A Softer Side von Naenia ================================================================================ Kapitel 1: Ikarus -----------------   Yet each man kills the thing he loves By each let this be heard, Some do it with a bitter look, Some with a flattering word, The coward does it with a kiss, The brave man with a sword![1]   x   Draco Malfoy könnte glücklich sein mit ihr – Astoria Greengrass ist wunderschön, gebildet und reich – aber das bedeutet nichts, denn er könnte mit jeder Frau glücklich sein, solange er diejenige nicht liebt.[2] Es ist ein Fluch und ein Segen, sein Schicksal; diese dekadente Zerrissenheit im Herzen zu spüren und die zweifelhafte Melancholie im Kopf. Er will das, was er nicht haben kann: ein Spiel, ein Gefühl, alles und nichts, nur dieses Verlangen und den Moment, in dem er sich fast auflöst – den Flug vor dem Fall. Aber ihre Küsse sind kalt wie der Regen, der in Strömen an den hohen Fenstern des Herrenhauses herabrinnt und ihre Hände sind zu zart. Er braucht den Wind und den Sturm, sehnt sich aber zur gleichen Zeit nach gleißendem Sonnenlicht. Er will Feuer und sengende Flammen, die alles zu Asche verbrennen – nicht dieses vorsichtige Glühen, das keine Funken schlägt und hinter dem Grau eines Nebelschleiers in einem Wimpernschlag verblasst. Trotzdem ist sie das perfekte Accessoire, das zur Inszenierung seiner Selbst noch gefehlt hat: Er küsst sie, schläft mit ihr, lebt mit ihr und erfreut sich an dem Bild, das sie zusammen im Spiegel der Öffentlichkeit abgeben – Eine Fälschung, ohne Zweifel, aber zauberhaft gemalt. Also erträgt er dieses Leben mit ihrem kühlen Lächeln und ihrem wasser-weichen Körper, das er sich nicht ausgesucht hat. Doch am Ende des Tages, fernab von ästhetischen Überlegungen und den Konventionen der Aristokratie, muss Draco erkennen, dass er nicht dafür geschaffen ist, sich mit Verzicht zufrieden zu geben, denn er kann nicht damit aufhören, sich nach dem Unheil zu sehnen, das in der Umarmung starker Arme lauert. x   Er sucht danach im Schutz der Dunkelheit. In flüchtigen, namenlosen Eroberungen, die keinerlei Bedeutung haben und so schnell wieder aus seinen Gedanken verschwinden, wie sie in seinem Sichtfeld aufgetaucht sind. Die Schönheit der Ekstase ist flüchtig und hohl und hinterlässt mehr Leere als sie füllt. Es tut weh, aber mit dem Verdrängen von Gefühlen kennt er sich aus, auch wenn er sich mittlerweile gestattet, hin und wieder, zumindest bis zu einem gewissen Grad, die Kontrolle zu verlieren. Vielleicht macht ihn dieser Schmerz interessanter – schließlich ist nichts anderes so charakterbildend, wie das Zerbrechen der eigenen Persönlichkeit. Diese Art von Erfahrung erlangt man nicht durchs Nichtstun[3], könnte er jetzt den Kritikern seiner Vergangenheit entgegenhalten. Nur gibt es keinen Grund sich dafür zu rechtfertigen, das Geschöpf einer Gesellschaft zu sein, die sich so leicht blenden lässt. x   Draco sitzt in der Bibliothek und verliert sich in Geschichten – in seinen eigenen und denen anderer Autoren. Er legt das Buch zur Seite, als der Geruch teuren Parfums zu ihm herüberweht: Astoria lächelt, herrlich unwissend oder bedenklich berechnend – Draco kann sich nie entscheiden, wenn sie so durch das finstere Herrenhaus schwebt und mit ihrem glamourösen Auftreten die Stimmen der steinernen Mauern zum Schweigen bringt. Sie schillert – auch in seinem Schatten, und das ist zwar nicht alles, was er will, aber alles, was er braucht. x   Sein Leben vergeht im Feuerwhiskeydunst schlafloser Nächte. Er trinkt zu viel, und lacht zu selten, starrt in den Spiegel und verliert allmählich den Verstand. Wahrscheinlich betet er die falschen Götzen an, wie all die anderen, die mit heiseren Stimmen nach Erlösung schreien, während sie sich im Kreis drehen und die Welt langsam zu bröckeln beginnt. Nichts ist so, wie es sein sollte. Nichts hinterlässt einen Abdruck auf der makellosen Fläche, zu der er geworden ist – Magie ist wirklich ein beängstigendes Werkzeug, so wie Selbstbetrug, denn durch ein Wort und eine Geste bleibt nichts an ihm haften, so lange er nur den richtigen Spruch kennt, um die Wahrheit zu verbergen. Mittlerweile fühlt er sich wie Prometheus – gefangen in seiner eigenen Hölle und dazu verdammt, das immer gleiche Schicksal zu erdulden und seine Fehler zu wiederholen. Er glaubt schon, sich im Fegefeuer zu verlieren; in dieser Vorhölle, die irgendwo zwischen Verdammnis und Vernunft existiert, mit den Geistern seiner Vergangenheit unterzugehen; sich in belanglosen Begegnungen aufzulösen – und dann trifft er Harry Potter, dessen tiefgrüne Augen das fehlende Fragment der letzten Jahre sind. Harry bewegt sich wie eine Idee, wie eine wiederentdeckte Erinnerung, die sich langsam durch Dracos Gedanken zieht und alles, was sie berührt, für sich vereinnahmt. Sein Herz rast plötzlich und überschlägt sich im Takt der Sekunden, die vergehen, bis dieser Traum endlich wirklich vor ihm steht. Draco kann die Augen nicht von ihm lassen, ist wie hypnotisiert – So schwarz gekleidet, mit Bart und langem Haar, das zu einem Zopf gebunden ist, ist es diesmal Harry, der bei ihrem Treffen wie ein Prinz der Finsternis wirkt. Gefährlich und rau im Vergleich zu Draco, aber so stilvoll, wie er ihn nie zuvor gesehen hat. „Malfoy.