The Opera von FraeuleinUnruh (Mitmach-FF) ================================================================================ Kapitel 1: Summenformel ----------------------- C Junon, 1955 ''Lass die Gardinen zu. Es ist dieselbe Baustelle wie immer.'' Seine tiefe, sonore Stimme zerteilt die aufgekommene Ruhe im Raum und reißt mich aus wichtigen Gedanken. Ich hatte fast vergessen, dass ich hier bin. Mit einem leisen Seufzen, lässt sie den hässlich karierten Stoff wieder aus der Hand gleiten, ehe sie an den Tisch zurückkehrt. ''Ob sie die Ebene dieses Jahr noch fertig bekommen?'' ''Ich glaube nicht. Nein.'' Baustelle. Nichts als Baustelle. Wie lange ShinRa jetzt schon an den Ebenen der neuen Hafenstadt baut kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Ich erinnere mich noch an Bruchstücke einer Kindheit zwischen Sand und Meerschaum. Mehr aber auch nicht. Diese Baustelle hier ist mein... ''Bis dann.'' Eilig weiche ich dem Blick ihrer blassblauen Augen aus. Ihre Farbe erinnert mich immer an die Tränen, die sie so oft vergießt. ''Was... du gehst schon wieder?'' Der Stuhl schrabbt unangenehm über den rauen Boden. ''Warte Junge. Hier, nimm wenigstens-'' Ich genieße das Geräusch des einrastenden Schlosses und die Ruhe, die mich auf dem Hausflur empfängt. Nicht, dass bei dem Lärm der schweren Baumaschinen wirklich von Ruhe die Rede wäre, aber es sind Maschinen, nicht die wehleidige Stimme meiner Mutter. Mein Vater hat mich glücklicherweise den Großteil der Zeit einfach ignoriert. Er hat das Prinzip des Nichtsehens über die Jahre hinweg mittlerweile fast perfektioniert. Ein erstaunlich engstirniger Mann. Aber sei's drum. Die Zeiten, in denen ich mir etwas aus seiner Meinung über mich gemacht habe, sind vorbei. Apropos Zeit. Bevor ich das Gebäude verlasse, ziehe ich das Uhrwerk meiner Armbanduhr nach und gleiche den Zeigerstand mit der Funkuhr im Hauseingang ab. ShinRas multikontinentale Funkuhr. Immer auf die Sekunde genau. Der Konzern weiß eben was Effizienz bedeutet. Effizienz ist das nächste Stichwort. Ich sollte schleunigst zurück in die Universität. Oder zumindest den Teil, der davon bereits fertiggestellt ist... Junon. Die ewige Baustelle. Das angestrebte Projekt der in mehreren Etagen angelegten Hafenstadt ist wahrlich ein Großunterfangen, doch auch wenn man die verschiedenen Zeiten der Bauphasen hier als Anwohner gern etwas aus den Augen verliert, so gehen die Arbeiten alles in allem doch erstaunlich schnell von statten. Vor ungefähr vier Jahren haben sie auf den unteren Etagen die ersten Komplexe der Universität gebaut. Angedacht als neue, ursprünglich reine Militärakademie für die See- und Luftfahrt, hat ShinRa doch zügig das Programm erweitert und unsereins einen festen Platz eingeräumt. Die alte Fakultät hat endlich die modernen Räumlich- und Möglichkeiten erhalten, die sie so dringend benötigt hat. Den Menschen von außerhalb, die noch nie im alten Junon waren und nur die Fischerdorfmärchen kennen, ist es immer schwer begreiflich zu machen, dass wir ortsansässigen Studenten tatsächlich eine Universität in der Stadt hatten. Mittlerweile ist sie, wie fast alles andere auch, dem neuen Stadtbild gewichen. Ich habe die ersten drei Semester noch auf der alten Uni verbracht. Eine grauenhafte Zeit, an die ich tunlichst vermeide zurückzudenken. Zum Glück kümmert sich jetzt der Konzern um diesen Schandfleck von Stadt und ich muss sagen, ich bin ehrlich beeindruckt. Das System, welches diesem Bollwerk zu Grunde liegt, ist innovativ und effektiv, vor allem gut strukturiert. Junon entwickelt sich zu einem florierenden Handels- und Militärstützpunkt. Ein Grund mehr diesen Ort alsbald zu verlassen. Meine Promotion würde ich nur sehr ungern hier verbringen. Das hat absolut nichts mit ShinRas Bemühungen zu tun, nein, der Konzern leistet hier durchaus hervorragende Arbeit, aber mir liegen Handel und auch das Militär so fern wie der seit diesem Jahr neu eingeführte Ethik-Kurs drei Räume neben unserem Labor. Ich frage mich bis heute, was sich das gemeine Ordinariat dabei gedacht hat. Ethik. So ein Unfug. Ich sehe mein Abbild sich in der verdunkelten Glastür des Eingangs am Nebengebäude spiegeln, als ich den Campus endlich erreiche. Gut, das Wort ist in diesem Fall etwas zu hoch gegriffen, denn einen ordinären Campus gibt es im neuen Junon nicht. Die Stadtetagen lassen nicht viel Raum für eine großangelegte Grünfläche, wie sie die alte Universität besaß. Es ist lediglich ein kleiner, betonierter und lieblos eingezäunter Vorplatz geblieben. Im Eingangsbereich hat sich ein Teil der Marine-Seniorklasse versammelt. Sie sind laut und unwahrscheinlich nervtötend und eilig versuche ich die Gruppe in Richtung der Laborräume zu umgehen. Wir ''Kittelträger'' sind für diese aufgeblasenen Egomanen immer ein gefundenes Fressen. Ganz normaler Uni-Alltag. Wenn ich nur daran denke, dass mein Vater mich gern in ihren Reihen gesehen hätte, wird mir schlecht. Für ihn kam es einer Generationenschande gleich, als ich mich für den Biochemie-Kurs eingeschrieben und im Gegenzug geweigert hatte, der Militärakademie beizutreten. Schließlich ist er selbst Teil des Marinecorps und verbringt, zum Glück, die meiste Zeit in einem U-Boot. Ich gebe ehrlich zu, dass ich es zeitweise bedauere, dass bei den Testmanövern für neue Torpedos und Unterwasserbomben nie sein Boot getroffen wurde. Nun, sei's drum. Ich lebe mit der Schande einen dummen Menschen als Vater, er damit, einen viel zu klugen Jungen zu haben. Die Laborräume sind, wie ich sie am liebsten vorfinde. Leer. Uns Senior-Studenten steht