Lost in Translation von Mieziliger ================================================================================ Kapitel 1: Lost in Translation ------------------------------ Man konnte nicht behaupten, dass Viktor und Yurio, abgesehen von Eiskunstlauf und Heimatland, viel gemeinsam hatten. Der eine eleganter Frauenheld - der andere rotzfrecher Punk. Nur in einem waren sie sich ähnlich: Sie telefonierten laut. Yuri war schon mehrmals kurz davor gewesen, vorzuschlagen, dass die beiden doch einfach das Fenster öffnen und ihre Antworten hinaus schreien sollten – man würde sie definitiv bis Russland hören. Natürlich hatte Yuri es nie getan. Er war schließlich höflich. Und zurückhaltend. Und Viktor hatte auf das mehrmalige Klopfen an seiner Tür nicht reagiert, weil er damit beschäftigt war, ganz Sankt Petersburg zu unterhalten. Yuri seufzte und zog sich die Decke über den Kopf. Im Zimmer links von ihm brüllte Yurio gerade eine lustige Begebenheit in den Telefonhörer, während im Zimmer rechts von ihm Viktor in überschwänglicher Lautstärke von Ramen, Katsudon und Sake schwärmte. Trotz seiner Müdigkeit musste Yuri grinsen. Es erfüllte ihn mit seltsamen Stolz, wenn er hörte, wie begeistert Viktor von Japan war. Seinem Japan. Yuri tauchte unter der Bettdecke auf und lauschte in die Dunkelheit. Er mochte es, wenn Viktor und Yurio russisch sprachen. Sie taten es selten, meist nur, wenn sie zu zweit waren, oder das Gefühl hatten, nicht im Fokus der Umstehenden zu sein. Yuris Grinsen nahm einen Hauch von Schuldbewusstsein an. Keiner der beiden wusste, dass Yuri sie verstand. Oh ja. In seinem jugendlichen Wahn hatte er einmal begonnen russisch zu lernen. Viktor war sein großes Vorbild und Viktor war nun einmal Russe. Also war automatisch alles, was mit Russland zu tun hatte, für Yuri phänomenal und anbetungswürdig. Dennoch war es erst die Ankunft einer kleinen Gruppe europäischer Austauschschüler in seiner Schule gewesen, die den Stein ins Rollen brachte. Einer der Schüler hatte russische Wurzeln gehabt und natürlich war Yuri mit ihm ins Gespräch gekommen. Irgendwann hatte der Schüler schließlich eingewilligt, Yuri ein paar Grundlagen der Sprache beizubringen. Seitdem lernte Yuri den Rest im Selbststudium. Mit Hilfe von Internet, Bücher, Sprachforen - wann immer er etwas Zeit aufbringen konnte. „Nee, das Essen ist kacke…. Naja du kennst Viktor. Der ist glücklich. Ja…. Nein… Was soll das heißen? Natürlich gebe ich nicht mein ganzes Geld für Klamotten aus, was glaubst du denn, wer ich… Hmpf. Ein T-Shirt…. Nein… Ach halt’s Maul… Da war ein Tiger drauf, Mann! Das musste ich kaufen, du Vollidiot!“ Yuri lachte in sein Kopfkissen hinein, als Yurios Stimme klar und deutlich durch die dünnen Wände drang. Er hatte es den Beiden schon längst sagen wollen, schon allein um Viktor mit seinen Sprachkenntnissen zu beeindrucken, aber er brachte es nicht über sich. Das letzte Mal, beim Grand Prix um genau zu sein, hatte er den Fehler gemacht, gegenüber einem russischen Taxifahrer zu erwähnen, dass er Russisch verstünde, nur um sich dann mit „Hallo, ich bin Universität und bin 23 Uhr alt.