Der unsichtbare Freund von Alaiya (A Hare Amoung Wolves [Pilot]) ================================================================================ Kapitel 1: Der verschwundene Junge ---------------------------------- Der Tag begann vernebelt – keine große Überraschung in Edinburgh. Der einzige Trost war, dass auf einen nebeligen Morgen meist ein sonniger Tag folgte. Dies war jedoch nur bedingt ein guter Trost, als Kyra Watson durch die klamme Morgenkälte führte, um den großen Berner Sennenhund sein morgendliches Geschäft verrichten zu lassen. Sie gähnte, während der große Hund aufgeregt an einer Buche in der Allee schnüffelte. Zumindest einer von ihnen war wach. Sie vergrub ihre Hände tiefer in den Taschen ihres Ledermantels – falsches Leder, aber zumindest war der Mantel gefüttert. Erleichtert seufzte sie auf, als der Hund schließlich um sie herum tänzelte und ihr signalisierte, dass ihm nun viel eher nach Frühstück war. Das traf sich gut, denn auch sie war hungrig. Vorsichtig schlich sie die Treppe hoch, um ihrer Vermieterin Mrs. Moore aus dem Weg zu gehen. Die alte Frau war der Gattung „verrückte, alte Katzendame“ und mochte entsprechend Watson nicht besonders, da ihre geliebten sechs Katzen Angst vor ihm hatten. Im zweiten Stock angekommen öffnete sie die Tür zu ihrem Apartment und ging hinein. Sofort stürmte Watson an ihr vorbei und in die Küche, wo er sich schwanzwedelnd vor seine leere Futterschüssel stellte. Kyra sah ihn lächelnd an und ging in das Vorratszimmer neben der Küche, nur um festzustellen, dass selbst von dem trockenen Hundefutter nur noch Reste da waren. „Ich fürchte das ist alles“, meinte sie, als sie das Futter in seine Schüssel füllte. Watson bellte zustimmend, ehe er sich über das Futter hermachte. Für eine kurze Weile hockte sich die junge Frau neben ihn und strich durch sein zotteliges Fell, richtete sich dann aber auf, um zum Kühlschrank hinüber zu gehen. Immerhin hatte auch Sie Hunger und war kein Fan von Hundefutter. Ein Blick in den Kühlschrank sagte ihr jedoch, dass sie dies eventuell würde überdenken müssen. Gähnende Leere erstreckte sich in diesem. Einzig ein paar letzte Reste Butter und drei vertrocknete Scheiben Toastbrot ließen sich hier finden. „Wir brauchen dringend einen neuen Job, Watson“, stellte sie fest, da sie wusste, dass auf ihrem Konto dieselbe Ebbe herrschte, wie im Kühlschrank. Der Hund gab ein kaum definierbares Geräusch von sich. Sie interpretierte es, als auf aufmunternden Zuspruch. Mit einem Seufzen machte sie sich die letzten Scheiben Toastbrot. Zumindest hatten sie noch Marmelade. Eine halbe Stunde später saß sie – nun mit einem ordentlichen Pullover und Jeans bekleidet, in ihrem Arbeitszimmer und surfte gelangweilt im Internet. Watson lag neben ihr in seinem Körbchen und sah die geschlossene Tür missmutig an. Sie hatte seit über einer Woche keinen Job mehr gehabt. Man sollte meinen, dass es mehr untreue Ehemänner in der Stadt geben musste – nicht das diese Fälle besonders interessant waren. Die Zeit verging und Kyra harkte, als kurz vor halb Zwölf ihr Mitbewohner aufstand, den Tag als einen weiteren, erfolglosen Eintrag in ihren Kalender ab. „Sollen wir gleich schauen, ob wir irgendwas zum Mittagessen finden?“, fragte sie Watson, der mit einem Brummen aufsah. „Ja, das mein ich auch“, erwiderte sie, wandte sich dann aber seufzend ihren Computerbildschirm zu. Noch ein paar Minuten, sagte sie sich, dann würde sie Mittagspause machen. Eine Minute. Zwei Minuten. Drei Minuten. Jason ging in sein Zimmer zurück. Vier Minuten. Fünf Minuten. Sechs Minuten... Es klingelte an der Tür. Konnte es sein? „Jason!“, brüllte sie. „Mach mal auf!“ Ein Grummeln war die Antwort, aber sie konnte ihn in die Gegensprechanlage reden hören. Dann Stille und dann hörte sie, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Ein kurzes Gespräch, dann näherten sich Schritte. Jason öffnete die Tür. „Ein Klient“, sagte er nur und warf Kyra einen strafenden Blick zu. Er mochte es nicht, wie ihr Laufbursche behandelt zu werden. Kyra reagierte darauf nicht, sondern warf der Frau um die 40, die nun das Arbeitszimmer betrat ein – wie sie hoffte – professionelles Lächeln zu. „Setzen Sie sich“, meinte Kyra und stand auf, um auf einen der beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch zu zeigen. „Möchten Sie vielleicht einen Tee?“ „Äh, was?“, fragte die Frau, schüttelte dann aber den Kopf. „Äh, nein.“ Kyra schätzte die Frau auf Ende 40. Ihr hellbraunes Haar zeigte bereits ein paar graue Ansätze und ihre Mimik warf einige Falten auf. Sie war jedoch sehr ordentlich gekleidet, nicht im Sinne vom großen Wohlstand, jedoch deutete ihre Kleidung zumindest auf ein durchaus vertretbares Familieneinkommen hin. Ihre Bewegungen wirkten jedoch fahrig, so als wäre sie gedanklich nicht ganz da. Etwas belastete sie – vielleicht nicht überraschend, da dies für die meisten Leute galt, die zu ihr kamen. Ihre Augen waren verweint. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte Kyra betont freundlich. Die Frau reagierte nicht sofort. Dann sah sie sie an. „Sie sind Privatdetektivin, oder?“ Nur mit Mühe konnte Kyra sich davon abhalten, eine spitze Bemerkung zurückzugeben. Bleib professionell, ermahnte sie sich selbst. Natürlich wusste sie, dass ein Arbeitszimmer in einer normalen Wohnung, nicht sehr professionell wirkte. Sie wusste auch, dass sie nicht unbedingt immer den Eindruck einer Detektivin erweckte. Aber was konnte sie dafür, dass ihre leicht welligen Haare einfach nicht im Zopf bleiben wollten? Und sie erwartete schon von ihren Kunden, dass sie über das eigentlich ohnehin recht unauffällige Nasenpiercing hinweg sehen konnten. Gut, sie hatte auch keine große Lust, es jeden Tag rauszunehmen – aber das hatte nichts mit ihrer Arbeit zu tun. Und sie konnte sich nun einmal keine richtige Kanzlei leisten. Sherlock Holmes hatte seine Klienten auch in seiner Wohnung empfangen! Ihm Wohnzimmer sogar! Er hatte nicht einmal ein Arbeitszimmer gehabt und in den Büchern hatte es nie jemanden gestört. „Ja, ich bin Privatdetektivin“, sagte sie mit Mühe gefasst und bemühte sich weiterhin um ein hoffentlich verständnisvolles Lächeln. „Was kann ich für Sie tun?“ „Äh... Ja... Nun...“ Die Frau zögerte etwas. „Also mein Name ist MacConnery, Emily MacConnery und... Ähm... Suchen Sie auch vermisste Personen?“ Das war zugegebener Maßen eine seltenere Anfrage. Meistens bezogen auf ehemalige Freunde oder Liebhaber, die aus irgendwelchen Gründen gesucht wurden. Kyra hatte eine sich mittlerweile eine Antwort darauf vorgefertigt. „Natürlich helfe ich auch beim Finden von Personen, die Sie aus den Augen verloren haben. Ich mache allerdings darauf aufmerksam, dass ein tatsächlicher Vermisstenfall bei der Polizei gemeldet werden müsste.“ Sie hasste es ehrlich zu sein. „Mein Mann ist bei der Polizei“, sagte die Frau schnell. „Es ist nur... Wir wissen nicht... Es... Nun. Wir haben gelesen, wie viel schwerer es nach ein paar Stunden wird und... Ich fühle mich so schlecht.“ Kyra sah sie an. Sie konnte sich schon zusammenreimen, was los war – immerhin war es im Kontext nicht schwer zu verstehen. „Ihr Kind?“ Die Frau nickte. „Mein Sohn. Cole. Er ist neun.“ Ihre Stimme zitterte. „Er... Ist gestern nicht nach Hause gekommen. Zumindest glauben wir das. Er... Oh, ich fühle mich so schlecht. Wir... Wir haben es nicht bemerkt und jetzt... Vielleicht...“ Mit einem Seufzen sah Kyra sie an. „Sie wollen, dass ich der Polizei helfe, nach ihrem Sohn zu suchen?“ „J-ja“, erwiderte die Frau. „Bitte.“ Für einen Moment zögerte Kyra. Nach Kindern suchen war normal nichts, was sie tat – aber am Ende konnte sie es wahrscheinlich genau so gut, wie jeder andere Privatdetektiv und sie konnte das Geld gebrauchen. „Natürlich.“ Sie griff in die Schublade ihres Schreibtischs und zog einen Vertrag heraus. „Mrs. McConnery, ich weiß, das ganze muss furchtbar für Sie sein. Ich muss Sie trotzdem bitten erst meinen Vertrag zu unterschreiben, ehe Sie mir vertrauliche Informationen erzählen.“ „Äh... Ja... Natürlich“, sagte die Frau und nahm das Papier, zusammen mit einem der Stifte, die Kyra bereit gelegt hatte. „Ich würde Sie bitten, die Bedingungen genau durchzulesen, bevor Sie ihnen zustimmen, ja?“, erklärte Kyra. „Ich nehme 30 Pfund die Stunde. Einen Nachtzuschlag von 5 Pfund pro Stunde. Ich weiß, Sie wollen nicht über Geld reden. Aber ich muss Sie über die Preise informieren und möchte dabei Ihre Situation nicht ausnutzen.“ „Natürlich.“ Mit zittrigen Händen nahm Mrs. MacConnery die Unterlagen und begann zu lesen.“ Es vergingen einige Minuten und einige Rückfragen später war der Vertrag unterschrieben. Kyra mochte diesen Teil nie – aber nachdem sie ein, zwei, nun, vielleicht auch häufiger nachgiebig gewesen war und am Ende nur einen Teil ihres Gehalts (wenn überhaupt etwas) bekommen hatte, war sie vorsichtig geworden. Immerhin musste Sie am Ende vom Monat auch Miete bezahlen. „Können Sie versuchen, mir noch einmal in Ruhe zu erklären, was genau passiert ist?“, bat Kyra schließlich. Mittlerweile hatte die Frau wieder Tränen in den Augen. Wohl kein Wunder. „Natürlich... Mein Mann und ich... Mein Mann hat gerade Dienstzeitausgleich und ist daheim und wir waren gestern in Glasgow. Und... Ja, wir sind gestern erst spät nach Hause gekommen und... Oh Gott, wir wollten Ihn nicht wecken und als ich heute morgen in sein Zimmer gekommen bin war er nicht da.“ „Okay.“ Kyra nickte. „Hatte er einen Babysitter oder so etwas?“ „Äh, ja... Normaler Weise schon... Aber Clara, also die Babysitterin, war krank... Und Cole meinte, es wäre schon okay. Er wollte nach der Schule direkt nach Hause kommen. Und... Ich meine, er ist schon vorher allein nach Hause gekommen und allein zuhause geblieben... Deswegen dachten wir es wäre schon in Ordnung...“ Sie schluchzte. Es war deutlich, dass sie sich Vorwürfe machte – natürlich – was angesichts der Umstände wohl keine große Überraschung war. Dummer Weise nur war Kyra nicht gut mit diesen Sachen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, um die Frau zu beruhigen. Immerhin war sie kein Psychologe! „Ähm...“ Sie räusperte sich. „Wann haben Sie genau gemerkt, dass Cole nicht da war?“ „Heute morgen. Kurz nach Sieben. Wie gesagt, ich wollte ihn wecken... Und sein Zimmer war leer“, erzählte die Frau. „Ich habe bei Jamie angerufen, einem seiner Freunde, und habe gefragt, ober da geschlafen hat. Dann bei Billy. Aber er war nirgendwo...“ Sie schluchzte. Kyra öffnete kurz eine weitere ihrer Schubladen und fand was sie suchte: Eine Packung Taschentücher. „Hier“, meinte sie und wartete, dass die Frau sich die Nase geputzt hatte. „Sie haben wohl auch in der Schule angerufen?“ „Natürlich“, erwiderte Mrs. MacConnery. „Niemand weiß, wo er ist. Er war gestern mit den anderen Kindern auf dem Spielplatz. Aber er ist danach nirgendwohin gegangen... Also zumindest sind seine Sachen nicht Zuhause. Seine Schulsachen. Gar nichts.“ Erneut schnäuzte sie sich die Nase. Kyra nickte, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. „In Ordnung, Mrs. MacConnery. Ich werde mich darum kümmern, wenngleich ich natürlich für nichts garantieren kann.“ Die Frau nickte. „Ich verstehe.“ Etwa eine halbe Stunde später fuhr Kyra in ihrem hellblauen MGB vor einem Reihenhaus im Nordosten von Edinburgh vor. Während Watson auf dem Rücksitz saß und den Kopf auf ihre Rückenlehne gelegt hatte, saß Mrs. MacConnery auf dem Beifahrersitz. Im Moment weinte sie nicht mehr, wofür Kyra dankbar war. Worüber sie sich weniger Gedanken machen wollte, war, ob dies mit mangelnden Vertrauen in ihre Fahrkünste zu tun hatte. Sie parkte den Wagen vor der offenen Garage, in der bereits ein Combi stand. Als der Wagen endlich stand versuchte Mrs. MacConnery die Tür zu öffnen, die wie schon zuvor klemmte. „Moment“, sagte Kyra, stieg aus und lief um den Wagen herum, ehe sie sich daran machte mit sanfter Gewalt die Beifahrertür zu öffnen, die dringend geölt werden sollte. „Danke“, meinte die Frau, als sie ausstieg. „Kein Problem.