Kaffee oder Tee? von Ginnybread (... oder vielleicht Blut?) ================================================================================ Kapitel 1: Grumpy Cook *Jared* ------------------------------ „Was… ist das?“ Collin beäugte das Essen auf seinem Teller, höchst skeptisch. „Das ist Lasagne… Nichts gesundes, keine Sorge.“, antwortete ich spöttisch und fing an, mich über meine Portion herzumachen. „Also die Lasagne die ich kenne, sieht anders aus.“, nörgelte mein Gegenüber und schob sich langsam einen ersten Bissen in den Mund. „Wahrscheinlich bestand sie zum Großteil aus Natriumglutamat, hatte drei Paar Augen und kam aus einer Mikrowelle. Das hier ist frische Lasagne.“, erklärte ich und versuchte nicht gekränkt zu sein, über das Gesicht, das er nach dem Probieren zog. Collin war nicht mehr zu helfen. Er war ganz eindeutig abhängig von Fastfood, Filterkaffe und Fertiggerichte. Die drei Horror Fs, mit denen man mich einmal um den Block jagen konnte. Und offenbar waren seine Geschmacksnerven total überfordert, mit hochwertigen Lebensmitteln. Nicht einmal mit Lasagne wurden sie fertig. Er legte die Gabel weg und schaute mich schuldbewusst an. „Stört es dich, wenn ich mir eine Pizza warm mache?“ „Tu dir keinen Zwang an.“, murmelte ich und schaute ihm resigniert nach, wie er in der Küche verschwand. Vielleicht sollte man fairer Weise erwähnen, dass der Gute einen ziemlich anstrengenden Job hatte, in dem er sich mit seiner Koffeinsucht, nicht sehr von seinem Umfeld abhob. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich hatte Zeit zum Kochen. Und ich konnte es einfach nicht lassen, ihn mit selbstgekochten Abendessen zu quälen. „War es so schlimm heute?“, fragte ich ihn, als er wieder im Wohnzimmer auftauchte. Im Hintergrund hörte man schon den Ofen vorheizen. Collin verzog das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob heute ein verdammt guter oder ein verdammt schlechter Tag war.“ „Aha.“, machte ich, wohlwissend, dass er auch weiterreden würde, ohne, dass ich genauer nachfragen musste. „Wir haben offenbar einen Vampir in der Stadt und alle sind ganz aus dem Häuschen, deswegen. Er hält sich noch versteckt, aber die Gerüchte kamen jetzt schon aus so vielen verschiedenen Quellen, dass es wohl zu stimmen scheint.“ Verblüfft schaute ich zu ihm hoch. Ich hatte wieder mit einer super langweiligen Tirade über seinen Chef oder den kaputten Wasserkocher gerechnet. „Und… freut dich das nicht?“, fragte ich zögerlich. „Doch, na klar. Uns alle. Außer Rob. Und wenn Rob sagt, wir sollen dem nicht nachgehen, dann sind wir draußen. Und er hat es gesagt… mehrmals. Sehr laut.“ Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Wenn ich Rob wäre, hätte ich auch nicht ausgerechnet Collin und seine Chaoten-Abteilung auf diese Story angesetzt. „Ich gehe mal stark davon aus, du hast nicht vor, dich von der Suche abhalten zu lassen, oder?“, fragte ich und aß den letzten Bissen meiner (wohlgemerkt, sehr vorzüglich schmeckenden) Lasagne. Collin schnaubte verächtlich und lehnte sich an die Wand. „Natürlich nicht. Wenn dieser aufgeblasene Wichtigtuer meint, dass wir es uns leisten können, diese Story zu verlieren… meinetwegen! Aber ich lasse mir nicht verbieten, in meiner Freizeit auf die Suche zu gehen. Und die anderen auch nicht!“ Im Hintergrund piepte der Backofen auffordernd nach der Pizza und Collin verschwand wieder, gerade als ich fragen wollte, was er denn für eine Freizeit meinte. Man konnte über ihn sagen, was man wollte. Aber das Koffein, zeigte bei ihm immer eine sehr erschreckende Wirkung. Müßiggang, war ein Fremdwort für ihn und er war absolut unfähig sich einfach mal fünf Minuten ruhig und entspannt zurück zu lehnen. Und so verbrachte er auch seine freien Minuten mit Recherchearbeiten oder Telefonaten mit seinen Kollegen. Sie alle schienen mit dem gleichen Arbeitsvirus infiziert und rannten wie Ameisen von ihren Laptops zum Kopieren, zum Drucker, zum Telefon und natürlich in die Kaffeeküche. Immer, wenn ich ihn in die Redaktion begleitete, saß ich schweigend in einer Ecke und betrachtete sie fasziniert, während der nie abbrechende Redeschwall, der dort immer herrschte, zu einem Hintergrundsummen verschwamm. Ich war natürlich nicht ganz untätig. Aber mein Aushilfsjob beschränkte sich zum Glück auf banale Sachen, wie Briefmarken aufkleben, Flyer falten, gelegentlich ans Telefon gehen und dafür sorgen, dass es nie jemandem an Koffein mangelte. Keine Frage, ich liebte es wirklich, ihn in die Redaktion zu begleiten. Auch, wenn mich dann jedes Mal die Wehmut ergriff. Das ich nicht so sein konnte, wie sie. Obwohl ich dabei war und mich alle, als absolut ebenbürtig wahrnahmen. Ich fühlte mich nicht so. Collin kam ein paar Minuten später mit seiner dampfenden Pizza Hawaii zurück und ich bemerkte, dass ich die ganze Zeit stumm auf meinen leeren Teller gestarrt hatte. „Man, du hast ja noch eine ganze Auflaufform voller Lasagne in der Küche… Tut mir leid, aber du kennst mich ja.“, sagte er entschuldigend und hantierte mit dem Pizzaschneider, bis er sein Abendessen in vier, mehr oder weniger, gleich große Stücker zerteilt hatte. „Ja, weil deine Geschmacksnerven hoffnungslos verloren sind, kann ich jetzt die ganze Woche lang, das selbe essen. Du ziehst mich langsam aber sicher auf dein Niveau.“, murrte ich und er grinste. „Soll ich dir zum Nachtisch einen Kaffee machen? Als Wiedergutmachung, dafür, dass ich mal wieder dein Essen verschmäht habe?“ „Wag es ja nicht… Du kannst mir Teewasser aufsetzten, wenn du auf meine Gnade spekulierst.“, erwiderte ich in dem Moment, als Collins Handy losging. Der Arme hatte gerade erst einmal in seine Pizza gebissen und schien sich ziemlich fies an dem heißen Teig verbrannt zu haben. Fluchen hastete er in seiner Hosentasche nach seinem Handy, während er mit der anderen seine Pizza balancierte. „Ma? Cmollin mier, mas schibts?“, nuschelte er in den Hörer und wäre beim Versuch, von seinem Stuhl aufzustehen, fast noch damit umgekippt. Manchmal war es mir ein echtes Rätsel, wie er es geschafft hatte, dreiundzwanzig Jahre alt zu werden. Der Typ war eine ständige Gefährdung für sich und alle umstehenden. Besonders, wenn er hintern dem Steuer irgendeines Fahrzeuges saß. Mit Sicherheit hatte sich meine Lebenserwartung halbiert, mit dem Tag, an dem ich bei ihm eingezogen war. „Ally.“, stöhnte er genervt und biss erneut in seine Pizza, ungeachtet der Tatsache, dass sie noch immer, offenfrisch, vor sich hin qualmte. Kein Wunder, dass der nichts mehr schmeckte. Collin fing an, sich mit Ally zu streiten und ich sah ein, dass ich mir mein Teewasser, wohl oder übel, selbst würde aufsetzten müssen. Mit einem Seufzen erhob ich mich und schlurfte in die Küche, nur um dort fest zu stellen, dass Collin mir tatsächlich schon Teewasser aufgesetzt hatte. Offenbar hatte ihn doch das schlechte Gewissen gepackt, als er den Berg an Essen gesehen hatte, den ich für uns gekocht hatte. Na immerhin. Ich suchte mir mein Einmachglas mit den Pfefferminzblättern aus dem Schrank und beschloss, mich im Gegenzug für sein offenbar aufrichtiges schlechtes Gewissen, später noch einmal für seine Arbeit zu interessieren. Kaum hatte ich mir den Tee aufgegossen, steckte Collin seinen Kopf in die Küche. Noch immer kauend und mittlerweile mit roten Flecken auf den Wangen. „Jared, ich bin gleich wieder weg. Ich hole Ally ab und dann zeihen wir noch mal los.“ Aufgeregt biss er in sein Pizzastück und redete unbekümmert weiter. „Der Neue hat Infos darüber, dass er sich hier irgendwo im Viertel aufhalten könnte. Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen! Man ich kanns immer noch nicht glauben…“ Ich hob die Augenbrauen. „Ich das wirklich euer Ernst? Ist das nicht… irgendwie gefährlich? Und wer ist eigentlich der Neue?“ Collin hielt in seiner Kaubewegung inne und schaute mich fast ein bisschen enttäuscht an. „Sag mal bekommst du überhaupt irgendwas von dem mit, was um die herum gesagt und getan wird?“ Ach ja. Hatte ich schon erwähnt, dass ich furchtbar gut darin war, in alle nur erdenklichen Fettnäpfchen zu treten. Und Collin konnte eine echte Dramaqueen werden, wenn es um seine Arbeit und die Vampire ging. „Sorry. Ich weiß, ihr seid der Auffassung, sie sind nicht gefährlicher, als jeder Mensch auch, aber- “ „Nichts aber. Alles was nach diesem aber kommt, zeugt von Kleinkariertheit, unbegründeter Angst und Kontrollsucht. Es gibt kaum registrierte Übergriffe, von Vampiren auf Menschen. In dieser Stadt ist noch nie so ein Fall vorgekommen und das ist die Gelegenheit, endlich einen Vampir in die Öffentlichkeit treten zu lassen. Ihm ein Gesicht zu geben und den Leuten die Angst zu nehmen!“ „…Du weißt aber, wie 'Interview mit einem Vampir' ausgegangen ist, oder Collin?“, fragte ich sicherheitshalber nach und er antwortete nur mit einem empörten Schnauben, bevor er sich aus der Küche zurückzog. Ich verdrehte die Augen und machte es mir mit meinem Tee vor dem Fernsehen bequem. Collin verschlang seine Pizza, zog sich zeitgleich um und war schon wieder am Telefonieren. „Bis später, Jared!“ Verblüfft darüber, dass er offenbar schon vergessen hatte, dass er enttäuscht über meine kleinkarierte Sorge um ihn war, hob ich den Kopf. Aber da war die Haustür schon zugefallen und ich konnte hören, wie er die Treppe ins Erdgeschoss hinunterstürmte. „Tschüss.“, murmelte ich und wandte mich wieder dem Fernsehprogramm zu. Es kam nichts, was mich auch nur annähernd interessiert und so hatte ich ihn recht bald wieder ausgeschaltet. Als ich meinen Tee getrunken hatte stellte ich fest, dass es eindeutig zu früh war, um ins Bett zu gehen. Es war Freitagabend und Viertel vor acht. Zwar war ich lange kein so schlimmer Stubenhocker, wie Collin immer behauptete, aber ich war wirklich lange nicht mehr auf gut Glück durch die Stadt gezogen. Alleine machte es auch wirklich wenig Spaß. Wenn Collin und seine Arbeitskollegen dabei waren, konnte ich mich ein weinig von ihrer guten Laune anstecken lassen. Aber ich hatte mir gewisse Vorsätze festgelegt. Netter sein. Mehr wie die anderen sein. Nicht so viel Trübsal blasen und endlich einen festen Job finden, weg von zehn verschiedenen Mini-Jobs. Also stand ich vom Sofa auf und betrat das Gästezimmer, dass ich vor mehr als einem Jahr bezogen hatte. Damals sollte es für ein bis zwei Wochen sein. Und die Umzugskarton standen auch immer noch in einer Ecke und mahnten mich jedes Mal, netter zu Collin zu sein. Ich kannte ihn gut. Und ich wusste, dass er niemals auch nur im Traum daran denken würde, mich vor die Tür zu setzen. Er stellte dieses Konstrukt, in dem wir zusammenlebten, auch überhaupt nicht in Frage. Es störte ihn weder, dass er seine Wohnung teilen musste und ständig mit meiner Anwesenheit, meinem Essen und meiner Aufräumerei konfrontiert war, noch, dass ihn mittlerweile sämtliche Bewohner des Hauses (und sicher auch einige seiner Arbeitskollegen) für schwul hielten. Er hatte ja auch überhaupt keine Zeit, um sich daran zu stören oder sich vor Augen zu halten, wie verrückt die Tatsache war, dass wir zusammenlebten. Mein guter Vorsatz, drohte schon zu scheitern, noch bevor ich die Wohnung überhaupt verlassen hatte. Ich war so verzweifelt darüber, dass ich mich in einer Situation befand, in der ich überlegen musste, was ich anziehen sollte, dass ich beschloss, diesen Punkt einfach zu überspringen. Ich würde mich nicht umziehen, ich war ja kein dreizehnjähriges Mädchen, dass sich Lipgloss bis zu den Ohren schmieren musste, wenn es das Haus verließ. Ich wusste ja nicht einmal, wohin ich überhaupt wollte, also schwer sich für einen bestimmten Anlass zu kleiden. Trotzdem warf ich noch einen kurzen Blick in den Spiegel, bevor ich die Wohnung verließ. Zum Glück, wie sich herausstellte. Denn ich hatte mir, in bester Collin-Manier, Hackfleischsoße auf meinen Pullover geschmiert. Also doch umziehen. Ich griff das nächste Oberteil, dass auf dem Stapel, mit der sauberen Wäsche lag und streifte ihn mir über. Ansonsten sagte mir mein Spiegelbild bloß, dass ich vielleicht mal wieder zum Frisör musste. Die schwarzen Haare, vielen mir gefühlt, einen Zentimeter zu weit in die Stirn. Als ich schließlich im Halbdunkeln, auf der Straße, vor der Wohnung stand, wurde mir endgültig klar, wie nervös ich war. „Verdammt, Jared… Komm endlich mit deinem Leben klar.“, murmelte ich und fröstelte. Es war doch kälter, als gedacht. Und ich hatte keine Ahnung wohin ich gehen sollte. Ich kannte zwei Bars, die ich irgendwann mal mit den Leuten aus der Redaktion besucht hatte, aber ich wollte wirklich nicht alleine dort aufkreuzen. Ich beschloss, dass ich es erst einmal langsam angehen würde. Wer sagte denn, dass ich direkt die Bars im Alleingang erobern musste? Ich würde erst einmal eine Runde an er frischen Luft drehen, vielleicht in ein Viertel gehen, dass ich noch nicht so gut kannte. Also grub ich die Hände in meine Taschen und schlenderte los. Meine Finger tippten gegen die Zigarettenschachtel, die mich durch ihre bloße Anwesenheit schon beruhigte. Es störte mich ziemlich, dass ich so aufgekratzt war und ich merkte, dass es immer schlimmer wurde, desto näher ich den belebteren Vierteln kam. Verschiedene Menschengruppen standen auf den Bürgersteigen. Rauchende Mitvierziger, vor den Kneipen. Tuschelnde Mädchen, die sich untern den Laternen versammelten und auf ihren Handys herumtippten und laute Teenager, die in der Nähe des Stadtbrunnens herumturnten. Ab und zu kam mir ein händchenhaltendes Paar entgegen oder man entdeckte einen Obdachlosen, der sich in einen der verschlossenen Ladeneingänge schlafen gelegt hatte. Jedes Mal, wenn ich spürte, dass mich jemand mit seinem Blick streifte, hätte ich mich am liebsten auf dem Absatz umgedreht und wäre wieder zurückgegangen. Aber die klare Nachtluft tat mir gut. Hier in der Gegend waren kaum Autos unterwegs und der Park konnte jetzt gar nicht mehr so weit weg sein. Zwar war mir bewusst, dass es kein besonders guter Ort war, um eine Resozialisierung durchzuführen, besonders um diese Uhrzeit, aber die Junkies, würden mich wenigstens nicht anstarren, oder mir mit ihrem lauten Lachen unter die Nase reiben, was für ein perfektes Leben sie führten. Hier standen die Laternen nicht so dicht, es war dunkler, leiser und gefühlt noch ein bisschen kälter. Aber die nie sterbenden Geräusche der Stadt, versicherten einem, dass man sich noch in der Zivilisation befand. Ich hatte den Stadtteich, im Zentrum noch nicht einmal erreicht, als ich schon den ersten zu gedröhnten Mann auf dem Boden liegen sah. Vor einer Parkbank, leise vor sich hinbrabbelnd. Ich kam mir wirklich schäbig vor, dass ich mir sowas anschauen musste, um mir vor Augen zu halten, dass es mich weitaus schlimmer hätte treffen können und dass ich keinen Grund hatte, mich so schlecht zu fühlen, wie ich es seit über einem Jahr tat. Durchatmen, weitergehen. Ich würde es schaffen. Auch um Collin zu zeigen, dass er mich nicht umsonst, so lange ausgehalten hatte. Dann würde ich auch irgendwann in der Lage sein, ihm alles zurück zu geben, was er für mich getan hatte. Probeweise, versuchte ich mich sogar darin, ein Lied zu summen. Irgendein nichtssagendes Ohrwurmlied, dass sie momentan im Radio hoch und runter spielten und das Collin zu allem Überfluss auch noch als Klingelton missbrauchte. Meine Laune war gefühlt um ein paar Grad gestiegen, als ich schon den nächsten Junkie in der Nähe einer Zierhecke ausmachen konnte. Er war vornübergebeugt, wahrscheinlich hatte er sich gerade übergeben. Ich wollte mich schon angewidert abwenden, als ich sah, dass er sich über etwas drüber gebeugt hatte. Einen anderen Körper. Ich stand da und starrte das Bild an und kam mir selbst ein bisschen zugedröhnt vor. Denn der Mann, den ich als erstes entdeckt hatte, schaute mich jetzt an. „Oh scheiße.“ Im ersten Moment war ich bloß überrascht gewesen, wie jung er aussah, aber dann wurde ich ein bisschen abgelenkt, von seinen Gesichtszügen, immerhin waren sein Mund und sein Kinn komplett mit Blut verschmiert. Es tropfte langsam auf sein Opfer zurück, während wir uns anstarrten. Kapitel 2: Kein Interview mit einem Vampir *Jared* -------------------------------------------------- Ich stand da wie erstarrt. Der Vampir starrte mich an und ich ihn. Und gleichzeitig wusste ich, dass gerade mein letztes Stündlein geschlagen hatte. Es war auch eine selten dämliche Idee gewesen, ausgerechnet dann, zu beschließen, die Wohnung zu verlassen, wenn sich Vampirgerüchte häuften. Und zum Teufel mit Collins Friede-Freude-Eierkuchen-Theorie! Dem Kerl lief das Blut aus dem Mund und sein Opfer war bestimmt noch warm. Tatsächlich machte der arme Kerl sogar ein Geräusch, er war tatsächlich noch zu leben. Langsam schien das Adrenalin in meinem Körper dort anzukommen, wo es dringend gebraucht wurde. Ich machte einen Schritt zurück, bereit davonzustürmen, als der Vampir sagte: „Das klingt jetzt vielleicht komisch… Aber es ist nicht das, wonach es aussieht.“ Mir fiel die Kinnlade herunter. Ah ja. Der Vampir erhob sich blitzschnell aus dem Gras und ich begriff, dass mich auch mein Adrenalin jetzt nicht schnell genug rennen lassen würde, um ihm zu entkommen. Ich war sowieso schon nicht der sportlichste Typ, aber hier standen meine Chancen besonders schlecht. Er brachte ein schauriges Grinsen zu Stande, sodass ich das ganze Ausmaß seiner blutverschmierten Zähne erkennen konnte. „Du solltest mal dein Gesicht sehen.“, gackerte der Vampir. „Und du deins.“, krächzte ich. „Man, Respekt, dass du noch stehst, die meisten anderen wären schon längst abgehauen… oder umgekippt.“ Er hörte gar nicht mehr auf zu grinsen und meine Gedanken rasten. Was lief hier bitte falsch? Ich wäre sofort weggelaufen, wenn ich gekonnt hätte. Ein Geräusch lenkte mich kurz von dem Vampir ab. Der Mann am Boden, der ebenfalls noch recht jung war, stöhnte und rollte sich auf die Seite. Seine Hand hatte er auf eine stark blutende Wund an seinem Hals gepresst. Ich dachte schon, ich müsste ihm jetzt dabei zusehen, wie er qualvoll an seinem Blut ersticken würde, oder sich ebenfalls in einen Blutsauger verwandeln würde. Irgendetwas schreckliches auf jeden Fall. Aber er lachte bloß. Er stieß ein heiseres, kurzes Lachen aus und richtete sich auf. Meine Gedanken gaben ihr Bestes, kamen aber einfach nicht hinterher, mit dem was, meine Augen sahen. „Steh besser auf.“, meinte der Vampir und streckte seinem Opfer die Hand hin. Dieser ergriff sie und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. „Danke.“, sagte er dann und der junge Mann mit der Bisswunde lallte: „Nix zu danken.“ Dann taumelte er blutarm und offenbar stark betrunken, in Richtung der nächsten Parkbank. Und ich stand noch immer am selben Fleck, mit rasendem Herzen und ohne die geringste Ahnung, was hier gerade passiert war. „Hey… Du hast nicht zufällig ein Taschentuch, oder?“, fragte der Vampir und wie ferngesteuert drehte ich meinem Kopf zu ihm. Er war nur ein paar Zentimeter kleiner als ich und hatte blondes Haar. Seine Augen waren dafür umso dunkler und fixierten mich interessiert. „Ähm doch…“ Ich tastest meine Jeanstaschen ab und fand noch eine zusammengeknüllte Packung in der sich noch ein oder zwei saubere Taschentücher befinden mussten. Wortlos reichte ich sie dem Vampir, der sich bedankte und dann anfing, sich das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Dann knüllte er das Tuch zusammen und warf es in einen Mülleimer in unserer Nähe, der sich für meine Augen, kaum von der Dunkelheit abhob. „Willst du dich hinsetzen, oder so?... Ich habe irgendwie Angst, dass du doch noch umkippst. Und wahrscheinlich wird man mir die Schuld dafür in die Schuhe schieben.“ Er zuckte mit den Schultern und grinste wieder, als wäre jetzt alles geklärt. „Du hast… ihm in den Hals gebissen.“, sagte ich lahm. „Ja schon… Aber ich habe ihn vorher gefragt. Und glaub mir…“ Der Vampir fasste sich an die Stirn und verzog das Gesicht ein wenig. „Es war nicht unbedingt meine beste Idee. Der war viel betrunkener, als ich dachte. Also wenn du stehen bleiben willst… bitte. Aber ich muss mich jetzt mal kurz hinhocken. Man sieht sich vielleicht.“ Er hob die Hand, zum Abschied und ging mit federnden Schritten in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich schaute ihm nach, noch immer total unfähig zu begreifen. Ein Vampir. So richtig blutsaugend und blass. Aber offenbar wirklich nicht so gefährlich, wie ich gedacht hatte. Und ob es jetzt stimmte oder nicht, dass er den Mann gefragt hatte… Er war immerhin noch am Leben. Der Vampir hatte ihn nicht getötet. Und mich auch nicht. Langsam beruhigte ich mich und begriff gleichzeitig, wie irrsinnig diese Begegnung gerade gewesen war. Eine innere Stimme befahl mir, Collin anzurufen. Der würde mir wahrscheinlich begeistert ins Ohr schreien und sofort mit seinem Gefolge hier antanzen. Fast tat es mir ein bisschen Leid, für den Blutsauger, dass er sich bald mit meinem Mitbewohner auseinandersetzen musste. Allerdings stellte ich fest, dass ich mein Handy in der Wohnung hatte liegen lassen. Ich fluchte leise und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Klar, einem vernünftig denkenden Menschen hätte sich diese Frage, vermutlich nicht gestellt. Er hätte die Beine in die Hände genommen und wäre geflohen. Aber ich nicht. Ich war neugierig geworden. Und ich sah in dieser Begegnung, eine echte Chance mal etwas Nützliches, für Collins Projekt beizutragen. Kurzentschlossen folgte ich dem Vampir, der mittlerweile fast bei einer Parkbank unter einer großen Kastanie angekommen war. „Hey, warte mal.“, sagte ich und sprintete die letzten Meter, bis ich neben ihm stand. Verwundert schaute er mich an. Ich holte tief Luft. „Hättest du vielleicht Interesse an einem Interview? Ich kenne jemanden, der würde seine beiden Hände opfern, für ein Gespräch mit dir.