es frei, ob wir die letzten zwei Semester hier oder in anderen Einrichtungen arbeiten und da wir ein recht kleiner Kurs sind, habe ich das Privileg mir das Labor mit nur einem weiteren Kommilitonen teilen zu müssen, der um diese Zeit vermutlich noch nicht einmal den Campus betreten hat. Ich schlüpfe aus der kratzigen Wolljacke und tausche sie gegen den Kittel, der neben der Tür hängt. Neben den vielen Sachen, die uns die Universität tatsächlich zur Verfügung stellt, ist der Kittel doch mein Eigentum. Hart erarbeitet, hat er, für einen Studenten wie mich, wirklich ein kleines Vermögen gekostet, doch umso mehr weiß ich ihn zu schätzen. Es ist weißer als weiß. Wundervoll. Im Brutschrank warten schon meine Proben auf mich. Seit der letzten Dosis hat sich erstaunlich viel getan, doch das Ergebnis ist bei Weitem noch nicht zufriedenstellend. Ich kann es immernoch kaum glauben, dass der Professor und auch der Dekan unserer Abteilung mir tatsächlich erlaubt haben, meine Versuchsreihe mit Mako zu starten. Es ist schließlich ein noch immer großteils unerforschter Stoff, auch wenn ShinRas Koryphäen in den letzten Jahren viel Licht ins Dunkel bringen konnten. Auf jeden Fall ist es ein unbeschreiblich erhebendes Gefühl, dass mein Eifer hier so geschätzt wird und ich meine Examensvorbereitung auf diesem Wege treffen darf. Vielleicht, ja, vielleicht schaffe ich es meine Promotion bei ShinRa abzuschließen. --- As4 Das Knarren der Türklinke stört mich bei der Formelberechnung und unweigerlich schaue ich auf meine Armbanduhr. Es ist viel zu früh für meinen Laborkollegen, zumal er die ganzen letzten Wochen nicht hier erschienen ist, also blicke ich kurz auf. Hinter der milchigen Glasscheibe der Tür kann ich die Statur des Professors erkennen, als neben ihm eine weitere Person den Raum betritt. Sie ist schlank, trägt ein grellblaues Kleid unter dem Kittel und ist damit beschäftigt, ihr blondes Haar wieder in der Spange einzuklemmen. Ich setze mich ein Stück auf, als der Professor auf mich zukommt. ''Junichiro, du bist hier. Gut gut.'' Energisch verkrampft sich meine Hand um den dünnen Bleistift. Zum Glück habe ich eine Vorliebe für die harten Minen. Die brechen nicht so schnell. Ich versuche grob zu überschlagen, wie oft ich ihn gebeten habe mich nicht bei meinem Vornamen anzusprechen, aber scheinbar war all die Mühe vergebens. Er tut es wieder und wieder. ''Da Roni jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr in die Fakultät gekommen ist, habe ich seinen Platz weiter vergeben.'' Die junge Frau wirft mir eine kurze, unsichere Geste der Begrüßung zu, als der Professor auf sie zeigt. ''Lenna ist erst vor ein paar Tagen aus Icicle nach Junon gekommen, um ihr Studium hier zu beenden. Bitte mach sie doch mit den Räumlichkeiten vertraut.'' Damit wendet er sich auch schon wieder ab und lässt mich, nach kurzen Worten des Abschieds an die Neue gerichtet, mit ihr allein im Raum zurück. Sie zögert einen Moment, blickt sich unbeholfen um, ehe sie ein paar Schritte auf meinen Tisch zukommt. ''Junichiro, richtig? Ich bin Lenna.'' Das Knacken des dünnen Holzes wird von meiner fest verschlossenen Faust verschluckt, doch ich kann die kleinen Splitter sich deutlich in meine Handinnenfläche bohren spüren. Durchatmen. Sie kann nichts dafür. Sie ist dumm und unwissend und mit den Gepflogenheiten hier noch nicht vertraut. Mein Vorname ist tabu. Für alle. Selbst meiner Mutter habe ich ihn irgendwann abgewöhnt. Sie ist überhaupt Schuld an diesem... Unfall von Buchstaben. Sie und ihre kulturellen Ursprünge. Wenn mein Vater für eine Sache wirklich rigoros gesorgt hat, dann dafür, dass ich Wutai, diesen ganzen elendigen Kontinent und alles, was auf ihm kreucht und fleucht, nicht ausstehen kann. Ich würde fast schon sagen, meine Abneigung ist über die Jahre zu einem wohlgenährten, gesunden Hass herangewachsen. Und meine Mutter hatte keinen besseren Einfall, als mir den Namen ihres Urgroßvaters zu vermachen. Natürlich als Zeichen großer Ehrerweisung und diesem ganzen anderen spirituellen Mist. Allerdings verstehe ich auch bis heute nicht, wie mein Vater meine Mutter im Anbetracht der familiären Umstände überhaupt heiraten konnte. Es ist ein Paradoxon, aus dem ich bis heute nicht schlau geworden bin. Aber Zwischenmenschliches ist ohnehin nicht mein stärkstes Themengebiet. ''Hojo.'' Ich lege die zwei Stiftteile langsam auf das Heft, pule einige der Splitter aus der Haut und sehe ihr sanftes Lächeln langsam schwinden, als ich aufblicke und ihre mir zugestreckte Hand wissentlich ignoriere. ''Du... kannst mir den Raum hier etwas zeigen?'' Das genervte Schnauben kann ich nicht mehr unterdrücken und mit einem leichten Verdrehen der Augen strecke ich den Finger aus. ''Bücherregal. Arbeitstisch. Arbeitsmaterial.'' Sie folgt meiner knappen Geste, dann verharrt ihr zunehmend missgestimmter Blick wieder auf mir. ''Uhum... ja, danke.'' Und endlich, endlich verlässt sie die Ecke an meinem Tisch und geht in die andere Hälfte des Raumes. Ich konnte Roni am Anfang nur ertragen, weil er wirklich ruhig und gewissenhaft gearbeitet hat und wusste, dass ich, wenn ich im Labor bin, nicht auf lapidares Gefasel aus bin und ich hoffe inständig, dass es sich mit ihr genauso verhalten wird. ~*~ ''Kommst du mit in die Mensa?'' Sie fragt mich das jetzt schon seit Wochen und scheint die Tatsache, dass ich ihre Frage jedes Mal ignoriere, ebenfalls zu ignorieren. Warum auch sollte ich mit ihr in die Mensa gehen? Es ist um diese Zeit in der Halle viel zu voll, überfüllt mit Menschen, dementsprechend laut ist es