“ Harrys Stimme vibriert durch seinen Körper, viel tiefer als er sie in Erinnerung hat. Seine verwegene Attraktivität trifft genau Dracos Geschmack, aber diesmal scheint da mehr zu sein als oberflächliches Interesse – Harry ist nicht nur eine Figur auf seiner Bühne, die er für dieses Theater gewählt hat. Er trägt keine Maske, in seinem markanten Gesicht kann Draco alles lesen. Er versteht diese Sprache wie kein anderer. Harry räuspert sich, lässt die Hände in den Taschen seines Mantels verschwinden. „Das ist… überraschend.“ Es gibt so einiges, das an dieser Situation überraschend ist. Draco entscheidet sich für: „Dass ich hier bin? Dass –…“ „… wir uns hier treffen“, führt Harry aus, noch bevor Draco sich in seinen Phrasen überschlägt. In den Bars, in denen er sich nachts rumtreibt, verschwinden verbotene Küsse im Fieberwahn der Masse – jeder, der diese Orte besucht, hat einen ganz bestimmten Grund, dorthin zu kommen und der ist weder das schale Bier noch die bezaubernde Atmosphäre. In diesen Lokalen überschreitet man Grenzen, und behält das, was man sieht, genauso wie das, was man nicht sieht, für sich. „Oder Schicksal.“ Draco will sein charmantestes Lächeln aufsetzen, doch es gelingt ihm nicht. Stattdessen leckt er sich nervös über die trockenen Lippen und fährt mit einer Hand durch die blonden Strähnen, die ihm immer wieder kunstvoll ins Gesicht fallen. Er weiß, dass Harrys Blick seiner Zunge folgt, sieht wie er ihn unverhohlen anstarrt – interessiert und abgeschreckt vom eigenen Verlangen. Draco kennt diesen Kampf, er stellt sich ihm selbst; und gerade jetzt, gibt er ihn nur allzu gern verloren. Er beugt sich vor, legt eine Hand auf Harrys Schulter und spürt die Anspannung unter dem festen Stoff des Mantels. Seine Stimme klingt fast heiser als er kaum hörbar sagt: „Angst, Potter?“ Er kann den Funken fühlen, der durch Harrys Körper fährt und in seinen eigenen Fingerspitzen kitzelt; und er kann die Dunkelheit sehen, die in Harrys Augen leuchtet, während er eine Entscheidung trifft, die schon lange feststeht. „Gehen wir“, fordert Harry bestimmt und schiebt sich danach an ihm vorbei, um mit langen Schritten den Raum zu durchqueren. Draco verfolgt jede seiner Bewegungen, saugt gierig jedes Detail ein, das er im Halbdunkel erkennen kann: breite Schultern, schmale Hüften, kräftige Oberarme, über die sich der Stoff des langen Mantels spannt – er verflucht dieses Kleidungsstück, das viel zu viel verbirgt. Dann sieht er, wie Harry stehen bleibt, eine Hand auf den Türgriff legt und sich nochmal zu ihm dreht. Sein Blick fühlt sich auch über die Distanz hinweg noch an, als würde er brennen. Draco hat keinen Zweifel mehr daran, dass das hier wirklich geschieht und auf das hinausläuft, was er sich seit Jahren vorgestellt, aber nie für möglich gehalten hat. Er tanzt am Abgrund und wenn er jetzt aus dem Takt gerät, gibt es vielleicht kein Zurück mehr. Er fühlt sich wie Alice auf dem Weg ins Winterwunderland, denn hinter Harry wartet nicht nur das Abenteuer, nach dem er sich immer gesehnt hat, sondern auch die klirrende Kälte der Nacht. Trotzdem zögert er nicht – er atmet tief durch und springt wie Ikarus in sein Verderben.   x   Sie verlassen das Lokal und wandern im Dämmerlicht der Laternen durch schneebedeckte Straßen, während Harry eine Zauberformel murmelt, die sie vor neugierigen Augen verbergen soll. Draco beobachtet, wie er den Zauberstab wieder in der Innentasche seines Mantels verschwinden lässt und kommentiert das Geschehen trocken: „Und ich hatte gerade angefangen, dich nicht mehr für einen Feigling zu halten. Zu schade.“ Er seufzt theatralisch und merkt selbst, dass er sich hinter hohlen Phrasen versteckt. Harry schaut ihn ungerührt von der Seite her an, biegt um die nächste Ecke, hinein in einen schmalen Weg, umrahmt von hohen Mauern aus altem Stein. Er bleibt abrupt stehen und für den Bruchteil einer Sekunde hat Draco Angst, dass er alles ruiniert hat – doch dann greift Harry nach seinem Arm, zieht ihn zu sich her und presst ihn im nächsten Moment gegen die feucht-kalte Wand. Der Aufprall treibt Draco die Luft aus den Lungen. Als er wieder klar sieht, starrt er direkt in Harrys grüne Augen. Er ist so nah, so unglaublich nah, und selbst durch die Schichten von Stoff kann er die Hitze spüren, die von Harrys Körper ausgeht. Die Welt um ihn herum beginnt zu flimmern, Harry wird zu seinem einzigen Fixpunkt. „Nicht feige, nur vorsichtig“, erklärt er und Draco vergeht vor Erwartung.   