“ Er hob eine Augenbraue und schaute mich wartend an, als ob er auf eine vernünftige Erklärung dafür hoffte. Als diese nicht kam, sah er fast schon ein bisschen gekränkt aus. „Nein.“ Ich war doch etwas überrascht. „Weshalb denn nicht? Ich meine die Menschen haben… Und ich muss zugeben, das hatte ich bis eben auch… ein ziemlich falsches Bild von den Vampiren. Es muss doch in deinem Interesse sein, das richtig zu stellen, oder? In anderen Ländern klappt das Zusammenleben schon viel besser, als bei uns, das-“ „Ich sagte Nein. Und ich sage es kein drittes Mal…“, antwortete der Blonde. Er blieb weiterhin ruhig, aber sein Blick hatte sich verfinstert. „Ich kann dir seine Telefonnummer geben, falls du es dir anders überlegst…“, schlug ich vor und konnte förmlich spüren, wie ich die Geduld meines Gesprächspartners reizte. „Sag mal hast du Todessehnsüchte? Verschwinde jetzt und lass mich in Ruhe. Ihr verdammten Journalisten habt doch keine Ahnung.“ „Okay…sorry.“, fügte ich hinzu und wandte mich dann von ihm ab. Ich konnte förmlich spüren, wie sein Blick sich in meinem Nacken festgesetzt hatte und mit einem Schaudern beschleunigte ich meine Schritte. Gott, das war auch eine selten dämliche Idee gewesen. Kränker ging es ja kaum. Einem Vampir nachlaufen, nachdem man großzügig verschont worden war. Vielleicht plagten mich wirklich Todessehnsüchte, von denen ich bisher nichts wusste… Ich fluchte, als ich aus dem Park draußen war. Ich war sowas von durch den Wind. Den gesamten Rückweg, störte ich mich nicht an den vielen, fremden Menschen, so tief war ich in meine Gedanken versunken. Collin würde total ausflippen. Wahrscheinlich würde er kein Auge mehr zu machen, bis er den Vampir nicht persönlich getroffen hatte. Das würde richtig anstrengend werden. Mir fiel auf, dass ich ihm kaum nützliche Informationen liefern konnte, obwohl ich mit dem Vampir geredet hatte. Zumindest nach seinem Namen hätte ich fragen können… Ich machte unserer Redaktion wirklich alle Ehre. Sie waren zwar alle mit Herzblut dabei, aber der Erfolg lies weiterhin auf sich warten… Ich schloss die Wohnungstür auf und war überrascht, dass alles lichtgeflutet war. Kurz überlegte ich, ob ich es geschafft hatte, alle Lichter anzulassen, bevor ich gegangen war, als ich Ally entdeckte. Sie war Collins Assistentin und einer der kleinsten Menschen, die ich kannte. „Es ist nur Jared.“, rief sie in die Küche und wandte sich dann zu mir. „Hi. Wir haben uns schon gewundert, dass du nicht hier warst.“ „Ähm, ich war nur kurz draußen…“, setzte ich an, als auch schon das nächste Gesicht in dem Loft auftauchte. Ein junger Mann mit Dreitagebart und hellen Augen. „Hi.“, sagte er und grinste. „Hi?“, machte ich und überlegte, ob ich ihn kannte. Unwahrscheinlich, dass ich den ein ganzes Jahr lang übersehen hatte. „Du musst der Neue sein.“, schlussfolgerte ich. „Der Neue… Klingt gut! Aber eigentlich heiße ich Fabrice.“ „Jared.“, stellte ich mir vor und tat so, als würde ich die Hand nicht sehen, die er mir hinhielt. „Jared ist eigentlich furchtbar nett. Aber er ist ein bisschen schüchtern, ärgere ihn nicht, Fabrice.“, erklärte Ally, dem Neuen. Die Wahrheit war: ich mochte einfach dieses Händeschütteln nicht. Und so wichtig war es mir dann doch nicht, ob die Leute mich für nett oder für ein Arschloch hielten. „Schüchtern? Das sagt ja gerade die Richtige.“, konterte ich und beobachtete, wie sie rot wurde. Schüchtern, war Allys zweiter Vorname. Zumindest, wenn Collin anwesend war. Jeder wusste, dass sie in ihn verliebt war und es war auch wirklich schwer zu übersehen. Nur Collin schaffte es. Und es tat mir auch immer sehr leid, für Ally, dass ihr Angebeteter so ein in Watte gepackter Workaholic war, dass er für die offensichtlichsten Dinge, keinen Blick hatte. „Ihr wartet auf Collin?“, fragte ich, nachdem betretenes Schweigen eingekehrt war. „Ja, er wollte uns nur eine Kleinigkeit bei Starbucks holen.“, antwortete Fabrice, bevor Ally den Mund aufmachen konnte. Irgendwie war er mir unsympathisch. Frech und anstrengend. Zumindest vom ersten Eindruck her. Um einer weiteren, unangenehmen Stille zu entgehen, zog ich mich kommentarlos in mein Zimmer zurück. Ich würde schon mitbekommen, wenn Collin wieder auftauchte. Anschleichen, war nicht gerade seine Stärke. „Ist er immer so?“, hörte ich Fabrice fragen, noch bevor meine Tür ins Schloss fiel. „Fabrice!“, schimpfte Ally und ich musste grinsen. Es war ja irgendwie süß, dass sie mich immer in Schutz nahm. Und ich war mir sicher, dass sie das nur um Collins Willen tat und dass sie mich eigentlich nicht leiden konnte. Mir sollte es recht sein, ich mochte sie trotzdem. Ich schälte mich aus meinem Pullover und suchte nach einem T-Shirt, in dem ich schlafen konnte. Dann drehte ich die Heizung ein wenig höher, es war doch ziemlich kalt geworden. Kurz darauf, hörte ich auch schon die nächsten Schritte im Treppenhaus und kurz darauf, das Öffnen der Tür. „Seid ihr schon fertig mit eurer Vampirjagd? Das ging aber schnell.“, bemerkte ich, als ich mich zu den drei Kaffeesuchtis in das Wohnzimmer gesellte. Es war der einzige große Raum in der Wohnung und hier befanden sich auch der Esstisch, der Fernseher, diverse Bücherregale und Collins einziges Hobby, das Aquarium. „Jared! Ich wollte dich schon als vermisst melden. Nicht zu fassen, dass du das Haus verlassen hast.“, grinste Collin und schob mir ein Gebäckstück zu, dass vielleicht ein Muffin sein sollte. Ich verzog das Gesicht. „Nein danke, es ist mitten in der Nacht, ich will jetzt nichts zum Essen.“ Fabrice lachte und angelte sich den für mich bestimmten Muffin. „Mitten in der Nacht? Es ist gerade mal kurz nach zehn.“ Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder zu Collin. Dieser hatte sich gerade seine Brille aufgesetzt und schaute sich offenbar einen Stadtplan an. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Manchmal wurde ich das Gefühl nicht los, er hätte am liebsten einen Job, bei den X Akten. „Vielleicht habe ich was Interessantes gesehen, als ich draußen war.“, setzte ich an, doch Collin hob seinen Blick nicht und packte jetzt auch noch einen Textmarker aus. „Ach ja? Was den…? Ein hübsches Mädchen vielleicht?“ Ally wurde rot und Fabrice lachte, während ich die Zähne zusammenbiss. Immer dieses Thema. „Ich dachte es interessiert dich vielleicht, dass ich den Vampir getroffen habe.“, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Triumphierend schaute ich in sein verblüfftes Gesicht, während Fabrice sich an seinem Teigstück verschluckte und Ally ihm auf den Rücken klopfte. „Ist das dein Ernst?“, wollte Collin wissen und lies fast seinen Textmarker zu Boden fallen. Es wäre nicht der erste neongrüne Fleck auf dem schicken Parkettboden. „Natürlich. Es war im Stadtpark. Und er war gerade dabei, irgendeinem Betrunkenen das Blut auszusaugen. Dann hat er mich entdeckt und dann… wurde es echt seltsam.“ Die drei schauten mich an, als wäre mir gerade ein zweiter Kopf gewachsen und ich beeilte mich weiterzusprechen. „Er hat sein Opfer gehen lassen… Dem ging es wahrscheinlich nicht schlechter als vorher. Dann hat er mich nach einem Taschentuch gefragt und sich das Blut aus dem Gesicht gewischt. Aber ein Interview möchte er nicht geben. Ehrlich gesagt wurde er ein bisschen grantig, als ich ihn danach gefragt habe. Also sieht es schlecht aus, für euch.“ Noch immer schwiegen sie und starrten mich an. Fabrice sogar mit geöffnetem Mund. Langsam wurde es mir unangenehm. „Also… Ich wollte es dir nur sagen… Ich geh dann jetzt mal Richtung Bett.“ „Jared...“, sagte Collin langsam und setzte seine Brille ab. Er schaute mich so ernst an, dass ich ein wirklich ungutes Gefühl bekam. Ehrlich, ich hatte gedacht er würde vor Freude im Kreis rennen und jubeln, aber er machte ein Gesicht, als wäre jemand gestorben. „Hast du sie noch alle?“, fragte er schließlich und mir klappe die Kinnlade runter. „Du glaubst mir nicht? Ausgerechnet du?“, empörte ich mich. Er schüttelte den Kopf. „Natürlich glaube ich dir… Aber hast du denn total den Verstand verloren? Du schaust einem Vampir dabei zu, wie er offenbar einen Menschen aussaugt und dann fragst du ihn nach einem Interview?“ Collin klang jetzt fast schon ein bisschen hysterisch. „Du hast offenbar Watte in den Ohren, wenn wir über unsere Arbeit reden, oder? Vampire, die Tierblut trinken sind nicht gefährlich. Vampire, die Menschenblut trinken, sind gefährlich. Schließlich bist du ein Mensch, schon vergessen? Ist das wirklich so schwer, Jared? Kannst du nicht ein einziges Mal auf dich aufpassen?!“ Ich war so fassungslos, über seinen Ausbruch, das mir schlichtweg die Worte fehlten. Und das wollte schon was heißen. „Aber du hast doch gesagt-“ „Oh Gott, oh Gott!“ Ally schlug die Hände vor ihrem Mund zusammen. „Was machen wir denn, wenn er Jareds Spur folgen wird? Wir müssen die Wohnung absperren!“ „Und wir müssen Verstärkung anfordern! Wenn wir es hier wirklich mit einem Vampir zu tun haben, der Menschenblut trinkt… Das ist richtig krass!“ Fabrice war ganz blass geworden und würdigte den Muffin keines Blickes mehr. Ich schüttelte den Kopf. „Ihr habt doch alle einen Totalschaden. Erst wird mir eingebläut, dass wir unsere Vorurteile überwinden müssen und das Vampire nicht gefährlich sind und jetzt dieses Affentheater. Also wie gesagt…“ Ich hob zum Abschied eine Hand. „Ich gehe jetzt ins Bett, macht doch was ihr wollt.“ Das war mir jetzt echt zu blöd. Ich konnte gut und gerne zugeben, dass es vielleicht ein bisschen leichtsinnig gewesen war, mit einem Vampir zu quatschen, aber ich hatte doch im Grunde genau das getan, was Collin sonst von allen fordert. Kommunikation. Interesse. Ich schnaubte wütend, putze mir die Zähne und verschwand dann auf mein Zimmer. Noch immer hörte ich ihre aufgeregten Stimmen. „Es müssen zwei sein! Alle Berichten deuteten auf einen harmlosen Vampir hin! Anders kann es gar nicht sein, oder?“ „Vielleicht hat Jared sich vertan?“ „Du hast ihn doch gehört. Der hat nicht einen leisen Schimmer, was hier los ist. Wieso sollte er uns anlügen?“ „Ich habe doch gar nicht gesagt, dass er gelogen hat!“ „Wie auch immer, vielleicht haben wir hier ein echtes Problem…“ „Collin, du weißt schon, dass das eigentlich ein meldepflichtiger Fall ist, oder?“ „Ja schon… Aber vielleicht ist es unsere einzige Chance endlich mehr über sie zu erfahren. Wir müssen natürlich verdammt vorsichtig sein.“ „Vielleicht können wir ja den harmlosen Vampir mit einbeziehen und uns mit ihm verbünden, oder so.“ Das war ja nicht zum Aushalten. Ich zog mir die Decke über die Ohren, drehte mich zur Wand und versuchte ihre Gespräche auszublenden, wie sonst auch. Sie konnten mir sagen, was sie wollten. Aber obwohl der Vampir mir sogar indirekt mit dem Tod gedroht hatte, hatte ich zu keinem Moment richtige Angst vor ihm gehabt. Er hatte auf mich weder besonders gefährlich, noch unmenschlich gewirkt. Langsam zweifelte ich ein bisschen an meinem Verstand. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass er mich nicht jagen würde. So wie ich die Situation eingeschätzt hatte, war der Blonde eher froh gewesen, als er mich endlich losgeworden war. Ich beschloss mich endgültig aus dieser Sache rauszuhalten. Morgen würde ich mir einen Frisörtermin machen, zu meinem Job im Café gehen und nicht mehr darüber nachdenken, ob ich jetzt einem guten oder einem bösen Blutsauger begegnet war. Sollten sich doch diese Möchtegern Ghostbusters da draußen darum kümmern. Kapitel 3: Hundsmiserabel *Jared* --------------------------------- „Einen laktosefreien Kaffee latte und einen Erdbeermilchshake.“, murmelte ich und stellte die Bestellung den beiden Mädels auf den Tisch. Mittlerweile würde ich mir sogar zutrauen, anhand ihrer Gesichter vorherzusagen, was sie bestellen würden. War ja klar, dass jemand mit aufgemalten Augenbrauen und rosa Schleife auf blondem Haar trug, einen laktosefreien Kaffee latte bestellen würde. Es schmerzte fast in meinen Ohren, es auszusprechen. „Moment noch.“, sagte sie, als ich mich mit meinem Tablett wieder davonmachen wollte. „Ja?“ Wenn sie jetzt einen glutenfreien Keks bestellte, würde ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen können. „Ein kleines Mineralwasser, bitte noch.“ „Kommt sofort.“, antwortete ich und rang mir ein Lächeln für sie ab. Ich beeilte mich zurück hintern den Theresen und machte ihre Bestellung fertig. In fünf Minuten war ich hier fertig, dann würde ich sofort weiter zum Frisör, in der Innenstadt fahren. Mit der U-Bahn. Mir graute es jetzt schon davor. Es kostete mich fast so viel Überwindung, wie zum Zahnarzt zu gehen, in dieses überfüllte Verkehrsmittel einzusteigen. „Die Rechnung, bitte!“, riefen drei verschieden Leute, während ich das Wasser, zu der laktoseintoleranten Kundin brachte. „Ja, ja.“, murmelte ich und beeilte mich, hier fertig zu werden. Meine Ablösung, ein bezauberndes, sehr resolutes Mädchen namens Tara, winkte mir quer durch den Raum zu, um mir zu bedeuten, dass ich mich aus dem Staub machen konnte. Ich winkte ihr zurück und löste den Konten meiner dunkelgrünen Kellnerschürze, während ich mich auf den Weg in die Personalräume machte. Ich legte meine Arbeitssachen und das Namensschild zurück in mein Fach und zog meine Jacke über. Mit einem Blick auf mein Handy, stellte ich überrascht fest, dass Christa versucht hatte mich anzurufen. Ich klemmte mir das Handy zwischen Schulter und Ohr, während ich mich auf den Weg zu U-Bahn Station machte. „Jared, bist du das?“, fragte die ältere Dame, nachdem ich es fast eine Minute lang hatte klingeln lassen. Sie sprach meinen Namen immer ‚Gerret‘ aus, weil es ihr nicht möglich war zu verstehen, wie man es sonst tun sollte. „Ja, Hi. Du hast versucht mich anzurufen?“, fragte ich zurück und schielte auf die leuchtende Anzeige mit den Bahnverbindungen, die mir sagte, dass meine Bahn fünf Minuten Verspätung hatte. Dann konnte ich wenigstens in Ruhe telefonieren. „Ja, mein Lieber. Ich wollte dich fragen, ob du heute Mittag schon mit Lady spazieren gehen kannst? Weißt du, die Hannelore hat mich angerufen und für heute Nachmittag eingeladen, sie war doch mit dem Wolfgang auf dieser Kreuzfahrt und wollte mir Bilder zeigen. Und die Lady kann ich da nicht mitnehmen und so lange alleine lassen will ich sie auch nicht. Würdest du das machen, Lieber?“ „Ähm…Um wie viel Uhr denn? Ich bin noch in der Stadt, hab einen Termin.“ „Was sagst du, Lieber?“, fragte Christa und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie ihr Handy auf Lautsprecher gestellt hatte und ungestört weiterstrickte. Ich meinte sogar, die Stricknadeln klappern zu hören. „Um wie viel Uhr soll ich mit dem Hund gehen?!“, brüllte ich in den Hörer, um das Donnern eines Zuges zu übertönen. „Um drei, mein Lieber!“, schrie sie zurück und ich musste mir das Handy ein bisschen vom Ohr weghalten. „Und Vielen Dank! Die Lady und ich, wir stellen dir auch ein paar Kekse bereit!“ „Ja, danke. Ich lege jetzt auf.“ Mit den Nerven am Ende, stieg ich in meinen Zug ein. Natürlich bekam ich keinen Sitzplatz mehr und verbrachte die kurze Fahrt, eingekeilt zwischen verschwitzen Menschen und sperrigen Koffern. Wieder einmal fand ich, dass ich aus dem Alter, mit dem Hund der pensionierten Nachbarin, gegen Bezahlung Gassi zu gehen, längst rausgewachsen war. Aber so schrecklich es auch war… Ich mochte sie. Und den Hund. Und ich brauchte das Geld. Außerdem würde ich sonst gar keine frische Luft abbekommen, also tat ich es eigentlich gerne. Nur mit Christa zu telefonieren, war ziemlich anstrengend. Ich wusste auch gar nicht, wer aus ihrer Familie auf die glorreiche Idee gekommen war, der alten Dame ein IPhone zu kaufen. Und ich war wirklich aus allen Wolken gefallen, als sie mich nach meiner Handynummer gefragte hatte. Collin hatte sich halb totgelacht und zog mich regelmäßig damit aus, dass Christa die einzige weibliche Person war, die meine Handynummer hatte. Was natürlich nicht stimmte. Tara und Ally hatten sie ebenfalls. Eine dreiviertel Stunde später und mit ein paar Zentimetern weniger Haare auf dem Kopf, kam ich schnaufend vor der Tür unserer Nachbarin an. Fünf vor drei, sagte mein Handy. „Pünktlich, wie die Maurer!“, sagte Christa. Lady, natürlich ein weißer Terrier, sprang mir an die Beine und ich beugte mich runter, um sie zu streicheln. „Hast du einen neuen Haarschnitt? Also das sieht wirklich sehr anständig aus, mein Lieber.“ Ich musste über ihre Wortwahl grinsen und griff nach der Leine, die neben dem rustikalen Schlüsselbrett hing. „Danke.“ „Nein, jetzt sieht man ja endlich dein Gesicht!“ Das war eben der Nachteil, an dunklen Haaren. Man sah ganz schnell aus, wie Edward mit den Scherenhänden, wenn man sie ein wenig wachsen ließ. „Hier nimm den Schlüssel mit, ich bin nicht mehr da, wenn ihr wiederkommt.“ „Okay. Wir telefonieren dann.“ Lady eilte mir schwanzwedelnd voraus, wissend, dass ich nicht nur im Schneckentempo mit ihr einmal um den Block laufen würde, sondern, dass wir in den Park gehen würden. Den Park… Meine Schritte verlangsamten sich und ich fluchte innerlich. Tatsächlich hatte ich es bis jetzt geschafft, nicht mehr an gestern Abend zu denken. Aber der Terrier schaute mich so freudig an und schleifte mich fast in die gewohnte Richtung. Und sowieso erschien es mir albern, den Park zu meiden. Am besten gar nicht erst damit anfangen. Normalität, war angesagt. Also stöpselte ich mir die Kopfhörer in die Ohren und versuchte mich zu entspannen. Lady freute sich, pinkelte hier und da gegen eine Litfaßsäule oder einen Mülleimer und ich beobachtete, wie die kleinen Terrier Ohren bei jedem Schritt hüpften. Ich versank wieder in meinen Gedanken und bemerkte es fast gar nicht, als wir den Park betraten. Wir umrundeten den See und ich überlegte, ob ich Collin überhaupt gesagt hatte, wo ich den Vampir getroffen hatte. Bestimmt, oder? Ich wurde wieder langsamer, als wir uns der Stelle näherten, an der ich den Blonden getroffen hatte. Gerade hatte ich beschlossen, die Stelle zu umgehen, als Lady anfing zu kläffen. „Oh man… Bitte, lass es einfach nicht wahr sein.“ Ich hatte längst entdeckt, was die Hündin anbellte. Und ich verfluchte den Moment, in dem ich den Park betreten hatte. Ganz in der Nähe lagen ein Paar Laufschuhe, in denen jemand drinsteckte, der offenbar hinter einer Hecke lag. Sollte ich die Polizei rufen? Und wenn es nur ein Junkie war, der schlief, oder so? Lady zog mich hinter sich her, ich atmete noch einmal tief durch und lugte dann über die Zweige hinweg. Mit fiel die Leine aus der Hand und ich musste nach Luft schnappen. Alles deutete auf einen brutalen Vampirangriff hin. Das Blut, die Bisswunde… nur das Opfer… war der Vampir selbst. Ich starrte ihn an und hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Lady lief auf ihn zu und ich konnte sie gerade noch davon abhalten, ihm durch das blutüberströmte Gesicht zu lecken. „Ach, scheiße, warum passiert das?!“, jammerte ich, nahm den Hund an die kurze Leine und ging neben dem Vampir in die Hocke. Er sah noch jünger aus, als bei unserer ersten Begegnung. Seine Augen waren geschlossen und er regte sich nicht. Was sollte ich denn jetzt machen? Die Polizei zu rufen, erschien mir aus verschiedenen Gründen, nicht als die klügste Variante. Ich streckte eine zitternde Hand aus und tastete nach seinem Puls. Nichts. „Oh fuck…“ Ich schloss die Augen und fuhr mir durch die Haare. Mir blieb nichts anderes übrig, als Collin anzurufen. Vielleicht wusste er, was das zu bedeuten und vor allem, was ich jetzt zu tun hatte. Ich hatte mein Handy schon hervorgeholt, als der Vampir sich doch noch regte. Er rollte sich mühsam auf die Seite und ich sah, dass noch immer frisches Blut, aus der Wunde strömte. Allzu lange, konnte er hier noch nicht gelegen haben. Er gab ein gequältes Geräusch von sich und tastete mir zwei Fingern an seinen Hals. Dann lachte auch er, ähnlich seinem Opfer, gestern Abend. „Hast du gerade nach meinem Puls gefühlt?… Ich bin tot, du Trottel, da kannst du lange fühlen.“, während er mich verspottete, spuckte er ein bisschen Blut und ich sah, dass sich seine Finger fest in das kurze Gras verkrampften. „Du siehts ziemlich scheiße aus…“, sagte ich, weil mir einfach nichts einfiel, was man sonst zu einem Vampir sagen konnte, der offenbar selbst ausgesaugt worden war. „Ja, das kann ich mir vorstellen… Und ich hab Hunger…“, murmelte er und sein Blick fand meinen. Die Augen waren schwarz, man konnte kaum unterscheiden, zwischen Iris und Pupille. Ich war sofort auf den Beinen und wich einen Schritt zurück. Das war schlecht. Ganz schlecht. Er gab ein heiseres Lachen von sich und stemmte sich in eine halb sitzende Position. „Selbst, wenn du jetzt versuchen solltest wegzulaufen… du würdest nicht weit kommen.“ Er grinste, doch sein schmerzverzerrtes Gesicht, ließ es wie eine Grimasse aussehen. „Keine Sorge, es reicht, wenn du mich einmal kurz beißen lässt.“ Mein Entsetzen steigerte sich, als ich merkte, dass sein Blick nicht auf mir, sondern auf dem treuen Terrier lag, der sich mittlerweile hinter meinen Beinen versteckt hatte. „Bah! Vergiss es!“ Die arme, alte Lady! Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Ich zerrte an der Leine und versuchte den Hund in Bewegung zu setzen. „Sorry, man.“, war das Letzte, was ich hörte, dann bekam ich einen Schlag auf die Nase, der sofort alles um mich herum schwarz werden ließ. Ich erwachte mit dröhnendem Schädel. Und ich begriff auch sofort, dass die ganze Situation noch nicht über den Berg war. Ich lag im kühlen Gras und als ich meine Hand hob, spürte ich etwas glitschiges, warmes daran kleben. Blut, wie sich herausstellte, als ich es schaffte, die Augen offen zu halten. Das war ein ziemlich fieser Schlag gewesen, mir war richtig schwindelig. „Man, du bist ja schon wieder wach… Ich bin echt noch nicht wieder fit…“, murmelte der Vampir. Er saß auf einer nahegelegenen Parkbank, die vom Weg abgeschnitten war. Wenn er mich hier töten würde, würde es wahrscheinlich nicht mal jemand mitbekommen. Und das mitten in der Stadt! Ich rappelte mich auf und sah mich nach Lady um. Sie war nirgendwo zu sehen. Ich sah nur das blutverschmierte Grinsen, dieses blonden Scheißkerls. Und ich dieses Grinsen, lies mich sehr viel schneller auf die Beine kommen, als ich es eben noch für möglich gehalten hatte. Jetzt reichte es! Rasend vor Wut stürzte ich mich auf ihn. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass irgendein Mensch blöd genug war, um ihn anzugreifen. Und so schaffte ich es tatsächlich, ihn zu Boden zu werfen. „Du kranker Bastard, du hast den Hund von einer alten Oma gekillt! Was hast du mit ihr gemacht? Hast du sie komplett verspeist, oder was?!“ Ich wusste gar nicht, wohin mit meinem Ekel, darüber, dass er an dem Terrier rumgeknabbert hatte. „Hey, ganz ruhig! Ich hab den Hund nicht aufgefressen, was für ein Schwachsinn! Ich habe nur einen winzigen Schluck getrunken, ehrlich… Autsch, jetzt sei mal ein bisschen vorsichtig, ja? Ich hab dir nichts getan.“ Ich hatte meine Hände fest um seine Kehle gelegt, ungeachtet der Tatsache, dass das wegen des vielen Blutes, ziemlich eklig war. „Wo ist der verdammte Hund?!“ „Kein Ahnung! Ich denke mal, sie ist nach Hause gelaufen. Das machen Hunde so, oder?“ Er hob eine Augenbraue und war schon wieder am Grinsen. „Du…“, knurrte ich und drückte unwillkürlich ein bisschen fester zu. „Gib dir keine Mühe, Kleiner. Ich bin immer noch tot, du kannst mir also den Hals zudrücken, soviel du willst.“ Ich blinzelte. „Kleiner?“ Hatte ich mich gerade verhört? Sein Dauergrinsen wurde noch breiter. „Ich weiß schließlich immer noch nicht, wie du heißt.“ Ich dachte nicht mal daran, ihm meinen Namen zu verraten. Generell hatte ich mich schon lange genug, total surreal verhalte. Es war an der Zeit, dem ein Ende zu setzen. Ich nahm mein Handy, drückte Collins Kurzwahl und hoffte, dass er schnell rangehen würde. Eigentlich war auf ihn verlass, wenn es um seine Erreichbarkeit ging. „Hey, Jared… Wo steckst du denn?“ Collin klang gewohnt gut gelaunt, die Weltuntergangsstimmung von gestern Abend, konnte man ihm nicht mehr anhören. „Im Park. Mit dem Vampir.“, sagte ich knapp. „Oh, scheiße!“ Ich konnte quasi hören, wie er einen Satz in die Luft machte. „Ja, genau. Wäre klasse, wenn ihr euch beeilen könntet.“ „Halt durch, wir sind in drei Minuten bei dir!“ Ja, auf Collin war Verlass. Zufrieden legte ich auf und fixierte den Vampir, unter mir. „Sitz du bequem? Du bist ganz schön schwer.“, beschwerte er sich. „Das hättest du dir überlegen können, bevor du den Terrier ausgesaugt hast!“, knurrte ich und dachte nicht mal daran, aufzustehen. Er verdrehte die Augen und ich spürte, dass er versuchte, seinen Arm unter meinem Bein zu befreien. „Ausgesaugt, ist wirklich das falsche Wort! Sie ist quicklebendig zurück gelaufen, jetzt hab dich mal nichts so…“ „Ja wahrscheinlich ist die arme Lady, von einem LKW platt gemacht worden.“, konterte ich und wurde immer wütender, desto länger ich mir sein breites Grinsen ansah. „Ach, man kann auch extra empfindlich sein… Ich heiße übrigens Ian.“, erklärte er, völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich beschloss ihn zu ignorieren, das war mir einfach zu anstrengend. „Kommen jetzt deine Vampirjägerkumpels und jagen mir einen Pflock ins Herz? Und willst du gar nicht wissen, wieso ich hier auf dich gewartet habe?“ Seine dunklen Augen blitzen und hielten meinen Blick gefangen, wie bei unserer ersten Begegnung. „Als ob, du hier auf mich gewartet hättest… Verarschen kann ich mich selbst. Und meine Vampirjägerkumpels sind nur ein Haufen harmloser Journalisten, kein Grund zur Panik.“ Ian fing an zu lachen. Nicht zu fassen, dieser Vampir, lachte mich aus. Ich beugte mich ein wenig zu ihm runter und zischte: „Du gehst mir ganz gewaltig auf die Nerven! Tu mir einfach einen Gefallen und sei still, bis die anderen da sind.“ „Oh, man.“, kicherte er. „Wenn es nicht so lustig wäre, wäre es wirklich traurig, dass du denkst, du hättest einen Vampir überwältigt und wartest jetzt auf die Übergabe.“ „Und ich finde es echt affig, dass du denkst, ich nehme dir ab, dass du hier auf mich gewartet hast!“ Er war noch immer am Lachen. „Hast du gerade ‚affig‘ gesagt?“ Gott, dieser Kerl wurde mit jedem Moment unausstehlicher. „Jared!“ Das war eindeutig Collins zartes Stimmchen, dass fast mein Trommelfell zerfetzte. Ian lachte nur noch mehr und ich schaute mich nach meinem Mitbewohner um. Dieser kam hinter mir auf uns zu gerannt, dicht gefolgt von Fabrice und Jack, aus seiner Redaktion. „Na endlich.“, stöhnte ich, bemerkte aber, dass die drei mit einem ordentlichen Sicherheitsabstand zu uns stehen geblieben waren. „Scheiße, hat er dich gebissen?!“, fragte Collin entsetzt und mir wurde klar, wie schlimm der Vampir und ich aussehen mussten. Als hätten wir uns gegenseitig zerfleischen wollen. „Ähm, nein, mir geht’s gut. Er hat den Hund gebissen.“ „Was denn für einen Hund?“, fragte Fabrice und schaute sich suchend um. „Ist doch voll egal, man! Hilft mir jetzt mal jemand, oder nicht?“ Meine Geduld war wirklich mehr als aufgebraucht. „Oje, ist er immer so schlecht drauf?“, fragte Ian, als die anderen drei näher kamen. „Manchmal…“, antwortete Collin und betrachtete den jungen Vampir nachdenklich. „Du hast also gestern einen Menschen ausgesaugt?“ Ian verdrehte die Augen. „Wenn ich ihm alle sechs Liter Blut ausgesaugt hätte, wäre er wahrscheinlich nicht mehr allzu weit gekommen… und ich wäre vermutlich geplatzt.“ „Du hast ihn nicht getötet oder verwandelt?“ „Nein. Und ich habe auch deinem Freund hier nichts getan. Nicht mal den Hund hab ich um die Ecke gebracht… Können wir jetzt bitte vernünftig miteinander reden? Mein Rücken tut langsam weh.“ „Wir müssten dich eigentlich bei der Polizei melden, dass weißt du, oder? Auch wenn du ihn nicht getötet hast…“ „Tut, was ihr nicht lassen könnt…Ich würde mich nur freuen, wenn wir vorher miteinander reden könnten.“, antwortete Ian ungerührt auf Collins Ansage. Ich war heillos verwirrt. „Woher der Sinneswandel? Gestern wolltest du partout nicht reden.“, erinnerte ich mich. Ian verzog das Gesicht. „Bitte, ich erkläre es dir ja, aber geh jetzt langsam mal runter von mir… Wie gesagt, mein Rücken…“ Jack, der bisher geschwiegen hatte, reichte mir eine Hand und ich ließ mir von ihm aufhelfen. Der Vampir ächzte und richtete sich langsam auf. Er war von oben bis unten eingesaut, entweder mit Grasflecken, Dreck oder Blut. „Ist das eine… Bisswunde?“, fragte Jack und starrte Ian ungläubig an. Fabrice und Collin schien es die Sprache verschlagen zu haben. „Ja… Es gibt da das eine oder andere, was mich hat umdenken lassen.“ Sein Blick wanderte von Jack zu mir. „Deswegen hatte ich darauf spekuliert, dich hier wieder zu treffen und mit deinen Journalistenfreunde zu reden.“ „Erst einmal…“, sagte Fabrice und schaute den Vampir skeptisch an. „Sollten wir vielleicht von hier verschwinden.“ Und so kam es, dass wir eine halbe Stunde später, zusammen an Collins Esstisch saßen. Ally hatte hier in der Wohnung auf uns gewartet und war fast rückwärts aus ihren Sneakers gekippt, als sie den blutverschmierten Blonden entdeckt hatte. Sie hatte ihn erst für ein weiteres Opfer, des Vampirs gehalten und sofort den Erste-Hilfe-Kasten ausgepackt. Irritiert hatte Ian ihr zugesehen, wie sie das Desinfektionsmittel aufdrehte und dann gemeint: „Das ist ja echt nett von dir… Aber ich glaube ihr habt das alle noch nicht so ganz verstanden, mit dem untot sein. Ich brauche kein Pflaster, wirklich.“ Er lächelte sie verbindlich an und sie hatte seit dem Moment nichts mehr gesagt. „Das wirft natürlich ein anderes Licht auf die Sache.“, murmelte Collin. „Gestern dachen wir schon, es müsste zwei Vampire geben, weil alle anderen Opfer Tiere gewesen sind und Jared von einem Menschen als Opfer berichtet hat.“ „Keiner ist gestorben. Kein Tier und auch kein Mensch.“, sagte Ian. „Ich brauche einen Kaffee.“, meinte Fabrice. Ally, Collin und Jack wollten ebenfalls einen. Und Ian, wie wir alle überrascht feststellten. „Also… Es gibt einen anderen Vampir… Stimmt das soweit?“ Collin hatte sich gegenüber von Ian niedergelassen, seine Brille aufgesetzt und einen riesigen Stapel mit unterlagen, über den halben Tisch verteilt. „Es sind noch zwei andere, soviel ich weiß.“ „Wie lange seid ihr schon in der Stadt.“ „Keine Ahnung.“, sagte Ian glatt. „Was soll das denn heißen?“ „Das heißt, ich habe keine Ahnung. Besonders lange bin ich noch kein Vampir… Und die erste Zeit war ich eingesperrt.“ „Der Vampir, der dich verwandelt hat, hatte dich eingesperrt?“, wiederholte ich langsam. Das alles, lief in eine ganz andere Richtung, als ich es vermutet hätte. Und mein Kopf schmerzte noch immer. „ Gott sei Dank, muss man dazu sagen.“, antwortete Ian und schaute in die Kaffeetasse, die ihm Jack gerade hingestellt hatte. Es war die dunkelgrüne Tasse, die eigentlich mir gehörte und die nicht mal Collin benutzen durfte. Gut, Jack konnte es ja nicht wissen… „Wer weiß, wen ich alles getötet hätte, wenn er mir nicht Tierblut als Alternative gezeigt hätte. Und wie man einen Menschen beißt, ohne ihn zu töten.“ „Krass…“, kam es von Fabrice und Jack warf ihm einen genervten Blick zu. „Entschuldigt die Frage… Aber ihr wisst nicht besonders viel, über Vampire, oder?“, wollte Ian mit hochgezogenen Augenbrauen wissen. „Noch nicht. Also nichts offizielles. Nur von ein paar ausländischen Kollegen. Eine unserer Mitarbeiterinnen kommt nächste Woche von einer Reise zurück und bringt hoffentlich einiges an Material mit. Es gibt schließlich kaum Vampire in diesem Land. Und die wenigen die es gibt, halten sich versteckt… Was ist ja auch gut nachvollziehen kann, wenn ich mir überlege, was sie mit denen gemacht haben, die an die Öffentlichkeit gegangen sind.“, antwortete Collin ernst. Ian schluckte und von seinem Grinsen, war nichts mehr übrig geblieben. „Was ist mit ihnen passiert?“ „Ähm… Offiziell sind sie in Sicherheitsverwahrung. Man weiß es nicht genau. Journalisten, werden nicht zu ihnen gelassen. Wir haben schon unzählige Anträge geschrieben.“ „Das blüht mir also auch.“, begriff Ian. Wir schwiegen einen Moment. „Weißt du was? Wenn du uns alles erzählst, an das du dich erinnerst… dann melden wir dich nicht.“, sagte Collin schließlich. „Collin.“, sagte Fabrice warnend. „Das bringt uns in Teufels Küche!“ „Jetzt hab dich nicht so. Ian ist ein Informant und hat keinem was getan… Es ist komplett unnötig ihn zu melden… Aber.“ Collin wandte seinen Blick jetzt wieder dem Vampir zu. „Du darfst nichts auslassen. Wir müssen sehen ob wir, oder sonst jemand vielleicht in Gefahr ist.“ Ian nickte stumm. Nachdem er sich das Blut aus dem Gesicht gewaschen hatte, stellte ich fest, dass er wahrscheinlich sogar der Jüngste im Raum war. „Wie alt bist du?“, fragte Ally, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Achtzehn.“, antwortete er. Okay, er sah ein bisschen jünger aus als achtzehn, aber das lag vielleicht auch an der blassen Haut. Jack seufzte. „Ich hoffe du weißt, dass wir uns damit strafbar machen, dass wir dich nicht melden.“ Ian nickte und schaute noch immer in seine Tasse. „Wer sind die anderen beiden Vampire?“, fragte Collin und zog ein unbeschriebenes Blatt näher zu sich heran. „Derjenige, der mich verwandelt hat. Sein Name ist Henry. Und der andere… Ich glaube er hat ihn zusammen mit mir verwandelt. Er heißt Lucas. Der Mistkerl hat mir das Blut ausgesaugt. Und bevor ihr jetzt fragt… Ich habe nicht den leisesten Schimmer, weshalb er das getan hat. Als ich nach gestern Abend nach Hause gekommen bin, war alles voller Blut, alle Möbel total zerstört und keiner war da. Ich bin den ganzen Vormittag durch die Stadt gezogen, habe aber keinen der beiden gefunden. Also habe ich beschlossen auf Jared zu warten. Er hatte mir von Journalisten erzählt und ich dachte ihr könntet vielleicht mehr wissen, als ich.“ Ian schaute in die Runde. „Also verstehe ich das richtig…“, murmelte Collin und schaute von seinen Notizen zu Ian. „Du hast auf der Bank gesessen und auf Jared gewartet und dann ist dieser Lucas aufgetaucht und hat dir einfach so in den Hals gebissen?“ Er klang ziemlich ungläubig und ich konnte es verstehen. Sowas verrücktes hatte ich noch nie gehört. „Genau. Er hat nichts zu mir gesagt. Und danach war ich so blutarm, dass ich nicht weg konnte. Netterweise hat Jared mir geholfen.“ „Du hast sein Blut getrunken?!“, quietschte Ally erschrocken. Ich verdrehte die Augen und warf Ian dann einen bösen Blick zu. „Nein. Er hat vom Christas Hund genascht. Der übrigens immer noch verschollen ist.“ „Mensch, Jared jetzt mach doch nicht so einen Aufstand wegen dem Hund, jetzt stell dir mal vor, er hätte stattdessen dich gebissen!“, gab Collin in meine Richtung. „Ach jetzt muss ich auch noch dankbar sein, oder was?“, pampte ich zurück. „Jungs, hört mal auf rumzuzanken, bitte. Das ist echt anstrengend.“, unterbrach Jack, in gewohnt ruhigem Tonfall. Ich schwieg. Und die anderen auch. Es war gar nicht so einfach, dass alles, als wäre es selbstverständlich, in sein Gehirn aufzunehmen. Zumindest meins, weigerte sich. „Ich gehe jetzt jedenfalls den Hund suchen… Denn ich bezweifle, dass wir hier jetzt noch besonders viel weiterkommen.“ Ich erhob mich von meinem Platz und Fabrice stimmte mit zu. „Sieht fast so aus, als hätte keiner von uns eine Ahnung, was das zu bedeuten hat…“ Und vor allem, meinte ich sehr genau zu wissen, wie sich die anderen entscheiden würden, wo der Vampir untertauchen würde. Sie würden nicht zulassen, dass er Ally alleine in ihre Wohnung begleitete. Fabrice wohnte noch bei seinen Eltern und Jack hatte zwei kleine Kinder zu Hause. So wie ich Collin kannte, würde er dem Vampir die Couch im Wohnzimmer anbieten. Das hatte mir gerade noch so gefehlt, für einen Start in ein normales Leben. Ein untoter Mitbewohner, der vielleicht auch noch von zwei anderen Vampiren verfolgt wurde. Kapitel 4: Von fremden Jeans und blutigen Salatschüsseln *Ian* -------------------------------------------------------------- „Collin…Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“ fragte ich und beobachtete den schlaksigen Kerl dabei, wie er Bettzeug aus seinem Schlafzimmerschrank wühlte. „Ach, klar. Ich habe das gleiche, für ihn getan, er soll sich mal nicht so anstellen… Du bist der Gast, also schläfst du im Gästezimmer. Nur solange, bis ich mir überlegt habe, wie wir das meinem Chef beibringen sollen… Dann kann er sich darum kümmern, dass du an einem sicheren Ort unterkommst.“ Er warf mir die Bezüge zu und schielte dann auf seine Armbanduhr. Schließlich grinste er mich an. „Ich hoffe nur, dass Jared den blöden Hund gefunden hat… Er kann echt anstrengend sein, aber ist ansonsten ein netter Kerl.“ „Du musst es ja wissen.“, murmelte ich und war nicht sonderlich begeistert von der Vorstellung, dass ich jetzt mit den beiden zusammen wohnen würde. Nicht, dass ich Collin nicht dankbar wäre. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer gehabt, dass hier so mit dem Vampiren verfahren wurde. Und um ganz ehrlich zu sein, ich hatte auch nicht darüber nachgedacht. Ich hatte es weder für möglich gehalten, von meinem Mitbewohner angegriffen zu werden, noch mich mit einem Rudel Journalisten zu treffen. Aber immerhin schien meine Sorge unbegründet, dass sie ein Interview mit mir veröffentlichen wollten. Sie schienen selbst nicht genau zu wissen, was sie jetzt mit mir anfangen sollten. „Jared hat erzählt, du würdest gerne mit mir sprechen… Ich verstehe nicht so ganz, weshalb die Sache plötzlich so brisant ist.“, sagte ich, als ich ihn aus seinem Schlafzimmer in den Loft begleitete. Collin seufzte und begann geistesabwesend seine Brille mit seinem Pulloversaum zu putzen. „Du hast von einem Menschen getrunken. Das ist der erste Punkt. Dann hat unser Chef eigentlich die Anweisung gegeben, uns aus der Sache rauszuhalten. Und drittens gibt es jetzt noch zwei andere Vampire, die womöglich gefährlich sind… Und offenbar hat dich der Vampir, der dich verwandelt hat, nicht besonders gut auf dein Leben als Untoter vorbereitet.“ Das stimmte, im Nachhinein betrachtet. Dabei hatte ich nie das Gefühl gehabt, Henry hätte mir irgendwas vorenthalten wollen oder so. Allerdings hatte ich Lucas auch als meinen Freund angesehen und… naja. Der hatte mir den Hals durchgekaut. Ohne einen ersichtlichen Grund. „Kann ich deine Dusche benutzen? Ich habe immer noch überall Blutreste kleben.“, fragte ich, nachdem wir das Bettzeug in das Gästezimmer geschafft hatten. „Klar. Und wenn du was essen möchtest, in der Küche ist noch Lasagne von Jared.“, rief Collin aus dem Loft. Immer wenn ich mich zu ihm umdrehen wollte, war er schon wieder verschwunden. Ständig am Reden und ununterbrochen am auf und ab rennen. „Ich bin nicht so scharf auf Lasagne.“, gab ich zu bedenken und hörte ihn irgendwo in der Wohnung lachen. „Stimmt! Total vergessen.“ Collin zeigte mir das Bad und reichte mir noch ein Handtuch. Als ich alleine war, konnte ich erst einmal durchatmen. Alles war so schnell gegangen und ich hatte das Gefühl mindestens die Hälfte der Sachen, die passiert waren, überhaupt nicht nachvollziehen zu können. Unter anderem auch Jared und Collin. Erst hatte ich sie für ein Paar gehalten, aber sie waren sich nur am angiften und außerdem schliefen sie nicht im selben Zimmer. Ich schaute auf die Anrichte, auf der diverse Badutensilien verteilt waren. Zwei Zahnbürsten. Zwei Handtücher. Auch in der Dusche standen zwei unterschiedliche Shampoos. Jared schien hier auch nicht gerade einen Kurzurlaub zu machen. Vielleicht waren sie Cousins oder so. Als ich schließlich unter der Dusche stand, merkte ich, dass ich nicht nur ziemlich verdreckt war, sondern, dass mir mein ganzer Körper weh tat. Ich hatte das Gefühl zu zittern, meine Bisswunde brannte, wie Feuer unter dem Wasserstrahl und dazu kam der Hunger. Dafür, dass sich ein Vampir, an mir komplett satt getrunken hatte, hatte ich danach viel zu wenig Blut bekommen. Ich konnte das Blut in meinen eigenen Ohren rauschen hören, mein Magen knurrte und mir lief das Wasser im Mund zusammen, bei der Vorstellung, meine Zähne in warmes Fleisch zu schlagen und endlich satt zu werden. Entweder ich musste mich bis morgen früh zusammenreißen, oder heute Abend noch mal verschwinden. Und ich nahm mir fest vor, Collin vorher Bescheid zu sagen. Er mochte keine Ahnung haben, aber er bemühte sich und hatte mich aufgenommen. Und vielleicht würden er und seine Kollegen ja herausfinden, warum zum Teufel Lucas mich angegriffen hatte. Mit bebenden Fingern drehte ich das Wasser ab und stieg, zusammen mit einer Dunstwolke, aus der Dusche. Ich schnappte mir mein Handtuch und schaute dann unschlüssig auf meine dreckige Kleidung, die ich achtlos auf den Boden geschmissen hatte. Und wo bekam ich jetzt was sauberes zum Anziehen her? Sehr schlau, Ian. Normalerweise überlegte man sich sowas, bevor man Duschen ging. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mir das Duschtuch um die Hüfte zu wickeln und vorsichtig um die Ecke zu sehen. Collin war am Telefonieren, ich konnte ihn bis hier hin hören. Sonst schien keiner da zu sein. Also huschte ich durch die Wohnung, betrat das Gästezimmer und zog die Tür hinter mir zu. Kurzerhand beschloss ich, etwas von Jareds Sachen anzuziehen. Besonders wohl war mir nicht dabei, einfach irgendetwas Fremdes anzuziehen, ohne vorher zu fragen. Aber vermutlich wäre es sowieso darauf hinausgelaufen. Wir hattet die gleiche Größe und Collins Sachen wären mir viel zu groß. Während ich mich umzog, wurde mir auch bewusst, dass ich es nicht bis morgen durchhalten würde. Ich brauchte Blut. Und zwar bald. Unsicher, was ich jetzt tun sollte, gesellte ich mich in der Küche, zu Collin, der sein Gespräch gerade beendet hatte. „Ah, gut, du hast was zum Anziehen gefunden.“, sagte er, als er mich erblickte. In einer Hand hatte er eine dampfende Kaffeetasse, mit der anderen tippte er auf seinem Handy. „Collin…Ich brauche Blut.“, sagte ich direkt. Was nützte es auch, darum herum zu reden. Collin verzog das Gesicht und seufzte. „Ja, ich weiß… Meinst du, du schaffst es noch bis morgen? Bis dahin haben Jack und ich sicher etwas für dich organisiert.“ Er sah mich hoffend an und ich nickte. Es ging eben nicht anders. Ich würde es schaffen müssen. Bisher war ich noch nie in einer solchen Situation gewesen… Ich hoffte einfach, dass mir keine Sicherung durchbrennen würde. Und ich hoffte, dass es nicht so schmerzvoll sein würde, wie Henry es berichtet hatte. Collin klopfte mir mitfühlend auf die Schulter und wandte sich wieder seinem Kaffee zu. „Ich kann wahrscheinlich auch nicht raus, um frische Luft zu schnappen, oder?“, fragte ich, ohne große Hoffnung. Er schüttelte den Kopf. „Nicht bevor wir nicht wissen, wieso der andere Vampir dich angegriffen hat… Ich finde das echt beunruhigend und ich habe noch nie von sowas gehört.“ „Ja, wer hätte schon gedacht, dass irgendjemand Geschmack an totem Vampirblut haben kann.“, meinte ich und es klang bitterer, als es gemeint war. Bevor Collin antworten konnte, hörten wir, wie die Eingangstür geöffnet wurde. Kurz darauf tauchte Jared in der Küche auf. Die dunkeln Haare trieften vor Nässe und er schien komplett durchgefroren. „Sag mal, du spinnst auch ein bisschen, oder?“, empörte sich Collin, über den Anblick seines Freundes. „Bei Regen da draußen rumlaufe, ohne Jacke oder Schirm. Es ist Oktober!“ Schimpfend verließ er den Raum, wahrscheinlich um Jared ein Handtuch zu bringen. „Aber ich habe Lady wiedergefunden.“, verteidigte sich Jared. „Und es hat nicht geregnet, als ich losgelaufen bin.