ebenfalls. Außerdem habe ich die Mensa nach einigen Abklatschproben im vierten Semester nicht mehr betreten. Zumindest nicht, um dort tatsächlich etwas zu essen. Allein bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. ''Du weißt, ich werde dich wieder und wieder fragen. Heute Abend. Morgen Mittag. Morgen Abend. Übermor-'' ''Fein. Schön. Ich komme mit.'' Ich hasse mich bereits jetzt für diesen Ausrutscher. Sie lehnt mit einem leichten Lächeln im Türrahmen und flüstert so etwas wie ''Na geht doch.'', als ich meine Papiere zusammengelegt, das Notizbuch eingesteckt und zu ihr aufgeschlossen habe. Ich versuche ihren sonderbaren Blick zu deuten, als sie ihre Hand auch schon auf mein Gesicht zubewegt. ''Darf ich?'' Behutsam rückt sie meine Brille zurecht und lächelt erneut. ''Nein.'' Ihr leises Lachen knackt in meinen Ohren. Was nimmt sie sich überhaupt heraus? Sie hat meine Antwort ja nicht einmal abgewartet. Ich atme tief durch und bin tatsächlich erstaunt darüber, dass ich ihr dennoch weiter in die Mensa folge. Ihr Kittelschoß wippt im gleichmäßigen Takt ihrer Schritte hin und her und lenkt meinen Blick zu einer dünnen Laufmasche, die sich ihre rechte Wade hinaufzieht. Heute morgen war sie noch nicht da gewesen. Ihre Unterschenkel schließen zueinander auf und bleiben an der Tür stehen, als sie erneut auf mich wartet, weil ich ihr in einem guten Abstand von etwa fünf Schritten gefolgt bin. Es ist genau, wie ich befürchtet habe. Voll, laut und es stinkt nach einem undefinierbaren Fraß, den kein normal denkender Mensch freiwillig zu sich nehmen würde. Ich bereue es, meinen Kittel nicht im Labor gelassen zu haben. Bestimmt wird er die nächsten drei Tage diesen Gestank anhaften haben. Widerlich. Sie bleibt an einem der letzten freien Tische stehen. ''Hältst du die Stellung?'' Sie will sich doch nicht ernsthaft etwas... ''Sicher.'' Sie geht und ich kann das dezente Würgen gerade so unterdrücken. Ich lasse mich auf einen der vier Stühle sinken und ziehe mein Notizbuch hervor. Da war doch noch irgendwo die unvollendete Rechnung von gestern... ''Laborratte auf drei Uhr.'' ''Wusste gar nicht, dass die Auslauf bekommen.'' Ja. Sehr witzig. Und so erwachsen von zukünftigen SOLDAT-Anwärtern. Sowas soll später mal für die Allgemeinheit in den Krieg ziehen. Bedauernswert. Aber vermutlich ist Kanonenfutter das einzige, zu dem sie wirklich taugen. ''Und was haben wir hier?'' ''Hm, süße Testmaus. Scheinst dich im Tisch zu irren, oder?'' Die fünf aufgepumpten Seniors der Militärklassen rücken dem Tisch unangenehm nahe, als Lenna mit ihrem Tablett von der Ausgabe zurückkehrt. Unbeeindruckt stellt sie es ab und setzt sich mir gegenüber. Sie schaut kurz zur Seite, dann zu mir, lächelt leicht und wendet sich dann an die Gruppe. ''Nicht, dass ich wüsste. Nein.'' Will sie sich tatsächlich auf einen Schlagabtausch mit ihnen einlassen? Na wunderbar. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Die Milligrammangaben. ''Ach komm schon. Du willst doch nicht ernsthaft mit dem Freak da abhängen?'' Ich kann mich so nicht konzentrieren. Es sind nicht ihre Worte die mich stören, sondern allein ihre Anwesenheit. Ihre Lautstärke, ihr übler Geruch. Über den Rand meiner Brille hinweg sehe ich Lenna, wie sie sich kurz mit grübelnder Mine an das Kinn tippt. ''Doch, ich denke schon. Ja. Und ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mich jetzt in Ruhe essen lassen würdet.'' ''Komm Sabin, die Lady will essen.'' ''Wir haben uns nicht das letzte Mal gesehen, Mäuschen.'' Die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung. Ich gerate kurz in Versuchung unauffällig aufzuatmen, als sie doch noch einmal kurz stoppen. ''Und noch ein gut gemeinter Tipp, überdenk' mal deine Gesellschaft.'' Sein Augenzwinkern wird von einem schmierigen Schnalzen begleitet. Dann verschwinden sie endlich. Warum nochmal bin ich mit hierher gekommen? Ich müsste eigentlich dringend nach den Proben sehen, die- ''Mach dir nichts aus denen.'' Sehe ich etwa so aus, als würde ich mir irgendetwas aus ihren sinnfreien Bemerkungen machen? Ganz ehrlich: sie tun mir leid. Sie sind so dumm und unwissend und werden es vermutlich bis zu ihrem frühen Tod auch bleiben. Mir ist das nur absolut recht. Zurück zu der Dosis. ''Was ist eigentlich Inhalt deines Examens?'' Reicht es nicht, dass ich sie begleitet habe? Ich kann das genervte Schnauben nicht unterdrücken und will es auch gar nicht. ''Ich wüsste nicht, was dich das angeht.'' Sie lässt ihre Gabelspitzen kreischend über den Teller gleiten. Zu langsam, um wirklich nur versehentlich zu geschehen, oder bilde ich mir das ein? Dann lächelt sie mich wieder an. Immer wieder. ''Verstehe. Großes Geheimnis, was?'' Sie lacht leicht. Und ich bin, zugegebenermaßen, doch dezent irritiert. Was hat mich dazu bewogen mit ihr mitzugehen? Ich habe sie wochenlang erfolgreich weitestgehend ignoriert und jetzt sitze ich allein ihretwegen allen Ernstes in der Mensa? Dem von mir meist gemiedenen Ort in der ganzen Fakultät? Ihre grünen Augen mustern mich unentwegt und ich spüre den dünnen Schweißfilm auf meiner Handfläche, der die lackierte Oberfläche meines Stiftes rutschig werden lässt. ''Die Probe die du letztens bearbeitet hast, das war doch-'' Mir kommt das Knacken, mit dem die Spitze des Bleistifts abbricht, unwahrscheinlich laut vor und scheint alle anderen Geräusche im Raum für den Bruchteil einer Sekunde zu übertönen. Ich kann so nicht arbeiten. Warum musste sie hier noch in den letzten Monaten vor dem Examen auftauchen? ''Wohl bekommt's.'' Der Stuhl schrabbt unangenehm über den