To Fail and Rise Again von Rejah ================================================================================ Kapitel 1: To Fail and Rise Again --------------------------------- Auf der Fensterscheibe hatte sich ein feines Muster aus Eiskristallen gebildet. Yuuri fuhr mit der Fingerspitze die Konturen nach und sah nachdenklich nach draußen. Victor und er waren für die Weihnachtszeit in das Onsen seiner Familie eingekehrt; während Victor seine Mutter mal wieder mit seinem Charme um den Finger gewickelt hatte, war Yuuri fast jeden Tag im Eisstadion gewesen und hatte geübt. Selbst Victor hatte irgendwann außer Atem aufgeben müssen und sich mit roten Wangen an die Wand gelehnt, während er über das Eis schnellte und sprang. Aber heute hatte Victor ihn dazu gezwungen eine Pause einzulegen. Durch die geschlossene Tür drang der Duft von seinem Lieblingsgericht und er hörte wie Makkachin an der Tür kratzte. Seufzend stand er auf und öffnete die Schiebetür. Der Pudel kam sofort schwanzwedelnd herein und sah ihn erwartungsvoll an. „Was ist, Makkachin?“, fragte Yuuri den Hund, während er ihm liebevoll die Ohren kraulte. „Wo hast du Victor gelassen?“ „Yuuuuri!“ Kaum hatte er ausgesprochen, kam Victor bereits die Treppe hoch gelaufen, warm eingepackt in einen dicken, grauen Mantel, Schal und einer weißen Mütze. Yuuri hatte keine Gelegenheit mehr zurückzuweichen, da hatte Victor ihn bereits mit offenen Armen umgerannt und zu Boden beworfen. Mit rot glühenden Ohren versuchte Yuuri wieder Luft zu bekommen und ihm nicht direkt in die Augen zu sehen. Der weiche Stoff von Victors Schal kitzelte ihn an der Nase. „Lass uns eislaufen!“ Victor klang ganz aufgeregt und Yuuri wandte ihm verwirrt das Gesicht zu. Ihre Nasenspitzen waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. „Heute früh hast du noch gesagt, ich soll eine Pause einlegen. Hast du es dir jetzt doch anders überlegt?“ „Vom Eiskunstlauf meinte ich.“ Victor drückte ihn fester. Yuuri legte die Arme um ihn – das war einfach etwas, das sie taten, etwas, das sich zwischen ihnen entwickelt hatte, ohne dass es jemals einer von ihnen kommentiert oder hinterfragt hätte. „Aber ich möchte den Tag nicht einfach ungenutzt verstreichen lassen.“ „Was hast du denn vor?“, fragte Yuuri in den Stoff von Victors Schal hinein. Victor stand auf. „Lass es mich dir zeigen.“ Er lächelte und streckte ihm die Hand entgegen. ~~~~~*~~~~~ Es war zwei Tage vor Weihnachten und draußen war es klirrend kalt. Yuuri hatte sich genauso warm eingepackt wie Victor, zusätzlich hatte er sich ein Paar Handschuhe angezogen, und zusammen verließen sie das Haus. Die Eislaufschuhe hatten sie mitgenommen, doch Victor bog in die falsche Richtung ab. „Ähm, Victor ...“, fing Yuuri an, doch Victor deutete nur in die andere Richtung, weg vom Stadion. „Heute gehen wir woanders eislaufen.“, sagte er. „Oh, okay ...“ Er hatte bereits eine Vorahnung, was sein Coach vorhatte. Immerhin gab es nicht viele Möglichkeiten eislaufen zu gehen, nicht in eine relativ kleinen Stadt wie dieser. Und so überraschte es ihn nicht, als Victor ihn zu dem kleinen Park führte, der nur wenige Minuten von seinem Zuhause entfernt war und in dessen Mitte ein See lag. Der See war zugefroren und mit einer hauchdünnen Schicht aus Schnee bedeckt. Vergangene Nacht hatte es geschneit und die Bäume und Sträucher, die verstreut im Park wuchsen, sahen aus wie mit Puderzucker bestreut. Das Eis glitzerte hell in der hoch stehenden Wintersonne. Victors Atem bildete feine Wölkchen in der Luft, als er neben ihn trat. „Das ist viel zu gefährlich.“ Yuuri wollte sich schon wieder umdrehen, da griff Victor nach seiner Hand und hielt ihn fest. „Nein, ist es nicht, komm schon!“ Er sah ihn mit großen Hundeaugen an, die seinem Pudel Konkurrenz machen konnten. „In Russland sind wir jeden Winter auf den Seen gefahren.