“ Er wandte seinen Blick zu mir und ich sah, dass sich seine Augen ganz kurz weiteten. Dann biss er die Zähne zusammen und sein Blick verfinsterte sich deutlich. Mit diesem Blick machte er sogar Henry Konkurrenz. „Ähm…“, begann ich, wusste aber nicht so recht, was ich sagen sollte. „Sorry… Ich hatte sonst nichts dabei. Und ich wollte nicht in meine blutverkrustete Jeans zurück.“ „Apropos.“, meinte Collin, als er wieder zu uns kam und Jared ein Handtuch zuwarf. „Zieh dich besser auch um. In den nassen Sachen, holst du dir noch den Tod.“ Jared verließ wortlos den Raum. Und er hatte zwar nichts dazu gesagt, dass ich sein Kleidung trug, aber… das war auch nicht unbedingt notwendig gewesen. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich jetzt zu Asche verbrannt. Seine Augen hatten ein verwirrende Farbe, wie ich fand. Ein außergewöhnliches hellbraun, das fast an die Farbe von Bernstein erinnerte. Es passte einfach wenig, zu den schwarzen Haare und ich war jedes Mal kurz irritiert, wenn sich unsere Blicke trafen. Dazu drückte seine ganze Körpersprache mir gegenüber Ablehnung uns Misstrauen aus. Gut… Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Vielleicht würde er ja irgendwann auftauen. „Ich muss auch gleich schon wieder los.“, riss mich Collin aus meinen Gedanken. „Wohin?“, fragte ich und hoffte, nicht zu neugierig zu wirken. „Zu Jack. Seine Frau Liza ist in Bulgarien und wir hoffen, dass ihr vielleicht was zu den Geschehnissen einfällt… Oder ob sie zumindest noch irgendwoher ein paar Infos bekommen kann, solange sie noch da ist. Wir skypen leider nicht so oft, wie wir es vorhatten, die Internetverbindung ist haarsträubend und meistens ist einfach keine Zeit dafür.“ Er seufzte und zuckte mit den Schultern. „Also, wenn irgendwas ist, Jared hat meine Handynummer. Ich bin immer erreichbar,.“ Collin klopfte mir noch einmal auf die Schulter und war dann auch schon in Richtung Garderobe verschwunden. „Bis später!“, hörte ich ihn wenige Minuten später rufen und dann fiel die Tür auch schon ins Schloss. Unschlüssig stand ich in der kleinen Küche und fühlte mich ziemlich deplatziert. Es war halb sechs, also viel zu früh, um an Schlafen zu denken. Aber desto eher ich einschlief, desto näher rückte der Zeitpunkt, an dem ich etwas zu trinken bekam… Hoffte ich zumindest. Erst einmal musste ich mir an der Spüle ein Glas mit Wasser füllen, mein Hals war einfach so trocken. Und es schmerzte bei jedem Schluck, das Wasser brachte keine Linderung. „Hey…Wir haben auch Mineralwasser, da drüben in der Kiste. Du musst kein Leitungswasser trinken.“ Ich zuckte beim Klang von Jareds Stimme unwillkürlich zusammen. Aber ich drehte mich nicht zu ihm herum. Ich hatte nicht das Gefühl, meinen Körper am Zittern hindern zu können. Verdammt, Henry hatte nie erwähnt, dass es so schnell gehen würde. Das Aushungern. „Ja…Danke.“, murmelte ich und stellte das Glas neben der Spüle ab. Dann ballte ich meiner Hand zu einer Faust und öffnete sie wieder. Sie zitterte nur minimal. Offenbar fand diese ganze Schwäche bisher nur in meinem Kopf statt. Das würde ich in den Griff bekommen. „Geht’s dem Hund gut?“, fragte ich, um die Stille zu durchbrechen und um mich ein bisschen von meiner Blutlust abzulenken. Ich lehnte mich jetzt doch mit dem Rücken an die Anrichte, sodass wir uns (mit einigen Metern Sicherheitsabstand) gegenüber standen. Jared zuckte mit den Schultern, aber ich meinte, dass sein Blick nicht mehr ganz so feindselig gewesen war, wie eben noch. „Sie war ein bisschen durch den Wind… Aber meine Güte, sie ist ein Hund. Sie schafft das schon.“ „Mhm.“, machte ich und fixierte meine Füße. Socken hatte ich mir keine von Jared genommen, also war ich barfuß unterwegs. Doch es war kein Problem, es war angenehm warm in der Wohnung. Und sowieso waren Vampir nicht besonders kälteempfindlich. Aber Moment mal… Entweder waren mir drei neuen Zehen gewachsen, oder ich war nicht mehr in der Lage, bis zehn zu zählen! Ich blinzelte und zählte noch mal. Dann atmete ich tief durch. Zehn Zehen. Ganz normal. Ich musste mich beruhigen, ganz dringend. „Sag mal… geht es dir gut?“, fragte Jared und ich hörte neben höflichem Interesse auch einen allarmierten Tonfall in seiner Stimme mitschwingen. Okay… Lügen oder die Wahrheit sagen? Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ehrlich und kooperativ mit den Menschen umzugehen, die mich (wissentlich oder unwissentlich) aus der Not gerettet hatten. Andererseits konnte es gut sein, dass sie mich vor die Tür setzten, wenn ihnen endgültig bewusst wurde, dass ich eben ein totes, blutschlürfendes Monster war. Letztendlich wurde mir die Entscheidung, von meinem Körper abgenommen. Ich fühlte mich nicht in der Lage zu lügen. „Nein…Mir geht’s scheiße.“, sagte ich langsam und stellte fest, dass meine Stimme ganz normal klang. Und das obwohl sich mittlerweile alles drehte. Ich klammerte mich mit beiden Händen an der Kante der Küchenarmatur fest, doch es nützte nichts. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sich mein Zustand so stark verändert, dass ich einfach umkippte. Ich landete auf dem Hintern und schlug mir den Kopf an der Kühlschranktür an. Das saß. Der Schwindel verflog, das Zittern ebbte ab. Dafür… „Ian? Ach Mist…“ Jared fluchte und tauchte in meinem Sichtfeld auf. Er rüttelte leicht an meine Schulter und sagte noch irgendwas zu mir. Aber alles, was bei mir ankam, war das Rauschen seines Blutes. Der süße Geruch. Der unbändige Durst. Das Verlangen. Und das alles traf mich so unvorbereitet, dass ich ihm einem festen Schubs verpasst und mich gleichzeitig von ihm wegschob. Er musste weg! Ich wusste nicht, woher dieser fokussierte Durst auf sein Blut kam, aber es war klar, dass das nicht gut enden würde. Die Sicht vor meinen Augen verschwamm. „Scheiße.“, fluchte ich und versuchte nicht zu atmen, um den Geruch loszuwerden. Aber dieses Rauschen… Ich hielt mir die Ohren zu und meine Atem beschleunigte sich. Es war viel schlimmer, als Henry es beschrieben hatte. So die Kontrolle über sich zu verlieren. Und es hatte absolut nichts mit dem Blutdurst zu tun, den ich zuvor jeden Tag verspürt hatte. Das hier... war stärker. Stärker als ich. Es war grauenhaft. Es machte mir Angst. Ich würde nicht dagegen ankommen, das war mir jetzt auch klar. Und vermutlich würde ich nicht einmal etwas mitbekommen, von dem, was ich tat. Es sollte nur aufhören. Mein Körper schien zu brennen, war gänzlich ausgetrocknet. Es sollte aufhören! Und dann schmeckte ich es. Blut. Warm und süß und so erfüllend, das es mir endgültig den Rest gab. Im ersten Moment, nach meinem Erwachen, fühlte ich mich gut. Alles war zählte war, dass ich mich wieder in meinem Körper befand und dass ich diesen auch unter Kontrolle hatte. Und, dass er nicht brannte. Aber dann wurde mir natürlich siedend heiß bewusst, dass ich Jared schwer verletzt haben musste. Ich schlug die Augen auf und stand auch gleichzeitig auf. Fast taumelte ich, so überrascht war ich, von meiner eigenen Bewegung. Sowas hatte ich noch nie gespürt… Aber ich konnte mich jetzt auch nicht darauf konzentrieren. Erst einmal bemerkte ich, dass ich mich immer noch in der Küche befand. Sie sah allerdings aus, wie ein Schlachtfeld und mir wurde augenblicklich eisig kalt. Das lag ein Besen. Daneben eine blutüberströmte Salatschüssel. Sowieso waren durch den ganzen Raum, kleine Blutspritzer verteilt und irgendetwas schien in viele hundert Glasscherben zersprungen zu sein. Und mitten drin saß Jared, mit einem Coolpack in der Hand und starrte mich an. Ich schnappte entsetzt nach Luft, als ich das blutdurchtränkte Handtuch sah, dass er sich um seinen Unterarm gewickelt hatte. Er war mindestens genauso blass wie ich und ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Aber immerhin war er am Leben und bei Bewusstsein. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und er zuckte zusammen. „Bleib bloß da drüben stehen!“, zischte er und ich sah, dass er in seiner rechten Hand ein scharfes Messer hielt, von dem ebenfalls Blut tropfte. „Jared… Was… ist passiert? Ich meine… was habe ich… getan?“ Es dauerte einen Moment, bis ich die Worte über meine Lippen bekommen hatte. Auf Jareds Stirn bildete sich eine Zornesfalte, aber er sah ansonsten regelrecht verzweifelt aus. „Das wollte ich eigentlich dich fragen! Du bist total durchgedreht und umgekippt. Dann wollte ich dir helfen, du hast mich weggeschubst und als du wieder auf den Beinen warst, hast du versucht, mich zu beißen.“ Er deutete auf den Besen. „Damit hab ich dich dann auf Abstand gehalten.“ „Aber… Das ganze Blut.“, stammelte ich verständnislos und fasste mir an den Mund. Ich hatte eindeutig etwas getrunken. „Ja, ich habe dann irgendwann eingesehen, dass du dich nicht anders beruhigen wirst.“ Er klang, als könnte er es selbst kaum fassen. „Jared… hast du dir in den Arm geschnitten?“, fragte ich, als die Bilder sich in meinem Kopf zusammen zu setzen begannen. „Es erschien mir immer noch besser, als mich von dir beißen zu lassen.“, erwiderte er langsam. Ich war entsetzt. So richtig. „Ich fasse zusammen… Du hast mir mit dem Besen eine runtergehauen, hast dir dann mit einem Fleischmesser den Arm aufgeschnitten und mir dein Blut in einer Salatschüssel gegeben!?“ „Und danach hab ich gekotzt und mir den Kopf an der Anrichte gestoßen…“, ergänzte Jared und schaffte es, zu grinsen. Überhaupt sah ich ihn gerade das erste Mal lachen. Und ich fühlte mich, als müsste ich mich ebenfalls gleich übergeben. Ich wandte mich von ihm ab und atmete tief durch. „Was machst du?“, fragte Jared, als ich die Tür zum Kühlschrank öffnete. „Ich mache dir was zu essen, du hast viel Blut verloren. Und dann verschwinde ich von hier.“ „Ja, fantastische Idee. Und all die Gründe, weswegen wir dich hier aufnehmen wollten, haben sich eben in Luft aufgelöst, oder was?“, kam es von Jared, während ich nach etwas Essbarem suchte. „Ich komme schon klar… Aber das hier…Das muss ich nicht nochmal erleben. Es war richtig schrecklich.“ Ich verstummte, weil mir klar wurde, dass es für ihn noch um einiges schrecklicher und beängstigender gewesen sein musste, als für mich. Ich erinnerte mich ja nicht einmal an alles. „Du brauchst Blut. Kam das echt so überraschend, für dich?“ „Es… war anders als sonst. Und es hat anders geschmeckt, als sonst.“ „Ach ja?... Schmecke ich gut?“ Ich hielt in der Bewegung inne und drehte mich, mit hochgezogener Augenbraue, zu ihm um. „Jared…Wie stark hast du dir den Kopf angestoßen?“ Er verdrehte die Augen. „Du hast doch schon vorher Menschenblut getrunken…“ „Nur einmal. Im Park… Vielleicht lag es an dem Alkohol, aber es hat auf jeden Fall anders geschmeckt.“ Dass mir sein Blut sehr viel besser geschmeckt hatte, musste ich ihm ja jetzt nicht auf die Nase binden. „Wir sollten hier auf jeden Fall aufräumen, bevor Collin wieder zurück kommt…“, sagte Jared und fing den Joghurtbecher gekonnt auf, den ich ihm zuwarf. „Ich mach das schon… Und wie gesagt, dann mache ich mich lieber aus dem Staub. Das muss echt kein zweites Mal passieren, ich hätte dich umbringen können…“ „Es wird auch kein zweites Mal passieren, wir finden schon eine Lösung.“, antwortete er mir. Ich war ein wenig verwundert. „Eigentlich hatte ich nicht den Eindruck, dass du besonders glücklich über meine Gesellschaft warst… wieso willst du, dass ich hier bleibe?“, fragte ich direkt. Er zögerte und es sah fast so aus, als wäre ihm meine Frage ziemlich unangenehm. „Naja… Ich will Collin nicht sagen müssen, dass ich dich nach einem halben Tag vergrault habe. Er ist schon so lange auf der Suche nach einem kooperativem Vampir.“ Ich hob die Augenbrauen und grinste. „Collin, also.“ Jared verdrehte die Augen. „Halt die Klappe und fang an die Schweinerei hier aufzuputzen. Und du kannst mir einen Löffel bringen, sonst komme ich nicht weit mit diesem Joghurt.“ Ich schwieg und machte mich daran, die Küche von Jareds Blut zu befreien. Und ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht etwas von dem Blut zu kosten, das noch immer an der Schüssel klebte. Das wäre wohl ein ziemlich verstörender Anblick, für Jared. Und ich konnte mich selbst nicht damit arrangieren, dass ich so die Kontrolle über mich verloren hatte. Und wie schnell es gegangen war. Normalerweise brauchte ich bloß einen bis zwei Liter am Tag und wenn ich einmal mehr getrunken hatte, so wie gestern Abend, brauchte ich nicht unbedingt am nächsten Tag, wieder etwas. Aber ich hatte außer Acht gelassen, dass Lucas mich sehr geschwächt hatte. Und mir auch verdammt weh getan. Die Wunde an meinem Hals, die sich ich der Kühlschranktür spiegelte, sah wirklich zombiemäßig aus. Das war sicher der Grund, warum ich so schnell Blut gebraucht hatte… Aber es erklärte nicht, wie ich mich jetzt gerade fühlte. Wach. Viel stärker. Ich fühlte mich dem gewachsen, was da draußen auf mich wartete. Und gleichzeitig fühlte ich mich entsetzlich schlecht. Ich war eine Gefahr, für die Menschen in meiner Umgebung. Das hatte sich mir nie so deutlich gezeigt, da ich bisher nur Tierblut kannte. Es war ein Fehler gewesen, Menschenblut zu trinken… Und Henry hatte so viel dafür gegeben, dass wir niemals damit in Kontakt kommen würden. Ich hatte es sowas von verbockt. Kapitel 5: Rosige Aussichten *Jared* ------------------------------------ Sein Blick war so stark verändert, dass es mir einem Moment lang, wirklich Angst gemacht hatte. Und offenbar, war ich nicht der Einzige, der so empfand. Er schien entsetzt, über sich selbst. Nachdem ich ihn mit Mühe zum Bleiben überredet hatte, saß er jetzt schweigend mit mir auf der Couch. Collin besaß eine richtig gemütliche, dunkelgraue Viermanncouch und Ian hatte sich mit dem größtmöglichen Abstand zu mir gesetzt. Wir schwiegen jetzt schon seit einer Stunde, schauten uns irgendwelche Nachrichtensendungen an und beobachtete, wie es draußen, hinter den Fenstern dunkel wurde. Wir zuckten beide zusammen, als mein Handy anfing zu klingeln. „Hi?“, sagte ich und wandte mich beim Spreche ein wenig von dem Vampir weg. „Hi, Jared, ich bin es.“ Collin, wer sonst. „Ich bringe Pizza mit, wollt ihr auch was?“ „Schon wieder Pizza? Ist das dein Ernst?“ Ich konnte förmlich hören, dass er die Augen verdrehte. „Also, ja oder nein?“ „Nein. Ich habe noch kiloweise Lasagne und Ian… will sicher auch keine.“ Probeweise schaute ich in Richtung meines neuen Mitbewohners, hob fragend eine Augenbraue und dieser schüttelte, wie erwartet, den Kopf. „Also gut… Ist ansonsten alles okay?“ Ich musste mir ein amüsiertes Geräusch verkneifen und versuchte möglichst neutral zu klingen, als ich antwortete: „Ja, alles bestens.“ Ian zog eine Grimasse und ich musste grinsen. „Gut, ich denke ich bin spätestens in einer halben Stunde wieder da.“, erklärte Collin und wir verabschiedeten uns. Ich legte auf und warf das Handy auf das Sofa. „Okay… Mal überlegen. Haben wir alle Spuren beseitigt?“ „Im Bad, weichen noch zwei blutige T-Shirts ein… Die sollten wir vielleicht noch verschwinden lassen. Und du solltest dir eine Geschichte ausdenken, die deine Fleischwunde erklärt und die vielleicht nicht damit endet, dass ich dein Blut geschlürft habe.“, antwortete Ian sarkastisch. Ich verdrehte die Augen. „Ich hab mir extra was Langärmliges angezogen, er braucht nichts davon zu erfahren.“ „Gut, dann kümmere ich mich um die T-Shirts.“ Ian erhob sich aus den Sofapolstern und verschwand so schnell im Bad, dass ich ihm nur verblüfft nachblinzen konnte. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass er sich schon mal so schnell bewegt hatte. Unwillkürlich tastete ich nach der Wunde unter meinem Ärmel, die ich notdürftig mit einem breiten Pflaster versorgt hatte. Sie brannte vor sich hin und konfrontierte mich in regelmäßigen Abständen damit, wie vollkommen hirnrissig diese Aktion gewesen war. Nur der Anblick von Ians Bisswunde, lieferte mir einen gewissen Grund. Lieber einen kontrollierten Schnitt am Arm, als einen zerfleischten Hals. Aber mal davon abgesehen… gab es keinen Grund, der meinen Entschluss rechtfertigte, nicht zu versuchen, ihn loszuwerden, sondern ihm zu helfen. Und es nagte an mir. Es war mir wichtig, dass Collin, endlich voran kam mit seiner Arbeit und es stimmte, dass ich ihm keinen Strich durch die Rechnung machen wollte, indem ich ihm den Vampir vergraulte… Aber ich wusste nur zu gut, dass Collin, das hier niemals gutheißen würde. „Ähm, Jared…?“ Ich zuckte zusammen, als ich Ians Stimme direkt hinter mir wahr nahm. „Sorry, aber ich glaube diese Shirts sind nicht mehr zu retten…“ Er hielt die beiden nassen, blutigen Oberteile in den Händen und sah mich entschuldigend an. „Schon okay. Ich schmeiße sie weg.“ Ich nahm ihm die T-Shirts ab, entsorgte sie in der Küche und achtete penibel darauf, dass man nicht sofort sah, was dort lag. Aber da ich derjenige war, der den Müll immer raus brachte, war die Gefahr recht gering, dass Collin sich näher mit dem Restmüll befassen würde. „Man, ich hab echt ein schlechtes Gewissen…“, murmelte Ian, wieder direkt hinter mir und ich zuckte heftig zusammen. „Bitte… Mach dich bemerkbar und schleich dich nicht so an, dass ist echt gruselig.“, erwiderte ich und wich einen Schritt vor ihm zurück. „Sorry, war mir gar nicht so bewusst… Entschuldige die Frage, aber…“ Er sah mich zögernd an und schien zu überlegen, ob er mit seiner Frage fortsetzen wollte. Ich hob interessiert eine Augenbraue. „Aber, was?“ „Hast du… irgendwas genommen? Drogen, oder so?“ Mir klappte die Kinnlade runter und es verschlug mir regelrecht die Sprache. Mit allem hatte ich gerechnet, aber damit? Er hob abwehrend die Hände, als er meine wütende Reaktion bemerkte. „Reg dich jetzt nicht auf, war auch nicht kritisch gemeint, oder so! Es ist nur… Ich fühle mich irgendwie… high?“ „Ach, und das willst du jetzt mir in die Schuhe schieben? Man, die letzte Person, die mich das gefragt hat, war meine Englischlehrerin, in der neunten Klasse. Und ich habe natürlich nichts genommen, ich war arbeiten! Wir kommst du auf so einen Schrott?!“ Ich schnaubte und funkelte ihn wütend an. „Wie gesagt, ich fühle mich richtig… seltsam. So ähnlich, wie nach dem Blut von dem Junkie. Nur noch stärker.“ „Freut mich, dass es dir geschmeckt hat.“, meinte ich und öffnete die Kühlschranktür so heftig, dass mir direkt die Milchtüte entgegen kam. „Ach, verdammte Scheiße!“ Der Pullover, den ich gerade mal seit einer knappen Stunde trug, war jetzt großzügig mit Milch getränkt und meine Laune war am Boden. Fluchend stapfte ich an Ian vorbei, in Richtung meines Zimmers, um mich zum dritten Mal heute, nach einem frischen Oberteil umzusehen. Es dauerte eine Weile, bis ich überhaupt noch etwas Langärmliges gefunden hatte. „Jared, ich-“ Wieder hatte er sich angeschlichen und wieder fuhr ich erschrocken zusammen. Er stand hinter mir in der offenen Zimmertür. „Verdammt, schon mal was von Privatsphäre gehört?“, knurrte ich und hielt mir unwillkürlich den Pullover vor den Körper. Ich hatte zwar bloß mein Oberteil ausgezogen, aber entblößt fühlte ich mich trotzdem. „Hey, ich habe schon dein Blut getrunken, da ist ein bisschen gucken, doch wohl dri- Autsch!“ Ich hatte dem unverschämten Vampir das erste an den Kopf geworfen, was ich zu greifen bekommen hatte. Es tat mir auch sofort leid, als sich der Gegenstand, als die Glasflasche entpuppte, die neben meinem Bett stand. Sie zersplitterte an seinem Kopf und hinterließ nicht einen Kratzer auf seiner Stirn. Nur ziemlich viel Wasser und einige Glasscherben. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder ihn wütend anfauchen sollte. Der durchnässte Vampir schaute mich bedröppelt an. „Also dieses T-Shirt geht jetzt aber auf deine Kappe…“ „Was… ist denn hier los?“ Jetzt war es an Ian zusammen zu zucken, als plötzlich Collin hinter ihm stand. Wir waren wohl zu beschäftigt damit gewesen uns gegenseitig zu provozieren, um mitzubekommen, dass Collin wieder zurück war. Und das wollte schon was heißen, immerhin war er nicht der leiseste Mensch auf Erden. Schnell verdeckte ich das Pflaster mit dem Pullover, den ich noch immer in den Händen hatte. „Ähm…“, machte ich und merkte verärgert, dass sich eine verlegen Röte auf meinen Wangen breitmachte. Warum auch immer! „Wir versuchen uns gerade einig zu werden, wegen des Zimmers.“, sagte Ian verbindlich und log ohne rot zu werden. Er warf mir einen amüsierten Blick zu und meinte dann. „Aber… ich denke ich schlafe lieber auf der Couch.“ Dann entfernte er sich in Richtung besagten Möbels und ließ Collin und mich, völlig irritiert zurück. Collin seufzte schließlich. „Tut mir leid, ich hatte ihm das Gästezimmer angeboten. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass du so darauf beharrst, dass ihr Gegenstände nacheinander werft, aber… wenn ihr euch einig geworden seid, dann ist ja alles gut.“ Er schien im Gedanken eine Haken hinter die Sache zu machen und klopfte dann auf seine Pizzaschachtel. „Ich bin dann mal in am Essen… hast du schon?“ „Nein. Und mir ist auch der Appetit vergangen.