“ vorzustellen. Schon der Gedanke an diese peinliche Situation ließ Yuris Vorsatz jedes Mal aufs Neue schmelzen. Zuhören – ja. Sprechen – nur über seine Leiche. Vielleicht war es unfair Viktor und Yurio gegenüber, die sich in ihrer Muttersprache sicher und zwanglos fühlten, aber so richtig schwer wog Yuris schlechtes Gewissen nicht. Er lauschte schließlich nie absichtlich. Es kam vor, dass er hin und wieder ein paar Fetzen der Unterhaltung aufschnappte, aber die beiden sprachen nie über wirklich wichtige Dinge. Und sobald sie merkten, dass Yuri in der Nähe war, wechselten sie ohnehin wieder ins Englische. Yuri gähnte. Das schlechte Gewissen war definitiv nicht ausgeprägt genug, um ihn vom Schlafen abzuhalten. Er zog sich die Decke wieder über den Kopf, gähnte erneut und blendete die lautstark geführten Telefonate einfach aus. ~oOo~ „Gut. Yurio, kurze Pause. Yuri, übe die Schrittkombination noch einmal, die sitzt noch nicht.“ Yuri fügte sich der Anweisung seines Trainers. Die Schrittfolge war tatsächlich die komplizierteste, die er je in einer Kür aufführen musste. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Yurio sich erschöpft neben Viktor an die Bande lehnte und  kurz die Augen schloss. „Na na, Yuratchka, so müde?“ Viktors Stimme schien dunkler zu werden, sobald er russisch sprach. Yurio knurrte. „Das wundert dich? Wer hat mir denn mitten in der Nacht noch dumme Fotos von Georgi geschickt?“ „Ich konnte ja nicht wissen, dass du dein Handy nicht lautlos hattest. Aber du musst zugeben, die Bilder sind zum Schreien komisch. Ich frage mich, wann und wo Mila die aufgenommen hat.“ Viktor lachte leise und Yuri kam mit seiner Schrittfolge durcheinander. Viktors Lachen riss ihn jedes Mal aus seiner Konzentration. Hastig versuchte Yuri den Fehler zu kaschieren. „Pff.“ Yurio machte eine abweisende Handbewegung. „Du kennst doch Georgi. Eine Flasche Wodka und der Kerl steht im Bademantel auf dem Balkon und tanzt den Kasatschok.“ „Das sah mir gestern eher nach zwei Flaschen aus.“ Viktor grinste und wechselte ins Englische. „Yuri, streck dein Bein mehr durch. Du siehst aus wie ein überfahrenes Reh.“ Yuri ächzte, achtete aber brav darauf, das Bein gestreckter zu halten. Er ging die Schrittkombination noch einmal in Gedanken durch, während er weite Bögen auf dem Eis zog. Viktor und Yurio waren wieder im Gespräch miteinander, aber Yuri war zu weit entfernt um etwas zu hören. Er konzentrierte sich auf seine Schritte. Links, Rechts, Außenkufe, Übersetzen, gleich kam die Drehung… „Du brauchst gar nicht so lachen, Viktor. Wer war es denn, der nach seinem Grand Prix Gewinn in einem Häschen-Tanga über den Hotelflur gerannt ist?“ Yuri stolperte über seine eigenen Füße. Er fing sich im letzten Moment und beeilte sich damit, irgendwelche beliebigen Schritte zu machen, nur um in Bewegung zu bleiben. Er konnte Viktors Blick fühlen, der sich ihm in den Rücken brannte. Noch schlimmer war jedoch das Bild, das er vor Augen hatte. Viktor. Der großartige, gutaussehende Viktor. In einem Hotelflur. Im Hasen-Tanga. „Was machst du denn da, Yuri?“ rief Viktor zu ihm hinüber und Yuri winkte ihm hastig zu. „Gar nichts, gar nichts! Hatte die Schritte verwechselt.“ Ein albernes Lachen kroch seine Kehle hinauf und Yuri schluckte es mühsam hinunter. Bloß nichts anmerken lassen. Einfach so tun, als sei nichts gewesen. Es dauerte diesmal eine Weile, bis Viktor sich wieder in sein Gespräch vertiefte. „Das war eine Wette und Wettschulden sind nun mal  Ehrenschulden.“ „Wettschulden. Am Arsch. Du warst einfach nur mal wieder besoffen, gibs doch zu.“ Viktor lachte. Yuri stolperte. Yurio schnaubte. „Wird man automatisch so peinlich, wenn man ein alter Knacker wird?“ „Was sind wir heute wieder höflich.