Die keinen Untergang kennen von Moonprincess ================================================================================ "Jedem Menschen, dem du Vertrauen schenkst, drückst du ein Schwert in die Hand, mit dem er dich verteidigen oder verletzen kann."     ~1~   Vor noch so kurzer Zeit, so erinnerte er sich, war er am Ufer des Nils gesessen. Die Sonne hatte alles in ihr goldenes Licht getaucht. Er erinnerte sich an das saftige Grün der Pflanzen, das Strahlen des Sandes unter seinen Füßen, an das kräftige Rot von Bobasas Kleidung und an das leuchtende Violett von Yugis Augen. Für einen winzigen Moment war alles gut gewesen. Keine Sorgen, sondern Lachen und Freude. Mana war auf Bobasas beeindruckendem Bauch gesprungen wie auf einem Trampolin. Er lächelte bei der Erinnerung. Seine Freunde um ihn herum und sein Aibou neben ihm. Ein Moment des perfekten Glücks.   Nun aber war es dunkel, der Mond hielt sich hinter einer Wolke versteckt, die ihn umspielte wie ein Kleid aus Nebel. Er blickte hinunter auf das Wasser unter sich. Es glitt dahin, einfach an ihnen vorbei. Es murmelte nur leise, wenn der Bug des Schiffes es zerschnitt wie schwarzen Satin. Hob er den Blick sah er dunkle Ufer, die an ihm vorüberzogen. Ab und an konnte er in der Ferne Lichter erkennen, Zeichen der Städte, die im Laufe der letzten dreitausend Jahre aus dem kargen Wüstenboden erwachsen waren. Städte voller Licht, voller schwatzender, lachender Menschen. Ihre Sprache war ihm fremd, war die Sprache von Besatzern, die dieses Land eingenommen und unterworfen hatten. Die Tempel und Erinnerungsstücke an damals nur noch dann beachtet, wenn sie ihnen Geld in die Kassen spülten. Das Land, über das er einst geherrscht hatte, ein müder Abklatsch seines damaligen Selbsts.   Trotz der Bauern, die ihr Leben noch nach dem Nil ausrichteten, herrschten hier nun andere Götter, andere Menschen. Das Schwarze Land, Kemet, das Geliebte Land, Tameri, es war nun nicht mehr das seine, auch wenn sein Herz schmerzte und in ihm eine Sehnsucht aufflammte.   Die Sehnsucht nach tausend Nächten voller Fackelschein und frohen Tänzen, die Sehnsucht nach den bunten Tempeln, Kunstwerke, die keinerlei Darstellung des Menschlichen oder Göttlichen scheuten, Sehnsucht nach Musik, die die Jahrtausende nicht überlebt hatte. Sehnsucht, noch einmal zuzusehen, wie Ra als glühender Feuerball hinunter in die Unterwelt tauchte. Ein allerletztes Mal…   Doch trotz all dem, was er verloren hatte, was er vermißte, nichts war stärker als die Sehnsucht nach der Seele, die neben der seinen in diesem Körper ruhte. Nichts schlimmer als der Gedanke, sie zu verlassen. Und doch… Atem sog die kühle Luft der Nacht in die Lungen, roch den Duft von Jasmin und Lotos, von Kühen und überhitztem Sand. Wenn er bliebe würde er unweigerlich eine Bürde sein für seinen Aibou. Yugi hatte noch ein ganzes Leben vor sich, ein Leben voller Abenteuer und Überraschungen. So sehr Atem sich wünschte, bleiben zu können, als ein Geist konnte er nie neben Aibou stehen, diesen nie berühren. Yugi wäre weiterhin gezwungen, sich zurückzuziehen, damit Atem ein paar wenige Minuten echtes Leben genießen konnte.   Aber bevor Atem ging, wollte er sehen, wie gut Yugi sich nun alleine schlagen konnte. Wenn Atems Zeit wahrlich gekommen war, wenn Yugis Zeit gekommen war, dann würde Yugi ihn besiegen.   Atem erinnerte sich an die Geschichten aus grauer Vorzeit, als sein Volk noch versprengt lebte und noch nichts von den Segnungen des Nils wußte. Wenn der alte König spürte, daß seine Zeit gekommen war, um zu seinen Ahnen überzutreten, prüfte er seinen Körper und seinen Geist ein letztes Mal. Wenn er bei dieser Prüfung versagte, mußte sein auserwählter Nachfolger ihn töten und seinen Platz einnehmen ohne zu zögern.   Atem stieß sich von der Reling ab. In wenigen Stunden würde sich zeigen, ob Yugi dem gewachsen war. Atem konnte es nur hoffen, denn er würde bis zur letzten Sekunde kämpfen. Nicht weniger verlangte sein Stolz als Duellant und Pharao. Nicht weniger durfte er von dem Mann erwarten, den er liebte.     ~2~   Die Stille nach seinem letzten Zug war ohrenbetäubend. Er hatte drei Göttermonster besiegt, er hatte Atem die letzte Möglichkeit genommen, das Duell noch herumzureißen. Yugi hatte gesiegt! Für einen Moment wollte er lachen, springen, zu seinen Freunden laufen und sie fragen, ob sie es gesehen hatten. Doch dann sank er zu Boden, die Glieder bleischwer, als ihm wieder einfiel, warum sie sich duelliert hatten, was nun geschehen würde.   Die heißen Tränen rannen Yugi über die Wangen, tropften auf den grauen Steinboden unter ihm, wo sie dunkle Spuren im Dreck hinterließen.   „Steh auf, Aibou. Du hast gewonnen! Der Gewinner sollte nicht im Staub knien.“   Der Griff an seinen Schultern war fest und doch sanft, genauso wie die Stimme Atems. Yugi ließ sich aufhelfen. Durch den Tränenschleier konnte er nur gerade so erkennen, wie Atem ihn anlächelte. Ein resigniertes und doch zufriedenes, stolzes Lächeln. Yugi zitterte und er krallte sich an Atems Jacke fest wie ein Ertrinkender. „Anderes Ich…“   „Nein, Aibou. Ich bin nicht dein Anderes Ich. Es gibt auf der ganzen Welt nur einen einzigen Yugi Muto und das, Aibou, bist du. Du mußt mir keinen Namen mehr leihen und auch keinen Körper.