“ Mit diesen Worten knallte ich ihm die Tür vor der Nase zu und atmete erst Mal tief durch. Das war ja nicht zum Aushalten. Das Collin mich jetzt für eine Oberzicke hielt, war mir relativ gleichgültig. Vielmehr grauste es mir bei der Vorstellung, wie dieses Zusammenleben weitergehen sollte. Ian war noch keinen ganzen Tag bei uns und ich verbuchte schon zwei zerbrochene Glasflaschen, eine entweihte Salatschüssel, mehrere blutüberströmte Kleidungsstücke und eine Fleischwunde auf unserer Freundschaftsliste. Und eine ganze Menge unverschämter Bemerkungen seinerseits. Rosige Aussichten. Ich stöhnte genervt und zog mir endlich meinen Pullover an. Und ich verließ das Zimmer an diesem Abend auch nicht mehr. Hunger hatte ich definitiv keinen. Auch wenn mir klar war, dass es nicht besonders gesund war auf eine Abendessen zu verzichten, wenn man so viel Blut verloren hatte. Es war ein anstrengender Tag gewesen und ich viel totmüde ins Bett. Dort kreisten meine Gedanken noch ein wenig weiter, bis ich in einen erschöpften Schlaf fiel. Am nächsten Morgen erwachte ich früh. Das war leider immer so, bei mir. Schlief ich früh ein, wachte ich auch früh auf. Von wegen ausschlafen. Und einmal wach, standen die Chancen auch schlecht, wieder einzuschlafen. Ich ging duschen, wechselte bei der Gelegenheit das Pflaster auf meinem Arm und versuchte mich mental auf den Tag gefasst zu machen. Ich überlegte, ob ich schnell etwas essen und dann mit Lady in die Stadt flüchten sollte, als ich den Vampir auf der Couch entdeckte. Er schlief auf dem Bauch und hielt eines der Sofakissen umklammert. Die Decke hatte er zur Hälfte zu Boden gestrampelt und ich sah, dass er gezwungenermaßen in dem nassen Pullover hatte schlafen müssen. Er war ein wenig hochgerutscht und entblößte einen schmalen Streifen Haut an seiner Hüfte. Ich legte den Kopf ein wenig schief und blinzelte einmal, aber er feine schwarze Strich, der sich von der hellen Haut abzeichnete verschwand nicht. Wie von einem Tattoo? Ich wandte den Blick ab, als er sich leicht zu bewegen begann und setzte meinen Weg in die Küche fort. Als ich dort einen Blick aus dem Fenster warf, hatte ich auch keine große Lust mehr, das Haus zu verlassen. Es schüttete schon wieder, wie aus Eimern und die Wolkendecke war so dicht, dass man auch die Hoffnung auf spätere Sonnenstunden begraben konnte. Ich machte mir in Ruhe einen Tee und füllte den Tank an der Kaffeemaschine schon mal mit Wasser. Collin zuliebe wollte ich mich zusammenreißen. Auch wenn man vielleicht meinen könnte, freiwillig mein Blut abzugeben, wäre schon recht großzügig gewesen. Danach war ich nicht besonders nett gewesen. Weder zu Ian, noch zu Collin. Manchmal war ich mir selbst zu anstrengend und wurde dann schnell grantig. Ich deckte den Tisch und versuchte dabei so leise zu sein, wie es ging, um Ian nicht zu wecken. Unnötigerweise, wie ich feststellte, als ich irgendwann noch einmal in Richtung der Couch schaute. Ian war offenbar ins Bad verschwunden, während ich in der Küche das Frühstück vorbereitet hatte. Die frischen Sachen, die ich eben für ihn aus meinem Zimmer geholt hatte, lagen aber immer noch auf dem Stuhl, auf dem er gestern gesessen hatte. Offenbar hatte er sie nicht gesehen. Ich wandte mich zur Küche, um den Toaster anzumachen und lies vor Schreck fast meine Teetasse fallen. Ian stand mir gegenüber. Mit dem Rücken an die Wand gepresst und mit weit aufgerissen Augen. Er schaute mich entsetzt an, sein Mund war leicht geöffnet und seine Hände zu Fäusten geballt. Sein Atem ging flach. Einen Moment lang verharrten wir so. Irgendwie geschockt. Und dann dämmerte mir, was los war. Es fing an, wie gestern. Sein Blick war finster und er schaute mich durch einen Schleier an. Durst, spiegelte sich darin, so deutlich, wie in meinen wahrscheinlich die Panik. Mir war klar, dass ich dieses Mal keine Zeit haben würde, um ein Messer und eine Schüssel zu organisieren. Und selbst, wenn ich diese gehabt hätte, irgendwann, war es auch genug der Gastfreundschaft! Ich stellte meine Teetasse auf den Tisch und das Geräusch, schien der Auslöser zu sein. Wortlos stürzte er auf mich zu und ich ergriff die Flucht. „Fuck!“ Ich schwang mich über die Couchlehne und stürmte auf das Bad zu, um mich hinter der Tür zu verbarrikadieren. Ich stolperte. Jeden Moment würde er meinen Pullover zu fassen bekommen, da war ich mir ganz sicher. Aber dann tauchte er einfach so vor mir auf, ich konnte nicht mehr bremsen und stürzte direkt in ihn hinein. Mit einem lauten Poltern, landeten wir, samt Stehlampe, auf dem Teppich. Der heftige Aufprall ließ mich ächzten und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Sofort spürte ich, wie er an meinem Pullover riss und sich eine Hand schmerzhaft um meinen Arm schloss. Ein dunkles Knurren drang aus seiner Kehle. Panisch drückte ich meine Arme gegen seinen Oberkörper, um ihn von mir runterzubekommen. Gleichzeitig strampelte ich mit den Beinen. Er stützte sich komplett auf mich und ich bekam keine Luft mehr. Währenddessen drückte er meine Arme immer weiter nach unten und näherte sich meinem Hals. „Ian!“, krächzte ich und versuchte verzweifelt seinen Blick zu treffen. Ganz kurz hielt er inne, ich nahm all meine Kraft zusammen und stemmte ihn von mir runter. Ich sog die Luft tief in meine Lungen, bevor mich der nächste Ruck durchfuhr. Er hatte meinen Pullover nicht losgelassen, auch wenn er jetzt auf dem Rücken lag. Blitzschnell hatte er einen Arm um meine Schultern geschlungen, wie zu einer Umarmung. Er machte ein zischendes Geräusch und zog mich unerbittlich zu sich heran. Mit aller Kraft stemmte ich mich am Boden ab, aber den letzten Zentimeter reckte er sich mir einfach entgegen. Und dann schlug er seine Zähne in meinen Hals. Meine Arme gaben nach und ich sank endgültig zu ihm, auf den Boden. Ein unterdrückter Schrei, drang zwischen meinen Lippen hervor und flammende Schmerzen breiteten sich von meinem Hals aus. Ja, es tat verdammt weh, wenn einem jemand in den Hals biss. Ich keuchte und versuchte mich von ihm herunter zu wälzen. Es gelang mir auch halbwegs, dafür drückte er mich wieder fest zu Boden und sein Biss wurde gefühlt noch fester und brennender. Mein Wiederstand sank, mein Blickfeld verkleinerte sich. Und als ich dachte, ich müsste sterben, verblasste der Schmerz. Stattdessen breitet sich eine Hitze über meine Haut aus. Sein Gewicht auf mir, war nicht mehr erdrückend, sondern angenehm. Meine Finger lösten sich von ihm und meine Arme sackten kraftlos und betäubt zu Boden. Ich spürte meine Fingerspitzen und Füße nicht mehr. Dafür konnte ich ihn umso mehr spüren. Den Sog an meinem Hals, seine Wärme, sein fester Griff. Was war hier los? Ich fühlte mich fast betrunken. Der Sog an meinem Hals wurde stärker und ein feines Ziehen durchfuhr meinem Körper. Mein Rücken bog sich durch, als er ein zweites Mal zubiss. Es entlockte mir ein schmerzerfülltes Zischen, aber gleichzeitig war da wieder dieses Ziehen, das sich diesmal stärker in meinem Unterleib äußerte. Auch Ian machte ein erfülltes Geräusch und eine Hand grub sich in meine Haare und zog meinen Kopf noch ein bisschen weiter zurück. Ich spürte den Boden unter mir gar nicht mehr und ich grub meine Finger fest in seinen Pullover, als er sich von mir löste, weil ich das Gefühl hatte, rückwärts durch den Teppich zu fallen. Er war immer noch auf mir und beugte sich auch noch mal zu meinem Hals runter. Ich war schon gefasst, auf den reißenden Schmerz, aber ich fühlte stattdessen seine Zunge, die über meine verletzte Haut leckte. „Mhhhm.“ Ich musste mir auf die Lippe beißen und ich wand mich unter ihm. Vor Schmerz. Und berauscht von dieser Schwerelosigkeit. Er leckte das Blut von meinem Hals und ich spürte, wie sich das Lecken mehr und mehr in einen knabbernden Kuss wandelte. Irgendwo in mir schrie mein Verstand panisch um Hilfe, aber das war nichts gegen den Rausch, den ich gerade erlebte. Ich spürte, wie er sich ein wenig aufrichtete, ohne seine Lippen von meinem Kiefer zu lösen. Die Reibung an meinem Schoß ließ mich endgültig aufkeuchen und im selben Moment spürte ich, wie er, ebenfalls mit einem verlangendem Knurren auf den Lippen, seine Zähne fester über meinem Kiefer wandern lies. Ein Kribbeln folgte seinen Berührungen über die malträtierte Haut, verstärkte den Rausch. Mittlerweile war ich quasi blind. Ich sah nichts mehr, aber es intensivierte das Ganze nur. Als seine Lippen meine streiften, wurde mir klar, dass ich kaum noch etwas spürte, außer seinen Bisse und seinen Berührungen. Und tief in mir drinnen wusste ich auch, dass das ziemlich schlecht war. Ich verblutete wahrscheinlich gerade und hatte mehrere tiefe Bisswunden. Gleichzeitig wurde mir aber auch klar, dass ich nicht wollte, dass er aufhörte. Denn es fühlte sich einfach nur atemberaubend an. Er küsste mich nicht wirklich, seine Zunge schlüpfte zwischen meine Lippen und auch hier biss er zu, bis ich meine eigenes Blut schmecken konnte. Als ich den festen Sog an meiner Unterlippe wahrnahm, keuchte ich erneut und ich hob meine gefühllose Hand, zu seinem Oberkörper. Er strömte eine Hitze aus, die unmöglich wirklich so intensiv sein konnte und ich zog ihn näher zu mir. Ian folgte meiner Berührung und ich konnte seine Erregung an meinem Oberschenkel spüren. Nur seine Zunge, die gerade wieder meine geschundenen Lippen liebkoste, konnte mich davon ablenken. Und dann war sein Gewicht ganz plötzlich von mir verschwunden. Ich versuchte etwas zu sehen, hatte aber keine Chance. Das taube Gefühl schien jetzt ungehindert in jeden Winkel meines Körpers zu dringen und machte es mir unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen. Zurück blieb nur der Geschmack von Blut und die Gewissheit, dass das hier ein übles Nachspiel haben würde. Kapitel 6: Blutige Erkentnisse *Collin* --------------------------------------- Das stetige Geräusch des Tropfs machte mich schläfrig. Und das obwohl ich aufgekratzt war, wie nie zuvor. Ich war bestimmt eine Stunde lang hin und her gelaufen, hatte mir Vorwürfe und Sorgen gemacht und mir überlegt, wie es weitergehen sollte. Ich hatte noch niemandem Bescheid gesagt. Ally hatte eine Nachricht von mir auf ihrem Anrufbeantworter, dass ich heute nicht zu erreichen war. Das musste fürs Erste genügen. Es gab jetzt wirklich wichtigeres. Mein Blick blieb an Jared haften und ich hielt in der Bewegung inne. Seine Haut hatte fast gar keine Farbe mehr und er sah so erschöpft aus, dass es fast wehtat ihn auch nur anzusehen. Von seinen Verletzungen mal ganz abgesehen. Die linke Seite war von der Schulter bis zu seinem Mundwinkel bandagiert und zugeklebt. Der Vampir hatte ihm sogar ins Gesicht gebissen. Seiner Unterlippe konnte man sehr deutlich ansehen, dass jemand ziemlich stark darauf herumgekaut hatte. Ansonsten hatte er noch ein dunkellila Würge Mal am Hals davongetragen. Sein Anblick erinnerte mich fast, an den Tag, an dem ich beschlossen hatte, dass er bei mir einziehen würde. Er hatte viel Blut verloren, aber die Ärzte hatten gleichzeitig gesagt, dass keine Lebensgefahr bestand. Ich spürte noch immer den Schock, der mir so tief in den Knochen saß, dass ich erst einmal kein Wort über die Lippen gebracht hatte, nachdem der Notarzt eingetroffen war. Ich sah noch immer das Bild vor Augen, dass sich mir geboten hatte, nachdem ich von einem lauten Poltern geweckt worden war. Jared, blutverschmiert und bewusstlos auf dem Teppich, der Vampir über ihm kauernd und sein Blut von Jareds Kiefer leckend. Ein Schauder lief mir den Rücken hinab. Und ich fühlte mich so unsagbar schuldig. Ich konnte noch nicht einmal Ian die gesamte Schuld geben, immerhin hatte er sich mir am Abend noch anvertraut… „Ach, Scheiße.“ Ich trat gegen den Fernsehtisch und verfluchte den Tag, an dem Fabrice uns von dem Vampir berichtet hatte. Mir hätte spätestens nach dem Gespräch klar sein müssen, dass Ian nicht erfahren genug war, um seinen Blutdurst richtig einschätzen zu können. Und den armen Jared hatte es jetzt erwischt. „Collin… Mhhm.“ Ich zuckte zusammen und drehte mich zu Jared um. Seine Lider flatterte und er blinzelte in das helle Licht, des Krankenzimmers. Er hob eine Hand und tastete verwirrt nach den Pflastern und Druckverbänden, dann verzog er das Gesicht. Er hielt in der Bewegung inne, als er zu mir schaute. „Collin…Heulst du?“ Ich heulte natürlich nicht. Eher war ich kurz davor vor Wut und Verzweiflung umzukippen. „Oh Gott, Jared… Ich hab gedacht du ist tot… Du hast dich nicht mehr bewegt und da war so viel Blut.“ Ich versuchte nicht hysterisch zu werden und atmete tief durch. „Mir geht’s gut.“, murmelte mein offenbar geistesgestörter Mitbewohner und machte Anstalten, aus dem Bett zu klettern. „Bleib gefälligst da liegen! Man kann dich ja echt keinen Moment alleine lassen! Entweder du spazierst im Regen herum, du lässt dich von einem Vampir verspeisen oder du reißt dir die Infusionsnadel aus dem Arm!“ Ich bewegte mich mit schnellen Schritten um das Bett herum und schob den Infusionsständer näher an sein Bett, damit besagte Nadel blieb wo sie war. „Aber, ich spüre gar nichts…“, murmelte Jared und seine Finger wanderten von seinem Hals, hoch zu seiner geschwollenen Lippe. Kurz weiteten sich seine Augen und eine ganz leichte Röte legte sich auf seine Wangen. „Hat er…?“, fragte er leise und sah mich fast ängstlich an. „Hat er was? Auf dir gelegen und an dir rumgeknabbert? Ja, das hat er. Und glaub mir, darüber reden wir noch! Aber jetzt bleibst du erst einmal da liegen, ich organisiere einen Arzt und etwas zu Essen und zu Trinken.“ „Warte.“, sagte ich, als ich schon fast aus der Tür geeilt war. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah, dass er schon wieder ganz aufrecht im Bett saß. „Was ist überhaupt passiert? Wo ist Ian?“ „Ich habe ihn von dir runtergekickt. Und dann war ich irgendwie damit beschäftigt, alle deine Wunden gleichzeitig zuzuhalten und einen Notarzt zu rufen. Ian… war einfach nicht mehr da, als ich irgendwann dazu kam darüber nachzudenken, wo er sein könnte.“ Jared schluckte und nickte schließlich, was mir das Zeichen gab, um endlich einen Arzt herzurufen. Irgendwann, in dem ganzen Trubel, den sie danach um Jared veranstalteten, entschuldigte ich mich kurz. Eigentlich hatte ich mit dem Telefonat, bis heute Abend warten wollen. Aber desto länger ich Jared ansah, desto dringender erschien mir die Angelegenheit. Und desto mehr nagte es an meinem Gewissen. Ich suchte mir eine ruhigere Ecke in der Nähe des Foyers. Dann wählte ich Lizas Nummer und hoffte, dass ich sie in einer freien Minute erwischt hatte. Gerade, als ich schon auflegen wollte, meldete sich eine ziemlich müde Stimme, am anderen Ende der Leitung. „Collin? Was gibt’s?“ fragte Liza und ich holte tief Luft. „Jared ist von einem Vampir angegriffen worden.“, erklärte ich knapp und wartete fast ängstlich auf eine Reaktion ihrerseits. Doch sie schwieg. Sehr lange. Irgendwann vernahm ich ein Räuspern. „Etwa von dem vermeintlich harmlosen Stadtvampir? Ach, scheiße…“ Mir blieb fast die Luft weg. „Mehr fällt dir nicht dazu ein?“, wollte ich wissen. „Ist er so schwer verletzt?“ „Er hat das Bewusstsein verloren und sie mussten ihn mit siebzehn Stichen quasi von der Schulter bis zum Ohr wieder zunähen! Und dieser Irre hat mich eben aus seinen Kulleraugen angeguckt und gesagt, dass es ihm gut geht!“ „Scheiße, kann ich mit ihm sprechen? Gib ihn mir mal!“, forderte Liza und ich schüttelte den Kopf, bis mir einfiel, dass sie mich ja nicht sehen konnte. Man, ich war so durch den Wind… „Ähm, er ruht sich gerade aus. Ich rufe auch eigentlich an, weil ich dich etwas bestimmtes fragen wollte, zu dem Thema, das wir das letzte Mal angerissen hatten.“ „Du meinst die Prägung?“ Sie wusste sofort Bescheid. „Ist das möglich?“, fragte ich, anstelle einer Antwort. Sie schien zu überlegen und ich wippte nervös auf meinen Fußballen. „Soweit ich weiß, geschieht das nur, wenn ein Vampir das erste Mal menschliches Blut zu sich nimmt. Und nach allem, was du erzählt hast, scheint das bei eurem Vampir nicht der Fall gewesen zu sein.“ Ich atmete erleichtert aus. „Bist du dir sicher?“ „Nein. Aber fast. Die Prägung dient dazu, dass der Vampir die erste Zeit seines Lebens an einen einzigen Menschen gebunden ist, damit er nicht über wahllos viele Menschen herfällt. Und der Mensch erhält im Gegenzug einen Teil der Heilungskräfte des Vampirs, damit er nicht stirbt.“ „Krass.“, murmelte ich und meine Gedanken rasten. Auch wenn ich wusste, dass Ian noch jung war, er hatte schon vor Jared Menschenblut getrunken. Und zwar das des Junkies aus dem Park. Also war meine Sorge der Vampir, könnte sich auf meinen leidgeplagten Mitbewohner geprägt haben, eigentlich unbegründet. Andererseits, war Jared schon wieder so fit, dass es einem fast gruselig erschien. Vielleicht war dass, sein Adrenalin… Moment mal… „Liza? Kann eine Prägung durch irgendwas verhindert werden?... Durch einen hohen Alkoholspiegel im Blut zum Beispiel?“ Wieder krallte ich nervös meine Finger in meinen Arm, während ich auf ihre Antwort wartete. „Boah, Collin, keine Ahnung! Wenn das alles schon hundertprozentig belegt wäre, gäbe es sicher ein hervorragendes Handbuch zum Umgang mit Vampiren. Was soll die Frage? Hat der Vampir Jared etwa abgefüllt, bevor er ihn überfallen hat?“ „Nein, schon okay…vergiss die Frage einfach. Und sag bitte keinem, dass ich dich angerufen habe.“ Mit diesen Worten drückte ich auf den roten Hörer und sprintete durch die langen Flure zurück, zu Jareds Zimmer. Besagter, saß im Schneidersitz auf seiner Bettdecke und futterte ein belegtes Brötchen. Seine Miene hellte sich auf, als er mich entdeckte und er klopfte auf den Platz neben sich. Zögerlich kam ich näher. „So furchtbar schlecht ist dieses Essen nicht mal.“ Er bot mir die andere Hälfte an und ich nahm sie. „Na, wenn du das sagst…“ Ich schmeckte gar nichts. Ich war zu beschäftigt, mit meinen rasenden Gedanken. „Wie geht es dir?“, fragte ich irgendwann, weil mir kein besserer Einstieg einfiel, um der Sache auf die Schliche zu kommen. „Gut. Wirklich. Ich fühle mich sogar ausgeschlafen.“ „Aha.“ Das war schlecht. Ganz eindeutig. „Dir dürfte es nicht gut gehen… das weißt du, oder?“ Er schaute mich irritiert kauend an. „Hä?“, machte er dann. „Jared, weißt du überhaupt, was passiert ist?“ „Ian hat mich gebissen?“ „Nein! Er hat dich fast umgebracht! Hast du dich mal im Spiegel angesehen? Du siehst aus, als wäre ein LKW über dich drüber gerollt und du sagst, es geht dir gut? Das macht mir Sorgen, ehrlich gesagt…“ Ich legte das Brot weg und fixierte ihn mit meinem Blick. Ihm schien zu dämmern, was ich meinte. „Was hast du gefühlt, als er dich gebissen hat?“, fragte ich weiter. Seine Reaktion war ziemlich verräterisch und selbst wenn ich nicht gesehen hätte, wie ihm die Röte zurück in die Wangen schoss, Jared war ein verdammt schlechter Lügner. „Nichts!“ Ich hob die Brauen und schaute ihn abwartend an. „Sicher?“ „Na, es hat ziemlich wehgetan.“, antwortete er und lehnte sich ein bisschen zurück. „Die ganze Zeit?“, hakte ich nach und jetzt sah ich das Misstrauen in seinem Gesicht. „Wieso fragst du?“ „Weil ich glaube, dass du jetzt ein ziemliches Problem hast… Sag es mir. Wie hat es sich angefühlt?“ „Collin, was soll der Scheiß?“, giftete er, aber ich hörte auch die Verunsicherung aus seiner Stimmer heraus. „Die meisten gebissenen Menschen beschreiben es als erschöpfendes Ereignis und damit, dass von dem Vampir eine eisige Kälte ausging. Hast du das gespürt, ja oder nein?“ Er sah mich so erschrocken an, dass mir schon vor seinem Kopfschütteln endgültig klar war, dass hier etwas noch schiefer gelaufen war, als gedacht. „Nein… Er… ähm, war nicht kalt…“ „Schon klar.“, murmelte ich und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare. Fantastisch. „Kannst du mir mal erklären, worauf du mit dieser Fragerei hinaus willst?“, wollte Jared schließlich wissen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sein Tonfall war alarmiert. „Ich versuche herauszufinden, ob sich dieser verdammte Vampir auf dich geprägt hat, oder ob ich einfach nur die Nerven verliere.“ Jared starrte mich mit leicht geöffneten Mund an. „Warte mal… Eine Prägung? Wie bei einer Ente?“ Am liebsten würde ich ihm den Kopf unter kaltes Wasser halten. „Nein, Jared, nicht wie bei einer verdammten Ente! Das heißt, er wird wiederkommen und sich dein Blut holen. Und er kann an dir herumkauen, soviel er will, es wird dich vermutlich nicht mal umbringen!“ „Oh, Gott, Collin… Mir wird schlecht.“ „Findest du das lustig?!“ „Sieht es etwa so aus, als würde ich lachen?!“ Wir schrien uns ein bisschen an, bis Jared plötzlich mein Handgelenk packte und mich aus weit geöffneten Augen anschaute. „Collin…Wie kommt es zu so einer Prägung?“ „Durch den ersten Kontakt eines Vampirs mit Menschenblut. Das Blut des Mannes, von dem Ian zuvor getrunken hatte, war offenbar verunreinigt, durch den Alkohol oder die Drogen. Oder beides. Keine Ahnung. Es ist auch bloß eine Theorie…“ Er blinzelte nicht mal, aber auf seiner Stirn bildete sich eine kleine Falte, als er das Gesicht verzog. „Dann…ist es meine Schuld.“ Ich blinzelte ihn irritiert an. „Drück dich bitte ein bisschen klarer aus, Jared. Mir steht der Kopf gerade wirklich nicht nach Rätseln.“ „Dann ist es gestern schon passiert… Es war nicht seine Schuld.“, murmelte er, lies mich los und schwang die Beine aus dem Bett. „Was wird das denn, wenn es fertig ist?“, wollte ich wissen und stellte mich ihm in den Weg, als er in Richtung seiner Schuhe stapfte. Die Infusionsnadel hatte er kurzerhand unter dem Verband hervorgezogen. „Ich muss mit ihm reden. Er denkt bestimmt, dass er mich umgebracht hat… Ich will ihm wenigstens sagen, dass nichts passiert ist und dass das mit der Prägung meine Schuld ist.“ „Sag mal… Hörst du eigentlich, was du für einen Schwachsinn erzählst? Denkst du ich lasse es noch einmal zu, dass er dir weh tut?“ Jared schaute mich jetzt fast ein bisschen gequält an. „Collin, das war doch nicht deine Schuld…“ „Doch natürlich.“ Wäre ich nicht gewesen, hätte er niemals mit Ian gesprochen und ihn zu einem Interview eingeladen. Er wäre, wie jeder andere Mensch auch, geflüchtet, hätte sich in Sicherheit gebracht und wäre ihm vermutlich nicht noch einmal begegnet. Und dann hatte ich den Vampir auch noch bei uns aufgenommen… Jared fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und sagte schließlich: „Ich habe ihm mein Blut gegeben…“ Er schaute mich schuldbewusst an und wartete auf meine Reaktion. „Was soll das denn heißen?“ „Na, das was es halt bedeutet! Es war nicht seine Schuld…“ „Ach, dann hast du dich auf den Teppich gelegt und gesagt: Trink mein Blut?