“ Kyra bemühte sich um ein Lächeln und beugte sich in den Wagen herein, wo Watson sie hechelnd ansah. „Sei ein braver Hund und bleib hier. Ich bin kurz mit der netten Dame im Haus, ja?“ Watson bellte. Sie nahm an, dass dies „Ja“ hieß. Also folgte sie Mrs. Connery in das Haus, das eins jener schmal geschnittenen Reihenhäuser, wie sie in den 70ern en masse gebaut worden waren. Die Fassade war in einem blassen Grün gestrichen – während es kaum so etwas wie einen Vorgarten gab. Aber was sollte Kyra sagen – sie hatten immerhin überhaupt keinen Garten, während ihr Haus auch halb zwischen zwei anderen ähnlich alten Häusern eingeklemmt war. Mit fahriger Hand öffnete Mrs. Connery die Haustür und ließ Kyra hinein. Schon im Hausflur sah man, dass es hier eine Familie mit Kindern oder zumindest einem Kind lebte: Stiefel, die auf dem Boden lagen, Kinderkleidung an der Garderobe. In der Küche hing ein mit Buntstiften gemaltes Bild am Kühlschrank. Kyra nahm es näher in Augenschein. Es zeigte ein Kind, das zusammen mit einem anderen Kind auf einer Wiese spielte – natürlich in der etwas krakeligen Form mit dreieckigen Nasen und gestricheltem Haar, wie es für jüngere Kinder üblich war. „Das hat Cole gezeichnet?“ „Äh, ja“, meinte Frau MacConnery und stellte sich hinter sie. „Er ist das eine Kind, ja?“, fragte Kyra. „Das andere?“ „Das ist Jimmy... Sein... Nun, sein imaginärer Freund.“ Die Frau seufzte schwer. „Imaginärer Freund?“ Kyra hob eine Augenbraue und sah die Frau an. „Sie wissen, wie Kinder in dem Alter sind. Cole hat eine sehr lebhafte Fantasie und Jimmy ist sein 'unsichtbarer Freund'. Der Kinderarzt sagt, es sei einfach eine Phase, durch die viele Kinder gehen.“ Kyra nickte, sagte aber nicht viel dazu. Sie glaubte immerhin kaum, dass ein imaginärer Freund ein Kind entführen würde. „Können Sie mir sein Zimmer zeigen?“ „Natürlich.“ Mrs. MacConnery führte sie eine Treppe hoch in das erste Geschoss des Hauses. Das Kinderzimmer war anhand der an die Tür geklebten Buchstaben leicht zu erkennen – auch daran, dass die Tür offen stand. Kyra folgte der Frau in das Zimmer hinein, das relativ klein und sehr unordentlich war. Auch hier hingen einige Bilder an der Wand, von denen viele dieselben Figuren zeigten, wie unten. „Cole malt gerne?“, fragte sie. „Ja“, erwiderte Mrs. MacConnery und ihre Stimme zitterte wieder. „Er ist ein sehr ruhiger Junge, wissen Sie? Er malt und liest und ist meist lieber auf seinem Zimmer.“ „Hat er noch andere Freunde, als Jimmy?“, fragte Kyra. „Nun... Es gibt ein paar Klassenkameraden, mit denen er nach der Schule spielt. Aber er bringt selten jemand mit nach Hause... Er ist halt eher ein Einzelgänger.“ Sie seufzte schwer. „Deswegen mache ich mir solche Sorgen. Er hat eigentlich niemanden, zu dem er gehen würde. Er...“ „Gäbe es denn einen Grund für ihn wegzulaufen?“, fragte Kyra. Sie merkte, dass Mrs. MacConnery wieder kurz vorm Weinen stand, doch was blieb ihr für eine Wahl. Sie musste ein paar Fragen stellen. „Nein!“, sagte die Frau schnell. „Nein. Natürlich nicht. Er war eigentlich immer ein lieber, unkomplizierter Junge. Bis auf... Na ja...“ Sie verstummte. Kyra sah sie fragend an. „Ja?“ „Nun. Er hatte in letzter Zeit... Ein paar Probleme mit meinem Mann... Also seinem Vater“, erklärte Mrs. MacConnery leise. „Sie müssen sehen, Alan ist bei der Marine und daher oft mehrere Wochen am Stück fort... Und in letzter Zeit... Es ist wohl eine Phase... Aber Cole hat in letzter Zeit öfter mit ihm gestritten. Hört nicht mehr auf ihn. Sie wissen schon. Aber ich glaube nicht, dass er deswegen weglaufen würde!“ „Hatte er denn in den letzten Tagen mit ihm gestritten?“, fragte Kyra. Die Frau schüttelte den Kopf. Nun liefen wieder Tränen über ihre Wange. „Nein. Das ist es ja. Es gibt einfach keinen Grund! Irgendetwas muss passiert sein!“ Kyra seufzte. „Ich werde schauen, was ich tun kann. Ich möchte Sie allerdings vorher um zwei Dinge bitten: Erstens brauche ich ein getragenes Kleidungsstück von Cole. Watson ist vielleicht kein Polizeihund, aber er hat eine gute Spürnase. Genug, als dass es einen Versuch wert wäre. Zweitens würde ich Sie bitten bei der Schule anzurufen. Ich würde gerne mit ein paar seiner Mitschüler sprechen.“ Zwanzig Minuten später fuhr Kyra vor einer der örtlichen Grundschule vor. Sie wirkte wie jede andere Schule auch alles andere als einladend. Zumindest war es keine High School. Nun, zum Glück musste sie ja nicht zum Unterricht. „Na, was meinst du, Watson? Magst du mitkommen?“, fragte sie, als sie den Wagen anhielt. Ihr war klar, das ein Hund im Inneren der Schule nicht gern gesehen sein würde, doch zum einen wollte sie Watson nicht schon wieder im Wagen lassen, zum anderen war er vielleicht genau das richtige, um ein paar Kinder davon zu überzeugen, dass sie ihnen nichts wollte. Watson gab ein unterdrücktes Bellen von sich. Ein „Ja“, beschloss Kyra, und klappte nach dem Aussteigen den Fahrersitz nach vorn, um auch Watson aus der Tür zu lassen, da der Wagen keine Hintertüren hatte. Mit dem Schwanz wedelnd trottete der Hund neben ihr her, während Kyra sich nun auf den Weg in das dunkle Backsteingebäude hinein machte. Laut ihrer Uhr war es kurz nach Eins – womit sie genau in der Mittagspause ankommen sollte. Es brauchte einige Minuten, bis sie das Lehrerzimmer gefunden hatte, doch schließlich klopfte Sie an die Holztür, neben der ein Schild mit der entsprechenden Aufschrift hing. Ein älter Mann mit grauem Bart und Halbglatze öffnete die Tür und sah sie sehr misstrauisch an. „Ja?“ „Guten Tag“, sagte Kyra rasch. „Mein Name ist Kyra Hare. Ich bin Privatdetektivin und Mrs. MacConnery hat mich arrangiert bei der Suche nach Cole MacConnery zu helfen. Ich bin auf der Suche nach seiner Klassenlehrerin Mrs. Coulter. Sie müsste informiert sein, dass ich komme.“ „Oh“, meinte der alte Lehrer und sah sie weiterhin missmutig durch seine Brille hindurch an. „Moment. Ich frage Sie.“ Er machte die Tür wieder zu. Watson gab einen kurzen Kehllaut, fast wie ein Winseln, von sich und sah Kyra mit großen Augen an. Sie seufzte. „Ich finde ihn auch nicht sehr nett.“ Mit der Fußspitze nervös auf den Boden klopfend, wartete sie auf Mrs. Coulter, die schließlich die Tür öffnete. Zumindest nahm Kyra an, dass die etwas breitere Dame mit den offensichtlich blond gefärbten Locken Mrs. Coulter war, da sie sie direkt ansah und fragte: „Ms. Hare?“ „Ja“, sagte Kyra schnell. „Hat Mrs. MacConnery Sie erreichen können? Ich bin wegen Cole hier.“ „Ja, natürlich. Lassen Sie uns in eins der Klassenzimmer gehen, ja? Da können wir in Ruhe sprechen.“ Sie warf Watson einen Blick zu. „Ist das ihr Hund?“ Kyra nickte. „Ja. Mein tatkräftiger Helfer, wenn man so möchte.“ Die Lehrerin sah Watson an, der ob der Aufmerksamkeit, die ihm so zu teil wurde, direkt wieder anfing mit dem Schwanz zu wedeln und die Mrs. Coulter freudig hechelnd ansah. „Nun gut“, murmelte Mrs. Coulter und tätschelte Watson den Kopf. „Eigentlich dürfen hier keine Tier mit reingebracht werden.“ „Tut mir leid“, erwiderte Kyra mit einem entschuldigenden Lächeln. Sie kraulte Watsons Kopf. „Er ist nur nicht sehr gut damit allein zu bleiben, wissen Sie?“ Das war nicht einmal komplett gelogen. Immerhin wurde Watson normal nervös, wenn sie nur ein paar Stunden nicht in seiner Nähe war. Die Lehrerin schenkte ihr ein Lächeln. „Ich verstehe schon.“ Sie blieb stehen und öffnete eine Tür zu ihrer linken. „Hier. Kommen Sie mit rein.“ Damit zeigte sie in den Raum, der, wie sie vorher gesagt, ein Klassenraum zu sein schien. Kyra mochte es zugegebener Maßen nicht so wirklich. Sie war froh aus der Schule – und der Uni – raus zu sein. Alles was sie mit Klassenräumen verband, waren Stunden um Stunden von ermüdender Langeweile. Deswegen ließ sie es sich nicht nehmen, sich gegen das Lehrerpult zu lehnen, die Arme vor der Brust verschränkt, während Watson sich wie immer zu ihren Füßen setzte. Seufzend setzte sich Mrs. Coulter auf den Lehrerstuhl und sah sie an. „Nun“, begann sie und sah zu ihr auf, „was kann ich für Sie tun?“ „Was können Sie mir über Cole erzählen?“, fragte Kyra und zog ihren Notizblock aus ihrer Jackentasche hervor. „Ist in den letzten Tagen irgendetwas passiert, was erklären könnte, warum er verschwunden ist?“ Die Lehrerin schüttelte den Kopf. „Ich fürchte nicht.“ Ihrer Stimme nach zu urteilen schien sie es wirklich zu bedauern. „Cole ist immer ein eher ruhiger Junge gewesen. Er macht keine Probleme, hat aber auch nicht viele Freunde. Seine Noten sind eher gut, auch wenn er sich mündlich nicht sehr beteiligt.“ Sie seufzte schwer. „Er hat manchmal Ärger bekommen, weil er im Unterricht vor sich hinträumt und nicht aufpasst. Aber nichts in den vergangenen Tagen.“ „Was ist mit Freunden?“, fragte Kyra während sie sich alles notierte. Es war nicht wirklich etwas neues, da ihr auch Mrs. MacConnery ähnliches gesagt hatte. „Nun, er spielt in den Pausen mit Billy und Max“, antwortete die Lehrerin. „Manchmal auch mit Katie. Das heißt William Riley, Maximillian Thomas und Katie Foley. Alles Klassenkameraden von ihm. Alle drei eher ruhig. Ein wenig Außenseiter, die in der Schule zusammenbleiben, denke ich.“ Sie überlegte. „Soweit ich mich erinnere, war Cole mit Billy und Max zusammen, als er gestern gegangen ist. Hilft Ihnen das weiter?“ „Vielleicht“, erwiderte Kyra. Zugegebener Maßen hatte sie sich mehr erhofft. Sie hoffte, dass der Junge nur fortgelaufen war, denn das war definitiv die angenehmste Vorstellung. Normal bedeutete es, dass er im Verlauf des Tages oder vielleicht der nächsten zwei, drei Tage auftauchen sollte. Das Problem soweit war nur eindeutig, dass niemand soweit einen Hinweis darauf hatte, dass dies der Fall war. Natürlich machten sich Erwachsene immer gerne vor, dass es keinen Grund geben konnte, dass ein Kind unglücklich sei, doch hatte Kyra aktuell nichts, wonach sie sonst gehen konnte. Wenn der Junge jedoch nicht weggelaufen war, blieben noch zwei andere Möglichkeiten: Entweder jemand hatte ihn entführt oder etwas war auf seinem Heimweg passiert. Beides keine gute Aussicht. Zumindest half keine der Aussagen von Mrs. Coulter ihr weiter. Auch nach einigen Nachfragen wusste sie nur, dass der Junge jedenfalls ein ruhiger Außenseiter gewesen war, der gerne Bücher las, aus dem Fenster sah und offenbar eine blühende Fantasie hatte. Er war offenbar auch schon mehr als einmal zum Opfer von einem Chris und einem Timmy, die ihrer Aussage nach die beiden Problemkinder der Klasse waren. „Kann ich vielleicht mit Billy sprechen?“, fragte Kyra schließlich. Sie wusste selbst sehr genau, dass es eigentlich nicht so einfach war, mit Kindern im Rahmen eines Kriminalfalls zu sprechen. Die Eltern mussten zustimmen und meistens musste auch jemand mit einer speziellen Ausbildung dabei sein. Allerdings hatte sie dafür nun gerade wirklich keine Zeit – und sie würde ja auch nicht über einen Mordfall sprechen. Na ja, zumindest hoffte sie es nicht. Mrs. Coulter schien ähnliches durch den Kopf zu gehen. „Nun“, meinte sie sehr zögerlich. „Ich denke... Nun, wenn ein Lehrer dabei ist...“ Sie schien hin und hergerissen zu sein. „Ich fürchte, Sie müssen, warten, bis ich mit den Eltern gesprochen habe.“ Nur schwer unterdrückte Kyra ein Seufzen. „Natürlich.“ Kapitel 2: Die Spürnase ----------------------- Mehr als eineinhalb Stunden später, verließ sie die Schule. Sie hatte mit den Kindern gesprochen – allen fünf, die von der Lehrerin genannt wurde. Billy, ein dunkelhaariger, blasser Junge, mit einem verträumten Blick. Max, ein eher plumper Junge, der vollauf begeistert von Watson gewesen war. Katie, einem schüchternen braunhaarigen Mädchen. Chris, einem ebenfalls etwas plumpen, aber kräftigen blonden Jungen. Sowie Timothy, einem sehr mageren schwarzhaarigem Jungen. Sie waren alle am Nachmittag am Tag zuvor – einem relativ warmen Septembertag – auf einem Spielplatz ein paar Straßen entfernt gewesen. Cole hatte dort mit Billy, Max und Katie Piraten gespielt, ehe es zu einem kleinen Streit mit Chris und Tim gekommen war. Billy, Max und Katie waren danach auf einen Bolzplatz gegangen und hatte Cole nicht mehr gesehen. Selbiges behaupteten auch die anderen beiden Kinder. Sie waren sich alle in einer Sache einig gewesen: Sie hatten gedacht, er wäre nach Hause gegangen. Zumindest zwei interessante Dinge waren von den Kindern bemerkt worden, auch wenn diese bedeuteten, dass es nicht gut für Cole aussah. Billy hatte ihr erzählt, dass ein seltsamer, großer, blasser Mann am Spielplatz gewesen war und sie beobachtet hatte. „Er sah aus wie ein Skelett“, hatte der Junge mit träger Stimme erzählt und dabei Watson angestarrt. „Ganz gruselig.