Ein Jahr 12 Geschichten von SarahSunshine ================================================================================ Kapitel 6: Ino und der verdammte rote Lippenstift ------------------------------------------------- Es war später Nachmittag an einem sonnigen Freitag im August als Ino Yamanaka in der Wohnung ihres Freundes stand und summend seine Wäsche sortierte. Ino war bei Weitem keine Vollbluthausfrau, die dem Mann an ihrer Seite alles hinterher räumte. Doch sie verband gerade einfach die Problematik, dass sie ihr Kleid dummerweise mit ihrem Himbeerjoghurt bekleckert hatte, und es dementsprechend waschen musste, mit der Zweckmäßigkeit den kleinen Anteil der hellen Klamotten ihres Freundes direkt mitzuwaschen. Es war ein Wunder, dass er überhaupt helle Kleidung besaß, denn abgesehen von den Hemden, die er aufgrund seines zukünftigen Jobs tragen musste, waren 99 Prozent seiner Sachen nämlich schwarz. Obwohl Ino offiziell nicht in dieser Wohnung lebte, war sie mit den Räumlichkeiten ebenso vertraut wie mit ihren eigenen. Es kam durchaus mal vor, dass sie eine Nacht oder gleich ein paar Tage hier verbrachte. Darüber hinaus besaß sie einen Zweitschlüssel, der ein Geschenk zu ihrem einjährigen Jubiläum gewesen war und der sie auch heute noch unheimlich glücklich machte – immerhin war das ein gutes Zeichen für ihre Beziehung. Alleine dieser Umstand reichte ihr aus, damit es ihr überhaupt nichts ausmachte, seine Klamotten zu waschen. Zielstrebig griff sie nach den weißen und hellblauen Hemden, die in seinem Wäschekorb mehr als auffällig waren, schüttelte sie aus und warf sie anschließend über ihren Unterarm. Gemeinsam mit ihrem cremefarbenen Kleid warf sie seine Klamotten in die Wäschetrommel der Maschine im Bad. Doch noch ehe sie die Tür zur Waschmaschine schloss, fiel ihr etwas auf. Den Kopf schräg legend nahm sie das oberste Hemd noch einmal an sich. Sie betrachtete den hellblauen, verstärkten Kragen, an dem ein mehr als auffälliger roter Lippenstiftabdruck leuchtete. Ino wusste von sich, dass sie gut und gerne mal etwas, nun ja nennen wir es, überschwänglich war und die Liebe ihrem Freund gegenüber offenkundig präsentierte, dementsprechend fiel sie ihn hin und wieder auch mal ungezügelt an, doch diesen Lippenstift, diese Farbe, kannte sie von sich nicht. Sie liebte Lippenstifte und besaß eine genaue Auswahl an Farben, die sie zu beliebigen Outfits oder Anlässen verwendete. Deshalb konnte sie mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass diese Farbe nicht zu ihr gehörte. Verunsichert drehte sie sich in dem kleinen Bad zum Spiegelschrank, der sich über dem Waschbecken befand. Ein paar ihrer Schminkutensilien hatte sie natürlich bei ihrem Freund gelassen, sie wollte schließlich immer hübsch für ihn sein, darunter hatte sich auch der eine oder andere Lippenstift versteckt. Als sie die drei Beautyprodukte aus dem Täschchen gefischt hatte, zog sie die Deckel ab und drehte sie auf. Alle drei Farben hielt sie vor den Kragen, doch genauso wie sie es vermutet hatte, passte keine. Nachdenklich seufzend ging sie zu ihrer Handtasche, aus der sie ebenfalls einen roten Lippenstift hervor holte, doch auch dieser traf den feurigen Ton nicht. Obwohl sie gewusst hatte, dass keiner passte, wollte sie trotzdem überprüfen, ob nicht doch die minimale Möglichkeit bestand, dass sie sich vielleicht geirrt hatte. Ein Gedanke, der ihr zuvor nie gekommen war, keimte in ihre auf, der ihr Herz wild und vor Aufregung in ihrer Brust