x   Danach geschieht alles wie im Rausch: Das Blut kocht in seinen Adern und seine Knie zittern, als er in Harrys Armen den Halt verliert und sich fallen lässt. Er zerrt an dem festen Stoff des Mantels, vergräbt seine Finger in Harrys Haar, küsst mit Zunge und Zähnen und gibt sich ganz hin. x   In dieser Nacht kehrt er nicht zu Astoria zurück.   x   Blaise Zabini ist das, was für Draco mittlerweile wohl einem Freund am nächsten kommt – ein anderer ist längst nicht mehr als Asche und der Dritte sitzt für den Rest seines Lebens in Azkaban. Also bleibt ihm nur Blaise. Der teilt immerhin seine Leidenschaft für das ausschweifende Leben und versteht die Verlockung des Lasters besser als jeder andere. Außerdem schafft eine gemeinsame Vergangenheit hinter verschlossenen Türen eine Art von Vertrautheit, die nicht viele miteinander teilen. Draco wacht gerade auf, als Blaise das Wohnzimmer des Appartements betritt. „Ich wusste nicht, dass du vorhattest, hier zu schlafen.“ Er flaniert an der Couch vorbei und holt zwei Gläser aus einem Schrank hervor, dann fragt er in mäßig interessiertem Ton, ganz so wie es sich für einen gelangweilten Schöngeist gehört: „Lange Nacht?“ Draco setzt sich auf, tastet mit den Fingern gedankenverloren über seine noch immer geschwollenen Lippen und nimmt das Glas Wasser dankend an. „Die längste“, erklärt er. „Das sehe ich.“ Draco lächelt. Sein Hemd ist halb offen und gibt den Blick auf die Spuren frei, die Harry auf seiner Haut hinterlassen hat, genau wie die Hose, die viel zu tief auf seinen Hüften hängt. Er zeichnet in Gedanken jeden Fingerandruck nach, erinnert sich an jedes Detail, an jede Berührung und jedes Wort, besonders daran, wie Harry seinen Namen gehaucht hat, als er – „Dieser verliebte Ausdruck steht dir nicht, er lässt dich gewöhnlich wirken. Du bist interessanter, wenn du auf deinem Podest stehst.[4]“ Und damit erhebt sich Blaise kopfschüttelnd und verschwindet in die Küche. Draco lässt sich wieder zurück in die Kissen sinken. Für ein paar Stunden kann er sich noch verstecken, und die Vorteile genießen, die es hat, sich von Gefühlen in die Irre leiten zu lassen.[5] x   Es fühlt sich nicht wie ein Irrweg an, wenn ihn ein unsichtbarer Kompass immer wieder zu Harry führt. Es ist fast wie Magnetismus, besonders am Anfang. Sie verabreden keine Treffen und doch sind sie immer wieder zu selben Zeit am selben Ort. Harry bricht jede Regel, die Draco für sich aufgestellt hat und Draco lässt ihn. Es ist längst mehr als nur Sex. Sie wissen es beide. Draco kann es in Harrys Augen sehen, wenn er mit ihm schläft und ihn endlos lange küsst. Harry kennt jede seiner Narben und nun auch die Risse in seiner Fassade – sie sprechen nicht darüber, natürlich nicht. Stattdessen philosophieren sie über tragische Prosa und kitschige Lyrik – Draco lebt für diese Momente, in denen ihre gemeinsame Dunkelheit alles erhellt. x   Trotzdem muss er irgendwann auf die Bühne zurückkehren, auch wenn er das Scheinwerferlicht so lange wie möglich gemieden hat. Emotionen sind tückisch, das hat ihm schon seine Mutter beigebracht, man verbirgt sie deshalb besser im Schatten – oder stellt sie verschleiert zur Schau.   x   „Habt ihr schon davon gehört?“ Blaise sitzt ihm gegenüber am Esstisch und deutet auf ein scheinbar interessantes Bild im Tagespropheten. Astoria blickt von dem kaum angerührten Sandwich auf ihrem Teller auf und lässt sich von Blaise die Zeitung reichen. Auch sie scheint augenblicklich amüsiert, ihr melodisch-mädchenhaftes Kichern hallt durch den Raum. „Ein furchtbares Bild“, stellt sie fest, bevor sie die Zeilen überfliegt. Draco zieht eine Augenbraue hoch. „Erleuchtet mich“, sagt er und nippt an seinem Tee. Astoria dreht die Zeitung mit der richtigen Seite zu ihm – und er erstarrt. „Harry Potter und Ginny Weasley geben ihre Verlobung bekannt“, liest er die Schlagzeile laut vor und muss sich zwingen die Worte überhaupt auszusprechen. Der Tee schmeckt plötzlich wie Staub, ihm wird schlecht und etwas brennt in seinen Augen. Doch bevor er sich die Blöße gibt, die Fassung zu verlieren, rettet er sich in Desinteresse. „Und warum sollte mich diese Banalität kümmern?“ „Oh, ich weiß nicht.“ Blaise Augen funkeln, Draco wartet auf den Schlag. „Vielleicht, weil du damals gar nicht genug von Harry Potter kriegen konntest. Wie nennt man sowas, Obsession oder doch eher Schwärmerei?