“   Yugi öffnete den Mund, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Er wollte es Atem sagen! Jetzt, hier! So selbstsüchtig es auch sein mochte, hatte Anzu doch über ihre Gefühle geschwiegen, aber Yugi konnte, wollte es nicht. Nicht nach all der langen Zeit. Dabei hatte er doch einen Entschluß gefaßt! Er wollte Atem helfen, dessen Erinnerungen wieder zu finden und dessen Schicksal zu erfüllen. Da hatte er keinen weiteren Platz und schon gar kein Recht… Aber er klammerte sich schluchzend nur noch mehr an Atem. Er wollte das Unausweichliche aufschieben. Warum konnte er Atem, einen Atem mit eigenem Körper, nicht an die Hand nehmen und mit diesem diesen dunklen Ort verlassen?   Aber Yugi kannte die Antwort schon, sonst hätte er nicht die Wiederbelebungskarte in seine Kiste gelegt. Gleich was er sich wünschte, was er sich eingeredet hatte, Atem war tot und es wäre grausam, ihn weiter an diese Welt zu fesseln. Atem hatte nun seinen Namen zurück, seine Erinnerungen. Er hatte eine Familie und Freunde, die ihn seit dreitausend Jahren auf der anderen Seite dieser schweren Steintür erwarteten.   Eine warme Hand glitt über Yugis Wange, strich Tränen und Haarsträhnen hinfort. „Ich weiß es. Du mußt nichts sagen.“ Atem wisperte so leise, daß Yugi zuerst glaubte, er hätte einen Windhauch gehört, der sich in den Tiefen dieses Ortes verfangen hatte.   „And… Atem?“ flüsterte Yugi ebenso leise.   „Ich werde dich nie vergessen.“ Atems Augen leuchteten von ungeweinten Tränen. „Ich kann dir nun nichts mehr beibringen. Du hast Mut und Stärke bewiesen. Du bist nun der König der Spiele, mein Nachfolger. Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben.“   Yugi schluckte drei- oder viermal, seine Kehle lockerte sich, aber sein Tränenstrom wollte nicht versiegen. Wäre er tatsächlich mutig, er hätte beide Arme um Atems Nacken geworfen und Atem geküßt. Ein einziges Mal… Sein erster Kuß. Doch er brachte es nicht fertig. So sehr er es sich auch wünschte, es konnte nicht sein.   „Aber was noch wichtiger ist: Du hast mich gelehrt, was wahre Stärke ist. Sie liegt in Güte und Liebe, nicht in Gewalt und Haß. Dein Herz ist so stark, Aibou, und doch…“ Atem brach ab.   Yugi bemerkte seine Freunde aus den Augenwinkeln heraus. Großvater, die Kaiba-Brüder, die Ishtar-Familie, Otogi, Ryou, Honda, Jonouchi und Anzu. Sie sahen genauso aus wie Yugi sich gerade fühlte. Leer bis auf einen bohrenden Schmerz in der Brust. Anzu weinte, doch sie sagte nichts. Ach, wäre doch alles einfacher!   „Ich weiß nicht, ob ich ein gutes Vorbild bin, Atem, aber ich bin froh. Froh, daß du mich so hoch einschätzt.“   „Das habe ich immer. Ich konnte dir immer vertrauen, Yugi.“ Schmerz verzerrte Atems Gesichtszüge. „Aber ich habe dein Vertrauen mißbraucht. Du bist mein Aibou und ich habe nicht auf dich gehört, weil ich mir selbst nich vertrauen konnte.“   Natürlich wußte Yugi, was Atem meinte. Das Siegel von Orichalcos… „Ich habe dir verziehen, Atem. Es ist vorbei.“ Damit trat Yugi einen Schritt zurück. Er mußte oder er würde Atem niemals gehen lassen können. Aber er mußte das tun. Gleich wie sehr es ihm das Herz zerriß. Eine Zukunft mit Atem, die gab es für ihn nicht. Keine echte als Menschen mit eigenen Körpern, nur eine Fortsetzung des bisherigen, bis Yugi sterben und Atem einsam und verlassen im Millenniumspuzzle zurücklassen würde.   „Ich werde dich auch nicht vergessen“, versprach Yugi.   „Ja, wir werden immer Freunde sein!“ rief Jonouchi und grinste so breit, daß Yugis Mundwinkel bei diesem Anblick schmerzten. „Selbst in tausend Jahren noch!“   Das brach den Bann des Schweigens. Alle riefen nun Atem ihre guten Wünsche zu, ihre Versprechungen. Oder bewegten zumindest die Lippen wie in Kaibas Fall. Vielleicht würde Yugi über Letzteres eines Tages lachen können, aber heute…   Yugi drehte sich zu Atem und lächelte diesem zu.   Atem nickte, ebenfalls lächelnd, dann trat er vor das riesige Tor aus Sandstein, in den ein großes Auges des Horus geschlagen worden war. Er hob die Kette mit der Kartusche an, die trotz des schlechten Lichts zu blitzen und zu leuchten schien. „Öffne dich! Ich bin König Atem!“   Auf dessen Stirn erglühte golden das Auge des Horus und sein Zwilling auf der Tür erbebte, begann ebenfalls zu leuchten, dann schob sich die Tür knirschend und bebend beiseite. Steinchen und Sand rieselten von der Decke. Es erinnerte Yugi an ein leichtes Erdbeben wie er sie von daheim kannte.   Aus der sich öffnenden Tür strömte goldenes Licht, flutete den Boden und übergoß Atem. Mit so sicherem Schritt, daß wohl nur Yugi die Wahrheit kannte, schritt er durch das Tor. Die blaue Jacke verwandelte sich in einen Umhang, der Atem nachfolgte wie ein Wasserstrom. Die Schuluniform wich weißem Leinen und goldenem Schmuck, die helle Haut der dunklen eines Ägypters.   Atem hob eine Hand, ein letztes Mal. Während Yugis Herz zerriß hob Atem einen Daumen. Dann knirschte die Tür erneut und schloß sich. Alles bebte nun, wackelte viel stärker. Der Stein mit den Millenniumsgegenständen zerbarst, dann stürzte er in eine schwarze, schier unendliche Tiefe.   Yugi riß sich gerade noch vom Anblick der Tür los, um zu laufen. Er lief so schnell er konnte, zusammen mit seinem Freunden, mit seinem Großvater, während hinter ihnen Boden und Decke einbrachen. Dieser Ort hatte seinen Zweck erfüllt. Nie wieder würde ihn ein menschliches Wesen betreten.   