vorhin verhören wollten. Sie wollten Antworten von ihm, doch was sollte er sagen? Konnte er überhaupt etwas sagen? Sein Körper fühlte sich fremd und taub an, alles war anders seit dem Moment in dem sie zu Atmen aufgehört hatte. Lebte er überhaupt noch? Es war alles so seltsam… Christopher hatte keine Antworten und keine Fragen. Nicht einmal Hunger oder Durst verspürte er, das Einzige was ihm blieb, war dieser Schmerz in seiner Brust. Tief atmete er durch und öffnete die Augen, wusste nicht einmal mehr sie geschlossen zu haben. Wieder fiel sein Blick auf den Schnee. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, die erste Reaktion seitdem es passiert war. Der Schnee erinnerte ihn an seinen Vater. An die Zeit bevor dieser immer öfter zur Flasche gegriffen hatte, als Samantha und er noch kleiner gewesen waren und sie wann immer es ging mit ihm zusammen draußen ihm Schnee spielen waren. Wie sagte Sam noch gleich? Winterwunderland. Ein Wunderland gab es nur nicht. Nur die grausame Realität. Samantha… seine kleine Schwester. Sie hatte alles verloren… seinetwegen. Sie war Waise, so wie er… Ein Bild blitzte vor seinen Augen auf, er sah die Klinge in seiner Hand. Sah wie sie nach vorne schnellte, Blut spritzte. Es gab keinen Schrei, nichts. Das Messer traf sie am Hals. Ihre Augen starrten ihn weit aufgerissen an, was sie wohl dachte? Hatte sie Angst vorm Sterben? Dachte sie an Sam? Oder fragte sie sich, warum er es getan hatte? Fragen auf die er nie eine Antwort erhalten würde. Ihm wurde schlecht, als er die Bilder vor sich sah. Das Messer, das immer wieder in den am Boden liegenden Körper drang. Wie oft hatte er zugestochen? Fünfmal oder Zehnmal, er hatte einfach keine Ahnung. Alles war verschwommen und surreal. Was war da passiert? Wieso war das geschehen? Wieso er? Warum seine Mutter? So viele Fragen, die er niemals beantwortet bekommen würde. Denn die, die er Fragen könnte, waren unerreichbar. Die Polizei konnte ihm nicht helfen, es machte keinen Sinn zu sprechen. Das Gefängnis stand ihm bevor, nichts konnte ihn davor bewahren. Es war egal, alles war egal. ~.~ Müde saß Samantha vor dem Fenster und starrte hinaus. Die Polizei war gegangen und ihr Onkel überließ sie sich selbst. Dorothe wollte später nochmal nach ihr sehen, doch im Moment wollte sie niemanden sehen. Sie brauchte Zeit um das alles zu verstehen. Zu begreifen was da passiert war. Ihre Mutter… sie würde nie wieder nach Hause kommen. Nie wieder mit ihr reden und lachen. Sie war fort und das endgültig. Ihr Herz zog sich schmerzhaft bei dem Gedanken zusammen. Es tat weh auch nur darüber nachzudenken. Jetzt hatte sie niemanden mehr, nicht mal Christopher war ihr geblieben. Man würde ihn des Mordes anklagen, da war sie sich sicher. Wie viele Jahre er wohl bekam, trotz seines Alters? Sie wusste es nicht und wollte auch gar nicht darüber nachdenken. Tränen liefen über ihre Wangen, stumme Zeugen ihres Schmerzes. Schuldgefühle nagten an ihr. Hätte sie es den Beamten erzählen sollen? Sam hatte Angst, hatte sie doch bemerkt dass man ihr nicht glaubte. Was wenn man sie für verrückt erklärte? Das war sie nicht, auf keinen Fall. Samantha wusste was sie gesehen hatte. Zitternd lief Samantha durch den Garten, trotz der beißenden Kälte. Sie wartete sehnsüchtig auf den ersten Schnee und ihr Winterwunderland. Vielleicht war es kindisch, aber