“ „Schon erstaunlich, wie die Vergangenheit noch immer an mir klebt“, Draco kann sich kaum beherrschen, er presst die schmalen Lippen fest aufeinander, senkt den Blick und streicht dann über seinen rechten Unterarm, auf dem sich die Narbe des Mals befindet, dass ihn selbst nach all den Jahren noch als Gefallenen brandmarkt. Dann erhebt er sich vom Tisch – das ist der einzige Ausweg. Er erzielt mit seinem Verhalten das gewünschte Ergebnis: Diese Implikation verfehlt ihr Ziel nie. „Blaise“, sagt Astoria sanft, „Das ist kein Thema, das man beim Mittagessen aufwärmt.“ „Nein, damit hast du wohl Recht“, lenkt Blaise ein, doch es ist noch nicht vorbei: „Ich hatte nicht vor, darauf anzuspielen. Allerdings werden wir das junge Glück doch auf meiner Feier treffen – sie haben schließlich ihr Kommen zugesagt und wer weiß, vielleicht werden du und Harry ja doch noch Freunde. Nach all den Jahren würdest du endlich bekommen, was du dir seit dem ersten Jahr auf verdrehte Art und Weise gewünscht hast.“ Draco nickt ihm zu, setzt sich allerdings nicht wieder hin. Er starrt nochmal auf das Foto und bemerkt, dass er die Luft anhält – er sieht sein Lachen, seine Augen, seine Hand an ihrer Hüfte – dann verabschiedet er sich und vergräbt sich in seinem Arbeitszimmer. x   Am Ende ist man niemals mehr als die Summe der eigenen Vergangenheit und in der Regel, wird man an dem gemessen, was man verbrochen hat.[6] Jeder Satz, jedes Fragment – alles hat ihn an diesen Punkt gesteuert. Er verleugnet nichts davon, aber er bereut. Nicht unbedingt die Küsse, nur die damit verbundenen Wünsche, die gewachsen sind wie Unkraut als er nicht hingesehen hat. Jetzt gerade fragt er sich nur, welches Urteil man gemessen an seinen Erfahrungen beim Totengericht wohl über ihn fällen würde. Wahrscheinlicht sieht es moralphilosophisch betrachtet nicht gut für ihn aus. „Bist du soweit?“, fragt Astoria und sieht so schön aus, dass er sie kaum ansehen kann. Er kehrt die Scherben – die Federn seiner zerfallenden Flügel – unter den Teppich, atmet tief durch und nimmt die Hand seiner Frau. x   Draco hat sich selbst für diese Art von Gesellschaften erschaffen. Es liegt ihm im Blut im Mittelpunkt zu stehen und jedes waghalsige Wort so vorsichtig zu platzieren, dass diese Art von geistreicher Konversation einer Kunst gleicht. Ein Gentleman verletzt niemals jemandes Gefühle, unabsichtlich.[7] Er spielt eine Rolle – extravagant gekleidet, ein charmantes Lächeln auf den Lippen und bewaffnet mit seiner silbernen Zunge. Er glänzt in den Augen der anderen und strahlt im Licht der zahllosen Kronleuchter, die den Saal erhellen. Blaise hat eine Vorliebe für rauschende Feste und sinnliche Inszenierungen und diesmal scheint es, als habe er sich selbst übertroffen – das Spektakel schafft es, selbst Dracos übersättigten Geist zu faszinieren. Trotzdem ist er nicht hier, um die Atmosphäre zu genießen – Er hat eine Mission, eine Berufung, einen geradezu göttlichen Auftrag: Er will etwas beweisen. Vielleich ist es nur gekränkte Eitelkeit, aber das schmerzhafte Ziehen in seiner Brust legt etwas anderes nahe, als er ihn mit ihr erblickt. Das Herz des Interesses. Natürlich will sich jeder im Schein des Mannes sonnen, der im Alleingang ein neues Zeitalter eingeleitet hat. Zu dumm nur, dass Draco nicht gern teilt. Nicht mal, wenn es um die Sonne geht. Astoria löst sich von seinem Arm – wie praktisch für sein Vorhaben – und schwebt zu einigen ihrer Freundinnen, nachdem sie ihm einen zärtlich-keuschen Kuss auf die Wange gehaucht hat – ganz so, wie es sich in der Öffentlichkeit für eine Lady ziemt. Er sieht ihr für einen Moment nach, bevor er sein Spiel beginnt: Es ist so leicht, sich durch die Hürden hindurch zu winden und jedem Stolperstein graziös auszuweichen. Es dauert nicht lange, da erfüllt Blaise seinen Zweck – ohne Zweifel mit ganz eigenen Hintergedanken. Er steht bei Harry, Ginny und den typischen Gefolgsleuten, die Potter schon immer um sich geschart hat: Hermine Granger, Ronald Weasley und… Neville Longbottom, bei dem das Altern wirklich Wunder gewirkt hat. „Draco! Schön dich zu sehen“, lädt Blaise ihn ein und natürlich nutzt er die Chance. Er präsentiert ein glühendes Lächeln, lässt sich auf die Rolle des arroganten Schönlings ein, den jeder in ihm sehen will, und akzeptiert die ihm dargebotene Umarmung eines Freundes bereitwillig. „Blaise, du hast dich wirklich mal wieder selbst übertroffen. Vielen Dank für die Einladung. Astoria wirst du sicher später noch sehen.“ „Natürlich werde ich das“, sagt Blaise, und lächelt als er ihn mit einem Schulterklopfen aus seinen Armen entlässt. „Hast du Harry und seine Freunde schon getroffen? Wie lange ist es nochmal her, dass ihr euch in London begegnet seid?