schlagen ließ: Was, wenn ihr Freund sie betrog? Oder betrogen hatte? Schließlich war er heiß begehrt, klug und natürlich sexy. Als angehender Jurist besaß er eine unheimlich anziehende Ausstrahlung mit seinem Pokerface und der Art und Weise wie er problemlos Fälle analysierte. Ino schüttelte den Kopf, als sie merkte, wie sie sich in ihrer Schwärmerei verlor. Vor ihr lag ein Problem. Ein riesengroßes, nerviges, blödes, anstrengendes Problem, das sie lösen musste, irgendwie. Gestresst und nur in Unterwäsche bekleidet – dass sie eigentlich ihr Kleid waschen wollte, war vollkommen in Vergessenheit geraten – wanderte sie im Flur der Wohnung auf und ab. Er würde bald nach Hause kommen. Sollte sie ihn darauf ansprechend? Bei ihrem Temperament würde sie vermutlich eher schreien – und danach wäre er mit Sicherheit genervt. Gab es überhaupt einen Grund, warum er sie betrügen sollte? War er ihrer schon überdrüssig? Niemals! Ino hatte immer ihr Bestes gegeben, um ihm und auch sich selbst zu gefallen. Während sie nach außen hin eine schöne, wilde und sexy Raubkatze war, wurde sie bei ihm immer wieder zu einem zahmen Kätzchen. Sie hatte ihm zu jeder Zeit alles von sich gegeben, also gab es nichts, das er bei einer anderen Frau eher bekam als bei ihr. Das Klacken des Türschlosses riss sie aus ihren Gedanken. Schwungvoll drehte sie sich um als die Tür aufgeschoben wurde. Als er herein kam, war sie das Erste, das er sah. Die Art, wie er seine dunklen Augenbrauen zusammenzog, verriet ihr seine Irritation, die er bei solch einem Anblick empfinden musste. „Ino … was tust du da?“, fragte er, während er seine Aktentasche neben der geschlossenen Tür abstellte und sich die Jacke von den Schultern streifte. „Ich … ehm, na ja … Weißt du …“ Innerlich rügte Ino sich für diese dämliche Stotterei. Dabei ließ sie sich sonst auch nicht so einfach aus der Ruhe bringen – na ja eigentlich schon, aber man konnte sich das auch einreden. Ihre Gedanken waren einfach so durcheinander. ‚Reiß dich zusammen!‘, sagte sie im Inneren zu sich selbst. „Ich hab‘ mein Kleid eingesaut und wollte es gerade waschen. Und da dachte ich, dass ich auch gleich ein paar von deinen Hemden waschen kann, sonst wäre das ja totale Wasserverschwendung.“ Er stand so gelassen vor ihr als die das erzählte. Entweder war er so entspannt, weil er nichts zu verbergen hatte oder er führte sie gerade mit seinem Pokerface hinters Licht. „Okay“, antwortete er bloß und ging in die Küche, die direkt neben der Haustür lag. Auf nackten Füßen folgte Ino ihm bis zum Türrahmen. Sie betrachtete seinen Rücken. Obwohl er ziemlich schlank war, hatte er eine ausgeprägte Muskulatur, dank seines Trainings. An seinem Nacken klebten ein paar schwarze Haarsträhnen, auf seiner Haut glitzerte etwas Schweiß. Er strich mit einer Hand durch das rabenschwarze Haar und drehte sich dann zu ihr um. Jedes Mal, wenn er sie mit seinen dunklen Augen ansah, begannen die Schmetterlinge in ihrem Bauch wild zu flattern. Er musste nicht einmal etwas sagen, sie fühlte sich magisch angezogen, als würde er eine unsichtbare Angel auswerfen und sie biss augenblicklich an. Sie war ihm hilflos ausgeliefert, als sie sich so tief in die Augen sahen. Er stellte sich direkt vor sie, griff in ihren Nacken und zog sie fest an sich, um sie zu küssen. Wie ein Eis in der Sonne schmolz sie einfach dahin, alle Sorgen vergessen – oder doch nicht? Bestimmt hob er sie auf die Küchenzeile, küsste gierig ihren Hals, ihr Ohr. „Sasuke“, keuchte sie erfreut. Geschickt löste er den Verschluss ihres BHs, er fackelte nicht lange. Sie knöpfte sein Hemd auf und küsste seinen Hals. In dem Moment kamen die Erinnerungen zurück, überdeckten ihr Verlangen. Sein Hemd, der Lippenstiftabdruck. „Sasuke … warte … stopp!