Draußen empfing sie alle gleißendes Sonnenlicht. Es brannte Yugi in den Augen, doch er schloß sie nicht. Diese Geschichte mochte beendet sein, aber es gab noch viel mehr Geschichten. Viel mehr zu erfahren und zu erforschen. Und irgendwo dort draußen lag die Lösung, die Yugi suchte.     ~3~   „Warum das lange Gesicht, kleiner Yugi? Du hast doch das Turnier gewonnen!“ Pegasus breitete die Arme aus, ganz der Alleinunterhalter.   Yugi schenkte ihm nur einen kurzen Blick, bevor er wieder hinaus sah auf das Meer um das Königreich der Duellanten, das goldrot schimmerte, während die Sonne, ein glühender Ball aus Feuer, in ihr versank. „Das habe ich. Aber du vergißt, daß du mir nur dann helfen wolltest, wenn ich daran teilnehme.“   Pegasus lachte und trat neben Yugi an das große Fenster, das an europäische Gebäude des Mittelalters erinnerten. “Ach, kleiner Yugi, du hilfst mir, ich helfe dir. Und es ist ja nicht so, als ob es dir mißfallen hätte, dich mit dieser aufstrebenden jungen Frau zu duellieren.“   Yugi verkniff sich ein Seufzen. Er war zweiundzwanzig und wenn auch sicher nicht riesig, so doch groß genug für einen Erwachsenen. Andererseits nannte Pegasus Seto ebenfalls klein. „Schön, ich hatte Spaß, aber deshalb allein bin ich nicht hier. Ich will die Schriftrollen sehen, die du besitzt. Alle!“   Pegasus lächelte und fuhr sich durch sein helles, glattes Haar. Enthüllte kurz sein Glasauge und die Narben auf seiner linken Gesichtshälfte. Yugi wußte, daß Pegasus ihn so in die Schranken weisen wollte, doch er war lange darüber hinaus, sich davor zu fürchten oder zu ekeln. So verlor Pegasus sein Lächeln, nicht jedoch seine joviale Art. „Nun, kleiner Yugi, dann wollen wir zur Tat schreiten, nicht wahr? Auch wenn ich nicht weiß, was du in diesen alten Papyri suchst.“   Yugi drehte sich um und folgte Pegasus aus dem Zimmer, eine Treppe hinunter und in die Bibliothek des Anwesens. „Überlaß das einfach mir“, erwiderte er.   „So kalt! Du verletzt mich! Hast du Lehrstunden bei Kaiba genommen?“ Pegasus lachte, doch sein gesundes Auge funkelte.   „Nein, ich habe einfach nur keine Zeit für deine Sperenzchen. Zumindest nicht jetzt.“ Auf eine Handbewegung Pegasus’ hin ließ Yugi sich an einem Tisch in der Mitte der Bibliothek nieder. Dieser war groß und schwer, aus einem dunklen Holz, auf dem sich überdeutlich die Kringel und Kreise von Tassen abzeichneten. Pegasus mußte viele Stunden, wahrscheinlich sogar Nächte, hier gesessen haben, auf der Suche nach einem Heilmittel gegen den Tod. Yugi fuhr einen der Kreise mit dem Zeigefinger nach. Er hoffte, er war kein Narr wie Pegasus damals, aber er war sich sicher, daß es einen Weg gab… Wenn sich eine Tür einmal öffnen konnte, mußte sie sich auch ein zweites Mal aufstoßen lassen.   Pegasus brachte ihm die Schriften. Oder um genau zu sein: Ihre Abschriften auf regulärem Papier. Die Originale wurden in einem speziellen Safe verwahrt, der sie davor bewahrte, zu Staub zu verfallen. Yugi konnte nur hoffen, daß die Abschriften so genau wie möglich waren. Er hatte es während des Studiums gehaßt, wenn er sich mit schlampiger, ungenauer Arbeit irgendwelcher Faulpelze herumschlagen mußte. Er seufzte leise. Vielleicht wurde er Kaiba ja doch langsam ähnlich…   Yugi zog sein dunkelrotes Brillenetui aus Leder hervor. „Danke, Pegasus.“ Er lächelte diesen nun ehrlich an.   Pegasus seufzte, während Yugi sich die Lesebrille aufsetzte. „Ich hoffe, du findest was du suchst. Mir war mit diesen Schriften kein Glück vergönnt.“ Nun klang seine Stimme unverstellt, schwermütig und besorgt.   „Das hoffe ich auch. Denn ansonsten bin ich nichts weiter als ein Narr, der die Vergangenheit nicht ruhen lassen kann. Aber… Ich habe einfach das Gefühl, daß es damals noch nicht das Ende war! Als würde ich es Atem schuldig sein.“   „Er würde dieser Aussage wohl kaum zustimmen, aber ich verstehe dich nur zu gut.“ Pegasus drückte Yugis Schulter.   „Es tut mir leid.“   Pegasus setzte sich auf die Ecke des Tischs. Sein roter Anzug brannte in einem Rest Sonnenlicht, das durch ein hohes Fenster auf den Tisch fiel. „Es muß dir nicht leid tun.“   Yugi blickte auf die Mappen voller Papier vor sich, dann zu Pegasus. „Weil sie nicht zurückkommen wird. Und jetzt sitze ich hier und denke, ich könnte etwas finden, das du übersehen hast. Oder eine Ausnahme, die nur Pharaonen betrifft oder…“ Er hielt inne, als Pegasus eine perfekt manikürte Hand hob.   „Dein Atem hat die Welt gerettet, zweimal sogar, und im Gegensatz zu mir und Cynthia konntet ihr beide niemals auch nur einen einzigen Tag als Paar verbringen.“ Er lächelte. „Weißt du, ich werde sie für alle Zeiten vermissen, aber…“ Er drehte die Hand, an der ein goldener Ring aufblitzte. „Ich habe Frieden gefunden und jemanden, der mein Leben mit mir teilt.“   „Aber sie ist nicht Cynthia.“   „Nein. Ich möchte doch auch hoffen, daß sie das nicht ist. Ich liebe sie dafür, daß sie ihre eigene Person ist, nicht die Kopie von jemand anderem.“   Yugi senkte den Kopf, seine Augen prickelten unangenehm. „Du hältst mich also für einen Narren“, wisperte er. „Der nicht loslassen kann.“   „Oh, kleiner Yugi! Ich habe ein sehr böses Spiel gespielt, um wieder mit meiner Cynthia vereint zu sein. Wenn du aber nur alte Schriften studierst und niemanden dabei verletzt, dich selbst eingeschlossen, bist du ein weitaus klügerer Mann als ich damals.