(UN)GESCHMINKT von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 10: Zehn ---------------- * Madara sah aus dem Fenster und ihm war, als würde er dem Weltuntergang aus sicherer Entfernung beiwohnen. Er war alleine im Zimmer, da Sakura nach unten geeilt war. Selbstverständlich war sie vor dem Beantworten seiner Frage geflohen. Als Ausrede hatte sie die Ankunft ihrer Mutter genutzt und dass diese vielleicht ihre Hilfe brauche. Allmählich wurde Madara genervt. Das Wetter machte ihm nichts – er war schließlich drinnen und nicht dort draußen. Sakura aber war seit fünfzehn Minuten fort und er war nicht daran interessiert, Gespräche mit ihren Büchern oder ihrem Make-up zu führen. Gerade als er sich hingesetzt hatte, steckte Sakura ihren Kopf durch die Tür. Madara wollte etwas sagen, doch sie kam ihm zuvor. „Möchtest du mit meiner Mutter und mir zusammen essen?“, fragte sie ihn. Es klang nicht einladend, sondern gezwungen höflich. Sakura schien Madara mit dieser Frage überrumpelt zu haben, denn er schaute überrascht. Schließlich sagte er, da er seit längerer Zeit nichts im Magen hatte: „In Ordnung.“ Sakura verzog kurz das Gesicht und trat ins Zimmer. „Ich habe nicht gefragt, ob es für dich in Ordnung ist, sondern ob du mit uns essen möchtest.“ Madara sagte nichts. Er stand auf und folgte Sakura. „Glaub ja nicht, dass du dich mit einem Essensangebot aus der Affäre ziehen kannst, Haruno”, meinte er zu ihr auf der Treppe. Mebuki und Sakura hatten den Tisch bereits zusammen gedeckt, und Sakuras Mutter war gerade dabei, die benutzten Zutaten und verbliebene Lebensmittel einzuräumen. „Oh“, entkam es ihr, als sie Madara erblickte. „Das ist Madara“, stellte Sakura ihn inadäquat vor, indem sie sich einfach an den Küchentisch setzte und den Gast im Raum stehen ließ. „Ich kenne ihn aus der Uni.“ Sakura hatte ihrer Mutter gesagt, dass Besuch da sei, ohne Besuch genauer zu definieren, und dass sie sich selbst nicht besonders gut fühle. Sie hatte das Wort Erkältung vermieden. Dass es ihr nicht so gut ging, war jedoch die Wahrheit. Der Erreger hierbei war allerdings Madara Uchiha. Mebuki sondierte Madara von Kopf bis Fuß und fragte vorsichtig: „Sind Sie Sakuras Freund?“ Sowohl Madaras als auch Sakuras Kehle entkam ein sonderbarer Laut, einem Krächzen gleich. „Nein, er ist nur ein Kommilitone“, antwortete Sakura leicht gereizt und gab ihrer Mutter mimisch zu verstehen, dass keine weiteren Fragen erwünscht waren. Madara wurde direkt neben Sakura gepflanzt. Zu essen gab es aufgewärmte Reste von gestern, veredelt mit frischem Gemüse. Das Telefon im Flur klingelte und Mebuki nahm den Anruf von Kizashi entgegen. Sie telefonierten nicht lange. Da Autofahren bei diesem Wetter Selbstmord wäre, hatte Kizashi beschlossen, vorerst im Büro zu bleiben. Sakura hatte gehofft, das Essen in Stille zu verzehren. Aber ihre Mutter musste unbedingt Madara über seine Person ausfragen, kaum dass sie wieder an ihrem Platz saß. Sakura hörte nur mit halbem Ohr zu und sprach nicht. Madara schien ihrer Mutter aus irgendeinem Grund sympathisch zu sein. Sie hoffte nur, dass Mebuki Madara nicht auf den Mundschutz ansprechen würde, der nun leblos um Madaras Hals baumelte. Glücklicherweise verlief das späte Mittagessen ohne Zwischenfälle. Sakuras Freude darüber währte nicht lange, da es hieß, hinauf in ihr Zimmer zu gehen. Bevor sie gemeinsam mit Madara nach oben stieg, machte sie sich einen Tee. „Also, Haruno“, sagte Madara, als er sich dreisterweise auf ihr Bett setzte. „Weshalb belügst du deine Mitmenschen? Weshalb spielst du die gehirnlose Schminkbratze, wenn du im Grunde ein ansatzweise intelligentes Wesen bist?“ Ansatzweise, pff, ging es Sakura durch den Kopf. Sie stellte die Tasse auf einen Untersetzer auf ihrem Schminktisch und ließ sich auf den Stuhl dort nieder. Sakura war erleichtert. Ein Teil der Anspannung war von ihr gefallen, denn jetzt wusste sie, dass Madara ihre Lüge von der erkälteten Rübe nicht durchschaut hatte. „Wir hatten das Gespräch doch schon einmal.