“ Ein Grunzen entfloh dem jungen Mann, symbolisierte seine Unzufriedenheit über den Abbruch ihres Liebesspiels. Inos Körper und ihr Gesicht glühten. Er hatte nicht einmal eine halbe Minute gebraucht, um sie mit seinem Charme um den Finger zu wickeln. Schnell schloss sie ihren BH wieder und deckte ihre Brust mit ihren Armen ab. „Bevor wir hier weitermachen, musst du mir etwas erklären. Komm mit.“ Scheinbar genervt folgte ihr Freund ihr ins Badezimmer, in dem das besagte Hemd, das Beweismittel, noch immer auf dem Boden neben ihrer Schminke lag. Sie hob es auf und hielt es Sasuke unter die Nase. „Was ist das?“, fragte sie und sah ihm an, dass er nicht verstand, worauf sie hinaus wollte. „Hier“, fügte sie lauter hinzu, hielt den Kragen direkt auf seiner Augenhöhe. „Ein Lippenstiftabdruck“, antwortete er nüchtern, sachlich, „Und?“ Hitze erfüllte die Wangen von Ino, diesmal jedoch ganz und gar nicht vor sexueller Erregung. „Und?!“, wiederholte sie hysterisch – nun schrie sie doch. Außer sich vor Wut schlug sie das Hemd samt ihrer Faust gegen seine Brust. „Der da ist definitiv nicht von mir! Ich kenne die Farbe, Nummer, Marke und selbst den verfluchten Namen jedes einzelnen meiner Lippenstifte!“ Sasuke sah sie an, doch Ino konnte keine Regung in seinen Zügen erkennen, was sie noch wütender werden ließ und gleichzeitig trieb es ihr die Tränen in die Augen. „Betrügst du mich, Sasuke?“ „Nein.“ Diese Antwort kam wie aus der Pistole geschossen und ließ Ino perplex blinzeln. „Was bedeutet das dann?“, wollte sie wissen und deutete ein weiteres Mal auf das blöde Hemd mit dem blöden Fleck, das er mittlerweile in seiner Hand hielt. „Das geht dich nichts an“, murmelte er leise. „Wie bitte?! Verarscht du mich gerade?! Wie soll ich dir bitte glauben, wenn du mir nicht einmal sagen kannst, was es damit auf sich hat?“ Als Ino erneut gegen seine Brust schlagen wollte, hielt er ihr Handgelenk fest, sah ihr dabei fest in die Augen. „Glaub mir oder lass es bleiben, mehr als dass ich dich nicht betrogen habe, kann ich dir nicht sagen.“ „Fein!“, keifte Ino als sie sich von ihm losriss Sie holte ihr Kleid aus der Waschmaschine und zog es sich trotz Fleck über. Als sie aus der Wohnung ihres Freundes stürmte, wusste sie nicht, was sie mehr verletzte: dass ihm nichts daran lag, sie aufzuhalten und diese Sache aufzuklären oder dass er offensichtlich Geheimnisse vor ihr hatte. Sasuke kam ihr jedenfalls nicht nach. Ein paar Querstraßen weiter blieb Ino stehen und suchte in ihrer Handtasche nach einem Päckchen Taschentüchern. Das fand sie zwar, doch gleichzeitig musste sie feststellen, dass sie ihr Handy nicht dabei hatte. Denn das lag in Sasukes Küche, damit der Akku sich aufladen konnte. So stürmisch wie sie aus der Wohnung geflüchtet war, musste sie ausgerechnet das vergessen. „Verdammte Scheiße!