“   Yugi nahm die Brille ab und wischte sich über die Augen. „Er hätte es so verdient, ein friedliches Leben zu haben“, murmelte er mit rauher Stimme.   Pegasus nickte. „Ich weiß. Deshalb helfe ich dir auch.“ Er rutschte vom Tisch. „Ich lasse dir Kaffee und einen Happen schicken.“   „Danke.“ Yugi setzte seine Brille wieder auf. Während Pegasus Schritte auf dem Flur verhallten, zog er die Mappen zu sich und schlug die erste auf. Unzählige Hieroglyphen bedeckten schon die erste Seite. Yugi holte seinen Notizblock hervor, dann begann er zu lesen.   Bald schon zog auch das letzte Sonnenlicht sich zurück. Yugi schaltete also die Stehlampe meben dem Tisch ein, während draußen über dem Meer die Sterne glänzten. Der Mond warf sein silbriges Licht über die Wellen. Yugi blieb einen Moment am Fenster stehen, bewunderte die Dunkelheit und das Licht, das stetig ihr Begleiter war, dann kehrte er an den Tisch zurück.   Wie versprochen ließ Pegasus ihm Kaffee schicken und Sandwiches. Yugi aß und trank, während er Mappe um Mappe studierte. Irgendwann war die Kanne leer und den Teller zierten nur noch Krümel und ein schlappes Blatt Salat. Letzteres starrte Yugi eine gefühlte Ewigkeit an, während er auf eine Eingebung wartete. Oder wenigstens das Gefühl, wieder arbeiten zu können. Was war nur los mit ihm? Die Nacht durchzuarbeiten fiel ihm doch sonst nicht so schwer. Yugi gähnte und legte den Kopf auf den Tisch. Der duftete flüchtig nach Politur. Yugi schmatzte und schloß die Augen. Nur kurz ausruhen… Dann würde es wieder gehen. Er mußte einfach etwas in den Aufzeichnungen finden.   Er fuhr auf, als Glas klirrte. Hellwach, mit weit aufgerissenen Augen starrte Yugi in die Dunkelheit. Wer hatte das Licht ausgeschaltet? Auf einmal fröstelte ihm. Er hatte seinen Pullover im Gästezimmer gelassen, jetzt bildete sich Gänsehaut auf seinen Armen. Er stand auf, nachdem er die schief sitzende Brille abgenommen hatte. „Hallo?“   Er ging vorsichtig zu dem Fenster, das ihm am nächsten war. Es war ganz. Yugi schlang beide Arme um sich und besah sich im Mondschein auch die anderen Fenster, aber sie alle waren noch heil.   „Ich werde verrückt, das werde ich.“ Stöhnend rieb Yugi sich über das Gesicht. Vielleicht sollte er doch zu Bett gehen und seine Studien morgen fortsetzen. Allein daß ihm so kalt war, war ein guter Grund. Er mußte sich das Geräusch eben eingebildet haben. Und das fehlende Licht… Vielleicht ein Stromausfall? Oder halt! Vielleicht war die Glühbirne zersprungen. „Ja, das muß es sein“, murmelte Yugi. „Besser ich lege mich etwas hin.“   Er trottete zurück zum Tisch, froh über seine Hausschuhe, die ihn vor Lampensplittern bewahrten. Wie erwartet knirschte es unter seinen Sohlen. Doch als Yugi die Hand nach seinen Notizen ausstreckte, stieß er gegen einen Gegenstand, länglich, rund, aber viel zu groß für seinen Stift. Mit bebenden Fingern umschloß Yugi den Gegenstand und hielt diesen ins Mondlicht. Eine Art runder Dose. Yugi runzelte die Stirn, drehte den zylinderförmigen Gegenstand in Händen. Dieser war vielleicht dreißig Zentimeter lang und so dick, daß Yugi ihn nicht mit einer Hand umfassen konnte.   Das Gold dieses merkwürdigen Stücks wirkte blaß, doch blaue Steine funkelten im Mondlicht wie Sterne. Unter seinen Fingern spürte Yugi Gravuren. Schriftzeichen! Er besah sich auch Boden und Deckel. Auf dem Boden war nichts, doch der Deckel! Yugis Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann umso heftiger weiterzuschlagen.   Zu diesem Rhythmus fuhr Yugi mit den Finger über seine Entdeckung. Ein Horusauge und darunter eine Kartusche, deren Schriftzeichen Yugi selbst noch blind erkennen würde. Atems Name!   Yugi brauchte mehr Licht! Er stürzte zur Tür der Bibliothek und tastete über die Wand. Er schrie leise auf, als seine Finger schnell und hart von Plastik abprallten. Yugi pustete auf seine schmerzenden Finger, dann tastete er vorsichtiger nach dem Lichtschalter. Zum Glück war nur die Stehlampe am Tisch unbrauchbar geworden, so blinzelte Yugi gleich darauf stöhnend in helles Licht. Sobald das Bedürfnis, die Augen zusammen zu kneifen ihn verlassen hatte, hob er den goldenen Zylinder vor sein Gesicht. Ja, Atems Name!   Yugi drehte den Gegenstand, während er versuchte, mit der Nase auf dem Gold, die Hieroglyphen auf der Dose zu entziffern. Gleichzeitig bewegte er sich zum Tisch zurück. „Das… ist der Schlüssel“, murmelte er abgelenkt. Daß er sein Ziel erreicht hatte, merkte er erst, als die Ecke des Tisches in seiner Hüfte ihn stöhnen ließ. Egal!   Yugi schnappte sich seine Brille, preßte sie auf seine Nase. „Der Schlüssel… zum Weg in die Ewigkeit.“ Er blinzelte. „Wenn er und… der Schlüssel der Erneuerung… gleichzeitig in die Tür gesetzt werden… wird sie sich dem Sucher öffnen.“ Er runzelte die Stirn, las den Textabschnitt erneut, dann den Rest. Es gab also noch einen zweiten Schlüssel und beide konnten eine Tür öffnen. Die Tür ins Reich der Toten?   Yugi setzte sich. Mit irrsinniger Hast fertigte er eine Kopie der Hieroglyphen auf dem Zylinder an als könne der Schlüssel genauso leicht seinen Händen entgleiten wie ein feuchtes Glas. Dabei arbeitete es hinter seiner Stirn. Woher kam der Schlüssel? Hatte Pegasus ihn hierher gelegt? Oder war hier eine übernatürliche Macht am Werke?   