Plastikfußboden und ich kann diesen furchtbaren Ort und ihren bohrenden Blick gar nicht schnell genug hinter mir lassen. ~*~ ''Sieht gut aus.'' Ich kann deutlich spüren, wie mein Herz für einen Moment komplett aussetzt. Wann zum Teufel hat sie den Raum betreten? Und warum kann sie sich nicht anständig bemerkbar machen? Ich seufze tief auf, nehme langsam die Brille ab und reibe mir über die Augen. ''Unterlass das.'' Sie kommt um den Tisch herum und lehnt sich mit den Hüften gegen die Kante, verschränkt die Arme vor der Brust. ''Herausfinden was du hier treibst?'' ''Zu versuchen, mich noch vor Abschluss des Examens ins Grab zu bringen.'' Sie lacht leicht und stützt eine Hand auf der Tischplatte auf. ''Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so erschrecken.'' Doch, doch das wollte sie. Wozu lügen? ''Schön. Jetzt, wo wir das geklärt hätten, würdest du mich dann bitte in Ruhe lassen?'' ''Das ist Mako, oder?'' Habe ich irgendetwas gesagt? Sie ignoriert mich ständig. Oder zumindest das, was ich sage. Ich habe keine Ahnung warum, aber seitdem ich ihre ''Einladung'' in die Mensa angenommen habe, rückt sie mir stetig weiter auf die Pelle. Andauernd ist sie in meinem Umfeld. Und damit meine ich nicht ihre Hälfte des Raumes, sondern meine. ''Und wenn schon.'' Ich brauche Ruhe zum Arbeiten... Sonst habe ich die richtige Menge der Dosis bis zum Examen nicht raus. Behutsam lasse ich die Pipette zurück in das getönte Glas gleiten und stecke den Deckel der Petrischale wieder auf. ''Deine Arbeit interessiert mich wirklich, weißt du?'' Ich blinzle irritiert auf. Ist das da eine Hand? Auf meiner? Fasst sie mich etwa gerade an? Die Gefühle Abscheu und Erregung duellieren um den Rang meiner aktiven Empfindung. Ihre grünen Augen liegen leicht unter dem dichten Wimpernkranz verborgen, als sie sich zu mir beugt und die Ellbogen abstützt. ''Und du übrigens auch.'' ~*~ ''Hast du mein Notizbuch gesehen?'' Ich werde noch verrückt. Mein Arbeitsplatz sieht aus wie das reinste Chaos... das ist mir noch nie passiert. Nie! Zum gefühlt hundertsten Mal blättere ich sämtliche Ordner und Hefte durch, wühle durch die Ablagen und habe selbst die Schubladen auf dem Boden geleert. Es ist weg. ''Bitte? Das, was du immer mit dir rumschleppst?'' Lenna beugt sich von der Tischkante aus über mich und wirft ihren Schatten auf den Inhalt der, ich glaube, dritten Schublade. ''Ja... genau das.'' ''Hm, nicht, dass ich wüsste.'' Es kann doch nicht einfach weg sein! Die Arbeit von Monaten. All meine Berechnungen. Die Zwischenergebnisse. Es ist einer dieser wenigen Momente, in denen ich mich selbst dafür ohrfeigen könnte, dass ich keine Kopien angefertigt oder zumindest am Rechner gearbeitet habe. Ich hätte mir eine Sicherungsdatei und eine Diskette anlegen können. Ach was. Fünf. Zehn! So ein verdammter Mist! ''Mach dich nicht so verrückt. Es taucht bestimmt wieder auf.'' Ihre Finger legen sich sanft in meinen Nacken und streichen dann langsam den Zopf entlang, der mir über die Schulter gerutscht war. ''Ja, vermutlich hast du Recht.'' Der behutsame Kuss auf meinen Hals lässt mir einen Schauer den Rücken hinabwandern. Ich habe sie die letzten Tage überraschend nah an mich heran gelassen und ich bin ebenso verwundert darüber, dass es mich eigentlich gar nicht so sehr stört, wie ich angenommen habe. Ihre Hand strahlt eine angenehme Wärme aus und lässt meine Anspannung langsam weichen. ''Komm, ich helf' dir aufräumen.'' ~*~ Sie hatte Recht. Da liegt es. Direkt vor mir auf meinem Arbeitstisch, als wäre es nie weg gewesen. Entweder werde ich langsam verrückt, oder ich arbeite zu unkonzentriert. Was es auch letztendlich ist, es ist beides nicht gut. ''Oh, du hast es wiedergefunden?'' Lenna schlingt beide Arme um mich, als sie über meine Schulter auf den Tisch herab schaut. ''Ja.'' Unkonzentriert. Für's Verrückt werden bin ich schlicht zu intelligent. Sie lenkt mich viel zu sehr von der Arbeit ab. ''Und jetzt hab' ich zu tun und muss die vergangenen Tage aufholen.'' Es tut mir fast ein bisschen weh, sie von mir wegschieben zu müssen. Ich frage mich tatsächlich, wann das passiert ist. Stehe ich hier wirklich vor der ersten Frau, die offensichtlich ernsthaftes Interesse an mir und meiner Person hegt? Die Wärme in ihrem Blick spricht zumindest absolut dafür. Sie ist wirklich... ''Mach nicht zu viel, du weißt, dass wir heute Abend weg wollten.'' Ausgehen. Ja, tatsächlich. Habe ich ihr das wirklich versprochen? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, sie hat mich dazu gezwungen zuzusagen. Aber sei's drum. Ihr breites Lächeln ist für den Moment Entschädigung genug. ~*~ Es sind nur noch wenige Wochen, bis die Examenszeit startet und heute ist die erste Zwischenkontrolle der Versuchsergebnisse. Ich bin aus mir unerklärlichen Gründen latent aufgeregt. Der Verlust meines Hefts hat mich tatsächlich ein paar Tage zurückgeworfen und ich musste neue Zellen ansetzen. Die eigentlichen Petrischalen habe ich in der Zeit, in der mein Notizbuch verschwunden war, plötzlich geöffnet im Brutschrank aufgefunden. Bedauerlicherweise bin ich mir bis heute nicht sicher, ob ich sie den Abend zuvor geschlossen in den Schrank gestellt hatte, oder ob ich den Deckel tatsächlich vergessen haben sollte. Meiner Disziplin zum Trotz muss ich mir leider eingestehen, dass die zweite Option nicht völlig abwegig ist. Lenna hat mich ganz schön in Beschlag genommen... ''Ich bin so aufgeregt. Du auch?'' Sie lächelt mir zu und drückt fest meine Hand, als der Professor pünktlich die Tür öffnet und zusammen mit dem Dekan den Raum