“ Jared schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht! Aber ich habe doch eben schon gesagt, dass das mit der Prägung gestern schon passiert sein muss… Er hatte Hunger und war zusammengebrochen. Und als er mich angegriffen hat, habe ich ihn relativ mühelos mit dem Besen außer Gefecht gesetzt. Nur… naja. Ich wusste, dass er Blut braucht und ich wollte nicht von ihm gebissen werden.“ Einen Moment lang herrschte Stimme, während mir langsam dämmerte, worauf er hinaus wollte. „Komm schon, Jared. Sag mir, dass das nicht wahr ist…“, murmelte ich, während ich dabei zusah, wie er seinen linken Ärmel hochschob. Darunter klebte ein breites Pflaster. „Doch… Im Nachhinein betrachtet, war das ganz schön bescheuert, oder?“ Mir fehlten die Worte. Ich drehte mich um und fluchte leise. „Deswegen hat er so die Kontrolle verloren… Du hast ihn auf dein Blut geprägt.“ „Scheiße, das wusste ich nicht…“ „Verdammt noch mal, Wissen hin oder her! Wer kommt denn auf die Idee, einem Vampir sein Blut in einem Cocktailglas zu servieren?!“ „Es war eine Salatschüssel…“ „Jared.“, brachte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und er wich einen Schritt vor mir zurück. „Ist dir klar, was das bedeutet?“ Er schüttelte den Kopf und sah mich schuldbewusst an. „Was denn?“ „Keine Ahnung. Absolut, keine Ahnung. Ich muss mir was einfallen lassen, es gibt bestimmt eine Möglichkeit, die Prägung zu brechen.“ Jared seufzte resigniert und schaute sich dann im Krankenzimmer um. „Wo ist meine Jacke?“ Perplex guckte ich ihn an. „Glaub ja nicht, dass ich dich jetzt mit zurück nehme. Du bleibst hier, bis sie dich artgerecht entlassen.“ Jared verdrehte die Augen. „Entspann dich mal, ich wollte nur eine Rauchen gehen.“ „Ist vielleicht gar keine schlechte Idee…“, murmelte ich und reichte ihm seine Jacke, die ich auf der anderen Seite der Bettes über einen Stuhl gehängt hatte. Er hob die Augenbrauen. „Du rauchst doch gar nicht…“, gab er zu bedenken und zog sich die Jacke an. Er verzog das Gesicht, als er mit dem Kragen an einem der Pflaster auf seiner Schulter, hängen blieb. „Naja… nicht mehr, eigentlich.“, antwortete ich und zog mir ebenfalls meine Jacke über. „Wusste nicht, dass das mal anders war.“, sagte Jared, als wir auf den Klinikflur traten. Ich hatte keine Lust, näher auf dieses Thema einzugehen ich streckte also wortlos meine Hand aus, als wir draußen unter dem Vordach standen. Jared warf mir noch einen skeptischen Blick zu und rechte mir dann eine Zigarette und sein Feuerzeug. Gleich nach meinem ersten Zug, wusste ich, dass ich es ziemlich bereuen würde, wieder damit angefangen zu haben. Der Qualm brannte und ich wusste, dass es nicht bei dieser einen bleiben würde. „Man es ist echt kalt geworden…“, murmelte Jared irgendwann. „Mhm…“, machte ich und starrte auf einen unbestimmten Punkt auf dem Klinikparkplatz. Es tat gut, einen Moment lang, an nichts zu denken. „Sag mal, war das eben dein Ernst?“, fragte er, als ich nicht weiter auf seinen Smal-Talk-Versuch einging. „Was meinst du?“ „Dass du mich nicht wieder mit zurück nimmst… Hier ist alles voller Menschen. Ich hasse Menschen.“ Ich musste über seinen Wortlaut lachen. „Das stimmt doch gar nicht. Du bist nur zu faul, dich mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie wollen dir nichts Böses.“ Er schnaubte verächtlich und meinte: „Da wäre ich mir nicht so sicher. Der Oberarzt hat ausgesehen wie Catweasel.“ Amüsiert schüttelte ich den Kopf und schnippte den Zigarettenstummel in den Aschbehälter. „Vor Catweasel hast du Angst, aber so ein Vampir, den kann man ja getrost sein Blut trinken lassen.“ „Ich habe ihn nicht darum gebeten mich anzufallen!“ „Naja, nicht direkt jedenfalls. Du hast ihm dein Blut gegeben und ihm somit keine Wahl gelassen.“ „Oh man… Hoffentlich lässt sich das wieder rückgängig machen. Er hat mir erzählt, dass er jeden Tag Blut trinkt. Und alle vierundzwanzig Stunden ausgesaugt zu werden, überstehe ich ganz sicher nicht.“ „Und wir können endgültig die Hoffnung aufgeben, dass du jemals eine Freundin findest. Der Vampir an deinen Lippen macht sich da bestimmt nicht so gut.“ Ich erntete einen feurigen Blick und sein Zigarettenstummel landete ebenfalls im Aschebehälter. Dann drehte er sich wortlos um und ging zurück ins Krankenhaus. „Ach Jared…“, murmelte ich und seufzte. Er war schon ein bisschen empfindlich mit diesem Thema. Warum auch immer. Ich wollte mich gerade ebenfalls, auf den Weg nach drinnen machen, als eine Bewegung auf dem Parkplatz meine Aufmerksamkeit erregte. Ein Mann stand gar nicht weit von mir entfernt und starrte mich an. Er konnte noch nicht allzu lange da stehen, das war ich mir relativ sicher. Irritiert musterte ich ihn. Er trug einen schweren Wintermantel mit aufgestelltem Kragen, war blass wie eine Wand und hatte irrsinnig blaue Augen, das konnte ich sogar von hier erkennen. Ich war nicht mal wirklich verwundert, als er auf mich zu kam, sondern eher alarmiert. Und mir fiel auch sofort auf, was mit ihm nicht stimmte. Er verursachte nicht das leiseste Geräusch. Weder die Schritte auf dem Asphalt, noch ein Rascheln seines Mantels waren zu hören. Mein Magen verkrampfte sich. Ein Vampir. „Du heißt Collin?“, fragte er, als er fast direkt vor mir stand. Ich nickte langsam und versuchte mit meinen Gedanken hinterher zu kommen. Das war entweder jener Vampir, der Ian verwandelt oder jener, der ihm das Blut ausgesaugt hatte. Ich wusste nicht, was schlimmer wäre. „Gut. Wir sollten uns dringend unterhalten…“ Kapitel 7: Schlimmer geht immer *Ian* ------------------------------------- Ich war völlig fertig. So etwas zu fühlen würde aber vermutlich jeden überfordern. Ich fühlte mich körperlich gedopt, als könnte ich auf Anhieb einen Marathon laufen. Vielleicht sogar zwei. Meine Sinne waren geschärft, ich war aufgekratzt und fühlte mich einfach… unbesiegbar? Kombinierte man dazu das wahrscheinlich schlechteste Gewissen, das je einen Vampir geplagt hatte und eine gesunde Portion Selbstverachtung, dann konnte man vielleicht verstehen, weshalb ich jetzt seit einem halben Tag auf dem Rücken lag und gelähmt vor Schock, an die Decke starrte. Immer und immer wieder durchlebte ich den Moment, in dem sich mein Hirn einfach von mir verabschiedet hatte und einem so intensiven Blutdurst Platz gemacht hatte, dass ich innerlich panisch geschrien hatte. Es war, als wäre ich gefangen, in meinem eigenen Körper, ganz genau wissend, dass ich jede Sekunde die Kontrolle über mich verlieren würde. Und dann tauchte Jareds Gesicht vor meinen Augen auf. Wie die bernsteinfarbenen Augen erst verwirrt und dann entsetzt geschaut hatten. Ausgerechnet Jared, der mir am Tag davor schon so sehr entgegen gekommen war… Und es war schlimm gewesen. Immer und immer wieder hatten sich meine Zähne in die verletzliche Haut geschlagen. Er musste aussehen, als wäre neben ihm eine Granate hochgegangen. „Oh Fuck.“ Ich drehte mich auf die Seite und zog die Beine an. Langsam wurde es mir doch ein wenig frisch. Hieß das, die Wirkung lies nach? Mir blieb nicht mehr viel Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. Was jetzt? Auf jeden Fall musste ich mir Tierblut beschaffen, bevor ich auch nur annähernd so aushungern würde, dass ich einen Menschen angriff. Das war definitiv Punkt eins auf der List. Und dann spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, mich irgendwo zu melden. Ich hatte nicht nur ein unglaublich schlechtes Gewissen, gegenüber Jared und Collin, sondern ich wollte so auf keinen Fall weiterleben. Nicht einen Tag. Ich würde versuchen Henry aufzuspüren… er war der Einzige, der mir vielleicht helfen konnte. Aber wenn ich ihn nicht fand, würde ich mich der Polizei melden. Wahrscheinlich suchten sie schon nach mir. Collin hatte mit Sicherheit Anzeige erstattet. Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken warf ich einen Blick über die Schulter. Ich befand mich in einem unterirdischen Keller, der nach dem Krieg zugesperrt worden war. Durch die Kanalisation kam man aber recht problemlos hier her. Trotzdem war die Wahrscheinlichkeit hier zufällig gefunden zu werden, quasi nicht existent. Also wer auch immer sich näherte, er musst wegen mir gekommen sein. Ich rappelte mich auf und wich ein paar Schritte vor der vermoderten Holztür zurück. Ein altes Regal, mit eingestaubten Konserven und muffigen Bildbänden, gab mir ein wenig Deckung. Ich hielt die Luft an und betete, dass es kein Mensch sein würde. Nicht einmal unbedingt, weil ich nicht weggesperrt werden wollte, sondern weil ich befürchtete, wieder die Kontrolle zu verlieren. Es graute mir so sehr davor, dass sich meine Nackenhaaren aufstellten. Die Schritte näherten sich und ich konnte hören, dass es sogar zwei Personen waren. Jemand stemmt sich von außen gegen die widerspenstige Tür und ich höre, wie sie beim Öffnen über den steinigen Boden schart. „Ian? Ich weiß, dass du hier bist, Volltrottel.“ Diese Stimme war mir nur allzu vertraut. Verwundert trat ich hinter dem Regal hervor, blieb aber abrupt stehen, als ich hinter Henry auch noch Collin erkennen konnte. Er hustete und nahm sich gerade die Brille von der Nase. „Man, ganz schön staubig hier unten.“ Ich machte ein krächzendes Geräusch und ballte die Hände zu Fäusten. Gott, es tat mir einfach so schrecklich leid, ich wusste einfach nicht, wie ich mich jemals bei ihm entschuldigen sollte. Und bei Jared erst. „Jetzt komm mal da aus der Ecke raus.“, kommandierte Henry, wie gewohnt ruhig und energisch. Mein Blick haftete allerdings immer noch an Collin. Dieser bemerkte meinen verdatterten Gesichtsausdruck und lachte. „Glaub mir, ich komme mir auch ziemlich dämlich vor, mit einem Vampir in die Kanalisation zu klettern.“ „Collin…“, wisperte ich und meine Augen brannten. Ob ebenfalls vor Staub, oder aus Verzweiflung, wusste ich nicht so genau. „So, mein Freund.“ Henrys schnarrende Stimme ließ mich zusammenzucken. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und hob eine Augenbraue. „Jetzt bin ich mal gespannt auf deine Version der Geschichte.“ Verstand ich das gerade richtig? Collin und Henry hatten sich zusammengesetzt, als wären sie unsere Väter und hatten über den Vorfall gesprochen? Bei einem Kaffee? Oder hatte er mit Jared gesprochen? „Wollen wir nicht erst mal wieder hier raus klettern? Ihr merkt es vielleicht nicht, aber wir atmen hier literweise Schimmelsporen ein und es ist immer noch ziemlich kalt. Außerdem sieht Ian noch ein bisschen… geschockt aus.“ Henry zuckte mit den Schultern, aber ich verkrampfte meine Hand in einen Regalboden und wich zurück, als Collin näher kam. War der denn total von der Rolle? Ich hatte gerade seinen Mitbewohner zerfleischt! „Mach, dir keine Sorgen. Jared, geht’s gut.“ Perplex schaute ich ihn, zwischen zwei Einmachgläsern mit Stielgemüse hindurch, an. „Echt…?“ „Ja, etwas zu gut, für meinen Geschmack. Er war noch über Nacht im Krankenhaus und wird heute Nachmittag entlassen. Und jetzt komm da endlich raus.“ Wenige Minuten später saßen wir in einem Café, nicht weit von Collins Wohnung weg. Und ich konnte förmlich sehen, wie der Kellner die Luft anhielt, als er unsere Bestellung aufnahm. Wir rochen alle drei vermutlich nach alten Mottenkugeln. Bestenfalls. „Zweimal Kaffee und einen schwarzen Tee.“, bestellte Henry und der Kellner brachte nur ein kurzes Nicken zustande. „Und jetzt sag es bitte noch mal… langsam.“, murmelte ich und hoffte, dass ich Collin einfach nur falsch verstanden hatte. Er seufzte und schaute mich fast mitleidig an. „Du hast dich auf Jareds Blut geprägt. Es besteht also keine Gefahr für irgendwelche anderen Menschen und es gibt keinen Grund, weshalb du dich in einem Kanal verbarrikadieren musst.“ „Das kann man jetzt so oder so sehen.“, warf Henry ein und warf mir zum wiederholten Mal einen kritischen Blick zu. Ich rutschte immer tiefer in mein Sitzpolster. „Was ist die einzige Regel, Ian?“ „Kein Menschenblut trinken?“, gab ich von mir und hätte mich am liebsten aufgelöst, vor lauter schlechtem Gewissen. „Und jetzt haben wir den Salat…“, antwortete Henry und seufzte. „Weißt du, wie man eine solche Prägung brechen kann?“, wollte Collin wissen, während ich auf meine Schuhspitzen schaute. „Nein, leider nicht. Sonst hätte ich mich nicht an dich gewandt… Wir müssen jetzt erst einmal dafür sorgen, dass Ians Nahrungsaufnahme geregelt wird, damit es nicht noch einmal so eskaliert. Dann haben wir alle Zeit der Welt, eine Lösung zu finden.“, gab Henry sachlich von sich und ich konnte förmlich zusehen, wie sich Collins Gesichtsausdruck verfinsterte. „ Seine Nahrungsaufnahme? Ich lasse sicher nicht zu, dass er Jared noch einmal aussaugt. Und was heißt alle Zeit der Welt? Der Junge kann nicht mit fünfzehn Bisswunden am Hals auf der Arbeit erscheinen.“ Der Kellner servierte unsere Bestellung und machte sich dann postwendend wieder aus dem Staub. Als ich an meinem Kaffee nippte, um mich nicht an dem Gespräch beteiligen zu müssen, bemerkte ich es. Ich war hungrig. „Natürlich nicht, das ist eine sehr große Last für Jared.“, sagte Henry beschwichtigend und schlürfte an seinem Tee. „Wir können sein Blut abfüllen. In Flaschen, vielleicht.“, fügte er hinzu und Collin wurde blass. „Das… sollte er auf jeden Fall selbst entscheiden.“ „Eine andere Wahl wird er nicht haben. Und ich fürchte, eine allzu lange Verschnaufpause können wir ihm nicht mehr gönnen.“, antwortete Henry, mit Blick auf mich. Collin sah mich ungläubig an. „Ist das wahr, du bist schon wieder hungrig?“ „Ein bisschen.“, gab ich kleinlaut zu und schaute gequält zu Henry. „Kann ich es nicht mit Tierblut versuchen…?“ „Das wird dir nicht die geringste helfen. Es wird deinen Hunger etwa so gut stillen, wie dieser Kaffee.“ Also gar nicht. Ich ballte die Hand unter der Tischplatte zur Faust. „Wieso hast du mir nie erzählt, dass so etwas passieren kann?“ Henry presste die Lippen zu einem schmalen Strich und schaute mich so vernichtend an, dass ich fast vom Stuhl kippte. „Weil ich dachte, du würdest mir gehorchen.“ Da nahm jemand meinen Ausbruch ganz schön persönlich. Apropos… Ich tippte an meine eigen Bisswunde, die schon fast ganz verheilt war. „Ich bin wohl nicht der Einzige, der sich nicht an deine Regeln gehalten hat.“ „Ich kümmere mich schon darum.“, bekam ich als Antwort hingeworfen, dann herrschte eisiges Schweigen. „Ähm, also ich muss dann auch in fünf Minuten los, Jared abholen. Ich denke ein zwei Stunden, können wir ihm noch geben, oder?“ Collins Blick lag auf mir und ich nickte hektisch. „So viel, wie er braucht…“ Mal von Jared ganz abgesehen, wusste ich nicht mal, ob ich selbst schon in der Lage war, ihm gegenüber zu treten. Denn neben dem riesigen Batzen an Schuldgefühlen, war mir die ganze Sache ausgesprochen… peinlich. So bescheuert das auch klang, so war es. Und als wäre es nicht schlimm genug, dass ich über einen Kerl hergefallen war, wussten auch noch alle davon und redeten und planten darüber. „Also ich bringe Ian dann in ein paar Stunden wieder bei dir vorbei. Solange kannst du mit Jared ausmachen, wie ihr sein Blut am besten abfüllt. Ich hole Ian dann später wieder ab.“, erklärte Henry bestimmend und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ich wollte schon zum protestieren ansetzen (…ich wollte nicht, dass er mich wieder unbeaufsichtigt auf die Menschheit losließ), aber sein Blick ließ mich schweigen. Henry verdiente einen Oscar für den bösesten Blick. Collin zeigte sie unbeeindruckt. „Alles klar. Hast du eine Handynummer?“ Ein bisschen sprachlos schaute ich dabei zu, wie die beiden ihre Nummern tauschten. „Ich sag dir Bescheid, wenn wir mit der Raubtierfütterung fertig sind.“, grinste er zu Henry, schob sich die Brille gerade und verabschiedete sich von uns. „Menschen sind immer so anstrengend…“, befand Henry und trank den letzten Schluck Tee. „Und dabei ist Collin doch wirklich ein pflegeleichtes Exemplar.“, antwortete ich. „Ich hoffe, wir finden bald eine Lösung, damit wir diese Leute wieder loswerden.“, meinte er und klang dabei so versnobt, dass ich mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen konnte. „Dir wird das Lachen noch vergehen, fürchte ich…“, meinte Henry finster. Lachen fasste er ebenfalls häufig als persönliche Beleidigung auf, man vermied es besser in seiner Gegenwart. „Kannst du nicht in der Nähe bleiben, falls was passiert…“ Ich hatte die leise Hoffnung gehegt, dass ich mich beruhigen würde, oder dass ein Anruf von Collin, die ganze Sache abblasen würde. Aber es war natürlich nichts von beidem eingetreten. „Ian, reiß dich mal zusammen, du bist doch kein kleines Kind mehr. Außerdem hab ich noch andere Sachen zu tun. Immerhin hat Lucas…“ Henry verstummte und schüttelte den Kopf. Ach stimmt. Das war ja noch was. Mir schwirrte der Kopf, als wir vor Collins Wohnung ankamen. Ich hielt unwillkürlich die Luft an, als ich mir einbildete, schon etwas von dem Blut zu riechen, dass mich so berauscht hatte. Aber der Hunger in mir hatte noch nicht die Oberhand. Mein schlechtes Gewissen und die Scham, waren im Moment um einiges größer. „Gott, jetzt zieh nicht so ein Gesicht, das ist ja nicht zum Aushalten.“, brummte Henry und schob mich unsanft in den Flur hinein. Grimassen mochte er auch nicht. Um ihn milde zu stimmen, schaute man am besten vollkommen ausdruckslos. Und das war etwas, das ich nicht besonders gut konnte. Entsprechend viele Ellenbogenhiebe erntete ich in seiner Gegenwart. Henry zeigte keine Gnade und klopfte entschlossen an die Tür. Ich schloss die Augen und wagte es noch immer nicht Luft zu holen. „Wir haben auch eine Klingel.“, bemerkte Jared trocken, als er die Tür geöffnet hatte. Collin verdrehte im Hintergrund die Augen und bedeutet uns, einzutreten. Henry rührte sich nicht vom Fleck und bedeutet mir mit einem Blick, dass ich jetzt auf mich alleine gestellt war. „Ist der immer so?“, wollte Collin wissen, als die Tür ins Schloss gefallen war und ich fieberhaft versuchte, nicht zu Jared zu gucken. „Er ist ein grantiger, alter Vampir. Was hast du erwartet?“ „Er sieht gar nicht so alt aus… Eher klischeehaft.“ „Er ist ein wandelndes Klischee. Kein Übertritt über Türschwellen, ohne ausdrückliche Einladung, keine Kleidung die heller ist als schwarz und es wird immer angeklopft, nicht geklingelt.“ Collin hörte mir interessiert zu und er war so unangespannt, dass ich mich tatsächlich ein bisschen beruhigt hatte. „Also sucht er nachts die Schlafzimmer von armen, Mädchen in weißen Nachthemden auf?“, wollte Collin wissen und ich musste grinsen. „Kann schon sein… Aber ist ein Gentleman und trinkt ja sowieso kein Menschenblut.“ Ich stockte im Satz. Aus dem Augenwinkel konnte ich Jared sehen, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. „Einen Kaffee, Ian?“, wollte Collin wissen. Ich nickte stumm und bereute es sofort, als mir klar wurde, dass ich jetzt alleine mit Jared im Flur stand. „Du bist also kein Gentleman Vampir?“ Überrascht stellte ich fest, dass Jared breit grinste, anstatt mich hasserfüllt und vorwurfsvoll anzusehen. „Ähm, nein… Offenbar nicht. Aber du bist ja auch kein armes Mädchen, im weißen Nachthemd.“ … Gut, das war vielleicht nicht meine schlagfertigste Antwort gewesen. „Heißt das, du hättest Gnade walten lassen, wenn ich ein weißes Nachthemd angehabt hätte?“ Nicht zu fassen, er grinste noch immer. „Sehr lustig… Das hätte dir vermutlich auch nicht mehr geholfen. Immerhin hast du mich auf dein Blut geprägt anstatt mich einfach KO zu hauen.“ „Tut mir leid, dass ich kein hübsches Mädchen bin.“, antwortete er sachlich und ich wurde augenblicklich rot. Innerlich zumindest, ich hoffte, dass ich gefasster dreinschaute, als ich mich fühlte. „Als ob das einen Unterschied machen würde…“, murmelte ich. „Es tut mir auf jeden Fall sehr leid, wirklich…“ Ich traute mich kaum, ihn länger anzusehen, die ganzen Pflaster und Nähte, schürten meine Selbstverachtung. „Mir geht’s gut.“, antwortete er schlicht und schien mich zu mustern. „Geht es jetzt…?“, fragte er dann und ich schaute nun doch hoch. „Was meinst du?“ „Der Durst… Geht es?“, fragte er weiter, während im Hintergrund das Geräusch der Kaffeemaschine erklang. Ich dachte einen Moment über seine Frage nach und stellte überrascht fest… „Ja, es geht… Eigentlich komisch.“ „Wieso meinst du?“ „Müsste es nicht schlimmer werden…? Einem Alkoholiker geht es doch auch nicht besser, wenn du ihm den Whisky vor die Nase stellst.“ Jared grinste nun wieder. „Ich bin dein Whisky?“ Schon wieder durchströmte mich eine Woge peinlicher Berührung. „Na offenbar nicht! Mir geht’s besser, als es mir gehen sollte.“, gab ich zurück. „Na dann seid ihr ja schon zu Zweit.“, meinte Collin, der mit einer dampfenden Kaffeetasse um die Ecke schaute. „Wollt ihr da stehen bleiben, oder vielleicht mal reinkommen?“ Kurz darauf saßen wir an Collins Esstisch, auf dem die Reste einer chinesischen Fastfood Mahlzeit in Styroporschachtel lagerte, der Jared ab und zu einen missmutigen Blick zuwarf. „Ähm, also…“, setzte ich an, als mir das Schweigen zu unangenehm wurde. Collin hielt sich mit Mühe im Hintergrund und schaute erwartungsvoll zu Jared. „Wie machen wir das denn jetzt?“, beendete ich den Satz und schaute fragend in Jareds hellbraune Augen. „Weiß ich nicht. Collin und ich sind uns nicht einig geworden.“, antwortete Jared knapp und Collin holte sofort tief Luft. „Sag es nicht so, als hätte ich versucht, dich zu irgendetwas zu zwingen.“ Jared verdrehte die Augen. „Ich fülle mein Blut doch nicht in leere Milchtüten ab, kranker geht’s ja nicht mehr!“ „Darin könnten wir es unauffällig transportieren… In einer Glasflasche wäre es etwas auffällig.“ „Es gibt auch dunkelgrüne Glasflaschen.“, warf ich ein und jetzt erntete ich einen düsteren Blick von Jared. „Nein.“, war die Antwort. „Wenn ich mir wirklich Blut abzapfen lassen muss, dann aber nicht in solchen Mengen. Sonst kann ich ja den ganzen Tag nichts mehr machen…“ „Egal in welchen Mengen wir dein Blut abfüllen, wir brauchen auf jeden Fall Infusionsbesteck und Kanülen, oder zumindest sowas ähnliches, um es hygienisch zu entnehmen.