Yugi schauderte. Er ließ seinen Stift sinken. Wäre es Letzteres, hätte er keinen Garant, daß der Schlüssel nicht etwas Unheilvolles beherbergte. Sein Blick wurde von Atems Namen wie magisch angezogen. Er konnte sich direkt vorstellen, wie Atem seinen Siegelring mit seinem Namen in das noch weiche Gold gepreßt hatte. Wie er eine Markierung hinterlassen hatte, allein für Yugi. Sanft glitten dessen Finger über den Namen des Mannes, den er nicht vergessen konnte. Atem, Sohn des Ra…   „Ich will dich wiedersehen. Gleich wie närrisch es sein mag“, wisperte er. „Ich will die Tür öffnen, dich sehen, dich umarmen, dich… endlich küssen.“ Yugi lächelte traurig. „Du sagtest, du wüßtest es. Ich habe in deinem Blick gesehen, daß du es dir auch gewünscht hast. Hilf mir, damit wir wieder zusammensein können.“ Der Schlüssel strahlte auf einmal Wärme aus. „Ich vertraue dir, Atem.“   Dann hob Yugi erneut den Schlüssel vor seine Augen. Er drehte die Dose. Als er einen der Saphire berührte, rastete der klackend ein. Mit gerunzelter Stirn drückte Yugi einen zweiten Stein, auch der rastete ein. Das erinnerte ihn an etwas. Ja, natürlich! Die Dose ließ sich öffnen, aber nur von der richtigen Person. Der Person, der es gelang, dieses Rätsel zu lösen!   Yugi zählte sieben Saphire. Er überschlug kurz und kam auf eine stattliche Anzahl von Anreihungsmöglichkeiten. Dann atmete er tief durch. Er hatte acht Jahre für das Puzzle gebraucht, dagegen war das hier dennoch Kinderkram. Er hatte sich schon schlechteren Chancen gegenüber gesehen. Wie damals, als Bandit Keith dieses Lagerhaus in Brand gesetzt hatte und… Nein, über die Vergangenheit konnte Yugi auch später noch im Detail nachdenken, jetzt wollte er an seiner Zukunft arbeiten. An Atems Zukunft. Es würde ihm gelingen, es mußte einfach! Er zog seine selbstklebenden Marker zu sich, beschriftete sie und befestigte sie dann auf den Edelsteinen. Dann notierte er die ersten beiden gedrückten Steine, bevor er fortfuhr.     ~4~   „Du bist besessen von diesem Ding!“   „Nein! Jonouchi, gib es mir zurück!“ Yugi sprang auf. Unzählige beschriebene Papiere rutschten von seinem Schoß auf den Boden, breiteten sich auf dem dunklen Holz aus wie überdimensionale Schneeflocken. Er ärgerte sich, aber sein Blick haftete auf Jonouchi, der ihm gegenüber im Wohnzimmer der Mutos stand, den Zylinder mit beiden Händen umfaßt. Es erinnerte Yugi an die Zeit, als Jonouchi sich einen Spaß daraus gemacht hatte, ihn zu ärgern.   Doch die Miene seines besten Freundes seit so vielen Jahren war nicht amüsiert. „Yugi, du hängst nur noch hier drinnen rum! Du hast unseren wöchentlichen Spieleabend dreimal hintereinander sausen gelassen, was so gar nicht deine Art ist. Du willst nicht mal auf Anzus Premiere heute Abend gehen. Außerdem: Hast du letztens in den Spiegel gekuckt? Du hast keine Ringe unter den Augen, das sind LKW-Reifen! Dein Haar ist fettig und könnte mal wieder nen Schnitt vertragen und außerdem stinkst du nach Fast Food und Schweiß. Kein Wunder, daß Großvater so verzweifelt am Telefon klang.“   Yugi blinzelte wie eine übergroße Eule, legte dann den Kopf schief. „Anzus Premiere ist heute? Bist du dir sicher?“   „Mann, ja! Ich sags dir jetzt seit Wochen, jeden Tag! Hör doch mal zu! Anzu ist total fertig mit den Nerven, aber du sitzt nur hier und drückst an diesem dämlichen Ding rum!“   „Es ist nicht dämlich!“ fauchte Yugi. Doch seine Wut verrauchte sofort, machte Sorge platz. „Ich hab die Premiere wirklich vergessen. Dabei hab ich Anzu doch versprochen, daß ich sie unterstütze.“   „Genau so ist es!“ Jonouchi schüttelte seine blonde Mähne. „Komm schon, wenn du heute Abend präsentabel sein willst, brauchst du erst mal ne Dusche und dann geht’s zu deinem Friseur.“   Yugi nickte, doch sein Blick glitt wie von selbst zu dem Schlüssel. „Ich… ich will ihn nur so gerne wiedersehen.“   Jonouchi trat vor und legte den Schlüssel auf den Couchtisch, bevor er Yugi sanft, aber bestimmt an den Schultern nahm und Richtung Treppe schob. „Das wissen wir alle. Wir wollen alle, daß ihr euch wiederseht. Hey, wir wollen Atem ebenfalls wiedersehen. Aber meinst du, Atem wäre glücklich, wenn er dich so sehen würde?“ antwortete er schließlich, als sie im Bad standen.   Yugi hob den Kopf und starrte auf sein Bild im Spiegel. Er sah schlimmer aus als Jonouchi ihn beschrieben hatte. Bleich und dünn, abgekämpft und erschöpft. Seine Haare wirkten dagegen fast schon normal, obwohl sie ihm am Schädel klebten. Dennoch… Yugi seufzte. „Ganz bestimmt nicht“, gestand er ein. „Aber er verläßt sich auch auf mich. Deshalb hat er mir diesen Schlüssel geschickt!“   Jonouchi zog Yugi mit einem Ruck das stinkende Sweatshirt über den Kopf, dann das Hemd. „Ja, aber er ist nicht der einzige, der sich auf dich verläßt. Oder sich um dich sorgt. Nimm doch unsere Hilfe an, Yugi, wir sind doch Freunde!“   „Aber ihr wißt nicht die Sequenzen, die ich schon versucht ha…“ Yugi quietschte, als Jonouchi nach seinem Gürtel griff. „Das kann ich auch selbst, danke!“ Hochrot drehte Yugi sich um.   „Das vielleicht nicht, aber wir können dafür sorgen, daß du anständig ißt, rausgehst, deine Pflichten nicht vernachlässigst und genug schläfst. Ich hab schon einen Plan mit Anzu und Honda gemacht.“   „Ihr seid ja wahnsinnig!