betritt. ''Ah, ihr Zwei. Bereit für den Zwischenbericht?'' Der Professor erwidert ihr Lächeln breit und fährt sich mit den Fingern über den gestutzten Vollbart. ''Wenn ich darf...'' Lenna lässt meine Hand los und lotst die beiden mit an ihren Arbeitstisch. Sie wechseln ein paar belanglose Worte und ich kehre an meinen eigenen zurück, um noch ein paar Berechnungen nachzuprüfen. Da fällt mir ein... Eigentlich weiß ich bis jetzt nicht, woran Lenna seit ihrer Ankunft hier gearbeitet hat. Aufmerksam lausche ich ihren Worten mit einem Ohr. ''...zweifacher Dosis sind anomale Mutationen zu beobachten. Die Zellwände sind dicker geworden und der Zellkern hat sich innerhalb der Membran gespalten.'' Mir kommt ungemein bekannt vor, wovon sie spricht. Ich lasse den Stift sinken und höre ihr zu. ''...was diese Aberration schließlich hervorgerufen hat. Es ist ausgesprochen idiosynkratisch. Wenn sie die Probe A mit der Probe B vergleichen, können sie erkennen, dass die Anomalie unterschiedlich ausfällt. Humane Zellen reagieren symbiotisch, animale Zellen hingegen rein arbiträr.'' Das kann doch nicht... Ich spüre, wie meine Augen beginnen zu brennen, weil ich nicht aufhören kann, sie fassungslos anzustarren. Deswegen war mein Notizbuch verschwunden. Und ich war dumm genug zu glauben, dass ich es nur verlegt hatte. Sie. Sie hat es genommen. Sie hat das alles geplant. Alles. Die verdorbenen Zellen, mein Notizbuch, die ganze Ablenkung. Ich kann nicht glauben, dass ich so blind auf sie hereingefallen bin. ''Elendige Heuchlerin.'' ''Bitte?'' Verwirrt unterbricht der Dekan das Gespräch mit ihr. ''Eines muss ich dir lassen. Du hast meinen Versuch in erstaunlich kurzer Zeit nachgearbeitet.'' Ihr immerwährendes, sanftes Lächeln, wird zu einer freudlosen, kalten Maske. ''Hojo, wovon sprechen Sie da?'' ''Ganz einfach.'' Ich stemme die Hände auf die Tischplatte und stoße mich schwungvoll von meinem Stuhl empor. ''Sie hat meine Arbeit geklaut. Sie hat eins zu eins meinen Versuchsaufbau übernommen.'' ''So ein Unsinn! Professor, das ist Unsinn.'' Natürlich wehrt sie sich. Diese falsche Schlange. Ihre Augen speien mir mit einem durchdringenden Blick ihr Gift entgegen. ''Moment. Sie wollen uns gerade weismachen, dass Lenna Ihre Arbeit gestohlen hat?'' ''Korrekt.'' ''Ich bitte dich. Welchen Grund sollte sie dazu haben?'' Und der Professor gibt ihr tatsächlich Rückhalt. Habe ich etwas verpasst? Er und der Dekan haben meine Arbeit doch schon von Beginn an mitverfolgt. ''Das wüsste ich allerdings selbst gern.'' ''Ich habe hier überhaupt nichts gestohlen! Hojo, was redest du da? Ist dir der Kaffee nicht bekommen?'' ''Der bekam mir bestens, danke. Aber deine ekelhafte Art stößt mir auf.'' ''Schluss jetzt! Halt. Wir klären das anständig. Nehmen Sie ihre Arbeitsunterlagen und folgen Sie mir beide ins Büro.'' ~*~ Ich verfluche den Tag, an dem diese Person... nein... dieses... dieses Subjekt diesen Raum betreten hat! Wie hat sie das angestellt? Wie?! Warum?! Weshalb hat der Dekan sich auf ihr Gefasel eingelassen und tatsächlich geglaubt, ich wäre hier der Täter? Ich! Die Laugen und Säuren brennen sich in meine von Papier und Scherben zerschnittenen Finger. Ich habe einen Ordner nach dem nächsten ausgeschlachtet und in so viele Fetzen gerissen, wie mir nur möglich war, all ihre Proben zerschmettert, ihren kompletten Platz zerstört. Doch es bringt mir nicht die gewünschte Befriedigung. Ich werde diesen Ärger, diese Wut einfach nicht los. Diese... Enttäuschung. Dem Dekan gegenüber, dem gesamten Lehrstuhl gegenüber, aber allem voran... ihr gegenüber. Sie hat mich eiskalt hintergangen. Wenn ich das nur geahnt hätte... Ich hätte meine Examensarbeit direkt an ihr durchführen sollen. Verdammt! Die Dämpfe der Chemikalien zerfressen meine Lunge und treiben mir die Tränen in die Augen. Wenn ich das doch alles nur geahnt hätte. ''Hojo?!'' ''Bei Minerva! Was haben Sie hier angerichtet?'' Natürlich sind sie gekommen. Ich war nicht besonders leise und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie hier endlich auftauchen würden. Die Schlange und ihr rettender Baum. ''Sie elendiger Dilettant! Raus hier, sofort!'' ''Meine Unterlagen... meine Arbeit... alles... wie konntest du nur?!'' Die Frage ist nicht 'wie konnte ich', sondern 'wie konnte sie'? Hm? Ich warte noch immer auf eine Stellungnahme ihrerseits. Vergebens. Und ihr gespieltes Entsetzen widert mich einfach nur an. ''Darf ich mir kurz die Hände-'' ''Raus hier!'' Der Dekan verlässt den Raum und wartet auf dem Flur darauf, dass ich ihm folge. Doch noch bevor ich die Tür erreiche, hält sie mich mit ihrer Schulter auf und flüstert mir mit süffisantem Unterton ins Ohr. Ich kann ihr kaltes Lächeln regelrecht auf meiner Wange spüren. ''Soll ich dir ein kleines Geheimnis verraten? In Icicle nannten mich alle nur noch As4.'' Ich verstehe schon. Sehr originelle Adaption des alten Klassikers. ''Fantastisch.'' --- C8H11NO2 Sie hat es wirklich geschafft, dass ich der Universität verwiesen wurde. Ich bin fassungslos. Immernoch. Das Ganze ist jetzt schon ein paar Wochen her und die Examen sind längst gestartet. Meine ganze Arbeit... für umsonst. Sie ist mir bis heute eine Antwort schuldig geblieben. Aber ich vermute fast, dass es keine rationale Erklärung dafür gibt. Sie ist ein boshaftes Biest. Das sollte eigentlich Erklärung genug sein. All die Jahre, all die harte Arbeit... wofür das alles? Für ein Paar verätzter Hände. Sie sehen entsetzlich aus. Es wird eine ganze Weile dauern, bis sich die Haut wieder einigermaßen regeneriert hat. Sei's drum. Ich schraube