“, rief sie ungeachtet der Tatsache, dass noch andere Passanten auf der Straße waren. Das letzte, was sie jetzt wollte, war zu ihm zurück zu gehen. Dummerweise konnte sie so aber auch keinen ihrer Freunde erreichen. Etwas unschlüssig lief sie zur nächsten U-Bahn-Station. Eigentlich gab es für sie nur zwei Optionen: entweder sie fuhr zu ihrem besten Freund, der eventuell sogar Verständnis für Sasuke aufbringen würde, oder sie fuhr zu ihrer besten Freundin, bei der allerdings nicht gewiss war, ob sie überhaupt zu Hause war. Je nachdem, für welche Möglichkeit Ino sich entschied, musste sie in entgegengesetzte Richtungen fahren. Beide U-Bahnen kamen fast zeitgleich an, sodass sie sich schnell entscheiden musste. Seufzend stieg Ino im letzten Moment in die Bahn in die Richtung zu ihrer besten Freundin ein, in der Hoffnung, dass Sakura da war. In der Bahn selbst wackelte die junge Frau die ganze Zeit ungeduldig mit dem Fuß. Ohne Handy hatte sie einfach keine Ablenkung und ihre Gedanken hatten zu viel Raum sich zu entfalten. Als ihr Blick auf einem turtelnden Pärchen einen Vierersitz weiter traf, konnte sie es nicht vermeiden ihre Augen zu verdrehen. Erneut verließ ein Seufzen ihre Lippen, denn sie erinnerte sich daran, dass sie vor einiger Zeit selber noch so gewesen war. Ihre Haltestelle wurde durchgesagt und Ino erhob sich von ihrem Platz. Sakura wohnte nur zehn Minuten Fußweg von der Bahn-Station entfernt, weshalb sie schon nach kurzer Zeit ihr Ziel erreicht hatte. Ino drückte auf die Klingel mit dem Namen ihrer Freundin, zählte die Sekunden bis das Surren der Haustür sie aufatmen ließ. Mit schnellen Schritten erklomm sie die Stufen in den dritten Stock. An einer der beiden Türen ragte bereits der rosafarbene Haarschopf ihrer Freundin heraus. „Ino?“, machte sie überrascht, „Was machst du denn hier?“ Als sie vor ihrer Freundin zum Stehen kam, zwang Ino sich zu einem traurigen Lächeln, das mehr als genug auszusagen schien. Natürlich war sie bei Sakura immer willkommen, insbesondere wenn sie Probleme hatten. Kurz nachdem die Haustür geschlossen wurde, fand die junge Frau sich in den Armen ihrer besten Freundin wider. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen, sprach in sanftem Unterton mit ihr. Obwohl Ino noch immer versuchte, sich zusammenzureißen, spürte sie die Gänsehaut über ihren Körper kriechen, die ihr verriet, dass sie gleich anfangen würde zu weinen. „Ich glaube, Sasuke betrügt mich …“, murmelte Ino gegen die Schulter ihrer Freundin. „Was?“, hörte sie Sakura empört fragen, „Wie kommst du darauf?“ Die beiden Frauen gingen gemeinsam in die Küche, um bei einem Glas Eistee die Geschehnisse der letzten Stunden gemeinsam durchzugehen. „Aber vielleicht hat er dich wirklich nicht betrogen, vielleicht ist das nur ein Missverständnis?“, warf Sakura ein, als ihre Freundin ihre Erzählungen beendet hatte. Zuerst glaube Ino, dass sie sich gerade verhört hatte. „Ist das dein Ernst?! Wieso sollte er dann so ein Geheimnis darum machen?“ „Ich weiß … ich denke nur nicht, dass Sasuke ein Fremgehertyp ist“, erwiderte Sakura darauf, was Ino gleichzeitig ein bisschen nachdenklich werden ließ. Sie sah in ihren Schoß und betrachtete den hell rosa Fleck von dem Joghurt auf ihrem Kleid. „Kann ich mir Klamotten von dir borgen, ich hab‘ mein Kleid vorhin eingesaut …“, murmelte die junge Frau, um gleichzeitig das Thema zu wechseln. „Ja klar, du weißt ja wo du alles findest.