“ In Viktors Stimme schwang plötzlich eine gefährliche Fröhlichkeit mit. Yuri spähte über seine Schulter zurück und sah, wie sein Coach auf seinem Handy herumtippte. „Erinnerst du dich noch daran, als du Yakov mal wieder so zur Weißglut getrieben hast, dass er dich zur Strafe dazu zwang, das nächste Training in einem Frauenkostüm zu absolvieren? Rosa, fluffig, niedlich…“ Viktor wedelte mit dem Handy. „Da gibt’s Fotos von, Yuratchka. Und rate doch mal, wer die auf seinem Handy hat.“ Yuris unterdrücktes Prusten ging unter in Yurios Fluchtirade. Erleichtert darüber, biss Yuri sich auf die Lippe, um ein weiteres Lachen zu unterdrücken, stieß seine Kufe ins Eis und beschleunigte. Als er sich umwandte, fing er Viktors Blick auf. Yuri schluckte und beeilte sich eine besonders gute Schrittkombination zu zeigen. Etwas in Viktors Blick machte ihn nervös. Etwas Fragendes, Lauerndes. Yuri war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sein Coach das erstickte Lachen tatsächlich nicht gehört hatte. „So, Pause beendet, Yurio. Wer so viel Energie für Beleidigungen aufbringen kann, kann eine Kür zweimal hintereinander ohne Pause laufen.“ Er sprach Englisch. Aus irgendeinem Grund fühlte Yuri sich erleichtert. Wenn Viktor tatsächlich gemerkt hätte, dass Yuri jedes Wort verstand, dann hätte er doch sicher einfach auf Russisch weitergesprochen. Oder?   ~oOo~   Yuri versank tief in dem heißen Wasser des Onsen. Er war zufrieden mit seiner Leistung, die sich zum Ende des Tages hin wieder richtig gesteigert hatte. Er hatte die Schrittkombination endlich im Griff. Dennoch war er unruhig. Er wusste, dass er den Moment verpasst hatte, an dem er Viktor und Yurio von seinen Sprachenkenntnissen erzählen hätte können. Wenn er es jetzt tat, würde er sich dem Vorwurf stellen müssen, die beiden aktiv belauscht zu haben. Vor allem Yurio wäre sicherlich nicht begeistert darüber, zu erfahren, dass Yuri von seiner Schmach im rosa Mädchenkostüm wusste. Yuri kicherte, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Das Brennen seiner Muskeln wich angenehmer Entspannung. Seine Gedanken drifteten und wenig später war er in einen leichten Halbschlaf versunken. „Wie kann der hier pennen?“ „Lass ihn.“ „Liegt hier rum wie’n Schnitzel, nur wegen ein bisschen Training.“ „Du siehst nicht unbedingt fitter aus, Yurio.“ Wann waren Viktor und Yurio ins Onsen gekommen? Yuri wollte sich aufrichten, aber sein Körper gehorchte ihm noch nicht. „Er trainiert wirklich hart.“ In Viktors Stimme schwang ein sanftes Lächeln mit. In Yurios Stimme beißender Spott. „Ja. Wenn er so weitermacht, bekommt er bald die Goldmedaille im Katsudon Wettessen.“ „Das ist nicht fair, Yuratchka. Er hat wirklich stark abgenommen. Zugegeben, hier und da ist noch ein Speckröllchen zu viel, aber es wird.“ „Als ob ich da hinschaue. Interessiert mich’n Scheiß.“ „Vor allem die Taille ist wieder so schlank, wie sie sein sollte.“ „Ich KOTZ gleich, Viktor!“ „Und der Hintern ist perfekt.“ Die Müdigkeit war in Sekunden verschwunden. Yuri fuhr so schnell hoch, dass das Wasser in alle Richtungen spritzte. Ihm wurde sofort schwindelig, aber er kämpfte es erfolgreich nieder. Viktor und Yurio saßen ihm gegenüber – genaugenommen, Viktor saß. Yurio hing wie ein nasses Handtuch am Rand des Onsen. Und beide starrten ihn entgeistert an. Ganz ruhig, Yuri. Du hast nichts gehört, du hast nichts verstanden. Die zwei haben russisch gesprochen. Nichts anmerken lassen. Wie ein Mantra wiederholte Yuri die Worte in seinen Gedanken, während er versuchte, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Die Tatsache, dass Viktor langsam näher rutschte, machte dieses Vorhaben nicht einfacher. „Ist alles in Ordnung, Yuri?