“, meinte Collin und Jared verzog das Gesicht. „Gott dieses Gespräch ist so… abgefahren.“, murmelte ich. „Und ich kann dann mit hunderten von Nadelstichen in den Armen zu Arbeit… Na super.“ Collin blinzelte ihn ungläubig an. „Na das ist immer noch besser, als mit fünf Bisswunden und einer zwanzig Zentimeter langen Naht am Hals, oder?“ „Die Bisswunden sind schon verheilt.“, erklärte Jared und erntete verblüfftes Schweigen von Collin und mir. „…Im Ernst?“, machte sein Mitbewohner irgendwann. Jared nickte und löste eines der Pflaster, knapp unter seinem Kiefer. Außer den gräulichen Klebrändern und einer leichten Rötung war darunter nichts mehr zu sehen. „Glaub mir… Ich finde das auch ziemlich gruselig.“, versicherte Jared Collin, der aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. „Mit anderen Worten… Du willst dich von ihm beißen lassen?“ Collin deutet unwirsch in meine Richtung. „Hallo? Was heißt denn hier wollen? Ich will das generell nicht! Ich habe ja nur angemerkt, dass ich dem Tod nicht so nah war, wir du die ganze Zeit behauptest.“ „Das kommt überhaupt nicht in Frage.“, antwortete Collin. „Ganz genau.“, krächzte ich. „Ich will dir nicht noch mal… wehtun, echt nicht.“ „Jetzt tut mal nicht so, als hätte ich vorgeschlagen, mich beißen zu lassen.“, protestierte Jared und ich meinte ein leichte Röte auf seinen Wangen zu erkennen. Wenigstens war ich nicht der Einzige, dem das alles peinlich war. „Also brauchen wir dunkelgrüne Glasflaschen.“, murmelte Collin und kritzelte auf einem Zettel herum. „Und Wunddesinfektionsmittel.“ „Wie machen wir es heute Abend…?“, fragte Jared und wich meinem Blick aus. Untypisch für ihn. „Ich brauche nicht unbedingt was. Wie gesagt, ich fühle mich nicht besonders durstig.“ Eigentlich seltsam. Im Café hatte ich schon Hunger verspürt, wo der jetzt hinverpufft war, war mir zwar ein Rätsel, kam mir aber gerade recht. Collin hob kritisch die Augenbrauen. „Ich erinnere mich, dass du das schon einmal zu mir gesagt hast…“ „Da hatte ich schon bedeutend mehr Hunger gehabt wirklich… Und Henry meinte, ich würde sowieso keinen anderen anfallen.“ „Beruhigend.“, antwortete Collin und griff nach seinem Handy. „Also gut, dann rufe ich mal bei Henry an und erstatte Bericht. Vielleicht kann er ja direkt was mitbringen…“ Collin tippte auf dem Display und verließ den Loft in Richtung Flur. „Es geht nicht.“, keuchte ich und krallte mich am Treppengeländer fest. Henry seufzte genervt. Es war jetzt der dritte Versuch, mich aus dem Gebäude zu bekommen, nachdem ich darauf beharrt hatte, dass ich keinen Hunger hatte. „Kannst du mir dieses Theater mal erklären?“, wollte Henry wissen und ich war einfach zu wütend auf diese ganze Situation, um ihm gemäßigt zu antworten. „Glaub mir, ich hab doch selbst keine Ahnung, was los ist! Es überkommt mich einfach und es tut verdammt weh…“ Ich griff mir an den Bauch, in dem ich ein immer stärker werdendes Ziehen verspürte, desto mehr Stufen wir hinabgingen. Und mein Kopf fühlte sich so unsagbar schwer an… „Aber es ist kein Hunger…“ „Okay, das hat so keinen Zweck.“ Henry packte mich am Ärmel und begann mich die Stufen wieder hinauf zu schleifen. Ich wehrte mich und wäre fast noch rückwärts ein Stockwerk tiefer gefallen. „Was wird das denn?!“, protestierte ich. „Offenbar beschränkt sich sie Prägung nicht nur auf sein Blut. Es hat wohl auch etwas mit seiner Nähe zu tun.“, erklärte Henry sachlich und schleifte mich unerbittlich weiter hinauf. „Was?! Nein, lass es uns noch mal probieren, vielleicht-“ „Ian, du hast schon Nasenbluten. Ich bezweifle, dass du es überhaupt bis runter auf die Straße schaffst. Geschwiege denn zurück in unser Versteck… Jetzt komm schon, du machst einen Heidenlärm und blutest alles voll.“ Tatsächlich tropfte mir Blut aus der Nase, von dort zu meinem Kinn und auf den Boden. „Oh, verdammt…“ Das durfte alles nicht wahr sein. Henry gab nicht nach, bis wir wieder vor Collins Wohnungstür standen. „Merkst du was?“, wollte er wissen. Ich fasste mir noch einmal an den Bauch und bemerkte tatsächlich, dass das Ziehen verschwunden war. Und auch von meinem dröhnenden Kopfschmerzen war nur ein leichter Druck in den Schläfen geblieben. Fassungslos starrte ich gegen die Wand, dann schloss ich die Augen. „Das kann doch alles nicht wahr sein… Wie schlimm wird das noch Henry?“ „Ich habe keine Ahnung.“, antwortete er und klopfte lautstark an die Tür. Aber ich veranstaltete einen Heidenlärm, klar… Es war diesmal Collin, der uns aufmachte. Überrascht schaute er von Henry zu mir. „… Hast du ihm auf die Nase geschlagen?“, fragte er dann ungläubig. „Nein. Das kommt vermutlich davon, dass Ian versucht hat, sich von dem Objekt seiner Prägung zu entfernen. Offenbar ist diese ganze Geschichte umfassender, als befürchtet.“ „Dem Objekt seiner Prägung…?“, fragte Collin und schien langsam zu begreifen. „Heißt das… Er muss hier bleiben?“ „Ja, er muss bei Jared bleiben. Ich überlege mir was. Morgen Mittag, bin ich wieder da.“ „Was?! Ist das dein Ernst?“, protestierte ich. „Er ist noch keine achtzehn, ich lasse ihn sicher nicht in Jareds Zimmer schlafen… Du kannst die Couch haben.“ „Oh Gott, Collin… mach es nicht noch peinlicher, als es schon ist.“, stöhnte ich und Collin brachte es tatsächlich fertig darüber zu lachen und mir freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen. Und mal von der Tatsache ganz abgesehen, dass ich auf keinen Fall in Jareds Zimmer nächtigen wollte, war ich sehr wohl schon achtzehn! „Also, dann komm mal wieder rein… Dein Kaffee war sowieso noch nicht ausgetrunken.“ Kapitel 8: Unbelehrbar *Jared ----------------------------- Ich schaute nicht schlecht, als ich wieder aus dem Bad kam. Da ich eben duschen gewesen war, hatte ich mir nur schnell ein Handtuch um die Hüften gewickelt und wollte schnell auf meinem Zimmer verschwinden. Ich kam aber nur bis in die Mitte des Lofts, wo ich fast in Ian hineingelaufen wäre. „Huch.“, machte er, als ich ihn an der Schulter streifte und drehte sich zu mir um. Unter seiner Nase klebte ein bisschen getrocknetes Blut und er sah irgendwie… müde aus. Vielleicht auch einfach nur blass. Wo kam der denn jetzt schon wieder her? „Ähm ja… Huch?“, gab ich wenig einfallsreich von mir und verschränkte reflexartig die Arme vor der Brust. Nicht zu fassen, dass ich schon wieder oben ohne vor ihm stand. Etwas ähnliches schien ihm eben auch durch den Kopf gegangen zu sein, denn er sagte: „Du musst dich nicht immer für mich ausziehen.“ Und er sagte es mit seiner selbstverständlichen Frechheit, die mir mittlerweile vertraut vorkam, allerdings schwang auch etwas anderes in seiner Stimme mit. Ich presste verärgert die Lippen zusammen, insbesondere, da Collin hinter Ian aufgetaucht war und jetzt mit hochgezogenen Augenbrauen zu uns herüber sah. „Vielleicht…“, sagte er langezogen und musterte uns übertrieben ausgiebig. „Vielleicht sollte ich ein Schloss vor Jareds Tür machen…“ Ich schnappte wütend nach Luft und Ian lachte. „So wörtlich hat Henry das nicht gemeint, keine Sorge Collin… Und ich bin sicher, Jared wüsste sich zu verteidigen.“ Der Vampir klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. „Will mir vielleicht mal jemand sagen, was hier schon wieder los ist?“, fragte ich und es klang in meinen Ohren gereizter, als es sollte. Ians Grinsen geriet ein wenig ins Schwanken. Ein ganz leichter Rosahauch war auf seinen Wangen zu erkennen. Ertappt guckte er mich an. „Was ist? Hast du mich etwa vermisst?“, fragte ich spöttisch. „So in etwa könnte man es wohl sagen.“, meldete sich Collin und tippte dabei auf seinem Handy herum. „Naja, nicht so ganz.“, protestierte Ian und schaute von Collin zu mir. Ich hob fragend die Augenbrauen. Jetzt war ich aber gespannt. „Ich… hatte plötzlich ziemliche Schmerzen. Einfach nur Schmerzen, keinen Hunger…Und meine Nase hat angefangen zu bluten. Ich konnte es mir gar nicht erklären, aber Henry ist relativ schnell auf den Gedanken gekommen, dass es etwas mit der Prägung zu tun haben könnte…“ Er wurde ein wenig kleinlaut, wahrscheinlich auch, weil mir meine Gesichtszüge für einen Moment total entgleist waren. Ich musste einmal beherzt lachen. Collin stimmte glucksend in mein Lachen ein und Ian wurde noch ein bisschen roter im Gesicht. „Schön, dass ihr das lustig findet…“ „Ich habe keine Worte dafür.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich würde mir jetzt erst einmal etwas anziehen, beschloss ich und ließ die beiden im Loft stehen. Meine Zimmertür fiel hinter mir ins Schloss und ich musste mich erst einmal mit dem Rücken dagegen lehnen. Langsam wurde mir das wirklich zu viel, mit dieser ganzen Vampirgeschichte. Ich kannte ihn drei oder vier Tage lang und jetzt hatte er sich so auf mein Blut geprägt, dass er nicht einmal das Haus verlassen konnte. Wie zum Teufel sollte das gut gehen? Ich musste morgen wieder zur Arbeit! Wütend suchte ich mir etwas zum Anziehen heraus und war dabei so grob zu meinem Inventar, dass mir einer der unausgepackten Umzugskartons vom Schreibtischstuhl rutschte, zu Boden krachte und eine riesige Staubwolke verursachte. „Ach, Scheiße…“ Fluchend machte ich mich daran, den Kram wieder einzuräumen. Alter Kram, aus alter Zeit. Nichts womit ich mich auch nur einen Moment lang beschäftigen wollte. Als ich jedoch den weichen, abgegriffenen Ledereinband eines Buches in meinen Händen fühlte, hielt ich inne. Bis vor fünf Minuten hätte ich jedem geschworen, dass ich es entsorgt hatte… Ein beißender Schmerz machte sich in meiner Brust breit, während ich das helle Leder anstarrte. Es war ein beschissener Tag, ganz eindeutig. Ich warf es oben in den Karton und drehte mich auf dem Absatz um. „Jared!“ Collin schien wirklich überrascht, als ich kurz darauf neben ihm in der Küche auftauchte. „Was ist?“, knurrte ich und öffnete ruckartig die Kühlschranktür. Ausnahmsweise sogar mal ohne eine größere Verwüstung zu verursachen. „Ich dachte du schmollst jetzt den ganzen Tag in deinem Zimmer.“, antwortete mir mein Mitbewohner unverblümt. „Der Tag ist sowieso schon fast rum und ich hab Hunger.“, gab ich zurück und beschloss mir einen Auflauf zu machen. Paprika, Würstchen und Käse aus dem Kühlschrank, nicht zu vergessen die Milch, Kartoffeln waren noch unter der Spüle… ein amüsiertes Geräusch lenkte mich von meiner Essensplanung ab. Ich warf einen Blick über die Schulter und entdeckte Ian, der gerade den Knopf der Kaffeemaschine betätigte. „Das war aber ein kurzer Anflug von guter Laune.“, meinte er und bezog sich vermutlich auf mein Lachen, von eben. „Ja, das wars jetzt gewesen, für dieses Jahr.“, brummte ich und platzierte die Paprika, vielleicht ein wenig zu unsanft, auf einem Schneidebrett. „Kannst du überhaupt noch schlafen, bei dem vielen Koffein?“, hakte ich nach, als die Kaffeemaschine anfing zu brummen. „Der ist nicht für mich.“, antwortete Ian und deutete mit einem Nicken zu Collin, der sich gerade das Handy zwischen Ohr und Schulter klemmte und telefonierend den Raum verließ. „Na dann hast du dich ja schon bestens eingelebt.“, murmelte ich und bereute es sofort. Ich klang zickiger, als ein Kleinkind… „Du darfst mir gerne glauben, dass ich nicht vorhatte, hier zu bleiben. Und dass ich auch jetzt noch darauf hoffe, dass Henry einen Weg findet, diese Sache zu beenden.“ „Ja, sorry…“, murmelte ich und begann die Paprika zu waschen. Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass Ian keine Lust darauf hatte, sich mit Nasenbluten durch den Hausflur zu wälzen und über Menschen herzufallen. Vielleicht sollte ich meinen Vorsatz, netter zu anderen Menschen zu sein, auch auf Vampire ausdehnen. „Kann ich dir was helfen?“, fragte Ian prompt. „Hmh…“, machte ich und reichte ihm das frisch gewaschene Gemüse rüber. Ich kochte eigentlich lieber in Ruhe. Collin hatte auch manchmal hilfsbereite Anwandlungen, die meistens sehr an meinen Nerven zerrten. Aber ich wollte es ja mal versuchen… Ian nahm die Paprika entgegen und schaute mich so ratlos an, dass ich um ein Haar wieder über ihn gelacht hätte. „Schneiden. Ich mache Auflauf.“, erklärte ich und zog die Besteckschublade auf. „Na dann…“ Er griff nach dem größten Messer, das er finden konnte und schnappte sich ein Schneidebrett. Motiviert schien er zu sein. Vielleicht hatte er sich einen ähnlichen Vorsatz genommen, wie ich. Und ich wäre wirklich froh, wenn wir uns ein bisschen besser verstehen würden, alleine schon Collin zuliebe. Ich widmete mich den Karotten, den restlichen Paprika und wollte mich dann an die Kartoffeln machen, als ich mal kurz einen Blick zu Ian hinüberwarf, um zu sehen warum er so lange brauchte. „Was… hast du getan…?“ Er sah mich entschuldigend an. „Gehört das nicht so? Ich habe unauffällig versucht, es dir nachzumachen…. Was weiß ich, wie man eine Paprika korrekt schneidet.“ „Schneiden? Es sieht aus, als hättest doch dich einfach draufgelegt.“ Er grinste und ich musste amüsiert den Kopf schütteln. Immerhin hatte er den Stiel und die Kerne herausgeschnitten, bevor er den Rest zerstört hatte. „Du kannst ja doch lachen. Gehakte Paprika hebt also deine Laune, das merke ich mir.“ „Besser nicht. Mit Essen spielt man nicht.“, antwortete ich und beschloss, seine Paprika trotzdem in die Auflaufform zu geben. Ian lachte. „Sorry, aber das klingt in meinen Ohren einfach viel lustiger, als es sollte. Ich spiele nämlich gerne mit meinem Essen. Fangen zum Beispiel.“ Ich brauchte einen Moment um seinem Gedankengang zu folgen, aber dann funkelte ich ihn empört an. „Ich gebe hier wirklich alles an Freundlichkeit, was ich zu bieten habe. Ich bin nicht dein Essen, klar?!“ „Nein, wir spielen ja auch gar nicht.“, erwiderte Ian und wieder sah ich etwas in seinen Augen blitzen, das ich nicht sofort zuordnen konnte und das mich stutzig machte. „Außer du möchtest, natürlich.“, fügte er dann hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. Hä was? Was zum Teufel wollte er? Doch nicht etwa wirklich fangen spielen..? Fieberhaft versuchte ich dahinter zu kommen, ob er mich veralberte, mir gleich an die Kehle springen würde oder ob er mich tatsächlich angeflirtet hatte. „Also Jared, dein Humor ist nicht der schnellste…“ „Du bist auch nicht der witzigste Kerl im Umkreis.“, gab ich zurück. „Ihr zankt euch, wie ein altes Ehepaar.“, bemerkte Collin, der gerade in die Küche zurückkam, um sich seinen lauwarmen Kaffee abzuholen. „Eigentlich müsste ich noch mal los…“, murmelte er, nippte an der Tasse und schaute dabei auf die Uhr. „Du kannst ruhig gehen…“, sagte ich, weil ich genau wusste, dass ich der Grund war, weshalb er bleiben wollte. „Ja damit ich dich gevierteilt vom Boden aufkratzen kann, wenn ich wiederkomme.“ „Collin-“, setzte ich an, doch Ian war schneller und erklärte sachlich: „Nichts für ungut, Collin. Aber auch wenn du da wärst, wenn ich beschließen sollte, Jared zu vierteilen, würdest du ihm nicht helfen können.“ Mir klappte die Kinnlade runter, aber Collin (dieser Verräter) grinste. „Na gut, das ist ein Argument… Ich kann unterwegs schon mal die Sachen in der Apotheke bestellen. Sie haben nicht alles da was wir brauchen, ich habe eben schon mal kurz angerufen. Aber für morgen früh würde es klappen.“ Collin trank seinen Kaffee mit wenigen hastigen Zügen leer und stellte die Tasse unsanft auf der Amartur ab. „Bis später!“ Und weg war er. „Wenn du einmal blinzelst, hast du ihn verpasst.“, bemerkte Ian. „Ja, er kann echt anstrengend sein.“, antwortete ich und wandte mich wieder den Kartoffeln zu. Ich hatte längst aufgehört, mich über Collin zu wundern. „Kann ich dich was fragen?“ „Ich vermute mal, du lässt es nicht bleiben, wenn ich nein sage…?“, fragte ich zurück und versuchte mein Tempo bei Kartoffelschälen ein wenig zu erhöhen. „Ich wollte bloß wissen, was das ist, mit dir und Collin?“, antwortete Ian ungeniert. Unwillkürlich hielt ich in der Bewegung inne. „Was meinst du?“, fragte ich, um herauszufinden, was er vermutete. Und vielleicht auch, um etwas Zeit zu schinden, bis mir eine passable Erklärung eingefallen war. „Seid ihr… zusammen?“, fragte Ian schließlich und ich biss die Zähne zusammen. Mechanisch bearbeitete ich die Kartoffel und beantwortete seine Frage mit einem schlichten: „Nein.“ „Aber ein bisschen erwischt hat es dich schon, oder…?“, fragte er direkt weiter. „Nein. Warum interessiert dich das?“, gab ich zurück und vermied es, in seine Richtung zu sehen. Ich wurde einfach nicht warm, mit ihm. Er war anstrengend, frech und jetzt auch noch neugierig. „Weil ich es nicht so ganz verstehe, was das mit euch ist… Ihr habt keine typische WG, seid kein Paar, seid offenbar nicht miteinander verwandt…“, zählte er auf und platzierte sich jetzt neben mir. „Wir sind Arbeitskollegen und haben uns angefreundet.“, antwortete ich knapp und beschloss noch eine Erklärung hinten anzuhängen. Vielleicht hatte er dann genug. „Er hat mir Asyl gewährt, als ich überraschend aus meiner alten Wohnung raus musste. Du hast ja vielleicht schon von seinem Helfer-Syndrom gehört…“ „Ach so.“, machte Ian und tatsächlich bleibe es danach still. Schweigend bereitete ich mein Essen fertig zu und schob ein paar Minuten später die randgefüllte Auflaufform in den Ofen. Als ich die Ofenklappe schloss und mich zu meinem neuen Mitbewohner umdreht, ahnte ich auch sofort, woher die Stille kam. Alle meine Alarmglocken läuteten schrill und sofort wich ich einen Schritt zurück, bis ich den Ofengriff am Rücken spüren konnte. „Es… geht schon… wirklich.“, brachte Ian hervor. Er stand in etwa dort, wo es auch das letzte Mal passiert war. Als ihn der Blutdurst erreicht hatte. Wieder hatte er die Hände zu Fäusten geballt, die Lippen fest aufeinandergepresst und war ganz blass. „Ach… und wie lange?“, wollte ich wissen und wich noch einen Schritt, in Richtung Loft. Vielleicht schaffte ich es dieses Mal, mich rechtzeitig irgendwo einzuschließen… „Keine Ahnung… Ich verstehe das alles genauso wenig, wie du… Und ich wünsche mir genauso sehr, wie du, dass es aufhört…“ Er schloss die Augen und es sah fast so aus, als ob er Schmerzen hatte. „Naja, jeder braucht ab und zu was im Magen…“, sagte ich erntete ein hämisches Lachen. „Und du sagst mir, meine Witze wären schlecht?“ „Ich meine es ernst.“, antwortete ich direkt und jetzt schaute er mich an. Er runzelte die Stirn, sein Gesicht war noch immer angespannt. „Wir müssen es echt nicht nochmal eskalieren lassen… Wenn du Blut brauchst, dann bekommst du halt welches-“ „Jared, spinnst du jetzt total?“ „Hast du ne bessere Idee?“, fragte ich zurück. Collin würde mich zwar umbringen, wenn ich das ohne Infusionsbesteck bewerkstelligen würde, aber ich wollte auch nicht noch einmal von Ian zu Boden gerungen werden. „Du lässt mich dein Blust trinken?“ „…Ja.“, antwortete ich und Ian setzte sich sofort in Bewegung. „Hey!“, protestierte ich flüchtete auf den Flur. „Wir sollten dieses Mal nicht so ein Blutbad veranstalten und-“ Ich hatte ihm sagen wollen, dass ich mich auf keinen Fall mehr von ihm beißen lassen würde, aber Ian hatte mich fest am Arm gepackt und mich mit einer ruckartige Bewegung durch die offenstehende Tür, in mein Zimmer gezogen. „Ian!“, beschwerte ich mich, leicht panisch, als die Zimmertür mit einem Krachen, hinter uns zufiel. „Halt still, okay?“, murmelte er und sein Griff, um mein Handgelenk, war mittlerweile so fest, dass es mir ein schmerzvolles Zischen entlockte. Mit der anderen Hand, presste er mich jetzt gegen die Tür. Ich war offenbar nicht fähig, aus meinen Fehlern zu lernen! Fluchend stemmte ich mich gegen ihn, aber es war natürlich zwecklos. Mit seiner rechten Hand, hielt er mich im Nacken gefasst und zog meinen Kopf zurück. „Stopp!