für sie war der Winter immer noch das Größte. Sie liebte den Schnee und erinnerte sich gerne an die Zeit die sie draußen mit ihrem Vater und Bruder, ab und zu auch mit ihrer Mutter verbracht hatte. Damals war alles so perfekt und schön. Sie waren alle glücklich gewesen, frei und unbeschwert. Keine dunkeln Schatten die sich langsam über sie legten. Ihr Vater war einfach für sie beide da und spielte mit ihnen. Sei es Schlitten fahren, Schneemann bauen oder eine Schneeballschlacht. Ja, sie hatte diese Zeit wirklich geliebt. Vermisste sie ihren Vater gerade jetzt wieder mehr. Selbst als er immer öfters anfing zu trinken, verbrachte er ab und zu ein paar Tage mit ihr draußen im Schnee. Dann war alles normal gewesen, einfach perfekt. Nicht so wie jetzt… Seufzend sah Sam zurück zum Haus, in Richtung des Zimmers von Chris. Seit sie diese Stimme vor zwei Tagen bei ihm gehört hatte, redete er nicht mehr mit ihr. Er mied sie direkt und verschloss sich noch mehr. Es schmerzte und sie verstand einfach nicht was los war. Mit wem sprach Christopher ständig? Denn sie hörte diese Stimme immer wieder wenn sie an der Zimmertür vorbei ging. Verwirrt blinzelte Sam und drehte sich weg. Unbewusst war sie zum Fenster ihres Bruders gelaufen. Fast war sie versucht durch den halb herunter gelassenes Rollo zu schauen, doch noch wagte sie es nicht. Bisher hatte sie nie die Privatsphäre anderer verletzt, doch andererseits benahm sich Chris auch sonst nicht so. Zögernd trat sie näher und duckte sich ein wenig um vorsichtig über die Kante zu schauen. Zuerst fiel ihr Blick auf das Bett, auf welchem sie Chris sitzen sah. Er sprach mit jemand, erst dachte sie dass er telefonierte. Doch der Schein trug, unsicher folgte sie seinem Blick und ihr Atem stockte. Christopher sah direkt zu dem Mann den sie vor ein paar Wochen gesehen hatte! Diese gruselige, finstere Erscheinung, die sie damals so in Panik versetzt hatte. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, ihr Puls beschleunigte sich. Was hatte das zu bedeuten? Die Finstere Gestalt, dunkel und böse… Es konnte nichts Gutes sein, dass spürte sie einfach. Gefahr ging vom diesem Wesen aus, es hatte nichts Gutes im Sinn. Zitternd ballte Sam die Hände zu Fäusten und beobachtete ihren Bruder weiter dabei, wie mit dieser Mal durchsichtiger, mal deutlich sichtbaren Gestalt sprach. Sie fühlte sich wie festgefroren, traute sich nicht zu bewegen. Ihre Gedanken rasten, sie wollte sich bewegen, zu ihre Mutter rennen, zu irgendjemanden der ihr half. Doch sie konnte nicht, schaffte es nicht sich von der seltsamen Szene losreißen. Plötzlich drehte die Gestalt sich ruckartig zu ihr. Erschrocken zuckte Samantha zurück und schaute mit aufgerissenen Augen direkt in die eisigen Seelenspiegel. Das Gesicht des Mannes, verschwommen, kaum als menschlich zu bezeichnen, verzog sich zu einer wütenden Grimasse. Dann ging alles ganz schnell, Samantha hatte keine Zeit zu reagieren, die Gestalt raste mit enormer Geschwindigkeit auf sie zu, durchlief dabei ihren Körper. Erschrocken schrie sie auf, als sie von einer extremen Kälte heimgesucht wurde und torkelte ein paar Schritte zurück, fiel dabei in den Schnee. Angstvoll blieb sie im Schnee sitzen und sah sich hektisch um, doch die Gestalt war fort. Trotzdem hörte sie diese gruselige Stimme immer wieder in ihrem Kopf nachhallen. ~Verschwinde~ Hektisch rappelte sie sich auf und schaute noch einen Moment zurück zum Fenster. Chris stand nun direkt davor und schaute sie mit einem nichtssagenden Blick an, ehe er den Rollanden komplett herunter ließ. Überfordert rannte Samantha los, rein in das Haus. Zu ihrer Mutter, ihren Onkel oder Dorothe. Es war ihr egal, Hauptsache sie konnte darüber reden… Sie wollte nicht mehr hier sein, hatte panische Angst. Natürlich war es ihre Mutter gewesen, die ihr an diesem Tag schon direkt im Flur entgegen gekommen war. Gerade bereit zum Aufbruch in die Arbeit. Sie hatte ihr nicht ein Wort geglaubt, es für einen Scherz gehalten. Ihr gesagt, sie solle erwachsen werden und nicht solche Gruselgeschichten erzählen. Tja, was hätte Sam da tun sollen? Mit Christopher konnte sie ab diesem Tag gar nicht mehr reden und sonst glaubte ihr sowieso niemand. Wie hätte sie es den verhindern sollen? Wie erahnen, was der Geist plante? Und sie war sich sicher, dass der Geist die Schuld am Tod ihrer Mutter trug. Christopher hätte ihr nie wehgetan, aber er hatte sich verändert… durch dieses Haus. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, mit einem Mal fühlte sie sich extrem beobachtet. Langsam hob sie den Blick und sah einfach starr nach vorn. Im Fenster sah sie die Spiegelung, etwas schwarzes das wohl hinter ihr stand. Es war die Gestalt, da war sie sich sicher. Heute verspürte sie keine Angst, nun war alles anders. Man hatte ihr alles genommen… Wovor sollte sie sich fürchten? „Wieso hast du das getan?“, flüsterte sie leise. Sie verstand es nicht, was bezweckte das Wesen damit? „Warum hast du meine Mutter getötet?“ Langsam drehte sie sich um und schaute stumm in die eisigen Augen. Einen Moment passierte nichts, dann veränderte sich die Gestalt des Mannes, wurde gänzlich zu Rauch. Fast dachte sie, dass es verschwinden würde doch dann manifestierte es sich wieder. Da war kein Mann mehr, sondern ein Kind. Ein kleiner Junge, vielleicht acht Jahre alt. Einzig die eisigen Augen waren geblieben und der wütende Ausdruck. „Weil Sie mich getötet hat“ ~.~ Genervt stapfte Justin die Treppen nach oben, er wusste ganz genau wo er seine jüngeren Geschwister finden würde. Dabei hatten ihre Eltern ihnen schon sooft gesagt, dass sie da oben nichts verloren hatten. Was fanden die Beiden nur so interessant? Es war einfach nur ein staubiger alter Dachboden mit einer Unmenge an alten Sachen. „Sarah, Justin ihr sollt da oben nicht spielen“, schrie er genervt nach oben. Er hatte es satt seinen Geschwistern ständig hinterher zu rennen. Sicher war er mit seinen Elf Jahren der Älteste von ihnen, aber deswegen hatte er noch lange keine Lust seiner zehnjährigen Schwester und achtjährigem Bruder immer hinterher zu laufen. Geschwister waren manchmal einfach anstrengend. Ein lauter Schrei erklang, ließ ihn abrupt inne halten. Erschrocken schaute Justin die letzten Stufen nach oben, konnte jedoch niemanden erspähen. Wahrscheinlich hatten sie zwei Mal wieder in die Haare bekommen und er würde sie nun wieder streitend vorfinden. Doch dafür war es einfach zu ruhig… Ein schreckliches Gefühl machte sich in ihm breit und er rannte die letzten Stufen nach oben. Im Dachboden angekommen fiel sein Blick sofort auf Sarah, welche ihn mit großen Augen anschaute. Dann bemerkte das offene Fenster direkt hinter ihr. Ärgerlich ging an ihr vorbei und wollte gerade das Fenster schließen, als er ihre ängstliche Stimme hörte. „Es war ein Unfall?