“ Dracos Blick fällt sofort auf Harry, dessen Anspannung sich überdeutlich in seiner Haltung spiegelt. Er selbst bleibt gelassen, wendet sich charmant an die sogenannten Freunde. „Erst einmal: Guten Abend. Blaise hat die die Angewohnheit zu plappern, wenn er trinkt.“ Er untermalt den Satz mit einem Seufzen und mustert Blaise dabei kopfschüttelnd. „Harry und ich sind uns vor einigen Wochen in einem Buchladen über den Weg gelaufen. Nicht wahr?“ „Oh, Harry, das hattest du gar nicht erwähnt“, wirft Ginny ein. Harry braucht wohl noch einen Moment und es liegt in Dracos Interesse, ihm diesen zu verschaffen. „Wir haben nicht viel Zeit damit verbracht, miteinander zu reden. Ich war geschäftlich unterwegs und musste einen Termin wahrnehmen. Vielleicht erschien es ihm deshalb zu unwichtig.“ Das ruft Ron auf den Plan. „Und was tust du, wenn du nicht gerade wie ein eitler Gockel durch die Gegend flanierst?“ Draco lässt sich nicht auf die Provokation ein, aber er beobachtet mit einem gewissen Grad an Vergnügen, dass Granger ihren Freund unauffällig mit dem Ellbogen stößt. „Ich widme mich ganz der Literatur. Vermutlich liest du nicht.“ „Er ist ein Genie“, gibt sie danach zu bedenken und Draco erinnert sich, warum er sie als einzige aus diesem gesellschaftsunfähigen Haufen, tolerieren kann. „Vielen Dank, aber da muss ich widersprechen. Das Genie ist allein Teil meines Lebens, für die Arbeit nutze ich lediglich mein Talent.“[8] Sie lacht, genauso wie Ginny, Blaise und Neville. Harry verhält sich noch immer, als stehe er unter Schock. „Ich muss allerdings gestehen, dass ich gern etwas mehr Zeit mit Harry verbracht hätte“, fährt Draco danach mit dem eigentlichen Thema fort. „Er scheint so viel interessanter als damals. Als verbergen sich Geschichten in seinem Inneren, die nicht einmal er selbst bisher vollkommen erkundet hat.“ „Harry weiß genau, wer er ist. Jeder von uns weiß das.“ „Ach ja?“, Draco grinst süffisant und taxiert Harry weiterhin, auch wenn er mit jemand anderem spricht. „Das ist dann wohl eine Gabe der Geistlosen, nicht nur sich selbst, sondern auch andere ganz und gar zu kennen und diesen Umstand auch noch mit so naivem Optimismus zu verteidigen.“[9] Danach drängt er sich dichter als notwendig an Harry vorbei, streift dessen Hand flüchtig mit seiner eigenen und geht. x   „Du hast mich warten lassen.“ Dracos Schritte werden nun langsamer, doch er dreht sich nicht um. Harrys Blick prickelt in seinem Nacken – er muss ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er da ist. „Was war das eben?“, fragt Harry und sieht sich dabei mehrmals um. Draco schaut ihm belustigt dabei zu, überbrückt die Distanz zwischen ihnen und legt seine Finger an Harrys Kragen, so als wolle er ihn richten. „Hast du so viel Angst davor, dass man uns zusammen sieht?“ Harry antwortet nicht, Draco schüttelt den Kopf und lässt wieder los. „Dann sollten wir uns vielleicht lieber… zurückziehen.“ Er öffnet eine der Türen und verschwindet dahinter. Harry folgt ihm, wartet bis die Tür ins Schloss fällt und fragt erneut: „Was verdammt war das eben?“ „Was war was?“, gibt Draco unschuldig zurück und tut so, als interessiere ihn der Raum mehr als Harrys offenkundiges Problem mit seinem unangemessen Verhalten. „Willst du, dass es jeder weiß?“ Draco spürt Harrys Hand auf seiner Schulter, wie er ihn mit sanfter Gewalt dazu bringt sich, ihm zuzuwenden. „Vielleicht?“ „Draco, worum geht es hier?“, er klingt jetzt weniger wütend, sondern fast etwas traurig, stellt Draco fest. Ihm selbst gelingt es ebenso wenig, die Emotionen aus seiner Stimme herauszufiltern, bevor er spricht: „Kannst du dir das wirklich nicht denken, Harry? Dann habe ich dich wohl für intelligenter gehalten als du bist.“ Die Bitterkeit hallt unkommentiert durch den Raum, als Harry nichts daraufhin erwidert. Er lässt nur seine Hände an Dracos Armen hinabgleiten und atmet langsam aus. „Was soll ich dazu sagen? Was willst du von mir hören?“ „Nichts. Fick mich einfach.“ „Draco…“, warnt Harry, doch es klingt keineswegs so, als sei er der Idee gegenüber generell abgeneigt. Draco erkennt die Gier nach Risiko und den Wunsch nach etwas Aufregendem in seinen Augen. „Wir sollten das nicht tun. Nicht hier. Nicht wenn… Das wäre nicht richtig.“ Draco legt ungerührt seinen Mantel ab, knöpft die dunkelgrüne Anzugweste auf und streift sie sich von den Schultern. Er löst seine Krawatte und erklärt fast beiläufig: „Die Moral ist immer die letzte Zuflucht von denen, die die Schönheit nicht begreifen.[10] Das hast du nicht nötig, Harry.