“ Viktor versuchte, nach seiner Hand zu greifen, doch Yuri rettete sich, indem er aufstand. „Alles in Ordnung!“ Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren schrill. „Ich bin nur eingeschlafen und…. und habe wohl etwas Seltsames geträumt.“ Er sah, dass Viktor antworten wollte und unterbrach ihn hastig. „Ich äh… gehe besser. Ich war schon zu lang im Bad, nicht, dass mir noch schwindelig wird.“ Eilig fuhr er herum und watete durchs Wasser. Er war noch nicht ganz im Haus verschwunden, da hörte er, wie Yurio ein leises „Mein Hintern ist besser“ vor sich hin maulte und Viktor herzlich zu lachen begann. Noch nie im Leben hatte Yuri sich schneller in ein Handtuch gewickelt als heute.   ~oOo~ Es herrschte Schweigen im Zimmer. Kein unangenehmes, erdrückendes Schweigen. Eher ein Schweigen, das zwischen Freunden einkehrt, wenn es einfach mal keiner Worte bedarf. Es war für Yuri fast seltsam, dass zwischen ihm, Viktor und Yurio eine so harmonische Stille Einzug halten konnte. Entspannt vom Bad, müde vom Training und vollgestopft mit Reis und Tempura saßen sie um den Tisch herum. Yurio döste, halb auf der Tischplatte liegend, vor sich hin, Viktor tippte auf seinem Handy herum, während er hin und wieder einen Schluck Sake trank, und Yuri starrte auf den Fernseher, auf dem lautlos eine alberne Spielshow lief. Es war angenehm. Yuri seufzte zufrieden und streckte sich gemütlich. Unterdrücktes Lachen ließ ihn plötzlich aufsehen. Yurio hatte sich umgedreht und im Halbschlaf begonnen, an seinem Daumennagel zu nagen, was von einem bestimmten Blickwinkel heraus nun so aussah, als würde er am Daumen lutschen. Viktor wäre nicht Viktor, wenn er sich diese Situation entgehen ließe und so belustigte er sich damit, unzählige Fotos aus diversen Perspektiven zu machen. „Lass das, Viktor“, bemerkte Yuri mit einem trägen Lächeln. „Du weißt doch, wie er sich aufregt, wenn man ungefragt Fotos von ihm macht.“ Und dann auch noch solche… Viktor grinste und streckte Yuri das Handy entgegen, auf dem das letzte Foto von Yurio zu sehen war. Er hatte einen rosa Filter darüber gelegt und einen Herzchen-Rahmen darum gemacht. „Schau mal. Kawaii, nicht wahr?“ Yuri wusste nicht, was ihn mehr amüsierte. Dieses alberne Foto, oder Viktors neueste Angewohnheit, japanische Wortfetzen in die Sätze zu streuen. Yurio bewegte sich. „Mh…wassnlos…“ Dem leisen Genuschel folgte ein zerknautschter Blick, der in offenes Misstrauen umschlug, als Yurio das Handy in Viktors Hand bemerkte. „Hast du Blödmann mich fotografiert?“ Diesmal gestattete Yuri sich ein leises Lachen. Selbst wenn er kein Russisch verstünde, wäre die Situation amüsant genug, damit seine Belustigung nicht weiter auffiel. „Ich warne dich, Vitya. Wenn du das Bild nicht sofort löschst, dann…“ Yurios aufgebrachte Stimme hallte im Zimmer wieder. Viktor grinste fröhlich „Was dann, Yuratchka? Malst du mir mein Gesicht mit Edding an, wenn ich einschlafe?“ Über Yurios Gesicht zog ein boshaftes Lächeln. „Edding. Am Arsch. Ich habe was Besseres. Ich erinnere Georgi an die Wette, die ihr bei eurem letzten Totalbesäufnis abgeschlossen hattet.“ „Eh… Wette?