den Verschluss der Cremetube auf und salbe die geschundene Haut vorsichtig ein. Gute Pharmazeutik von ShinRa. ShinRa... Ob sich meine Pläne jetzt aufgelöst haben? Vielleicht findet ich ein unabhängiges Labor, dass meine Ausbildung zu Ende führen würde. Ha! Wenn das Ordinariat die letzten Vorfälle Wort für Wort in meiner Exmatrikulation vermerkt, dann wird mich niemand einstellen. Es wäre auch alles zu schön gewesen. Karriere bei ShinRa. Nur ein Traum. Das Klopfen an der Tür ist laut und durchdringend. ''Jun. Besuch.'' Mein Vater. Hat er eben tatsächlich mit mir gesprochen? Ich fühle mich geehrt. Nur träge erhebe ich mich von meinem Bett. Ich wüsste nicht, wer mich besuchen kommen sollte. Vielleicht der Dekan. Meine in der Fakultät verbliebenen Sachen vorbei bringen. Und ja, tatsächlich steht ausgerechnet er in der kleinen Küche und ist dabei einen Aktenkarton auf dem Tisch abzustellen. Doch er ist nicht allein. Ich halluziniere bestimmt. Vielleicht haben die Dämpfe meine Gehirnzellen nachhaltig geschädigt. Meine Augen müssen mir einen ganz bösen Streich spielen. Die Brille, der markante Schnauzer. Das kann nicht... ''Sie hatten noch ein paar Sachen im Arbeitsraum. Ich habe sie Ihnen mitgebracht. Und... ich denke, sie kennen Professor Faremis Gast? Er möchte gern mit Ihnen sprechen.'' Nun, kennen ist vielleicht etwas zu hochgegriffen, aber jeder aus der Fakultät weiß, wer er ist. ''Mit mir?'' Ich bin so überrascht, dass ich kaum ein Wort hervorbringen kann. Was will er hier? Mich lächerlich machen? Mich tadeln? Mir persönlich und rückwirkend meinen Studentenstatus entziehen? Ich habe nicht den blassesten Schimmer. ''Junichiro Hojo? Angenehm. Ich habe viel von Ihnen gehört. Ihr begleitender Professor und ich sind befreundet, wissen Sie?'' ''Setzen Sie sich doch.'' Meine Mutter räumt den Karton vom Tisch und streicht die furchtbar bestickte Decke glatt. Ihr Geschmack ist wirklich grauenhaft. ''Gern, vielen Dank.'' Der Dekan und Gast nehmen Platz und er streicht sich mit Daumen und Zeigefinger über den üppigen Schnurrbart. ''Natürlich habe ich auch von dem Vorfall gehört. Eine sehr unangenehme Sache.'' ''Und... was möchten Sie jetzt von mir?'' Ich nehme auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz, richte einen knappen Blick auf den Dekan, doch ich werde weder aus seinem, noch aus Gasts Gesicht wirklich schlau. ''Ich möchte Ihnen gern ein Angebot unterbreiten und die Möglichkeit geben, Examen und den Einstieg in die Promotion nachzuholen.'' Wenn ich nicht schon gesessen hätte, dann hätte ich es spätestens jetzt. Vermutlich direkt auf dem Boden. ''Wie? Aber... der Lehrstuhl wird Ihnen doch sicher berichtet haben, was genau passiert ist. Weshalb kommen Sie dann zu mir und gehen nicht zu Lenna?'' Gast schmunzelt. Ich kann die Enden seines Schnäuzers sehen, wie sie sich freudig kräuseln. ''Sicher habe ich mit ihr gesprochen. Und es war nicht all zu schwer herauszufinden, wer hier wen manipuliert hat. Spätestens als ich tiefergehende Fragen über die Testmaterie gestellt habe, musste sie passen. Ich denke, das wird bei Ihnen nicht der Fall sein.'' Er hat wirklich mit ihr gesprochen? Ich bin zugegebenermaßen positiv überrascht. ''Es tut mir aufrichtig leid, was geschehen ist und wie leichtfertig das Ordinariat hier gehandelt und entschieden hat. Wir würden die Exmatrikulation gern aufheben.'' Der Dekan zeigt echtes Bedauern. Ich bin gerührt. Obwohl, nein. Eigentlich nicht. ''Lassen Sie gut sein. Ich würde Sie, Hojo, gern noch heute mit nach Midgar nehmen. Sind sie abreisebereit?'' Habe ich da wirklich gehört, was ich gehört habe? Professor Gast, der Professor Gast, gibt mir die Möglichkeit nach Midgar... ''Sie meinen, zu ShinRa?'' Er nickt nur lächelnd. Und ich kann kaum fassen, was hier gerade geschieht. ''Ja. Das bin ich.'' ~*~ Kapitel 2: Now you'r just somebody that i used to know ------------------------------------------------------ Edge, 2002 Mein PHS klingelt schon zum dritten Mal heute. Es ist nur ein einfaches Klingeln, besser gesagt ein kurzes, leises 'Pling' und um noch genauer zu sein, ein ganz besonderes 'Pling' zwischen all den anderen Mitteilungstönen, aber ich ignoriere es geflissentlich. Ich weiß, dass es nicht das letzte sein wird und ich habe mir angewöhnt, erst nach jedem fünften zu antworten, sonst komme ich tagsüber gar nicht mehr zum arbeiten. ''Es ist wieder er, oder?'' Ihre sanfte Stimme lässt mich kurz von meinem Wischlappen und der spiegelglatten Theke aufschauen, ehe mein Blick mit einem freudigen, warmen Lächeln kollidiert. Ich lächle zurück und wechsle das weiche Tuch in die andere Hand, um die Politur in weiten, meditativen Kreisen einzuarbeiten und das dunkle Holz wieder zum Glänzen zu bringen. ''Ja, natürlich. Wer sonst?'' Mit einem Seitenblick streife ich mein PHS und sehe den kleinen orangefarbenen Punkt an der linken, oberen Ecke aufleuchten. Definitiv er. Aber da es erst die dritte Nachricht ist, ist das noch kein Grund nachzuschauen. Später dann. ''Und du willst nicht lesen was er dir schreibt?'' ''Das Gewäsch kann sie getrost löschen. Gib her. Ich les's für dich.'' Die große Hand greift zielstrebig über die Theke, doch mit einem treffsicheren Schlag des nassen Lappens halte ich ihn davon ab nach meinem PHS zu greifen. ''Lass das mal schön meine Sorge sein.'' Ich zwinker ihm zu, als er sich gespielt über den Handrücken reibt und sich zurück auf den knarrenden Barhocker sinken lässt. ''Also wirklich! Gewäsch...'' Sie lacht herzlich auf. ''Du könntest dir an ihm mal noch ein gutes Beispiel nehmen. Eine Frau an