“ Er genießt die Macht, die er über Harry hat und nutzt sie zum ersten Mal schamlos aus. „Komm schon“, flüstert Draco und lächelt verführerisch wie die Schlange, die die Sünde in die Welt gebracht hat; und Harry kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung,[11] die sich jetzt wie heißer Draht um sein Herz wickelt und jeden Atemzug zur Qual werden lässt, bis er sich ihr hingibt und das Paradies aus seinen Gedanken verbannt. Draco kennt dieses Gefühl selbst zu gut. Also legt er seinen Arm um Harrys Nacken, leckt ihm über die Lippen, öffnet mit der freien Hand seinen Gürtel und bemerkt zufrieden, wie Harrys Entschlossenheit zum Teufel geht. Draco wirft den Kopf in den Nacken und Harry küsst seinen Hals – er liebt das verführerische Kratzen des Bartes auf seiner Haut. Er schiebt Harry das Hemd samt Sakko von den Schultern und hinterlässt tiefe Kratzer auf seinen Schultern und seinem Rücken – hier geht es schließlich um mehr als Sex; es geht darum, ein Zeichen zu setzen. Er beißt ihm in die Unterlippe, küsst zu wild und bringt Harry dazu, ihn hart zu nehmen und dabei die gleichen Markierungen auf seinen Körper zu schreiben. Er lässt sich gehen und ist absichtlich zu laut, aber es war ihm nie zuvor so egal – Harry scheint es auch nicht zu kümmern, nicht so lange er hart und heiß in ihm ist.   x   Benebelt vom Nachglühen verlassen sie die Abstellkammer. Ihre Kleider sind zerknittert, das Haar zerzaust, und Harry hat diesen Ausdruck im Gesicht, den Draco nur nach dem Sex bei ihm sieht. Sein eigenes Gesicht gibt ein gleichermaßen verräterisches Bild ab: Mit wund-geküsste Lippen, geröteten Wangen und fiebrigen Glanz in den Augen, sieht er aus wie die perfekte Fantasie eines feuchten Traums, wenn er sein eigenes Spiegelbild in den hohen Fenstern betrachtet. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, sein Hemd komplett zuzuknöpfen, die Weste steht ebenfalls offen und die Krawatte liegt nur noch locker um seinen Hals. Er genießt seinen Sieg und Harry versucht hektisch zu retten, was zu retten ist – dann geschieht etwas Unerwartetes: Granger erscheint wie aus dem Nichts als sie um die Ecke biegt und ihnen entgegen kommt. „Oh“, ist alles, was ihr einfällt. Kein schriller Ton, nicht laut, nur ehrlich überrascht. Draco lächelt lasziv und überlegt für einen Moment, Harry einfach zu küssen. Während er noch darüber nachdenkt, dem Impuls nachzugeben, fängt sich Hermine wieder. „Wir haben nach dir gesucht. Ginny und Ron warten im Ballsaal.“ Harry versucht sein Haar zu richten, er zerrt vergeblich an den widerspenstigen Strähnen. „Du könntest zaubern“, bietet Draco an. „Nein, kann er nicht – können wir nicht. Erinnert ihr euch? Keine Zauberei: Es liegt ein Bann über dem Gebäude. Blaise mag es authentisch, wenn er eine von der Muggelkultur inspirierte Feier ausrichtet.“ Natürlich erinnert er sich daran, dieser Umstand ist alles andere als ein Nachteil. Aber Harry sieht ehrlich so aus, als würde er jeden Moment implodieren und Draco muss wegsehen, bevor er sich selbst in Frage stellt. Er konzentriert sich auf Hermine. „Du redest scheinbar zu viel, wenn dir etwas unangenehm ist, Granger.“ Ihre Wangen färben sich wieder rot, während er sich doch dazu entscheidet, wenigstens sein Hemd wieder ordentlich in die Hose zu stecken. „Draco.“ Harry hat den Kampf aufgegeben, „Sei einfach still.“ Er lässt die Hände sinken, vergräbt sie dann tief in den Hosentaschen und lässt die Schultern hängen. „Hermine, lass mich das Erklären. Sag es ihr nicht.“ „Das habe ich nicht vor. Ich weiß doch nicht einmal, was ich hier gesehen habe oder sehe. Aber du solltest jetzt wieder zu ihr gehen. Euer Fehlen blieb nicht unbemerkt.“ x   Ungerührt der Blicke, die jede seiner Bewegungen verfolgen, streift er sicher durch die Massen. Er hat sich – Harry zur Liebe – wieder präsentabel gemacht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie beide gemeinsam für ziemlich lange Zeit verschwunden sind. So etwas wirft in diesen Kreisen immer Fragen auf. x   Als sie sich der kleinen Gruppe wieder anschließen, wird Harry mit einem Kuss begrüßt und Draco mit misstrauischen Blicken. Er verdreht die Augen, beobachtet angewidert wie die Hand des Weasley-Mädchens durch Harrys Haar fährt. Die Fragen nach ihrem Verschwinden beantwortet er mit einer lapidar hingeworfenen Ausrede – das Lügen liegt mehr in seiner Natur als in Harrys, aber er hat keine Lust und vor allem keinen Grund dazu, vollkommen überzeugend zu sein. Aber sein derzeitiges Publikum will so sehr glauben, dass sie das Offensichtliche nicht sehen. Draco gibt sich geschlagen und spricht über Kunst, bis Blaise ihre Aufmerksamkeit auf ein ganz besonderes Bild lenkt. „Es heißt ‚Sonnengott‘. Es erzählt von Ikarus und seiner verbotenen Liebe zur Sonne, die der Maler als gutaussehenden Gott auftreten lässt. Wir sehen ihre Vereinigung – kurz vor dem Fall.