“ Viktor konnte so hinreißend ahnungslos sein. Yuri verbiss sich ein Grinsen. „Ja. Die Wette. Die ihr euch scheinbar schon wieder aus dem Hirn gesoffen habt. Und die, die du übrigens auch noch verloren hattest.“ Yurio war mittlerweile der Inbegriff eines kleinen Teufels. „Der Einsatz war, dass der Verlierer seine letzte Kür noch einmal vor dem gesamten Team läuft. Nackt.“ Der Laut, mit dem Yuri auf dem Boden aufschlug, nachdem seine aufgestützten Arme nachgegeben hatten, war selbst in seinen Ohren unerträglich laut. Mit einem peinlich berührten Lachen richtete er sich wieder auf und versuchte dabei ein möglichst unbeteiligtes Bild abzugeben. „Abgerutscht“, erklärte er in verzweifelter Albernheit und spürte, wie er rot anlief. Yurio beachtete ihn nicht weiter, er war zu sehr damit beschäftigt, wie ein Irrer auf Viktors Handy herum zu tippen, das er irgendwie in die Finger bekommen hatte. Viktor beachtete ihn dafür umso mehr. „Ist wirklich alles in Ordnung mit dir, Yuri?“ Yuri nickte viel zu hastig. „Klar. Ich bin nur ein wenig müde.“ „Hm.“ Viktor schien nicht überzeugt. Er nahm einen weiteren Schluck Sake, während er über den Rand der Schale hinweg, Yuri mit Blicken zu durchbohren schien. „Du bist heute schon den gesamten Tag so seltsam. Es ist doch irgendwas.“ Viktor. Viktor auf dem Eis. Nackt. Das Bild erschien so schnell vor seinen Augen, dass Yuri zusammenfuhr. Seine Wangen glühten. „N-n-n-n-nein, alles in Ordnung! E-e-ehrlich!“ Er sprang hastig auf die Füße. „Ich hole mir ein Glas Wasser. Möchte sonst noch jemand etwas trinken?“ Der höflichen Frage zum Trotz verschwand er schneller aus dem Zimmer, als überhaupt jemand antworten konnte. In der Küche angekommen trank er hastig einen Schluck Wasser. Sollte er überhaupt wieder zurückgehen? Lust hatte er keine. Aber wie sollte er das morgen erklären, ohne wie ein Trottel dazustehen? Yuri strich sich die störrischen Haare aus der Stirn, füllte das Wasserglas erneut und machte sich im Tempo einer zum Tode verurteilten Weinbergschnecke auf den Rückweg. Schon von Weitem konnte er hören, dass Viktor und Yurio wieder in ein Gespräch vertieft waren. Yuri lauschte einen Moment und seufzte dann erleichtert. Nichts wies darauf hin, dass es bei der Unterhaltung um ihn ging. Scheinbar hatte sein seltsames Verhalten keine größeren Fragen hinterlassen. Möglichst unauffällig schob er sich in das Zimmer zurück, ließ sich so weit in einer Ecke nieder, wie es der Höflichkeit noch zuträglich war und tastete nach der Fernbedienung, um die Lautstärke ein wenig aufzudrehen. Einfach nur ein wenig fernsehen. Das wäre jetzt genau das Richtige, um ihn davon abzuhalten, Viktor und Yurio weiter zu belauschen. „… Yakov… Training …. Mila nörgelt…“ „... nörgelt immer… scheiß Musik…“ Über die Spiele Show hinweg drangen nur noch einzelne Wortfetzen zu Yuri hinüber und er begann sich zu entspannen. Er musste Viktor und Yurio wirklich bald beichten, dass er sie verstand. Je länger er es hinauszögerte, desto unangenehmer würde es für ihn. Am Schluss würde er dastehen wie ein gruseliger Stalker. „Ich muss Yuris Trainingsplan noch ein wenig verändern.“ Entgegen seines Entschlusses konnte Yuri nicht anders, als aufzuhorchen, als sein Name fiel. Wenigstens widerstand er der Versuchung, den Fernseher leiser zu drehen, auch wenn seine Hand deutlich sichtbar Richtung Fernbedienung gezuckt war. „Sag ich schon die ganze Zeit“, moserte Yurio, „das Schweinchen hat noch einiges abzutrainieren.“ Viktor schüttelte den Kopf. „So meinte ich das nicht.