“ Das war einer der vielen Beweise, dass sie beste Freundinnen waren. Ino verschwand in dem Schlafzimmer von Sakura, in dem sie sich ihrem Kleid entledigte und sich ein schwarzes Top, eine Jeansbluse und eine hellbraune Hotpants aus dem Schrank nahm. In den frischen Klamotten warf sie einen Blick in den Spiegel und wanderte dann weiter ins Badezimmer. Mit großer Wahrscheinlichkeit sah sie schrecklich aus, nachdem ihr Damm gebrochen war und ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr zumindest, dass ihr Kajal verlaufen war, ebenso die angeblich wasserfeste Wimperntusche – heutzutage konnte man auch niemandem mehr vertrauen. Um sich frisch zu machen und ihr Make-up aufzufrischen, suchte sie in Sakuras Schränken nach ihrer Schminke. Ihre Freundin war nicht so ordentlich wie sie selbst, aber Ino öffnete einfach sämtliche Türen, bis sie schließlich in dem Regal über dem Waschbecken fündig wurde. In einem rosa-blau-gestreiften Etui entdeckte sie sowohl den gesuchten Kajalstift als auch die Wimperntusche. Summend korrigierte sie den Lidstrich und tuschte ihre Wimpern frisch. Im zweiten Regalfach standen zwei Lippenstifte, nach denen Ino griff. Sie drehte sie um, damit sie die entsprechenden Farben betrachten konnte. Nachdenklich zog sie die Augenbrauen zusammen. Einen der beiden Lippenstifte legte sie weg, aber von dem anderen zog sie die Kappe ab, um ihn aufzudrehen. „Sakura!!“, kreischte Ino und stampfte aus dem Bad in Richtung Küche, in der ihre Freundin gerade am Kühlschrank stand. „Hast du Sasuke angebaggert?!“ Sakura schloss die Küchentür und sah sie entsetzt an. „Was?“ Ino stampfte zwei weitere Schritte, direkt auf sie zu. „Tu nicht so! Dieser Lippenstift haftet an dem Hemdkragen meines Freundes! Es muss doch ein riesengroßer Zufall sein, dass du genau diese Farbe hier besitzt. Du standest doch schon immer auf Sasuke!“ „Ino, so ist das nicht. Du bekommst da etwas in den falschen Hals.“ „Oh, wie bitte?! Hast du ihn deswegen verteidigt?! Ihr steckt doch unter einer Decke!“ „Ino, du bist gerade wirklich ein bisschen paranoid.“ Wütend schnaufend knallte Ino den Lippenstift auf den Küchentisch und griff nach ihrer Handtasche. „Also ist es nur Zufall, ja?“ Sakura schwieg eine Sekunde zu lange. „Das … ich kann es nicht fassen! Wie konntest du … wir konntet ihr nur?!“ Mit einer schwungvollen Drehung wandte sie ihrer Freundin den Rücken zu. „Warte! Ino, es ist nicht so-“ Doch da hatte sie die Tür mit einem lauten Knallen hinter sich ins Schloss fallen lassen. Sich bei Sakura zu schminken hatte dank dieser Hiobsbotschaft wirklich nicht viel gebracht. Die Tatsache, dass ihr Handy zu allem Überfluss auch noch bei Sasuke lag, verstimmte Ino nur noch mehr. Von Wut getrieben machte sie sich wieder auf den Weg in die Wohnung ihres Freundes. Etwas unschlüssig stand sie vor der Haustür, die sie mit dem Schlüssel hätte öffnen können, doch daran kam ihr irgendetwas falsch vor. Bevor sie auf die Klingel mit seinem Namen drückte, atmete sie noch einmal tief durch, zog die Nase hoch und strich mit ihrem Zeigefinger die frische Tränenspur fort. Sobald sie Sasuke gegenüber stand, würde sie höchstwahrscheinlich eh wieder anfangen zu heulen, aber sie wollte die starke Frau zumindest einen Moment mimen. Deprimiert und mit langsamen Schritten trat sie durch das Treppenhaus. Komischerweise verließ sie das Selbstvertrauen, das sie sich gedanklich vorgaukelte, mit jeder Stufe und sie war einfach nur noch traurig. Sasuke lehnte erst lässig an seiner Wohnungstür. Als Ino in seinem Stockwerk ankam, wirkte er um einiges angespannter. Sie hatte nicht einmal mehr genug Kraft, ihm in die Augen zu sehen – dabei hatte sie sich so viel zu Recht gelegt, das sie ihm an den Kopf werfen wollte. „Ich hab‘ mein Handy liegen gelassen. Das bräuchte ich dringend“, murmelte sie und verschränkte als Schutzmechanismus ihre Arme vor der Brust. „Meinen restlichen Kram hole ich wann anders ab.