“ Der Mann hätte einen schwarzen Mantel und eine Sonnenbrille getragen und zumindest Chris hatte den Mann wohl ebenfalls gesehen, auch wenn seine Beschreibung nicht so Detailreich ausgefallen war, wie die Billys. Jedoch ging Kyra davon aus, dass der „große, blasse Typ“, den Chris dort noch nie gesehen haben wollte, derselbe Mann gewesen war. Außerdem hatten Chris und Tim beide gesagt, dass Cole, als sie ihn gesehen hatten, verängstigt ausgesehen hatte. Wenn sie davon ausgehen wollte, dass sie nicht selbst daran schuldig waren, hatte es vielleicht mit einem Erwachsenen zu tun haben, der ihn bedroht hatte? Vielleicht nahm sie zu viel an. Manchmal neigte sie dazu, zu viele Gedankensprünge zu machen. Doch wenn es stimmte, dann konnte es sein, dass Cole in Gefahr war. Eine Sache gab es noch, die die Kinder gesagt hatten, die Kyra etwas seltsam vorkam. Denn Billy, Max und Katie hatten allesamt – unabhängig voneinander – von Jimmy erzählt, der angeblich mit ihnen auf diesem Spielplatz gewesen sei. Jimmy, der angeblich nur ein unsichtbarer, imaginärer Freund war. Mrs. Coulter, die bei ihren Gesprächen mit den Kindern dabei gewesen war, hatte es nicht besonders auffällig gefunden. Sie hätten Fantasie, hatte sie gemeint, für das Alter vollkommen normal. Nun, vielleicht dachte Kyra auch zu viel darüber nach. Was wusste sie schon von Kindern? Immerhin war es unwahrscheinlich, dass ein unsichtbarer Junge Cole entführt hatte. Was konnte sie also machen? Viel mehr gab es hier nicht herauszufinden. Also brauchte sie einen anderen Ansatz. Sie rief bei der Polizei an und gab ihnen ihre neuen Erkenntnisse weiter, ehe sie zu dem Spielplatz fuhr. Vielleicht gab es hier etwas, das bisher übersehen worden war. Eigentlich glaubte sie es nicht – aber hey, es war immerhin ein Ansatzpunkt. Zu ihrer Überraschung fand sie keine Polizei hier vor. Es war ein relativ großer Spielplatz mit mehreren hölzernen Klettergerüsten, die im Stil einer mittelalterlichen Burg gestaltet waren. Es gab außerdem einen großen Sandkasten und zwei Schaukeln, sowie einen anbei gelegenen Bolzplatz. Der Spielplatz war am Rand eines kleinen Parkgebiets, so dass der Spielplatz zwischen einer Straßenecke und dem Park selbst lag. Auf der Straßenseite gegenüber lag ein kleiner Pub, der offenbar bereits geöffnet hatte. Die anderen anliegenden Häuser schienen einfache Wohnhäuser zu sein. Kyra parkte den hellblauen Wagen, dessen Motor aktuell alles andere als glücklich klang, zwischen zwei anderen Autos hinter dem Pub, ehe sie ausstieg. Sie ließ Watson aussteigen, ehe sie begann sich umzusehen. Vielleicht war die Polizei schon hier gewesen? Sie seufzte und ging zu dem Spielplatz hinüber. Sie kam sich albern vor. Was sollte sie hier finden? Es war ein Spielplatz und sie hatte keine Möglichkeit zu wissen, ob irgendwelche Dinge, die sie hier im Sand fand, zu Cole oder einem der vielen anderen Kinder gehörten, die fraglos hierher kamen. Dennoch sah sie sich um. Vielleicht gab es ja irgendetwas, das sie weiterbringen würde. Ja, sicher... Zehn Minuten später war sie sich relativ sicher, dass es hier nichts gab, dass sie ohne ein Labor – das sie nicht hatte – irgendwie weiterbringen würde. Bei aller Überwachung in diesem Land sah sie keine Kamera in direkter Nähe, nicht das sie darauf Zugriff gehabt hätte. „Was sollen wir machen, Watson?“, murmelte sie und sah den Berner Sennenhund an, der neben einer Bank bei dem Spielplatz saß und sie aufmerksam beobachtete. Er bellte. Sie nahm an, dass er ebenso wenig Ahnung hatte, wie sie. „Was sollen wir dann versuchen?“, fragte sie und ging zu ihm hinüber. Watson stand auf und begann mit dem Schwanz zu wedeln, als sie zu ihm hinüberkam. Sie kraulte ihn hinter dem Ohr und sah sich noch einmal um, als sie eine ihr bekannte Gestalt an einer Hauswand lehnen sah. Ihr kam eine Idee. „Watson?“, fragte sie und sah zu der Frau hinüber. „Ist das Sophie?“ Sophie war eine Obdachlose, die seit guten zwei Jahren auf der Straße lebte. Kyra kannte sie, nun, zumindest hatte sie ein paar Mal einen Kaffee mit ihr getrunken. Sie wusste zwar nicht, wie es genau dazu gekommen war, dass sie auf der Straße gelandet war. Auf halben Weg zu ihr hob Kyra die Hand zum Gruß und Sophie nickte ihr zu. Sie war nicht einmal besonders alt. Kyra schätzte sie auf vielleicht Mitte dreißig, auch wenn ihr blondes Haar fahl war und ihre Haut gegerbt. Sie hatte jedoch relativ gute Zähne im Vergleich zu anderen Obdachlosen die Kyra kannte. „Hey, Sophie“, grüßte Kyra sie, während Watson zu Sophie hinüberlief und sie schwanzwedelnd begrüßte. „Hey, Kyra“, erwiderte die Frau, während sie sich bückte um Watson zu kraulen. „Was kann ich für dich tun?“ Für einen Moment zögerte Kyra und biss sich auf die Unterlippe. Sie kam sich schuldig vor, weil Sophie direkt davon ausging, dass sie ihre Hilfe brauchte. Auf der anderen Seite war es wohl wahr – sie hatte Sophie seit drei Wochen nicht mehr gesehen und natürlich auch nicht nach ihr gesucht. „Entschuldige, Sophie“, meinte sie ganz automatisch. „Ich habe tatsächlich einen Fall.“ „Habe ich mir schon gedacht“, erwiderte Sophie. „So verloren wie du dar standest.“ Sie richtete sich auf und musterte Kyra mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Also sag mir, Mädchen, womit kann ich dir helfen?“ In ihren Worten klang, auch wenn sie freundlich war, ein deutliches „Und was gibst du mir dafür?“ Kyra lächelte zurückhaltend. Nun, also direkt zum Haupttext. „Nun, ich suche einen Jungen, der hier gestern verschwunden ist. Name ist Cole.“ Sie zog das Bild, das die Mutter ihr gegeben hatte, aus ihrer Manteltasche hervor. „Du hast nicht zufällig irgendetwas gesehen oder gehört?“ Für einen Moment, ehe sie hinzufügte: „Warst du überhaupt gestern hier?“ Sophie nahm ihr das Bild ab und sah es für eine Weile an. „Ich war tatsächlich hier in der Nähe“, erwiderte sie. Sie legte die Stirn in Falten, dachte offenbar nach. „Ich habe den Jungen nicht bewusst gesehen.“ Natürlich nicht. Kyra seufzte und nahm das Bild zurück. „Hast du irgendetwas anderes gesehen? Etwas auffälliges? Jemand auffälliges?“ Watson legte den Kopf schief, während die ältere Frau nachzudenken schien. Sie antwortete nicht sofort, doch schließlich nickte sie. „Eine Sache. Am Nachmittag lief hier ein Kerl 'rum. Groß, hager, sah ein bisschen aus, wie ein Drogenjunkie. Eingesunkenes Gesicht und so. Blass. Trug eine Sonnenbrille und einen Hut. Schien nicht erkannt werden zu wollen. War jedenfalls auffällig und ist für eine ganze Weile um den Spielplatz rumgestalkt.“ „Hast du gesehen, wie der Kerl weggegangen ist?“, fragte Kyra vorsichtig, doch Sophie schüttelte den Kopf. „Nein. Tut mir leid, Kyra.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin vorher gegangen.“ Daraufhin sah sie sie an. „Sorry, dass ich dir nicht weiter helfen kann.“ „Schon gut“, erwiderte Kyra vorsichtig. Sie notierte sich, was Sophie gesagt hatte. Dann nickte sie in Richtung des Pubs. „Willst du einen Kaffee?“ „Gern.“ Sophie nickte. Es war eine unausgesprochene Abmachung. Bisher hatte Kyra die Erfahrung schon öfter gemacht, dass Bettler und Obdachlose manchmal mehr mitbekamen als irgendjemand anderes in der Stadt – vielleicht weil die Leute sich bemühten, sie nicht zu sehen. Es war jedoch jedes Mal etwas bedrückend, wenn sie danach dachte, dass Sophie nichts hatte wohin sie später gehen konnte. Natürlich gab es einige Bleiben, aber eben kein „Zuhause“. Für Kyra gab es nichts, was sie daran ändern konnte. Das einzige, was sie tun konnte, war hier und da einmal ein Essen auszugeben – meist in Austausch gegen Informationen. Am Ende kaufte sie Sophie statt eines Kaffee einen Teller mit Eintopf und eine Cola und ging ihre Notizen durch, während die andere aß. Auch wenn dieser Fall interessanter war, als der übliche „Ich glaube, mein Partner betrügt mich“ Fall, so kam sie nicht umher, langsam frustriert darüber zu werden, dass es keinen vernünftigen Anhaltspunkt gab. Nichts, was ihr eine Idee geben konnte, wo der Junge war – außer, dass er vielleicht von einem seltsamen, blassen, hageren Typen mit Sonnenbrille entführt worden war. Es frustrierte sie noch mehr zu wissen, dass mit jeder Stunde, in der Cole nicht gefunden wurde, die Wahrscheinlichkeit geringer wurde, ihn lebendig zu finden. Sie war alles andere als scharf darauf, der Mutter zu sagen, dass sie leider nichts hatte tun können, der Sohn wahrscheinlich tot war und man sie dennoch würde bezahlen müssen. „Ich schau mich draußen noch einmal um“, meinte sie zu Sophie und stand auf. „Tu das“, erwiderte sie. „Ich kann mich gerne einmal umhören. Vielleicht hat jemand anderes den Jungen gesehen.“ „Danke.“ Kyra nickte ihr zu. „Wo kann ich dich finden?“ „Heute Abend am Hauptbahnhof“, erwiderte Sophie. „Wie immer.“ Erneut nickte Kyra und verließ nach einem kurzen Abschied den Pub, nur um draußen von Watson freudig begrüßt zu werden. „Dich scheint das ganze gar nicht zu betrüben, hmm?“, meinte sie und streichelte ihn seufzend. Sie sah auf ihr Handy: Keine neue Nachrichten. Ein Teil von ihr hatte gehofft, dass die Mutter ihr vielleicht mitgeteilt hatte, dass man den Jungen schon gefunden hatte. Sie sah Watson an. Nun, was sie Mrs. MacConnery gesagt hatte, war nicht gelogen. Auch wenn Watson kein ausgebildeter Spürhund war, hatte er eine gute Spürnase – wenngleich sie keine wirkliche Hoffnung hatte hier etwas zu finden. Aber es war ein Ansatz. Sie hatte ohnehin keine wirkliche Wahl. „Was meinst du, Watson?“, fragte sie und beugte sich zu ihm hinunter. „Magst du ein Spiel spielen?“ Sie griff in die kleine Gürteltasche, in der sie immer einige Leckerlis mit sich herumtrug. Gierig fraß er das kleine Futterstückchen und bellte mit wedelndem Schwanz. „Na, dann komm, Großer“, erwiderte sie und ging zu ihrem Auto hinter dem Wagen. In einer Plastiktüte hatte sie hier das getragene T-Shirt, das Mrs. MacConnery ihr gegeben hatte, in das Handschuhfach gesteckt. Da die Beifahrertür klemmte, kletterte sie auf der Fahrerseite in den Wagen und fischte die Tüte aus dem Fach heraus. „Komm mit, Junge“, sagte sie dann, nachdem sie den Wagen abgeschlossen hatte, und ging mit Watson zum Spielplatz zurück. Sie glaubte nicht wirklich daran, aber da sie keine bessere Idee hatte und das echte Leben halt nun einmal leider keine Krimiserie war, wo es direkt immer einen erkennbaren Hinweis gab, wenn man lang genug suchte, war es einen Versuch wert. Es war jedenfalls besser als die nächsten zwei Stunden damit zu verbringen in der vagen Hoffnung irgendeinen Hinweis, der ihr wahrscheinlich auch nicht sagen konnte, wohin der Junge war, den Sandkasten zu durchsuchen, oder jeden Menschen, der vorbei kam zu fragen. „Also, Watson“, meinte sie schließlich, als sie zwischen Klettergerüst und Sandkasten standen, und hockte sich vor den Hund, der brav vor ihr auf dem Boden saß und sie erwartungsfroh ansah. „Schnupper' mal hier dran.“ Sie nahm das T-Shirt aus der Plastiktüte und hielt es ihm vor die Nase. Der Berner Sennenhund richtete sich auf und schnüffelte – nicht ohne wieder mit dem Schwanz zu wedeln – an dem Shirt. „Kannst du damit eine Spur von Cole finden?“, fragte sie und bereute es, dass sie ihn nie dazu dressiert hatte, wirklich zu suchen. Der Hund sah sie fragend an. „Such“, sagte sie langsam. „Such Cole.“ Noch immer schien Watson nicht zu verstehen, was sie von ihm wollte. Erneut hielt sie ihm das T-Shirt hin. „Such Cole!