“ „Aber es könnte einbrechen-“ „Es ist schon seit drei Wochen Frost, die Eisschicht ist mindestens zwanzig Zentimeter dick!“ Yuuri ließ die Schultern hängen. „Also gut...“, seufzte er, war sich aber immer noch nicht sicher. Er war noch nie auf einer anderen Eisfläche als der in einem Stadion gefahren. Aber Victor packte ihn freudestrahlend an der Hand und zog ihn den Hang herunter. Yuuri stolperte ihm hinterher, die Schlittschuhe über der rechten Schulter hängend. Als sie am Ufer angekommen waren, zog Victor sich eilig die Schuhe aus und schnallte sich, auf einem Bein hüpfend, seine eigenen Eislaufschuhe an. Yuuri ahmte ihn zögerlich nach und stand nach wenigen Minuten mit seinen Schlittschuhen an den Füßen neben dem Uferrand. Victor tat den ersten Schritt auf das Eis. Es knisterte leise, als er mit den Kufen die perfekte Schneeschicht zerschnitt. Mutig stieß er sich ab und war bereits außer Reichweite, stetig auf die Mitte des Sees zuhaltend. Für einen Moment vergaß Yuuri seine Angst und war wie gebannt von seinem Anblick. Auch wenn sie sich bereits seit einigen Monaten kannten, hatte seine Bewunderung kaum nachgelassen. Jetzt machte Victor keine eleganten Sprünge, keine schwierigen Bewegungen. Aber er glitt selbstsicher über das Eis, die Schultern gerade, die langen Beine in einer Linie mit seinem Rücken, die Hände leicht von seinem Körper abgespreizt. Yuuri spürte sein Herz in seiner Kehle klopfen und machte den ersten Schritt auf das Eis. Es fühlte sich weniger glatt an als das, was er gewohnt war, körniger vielleicht. Unter der Oberfläche konnte er kleine Äste und Blätter sehen. Das Eis war nicht völlig klar, sondern an vielen Stellen milchig, als wäre es mehrmals gebrochen worden, bis es zu der festen Fläche wurde, auf der er jetzt mit zittrigen Beinen stand. Victor fuhr an ihm vorbei und warf ihm ein kurzes Lächeln zu. Er drehte sich in einem kleinen Kreis und fuhr dann rückwärts von ihm weg, beide Hände nach ihm ausgestreckt. Yuuri stieß sich ab. Das Eis war ein kleines bisschen uneben, aber durchaus befahrbar und es dauerte nur zwei Atemzüge, bis er sich wie zuhause fühlte. Der See bot mehr Platz zum Fahren als das Stadion und er kostete es voll aus, wurde immer mutiger, während er über die gesamte Fläche fuhr. Der Wind zerrte kalt an seinen Ohren und er zog die Mütze tiefer ins Gesicht. Victor folgte ihm über das Eis. Als er fast aufgeholt hatte, merkte Yuuri, dass er ihn jagte, und ein spielerischer Gedanke kam ihm. Er stieß sich fest ab und vergrößerte den Abstand zwischen ihnen wieder, seine Kufen pflügten durch den Schnee und er grinste, die Wangen rot von der Kälte. Aber Victor ließ sich nicht so schnell abhängen. Bald hatte er wieder aufgeholt, seine Hand ausgestreckt. Yuuri packte sie und zog ihn zu sich heran. Es waren keine Worte nötig, als sie nebeneinander über das Eis glitten, Victors Hand in seiner. Durch den Handschuh hindurch konnte er den schmalen goldenen Ring spüren, den er ihm geschenkt hatte. Keiner von ihnen hatte irgendwelche Worte darüber verloren. Er konnte Freundschaft bedeuten oder eben das, was ihm beim Wettkampf die Kraft verliehen hatte weiterzukämpfen. Er wusste, was ihm der Ring selbst bedeutete. Er ließ Victor für einen Moment los, zog den Handschuh aus und hielt ihn ihm hin. „Hier.“ Victor wurde langsamer, bis er schließlich zum Stehen kam und auch Yuuri bremste ab. „Aber du wirst kalte Hände bekommen!“, sagte er, wehrte sich aber nicht, als Yuuri ihm den Handschuh über die linke Hand streifte und anschließend wieder nach seiner freien Hand griff. Diesmal konnte er den Ring ganz deutlich spüren, kaltes Metall an seinem Finger. Sein eigener Ring fühlte sich warm an seiner Haut an. Yuuri fuhr sich mit der Hand durch die Haare und lächelte. Es war das gleiche Lächeln, mit dem er ihn am Anfang seiner Auftritte ansah. Victors Blick folgte seiner Bewegung und er bemerkte, wie sich seine Pupillen weiteten. Yuuri drückte seine Hand und ließ los. „Dann sollten wir laufen!