if/then von karlach (— was wäre, wenn?) ================================================================================ Kapitel 1: Wunschdenken ----------------------- Als Kanda Yuu die Augen schloss, sah er Alma. Nicht den Alma von vor neun Jahren und auch nicht den Alma von jetzt. Nur Alma; unordentliches, dunkles Haar, leicht sonnenverbrannte Haut, die er im Labor nie gehabt hatte. Als Kind hatte er seine optimistische Art unausstehlich gefunden, aber als er ihn sich so ansah, die Augen so blau und weit wie der Himmel, war er glücklich. Als Kanda die Augen schloss, erwartete ihn ein anderer Alma als der in seinen Armen. · · · „Yu, schau! Jerry hat Mayonnaise auf meine Nudeln getan!“ Ew. Einer seiner Mundwinkel fiel, tiefer als üblich, und Kanda gab einen angeekelten Laut von sich. „Idiot, man isst Soba nicht mit Mayonnaise!“ Almas Augenbrauen zogen sich zusammen und er wirkte gekränkt vom Gedanken, dass jemand Mayonnaise nicht so wie er wertschätzen könnte. Er zupfte am Kragen seiner Uniform – die Gleiche, wie auch Kanda selbst sie trug – und liess sich mitsamt Tablett auf den Platz vor ihn fallen. Immerhin, sie waren nicht wieder in einer ihrer spontanen Faustkämpfe ausgebrochen, wie sie es früher getan hatten– Sein Gedankengang unterbrach, als er bemerkte, dass er den Menschen vor sich nicht kannte. Sein Alma war mit zehn Jahren durch seine Hand verstorben. In seiner Welt hatte ein Alma in der Uniform des schwarzen Ordens nie existiert und für einen Augenblick zog sich sein Herz zusammen. So sehr sein Freund ihm als Kind den letzten Nerv geraubt hatte, er war doch genau das gewesen: sein Freund. Der einzige Mensch auf dem ganzen Planeten, der wusste, wie schmerzhaft die endlosen Synchronisationstests waren, der Junge, der zu schlafenden Kindern sprach in der Hoffnung, dass sie irgendwann auch erwachen würden. Alma war sein Verbündeter und seine Stütze gewesen. Vor ihm zu sitzen und nicht zu wissen, was er in den letzten neun Jahren durchlebt hatte, schmerzte überraschenderweise. „Yu? Alles in Ordnung?“ Sein Blickfeld wurde wieder scharf, gab die Sicht auf fest geballte Fäuste und eine halb leere Schüssel Soba frei. Als Kanda aufsah, hatte Alma seine Mahlzeit auf die Seite geschoben und sich über den Tisch gelehnt. Zögerlich langte er über den Tisch hinweg und legte seine kühlen Finger auf eine von Kandas Fäusten. Sein erster Instinkt war wegziehen, zuschlagen, der Zweite ein Oh. Er liess es sein und versuchte, sich nicht auf das warme Gefühl in seiner Brust und ein unweigerliches Lächeln, das an seinen Mundwinkeln zupfte zu konzentrieren. „Ja doch, Dummkopf. Was sollte schon nicht stimmen?“ Er klang schroffer als beabsichtigt, aber Alma lächelte trotzdem. · · · „Du bist immer so böse zu Allen!“ Almas Lachen war allumfassend, wie eine warme Decke. Er sah glücklich aus, wie er sich den Schweiss der abgeschlossenen Runde Sparring abwischte, das Haar noch zerzauster als sonst. „Er fordert es heraus“, gab Kanda mit einem irritierten Schulterzucken zurück. Er hatte keine Lust auf eine Predigt, nur weil Alma beschlossen hatte, sich mit dem Neuzugang anzufreunden. Alma freundete sich sowieso mit allen an, er sammelte Menschen so wie andere entlaufene Hündchen aufgabelten und es war so endlos nervig. Ständig plapperte er von den Leuten, als wäre ihm nicht voll und ganz bewusst, dass sie alle Soldaten waren; dazu verdammt, in diesem Krieg ein miserables Ende zu finden. Allen Walker war keine Ausnahme. „Sag bloss, du bist eifersüchtig.“ Almas Tonfall war erstaunt und Kanda gab ein bellendes Lachen von sich. „Sei nicht albern.“ Er hatte mit einem Schubser, mit einem empörten Laut, mit einer Beleidigung gerechnet. Stattdessen lachte sein Freund, seine Schritte als er näher kam laut auf dem steinernen Boden. Ein weiches Paar Lippen traf die seinen und Kanda nahm etwas verstimmt wahr, dass er den Kopf heben musste. Alma war noch immer grösser. Knurrend zog er den anderen Exorzisten zu sich herunter, die Hände fest in sein schwarzes Haar gekrallt. Als sie sich lösten, lachte Alma. „Was ist jetzt so witzig?“ „Ich bin nur glücklich, vertraust du mir.“ Kanda hielt einen Kommentar darüber zurück, wie er sich sowieso keine Sorgen darüber machen würde, dass irgendwer Interesse an Alma finden könnte. Es wäre sowieso gelogen. · · · Es war seltsam, einander halten, einander lieben zu können. Kanda fühlte sich schrecklich ungelenk in dieser fremden Realität, in der er angeblich wissen sollte, was er da tat – er hatte keine Ahnung. Aber Alma war geduldig und liebevoll und lachte über seine Patzer, bis Kanda ihn etwas knuffte und piekste und als sie nach einem Bad dösend, dicht aneinander gezwängt auf seinem Bett lagen, fühlte er sich seltsam satt und zufrieden. „Das hier muss ein schöner Traum sein“, murmelte er. Ein tiefes Summen kam zurück und ein warmer, starker Arm legte sich um seine Mitte. Kanda schalt sich für den Gedanken, sein eigener war sicher mindestens gleich stark. Ausgelaugt wie er war, brachte er es nicht über sich, die Worte laut auszusprechen. Wahrscheinlich würde Alma das als Einladung dazu sehen, darüber zu diskutieren, wer jetzt stärker war. (Kanda. Pfft. Natürlich war Kanda stärker.) „Ich hoffe doch schwer nicht. Ich mag eine Realität, in der du mich lieb hast.“ Lieb haben. Manchmal klang Alma noch immer wie zehn und nicht zwanzig. Es war vertraut und schmerzhaft zugleich und Kanda presste sein Gesicht fester in seine Halsbeuge. „Idiot. Ich kenne keine Realität, in der ich das nicht tun würde.“ · · · Als Kanda Yuu die Augen öffnete, war ein Augenblick verstrichen. Die Stille war laut und drückend, die Überreste von Almas groteskem Körper fest in seinen Armen, hart und rau wie Fels. Lotus blühte im Sand, Blume um Blume, in einer Spur hinter ihr, hinter ihr und Alma, der ihre Finger fest umklammert hielt. „Yu. Ich liebe dich.“ Alma Karma verschwand mit einem Tropfen, verschlungen von Wasser das nicht existierte. Und als Kanda seine Augen wieder schloss, betete er zu Gott. Herr, der du bist im Himmel. Bitte lass mich noch ein letztes Mal sein Lachen hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)