“ „Ich will mehr Details.“ „Wieso willst du mehr Details?“ „Weil es mich interessiert.“ Madara zog den Mundschutz hoch und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: „Weil du mich interessierst.“ Sakura musste an die Zugfahrt mit Madara denken. Sie schluckte. „Ich interessiere dich? In welchem Sinne?“ Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. „In welchem Sinne?“, wiederholte sie ihre Frage nervös. „In keinem, den du dir wünschst.“ Sakura seufzte. „Im Grund fing alles an, als ich eingeschult wurde“, begann sie zu erzählen. „Anders als viele andere Kinder hatte ich mich auf die Schule gefreut. Ich würde sogar sagen, dass ich die Schule idealisiert habe. Der Kindergarten war nichts für mich gewesen, deshalb glaubte ich, dass es in der Schule einfach besser werden musste. Ich hatte mich geirrt.“ Sakura hustete. „Trink deinen Tee, Haruno.“ Sakura nippte an ihrem Getränk und fuhr dann fort: „Ich war seit der ersten Klasse ein Außenseiter. Ich hatte den Eindruck, dass mein Wissen und mein Eifer mich nur unbeliebter machten. Aber ich wollte gute Noten und ich wollte den Lob der Lehrer, weswegen ich es hingenommen hatte, jahrelange die unbeliebteste in der Klasse zu sein. Aber irgendwann hat man es wirklich satt. Ich hatte einen Plan entwickelt. Ich wollte nach der Schule ein neuer Mensch werden. Deshalb fing ich an zu arbeiten. Für mich und an mir.“ Sakura warf Madara einen flüchtigen Blick zu. „Kannst du das verstehen?“ „Nein, ehrlich gesagt nicht.“ „Ich hatte zu Schulzeiten nicht die Möglichkeiten so zu sein, wie ich es jetzt bin“, versuchte Sakura zu erklären. „Aber du weißt sicher nicht, wie es ist, ein unbeliebter Außenseiter zu sein.“ Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. „Zumindest nicht in der Hinsicht, in der ich das Ganze erfahren habe.“ Madara hatte das Kinn in die Hand gelegt. Er hatte schon längst verstanden, weshalb Sakura so ein merkwürdiges Mädchen war. Aber er verstand nicht, weshalb sie das alles nötig hatte. „Doch“, erwiderte er auf ihre Aussage hin. „Nur brauche ich keine falschen Wimpern, um die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Deine Freunde würden dich auch ohne die viele Schminke im Gesicht mögen. Sie würden dich so mögen, wie du wirklich bist, und nicht nur den Menschen, der du zu sein versuchst.“ „Bist du dir da sicher?“, forderte Sakura ihn heraus. „Ich habe ganz andere Erfahrungen gemacht.“ Sie schwiegen eine Weile. „Überleg dir was, womit wir uns anständig die Zeit vertreiben können. Wer weiß, wann sich das Unwetter legt“, meinte Madara dann. Augenblicklich wusste Sakura, was zu tun war. „Hast du eventuell diesen einen Gedichtband dabei? Den, den dein Bruder damals immer ausgeliehen hat?“ Madara nickte langsam. „Wir können uns die Gedichte gemeinsam ansehen, wenn du möchtest. Ich habe einige Bücher hier, die die Herangehensweise an die Analyse und Interpretation eines Gedichts wunderbar beschreiben und erklären.“ „Gut“, sagte Madara. „Warum nicht.“ Die Vorbereitungen für ihr Vorhaben waren schnell getroffen. Madara und Sakura machten es sich auf dem Boden bequem und wenige Augenblicke später führte ihn Sakura in die Theorie ein, bevor es ans Eingemachte gehen konnte. „Es ist wirklich ein riesiger Unterschied zwischen dem, was man in der Schule macht, und dem, was in diesen Büchern steht“, bemerkte Madara irgendwann mit gerunzelter Stirn. Das Wetter wurde nicht besser. Kizashi würde über Nacht im Büro bleiben, und wie es aussah, würde Madara heute nicht mehr von hier wegkommen. Es war zu dunkel, zu stürmisch. Beim Abendessen bekamen sich Madara und Sakura in die Haare, als er Sakuras Versteckspiel, wie er es nannte, am Tisch thematisierte und Mebuki Haruno tatsächlich nach ihrer Meinung zu dieser Angelegenheit fragte. Sie hatten nette Stunden in ihrem Zimmer verbracht und ein Gedicht nach dem anderen besprochen. Jetzt musste dieser Trottel alles ruinieren. „Fahr doch zur Hölle, Madara!