“ „Ino“, hörte sie ihren Freund – Noch-Freund oder sogar schon Ex-Freund? – sagen. „Weißt du, wenn es irgendeine dahergelaufene Bitch gewesen wäre, dann wäre ich vermutlich drüber weg gekommen, aber Sakura? Wirklich?“ „Zwischen Sakura und mir war rein gar nichts“, erwiderte Sasuke ruhig, doch Ino zischte daraufhin nur. „Erspar mir die Lügenmärchen. Ich will einfach nur mein Handy. Gibst du es mir oder soll ich es selbst holen?“ Er machte einen Schritt zur Seite, damit sie eintreten konnte. Sofort steuerte sie die Küche an, in der ihr Mobiltelefon auf dem Fensterbrett lag. Sie zog es vom Strom ab. Auf ihrem Bildschirm leuchteten ein paar Nachrichten und verpasste Anrufe auf. Der stechende Blick in ihrem Rücken kroch hoch bis in ihren Nacken. Ohne es kontrollieren zu können, bekam sie eine Gänsehaut. Normalerweise liebte sie es, dieses Gefühl zu verspüren, die freudige Erregung die dabei mitschwang, doch diesmal tat sie es nicht. Dass Sasuke und sie vor ein paar Stunden noch wilde Küsse in der Küche ausgetauscht hatten, erschien ihr plötzlich so weit entfernt. Ihr Herz fühlte sich schwer an. Innerlich kämpfte Ino mit sich selbst. Sie liebte Sasuke, so sehr, dass es wehtat, aber er? Sasuke sagte nichts mehr, das hatte sie wohl auch nicht erwartet, so war er nun mal. Dass er sich nicht darum bemühte, sie zu besänftigen tat noch mehr weh, sprach ihn noch schuldiger. „Willst du deinen Schlüssel gleich haben?“, fragte Ino über ihre Schultern hinweg. Sie wartete gar nicht auf eine Antwort seinerseits, sondern holte den Schlüsselbund aus ihrer Handtasche. „Ino.“ Eine weitere Stimme ertönte und ließ die junge Frau überrascht aufblicken. Der Bruder von Sasuke stand im Türrahmen und sah sie an. „Itachi, du musst nicht …“ „Doch ich muss, Sasuke.“ Skeptisch blickte Ino die beiden an, beobachtete Sasuke dabei, wie er den Raum verließ und sie mit Itachi alleine zurück blieb. Bevor sie überhaupt fragen konnte, was das werden sollte, setzte ihr Gegenüber bereits zum Sprechen an: „Sasuke hat nichts getan, das musst du mir glauben.“ „Ach muss ich das?“, erwiderte sie patzig, wie ein kleines Mädchen, dem man seine Puppe weggenommen hatte. „Das Hemd, das du gefunden hast, gehört mir, nicht ihm.“ Ino starrte ihn an. „Und nicht er und Sakura sind sich näher gekommen, sondern ich und Sakura.“ „Du erzählst mir das doch gerade nur, um ihn zu entlasten. Ich meine, du bist verlobt, also würdest du niemals-“ Ino unterbrach sich selbst, suchte in seinem Gesicht nach Anhaltspunkten, ob er tatsächlich die Wahrheit sprach oder Sasuke nur in Schutz nahm. „Wieso solltest du so etwas tun? Und wieso haben weder Sasuke, noch Sakura die Sache dann aufgeklärt?“ „Izumi und ich … wir haben uns an Sasukes Geburtstag gestritten und sie hat alles in Frage gestellt. Sie war sich gar nicht mehr sicher, ob unser Schritt der richtige war. An dem Abend in der Bar habe ich ein bisschen zu tief ins Glas geschaut und Sakura scheinbar auch. Sie wusste nichts von der Verlobung oder dem Streit. Wir waren betrunken und haben uns in eine Ecke verzogen.“ Itachi machte eine kurze Pause, als würde er den Augenblick Revue passieren lassen. „Aber bevor wir zu weit gehen konnten, kam Sasuke. Er hat uns in flagranti erwischt.“ „Oh man…“, machte Ino seufzend, „Das klingt ziemlich kompliziert. Aber jetzt verstehe ich, warum er an dem Abend so übellaunig war…“ Mit Daumen und Zeigefinger massierte Ino ihre Schläfen, hinter denen allmählich ein unangenehmes Pochen aufkam. Dass Sasuke seinen älteren Bruder damals tatsächlich mit in seine Wohnung genommen hatte, daran konnte sie sich noch erinnern. „Also weiß deine Verlobte nichts von diesem … Vorfall?