“ Yugi mußte dennoch lachen, während er seine Hose auszog, danach seine dunklen Socken. Ja, er konnte wirklich mal wieder eine gründliche Dusche gebrauchen…   „Hübsche Unterhose“, kommentierte Jonouchi das entsprechende Kleidungsstück, auf dem sich unzählige Kuribohs tummelten.   Yugi warf ein Handtuch nach seinem besten Freund, doch der duckte sich mit der Leichtigkeit eines geübten Polizisten. „Ist Atems Lieblingsunterhose“, stellte er mit in die Hüften gestemmten Händen fest.   Jonouchi gluckste. „Und auf deiner ist Wattapon drauf, was?“   „Nein, Marshmallon“, konterte Yugi todernst, dann lachte er über Jonouchis überraschte Miene. „Was? Ich bin alt genug, um zu meinen Vorlieben zu stehen.“   „Ähä. Trotzdem, wenn du Atem endlich wieder gegebnüberstehst, solltest du dir etwas mit mehr Sex Appeal anziehen.“ Jonouchi klaubte das Handuch vom Boden auf und warf es auf den Wäschekorb.   Yugi quittierte diesen Kommentar mit heraugestreckter Zunge, dann schob er seinen besten Freund auf den Flur. „Ich kann allein duschen, ich bin ein großer Junge.“   Jonouchis Augen tanzten vor Freude. „Sehr schön.“   Als Yugi nach zwanzig gründlichen Minuten des Schrubbens und Einseifens endlich wieder wohlriechend und rosig war, ging er in sein Zimmer für frische Kleidung, wo er Jonouchi an seiner Kommode fand, der eine schwarze Satin-Boxer Shorts mit einem dunkelblauen Modell aus Baumwolle verglich. Nachdem Yugi Jonouchi angedroht hatte, Mai darüber aufzuklären, daß ihr Göttergatte seine Nase in fremde Unterwäscheschubladen steckte, konnte er sich in Ruhe und vor allem alleine anziehen.   „Du weißt schon, daß Mai das nicht stören würde, oder? Schließlich bin ich hetero“, führte Jonouchi ihr Gespräch auf dem Weg zum Friseur weiter.   „Ich brauche dennoch keine Hilfe bei der Auswahl von, ich zitiere „scharfer Reizwäsche für einen Pharao mit Lederfetisch“, vielen Dank, Jonouchi.“ Yugi grinste trotzdem. „Aber gewaschen sollte ich sein, das stimmt.“   „Na, dann hat’s ja was gebracht, daß ich dir den Kopf gewaschen habe.“ Jonouchi lachte, während Yugi gespielt verzweifelt aufseufzte.   Einen Haarschnitt und noch einen Kleiderwechsel später und Anzu mußte nicht auf ihren besten Freund aus Kindertagen verzichten. Yugi klatschte, bis ihm Hände und sogar Schultern schmerzten. Als er nachhause kam, lag der Schlüssel noch auf dem Couchtisch, die Blätter aber lagen nun sauber geordnet daneben, statt chaotisch auf dem Boden. „Danke, Großvater“, wisperte Yugi. Er streichelte dann über den Schlüssel. Der fühlte sich angenehm warm an, ja, fast schien er Yugi unter den Fingern zu summen, dem Geräusch einer zufriedenen Katze nicht unähnlich. „Du bist auch zufrieden, Atem? Dann habe ich einen Grund mehr, nicht mehr so dumm zu sein.“   Diese Nacht, seit vielen Wochen, konnte Yugi endlich einmal durchschlafen und das fast neun Stunden lang. Danach fühlte er sich wie neugeboren. Auch wenn seine Gedanken weiterhin oft um das Rätsel des Schlüssels kreisten, dank der Unterstützung seiner Freunde verlor er sein Leben nicht aus den Augen. Mit ihnen zu lachen, sich um sie zu kümmern und mit ihnen zu reden, das war ihm nun klar, war genauso wichtig wie Atem wiederzusehen.     ~5~   Seit Yugis Besuch in Pegasus’ Schloß war ein halbes Jahr vergangen, als der goldene Zylinder mit den wie Sterne strahlenden Saphiren Yugi sein Geheimnis offenbarte. In zitternde Hände fielen eine Papyrusrolle und ein dreieckiges Stück Gold, mehrere Zentimeter dick, mit der Prägung des Horusauges auf einer Seite und Atems Namen auf der anderen.   Yugi hatte seine Freunde angerufen, seinen Großvater aus dem Mittagsschläfchen gerissen. Er hatte nicht allein sein können und erst, als sie alle bei ihm waren, konnte er den Papyrus entrollen. Darauf war eine Karte gezeichnet.   Großvater erkannte die bekannten Umrisse sofort: „Das Tal der Könige!“   „Was steht da an der Seite? Liest mal einer vor?“ Mai machte einen langen Hals, während sie ihren dunkelblonden Sohn auf dem Schoß hielt. Auch die anderen beugten sich über das Schriftstück. Es duftete nach Lotos und Jasmin.   Yugi kräuselte die Stirn. „Da steht: Das Tor zur Ewigkeit liegt bewacht von Schakalen, umringt von Uräus-Schlangen. Die Dämonen haben keinen Zutritt zu den Gefilden der Seligkeit. Die Krokodile und Nilpferde versperren ihnen den Weg im Süden. Im Westen aber lauert der Löwe auf sie, während im Osten die Gazellen springen. Wer das Tor finden will, der muß ihnen nur folgen.“   Großvater nickte. „Scheint mir ein weiteres Rätsel zu sein.“   „Ein Rätsel und ein Schlüssel“, murmelte Yugi. Sein Herz klopfte. Er war seinem Ziel näher denn je!   „Dann sollten wir besser packen gehen“, stellte Anzu mit einem Lächeln fest.   Honda grinste. „Vergiß aber nicht die Flugtickets für uns alle zu buchen.“   Jonouchi sah Mai schuldbewußt an.   „Geh schon.“ Sie verdrehte die Augen, während sie lächelte. „Ich werde hier mit Shun warten, aber wehe, du kommst mir nicht heim, Katsuya. Dann werde ich jeden Stein in Ägypten umdrehen, um dich dann zurück nachhause zu schleifen.“   Yugi wußte, wie sich dieser Wunsch anfühlte.   Jonouchi grinste, breit, erleichtert. „Ich liebe dich!“   Dank Yugis und Anzus bekannter Namen war ein Flug nach Ägypten innerhalb einer Stunde organisiert und die Koffer in zwei weiteren gepackt. Großvater und Mai verabschiedeten sie am Flughafen, bevor sie am Abend desselben Tages ihr Flugzeug bestiegen.   