deiner Seite würde dir gut tun.'' Ich greife wieder nach der Flasche mit der Politur und ein angenehmer Duft von Öl und einem Hauch Orange erfüllt den Raum, als sich die dünne Pfütze auf dem blanken Holz langsam kriechend ausbreitet. Mit einem breiten Lächeln schüttle ich den Kopf und fahre mit dem Einarbeiten des Pflegemittels fort. Tage wie diese sind mittlerweile zu einer kleinen, liebgewonnen Tradition geworden. Immer wenn Barret zurückkehrt oder Edge wieder verlässt, trifft er sich mit Elmyra zusammen hier bei mir. Sie hat sich bereit erklärt in regelmäßigen Abständen die Kinder zu sich zu nehmen, wenn er unterwegs ist und auch ich nicht viel Zeit für die beiden erübrigen kann. Marlene und Denzel verbringen zum Glück gern die Tage bei ihr in Kalm. Elmyra hat einfach ein ausgesprochen sensibles, liebevolles Händchen für Kinder. Sie kümmert sich gut um sie. ''Ein Beispiel? Dass ich nicht lache.'' Barret verschränkt in gespielter Misslaune die Arme vor der Brust und verzieht kurz das Gesicht. ''Ich soll mir ein Beispiel an so einem weichgespülten Trottel nehmen... meine Gute, da kannst du bis zum zweiten Meteorfall drauf warten.'' Er nimmt einen kräftigen Zug aus seinem Glas und stellt es, mir zuliebe, wieder fein säuberlich auf den Untersetzer zurück. Schließlich weiß er genau wie viel mir die saubere, mackenfreie Theke bedeutet. Sie ist immerhin mein Aushängeschild. Eine gute Bar muss eine gepflegte Theke haben, denn hier läuft das meiste, das beste Geschäft ab. Alles andere wäre ein Schritt Richtung 'billige Kaschemme' und das ist wirklich das Letzte, womit sich eine Lockhart identifizieren würde. ''Ich weiß nicht, was du an dem überhaupt findest. Ist absolut nichts für dich.'' Ich senke den Kopf und konzentriere mich weiter auf meine Arbeit, um meinen resignierten Blick vor ihm zu verstecken. Bedauerlicherweise hat er irgendwo Recht und eigentlich weiß ich es auch nicht. Als mein PHS zum vierten Mal dieses ganz besondere 'Pling' macht, kann ich das leicht genervte Seufzen nicht mehr unterdrücken. Es ist Mittag, deswegen schreibt er auch wieder. Pausenzeit. Im Prinzip freue ich mich ja über seine Nachrichten, aber er übertreibt es gern. Oft. Und das, obwohl ich ihm nur sporadisch antworte. ''Jetzt ist aber mal gut. Jedes Mal dieselbe Leier.'' Sie zwickt dem Hünen schelmisch in die Seite. ''Kunsel ist ein wundervoller Mann und Tifa hätte es kaum besser treffen können.'' Hier muss ich aber auch Elmyra ihren Punkt eingestehen. Von seinem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis einmal abgesehen, ist er wirklich ein bodenständiger Kerl. Ein gutes Pendant zu mir, wenn ich mich wieder einmal in ungeahnten Gefühlsausbrüchen verliere. Es macht das fünfte Mal 'Pling'. ''Jetzt musst du aber antworten. Es ist immerhin schon die fünfte Nachricht.'' Elmyra lächelt mich breit an und verschränkt die schmalen Hände unter dem Kinn. ''Und lies es vor. Ich mag's, wenn er dir so süße Komplimente macht.'' Ich erwidere ihr Lächeln, lege den Lappen beiseite und wische mir die Hände an der kurzen Schürze trocken, ehe ich nach dem PHS greife. 'Kling' Ich zögere. Das war kein 'Pling'. Das war weder sein, noch der Ton einer der anderen. Das war... ich starre ungläubig auf das blau blinkende Lämpchen in der oberen, linken Ecke. ''Was ist?'' Ich habe das wirklich gehört, oder? Noch einmal ein Blick auf das Licht. Blau. Nicht orange, nicht gelb oder rot oder grün. Nein, Blau. Ich spüre, wie sich ein fester, dicker Klumpen in meinem Hals bildet, als sich die Erkenntnis langsam in meinem Kopf zu einem vollständigen Gedanken formt und ich genug Mut gesammelt habe, um das PHS aufzuklappen und auf das Display zu schauen. [Inbox: 6 neue Nachrichten] Fünf davon sind von ihm. Ich weiß es, ich habe es 'Pling' machen hören und das orangefarbene Licht gesehen. Die sechste Nachricht, die mit dem 'Kling' und dem blauen Licht... sie ist von dir. [13:09 - Können wir uns treffen?] Es sind nicht mehr als vier kleine Worte und doch reichen sie aus, um mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Meine Hand tastet Halt suchend nach der Kante der frisch polierten Holzplatte und krallt sich energisch hinein, als sie sie findet. ''Tifa?'' Elmyras Stimme klingt ein leicht besorgter Unterton mit, als sich ihre Hand vorsichtig und beschwichtigend nach meiner ausstreckt und sie sanft meine Finger umfasst. ''Hm?'' Ihre Berührung weckt mich aus meinem kurzzeitigen Gedankenkoma und allmählich kann ich auch meinen ungläubigen Blick vom mittlerweile schwarz gewordenen Display losreißen. Barrets dunkle, wachsame Augen begegnen mir skeptisch. Sie wären noch dunkler, wenn er wüsste, dass du mir geschrieben hast. ~*~ Seit du weggegangen bist, habe ich nichts mehr von dir gehört. Und das war auch immer gut so. Das war ok für mich. Ich habe mit der Zeit gelernt, das zu akzeptieren und damit umzugehen. Doch jetzt reißt du mich so brutal aus meinem mühevoll einstudierten Alltag. [13:09 - Können wir uns treffen?] Mit einem schweren Seufzen klappe ich das PHS wieder zu und lasse es in meine Westentasche gleiten. Ich sollte die Nachricht einfach löschen. Ich hätte sie schon längst löschen sollen. Die Nachricht, deine Nummer, dich. Damit wäre allen geholfen. Allem voran mir. Ja. Doch das leise Klicken des Türschlosses lenkt mich von diesem Gedanken ab. Schwere Schritte bewegen sich zielstrebig über den Flur in Richtung der kleinen Küche und kommen direkt hinter mir zum Stehen. ''Hallo Liebes.'' Er haucht mir einen zarten Kuss in den Nacken, ehe er mir die Hände auf die Schultern legt und mir