“, forderte sie ihn mit etwas festerer Stimme auf. „Such, Watson. Such.“ Sie zeigte auf den Boden. Schließlich bellte der Hund auf und senkte tatsächlich seine Nase zum Rasen, auf den sie standen, und begann zu schnüffelnd. Er lief los, die Schnauze weiterhin am Boden und Kyra seufzte nur erleichtert auf. Er hatte verstanden. Zumindest konnte sie das hoffen. Eine ganze Weile lief Watson über den Spielplatz hin und her. Dabei war sich Kyra nur zu sehr bewusst, dass ein Schild vor dem Spielplatz sagte, dass Hunde hier eigentlich nicht erlaubt waren. Aber hey, Watson würde sein Geschäft auf dem Platz verrichten, also würde es wohl in Ordnung sein. Der Hund lief von einem Klettergerüst zum anderen, dann zum Sandkasten, wo er die Schnauze halb in den feuchten Sand versenkte, ehe er zur Schaukel rannte und drei mal um diese herum. Nachdem er denselben Weg mehrfach wiederholt hatte – und Kyra schon die Hoffnung aufgeben wollte, dass es irgendetwas brachte, da es wohl zu schwer war zwischen all den Gerüchen, die hier fraglos in der Luft lagen, den richtigen zu finden – richtete er den Kopf auf. Wider wedelte er mit dem Schwanz und bellte laut. Auffordernd sah er sie an. „Hast du etwas?“, fragte Kyra und hoffte nur, dass es tatsächlich eine Spur von Cole und kein Eichhörnchen war. Erneut bellte Watson und schien darauf zu warten, dass sie zu ihm hinüberkam. „Dann hoffen wir mal“, murmelte sie zu sich selbst und lief zu Watson hinüber, der zu verstehen schien und – die Nase erneut gesenkt – wieder losrannte. Also folgte Kyra, während der Hund nun zum Durchgang, der am Rand des Spielplatzes durch den umgebenden Zaun führte, rannte und einmal hindurch dann über die Straße. Auf der anderen Seite wartete er auf Kyra, die erst sicher ging, ob kein Auto kam. Dann folgte sie ihm, während der Hund nun wieder loslief. Er rannte eine Gasse zwischen zwei alten Häusern hindurch, dann die schmale Straße dahinter entlang. Es folgte eine weitere Straße, dann zwei Gassen – eine so schmal, dass Kyra seitlich hindurch musste. Watson schien sich seiner Sache auf einmal ziemlich sicher zu sein, so sicher, wie er sich normaler Weise nur war, wenn es um Essen geht. Doch Kyra blieb nichts übrig, als ihm und seiner Spürnase zu vertrauen. Schlimmstenfalls hätte sie Zeit verschwendet, sagte sie sich. Dann konnte sie noch immer einen anderen Ansatz versuchen. Einige Minuten schnellen Tempos später, wartete Watson vor einem hohen, hölzernen Zaun und sah Kyra erwartungsvoll an. Er bellte, als sie endlich zu ihm aufschloss und stupste mit der Schnauze gegen eins der Bretter. Kyra sah sich den Zaun genauer an. „Was hast du da, Junge?“ Wieder war ein Bellen die Antwort. Doch sie erkannte, was er gefunden hatte. Das Brett, das er anstupste, schien locker zu sein und ließ sich zur Seite klappen. Als Kyra das tat, bellte Watson, als wollte er sie dafür loben und quetschte sich durch den Spalt. Beinahe schon glaubte sie, dass er stecken geblieben war, doch irgendwie kam er auf der anderen Seite des Zauns an und sah sie durch die Lücke erneut voller Erwartung an. „Du bist lustig“, murmelte sie und besah sich die Lücke. Sie war nicht dick – im Gegenteil konnte man sie schon eher als zierlich bezeichnen – doch würde sie nie im Leben durch das Loch passen. Also gab es nur einen anderen Weg, da der Zaun an den Nachbarhäusern anschloss: Drüber. Der Zaun war knapp so groß, wie sie selbst, und Sport war definitiv nicht ihr liebstes Fach gewesen. „Oh man“, murmelte sie und nahm anlauf. Alles andere als elegant sprang sie in die Höhe und zog sich dabei am oberen Rand des Zauns hoch, der bedrohlich knarzte, sie aber dankbarer Weise hielt. Dann fiel sie sie mehr oder weniger auf der anderen Seiten hinab, schaffte es aber irgendwie auf der anderen Seite auf den Füßen zu landen. Watson sah sie an, als schien er ihr irgendetwas sagen zu wollen. Manchmal wünschte sie sich, dass er reden konnte. Sie sah sich um. Das Haus, in dessen Vorgarten sie standen, schien verlassen. Nun, zumindest ein Klischeeversteck für einen Kinderschänder, dachte sie sich. „Ist Cole hier?“, fragte sie Watson, der natürlich wieder nur bellte. Seufzend folgte sie ihm, als er wieder loslief. Sie war sich dessen bewusst, dass es auch bei verlassenen Häusern verboten war, in diese einzubrechen, und genau so war sie sich dessen bewusst, dass sie keine Waffe hatte und wahrscheinlich nicht stark genug war, um sich gegen einen großen, blassen Mann zu wehren. Doch hey, hier ging es um einen kleinen Jungen, oder? Zumindest sagte sie sich das, als Watson an der Tür des Hauses kratzte. Sie öffnete die Tür, die nicht abgeschlossen war und folgte Watson in das Haus. Zielstrebig lief Watson den alten, staubigen und absolut gruselig wirkenden Flur entlang und stieß die nächste Tür in einen leeren Raum, der offenbar einmal die Küche gewesen war auf. Hier jedoch blieb er stehen und bellte das Fenster an. Verwirrt sah Kyra ihn an. „Da durch?“, fragte sie ungläubig. Etwas machte keinen Sinn. Gut, wenn der Junge verfolgt worden war und nicht ganz auf den Kopf gefallen, konnte sie sich vorstellen, dass er vielleicht einmal durch das Haus geflohen war. Aber das Fenster war deutlich verriegelt – aber wer sollte es wieder zugemacht haben? Dennoch führte es auf einen Hinterhof, auf dem mehrere Mülltonnen standen und von dem aus gleich zwei Gassen weiter führten. Sie seufzte. „In Ordnung, Junge.“ Damit öffnete sie das Fenster, durch das Watson einfach hindurch sprang. Kyra folgte ihm, wenngleich sie erneut nicht besonders elegant landete. Doch von dem Hinterhof aus, ging es nicht mehr so einfach weiter. Bis hierhin war Watson sehr zielstrebig gelaufen, doch hier lief er wieder mehrfach im Kreis. Vielleicht lenkte ihn der Geruch vom Müll ab? Natürlich konnte Kyra nur raten, doch am Ende schlug Watson den Weg durch eine der beiden Gassen ein, ging dieses Mal jedoch langsamer und sah sie immer wieder fragend an. Als sie aus der Gasse hinaus kamen, endeten sie auf einer sehr schmalen Straße. Einer älteren Straße, wenn man nach dem Pflaster ging, das sie bedeckte. Sie war gerade breit genug, als dass ein Auto würde neben dem Bürgersteig würde herfahren können. Watson schlug den Weg nach Rechts ein, blieb jedoch stehen und drehte dann um. „Was ist los, Watson?“, fragte Kyra vorsichtig. Der Hund sah sie an und gab ein kurzes Jaulen von sich. Er wusste es also auch nicht. Vielleicht, überlegte sie, hatte der Verfolger hier den Jungen eingeholt und geschnappt? Die Straße schien ziemlich abgelegen und sie konnte keinen Laden in der Nähe sehen, was weniger Fußgänger bedeutete, als auch weniger Zeugen. Das würde Sinn machen, beschloss sie. Das hieß natürlich, wenn Watson überhaupt die Spur des Jungen verfolgt hatte. „Lass uns erst einmal so weiterschauen“, meinte Kyra. Vielleicht hatte sie ja Glück und fand einen Hinweis oder einen Zeugen. Vielleicht... Sie sah die Straße in beide Richtungen hinunter und entschloss sich schließlich nach links zu gehen. Es war nur ein Bauchgefühl, aber am Ende konnte sie ohnehin in beide Richtungen gehen. Watson neben sich folgte sie der Straße, von der immer wieder Gassen abgingen. Auch über zwei Kreuzungen mit anderen, ebenso schmalen Straßen, fand sie. Sie wusste, dass sie irgendwo im Nordwesten des Schlosses sein musste, noch immer relativ Nahe am Zentrum der Stadt, doch genau kannte sie die Gegend nicht. Keine Spur von Cole war zu sehen. Natürlich nicht. Dennoch lief sie weiter, während sie noch einmal alles, was sie wusste, in ihrem Kopf durchging. Vielleicht hatte sie irgendetwas übersehen. Vielleicht gab es noch einen Hinweis. Vielleicht... Sie blieb stehen. Mittlerweile war sie geschätzt einen halben Kilometer von der Gasse, durch die sie gekommen waren, gelaufen. Doch eine Auslassung in der Häuserfront zu ihrer Rechten hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Keine weitere Seitenstraße, sondern ein Parkplatz, der offenbar zu einem kleinen Supermarkt gehörte. Der Parkplatz war nicht groß und würde wohl gerade für acht oder neun Autos Platz bieten und der Supermarkt schien wenig größer als so mancher Kiosk zu sein. Kyra wusste, dass man in manchen Wohngebieten noch solche Läden fand – das war nichts besonderes – doch eine Sache war hier, die neue Hoffnung in ihr aufkommen ließ: Eine Überwachungskamera zeigte recht auffällig von dem Gebäude auf den Parkplatz und damit auch auf die Straße davor. „Komm, Watson“, sagte sie und ging zu dem Laden hinüber. Kapitel 3: Puzzelstücke ----------------------- Es dauerte eine Weile, doch am Ende hatte Kyra es geschafft, die Ladenbesitzerin zu überzeugen, sie die Überwachungsvideos anschauen zu lassen. Manchmal hasste sie es, kein offizieller Consultant der Polizei zu sein. Es würde so vieles einfacher machen. Doch was hatte es für einen Sinn darüber nachzudenken. Nicht jeder Privatdetektiv wurde so leicht zum Consultant berufen und auch wenn es einem gewisse Vorteile gab – gerade in Fällen, wie diesem, an denen ebenso die Polizei arbeitete – so kam sie auch so irgendwie klar. Dankbarer Weise konnte man dennoch mit den Leuten reden; selbst wenn es zwanzig Minuten dauerte und einem die Zeit davon lief. Nun saß sie vor einem sehr, sehr kleinen alten Röhrenbildschirm im Hinterraum des Supermarkts und sah sich das Video an, während der arme Watson vor dem Laden warten musste. Sie hatte sich einen Energy Drink und Chips gekauft, da sie befürchtete, dass es etwas dauern würde. Wenn Cole nach der Schule erst zum Spielplatz gegangen war, war er wahrscheinlich irgendwann zwischen halb vier und fünf Uhr hier vorbei gekommen. Das bedeutete, es gab eineinhalb Stunden Video, die sie schauen musste. Sie konnte froh sein, dass die Kamera draußen keine Attrappe gewesen war. Zwar würde es ihr wahrscheinlich nicht viel sagen, aber immerhin konnte sie so sehen, ob der seltsame Mann und Cole hier vorbei gekommen waren. Wenn nicht... Dann wusste sie wirklich nicht mehr weiter. Aber wie sagte man? „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Natürlich war es nicht besonders professionell, sich tatsächlich Sorgen um das Ziel eines Auftrags zu machen, aber es war am Ende nur ein kleiner Junge. Sie spulte das Video vor, langsam genug, als dass sie sehen konnte, wenn jemand vorbei kam. Wann immer sie jemanden sah, verlangsamte sie das Video, in der Hoffnung, dass es Cole oder ein großer, blasser Mann mit Sonnenbrille war. Ungeduldig, wie sie war, seufzte sie schon nach den ersten zehn Minuten genervt auf und sah erneut auf ihr Smartphone, wieder darauf hoffend, dass Mrs. MacConnery ihr geschrieben hatte. Nichts. Wieder sah sie auf den kleinen Bildschirm, spulte etwas weiter vor. Dann hielt sie an. Da war ein Junge, der die Straße entlang rannte. Das Bild war zu klein, um mit Sicherheit sagen zu können, dass es Cole war, doch zumindest hatte der Junge helle Haare und schien etwa die richtige Größe zu haben. Wichtiger aber noch: Keine Minute später kam ein großer Mann vorbei, gekleidet in einem guten Anzug, mit einem Hut und Sonnenbrille. Auch wenn ebenso keine Details zu erkennen waren, dank der schlechten Bildqualität. Allerdings erinnerte sie der Mann an etwas, das sie in einem von Jasons Artikeln gesehen hatte... „Men in Black“ war der Begriff, der ihr einfiel. Aber das war Unsinn. Vielleicht eine Verkleidung? Sie hatte einmal gelesen, dass Serientäter solche Angewohnheiten entwickelten. Was bedeutete, dass es noch schlimmer für Cole aussah. Aber er war hier vorbei gekommen. Also war sie auf dem richtigen Weg. Was bedeutete, dass sie sich besser beeilen sollte. Sie stand auf, pausierte das Video und ging in den Laden zurück. „Ich habe, was ich brauche“, sagte sie zu dem jungen, blassen Mann – kaum mehr, als ein Teenager – der gelangweilt an der Kasse stand. „Danke.