“ „Nein. Es ist nichts weiter passiert. Sasuke hat sich darum gekümmert, dass jemand Sakura nach Hause bringt und mich hat er mit her genommen. Am nächsten Morgen ist uns der Lippenstiftabdruck aufgefallen. Er hat mir eins von seinen gegeben, bevor ich nach Hause gefahren bin.“ Itachi legte seine Hand auf die Schulter der jungen Frau, was sie zu ihm aufsehen ließ. „Sasuke hat nichts verbrochen, also lass ihn nicht hängen.“ Als er seine Hand zurück zog, fühlte es sich plötzlich so an, als würde eine Last von ihr fallen. „Sasuke, ich fahr dann wieder. Wir hören uns“, rief Itachi aus der Küche und war bereits aus der Haustür, bevor sein kleiner Bruder reagieren konnte. Da Ino aber noch da war, trafen ihre Blicke schließlich aufeinander. „Willst du auch gehen?“, fragte er leise und schob seine Hände in die Hosentaschen. „Ich … also … Nein, ich möchte noch bleiben, wenn das okay ist.“ Sasuke nickte und deutete ihr an, ins Wohnzimmer zu gehen. Das Hemd mit dem verdammten roten Lippenstiftfleck lag auf der Sessellehne. Vermutlich war Itachi deswegen hier gewesen? Nur einen Moment nach ihr kam Sasuke mit zwei Gläsern und einer Flasche Wasser in der Hand wieder. „Danke“, murmelte Ino leise, nachdem er die beiden Gefäße gefüllt hatte. Etwas nervös griff sie nach einem Glas und nippte sofort daran. Das Mineralwasser prickelte auf ihrer Zunge. Sasuke sagte nichts, sah sie einfach nur an. „Also“, begann Ino, während sie mit ihren Nägeln melodisch gegen das Glas stieß. Ihr Freund schwieg noch immer. „Ich scheine da etwas in den wirklich falschen Hals bekommen zu haben. Und ich bin ein wenig ausgerastet. Aber wenn du nicht so eine Geheimniskrämerei betrieben hättest, wäre es gar nicht so weit gekommen!“ Sasukes Augenbraue zuckte leicht, woraufhin Ino schnell einen weiteren Schluck Wasser nahm. „Das war scheinbar etwas sehr Privates und es macht mich schon traurig, dass du mir sowas nicht anvertrauen wolltest“, fuhr sie fort. „Je weniger Leute davon wussten, desto besser. Sie schämen sich beide mehr als genug“, erklärte er und erhob damit das erste Mal wieder seine Stimme. „Mhm … verstehe“, antwortete Ino und begann mit einer ihrer Haarsträhnen zu spielen. Sie atmete einmal tief ein, ehe sie ihr Glas auf dem Tisch abstellte und ihm direkt in die Augen sah. „Es tut mir leid“, sprach sie reumütig, „Dass ich dir das mit Sakura unterstellt habe. Sie würde das niemals tun – du natürlich auch nicht – und gegen mich hätte sie sowieso keine Chance.“ Das alte Selbstvertrauen kam zurück. Von einem bescheuerten roten Lippenstift wollte sie sich so schnell nicht noch einmal aus der Ruhe bringen lassen. Ino stand auf und ließ sich auf dem Schoß von Sasuke nieder. „Ich weiß, was du denkst. Ich bin ganz schön anstrengend.“ Er schloss daraufhin seine Augen, doch die ernsten Züge entspannten sich, seine Mundwinkel zuckten sogar kurz nach oben. „Aber hey.“ Ino nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küsste seine Lippen, „Wie wäre es, wenn wir dort weitermachen, wo wir heute Nachmittag aufgehört haben?“ Die beiden sahen sich einen Moment an. Als Sasuke sie fest packte und mit ihr auf dem Arm in Richtung Schlafzimmer ging, kicherte Ino auf. Hinter verschlossenen Türen genossen sie ausgiebig ihre Versöhnung. – Ende gut, alles gut. __________________________________________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)