“, rief Sakura wütend und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Sakura“, setzte ihre Mutter zur Beschwichtigung an, doch Sakura hatte nicht vor, auf ihre Mutter zu hören. Stattdessen feuerte sie etliche verbale Feuersalven gegen Madara. Später sollte sie nicht einmal mehr wissen, welche Gemeinheiten genau ihr über die Lippen geglitten waren.   „Ich denke, ich werde jetzt gehen“, verkündete Madara ruhig, nachdem Sakura ihrer Wut Luft gemacht hatte. „Danke für das Mittagessen und auch für das Abendessen, Frau Haruno.“ Madara stand auf, ging nach oben, um seine Sachen zu holen, und zog sich an. „Du willst doch nicht wirklich in diesem Wetter zu Fuß gehen?“, wollte Sakura wissen, die Arme vor der Brust verschränkt. Draußen herrschte Dunkelheit, und die Licht spendenden Straßenlampen wackelten im Wind. „Ich denke, das ist das Beste.“ Sakura und ihre Mutter tauschten flüchtig Blicke miteinander, und Sakura schüttelte leicht den Kopf. Soll dieser Trottel doch gehen. Sie hatte kein Wort davon gesagt, dass er gehen sollte. Es war seine persönliche Entscheidung – aber es war eine Entscheidung, die dafür sorgen würde, dass sie endlich aufhören konnte, die Kranke zu simulieren. Madara warf sich die Kapuze über und öffnete die Eingangstür; Sakura war sogleich hinter ihm, skeptisch nach draußen schauend. „Falls die Züge nicht ausfallen, sehen wir uns in der Uni. Falls sie ausfallen… Ich werde mir etwas überlegen.“ Es schüttete weiterhin sintflutartig und der Wind rüttelte an den Mülltonen. Trotzdem verließ Madara das Haus der Harunos ohne zu zögern. Sakura schloss die Tür, lehnte sich dagegen und begann, auf ihrem Daumennagel zu kauen. Sie fühlte sich wie ein Unmensch und bereits jetzt nagte das schlechte Gewissen an ihr. Ich kann ihn bei diesem Wetter unmöglich zum Bahnhof gehen lassen. Nein, nein, das geht nicht. Ein Baum könnte umfallen und ihn erschlagen, ein Windstoß könnte ihn Gott-Weiß-wohin zerren. Sie riss die Tür auf und rief Madaras Namen. Er überhörte es, weil er bereits zu weit weg war, weswegen Sakura hinaustrat. In Hausschuhen eilte sie ihm unbeholfen hinterher, der Witterung trotzend. Bis sie am Haus gegenüber war, durchnässte sie der Regen nahezu komplett. „Madara, warte!“ Jetzt hörte er sie seinen Namen rufen und verharrte an Ort und Stelle. Als Sakura vor ihm zum Stehen kann, öffnete er eilig den Mantel, zog sie an seine Brust und schloss den Mantel um ihren Körper. „Was gibt’s, Rübe?“, wollte er wissen. „M-Mir wäre es echt lieber, wenn du über Nacht hier bleibst“, murmelte Sakura gegen seine Kleidung. Sie war irritiert, konnte aber nicht sagen, ob die Irritation vom Wetter kam oder dem Körperkontakt mit Madara. „Ich habe dich nicht rauswerfen wollen, also lass uns bitte schnell reingehen, mir ist kalt!“ Er gab ihr seine Jacke und sie kehrten mit schnellen Schritten zurück ins Haus. Sie schlüpften in trockene Kleidung – Madara bekam eine Hose und ein Oberteil aus Kizashis Garderobe – und Sakura machte ihnen Tee, den sie in ihrem Zimmer tranken. Anfangs unterhielten sie sich eher zurückhaltend und mit vielen Pausen dazwischen. „Es tut mir leid für das, was ich vorhin in der Küche gesagt habe“, entschuldigte sich Sakura. Sie traute sich nicht, Madara ins Gesicht zu blicken, und sah auf ihr Heißgetränk. Madara antwortete nichts, sondern leerte seine Tasse und fragte dann: „Wollen wir noch ein paar Gedichte zusammen durchgehen, Haruno?