“ „Kein Ding“, meinte er monoton und lehnte gegen die Kasse. Kyra verließ den Laden und machte Watson los. „Komm, Junge“, sagte sie, ehe sie sich nach rechts wandte. Sie wusste nicht, was sie zu finden hoffte. Aber hey, der Junge schien erstaunlich intelligent gewesen zu sein. Vielleicht hatte er sich irgendwo verstecken können? Oder zumindest eine Spur hinterlassen... Etwas, dass sie zu ihm führen konnte. Irgendetwas... Sie folgte der Straße weiter, wohl wissend, dass sie Cole so wohl kaum finden würde. Als die Straße endete und sich in zwei Straßen aufteilte – eine breitere, die in Richtung des alten Hafengebiets zu führen schien, und eine schmalere, die an weiteren Wohnhäusern vorbei zu einem kleineren Grüngebiet führte – bückte sie sich. „Was meinst du, Watson?“, fragte sie, da ansonsten keine Methode einfiel, außer eine Münze zu werfen. „Glaubst du, du kannst die Spur wieder aufnehmen?“ Der Bernersennen legte den Kopf schief und sah sie an. Erneut holte sie das T-Shirt hervor und hielt es ihm noch einmal hin. „Bitte, Watson“, murmelte sie, während er erneut interessiert daran schnüffelte. Zumindest schien er nun schneller zu verstehen, was sie von ihm wollte, den nach einigen Sekunden ausgiebigen Schnüffelns am T-Shirt senkte er die Nase wieder und lief ein wenig den Bürgersteig entlang. Kyra konnte nicht sagen, warum es ihm hier so viel schwerer viel als vorher. Immerhin sollte es nicht ablenkende Gerüche geben, als auch dem Spielplatz, oder? Davon einmal abgesehen müsste diese Spur sogar ein wenig frischer sein. Doch vielleicht sah es für die Hundenase anders aus oder Watson war einfach erschöpft. Vielleicht kamen auch einfach mehr andere Hunde vorbei, deren Territoriumsmarkierungen ihn verwirrte. Er würde sich am Abend wahrscheinlich ein besseres Essen verdient haben, als sie es sich normal für ihn leistete. Schließlich schien er tatsächlich etwas gefunden zu haben. Er war nicht mehr so zielstrebig, wie er zuvor gewesen war und trabte die breitete Straße entlang. Es ging dieses Mal langsamer voran, da Watson immer wieder inne hielt, um ausgiebiger zu schnüffeln. Er führte sie so in eine Gegend, die früher einmal von der Industrie genutzt worden war, während nun viele der alten Industriegebäude und Lagerhäuser leer standen. War der Junge wirklich hierher gekommen? Sie konnte nur sagen, dass sie sich als Kind wohl eher von der Gegend ferngehalten hätte. Immerhin war sie eher dafür bekannt, eine Zuflucht für Drogenhändler zu sein. Auf der anderen Seite wusste es der Junge wahrscheinlich nicht oder hatte es viel besser nicht gewusst, als er hierher geflohren war – wenn er hierher geflohen war. Immer wieder schien Watson die Spur zu verlieren, aber wenn sie der Straße weiter folgten, fand er sie meistens nach einer Weile wieder. Nach einer Weile jedoch jaulte der Hund auf. Er hob die Schnauze, machte kehrt und lief so mehrfach im Kreis. Sie standen in der Nähe einer Kreuzung, von der eine Straße weiter zum Hafen, eine jedoch weiter ins alte Industriegebiet führte, während eine andere zum modernen Industriegebiet zu führen schien, da es hier besuchte Pubs und Fastfoodjoints gab, wahrscheinlich für die Arbeiter, die in der Mittagspause und nach der Arbeit herkamen. „Komm, Watson“, meinte sie, als er verwirrt umher lief. Wenn sie so nicht weiterkam, dann musste sie halt fragen. Vielleicht hatte jemand am Tag zuvor Cole gesehen? Es war mittlerweile Nachmittag – etwa dieselbe Zeit, zu der auch Cole hier durchgekommen sein musste. Also vielleicht hatte sie Glück. Sie ging in das erste Pub hinein. Ein sehr kleines Pub, das neben der Bar nur ein paar eng aneinander gerückte Tische hatte. Doch zumindest saßen einige Leute – vorrangig Männer – hier, die teilweise aßen, zum Teil jedoch auch einfach nur ein Bier tranken. Köpfe drehten sich zu ihr um, als sie hineinkam. „Kann ich Ihnen helfen, junge Lady“, meinte der Mann hinter der Bar in einem scherzhaften Ton. Er hatte eine Halbglatze und war recht breit gebaut, aber nicht dick. „Haben Sie sich verirrt?“ Es hatte keinen Sinn groß um den heißen Brei herum zu reden. „Ich bin auf der Suche nach jemand. Einen Jungen, der gestern verschwunden ist.“ Sie holte das Bild Coles aus ihrer Tasche hervor. „Hat jemand von Ihnen ihn gesehen?“ Der Mann an der Bar nahm das Bild und betrachtete es. „Verschwunden, sagen Sie? Entführt?“ „Das ist nicht bekannt“, erwiderte Kyra. „Aber ich habe Hinweise, dass er hier vorbei gekommen ist.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Sorry, Mädel, habe ihn nicht gesehen.“ Einer der anderen Männer streckte die Hand aus. „Zeig mal her, Oliver“, meinte er und nahm das Bild. So wurde das Foto von einer Hand zur anderen gereicht, bis schließlich ein blonder Mann aufstand. „Ich habe den Jungen gesehen“, sagte er. „Is' gestern hier durchgekommen. Hat's ziemlich eilig gehabt. Is' Richtung der alten Näherei gerannt.“ „Alte Näherei?“, fragte Kyra. „Na ja, alte Schneiderei oder so was“, meinte ein anderer Mann, offenbar ein Arbeiter, wenn Kyra nach seiner Kleidung ging. „Wenn du schauen willst: Die Straße hoch. Altes Backsteingebäude. Abgesperrt. Aber nicht zu verfehlen. Würd' dir aber nicht raten, reinzugehen. Keine Ahnung ob das Kind dahin ist. Aber ja...“ „Is' zumindest in die Richtung gerannt“, meinte der erste Mann wieder. Ja, so etwas hatte sie häufiger schon gehört. Zugegebener Maßen wünschte sie sich gerade, ihre Pistole dabei zu haben – aber sie wollte sich nicht die Zeit nehmen, zum Spielplatz zurück zu laufen, mit dem Auto nach Hause zu fahren, nur um wieder hierher zu kommen. Immerhin war es Herbst und es würde nicht mehr zu lange dauern, bis es dunkel wurde. „Danke“, meinte sie nur. „Ich schaue einfach nach.“ „Sei vorsichtig, Mädel“, rief ihr noch jemand hinterher, während sie wieder nach draußen ging, wo Watson auf sie wartete. Eigentlich hätte er hier in der Gegend wohl an die Leine gesollt, doch wenn man bedachte, dass Watson sich freiwillig ohnehin nicht mehr als einige Meter von ihr entfernte, nahm sie es nicht so ernst. Sie hatte nicht einmal eine Leine dabei. „Komm“, sagte sie wieder und ging in die Richtung, die man ihr gezeigt hatte. Sie kam nicht umher ein ungutes Gefühl zu haben. Auch wenn viele anliegenden Gebäude eher zerfallen und verlassen waren, traf es nicht auf alle zu. Es gab noch einige Läden und offenbar auch ein paar Wohnhäuser. Nun, wenn sie Cole nicht fand, konnte sie da einmal herumfragen. Allerdings sah es nicht danach aus, als gäbe es irgendwo gute Verstecke. Doch Kyra fand, was man ihr beschrieben hatte. Ein altes Gebäude, wie sie zur Zeit der industriellen Revolution gebaut worden waren. Sie wusste, dass viele dieser Fabriken noch recht lange genutzt wurden, doch nun sah das Gebäude aus, als wäre es seit mindestens zehn Jahren verlassen. Ein knapp zwei Meter hoher Maschendrahtzaun mit einem „Einsturzgefahr! Betreten verboten!“ Schild war um das von Pflanzen überwucherte Gelände gespannt. Der ursprünglich einmal geteerte Platz vor dem Gebäude war von Gräsern und anderen Pflanzen überwuchert und die Bäume am Rand des Geländes, hätten dringend einmal getrimmt werden müssen. Watson bellte und begann an dem Boden an einer Stelle unter dem Zaun zu kratzen. „Was ist los?“, fragte Kyra Erneut bellte Watson und grub weiter. Er lief ein wenig zur Seite und drückte gegen den Zaun, als würde er wonach suchen. Dann gab der Zaun an einer Stelle nach. Ein Teil des Maschendrahts war an einem der metallenen Pfähle lose und bot definitiv genug Platz, als dass ein Kind hätte drunter durchklettern können. Auch Watson kam problemlos durch. Kyra seufzte und kniete sich hin, ehe sie sich ebenfalls den Boden entlang unter dem Zaun durchquetschte. Als sie auf der anderen Seite – dreckig und mit nassen Hosenbeinen – stand sie auf und sah sich um. Eine Sache verstand sie einfach nicht. Sie war auf dem Weg hierhin an mehr als einem Laden oder Pub und an mehr als genug Wohnhäusern vorbei gekommen. Wenn Cole Angst hatte und verfolgt worden war, warum hatte er nicht irgendwo um Hilfe gebeten? Er hätte mehr als genug Möglichkeiten gehabt. Warum war er hierher gekommen? In den Augen von welchem Kind erschien es sinnvoller, in das gruselige alte Fabrikgebäude zu rennen, anstelle davon, in einen Laden zu gehen und sich an Erwachsene zu wenden? Wenn der Junge wirklich hierher gekommen war, erschien es ihr mehr als seltsam. Nun, sie war nicht beauftragt worden, die Psychologie des Jungen zu analysieren, sondern nur dafür ihn zu finden. Noch einmal sah sie sich um. Niemand schien hier zu sein. Watson lief zielstrebig zu dem verrosteten Stahltor hinüber, dass früher wohl einmal der Haupteingang in die Fabrikhalle gewesen war. Er kratzte daran. Im Vertrauen auf ihren Hund ging Kyra hinüber und versuchte das Tor zu öffnen. Wenig überraschend bewegte es sich keinen Millimeter. Vielleicht war es abgeschlossen, vielleicht aber auch nur zu eingerostet, doch ohne Werkzeug würde sie es nicht aufbekommen. Sie ging an der roten Backsteinmauer entlang, bis sie eine kleinere Tür fand. Auch diese Tür schien metallen zu sein, wenngleich sie weiß lackiert gewesen war. Dennoch brach auch an verschiedenen Stellen Rost durch den Lack. Sie griff die Klinke und versuchte die Tür zu öffnen, aber natürlich bewegte auch diese sich nicht. Es wäre auch zu einfach gewesen! Frustriert seufzte sie auf. „Cole?“, rief sie und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. „Cole? Bist du darin?“ Keine Antwort. „Verflucht“, grummelte sie und sah sich um. Wenn sie die Tür nicht aufbekam, würde auch Cole sie nicht aufbekommen haben – daran bestand kein Zweifel. Also hatte sich der Mann in dem Pub vielleicht geirrt. Doch dann wiederum hatte auch Watson ausgeschlagen und vorher an dem Tor gekratzt. Aber wie zur Hölle wäre der Junge reingekommen? Sie ging weiter um das Gebäude herum. „Wie bist du darein gekommen“, murmelte sie zu sich selbst, doch Watson hielt das nicht davon ab mit einem Jaulen zu antworten. Und dann fand sie etwas, das eventuell möglich war: Eine alte Treppe, die auf das Dach des Gebäudes heraufführte. Vielleicht gab es oben einen Zugang? Sie sah auf die alten, dreckigen Fenster. Oder vielleicht kam sie da hinein... Es war einen Versuch wert. Vorsichtig setzte sie einen Fuß auf die Treppe, die ebenfalls ziemlich verrostet war. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihr Gewicht tragen würde. Es tiefes Knarzen ging durch die gesamte Struktur der Treppe, doch sie bewegte sich nicht und schien zu halten. Also machte Kyra einen weiteren Schritt, dann noch einen, ehe sie noch einmal wartete. Die Treppe hielt. Watson dagegen schien wesentlich unbesorgter. Er schien verstanden zu haben, was sie wollte, und lief leichtfüßig die Treppe hoch. Leichtfüßiger, als er mit seiner enormen Größe, hätte sein sollen, dachte Kyra. Doch als er zwei Plattformen, der gesamt drei, über ihr stand, sah er durch die Treppenstufen zu ihr hinab und bellte. Kyra seufzte. „Geh weiter, Watson“, sagte sie laut. „Geh!“ Noch einmal bellte er, rannte dann aber weiter, während auch sie sich etwas beeilte und die Treppe weiter hinaufging, dabei darum bemüht das beständige Knarzen zu ignorieren. Mehrfach hatte sie das Gefühl, dass die Treppe sich doch etwas bewegte. Na, ganz toll, dachte sie sich bitter. Dennoch schaffte sie es auf das Dach, ohne dass die Treppe einbrach. Zumindest eine positive Sache gab es zu berichten, als sie einmal auf dem flachen Dach des Gebäudes angekommen war: Es gab einen offensichtlichen Zugang zum Gebäude, durch den auch ein schwacher neunjähriger Junge hätte nutzen können. Denn an der Seite des Dachs war ein Loch, wo das Dach eingebrochen war. Kyra schätzte, dass es die Folge von Regenwasser war, dass sich angesammelt hatte, zusammen mit angerosteten Dachträgern, da diese eindeutig abgebrochen war. Watson stand am Rand des Lochs und bellte in das Zwilicht darunter. „Ist er da, Watson?“, fragte Kyra ihn. „Ist Cole da unten?