“ Geschwindigkeit war noch nie ein Problem für ihn gewesen, auch jetzt nicht. Mühelos stieß er sich ab und hatte mit wenigen Zügen ein gutes Stück hinter sich gebracht. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Victor ihm folgte, aber diesmal war es nicht das Fangspiel, das sie gespielt hatten. Sein Herz hämmerte wild gegen seine Brust, seine Wangen glühten, seine Hand war kalt. Er streckte die Beine aus und änderte die Richtung; Victor fuhr knapp an ihm vorbei, seine Hand streifte seine Hüfte. Wieder nahm er Geschwindigkeit auf, er konnte das nur, wenn er alles gab, wenn er zu sehr darauf bedacht war nicht zu fallen und ihn zu beeindrucken. Victor hatte ihn eingeholt und fuhr neben ihm. Er war so mühelos talentiert. Der Wind zerzauste seine grauen Haare und blies ihm eine Strähne ins Gesicht und dann plötzlich, ohne Vorwarnung, setzte er zum Sprung an. Yuuri hielt den Atem an; was, wenn das Eis doch unter ihnen brechen würde? Doch Victor kam makellos wieder auf, seine Beine glitten wieder über das Eis, als wäre nie etwas gewesen. Was brachte ihn bloß dazu, seine Angst in den Wind zu schlagen? Yuuri sprang und drehte sich mehrfach um seine eigene Achse. Als er mit einem Bein aufkam, verlor er beinahe sein Gleichgewicht, konnte sich aber gerade noch fangen, nicht so perfekt wie Victor. Aber das war egal. Er musste es einfach weiter versuchen. Nur wer aufgab, konnte verlieren. Vielleicht war es das, was Victor ihm am meisten beigebracht hatte. Ein erneuter Sprung, und der Park um ihn herum verschwamm mit der Drehung, er kam sauber wieder auf und ging nahtlos in die Hocke, drehte sich um die eigene Achse, ein Bein ausgestreckt. Er konnte hören wie Victor anerkennend pfiff und grinste, als er aus der Hocke in den Stand kam und wieder zu ihm fuhr, die Wangen von der Anstrengung gerötet. Victor griff wieder nach ihm und diesmal berührte er seine Schulter. Während sie nebeneinander fuhren, glitt seine Hand tiefer, Yuuris Rücken hinab und er packte seine Jacke oberhalb seiner Hüfte. Mit einem Ruck zog er ihn zu sich und Yuuri wäre fast gestolpert, wenn Victor ihn nicht im gleichen Moment mit der anderen Hand festgehalten hatte. Sie wurden langsamer und Victor nahm Yuuris nackte Hand in seine, Yuuri verschränkte automatisch ihre Finger miteinander. Yuuri wusste, dass seine Gefühle offensichtlich waren und nicht zum ersten Mal fragte er sich, was Victor dazu getrieben hatte ausgerechnet ihn zu coachen. Er war nicht schlecht im Eiskunstlauf, vielleicht war er sogar gut – aber was unterschied ihn von den anderen Läufern? Yurio war auch ein fantastischer Läufer und arbeitete viel härter und war viel entschiedener. Er selbst verzweifelte sofort, wenn etwas anders lief als geplant, weil ihn der Druck auf dem Eis erwischt hatte. Victor tippte ihn an die Stirn. „Lass das.“, sagte er. Sie fahren stehen geblieben, ohne es zu merken. Yuuri sah ihn verwirrt an. „Diese Falte zwischen deinen Augenbrauen. Du steigerst dich schon wieder in irgendetwas rein, nicht wahr?“ Yuuri errötete ertappt. „Was ist los?“, fragte Victor. Langsam fuhren sie an den Rand des Eises. Victor setzte sich auf das schneebedeckte Gras, ohne sich darum zu scheren, dass er nass wurde, und zog Yuuri mit sich. „Wieso ich?“ Yuuri starrte geradeaus auf den See, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Er erinnerte sich daran, wie er das erste Mal nach Victors Choreographie gefahren war. Nachdem er Yurio beobachtet hatte, hatte er schon einpacken und wieder nach Hause gehen wollen; der andere hatte unverkennbares Talent und er war sich sicher gewesen, dass Victor ihn wählen würde. „Wieso nicht Yurio oder irgendwer anders?“ Victor verstand ihn sofort. Er drückte seine Hand. „Du willst wissen, warum ich dich gewählt habe?