Während seine Freunde, kaum angekommen, am Jet Lag litten, telefonierte Yugi mit den Ishtars. Ohne ortskundige Führer würden sie ein Rätsel wie dieses kaum zu lösen vermögen. Zu Yugis Erleichterung konnte Marik sie abholen. Entsetzen war allerdings das erste Gefühl, als er den Wagen sah, den Marik vor ihnen parkte. Ein uralter Geländewagen mit Rostflecken an den Seiten und einem löchrigen Verdeck. Einer der vorderen Scheinwerfer war eingedrückt, das Metall um ihn herum verzogen. Yugi mußte an Pegasus denken.   Marik lachte über ihre entgeisterten Gesichter. „Es lohnt nicht, mit einem neuen Wagen durch die Wüste zu fahren. Der hier ist schon erprobt!“ Er tätschelte das dicke Lenkrad, dann stieg er aus, um ihnen mit dem Gepäck zu helfen. Da sie sich auf das Nötigste und Wichtigste beschränkt hatten, dauerte es nicht lange, bis sie über eine kaum noch zu erkennende Straße fuhren. Auf dieser einen Straße mußten sich mehr Schlaglöcher befinden als Löcher in einem Schweizer Käse, dachte sich Yugi, während er sich am Kotflügel festhielt. Honda neben ihm machte schon ganz elende Geräusche.   „Ihr habt also einen Plan, um den Pharao wiederzusehen?“ Marik fragte, während er einen Mann mit Maultier weiträumig umfuhr, dabei aber dafür sorgte, daß seine Mitfahrer noch mehr durchgerüttelt wurden. Yugi stöhnte. Honda zerrte inzwischen eine braune Tüte aus der Hosentasche und steckte seine grüne Nase hinein.   „Ja, jedenfalls hoffen wir das!“ Yugi mußte schreien, um sich trotz des lauten Motors halbwegs verständigen zu können. Dabei tätschelte er Honda den Rücken. Anzu wurde nun auch blaß.   „Wir sind bald da!“ brüllte Marik zurück. Leider meinte er damit das Haus der Ishtars, an dem sie erst mal von Isis und Rishid begrüßt wurden. Nachdem sie ihr Gepäck ausgeladen hatten, stürzten sie jeder ungefähr einen Liter Wasser hinunter, cremten sich mit Sonnenmilch ein und bestiegen dann mit Sonnenhüten wieder den Jeep aus der Hölle. Es dauerte noch eine Dreiviertelstunde bis sie das Tal der Könige endlich erreichten.   Während Honda erneut den Göttern opferte, diesmal mit Anzus Unterstützung, zeigte Yugi Marik die Karte mit dem Rätsel, ebenso den Schlüssel. Er hatte das Rätsel während des Fluges ausführlich studiert, aber die Karte hatte ihm keine Hinweise gegeben, wo sich dieses mysteriöse Tor der Ewigkeit finden lassen konnte. Alles fing mit den Gazellen an, denen man folgen mußte. Zum Glück waren sie schon im östlichen Bereich des Tals, denn Honda sah nicht so aus, als würde er so schnell freiwillig wieder in Mariks Jeep steigen.   Während die Sonne langsam unterging und so die Tageshitze der erträglicheren Kühle des Abends wich, suchten sie also die Gazellen. Marik zeigte ihnen einige Wandmalereien dieser Tiere an verschiedenen Gräbern in der Nähe, aber nichts führte irgendwohin…   „Elefanten, Löwen, Krokodile... Also Viechzeug gibt’s genug auf diesen Wänden, aber ich hab ehrlich keine Ahnung, wie es uns helfen soll“, faßte Jonouchi nach einer Stunde zusammen, was sie wohl alle dachten.   Yugi schloß seine Jacke und seufzte. „Wenn ich wieder ein halbes Jahr für dieses Rätsel brauche…“   „Sag das nicht!“ Marik schüttelte den Kopf, dann sah er Yugi ernst an. „Der Pharao weiß, du wirst es lösen. Yugi, du und der Pharao, ihr teilt eine ganz besondere Verbindung.“   „Oh ja!“ Honda grinste, während Anzu und Jonouchi im Hintergrund kicherten.   Yugi bemühte sich um ein kleines Lächeln. „Vielleicht bin ich auch zu müde und übersehe etwas. Ich sollte mir nochmal die Karte ansehen.“   Marik reichte seine schwere Stabtaschenlampe Yugi. „Dann machst du dir nicht die Augen kaputt.“   Yugi bedankte sich. Er fummelte einen Moment mit Karte und Taschenlampe, um beides richtig halten zu können, da… Warte, das Licht der Lampe war aber sehr hell unter der Karte eben gewesen. Yugi kräuselte die Stirn. Erneut bewegte er die Taschenlampe unter der Karte. Löcher! In der Karte waren lauter kleine Löcher. Löcher wie Sterne. Natürlich! Es ging nicht um Wandbemalungen! „Das sind Sternbilder!“ Yugi schaltete die Taschenlampe aus und starrte hinauf in den Himmel. „Da, die Gazelle im Osten. Und dort der Löwe…“   „Ja, du hast recht!“ Marik folgte Yugis Blick. „Die Schlange, die Schakale, das Nilpferd…“   „Aber wo finden wir das Tor?“ erkundigte sich Anzu.   Yugi hob die Karte hoch, bis Sterne und Löcher deckungsgleich waren. Ja, das war es! „In diesem Kreis!“ Er deutete auf einen Flecken ohne Löcher, der von den Sternbildern nun eingerahmt wurde.   Marik besah sich die Stelle, dann grinste er. „Ich weiß, wo das ist! Los, ab ins Auto!“ Nicht einmal Honda stöhnte nun.   Yugi schmerzte der Hintern, als sie nach einer kleinen Ewigkeit ihr Ziel erreichten. Er fiel praktisch aus dem Jeep in seiner Hast. Marik gab ihm und Anzu noch weitere Taschenlampen, kleinere allerdings, dann schwärmten sie aus auf der Suche nach dem Tor. Oder zumindest einem Hinweis.   „Hier! Hier! Ich hab eine Höhle gefunden!“ rief Anzu kurz darauf. Jonouchi bei ihr winkte den anderen drei Männern zu. Sie hasteten sofort herbei und Yugi betrachtete den Eingang, der in tiefes Dunkel führte.   „Was meinst du?“ erkundigte Honda sich neben ihm.   „Es ist wohl unsere beste Chance, oder?