“ Auf Sakuras Worte in der Küche kamen sie nicht zurück. Es machte nicht den Eindruck, als würde Madara es ihr nachtragen, und Sakura stellte fest, dass sie darüber tatsächlich froh war. Gegen neun Uhr schafften sie gemeinsam eine Matratze für Madara vom Dachboden in Sakuras Zimmer und bezogen sie, damit Madara einen anständigen Schlafplatz hatte. ✿ In der Nacht hatte Sakura das gleiche Erlebnis, das sie in Madaras Wohnung gehabt hatte. Es erschreckte sie nicht minder als beim ersten Mal und sie fuhr schreiend aus dem Bett hoch. Wie auch das letzte Mal wurde Madara wach, eilte zu ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Dieses Mal ging es nicht so schnell. Zwar hörte sie auf zu schreien, als er sie in den Arm nahm, doch ihr Körper zitterte unaufhörlich weiter und sie weinte vor Angst und Verzweiflung. „Haruno, es ist alles gut, hörst du? Ich bin da.“ Er drückte sie noch fester an sich und das hatte zur Folge, dass sie ihre Finger in seine Kleider krallte und sich ausweinte, bis sie nicht mehr konnte. Als Stille einkehrte, gab Madara Sakura ein wenig frei. Er wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was. „Ich möchte mich hinlegen“, kam es leise von Sakura. Sie sanken gemeinsam auf das Bett und sprachen lange nicht. Irgendwann rutschte Sakura zur Seite, sodass es Madara neben ihr bequem hatte. Ihre Gesichter waren nun nahe beieinander und beide spürten eine merkwürdige Aufregung. Vorsichtig näherten sich ihre Lippen einander, berührten sich ganz leicht und gingen wieder auseinander, bevor sie ein zweites Mal wie schüchtern aufeinandertrafen. Sakura schlief in Madaras Armen ein. In der Nacht wachten beide einige Male auf, nur um sich im Halbschlaf an den anderen zu schmiegen und dann wieder einzuschlafen. Gegen fünf Uhr morgens wurden sie endgültig wach, blieben aber vorerst im Bett liegen. Es regnete nicht und der Wind war nur schwach zu vernehmen. „Machst du bitte die Nachttischlampe an?“, fragte Sakura heiser. Madara sorgte für Licht im Zimmer und legte sich wieder neben Sakura. Sie sahen einander an. Beide trugen die gleichen Empfindungen in sich und wussten nicht, ob sie diese Empfindungen artikulieren sollten oder nicht. Madara streckte seine Hand aus und streichelte Sakuras Haar. „Ich liege mit einer übergroßen Rübe im Bett.“ Madara hatte die Worte mit einer solchen Seriosität in der Stimme gesprochen, dass Sakura auflachte. „Du bist ohne die viele Schminke wirklich schöner“, sagte er zu ihr. „Mhm“, machte Sakura. Madara hatte zweifelsohne das nicht erstrebenswerte Talent, die Stimmung zu ruinieren. Jetzt dachte Sakura an diese blöde Wette und alles, was damit in Zusammenhang stand. Wie um alles in der Welt war es passiert, dass sie mit diesem Kerl, angezogen wohlgemerkt, im Bett gelandet war?   Die Worte, die er im Zug an sie gerichtet hatte, waren also romantischer Natur gewesen. Madara mochte sie wirklich, und was war ganz offensichtlich kein freundschaftliches Mögen. Jetzt erst, da sich ihr Verstand allmählich klärte, machte sich Sakura Gedanken um das, was zwischen ihnen passiert war. Sie hatten einander geküsst, waren nebeneinander eingeschlafen und wach geworden. „Willst du heute zur Uni gehen? Oder willst du dich noch auskurieren?“ Sie blinzelte und sah ihm in die Augen. Sein Blick war weich. „Es ist zu früh für Uni“, antwortete Sakura. „Aber ich… ich denke, ich bleibe auch heute zu Hause. Hast du keine Angst, dich anzustecken?“ „Das halte ich für eine gute Idee. Ich kann es mir nicht leisten, nicht hinzugehen. Deshalb muss ich demnächst aufstehen. Und nein.“ „Morgen ist Wochenende.“ Das war nicht sonderlich gehaltvoll, aber Sakura war nun so durcheinander und unsicher, dass sie nicht wusste, wie sie Madara verabschieden sollte. „Aber vielleicht solltest du schauen, wie es um die Züge steht, bevor du noch umsonst losgehst.“ Das war kein schlechter Vorschlag gewesen, denn es stellte sich heraus, dass der Zugverkehr für heute in die Universitätsstadt komplett eingestellt wurde. Das gefiel Sakura nicht, denn obwohl sie Madaras Nähe mochte, assoziierte sie mit diesem Mann nicht nur Positives, seine Gegenwart verunsicherte sie. Und zu allem Übel fühlte sie sich tatsächlich schwach und krank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)