“ „Unfall? Ein Fenster öffnen ist kein Unfall“, sagte er ärgerlich. „Wir wollten doch nur ein bisschen das Fenster öffnen um frische Luft herein zu lassen“ „Ihr sollt das Fenster aber nicht aufmachen, da ist doch noch kein neues Gitter davor. Das ist gefährlich, dass weißt du genau“, schimpfte Justin. „Wo ist Julian?“ Zitternd streckte Sarah ihre Hand aus und deutete auf das Fenster. Verwirrt drehte Justin sich um und schaute aus dem Fenster, in der Annahme Julian würde unten auf der Wiese stehen. Julian war auch dort, doch… Geschockt zuckte Justin zurück und starrte seine Schwester mit großen Augen an. „Wir wollten uns auf die Fensterbank setzten…“, murmelte sie mit erstickter Stimme. „Wir haben uns gestritten... es war ein Unfall“ Wütend schüttelte Justin den Kopf und versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben. Er erinnerte sich nicht gerne daran zurück… Als Kind so etwas zu sehen, seinen eigenen Bruder… Er hatte es nie wirklich vergessen können, es hatte ihn sein Leben lang verfolgt. Es war damals eine sehr schwere Zeit, noch heute vermisste er seinen Bruder. Nicht diesen Geist, nein diesen liebevollen kleinen Jungen. So aufgeweckt und voller Leben. Keine Wut, nichts beängstigendes… Julian war laut und behaarte oft auf sein Recht, genau deswegen stritt er sich auch gerne mit Sarah. Beide hatten ihren Dickschädel, was letztendlich zu diesem schrecklichen Unfall beigetragen hatte. Niemand hatte Schuld, es war einfach passiert. Doch noch bereute er es, sich damals nicht früher auf die Suche seiner Geschwister begeben zu haben. Dann wäre Justin nicht aus dem Fenster gestürzt und er hätte Sarah heute das nicht angetan. So viele Jahre lebte er nun schon in der Gesellschaft des Geistes seines Bruders. Anfangs hatte er Angst gehabt, als er Julian das erste Mal nach seinem Tod gesehen hatte. Nach der Angst kam die unglaubliche Freude, seinen Bruder doch nicht verloren zu haben. Aber niemand konnte ihn sehen, nur er. Egal wie oft er seinen Eltern davon erzählt hatte, nie glaubte man ihm. Irgendwann wurde er zum Psychologen geschickt um zu lernen, dass das alles nur eine Einbildung war. Geister gab es nicht… Immer und immer wieder wurde ihm das eingetrichtert, bis er es selbst fast glaubte. Doch Julian ließ ihn nicht nach vorne schauen, er war immer noch das quengelige Kind, wie zu Lebzeiten. Justin konnte aber nicht mehr mit ihm spielen, durfte nicht mit ihm sprechen. Es war ihm kaum möglich das einzuhalten und irgendwann schickten sie ihn auf ein Internat. Der Abstand sollte ihm laut Psychologen gut tun und das tat es wirklich. Als er ein paar Jahre später zurückkehrte, ignorierte er Julian, sprach kein Wort mehr. Für ihn war er nicht mehr real, ein Hirngespinst nichts weiter. Aber er verschwand einfach nicht… Die Jahre zogen ins Land und der Geist seines Bruders veränderte sich. Er wurde dunkler, bedrohlich, wirkte nahezu angsteinflößend. Es fiel Justin schwer ihn weiterhin zu ignorieren, er ahnte dass es eben kein Hirngespinst war. Aber was sollte er den schon tun? Mit irgendwelchen Parapsychologen sprechen? Sich irgendjemanden anvertrauen? Mit der Zeit lernte er damit umzugehen, auch als aus dem kindlichen Geist schließlich ein erwachsener Mann wurde. Als er davon erfuhr das