“ Der Bernersennen bellte nur wieder. Manchmal wünschte sie sich, Watson könnte tatsächlich sprechen. Es würde manche Dinge einfacher machen – einmal davon abgesehen, dass sie einfach nur einmal gern mit ihm gesprochen hätte. Er bellte wieder, während sie ihr Smartphone aus der Jackentasche holte und eine Taschenlampen-App aufrief. Durch den über Jahre angesammelten Dreck auf den Fabrikfenstern, die teilweise auch mit Graffiti zugeschmiert waren, und dank der Tatsache, dass die Sonne langsam Richtung Horizont wanderte, war es recht finster in der Halle. Doch mithilfe der Lampe konnte sie eine Art Galerie oder Balkon direkt unter dem Loch sehen – vielleicht zwei Meter unter ihr. „Nun...“, murmelte sie. „Verdammt.“ Sie zögerte. „Cole?“, rief sie dann in das Loch hinab. „Cole? Bist du da unten?“ Wieder keine Antwort. Vielleicht war das der Zeitpunkt, an dem sie besser die Polizei anrufen sollte. Sie konnte es sich sogar noch einfacher machen und Molly anrufen, damit diese etwas organisierte. Doch auf der anderen Seite... Wahrscheinlich würde sie Molly mal wieder nicht ernst nehmen. Sie nahm sie nie ernst. Und ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, dass man der ganzen „Mein Hund hat mich hierhin geführt“ Aussage auch weniger Aufmerksamkeit schenken würde, oder? Nun, vielleicht war es auch ihr Stolz, der sie dazu anspornte das ganze allein zu lösen. Den Jungen selbst zurückzubringen, wenn es möglich war. Immerhin würde der Typ dem Jungen sicher nicht mit hier hinunter gefolgt sein, oder? Natürlich nicht, sagte sie sich. Sie würde nur das Problem haben, wieder hinauf zu kommen... Aber, meinte eine andere Stimme in ihrem Kopf, vielleicht war der Junge auch unten und verletzt, brauchte dringend Hilfe. Wenn sie ihn gefunden hatte – und festsitzen würde – würde sie immer noch die Polizei rufen können, oder? Es sei denn natürlich, der Entführer war auch da unten und schlimmstenfalls bewaffnet. Wollte sie in dem Fall Cole noch länger allein mit ihm lassen? Vor allem, da ein eventueller Entführer nun sicher wusste, dass sie da war. Sie hatte immerhin nach Cole gerufen. Es war also nicht besonders weise und sicher auch nicht besonders gut durchdacht, doch Kyra steckte ihr Smartphone kurz wieder in ihre Jackentasche und wandte sich an Watson. „Bleib hier, ja?“, meinte sie zu ihm. Der Hund jaulte. „Du musst hier bleiben“, widersprach sie, da sie davon ausging, dass sein Jaulen so etwas wie „Garantiert nicht“ bedeutete. „Im Notfall musst du Hilfe holen, verstehst du?“ Ein weiteres Jaulen. „Bleib“, sagte Kyra nun mit etwas festerer Stimme. Watson ließ sich auf das Dach fallen und sah sie mit traurigem Blick an. Kyra seufzte nur und ging vorsichtig an den Rand des Lochs, wo die Teerschickt eingesunken war. „Oh man“, murmelte sie zu sich selbst, als sie sich an den Rand setzte und dann – so vorsichtig, wie nur irgendwie möglich – in das Loch fallen ließ. Kapitel 4: Flucht ----------------- Ein lautes, blechernes Klingen war zu hören, als Kyra auf der Balustrade landete, auf der diverse alte Metallstücke rumzuliegen schienen. Im Halbdunkeln der verlassenen Fabrik klang der Laut nur umso beängstigender. Ruhig bleiben, ermahnte sie sich selbst und holte ihr Smartphone wieder hervor, um sich den Weg zu leuchten. Die Männer in dem Pub hatten Recht gehabt. Das hier schien einmal eine Art Schneiderei gewesen zu sein, beziehungsweise eine Art Stoffwerk, in dem große Maschinen automatisch Stoffe webten. Kyra erkannte die Maschinen von Bildern, die sie einst in der Schule gesehen hatten. Sie musste allerdings zugeben überrascht zu sein. In der ganzen Halle waren die Maschinen fraglos das, was am meisten wert war. Selbst wenn eine Fabrik aufgegeben wurde, wurden die Maschinen normaler Weise mit rausgeholt – und sei es, um sie für Metallteile zu verkaufen. Doch von allem was sie sehen konnte, waren gute zwei Drittel der Maschinen – zumindest schätzte sie das anhand des freien Platzes – noch hier, als hätte man sie einfach zurückgelassen. Nicht nur das: Obwohl sie an den Wänden Graffiti sehen konnte schien auch nicht viel geklaut worden zu sein. Dabei wusste sie, dass Metalle mittlerweile wertvoll genug waren, als dass Leute metallene Zierden von Friedhöfen klauten. Also warum nicht hier? Sie vertrieb den Gedanken. Immerhin war sie nicht hier um das Geheimnis der verlassenen Fabrik zu klären. Sie war hier für Cole. Zumindest musste sie feststellen, dass sich gerade ein Kind zwischen den langen Maschinen, die wohl früher einmal automatisch Stoff gewebt und gewaschen hatten – oder zumindest so etwas in der Art – und die gesamt gute fünfzehn Meter lang zu sein schienen, sicher einige Stellen hatten, würde verstecken können. Und von diesen Maschinen standen noch vier in der Halle herum – wenngleich zumindest zwei von ihnen nicht ganz vollständig zu sein schienen. Denn während bei zwei der Maschinen ein Art Gehänge für metallene Rollen, auf denen wahrscheinlich früher der fertige Stoff aufgerollt worden war, am Ende der Anlage war, fehlte dieser Teil bei den anderen beiden. Mit dem Smartphone leuchtete sie den Balkon, auf dem sie stand, entlang. Hier standen ein paar alte Stühle und Tische, die vielleicht früher einmal in irgendwelchen Büros im Gebäude gestanden waren. Auch sie sahen moderig aus und Kyra hätte sich nicht gewundert, wenn unter ihnen Ratten hausten, aber es schien nicht danach, als würde sich hier irgendwo ein Kind verstecken. Sie leuchtete in die Halle hinunter, in der die Maschinen standen. Irgendwann schien es einmal am Rand der Balustrade eine Art Geländer oder vielleicht sogar eine Glaswand gegeben zu haben, doch was auch immer es gewesen war: Davon waren nur noch ein paar Metallstangen, die es ursprünglich befestigt hatten, geblieben. Es gab allerdings eine Leiter, die mindestens genau so rostig wirkte, wie die Treppe draußen. Das irritierte Kyra. Es musste irgendwo eine Treppe hierhoch geben, oder? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand die Tische und Stühle eine Leiter hinaufgebracht hatte. Noch weniger konnte sie sich vorstellen, dass es ein Stück Raum in einer Fabrik gab, das nur so schwer zu erreichen war. Vielleicht stand etwas vor der Treppe? Sie sah sich um, doch sie konnte nichts erkennen. „Das ist doch alles verrückt“, murmelte sie zu sich selbst und steckte das Handy wieder ein, um die Leiter hinunter zu klettern. Wenn war Cole unten – oder auf der versteckten Treppe. „Ganz toll...“ Unten sah sie sich erneut um und leuchtete zwischen den alten Maschinen herum. Sie konnte niemanden sehen – und noch weniger etwas hören. Sie musste noch einmal nach ihm rufen. „Cole? Cole? Bist du hier irgendwo, Cole?“, rief sie, als sie zwischen den großen Webemaschinen hindurch lief. „Cole?“ Auch wenn sie in Edinburgh lebte, der vermeintlich verspuktesten Stadt Großbritanniens, glaubte sie nicht wirklich an Geister oder so etwas. Sie kam dennoch nicht umher sich hier im Halbdunkeln zwischen den alten Maschinen, wo sie nur einen kleinen Teil der Halle einsehen konnte, unwohl zu fühlen. „Cole?“, fragte sie noch einmal in das Zwielicht hinein. „Sag etwas, wenn du mich hören kannst, Cole! Deine Mutter hat mich geschickt, um nach dir zu suchen. Cole?“ Sie ging vorsichtig weiter, als sie etwas am Knöchel berührte. Nur schwerlich hielt sie sich davon ab aufzuschreien und sah stattdessen zum Boden, gerade rechtzeitig, um eine kleine Hand zu sehen, die wieder unter ein Blech am Rand einer der Maschinen verschwand. Die Blechabdeckung am Rand der Webemaschine ging nicht ganz bis zum Boden hinunter. Etwa dreißig Zentimeter blieben zwischen ihrem unteren Rand und dem Boden – genug für ein Kind um drunter durch zu klettern und sich zu verstecken. „Cole?“ Sie beugte sich hinab und leuchtete unter die Abdeckung. Erleichtert seufzte sie auf, als tatsächlich ein kleiner Junge sie ansah. Es war eindeutig Cole, wenngleich dreckiger, als auf den Bildern, die seine Mutter ihr gezeigt hatte, und deutlich übermüdet. „Ist der böse Mann weg?“, fragte Cole und sah sie aus ängstlichen Augen an. Bemüht ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen, streckte sie ihm eine Hand entgegen, während sie das Smartphone noch immer in der anderen hielt. „Es scheint niemand sonst hier zu sein“, sagte sie, auch wenn sie es nicht sicher wusste. Aber sie wollte ihn hier heraus bekommen und das so schnell wie möglich. „Komm.“ Doch Cole zögerte und sah sie an. „Meine Mum hat dich geschickt, Lady?“, fragte er vorsichtig. Wenn er sich hier seit gestern vor irgendeinem fremden Mann versteckt hatte, war es wohl kaum verwunderlich, dass er misstrauisch war. „Ja. Deine Mutter macht sich große Sorgen um dich“, erklärte sie. „Sie hat mich engagiert, um dich zu suchen.“ Er schwieg kurz. „Aber wie hast du mich gefunden?“ „Ich habe einen Hund, wie du vielleicht gehört hast“, erwiderte sie lächelnd. Als sie es sagte, fiel ihr auf, dass sie Watson seit einiger Zeit nicht mehr hatte bellen hören. Hoffentlich war ihm nichts passiert... Aber wahrscheinlich war er nur erschöpft. „Er wartet oben auf mich.“ Sie hoffte, dass Cole Hunde mochte, als sie hinzufügte: „Wenn du magst, kannst du ihn gerne streicheln.“ Noch immer schien er zu zögern. Langsam wurde Kyra nervös. Sie mochte diese alte Halle einfach nicht. „Mein Name ist übrigens Kyra.“ Sie hoffte, dass es vielleicht ein wenig mehr Vertrauen schaffte, wenn er ihren Namen kannte. Etwas kam ihr seltsam vor und dann hörte sie etwas, dass sie noch angespannter machte: Watsons jaulen echote durch die Halle. Sie kannte dieses Jaulen. Es war Watson Art ihr zu sagen, dass etwas nicht in Ordnung war. Endlich krabbelte Cole langsam nach vorn und ihr entgegen. Doch manchmal konnte das reale Leben ein seltsames Timing haben. Denn genau in diesem Moment schallte ein lautes Knallen durch die Halle und ließ Cole zusammenzucken, so dass er mit dem Kopf gegen die Kante des Bleches schlug. „Au!“, rief er aus und hielt sich den Hinterkopf. Tränen standen in seinen Augen, auch wenn er nicht weinte. „Alles in Ordnung?“, fragte Kyra, die sich genau so erschreckt hatte. Sie sah sich um. Das Knallen schien von der Hintertür zu kommen. Es klang, als hätte jemand mit einiger Kraft mehrfach gegen die Tür geschlagen. „Es geht“, wimmerte der Junge und hielt wieder inne. „Was ist das? Ist das der böse Mann?“ „Warte einen Moment“, erwiderte Kyra. Sie richtete sich auf, gerade rechtzeitig um zu hören, wie die Tür mit einem schweren Knarren aufging. Schnell ging sie um die Maschine, neben der sie stand, herum, damit sie zur Tür sehen konnte. Doch gerade, als sie um Ecke herumging und die Tür in den Sicht kam, schreckte sie zurück. Eine große, eine sehr große Gestalt stand in der Tür. Sie konnte sie schlecht gegen das Licht von draußen erkennen, jedoch konnte sie zumindest sagen, dass die Gestalt einen Hut zu tragen schien. „Verdammt“, murmelte sie und ging zurück zu Cole. „Es ist der böse Mann, oder?“, flüsterte er leise. „Er ist zurück, oder?“ „Hör zu, Cole“, sagte sie leise und angespannt. „Ich bringe dich hier heraus, hörst du? Komm mit.“ Er schüttelte den Kopf. „Wir sollten uns verstecken.“ „Wir können uns nicht länger hier verstecken“, erwiderte sie, noch immer leise, aber bestimmt. „Ich verspreche dir, ich bringe dich hier heraus, ja?“ Noch immer schien er ihr nicht ganz zu trauen, doch schließlich nickte er und kletterte aus seinem Versteck hervor. „Bleib bei mir, hörst du?