einen weiteren Kuss auf die Wange drückt. Ein Lächeln huscht mir über die Lippen. Es ist immer wieder ein Genuss, wenn er sich mir so zärtlich nähert und ich kann nicht anders, als mich zurückfallen zu lassen und in seine Hände zu schmiegen. Wir haben uns zufällig kennengelernt. Hier, im siebten Himmel. Er kam, wie er erzählte, nach Schichtende hier her, da er die ehemals berühmteste Bar der Midgar Slums und nun vom Nordviertel Edges, kennenlernen wollte. Weißt du, SOLDAT ist mittlerweile die gehobene Exekutive der Schutz- und Sicherheitsabteilung von ShinRa. Quasi die höhergestellte Position über den Schutzstaffeln der WRO und nicht mehr dieser kranke Haufen elitärer Superkrieger... Aber das sind Nebensächlichkeiten. Kunsel ist ein liebevoller, aufmerksamer Mann und schenkt mir so viel Zärtlichkeit und Zuneigung, dass ich fast daran zu ersticken drohe. Und es gibt da noch einen Punkt der absolut für ihn spricht. Im Gegensatz zu dir hat er mich nie belogen. Im Gegensatz zu dir ist er First Class SOLDAT. Ich denke, du weißt spätestens jetzt worauf ich hinaus will. Richtig? Er hat mir Dinge über dich erzählt, die du mir, die du uns allen vermutlich auf ewig verschwiegen hättest. Er hat mir viel von Zack erzählt, einem Freund. Ein mir, wenn auch nur flüchtig bekannter Name. Er hat mir erzählt, dass Zack und, wie nannte er ihn noch, der General, immer deine Idole waren. Die Idole, eines einfachen Infanteristen. Er hat mir erzählt, dass du einige Jahre nach Ende des Vorfalls in Nibelheim... ...in Midgar aufgetaucht bist --ich weiß, ich erinnere mich, wie ich dich in deinem desolaten Zustand am Bahnhof in Sektor 7 gefunden habe--, aber nie selbst wieder bei ShinRa warst. Schließlich warst du für den Konzern offiziell tot. Du bist damals in Nibelheim gewesen. Richtig? Verdammt. Du bist dagewesen! Deine halbe Vergangenheit... sie ist nichts weiter als eine Lüge. Eine große, schmutzige Lüge. Eine Lüge, die du mir, die du uns allen mit extra viel Zuckerbrot schamlos aufgetischt hast. Und nie hast du es auch nur eine Sekunde in Erwähnung gezogen uns, oder zumindest mich davon in Kenntnis zu setzen. Ich habe immer gedacht wir wären Freunde. Enge Freunde. Vielleicht mehr. Doch du hast all das kaputt gemacht. Kaputt gemacht, als du gegangen bist. Als du uns den Rücken gekehrt hast. Als deine Lügen sich nach all der Zeit von selbst an die Oberfläche gekämpft und mir die Wahrheit erzählt haben. Du hast alles kaputt gemacht. Du hast... Du... Ich zerre ihn am Kragen dichter an mich und uns enger an die Wand und rette mich aus den elendigen Gedanken in einen innigen Kuss. Seine Lippen schmecken süß und liebkosen zärtlich meinen Hals, als er seine Hände von mir löst, die Ledergurte von seinen Schultern streift und den Saum seines schwarzen Pullunders unter dem breiten Gürtel hervorzieht. Ich seufze verhalten, schlinge schnell die Arme um seine Schultern und ziehe ihn zu einem weiteren Kuss wieder an mich. ''Bitte...'' Noch ein Kuss. ''Behalt' sie noch für einen Moment an.'' Noch ein Kuss und ich kann sein Grinsen auf meinen Lippen spüren. ''Zu Befehl, Ma'am!'' Er packt mich und trägt mich die letzten Schritte auf seinen starken Armen zum Schlafzimmer, ehe er uns beide lachend auf das Bett fallen lässt. Ich kralle mich in den festen, groben Stoff über seinen Schultern und ziehe ihn wieder an mich. Ich weiß, dass es albern, leichtsinnig und unverschämt ist, doch ich kann gerade einfach nicht anders. Du hast das alles wieder in mir hochgebracht, hast den trockenen Satz am Boden der leeren Tasse, die du an jenem Tag auf dem Tisch hast stehen lassen, wieder aufgewirbelt. Und jetzt... Es ist die Uniform, die damit verbundene Erinnerung. Die Erinnerung an dich. An all das, was ich immer haben wollte, doch niemals bekommen durfte. Und wenn ich die Augen schließe, meine Hände über das typische Ripsmuster des Pullunders streifen lasse, meine Fingerspitzen in dem kurzen Haar versenke... nur für einen Moment... Ich ersticke das aufkommende, weinerliche Jammern in dem ich mich fest in seinen Kuss dränge. Er ist ein so guter Mann und hat es wirklich nicht verdient, dass ich mich so egoistisch meinen Erinnerungen hingebe. Doch ich kann es nicht ändern. Ich brauche das. Hier. Jetzt. Denn schlussendlich sind es nichts weiter als ebendiese. Verblassende Trugbilder von dem, was du für mich einmal gewesen bist. Und im Gegensatz zu dir ist er da. Ist hier bei mir. Jeden Tag. Immer wenn ich ihn brauche. Im Gegensatz du deinen sind seine Hände, die mich halten, die mich stützen, die mich wissentlich liebend berühren, real. Und ich weiß, dass er mich, im Gegensatz zu dir, niemals verlassen wird. Nicht so, wie du mich verlassen, zurückgelassen hast. Allein. Aber er kam und hat mich wieder aufgehoben, hat mich gehalten, mich gestützt und wieder aufgestellt. Ich greife nach meinem PHS und dimme das Licht des kleinen Displays, als es mir im Dunkeln mahnend entgegenstrahlt. Sein nackter, schlafender Körper liegt dicht an meinen gedrängt und seine ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge bringen auch mich wieder ins Gleichgewicht, nach dem du mich aus dem Schlaf gerissen hast. Es ist nicht viel, ein paar kleine Klicks und ich bin, wo ich sein wollte. Ich schmiege den Kopf an die Schulter, die hinter mir liegt. Er ist ein Kompromiss, wenn auch ein wundervoller, doch das weiß er nicht. Und er braucht es auch nicht zu wissen. Doch du... Du sollst wissen, dass du keine Option mehr bist. [Möchten Sie den Kontakt wirklich löschen?] [Ja] ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)