“ Victor folgte seinem Blick und beobachtete still, wie sich die Sonne auf dem Eis spiegelte. Er hob seine Hand an den Mund und drückte einen sanften Kuss auf seine frierenden Finger. „Weil es viel mehr Stärke braucht erst zu scheitern und immer wieder aufzustehen.“ Yuuri schoss die Hitze ins Gesicht und er versuchte ihm seine Hand zu entwinden. Victor hielt ihn fest. „Aber es fällt mir immer schwerer.“, sagte er leise und ließ den Kopf hängen. Das war der Grund, warum er Victor nicht an sich heranlassen wollte. Victor mochte jetzt noch eine gute Meinung von ihm haben, aber würde er dieses Bild von ihm aufrecht erhalten können, wenn er ihn näher kennen lernte. Plötzlich spürte er Victors behandschuhten Finger an seinem Kinn. „Du tust es schon wieder. Zu viel nachdenken, meine ich.“ Sein Gesicht war so nah; Yuuri konnte die einzelnen blauen Farbtöne in seinen Augen erkennen. Seine Wangen wurden ganz heiß und er wollte zurückweichen, da beugte Victor sich plötzlich vor und küsste ihn, ganz kurz und so schnell vorbei, dass er keine Zeit hatte zu reagieren. Er schlug sich die Hände vor den Mund und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Es war ja nicht der erste Kuss, schoss es Yuuri durch den Kopf, aber diesmal war es anders, diesmal konnte er sich nicht damit herausreden, dass er ihn überraschen wollte oder dass es nur durch die überschwängliche Freude des Augenblicks passiert war. Victor hatte ihn geküsst und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Victor lächelte ihn nur an und strich ihm mit der Hand über die Wange. „Das wollte ich schon die ganze Zeit tun, weißt du.“, sagte er, während Yuuri sich noch in Schockstarre befand. Er lehnte die Stirn an seine. „Victor ...“ Es brannte ihm in den Fingern, Victor einfach zu umarmen oder ihn sogar zu küssen, aber das hier war Victor Nikiforov, der Mann, der sich bei ihrer ersten Begegnung splitterfasernackt vor ihn gestellt hatte ohne eine Spur von Schamgefühl. Bedeutete ihm ein Kuss dasselbe wie ihm oder war es nur eine Geste der Freundschaft? Victor legte die Arme um ihn und drückte ihn an sich. „Bitte sag was, Yuuri.“, wisperte er ihm direkt in sein Ohr und ein Schauer lief Yuuris Rücken hinunter. Sein Herz wummerte beinahe schmerzhaft gegen seine Brust. Sollte er ihn das fragen, was ihm schon die ganze Zeit auf der Seele brannte? Vielleicht brauchte es auch einfach eine besondere Art von Stärke, das Wichtige auszusprechen, auch wenn er scheitern konnte. Auch wenn er abgewiesen werden konnte. Er hob seine rechte Hand auf Augenhöhe und drückte ihn soweit von sich weg, dass er ihn ansehen konnte. Seine Augen brannten und er wusste, wenn er es nicht bald hinter sich gebracht hatte, würde er nie genug Mut aufbringen können. „Was bedeutet dir dieser Ring, Victor?“ Victors Blick glitt zu seinem Finger und dann wieder zu ihm. Er hob zum Sprechen an, zögerte. Und dann sagte er schließlich: „Alles.“ Diese Antwort war wieder einmal unterschiedlich auslegbar, aber Victors Stimme und sein Blick, mit dem er ihn in diesem Moment fixierte, sagte ihm alles, was er wissen musste. Langsam hob Yuuri seine Arme und legte sie um Victor, wie er es schon viele Male getan hatte, aber dieses Mal wusste er, dass er nicht alleine mit seinen Gefühlen war. Er beugte sich vor und küsste ihn, bevor ihn der Mut verließ. Seine Lippen waren kalt und trocken von der Kälte, aber Victor drückte ihn nur noch näher an sich. Yuuri fuhr mit einer seiner Hände über seinen Nacken und vergrub sie in seinen weichen Haaren. Er spürte, wie Victor in den Kuss hinein lächelte. Er hatte immer noch Angst, dass Victor ihn irgendwann zurückweisen würde, wenn er von seinen ganzen schlechten Eigenschaften erfuhr. Aber er würde sich alle Mühe geben, sie solange wie möglich zu verstecken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)