“, brachte ich noch hervor, bevor er mich mit seinen gesamten Gewicht gegen die Tür drückte und seine Zähne, knapp oberhalb der Schulter, in meiner Haut versenkte. Wieder spürte ich den reißenden Schmerz, der nur wenige Augenblicke später von einer betäubenden Welle hinweggespült wurde. Er löste die Hand aus meinem Nacken und schlang sie mir um die Mitte, als er merkte, dass ich drohte einfach an der der Tür nach unten zu rutschen. Ich spürte wieder nicht mehr viel von meinem Körper und wenn er mich nicht eisern festhalten würde, läge ich vermutlich schon auf dem Boden. Und trotzdem war es anders, als das letzte Mal. Mein Verstand arbeitete noch und er wusste ganz genau, das hier war falsch. Einfach krank. Und er schrie mich wütend an, denn ihm konnte ich nichts vormachen. Es gefiel mir. Mit jedem Sog, den ich an meinem Hals spürte, wurde die Wärme intensiver und schien sich immer schneller durch meinen Körper zu bahnen. Und sein Gewicht, seine Nähe, ließ mich immer schneller atmen. Keinen ließ die Nähe, zu jemand andern kalt, aber das hier überschritt die Grenze des Wohlgefallens doch um einiges. Und das machte meinen Verstand, doch etwas panisch. Ian schien immer noch nicht genug zu haben, sein Arm zog sich fester und presste meine Hüfte gegen seine. Ich vernahm ein raues Knurren, das von meiner Haut gedämpft wurde und spürte deutlich, wie sehr ihn das hier anmachte. Spätestens das müsste mich innerlich zu dem Schluss kommen lassen, ihn umzubringen, wenn das hier vorbei war. Aber dem war nicht so. Ich stellte fest, dass ich wieder Gefühl in meinen Fingern hatte, als er sich von mir löste. Aber er zog sich nicht zurück. Einen Moment lehnten wir so da. Fest aneinandergepresst, außer Atem und auch ein wenig überwältigt. Dann spürte ich seine Lippen wieder an meinem Hals und ich ließ es einfach zu. Ein Schaudert jagte mir über den Rücken, als ich seine Zunge auf meiner Haut spürte, die noch etwas Blut aufleckte und heilend über die Wunde streifte. Offenbar fiel es ihm schwer zu wiederstehen, denn kurz darauf spürte ich wieder den Sog. Fest und heiß und unerwartet. Ich sog scharf die Luft ein, mein Rücken bog sich durch und ich krallte meine Hände in seinen Pullover. Auch sein Griff um meine Hüfte wurde fester, er schmiegte sich an mich und ich war einfach so überfordert damit, was das mit mir machte, dass ich mich nicht dagegen wehrte. Ich schloss die Augen und lehnte mich mit dem Kopf gegen die Tür. Seine Lippen wanderten weiter nach oben und küssten meinen Hals. Wieder rang ich nach Luft, spätestens, als sich seine Hand an meine Hüfte legte. Er löste sich von meinem Hals und wollte das ganze wahrscheinlich gerade beenden, als sich unsere Lippen streiften. Es raubte mir den Atem, mein Innerstes zog sich zusammen und mir stieg die Röte ins Gesicht. Wir berührten uns einen Moment zu lange, um es als Versehen zu bezeichnen, dann lehnte sich Ian zurück und ließ mich los. Es war zu dunkel, um seinen Gesichtsausdruck genauer zu sehen. Und ich hoffte, dass er meinen auch nicht sehen konnte. Ich konnte genau spüren, dass ich glühte und gleichzeitig bahnte sich die Wut und die Ablehnung in mir an, die eben noch nicht vorhanden waren. Ich schob ihn endgültig von mir weg und riss die Tür auf. Er reagierte nicht weiter darauf und die Tür viel hinter mir wieder ins Schloss. Auf sehr wackeligen Beinen bahnte ich mir meinen Weg Richtung Bad und atmete erst einmal tief durch. Mit zitternden Finger schloss ich hinter mir ab und brauchte noch einen Moment, bis ich den Blick in Richtung des Spiegels richten konnte. Mein Gesicht zeigte einen Rosahauch, meinen Hals zierten eine Bisswunde und nur kurz darüber… einen Knutschfleck. Sprachlos schaute ich mich an und konnte es einfach nicht begreifen. Auch dieses Mal war es eskaliert. Nur anders, als das letzte Mal. Sehr viel brisanter, wie ich fand. Ich fluchte und beschloss, dass ich einen Schwall kaltes Wasser, gut vertragen konnte. Aber auch nachdem mein Gesicht vor Wasser triefte, erschien mir die ganze Gesichte genauso verwerflich und besorgniserregend, wie zuvor. Diese Blutsaugerei war ja schon schlimm genug. Dass ich einen Vampir meine Hilfe anbot und mein Blut trinken lies, war die eine Sache. Aber dieses… Kuscheln und der Erotikfaktor, war ja ganz eindeutige so verrückt, dass es kaum in Worte zu fassen war. Nicht einmal darüber nachdenken, war ganz ohne. Ich hatte das Gefühl, dass mir vor lauter peinlicher Berührung, gleich Dampf aus den Ohren steigen würde. Und ich hatte mich nicht dagegen gewehrt… im Gegenteil! Was hatte das denn bitte zu bedeuten? Ich konnte den Kerl nicht mal leiden. Mal ganz davon abgesehen, dass er eben ein Kerl war und ich mit diesem Thema sowas von abgeschlossen hatte… Ich blieb so lange im Bad versteckt, bis ich aus der Küche den Backofen piepsen hörte. Und so wenig ich Ian jetzt begegnen wollte, dass Collins Wohnung abfackelte, konnte ich natürlich nicht riskieren. Außerdem machte es ziemlich hungrig, ausgesaugt zu werden. Ich holte tief Luft und öffnete die Tür. Kapitel 9: Nicht seltsamer als sonst auch *Ian* ----------------------------------------------- Ich lehnte mit dem Rücken gegen die Zimmertür, in der Dunkelheit. Mein Herz raste, mein Blut rauschte und meine Hände zitterten. Das Gefühl berauschte mich, meine Sinne waren geschärft und ich fühlte mich so wach, wie schon lange nicht mehr. Noch immer hatte ich den Geschmack seines Blutes auf der Zunge. Und ich bildete mir auch ein, noch die Wärme seines Körpers an meinem wahrzunehmen. Und es überforderte mich komplett. Ich musste dringend ein Wort mit Henry darüber reden… Immerhin hatte ich keine Ahnung, ob es normal war, so sehr zu reagieren, oder ob das an mir lag… Und verdammt! Es war mir egal, woran es lag. So konnte es definitiv nicht weitergehen. Ich hätte ihn um ein Haar geküsst… Reglos verharrte ich, bis ich zuerst den Backofen und dann die Badezimmertür hören konnte. Jared war jetzt in der Küche. Kurz überlegte ich noch, aber dann beschloss ich, zu ihm zu gehen. So peinlich mir die ganze Geschichte auch war, ich wollte gar nicht erst anfangen, eine große Sache daraus zu machen. Auch wenn durchaus die Gefahr bestand, dass er ziemlich wütend war… ich würde mich entschuldigen und dann würden wir es hoffentlich schaffen, darüber hinweg zu sehen. Zögernd trat ich in die Küche ein. Er stand mit dem Rücken zu mir und hatte gerade seinen Auflauf aus dem Ofen geholt. Ich konnte sehen, dass sich sein Körper anspannte, als er mich bemerkte, aber er drehte sich nicht zu mir herum. Und ich bemerkte, dass er sich ein Handtuch über seine Schultern geworfen hatte. Unschlüssig blieb ich im Türrahmen stehen und überlegte was ich am besten sagen sollte. „Ähm.“ Ich räusperte mich. „Immerhin hat es dieses Mal nicht mit einem krankenhausreifen Zustand geendet.“ Es gab ein lautes Klirren, als er die gläserne Auflaufform ziemlich heftig auf der Anrichte abstellte. Er drehte sich zu mir um und hätte furchtbar wütend ausgesehen, wenn da nicht diese verräterische Röte auf seinen Wangen läge. „Nein… Dafür hab ich jetzt nen Knutschfleck am Hals. Und noch ein Bisswunde.“ Er wandte den Blick wieder ab und schnappte sich Besteckt aus der Schublade. Ein bisschen sprachlos schaute ich ihm dabei zu. Er hatte sich schon sein Essen auf einem Teller zurechtgelegt als ich antwortete: „Entschuldige… das war wirklich keine Absicht.“ Das machte das Ganze dann noch mal um ein paar brisante Details peinlicher. Wahrscheinlich leuchtet mein Gesicht nicht weniger als seines. „Davon kann ich mir jetzt auch nichts kaufen. Ich muss damit morgen zur Arbeit.“ Er lehnte sich gegen die Anrichte und begann im Stehen zu essen. „Ich… weiß auch nicht…“ Tatsächlich hatte es mir ein wenig die Sprache verschlagen. Auch, weil er das Handtuch zu Boden geworfen hatte und ich sowohl die Bisswunde als auch den verräterischen Fleck darüber sehen konnte. Kurz trafen sich unsere Blicke und spätestens seine bernsteinfarbenen Augen machten mich dann endgültig sprachlos. Ich hatte ihn geküsst. Und ich hatte sein Blut getrunken. Und ich wusste, dass es ihm gefallen hatte. Und er wusste, dass es mir gefallen hatte. Mehr als nur gefallen… Die Spannung zwischen uns war fast greifbar und in meiner Brust zog sich etwas zusammen und schickte dann einem warmen Schauder durch meinen Körper. Seine Lider flatterten und mit zitternden Händen stellte er seinen Teller weg. Er konnte es auch spüren, das wusste ich. Das Geräusch der Haustür ließ uns beide zusammenzucken. Jared schnappte sich schnell das Handtuch und legte es sich wieder über die Schultern, während ich fieberhaft überlegte, was ich tun konnte. Und da mir nichts anderes einfiel, auf die Schnelle, stellte ich mich vor die Kaffeemaschine und betätigte den Knopf. „Hey ihr beiden!“ Collin kam zielgerichtet zu uns in die Küche und sah recht zufrieden aus. „Liza hat mir heute erklärt, dass sie vielleicht Kontakt zu Vampiren bekommen kann, die schon mal eine Prägung hatten oder noch eine haben. Das ist schon mal ein Hoffnungsschimmer.“ Ich nickte langsam und Jared fragte: „Willst du Kartoffelauflauf?“ „Ähm… nein, danke. Ich hab schon gegessen.“ Collin wollte sich gerade zum Kühlschrank wenden, als er in der Bewegung inne hielt und noch mal zu seinem Mitbewohner schaute. „Warst du nicht heute Mittag schon duschen?“ Ich konnte sehen, dass Jared einen Moment brauchte, um zu verstehen, dass Collin sich auf das Handtuch bezog. „Oh, ähm… Ich hab mir nur noch mal die Haare gewaschen… Ich hatte beim kochen ein bisschen Pech mit der Soße…“ Ich biss mir auf die Lippe, um mir ein Lache zu verkneifen, als ich Jareds Gestammel hörte. Collin beäugte ihn noch einmal kurz und antwortete mit einem schlichten: „Ach so.“ Im Laufe des Abends machten wir es uns zu dritt auf der Couch gemütlich und schauten irgendeine Fernsehquizz. „Ich habe die Sachen in der Apotheke, hier in der Straße bestellt. Vielleicht kannst du die morgen abholen, Ian. Ist ja sonst keiner da. Ich habe den Abholzettel auf den Tisch gelegt.“ „Klar, danke.“, antwortete ich und hoffte, dass er nicht allzu viel Geld für das Zeug ausgegeben hatte, mit dem wir Jareds Blut abfüllen wollten. Ich musste mir sowieso endlich mal einen Job suchen… Henry hatte darauf bestanden, dass ich erst einmal mit meinem Vampir-Sein klarkommen musste, bevor ich zur Normalität zurück kehrte. Aber gut… Der Zug war abgefahren. Collin gähnte. Und als ich fünf Minuten später noch mal in seine Richtung schaute, sah ich, dass er mit dem Kopf auf der Sofalehne eingeschlafen war. Seine Brill hing schief auf seiner Nase und er schnarchte leise. Jared beugte sich neben ihm nach vorne und verdrehte die Augen. „Weck ihn einfach und schick ihn ins Bett, wenn du schlafen willst…“ „Okay… Wie lange arbeitest du morgen?“, fragte ich, mit möglichst neutralem Tonfall. „So gegen elf Uhr schnapp ich mir den Hund und bringe den gegen ein Uhr wieder. Dann kann ich pünktlich um halb zwei im Café sein. Ich komme wahrscheinlich um kurz vor sieben wieder zurück.“ Ich schaute ihn ungläubig an. „Du gehst zwei Stunden lang mit dem Hund Gassi?“ Jared zuckte mit den Schultern. „Klar… Es gibt hier ganz schöne Ecken und Lady freut sich… Du kannst auch mitkommen, wenn du magst.“, fügte er noch hinzu und wandte seinen Blick dem flackernden Bildschirm zu. „Meinst du der Hund mag mich noch?“, grinste ich und tatsächlich konnte ich sehen, wie seine Mundwinkel zuckten. „Für gewöhnlich sind Terrier nicht besonders nachtragend. Ich kann dir aber nichts garantieren.“ „Na gut, bevor ich hier alleine herumsitze… Und dann lerne ich auch endlich mal Kristina kennen.“ „Sie heißt Christa.“, antwortete Jared und erhob sich von der Couch. „Also gut. Ich geh jetzt schlafen. Nacht.“ „Gute Nacht…“, sagte ich und schaute ihm nach, wie er ins Bad verschwand. Vielleicht war es ganz gut, dass Collin eingeschlafen war. Sonst hätte er sich irgendwann gefragt, weshalb Jared noch immer das Handtuch um die Schulter trug. Wobei ich sowieso das Gefühl hatte, dass er die Soßen-Geschichte nicht wirklich abgekauft hatte. Ich schüttelte ihn leicht an der Schulter und er schreckte sofort hoch. „Hm?“, machte er und richtete sein Brille. „Du bist eingepennt.“, sagte ich und er gähnte wieder. „Sorry… Ich geh dann mal in Richtung Bett. Gute Nacht.“ „Dir auch.“ „Ach, wie lieb!“ Christa war völlig aus dem Häuschen, als sich mich hinter Jared entdeckte. „Wie schön, dass du mal einen Freund mitbringst, Gerret.“ Ich musste die Luft anhalten, um nicht zu lachen, als ich hörte, wie sie seinen Namen aussprach und er warf mir einen bösen Blick zu. Aber ich verstand sofort, weshalb er sich mit der alten Dame angefreundet hatte. Sie war der positivste Mensch, der mir je begegnet war. Allerdings hatte sich Jared hinsichtlich des Terriers getäuscht. Lady entpuppte sich als höchst nachtragend und knurrte mich wütend an. „Aber, aber, Lady!“, empörte sich Christa über das Verhalten ihres Hundes und schickte sie mit einer energischen Handbewegung auf ihre Decke „Christa, das ist Ian. Ian, das ist Christa.“, stellte Jared uns vor. Ich wollte ihr die Hand reichen, aber sie zog mich direkt in eine herzige Umarmung. „Ach, wie nett!“, sagte sie wieder während sie mir über den Rücken tätschelte und ich einen tiefen Schwall von ihrem Parfum einatmete. „Ja, ein ganz Netter.“, meinte Jared und den sarkastischen Unterton, hörte wohl nur ich. „Aber dünn ist er ja.“, bemängelte Christa meine Statur, nachdem sie mich losgelassen hatte. „Du musst erst mal was essen, mein Junge.“ Ich konnte mir ein Grinsen einfach nicht verkneifen und das verbuchte sie offenbar als Zustimmung und wirkte uns in ihre Wohnung rein. Man sah der Wohnung natürlich an, dass hier eine alte Dame lebte. Aber jedes Spitzendeckchen und jeder Porzellanengel stand akkurat ordentlich an seinem Platz und man konnte weit und breit nicht ein Staubkorn entdecken. „So hungrig bin ich gar nicht…“, meinte ich, als ich sah, dass sie mit einem riesigen Teller Plätzchen um die Ecke kam. Wer backte denn zu dieser Jahreszeit schon Plätzchen? „Nein, wir haben eigentlich schon gegessen.“, stimmte mir Jared zu. Auch wenn es in meinem Fall nicht ganz der Wahrheit entsprach. Zwar hatte ich um der Normalität Willen einem Toast heruntergewürgt, aber satt war ich natürlich nicht. Nur würden mir die Plätzchen da auch nicht weiterhelfen. Aber Jared hatte heute Morgen so gute Laune gehabt, dass ich beschlossen hatte, das Thema Blut vor heute Abend nicht mehr anzusprechen. Er war wirklich genug gebeutelt. „Papperlapapp.“, machte Christa und quetschte sich neben Jared auf das Sofa, sodass dieser press an meiner Schulter saß. Gut, Christa hatte recht, gegen einen Snack hätte ich nichts einzuwenden… Und es war gar nicht so leicht, mich auf mein Plätzchen zu konzentrieren, wenn Jared so dicht neben mir saß und mir seinen Hals präsentierte. Er hatte zwar den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Anschlag hochgezogen, damit niemand die Male an seinem Hals sehen konnte, aber es war trotzdem schwerer als gedacht. Innerlich fluchte ich. Es konnte ja wohl nicht sein, dass ich immer öfter Blut brauchte. Ich musste mich einfach mal zusammenreißen. Jared warf mir einen irritierten Blick zu. Offenbar war es ihm nicht entgangen, dass ich ihn von der Seite musterte. Und wieder schlich sich eine leichte Röte auf seine Wangen, die mich grinsen lies. „Darf ich mal?“, fragte ich und streifte sein Handgelenk, als ich meine Hand nach der Kaffeekanne austreckte, die Christa eben noch mitgebracht hatte. Ein Kribbeln breitete sich in meinen Fingerspitzen aus. „Wir wollten gar nicht so lange bleiben.“, bemerkte Jared und warf mir einen feurigen Blick zu. „Ja, ich weiß. Zu dieser Jahreszeit kann man nie wissen, wie lange sich das Wetter hält. Aber lass den Ian doch noch seinen Kaffee austrinken.“, antwortete Christa und tätschelte Jareds Schulter. Ein bisschen Leid tat er mir schon. Und ich war mir sicher, dass mein Verhalten sehr befremdlich auf ihn wirken musste. Aber ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren, ihn ständig anzusehen und ihn ein bisschen zu ärgern. Ich schüttete mir auch nur einen kleinen Schluck Kaffee ein und beeilte mich ihn auszutrinken. „Das ist der wahre Grund, weshalb du so viel Zeit eingeplant hast, oder?“, fragte ich, als wir eine viertel Stunde später mit Lady auf der Straße ankamen. „Pass auf, sie hat dir bestimmt einen Kuchen gebacken, wenn wir wieder zurück kommen.“, antwortete er und zerrte den Terrier von mir weg. Lady hatte angefangen mich anzukläffen und knurrte mich immer an, wenn ich ihr zu nahe kam. „Ich finde sie sehr nett… Im Gegensatz zu ihrem Hund.“ „Lady hat wirklich jeden Grund, dich nicht zu mögen.“ „Ja, wie gut, dass du nicht so nachtragend bist.“, rutschte es mir heraus und befürchtete, dass er wütend werden würde. Aber zu meiner Überraschung gab er nur ein Lachen von sich und schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich hab ich einen totalen Dachschaden…“ „Nein, das finde ich nicht… Ich finde, du bist sehr viel netter als du tust.“, sagte ich. Er holte tief Luft. „Hör auf mit mir zu flirten.“ Ich lachte. Jetzt erst recht. „Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass es dich stört.“ „Du bist unverschämt und anstrengend.“ „Und du wirst rot.“, bemerkte ich und hielt ihn am Arm fest. Vielleicht war es an der Zeit mir einzugestehen, dass er es mir wirklich angetan hatte. Vielleicht spielte auch mein Hunger ein bisschen mit, ich war mir selbst nicht ganz sicher, wie sich meine Motivation zusammensetzte. Wir standen in der Näher des Parks, abgeschirmt durch eine Litfaßsäule und er schaute mich fast ein bisschen erschrocken an. „Was wird das denn?“, fragte er und versuchte mir seinen Arm zu entziehen. Mit der anderen Hand hielt er noch immer die Hundeleine. Und es entging mir natürlich nicht, dass er sich zwar beschwerte, aber nicht wirklich vor mir zurück wich. „Das kommt ganz auf dich an.“, antwortete ich ihm, dann reckte ich mich die wenigen Zentimeter, die er größer war als ich, nach oben und küsste ihn. Und ich war darauf bedacht gewesen, ihn nicht zu überfordern, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mich selbst so aus der Bahn werfen würde. Denn augenblicklich schlich sich die Wärme in Wogen durch mein Gesicht und machte es mir unmöglich von ihm zurück zu weichen. Auch, weil er den Kuss direkt, wenn auch erst zögerlich erwiderte. Ich musste mich wirklich beherrschen, um ihm nicht fest auf die Lippe zu beißen, als der Kuss intensiver wurde. Jared küsste lang nicht so schüchtern, wie ich es vermutet hatte. Im Gegenteil. Seine warmen Lippen und sein Zunge, die über meine Unterlippe streifte, brachten mich so sehr aus der Fassung, dass mir fast schwindelig wurde. Als hätte er das gemerkt, schlang er mir einen Arm um die Mitte und zog mich an sich. Spätestens jetzt entflammte der Kuss wirklich. Ich legte eine Hand in seinen Nacken und er erschauderte unter meinen kalten Fingern. Wir lehnten schließlich mehr oder weniger an der Litfaßsäule, ungeachtet der Tatsache, dass diese noch recht nass war, vom letzten Regen. Ich hatte ihn am Kragen seiner Jacke gepackt und wollte mich seinem Hals zuwenden, als Lady anfing zu bellen und nach meinem Hosenbein schnappt. Ich konnte mich gerade so beherrschen, um sie nicht einfach mit der Hake von mir weg zu schieben. Gezwungenermaßen löste ich mich von Jared und wandte mich dem Hund zu. „Was ist?... Eifersüchtig?“ Ich betrachtete den Terrier noch einen kurzen Moment, auch weil ich mich erst einmal kurz sammeln musst, bevor ich zu Jared sehen konnte. Er lehnte noch immer an der Säule und schaute mich fast ausdruckslos an. „Lass uns mal weitergehen. Mir ist kalt.“, sagte er und setzte sich in Bewegung. Ich starrte ihm erst mal mit leicht geöffnetem Mund hinterher. Was war denn jetzt los? „Du bist kalt.“, murmelte ich und beeilte mich, die beiden einzuholen. Schweigend lief ich neben ihm her. Mein Herz schlug noch immer ziemlich heftig und auch wenn es mich angesichts seiner Reaktion ziemlich wurmte, musste ich mir eingestehen, dass ich mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt hatte, während ich jemandem küsste. Und das obwohl er ein Kerl war. Ein ziemlich grimmiger, unfreundlicher. Als wollte er mir unbedingt beweisen, dass er nicht so nett war, wie ich es behauptet hatte. Es hatte ihm gefallen, das war ja wirklich schwer zu übersehen gewesen, also wieso verhielt er sich jetzt so seltsam? Gut, ich hatte vielleicht wieder ein wenig über die Stränge geschlagen… aber viel Wiederstand konnte er jetzt auch nicht für sich verbuchen, eher im Gegenteil… „Hast du das Zeug aus der Apotheke schon abgeholt?“, fragte Jared und hielt an, damit Lady ausgiebig an einer Parkbank schnuppern konnte. „Ähm, ja… heute Morgen schon.“ Als er im Bad gewesen war. „Okay.“, antwortete er und wir setzten unseren Gang fort. Ich vergrub meine Hände in den Säckeln meiner Jacke. Vielleicht handhabte er das auch einfach so, mit dem küssen… Sehr seltsam. Man konnte ihm so schnell peinliche Berührung ansehen, aber wenn er geküsst wurde, ging das an ihm vorbei. Vielleicht hatte es ihm doch nicht gefallen… Ich hörte ihn lachen und schaute zu ihm. „Offensichtlich bin nicht ich derjenige mit dem Dachschaden.“, meinte er dann und schaute mich amüsiert an. Jetzt war ich doch ein wenig verärgert. „Was soll das denn heißen?“ „Wie kommst du auf die Idee mich zu küssen?“, fragte er direkt. „Das… ist eine gute Frage.“, gab ich zu und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. Jetzt war ich eindeutig derjenige, der peinlich berührt war. Ich beschloss den Spies umzudrehen. „Wie kommst du darauf, dich nicht zu wehren, wenn dich ein Vampir mit Dachschaden küsst?“ „Ich kann mich auch nicht gegen dich wehren, wenn du mich beißt.“ „Willst du mir etwa erzählen, du hättest versucht mich wegzuschieben? Also das kam aber ein bisschen anders bei mir an…“ „So… meinte ich das nicht.“ Jetzt sah ich ihm auch eine gewisse Röte wieder an. Na also! „Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“, antworte ich ihm und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren. Weiß der Teufel, warum. Vielleicht hat es was mit der Prägung zu tun.“ „Klingt eher so, als hätte es was damit zu tun, dass es dir gefallen hat und du es nicht wahrhaben willst.“, fand ich. Er stieß zischend die Luft aus. „Das ist…“ „Schwer zu akzeptieren?... Das kommt mir bekannt vor.“, versuchte ich zu erklären. Okay… wollte ich mich jetzt vor ihm entblößen, oder wollte ich, dass er mir weiterhin nichts anmerkte? Er sah mich irritiert an. „Was denn? Denkst du es geht mir damit anders? Man, ich hatte den Schock meines Lebens, als ich gesehen hatte, wie du ausgesehen hast, nachdem ich dich das erste Mal gebissen hatte… Es hat sich für mich… berauschend angefühlt und du bist fast gestorben. Zumindest hat es so ausgesehen. Es ist nicht gerade einfach gewesen hinzunehmen, dass du mich dazu bringst, so die Kontrolle über mich zu verlieren. Und jetzt ist diese komische Geschichte schon so weit eskaliert, dass ich dich auf offener Straße…“ Ich brach ab und fuhr mir noch einmal mit der Hand durch die Haare. „Das ist verrückt.“, murmelte Jared. „Wem sagst du das…“ Ich überlegte, was ich sagen konnte, damit er nicht mehr so ein Gesicht zog. Ehrlich, ich fühlte mich wirklich elendig, wegen des Kusses. Ich hatte ihn wirklich genug durcheinander gebracht. „Entschuldige, wegen eben.“, fügte ich hinzu. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich wusste einfach nicht… ich hab komisch reagiert, sorry.“ Ja, das konnte man wohl sagen. „Kein Thema.“ „Okay.“ Gut, wir hatten zwar nichtgeklärt, warum wir miteinander geknutscht hatten, aber wenigstens war keine seltsame Stimmung zwischen uns. Zumindest nicht seltsamer, als sonst auch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)