“ „Dass es bei dir immer nur um das Eine gehen muss“, lacht Astoria und schließt sich der Diskussion an. „Schönheit verbirgt sich eben in allem – besonders, in den Dingen, die sich hinter verschlossenen Türen abspielen“, versichert Blaise verschwörerisch und bringt damit etwas ins Spiel, das Chaos stiften soll. „Ich weiß nicht“, äußert sich Ginny, „Diese Art von… Schönheit hat etwas Verruchtes, sie wirkt gefährlich und alles andere als gut.“ „Diejenigen, die Schlechtes in etwas Schönem sehen, sind verdorben, aber dabei ganz und gar nicht reizvoll.“[12] Draco ist unendlich müde. Aus ihm sprechen jetzt Frustration, und Verzweiflung – Er ist Ikarus! Er zerrt an seiner ohnehin schon gelockerten Krawatte und gibt den Blick auf blasse Haut und blaue Flecken frei. Dann bleibt sein abschätziger Blick wieder an Ginny Weasley hängen. „Das ist ein Fehler, den ich einfach nicht verstehen kann – So tragisch. Jemand, der so denkt, gehört wirklich nicht hierher. Es ist eben doch wahr: Nicht jeder Bauer taugt zur Königin und an der Seite eines Prinzen sollte doch besser jemand stehen, der–“, weiter kommt er nicht, denn Ronald Weasley schlägt härter zu, als Draco ihm zugetraut hat. Draco grinst dennoch, während er seine blutige Lippe vorsichtig betastet. „Der Bruder eilt zur Rettung, interessant. Sollte nicht der eigene Mann die Ehre seiner Geliebten verteidigen?!“ Harry bleibt stumm, hält Ron davon ab, wieder auf Draco loszugehen. Er ist mein Held, nicht ihrer. Es kommt immer auf die Perspektive an. Blaise beobachtet das Treiben amüsiert, Draco sieht aus dem Augenwinkel, wie er sich ihm nähert. „Zerbrochen bist du am schönsten“, flüstert er und will Draco ein Taschentuch reichen. Draco lacht spöttisch, greift stattdessen nach einem Glas Champagner, legt seinen Arm um Blaise und erwidert „Eifersucht steht dir nicht, mein Lieber.“ Dann wendet er sich an die Gesellschaft: „Der Höhepunkt der Feierlichkeiten ist wohl hiermit erreicht – jetzt hat dieses Ereignis alles, was es braucht, um in Erinnerung zu bleiben: Eine Schlägerei wirkt da manchmal Wunder, selbst wenn der Champagner schal schmeckt. Bevor wir unsere Gläser jetzt auf das Geburtstagskind erheben, sollte ich Ihnen verraten, warum Blaise und ich eigentlich so gute Freunde sind. Wissen Sie, ich wähle meine Feinde gemessen an ihrem Intellekt, damit kann ein Mann nicht vorsichtig genug sein. Meine Bekanntschaften hingegen zeichnen sich wohl am ehesten durch ihre guten Charaktereigenschaften aus. Die einzige Qualität, die meine Freunde vorweisen können, scheint allerdings ihr fabelhaftes Äußeres zu sein – Auf dich, Blaise!“[13] Draco leert das Glas in einem Zug, stellt es etwas zu heftig wieder ab und verlässt den Saal, ohne sich umzusehen. So beendet man eine gute Vorstellung. x   Danach betrinkt er sich irgendwo in London, bis er Harrys Hände nicht mehr auf sich spüren kann und verschwindet mit einem Fremden – blond mit braunen Augen, Harry so unähnlich wie möglich – in einer öffentlichen Toilette.   x   Es ist fast Morgen, als er ihr Schlafzimmer betritt. Astoria sitzt noch immer wach auf dem Sessel am Fenster. Sie sieht ihn an, steht auf und kommt näher. Doch als er sie zu sich ziehen will, küsst sie ihn nicht. Ihre Hände legen sich federleicht auf seine Brust und halten ihn mit einer Bestimmtheit zurück, die er ihr nicht zugetraut hat. Er erstarrt, sie weicht nicht zurück, blickt ihm fest in die Augen, als habe sie endlich die Antwort auf eine Frage gefunden, die sie ihm nie gestellt hat und wirkt plötzlich zerbrechlicher und stärker denn je. „Du solltest beim nächsten Mal besser aufpassen. Es geht dabei nicht mehr nur um dich oder um mich.“ Er versteht und kann es kaum ertragen. Astoria wendet sich nicht von ihm ab, auch nicht als er weinend neben ihrem Bett zusammenbricht. In diesem Moment liebt er sie, vielleicht zum ersten Mal – sie liegt still neben ihm und ist warm wie die Sonne im Spätsommer.   x   Harry hat Spuren hinterlassen; nicht nur auf seiner Haut. Auch auf seiner Seele und in seinem Leben. Er lässt sich nicht so einfach wegwischen, wie Draco es sich wünscht.   x   Er klärt seine Probleme mit Blaise. Draco kann ihn nicht ansehen, aber er schreibt lange Briefe und irgendwann steht sein Freund vor der Tür und gesteht ihm alles, was er längst gewusst hat: Liebe ist das schlimmste Laster von allen. Zum ersten Mal liegen alle Karten auf dem Tisch – ein beängstigend reales Gefühl – Astoria hat das vorausgesagt, in dieser Nacht, in der er alle Mauern eingerissen hat. Blaise beginnt schließlich, von Harry zu erzählen und gesteht, dass es eine Nachricht gibt, die er überbringen soll. x   Er nimmt die Verabredung wahr, und diesmal lügt er nicht, wenn er Astoria erzählt, wohin er geht. x   Das, was sie miteinander teilen, beschränkt sich auf dunkle Gassen und zwielichtige Hotelzimmer; Sie existieren im Schatten, in gestohlenen Stunden – Draco hat dafür bezahlt, diese Wahrheit zu vergessen, jetzt erinnert ihn Harry daran. „Und ich bin also diese Dunkelheit, von der du sprichst?