“ Er nippte am Sake. „Ich glaube, ich fasse ihn noch zu sehr mit Samthandschuhen an. Ich denke, ich kann ruhig etwas härter sein, Yuri hat ein außergewöhnliches Durchhaltevermögen.“ Yuri sank etwas tiefer in seinen Kapuzenpulli, in der Hoffnung, dass er dadurch seine leuchtend roten Ohren verstecken konnte. Yurio ließ sich mit einem Seufzen zurückfallen. „Ich kapiers nicht.“ „Ja, ich frage mich auch ständig, wie er sich dieses Durchhaltevermögen antrainieren konnte, ich…“ „Nicht das, du Idiot.“ Yurio schnaubte. „Ich kapier nicht, was du hier willst. Was findest du an Miss Piggy so interessant?“ Ein fröhliches Grinsen legte sich auf Viktors Züge. „Das Durchhaltevermögen und den netten Hintern?“ Aus Yurios Richtung ertönte ein seltsames Schnorcheln, das wohl eine Mischung aus Seufzen und abgewürgtem Lachen war. Yuri versuchte das Kunststück zu vollbringen, sich vollständig in seinen Pulli zu falten. „Ey, Mann. Auf einer Schwulen-Skala von Putin bis Freddie Mercury, bist du schon gar nicht mehr vertreten.“ Yurio strich sich ungehalten eine Haarsträhne aus der Stirn. „Du denkst auch nur selten mit dem oberen Teil deines Körpers, was?“ Viktor lachte leise. „Naja, das Leben ist hart, wenn man täglich so ein leckeres Katsudon vor der Nase stehen hat…“ "Das Leben?" fragte Yurio vorlaut. "Oder du?" Viktor grinste. Bleib sitzen, Yuri. Nicht davonlaufen. Nichts anmerken lassen. Jetzt wäre es wirklich zu peinlich. Eine Weile kehrte Schweigen ein. Yuri rutschte unruhig auf seinem Sitzplatz hin und her. Er musste dieses Zimmer verlassen, das war ihm klar. Aber wie sollte er sein knallrotes Gesicht rechtfertigen? Er musste warten. Zumindest so lang, bis sich seine Gesichtsfarbe ein wenig neutralisiert hatte. Hoffentlich hörten Viktor und Yurio auf, so über ihn zu sprechen. „Ich glaube, ich weiß, wie ich Yuri helfen kann, sein Eros zu finden“, murmelte Viktor plötzlich versonnen, während in Yuri die Hoffnung eines elenden Todes starb. „Na, viel Glück dabei“, ätzte Yurio und angelte mit dem Fuß nach seinem Handy, das penetrant blinkte. „Da wird nur wenig für dich rausspringen. Der ist im Bett sicher genauso aufregend wie’n Bügelbrett.“ Yuri bekam Schnappatmung, erstickte den Laut jedoch im letzten Moment, indem er sich heftig auf die Lippe biss. Viktors fröhliches Lachen hallte durch den Raum. „Wenn ich es richtig anstelle, wird Yuri unter meinen Händen erblühen, wie eine jungfräuliche Rosenknospe in der weiten Trockenheit der Wüste…“ „Sag mal, denkst du dir diesen Scheiß aus, oder liest du das irgendwo?“ In Yurios Stimme schwang ein unterdrücktes Lachen mit. „Du redest hier von ‘nem Schnitzel auf Beinen.“ Haltet einfach nur die Klappe. Alle beide. Bitte! Stille. Dankbare Stille, in der Viktor und Yurio ihren Gedanken nachhingen. „Das war nicht wirklich dein Ernst gerade, oder? Das ist ‘ne 23jährige Jungfrau“, sagte Yurio plötzlich und Yuri spürte, wie sich seine Zehen verkrampften. „Ah“, Viktor fuhr sich mit dem Daumen über die Unterlippe, „in diesem Zustand sind sie am Besten…“ Oh Gott… „Ich wusste nicht, dass du auf jammernde Waschlappen stehst.“ Yurio sah nur beiläufig von seinem Handydisplay auf. Viktor schnalzte mit der Zunge. „Hältst du mich für so untalentiert? Glaub mir. Er jammert höchstens am Anfang. Aber wenn er erst einmal unter mir liegt…“ „… vögelst du ihn, bis er quiekt?“ schlug Yurio freundlich vor, lachte dann und fuhr fort „Der würde doch ohnmächtig werden, noch bevor du überhaupt eines seiner Speckröllchen angefasst hättest.