“ erkundigte Yugi sich. Er blickte reihum seine Freunde an. Sie alle nickten, die Mienen entschlossen.   „Wir müssen eine Kette bilden. Jeder nimmt eine Hand und läßt sie nicht los“, erklärte Marik.   „Ja. Hoffen wir, daß Atem uns nicht in eine Einsturzgefahr geführt hat“, stimmte Jonouchi zu.   „Bestimmt nicht!“ Wenn Yugi eines wußte, dann daß er Atem vertrauen konnte. Mit Anzu an der Hand machte er den Anfang, hinter ihnen Marik, Honda und als Schlußlicht Jonouchi. Für einen unbeteiligten Betrachter hätten sie bestimmt ein komisches Bild abgegeben. Yugi fragte sich, ob Atem sie gerade sehen konnte. Ob er den zweiten Schlüssel hier finden würde, bei der Tür. Oder… Nein, er durfte nicht zweifeln. Er spürte es in tiefster Brust, dieser dunkle, enge Gang brachte ihn ans Ziel.   Yugi machte das Herz einen Hüpfer in der Brust, als der Gang breiter und breiter wurde. Unter seinen Füßen knirschte der Sand und der Lichtkegel vor ihm entblößte gelben Sandstein und dann…   „Seht ihr das? Hieroglyphen!“   Yugi fühlte dasselbe Staunen, das er aus Anzus Stimme heraushörte. Sie folgten den Hieroglyphen in einen kreisrunden Raum.   „Unglaublich! Was für eine Entdeckung.“ Marik führte seinen Lichtstrahl über die Darstellungen altägyptischer Götter in Überlebensgröße. Horus und Hathor, Isis und Osiris, Seth und Nephtys, Amun, Atum, Ra, Nut, Mut, Bastet, Sachmet… Die Malereien strahlten so farbenfroh als hätte man sie 3eben erst beendet.   „Es ist wunderschön“, wisperte Yugi. Sein Licht erhellte plötzlich etwas in der Mitte, genau der Mitte, des Raumes. Neugierig trat er näher, die anderem folgten ihm. Aus dem Sandstein war ein rundes Tischchen gehauen worden. Die Tischplatte sah aus wie eine geöffnete Lotosblüte. In deren Mitte wiederum war eine dreieckige Vertiefung.   „Das muß das Schlüsselloch sein“, wisperte Jonouchi.   Yugi schluckte, dann nickte er. Er holte den goldenen Gegenstand aus seiner inneren Jackentasche, wog ihn kurz in der Hand. „Atem, ich bitte dich… Zeig dich mir, zeig dich uns. Wir sind alle hier wegen dir!“ Damit drückte Yugi den Schlüssel in das Loch.   Für einen Moment war alles still, dann bebte die Erde, toste der Wind ihnen um die Ohren. Yugi klammerte sich an den Tisch, Anzu sich an ihn und die anderen Männer an sie. Sand und Dreck flogen durch die Luft, klatschten ihnen in die Gesichter und gegen die Körper, während der Wind an ihren Haaren riß. Sie mußten die Augen zusammenkneifen.   „Atem, bitte! Bitte komm zu uns zurück!“ schrie Yugi gegen den Wind an, gegen das grauenhafte Beben. In seinen Händen zerbarst der Steintisch, bröckelte.   „Genug! Sie haben die Prüfung bestanden!“ Eine befehlsgewohnte Stimme zerschnitt den Lärm und ließ Wind und Erde wieder zur Ruhe kommen.   Ein helles Licht färbte Yugis Dunkelheit rötlich. Yugi blinzelte, hob eine Hand… und berührte statt Stein warmes Fleisch. Er hob den Blick… und sah in warme, violette Augen. Kräftige Hände zogen ihn auf die Füße, dann half die Lichtgestalt auch seinen Freunden.   Yugi wußte nicht, was er sagen oder tun sollte, bis der erwachsene Mann wieder vor ihm stand. Ja, erwachsen… Ein Mann so groß wie er selbst, aber mit breiten Schultern und einem angenehm muskulösen Körper, der von langer Übung in verschiedenen Kampffertigkeiten zeugte. Die Haare genauso ungewöhnlich wie Yugis und ein Lächeln, das allein Yugi galt.   Yugi kamen die Tränen. „Du bist es…“   „Natürlich, Aibou! Ich wußte, du würdest kommen.“ Atem hob eine Hand und mit warmen Fingerspitzen strich er die Tränen fort.   Yugi schluchzte auf, dann warf er beide Arme um Atem. „Ich hab dich wieder! Wir alle haben dich wieder!“   „Aber besonders du mich“, erwiderte Atem lachend, strich über Yugis bebenden Rücken.   Yugi wurde der Hals eng, das Herz schwoll ihm in der Brust. „Ich brauche dich.“   „Nein, Aibou, du brauchst mich nicht“, antwortete Atem sanft, seine Lippen glitten über Yugis Haar und Ohr. „Du liebst mich, das ist etwas anderes. Du vertraust mir, das ehrt mich.“   „Du hast doch auch auf mich vertraut, nicht wahr?“ Yugi schniefte und barg sein Gesicht an Atems kräftiger, warmer Brust.   „Natürlich. Aber du brauchst mich nicht. Aus all diesen Gründen darf ich heute mit dir gehen.“   „Wirklich?“ rief Anzu, Jonouchi und Honda machten „Jippie!“.   „Seht es als eine Belohnung an. Für mich und für Yugi. Und natürlich auch für euch.“   „Ja, wir haben die Welt gerettet!“ rief Honda.   „Und dabei hatte ich den zweiten Schlüssel nicht“, stellte Yugi fest.   Atem schmunzelte. „Nicht alles, was wichtig ist, kann man berühren oder sehen, Aibou.“   Marik lachte. „Und jetzt, Pharao, wenn du nicht willst, daß ich nochmal wütend auf dich werde, gib deinem Liebsten endlich seinen allerersten Kuß.“   Yugi wurde heiß, bis seine Wangen brannten, doch er protestierte nicht. Statt dessen schloß er die Augen als sich seine und Atems Lippen trafen. Das erste Mal, aber nicht das letzte Mal. Der Kuß, der Blick danach sagten Yugi, das Atem dasselbe fühlte wie er selbst.   Diese Geschichte hatte kein Ende… Sie würde für immer im Licht leben. Keine Geschichte über Könige oder Kämpfe, sondern über Gefühle. Es war, so dachte Yugi, perfekt so. Dann küßte Atem ihn das zweite Mal und Yugi wußte, sie würde nie mehr etwas trennen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)