“, es klingt fast amüsiert, doch dafür betont Draco die Silben zu scharf. Harry muss diese verborgenen Spitzen mittlerweile kennen. Er lacht trotzdem, trocken und verzweifelt. Nur ein kurzes hohles Geräusch, das durch den Raum hallt, bis es von der Stille und dem Knistern im Kamin verschluckt wird. Harry seufzt, streicht sich mit den Fingern durch das schwarze Haar und dreht sich wieder zu Draco. „Du bist das Licht, verstehst du das nicht? Aber ich kann diesen Weg nicht gehen, nicht so“, erwidert Harry und presst seine Lippen im nächsten Augenblick fest auf Dracos. „So etwas wie auf der Feier darf nie wieder geschehen, aber bitte, verlass mich nicht.“ Er will lachen, weil das hier Wahnsinn sein muss, doch alles, was aus seiner Kehle rinnt, ist ein verzweifeltes Stöhnen. x   Draco liest die Zeichen auf Harrys Gesicht: Die Scham, die Angst, dieses unbändige Pflichtgefühl, sich immer wieder für das Wohl anderer aufzuopfern – nur nicht für ihn. Niemals wirklich für ihn. Immerhin bleibt Harry in dieser Nacht bei ihm, es fühlt sich trotzdem nicht mehr wie ein Anfang an, sondern wie das Ende. Es ändert nichts, dass er sich jetzt weder von seinem Selbsthass noch von seiner Verzweiflung hinaus in die Nacht, auf die nächste Mission oder zurück zu ihr treiben lässt. Es hilft ihnen nicht, dass er bleibt, mit diesem glücklichen Lächeln auf den Lippen, während er sich gegen das Kopfteil des schäbigen Betts lehnt und zufrieden eine Zigarette raucht. Dieser Moment schnürt Draco die Kehle zu, ihm wird schwindelig und er zerbricht in tausend Stücke. x   Jedes Mal, wenn er sich selbst danach wieder zusammensetzt, fehlen Teile, oder es passt nichts mehr richtig zusammen. Er existiert nur noch im Dazwischen, aber es ist leichter, weil Astoria – wie sich herausgestellt hat – in Wirklichkeit so viel mehr ist, als nur schmückendes Beiwerk. x   Dracos Niedergang vollzieht sich hinter verschlossenen Türen: wenn er vor Harry auf die Knie fällt, wenn er mit gespreizten Beinen unter ihm liegt, wenn ihm Liebe nicht mehr wie eine Lüge von den Lippen rinnt und jede Narbe plötzlich sichtbar wird. Es tut weh, wenn Harry bei ihm ist, vielleicht mehr, als wenn er sich von ihm entfernt – Es gibt schließlich zwei Arten von Tragödien im Leben: das was man will, nicht zu bekommen, oder es zu bekommen.[14] Mittlerweile kann er nicht mehr sagen, was schlimmer ist, denn eigentlich ist längst alles eins: Fliegen fühlt sich immer an wie fallen. Und wahrscheinlich ist es Zeit, endlich auf dem Boden anzukommen. x   Als Harry ihn irgendwann bittet zu bleiben, während Draco sich längst wieder anzieht, lehnt er ab. „Es war deine Entscheidung, Potter. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.“   x   Some kill their love when they are young,   And some when they are old; Some strangle with the hands of Lust,   Some with the hands of Gold: The kindest use a knife, because   The dead so soon grow cold.   Some love too little, some too long,   Some sell, and others buy; Some do the deed with many tears,   And some without a sigh: For each man kills the thing he loves,   Yet each man does not die.[15]           [1] Oscar Wilde: The Ballad of Reading Gaol [2] Oscar Wilde: A man can be happy with any woman, as long as he does not love her. [3] Oscar Wilde: Experience is one thing you can't get for nothing. [4] Douglas zu Wilde: “When you are not on your pedestal you are not interesting.” [5] Oscar Wilde: The advantage of the emotions is that they lead us astray [6] Oscar Wilde: One's past is what one is. It is the only way by which people should be judged. [7] Oscar Wilde: A gentleman is one who never hurts anyone’s feelings unintentionally. [8] Oscar Wilde: I put all my genius into my life; I put only my talent into my works. [9] Oscar Wilde: Only the shallow know themselves. [10] Oscar Wilde: Moral grounds are always the last refuge of people who have no sense of beauty. [11] Oscar Wilde: I can resist everything except temptation. [12] Oscar Wilde: Those who find ugly meanings in beautiful things are corrupt without being charming. This is a fault. [13] Oscar Wilde: I choose my friends for their good looks, my acquaintances for their good characters, and my enemies for their intellects. A man cannot be too careful in the choice of his enemies. [14] Oscar Wilde: There are only two tragedies in life: one is not getting what one wants, and the other is getting it. [15] Oscar Wilde: The Ballad of Reading Gaol Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)