“, flüsterte Kyra. Sie schaltete die Taschenlampenfunktion aus, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und steckte ihr Handy zurück in die Manteltasche. Während sie sich aufrichtete, sah sie sich um und versuchte im Zwielicht den seltsamen Mann zu sehen, auch wenn die Maschinen zu ihren beiden Seiten ihr die Sicht größtenteils versperrten. Vorsichtig ging sie um eine der weiteren Maschinen herum, immer darauf achtend, dass Cole direkt hinter ihr war. Sie hielt ihn zurück, während sie um die Ecke sah. Tatsächlich verschwand der seltsame Mann hinter einer der anderen Maschinen. Etwas an seinen Bewegungen wirkte komisch, unmenschlich. Er ging mit einer unnatürlich regelmäßigen Art voran, die eher wirkte, wie eine schlecht animierte Spielfigur, als ein echter Mensch. Großartig, dachte sich Kyra, als wäre die Situation nicht so schon gruselig genug. Sie wartete, bis der Mann um die Ecke der nächsten Maschine gebogen war, ehe sie selbst vorsichtig und halb gebückt in Richtung der Tür ging, durch die er gekommen war. Vielleicht hatte sich der Rost genug gelöst, als dass sie nun hindurch kam. Zumindest blieb ihr die Hoffnung. Was sie allerdings nicht mochte, war die Tatsache, dass es zwischen dem Ende der langen Maschinen und der Tür etwa zweieinhalb Meter nichts gab. Früher hatte dort wahrscheinlich etwas gestanden. Vielleicht noch eine Maschine, vielleicht etwas anderes. Doch nun war dort eine recht große, leere Fläche und sie war sich beinahe sicher, dass der Mann sie sehen würde, wenn sie dort entlanggingen. Von einigen Stellen abgesehen waren die Maschinen nicht sehr hoch und groß wie dieser seltsame Mann war, konnte er fraglos problemlos drüber hinweg sehen. Sie kamen am Ende des Ganges an. „Jimmy sagt, die Tür geht nicht auf“, meinte Cole, der verstanden zu haben schien, was Kyra vor hatte. Für einen Moment hob Kyra die Augenbraue. Jimmy? War das nicht der Name von seinem imaginären Freund? Nun, was wusste sie schon über Kinder. „Das wollen wir sehen“, meinte sie und bemühte sich erneut um ein Lächeln. Sie sah sich um. Im Halbdunkeln konnte sie nur erahnen, wo der Mann gerade war, doch er schien von ihnen wegzugehen. „Komm“, flüsterte sie und lief – weiterhin gebückt – zur Tür hinunter, während Cole nur widerwillig folgte. Mit aller Kraft warf sie sich gegen die Tür, im Versuch diese zu öffnen... Doch die Tür bewegte sich kein Stück. Es war auf einmal still. Kyra realisierte, dass die Schritte des Mannes verstummt waren. „Verflucht“, murmelte sie. Ein Teil von ihr wollte in Panik verfallen, doch irgendwie schaffte sie es, sich zusammen zu reißen. „Komm“, flüsterte sie und lief hastig zurück zu den Maschinen. Dankbarer Weise folgte ihr Cole, auch wenn es hieß, dass sie langsamer laufen musste, damit der Junge mit ihr Schritt halten konnte, ohne dabei zu laut zu sein. Was konnte sie nun tun? Sie mussten hier heraus. Sie konnten sich nicht länger verstecken. Schon gar nicht, da der seltsame Mann wusste, dass sie hier waren. Doch wie konnte sie rauskommen? Ihr Blick wanderte zu dem Loch in der Decke, an dem noch immer Watson stand und hinein bellte. Wenn sie dort hochkommen würden... Sie hockte sich hin. „Wie bist du hier hinein gekommen?“ Sie musterte Cole, während sie schnell, aber leise sprach. „Durch die Decke“, erwiderte er und Panik klang aus seiner Stimme. „Jimmy hat mir gesagt, ich kann mich hier verstecken.“ „Gibt es hier eine Treppe nach oben?“ Immerhin mochte Kyra den Gedanken so gar nicht, wieder die alte Leiter hoch zu müssen, die aus der ganzen Halle gut sichtbar war. „Jimmy sagt, es gab eine, aber die ist eingestürzt“, antwortete Cole. Er sah aus als würde er jeden Moment loslaufen wollen. Auch wenn sie es gerne getan hätte, verkniff sich Kyra ein Fluchen. Stattdessen sah sie sich um. Sie hörte die Schritte näher kommen. „Bleib bei mir, ja?“, sagte sie nur und lief so schnell los, wie es ihr möglich war, ohne zu laut zu werden. Sie hatte einen Plan. Wenn sie außen um die Maschinen herum lief und dabei geduckt bliebt, konnte sie es vielleicht schaffen, aus dem Sichtfeld des Mannes zu bleiben. Außerdem lag hier einiges an Kleinkram herum. Schrauben. Steine. Müll. Sie hob einen faustgroßen Stein beim Laufen auf und warf ihn mit aller Kraft die Halle hinab, sie dass er ein ganzes Stück weiter unten – dankbarer Weise zielsicher – auf einem alten Blech landete. Hoffentlich lockte es den Mann dahin. Die Schritte beschleunigten sich. Anscheinend hatte ihr Plan geklappt. Umso mehr beeilte sie sich. Sie mussten in eine Position kommen, dass sie von dem Blech nicht mehr zu sehen waren. Noch zwei Meter bis zur nächsten Ecke. Noch einen Meter. Sie sollten nun außer Sicht sein. Von hier aus mussten sie die lange Seite der Halle entlang, um zur Mauer zu kommen, auf der der Balkon gelegen war. Vorsichtig beschleunigte Kyra ihre Schritte noch etwas. Sie wollte wirklich nicht heraus finden, ob der Mann bewaffnet war, zumal sie leider befürchten musste, dass er – selbst ohne Waffen – weiter stärker wäre als sie. Noch immer war sie sich nicht sicher, wie sie zur Hölle wieder zum Loch hinauf kommen sollte. Zweieinhalb Meter waren zu hoch für sie zu klettern oder zu springen. Nicht viel, aber doch so hoch, dass sie nicht einfach hinauf kommen konnte. Doch dann wiederum waren da die alten Stühle. Wenn sie es nur schafften, heimlich hinauf zu kommen... Das würde nicht funktionieren und sie wusste es. Aber was hatte sie für eine Wahl? Sie wollte definitiv nicht herausfinden, ob der Mann ein verrückter Kindermörder war oder nicht. Ein Laut ließ sie zusammenzucken. Cole war hingefallen und hatte es nicht geschafft, einen kurzen Aufschrei zu unterdrücken. „Komm“, sagte sie und half ihm hoch. So ein Mist... Es waren noch gute fünfzehn Meter bis zur Leiter. Das war nicht weit und wahrscheinlich hatte der Mann sie nun ohnehin bemerkt. Also: Was hatten sie für eine Wahl? „Renn“, befahl sie leise und wartete, dass er losgelaufen war. Zumindest weinte er nicht. Kyra hätte nicht gewusst, was sie in dieser Situation mit einem weinenden Kind getan hätte. Doch Cole war tapfer, das musste sie ihm lassen. Sie wartete, dass er die Leiter erreichte. „Kletter rauf“, sagte sie ihm. Er sah sie an und schien zu zögern. „Mach schon!“ Mit aller Mühe schenkte sie ihm einen festen Blick. Dankbarer Weise kletterte er ohne etwas zu sagen, während sich Kyra umsah. Wo war der Mann? Wo? Da erkannte sie eine große Gestalt, die um die Ecke kam, an der Cole eben noch gestürzt war. Verflucht. Sie hatten kaum Zeit. Cole war drei Meter die Leiter hoch, als auch Kyra zu klettern begann, die Augen auf den Mann gerichtet, der mit seinem seltsamen, schwebenden Schritt nun nahe kam. Panik kroch in ihr hoch, doch sie schaffte es, das Ende der Leiter zu erreichen, bevor der Mann selbst bei der Leiter war. Sie rannte zu einem der Stuhlstapel hinüber und warf ihn in Richtung der Treppe um. Es knallte und zwei der Stühle wurden durch die Energie tatsächlich über die Ecke geworfen. Vielleicht hielt ihn das auf. Im Moment dachte sie nicht einmal darüber nach, dass sie ihn damit eventuell töten könnte. In ihren Gedanken gab es keinen Zweifel, dass dieser Mann nichts gutes im Sinn hatte – sonst hätte er schon etwas gesagt, mit ihnen geredet... Aber er war still, gespenstisch still schon beinahe. Schnell nahm sie einen der Stühle und stellte ihn hin, während ihr Watson aus dem Loch über ihr entgegen bellte. Aufgeregt und mit eingeklemmten Schwanz rannte der Hund neben dem Loch auf und ab und schien beinahe verrückt darüber zu werden, ihr nicht so einfach folgen zu können. „Komm her, Cole“, rief sie – nun nicht mehr um Stille bemüht – und kletterte auf den Stuhl. „Was hast du vor?“, fragte er, kam aber. „Wir kommen hier heraus“, meinte sie und hob ihn irgendwie hoch. Vielleicht war es das Adrenalin, das ihr half, denn sie würde später keine Ahnung haben, wie sie es geschafft hatte den Jungen hoch genug zu heben, dass er den Rand des Loches zu fassen bekam, während sie selbst auf dem alten, wackeligen Stuhl balancierte. Doch irgendwie gelang es ihr und Cole schaffte es, sich selbst mit der Hilfe von Watson, der ihn am Pullover zerrte, auf das Dach zu ziehen. Was Kyra bei einem Problem ließ: Sie selbst stand noch auf dem Stuhl, während der Kopf des Mannes am oberen Ende der Treppe erschien. Nein, etwas an diesem Mann war nicht normal. Seine Haut war weiß, wirklich weiß, beinahe wie geschminkt, und seltsam wachsen. Sie sah nicht aus, wie Haut aussehen musste. Und auch, wenn es die Sonnenbrille verbarg, schienen seine Augen seltsam eingefallen zu sein. Kyra sprang und bekam den Rand des Daches zu fassen – doch leider auch etwas anderes. Sie merkte, wie etwas in ihre Hand schnitt. Wahrscheinlich ein Splitter oder eine Metallkante. Beinahe war sie sich sicher, dass sie blutete, doch sie griff mit der anderen Hand nach und verlagerte ihr Gewicht, um sich aufs Dach zu ziehen. Da griff eine Hand nach ihrem Bein und bekam es mit eisernem Griff zu fassen. Sie schrie auf. „Lass mich los!“, rief sie und begann mit ihrem freien Bein blindlings nach unten zu treten. „Lass mich los, Widerling!“ Die Hand löste sich nicht und da war etwas anderes. Sie hatte das Gefühl, dass etwas scharfes in ihre Wade schnitt. Der Mann zog sie nach unten und langsam, aber sicher verlor sie den Halt auf dem Dach. Weiter tritt sie nach unten, doch weiterhin ohne Erfolg. Sie rutschte ab... Doch in dem Moment schnappte Watson nach ihrer Schulter. Er verbiss sich im Leder ihres Mantels und legte sein ganzes – nicht unbeachtliches – Gewicht darein sie nach oben zu ziehen. „Braver Hund“, flüsterte sie, während sie weiterhin mit den Beinen zappelte und trat, um den Griff des Mannes zu lösen. Dann traf ihr freier Fuß auf etwas hartes und sie hörte ein Knacksen. Seine Brille oder seine Nase? Es war ihr egal, beschloss sie. Zumindest löste sich sein Griff für einen Moment und sie bekam ihr Bein frei. Mit Watsons Hilfe kam sie endlich aufs Dach. Tatsächlich blutete ihre Hand, doch sie beschloss, dass sie sich später darum kümmern konnte. Sie mussten von diesem Kerl weg, der ob seiner Größe weniger Probleme haben sollte, ihnen zu folgen. „Zur Treppe, Cole!“, rief sie, während sie sich selbst mühselig aufrappelte. Ihr Bein schmerzte, doch sie wollte sich davon nicht aufhalten lassen. Watson stand unentschlossen neben ihr. Seine ganze Körperhaltung sagte ihr, dass er am liebsten rennen würde – fliehen – doch er war ihr zu treu und brachte es einfach nicht über sich, sie allein zu lassen. Als er sich jedoch sicher war, dass sie folgen würde, sprintete er los und überholte noch Cole, der gerade die Treppe erreicht hatte. Tatsächlich sorgte sich Kyra, dass die Treppe das Gewicht von ihnen drein nicht aushalten würde, da sie noch mehr knirschte und schwankte, als zuvor bei ihrem Weg nach oben. Stufe, um Stufe rannte sie hinab. Sie wagte es kaum, nach oben zu schauen. Sie wusste zu genau, dass der Mann hinter ihnen war. Sie mussten nur hier weg, sagte sie sich. Wenn sie in eins der Pubs unten an der Straße kämen, dann wären sie sicher. Dorthin würde er ihnen wohl nicht folgen, oder? Die Treppe knarzte noch mehr. Er musste hinter ihnen sein. Derweil erreichte zumindest Watson bereits den Boden, gefolgt von Cole. Der Hund sah sich kurz um, offenbar um sicher zu gehen, dass Kyra noch immer folgte, dann rannte er um das Gebäude herum – wahrscheinlich in Richtung des Zauns. Cole schien einen ähnlichen Gedanken zu haben und folgte dem Hund. Auch Kyra tat es ihnen gleich, als sie den Boden erreichte. Kurz drehte sie sich um. Der Mann war auf halben Weg die Treppe hinunter. Obwohl ihre Seiten mittlerweile schmerzten sprintete sie hinterher, jedoch immer drauf bedacht hinter Cole zu bleiben, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Dieses Mal brauchte Watson keine Hilfe, um durch den Zaun zu kommen. Wahrscheinlich war er verzweifelt genug, als dass er sich nicht darum scherte, dass ein paar Büschel seines Fells im Maschendraht hängen blieb. Cole ging auf die Knie und rutschte durch das Loch hindurch, während hinter ihm wartete. Der Mann kam gerade um die Ecke des Gebäudes und glitt auf sie zu. Endlich war Cole durch das Loch durch, so dass nun auch Kyra sich fallen ließ, um sich, wie vorher, durch den Zaun zu quetschen. Zumindest glaubte sie, dass der Mann nicht so einfach durch die kleine Öffnung kommen würde. Der Draht fügte ihr noch einige Kratzer zu, doch sie störte sich nicht dran. Jeden Moment rechnete sie damit, dass die kräftigen Arme sie erneut greifen und zurückziehen würden – doch nichts geschah. Ohne sich noch einmal umzusehen rannte sie die Straße hinab. Weiter, immer weiter, während Watson gute fünf Meter vor ihr war. Er hätte schon weiter sein können, wäre er nicht immer wieder stehen geblieben, um auf sie zu warten. Erst als sie die Straßenecke erreichten, in deren Nähe sie im Pub nach Cole gefragt hatte, erlaubte es sich Kyra stehen zu bleiben. Auch Watson wartete. Er war was Straßen anging immer etwas vorsichtig, da er fremden Autos oft nicht ganz traute. Kyra sah sich um. Der Mann war nicht zu sehen. Also hatte er aufgegeben? Auch Cole schien dies zu bemerken. „Er ist weg?