Samantha und Chris wohl auch die Gestalt sahen, war er überfordert, beinahe geschockt. Er konnte sich doch nicht hinstellen und sagen… …Ja, das ist nur Julian mein, und der Bruder eurer Mutter… Keine Ahnung wie er hätte reagieren sollen, vielleicht hätte er sofort handeln sollen. Dann würde Sarah vielleicht noch Leben, aber er hatte doch nie erwartet, dass Julian es soweit kommen lassen würde. Christopher hat seine Mutter nicht getötet, dass wusste er genau. Sam hatte Recht damit, dass er dazu nie in der Lage war. Aber hätte er ihr Geschichte bestätigen sollen, damit die Polizei einen Geist verhaftete? Es war gemein und er war das größte Arschloch. Aber Chris konnte man nicht mehr helfen, man würde ihn für den Mord verurteilen. Wieso sollte er nun mit unglaubwürdigen Geistergeschichten ankommen? Das Einzige was er jetzt tun konnte, war für Samantha da zu sein. Sie war nun Waise und er der Einzige der ihr geblieben war. Schon komisch, sie war auch ihm als Einzige geblieben. Seine kleine Schwester war fort und vielleicht würde der Geist seines Bruders ihn nun auch verlassen. Fünfzehn Minuten hätte er früher nach seinen Geschwistern sehen müssen und dann würde er heute vielleicht mit den beiden und deren Kindern an dem Tisch sitzen und lachen. Epilog: -------- Laut dröhnte die Stimme in seinem Kopf, sein Körper bewegte sich ganz ohne sein Zutun. Sein Geist befand sich umhüllt von dichten Nebeln, trotzdem konnte er alles klar und deutlich sehen. Er spürte das Messer in seiner Hand, fühlte was der Geist mit ihm vorhatte. Angst durchströmte ihn, verzweifelt versuchte er sich zu wehren. Es war zwecklos mit jedem weiteren Tag in diesem Haus, gewann der Geist mehr und mehr Kontrolle über ihn. Chris wusste wer dieser Geist war, wusste alles. Wie er gestorben war und wann. Immer und immer wieder kam er zu ihm und redete mit ihm und legte ihn unter seinen Bann. Ankämpfen war zwecklos, egal was er tun wollte, er tat immer mehr das genaue Gegenteil. Er sah sie schon vom weiten, mit dem Rücken zu ihm am Tisch sitzen. Gerne hätte er ihr zugerufen, dass sie davon laufen solle. Aber es ging nicht. Als er direkt hinter ihr stand, nahm sie ihn erst war und drehte sich um. Sie lächelte, ein warmes Lächeln. Sie freute sich ihn zu sehen. Versteinert stand er da. ~Tu es, Stich zu~ Innerlich schrie er auf, rief der Stimme zu ihn gehen zu lassen. Seine Lippen bewegten sich keinen Millimeter. ~Töte Sie~ Verzweifelt versuchte Chris sich loszureißen. Panik breite sich in ihm aus, er wollte das nicht. Das durfte nicht passieren… ~Töte Sie~ „NEIN“ Obwohl der Ruf laut aus seinen Lippen entkam, konnte er nicht verhindern dass sein Arm ruckartig nach vorne stieß. Geschockt schaute er ihr ins Gesicht, konnte nicht glauben was er da sah. Ihr Lächeln verschwand, sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an und sackte zu Boden. Innerlich festgefroren starrte Christopher auf die grausame Szenerie vor seinen Augen. Sein Kopf war wie leergefegt, er sah nur noch ihre leeren Augen. Wie von Geisterhand ging er von ganz alleine in die Knie. Immer wieder raste das Messer auf sie nieder, fügten ihr mehr Wunden hinzu. Blut spritzte, soviel Rot, seine Lieblingsfarbe. Dann verschwand der Nebel und er fühlte wie der Bann brach. Doch was blieb noch übrig? Sie war tot. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)