“ „Noch besser. Dann muss ich ihn nicht festhalten und habe die Hände für andere Dinge frei.“ Yuri tippte verzweifelt auf der Fernbedienung herum, um die Lautstärke auf das Maximum zu drehen. Er spürte, wie sich Viktors Blick auf ihn legte und gab sich größte Mühe, diese Tatsache irgendwie zu ignorieren. „Und am Morgen wacht er auf und fragt sich, warum sein Arsch brennt.“ Yurios Stimme schnappte vor boshafter Belustigung kurz über. „Den will ich sehen, wie er am nächsten Tag übers Eis stolpert.“ Yuris ganzer Körper schmerzte. Er konnte nicht ganz unterscheiden, ob es von der Anspannung kam, oder ob er tatsächlich imaginäre Schmerzen verspüren konnte. Er musste hier raus. Dringend. „Also bitte, Yurio.“ Viktor schüttelte mit einem ernsten Gesichtsausdruck den Kopf, konnte aber den amüsierten Unterton in seiner Stimme nicht verbergen. „Bei Jungfrauen muss man natürlich besonders vorsichtig sein. Ich würde natürlich zuerst einmal damit beginnen, ihn aus diesen unvorteilhaften Klamotten zu schälen.“ Er stockte kurz und murmelte mehr an sich gewandt. „Ich hoffe ja, er trägt schwarz drunter.“ Der eine Teil in Yuris Hirn schrie panisch, was er sich heute Morgen dabei gedacht hatte, eine schwarze Shorts auszuwählen. Der andere Teil seines Hirns schwieg paralysiert. „Und wenn ich ihn endlich nackt vor mir habe…“ „…dann vögelst du ihn, bis er quiekt?“, versuchte es Yurio erneut hilfsbereit. Viktor gab ein ersticktes Lachen von sich. „Warum so hektisch, Yuratchka? Lass mir doch auch meinen Spaß. Ich spiele gern, vor allem mit Jungfrauen. Die sind immer so hinreißend empfindlich. Ich würde natürlich zuerst erstmal mit Zunge und Fingern seinen…“ „AAAH!“ Yuris Schrei ließ den Boden erzittern. Die Hände auf die Ohren geschlagen, fuhr er hoch und sprang auf die Beine. „Schluss! Ende! Hört auf so über mich zu sprechen! Das ist ja… Oh Gott…“ Die Stille, die sich nun im Raum ausbreitete, war so schwer, dass Yuri leise ächzte. Blicke durchbohrten ihn. Blicke voll Arroganz, Genugtuung und leiser Wut von Yurio. Blicke voll Belustigung und gefährlicher Gewissheit von Viktor. „Du hattest wirklich recht“, Yurios Stimme schwankte zwischen Seufzen und Aufbrausen, „das Schnitzel versteht uns tatsächlich.“ Yuri öffnete den Mund, versuchte etwas zu sagen und brachte doch nur ein peinliches Quaken zustande. Viktor stützte sein Kinn auf eine Hand und musterte Yuri interessiert. „Ich hätte nicht gedacht, dass er so früh schon aufgibt. Ich hätte die Farce schon noch etwas länger aufrecht halten können.“ Yuris Blick schoss zwischen Yurio und Viktor hin und her. „Ihr … ihr habt mich … auflaufen… lassen? Das ... dass war eine Fa-?“ „Pah“, unterbrach Yurio ihn mit einem würgendes Geräusch. „Glaubst du echt, ich rede freiwillig mit Viktor über so ‘nen Scheiß?“ Yuri wusste nicht, ob er Scham oder Erleichterung fühlen sollte. Als Viktor jedoch langsam aufstand und auf ihn zutrat, dominierte plötzlich Fluchtinstinkt. „Ich bin dein Coach, Yuri. Ich bin nicht nur für deine Kür, sondern auch für dich als Person verantwortlich. Wie bringe ich dir am besten bei, dass es sehr unhöflich ist, andere Menschen zu belauschen?“ Viktor überlegte kurz. „Ah, ich weiß!“ Sein Lächeln war freundlich, seine Augen strahlten. Und doch glaube Yuri zu sehen, dass die Luft um ihn herum knisterte. „Dein Training morgen: Nackt, oder im Hasen-Tanga?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)