“, keuchte er leise. „Offenbar“, murmelte Kyra. Sie sah auf ihre Hand. Tatsächlich hatte sie einen etwas tieferen Schnitt über die Handfläche. „Sag mal, Cole. Weißt du, wer das war?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist einfach zum Spielplatz gekommen. Jimmy sagte, dass der Mann Kinder wie mich fängt und frisst. Jimmy hat mir gesagt, dass ich mich verstecken soll.“ Das ganze erschien Kyra immer noch seltsam. „Dein Freund Jimmy, den niemand sieht, außer du?“ „Ja“, erwiderte Cole, als wäre diese Frage ein wenig dumm. „Er hat früher einmal dort gearbeitet, weißt du?“ „Hat er das?“, fragte Kyra. Also war Jimmy der Geist eines Jungen, der früher mal in einer Stofffabrik gearbeitet hatte? Sie wusste, dass Kinderarbeit in der industriellen Revolution üblich gewesen war – gerade in solchen Fabriken. Aber wahrscheinlich hatte Cole dasselbe auch in der Schule gehört und sich seinen unsichtbaren Geisterfreund so ausgedacht. „Ja“, meinte Cole nur auf ihre Frage hin. „Er hat mir das Versteck gezeigt.“ Daraufhin seufzte sie nur. Wahrscheinlich hatte es keinen Zweck mit ihm darüber zu reden. „Da hinten ist ein Pub“, erklärte sie Cole. „Lass uns dahin gehen und deine Eltern anrufen, ja?“ Außerdem konnte sie gut etwas zu trinken gebrauchen. „In Ordnung“, murmelte Cole und starrte mit leeren Blick die Straße hinab. „Was ist?“, fragte Kyra vorsichtig, da ihr etwas an diesem Blick nicht gefiel. Er wirkte einfach nicht wie der Blick eines Kindes. Doch Cole schüttelte den Kopf. Sein Blick fokussierte sich wieder auf sie. „Es ist nichts.“ Epilog: Der blasse Mann ----------------------- Der Mann tauchte nicht mehr auf – sehr zu Kyras Erleichterung. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, nachdem sie an dem Pub angekommen waren, bis dass ein Krankenwagen, die Polizei und Coles Eltern da waren. In der Zeit hatte Kyra eine Kleinigkeit zu Essen und etwas zu trinken für sich und Cole bestellt, nicht zuletzt, da der Junge halb verdurstet zu sein schien. Auch über das Essen – ein paar belegte Brote mit Bacon, Ei und Bohnen – machte er sich gierig her. Der Wirt war außerdem nett genug gewesen einen Erste Hilfe Koffer herauszuholen, um Kyras Hand und ihr Bein, an dem sie drei einige Millimeter tiefe Einschnitte gefunden hatte, offenbar von den Fingernägeln des Manns, etwas zu versorgen. Nun saß sie an einem Tisch mit einem der Polizisten, einem blonden Mann um die dreißig, der sich als Officer Atwood vorgestellt hatte. Neben ihr auf dem Boden saß Watson, den der Wirt erlaubt hatte, nachdem Kyra ihn nicht allein draußen zurücklassen wollte – nicht ohne zu wissen, ob der blasse Mann noch einmal nach ihnen suchen würde. Nun hatte der Hund seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und sah wehmütig zu ihrem Gesicht hinauf, während sie mit Atwood sprach. „Sie wurden also beauftragt Cole zu finden“, meinte der Polizist, während er selbst auf einem Formular die Dinge mitschrieb. „Ja.“ Kyra wusste, dass sie diese Aussage würde noch mindestens einmal auf dem Präsidium wiederholen müssen. „Und ihr Hund hat sie zu ihm geführt?“ Atwood hob eine Augenbraue und sah auf Watson, der ihn komplett ignorierte. Sie streichelte den Kopf des Hundes. „Ja. Er hat eine gute Spürnase.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich habe versucht ihn selbst etwas zu trainieren.“ Meistens war er nur nicht ganz so zielstrebig. „Er hat aber kein professionelles Training erhalten.“ Sie wusste, dass diese Frage als nächstes gekommen wäre. „Also ein Naturtalent?“, fragte Atwood mit einem matten Lächeln. „Kann man so sagen“, erwiderte Kyra. Cole war draußen im Krankenwagen. Der Notarzt, der hergekommen war, hatte ihn noch einmal untersuchen wollen. Es würde Kyra nicht überraschen, wenn sie ihn über Nacht mit ins Krankenhaus nehmen würden, um ihn unter Beobachtung zu halten. Erst einmal durfte sie jedoch ausführlich berichten, wie sie Cole gefunden hatte, was er ihr gesagt hatte und dergleichen, sowie auch von der Verfolgung durch den blassen Mann. „Sie kannten den Mann nicht?“, fragte Atwood. „Nein, natürlich nicht“, erwiderte Kyra. Die Frage überraschte sie nicht. Es war eine Standardfrage. „Wissen Sie, ob er Ihnen gefolgt ist, als sie nach Cole gesucht haben?“ „Nicht, dass ich es bemerkt hätte“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Zwar war sie sich relativ sicher, dass Watson sie gewarnt hätte, wäre der Mann ihr vorher gefolgt, doch das behielt sie für sich. „Sie hatten aber das Gefühl, dass er Ihnen und dem Jungen schaden wollte?“, fragte der Polizist weiter. Zugegebener Maßen hatte Kyra zumindest den Teil aus ihrer Erzählung ausgelassen, in dem sie die Stühle umgeworfen hatte. Man musste sich nicht selbst belasten. „Ja“, erwiderte sie nur. „Der Mann hat deutlich nach Cole gesucht. Er hat nicht versucht mit uns zu reden und hat mich festgehalten, als ich versucht habe aus dem Dach zu klettern.“ Sie hatte Atwood bereits die Kratzer an ihrem Bein gezeigt. Daraufhin nickte der Polizist nur. „Sie haben gesagt, der Mann war sehr groß. Wie groß würden Sie ihn etwa schätzen?“ „Ein Meter neunzig, vielleicht zwei Meter“, erwiderte sie. Auch wenn sie gewettet hätte, dass er größer gewesen war – wahrscheinlich hatte ihre Wahrnehmung ihr in ihrer Panik nur einen Streich gespielt. So ging es noch für ein paar Minuten weiter. Kyra wusste, dass es darum ging, direkt Zeugenaussagen aufzunehmen, bevor sich die Erinnerung mit der Zeit veränderte. Dennoch konnte sie es kaum erwarten, endlich entlassen zu werden, da sie wirklich, wirklich duschen wollte. Ihre Kleidung war dreckig und sie hatte das Gefühl, dass auch ihre Haut unter einer dicken Staubschicht begraben war. Endlich machte sich die letzten Notizen und bat sie um eine Unterschrift. „Wir werden Sie in den kommenden Tagen noch einmal kontaktieren.“ „Ich weiß“, murmelte sie. Immerhin brachte die Arbeit als Privatdetektiv Kontakt mit der Polizei immer einmal wieder mit sich – wenngleich eben nicht so oft, wie es Fernsehserien einem weiß machen wollten. Er lächelte. „Natürlich.“ Sie stand auf. Auch Watson richtete sich auf und gemeinsam verließen sie den Pub. Hier gab es nichts mehr für sie zu tun. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und sie war alles andere als begeistert von der Vorstellung davon, nun durch die verlassenen Straßen zurück zu diesem Spielplatz zu laufen. Ihre kleine Verfolgung mit dem seltsamen Mann war definitiv zu knapp für ihren Geschmack gewesen. Gerade als sie den Pub verließ und feststellte, dass der Krankenwagen bereits gefahren war, kam ein Mann auf sie zu. Sie erkannte ihn als Mr. MacConnery, Coles Vater. „Ist Ihre Frau mit Cole ins Krankenhaus gefahren?“, vermutete Kyra. Der kräftige Mann, dessen Haare bereits von Grau durchsetzt waren, nickte. Etwas an seiner Haltung sagte deutlich „Soldat“ – vielleicht war es auch nur, weil sich Kyra an ihren eigenen Vater erinnert fühlte. „Ja. Genau. Aber der Arzt hat gesagt, dass es ihm wahrscheinlich gut geht.“ „Das freut mich zu hören“, meinte Kyra mit einem matten Lächeln. „Ich wollte mich noch einmal bei Ihnen bedanken“, sagte Mr. MacConnery und streckte ihr die Hand entgegen. Sie schüttelte seine Hand. „Ich habe meinen Job gemacht. Sie haben mich engagiert Ihren Sohn zu finden, also...“ Sie zuckte mit den Schultern und bemühte sich um ein professionelles Lächeln. Sein Gesichtsausdruck sagte ihr, dass er genau wusste, dass sie bemühte professionell zu wirken. „Das hätte jedoch nicht zwangsweise beinhaltet, ihn aus dieser Fabrik rauszubringen. Schon gar nicht mit einem Verfolger.“ Er lächelte und drückte ihre Hand noch mal, ehe er losließ. Daraufhin seufzte Kyra nur. „Keine Ursache.“ Es folgte ein kurzer Moment der Stille, ehe Mr. MacConnery sich umsah. „Wie sind Sie hergekommen?“ „Ich habe beim Auto am Spielplatz abgestellt“, erwiderte sie. „Von da aus hat Watson mich geführt.“ „Soll ich Sie zu Ihrem Auto zurückbringen, ehe ich zum Krankenhaus fahre?“, bot er an. Kyra hielt inne. Sie war wirklich nicht scharf darauf, zu Fuß zurück zu laufen, doch dann war da noch ihr Hund. „Wenn Sie kein Problem damit haben, dass Watson Ihnen den Rücksitz vollsabbert....“ „Wir haben Schutzbezüge drauf“, erwiderte er. „Kinder können Rücksitze auch ziemlich zuschmieren, glauben Sie mir.“ „Dann gern.“ Sie war tatsächlich erleichtert. Am Ende saß sie auf dem Rücksitz des schwarzen BMW, so dass Watson seinen Kopf hatte wieder in ihren Schoß legen können. Fremde Autos waren ihm nie so ganz geheuer. „Wo haben Sie Ihr Auto genau abgestellt?“, fragte Mr. MacConnery, als sie in der Straße zum Spielplatz einfuhren. „Hinter dem Pub.“ Kyra zeigte auf das Pub, das bereits in Sicht kam. Ihr Fahrer nickte und hielt vor der kleinen Imbiss-Bar. Er zögerte und drehte sich dann zu ihr um. „Wie ist es mit der Rechnung?“ „Ich werde sie Ihnen morgen zuschicken“, erwiderte sie. „Eine Kopie via Email, eine über die Post. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie so schnell wie möglich zahlen.“ Denn letzten Endes war der Monat nicht mehr lang und das Geld für die Miete fehlte eindeutig. „Natürlich“, antwortete MacConnery mit einem Lächeln. „Vielen Dank noch einmal.“ „Kein Problem.“ Kyra öffnete die Tür und kletterte aus dem Wagen heraus. „Und vielen Dank für das Fahren.“ Er nickte nur. „Schon gut.“ Kurz wartete Kyra noch, damit Watson ebenfalls aus dem Wagen springen konnte, dann schlug sie die Tür zu. Nur zu glücklich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, wedelte der Hund mit dem Schwanz. Für einen Moment hob Kyra die Hand zum Abschiedsgruß, während Mr. MacConnery davonfuhr. „Lass uns nach Hause gehen, Watson“, murmelte Kyra. Watson bellte und lief schwanzwedelnd neben ihr her. Nun, vielleicht sollte sie es dem Hund kurz erlauben, sein Abendgeschäft zu verrichten, ehe sie nach Hause fuhr. Dann konnte sie sich daheim ganz auf das Ausspannen konzentrieren. „Komm, Watson“, meinte sie. „Gassi.“ Sofort sah er sie aufmerksam an und schien noch begeisterter zu sein als vorher. Er bellte aufgeregt. Also machte sie eine kleine Runde durch den Park, wohl darauf bedacht immer im Licht der Lampen zu bleiben. Noch immer konnte sie das Gefühl abschütteln beobachtet zu werden. Es war nur in ihrem Kopf. Sie war ein bisschen schreckhaft, nicht mehr. Nachdem Watson endlich sein Geschäft verrichtet hatte und offenbar zufrieden war, sammelte sie seine Hinterlassenschaft mit einer Plastiktüte ein und machte sich auf dem Weg zurück zum Pub, die Tüte auf dem Weg in einen Mülleimer werfen. Etwas raschelte hinter ihr. Es ist nur der Wind, sagte sie sich und schaute sich nicht um. Als sie endlich ihren Wagen erreichte, kam sie nicht umher erleichtert aufzuatmen. Sie schloss den Wagen auf und ließ Watson einsteigen. Jetzt sah sie sich um, doch natürlich war nichts da. Doch gerade, als sie die Tür schloss, begann Watson zu knurren. „Was?“, fragte sie und sah sich verwirrt um. Dann sah sie es. Erst war es nur etwas, dass sie aus den Augenwinkeln um Rückspiegel sah, doch als sie sich umsah erkannte sie, dass es keine optische Täuschung gewesen war. Da stand er. Der blasse Mann. Auf dem Parkplatz hinter ihrem Wagen. „Verdammt“, murmelte sie. Ohne drüber nachzudenken, drückte sie aufs Gaspedal und fuhr von dem Parkplatz herunter. Noch einmal sah sie in den Rückspiegel. Natürlich sah sie niemanden mehr. Hatte sie es sich nur eingebildet? „Lass uns nach Hause fahren“, sagte sie leise zu Watson. Zumindest eine Sache wusste sie sicher: Sie würde in dieser Nacht mit dem Licht an schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)