Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~ von Enrico (Teil IV) ================================================================================ Kapitel 21: ~Das 'kleine Schwarze'~ ----------------------------------- Die ersten Sonnenstrahlen des Tages scheinen ihm warm ins Gesicht. Gähnend blinzelt Antonio in den neuen Morgen. So gut wie in dieser Nacht, hat er das letzte mal bei Raphael geschlafen. Kein Wunder, hier gibt es keine streitenden Nachbarn und keinen lauten Straßenverkehr. Es ist so still und friedlich, dass er sich die Decke noch mal bis zum Hals zieht und sich zur Seite umdreht. Es gibt ja auch keinen Grund so früh aufzustehen: Keine Arbeit, keine Termine, er muss nicht mal Kira etwas zu Essen machen. So ein bisschen Urlaub ist schon was schönes. Antonio gähnt noch einmal herzhaft und reibt sich über die Augen, als sein Blick den Sessel zu seiner rechten streift. Irgendjemand sitzt dort. Über der Lehne zusammengerollt, schläft Enrico seelenruhig neben ihm. Antonio bleibt das Herz stehen. "Enrico?", spricht er ihn an, doch er rührt sich nicht. Antonio schiebt die Decke von sich und steht auf. "Enrico? Was machst du hier?", versucht er es noch einmal und rüttelt an ihm. Enrico murrt und dreht den Kopf von einer auf die andere Seite. „Manchmal möchte ich dich einfach nur erschlagen, weißt du das eigentlich? Wie lange sitzt du da schon? Hast du mich etwa die ganze Nacht beobachtet?“ Sein Freund reißt die Augen auf und sieht ihn entsetzt an. Er sagt nichts, stattdessen springt er auf die Beine und stößt ihn bei Seite. Hastig verschwindet er in seinem Schlafzimmer. Antonio sieht ihm nach, doch je länger er die geschlossene Tür betrachtet, um so schuldiger fühlt er sich. Da kommt Enrico schon mal aus freien Stücken zu ihm und er muss ihn so barsch vertreiben. Seufzend lässt er sich auf das Sofa fallen. Diese ganze Situation ist einfach nur zum Kotzen. Als hätte es Antonio mit zwei Personen gleichzeitig zu tun. Dieser Enrico ist einfach nur verrückt. Trotzdem, es hilft alles nichts. Er sollte sich entschuldigen und sehen, was noch zu retten ist. Als er die Zimmertür Enricos erreicht, ist dahinter kein Laut zu hören. Antonio klopft an. "Enrico? Darf ich rein kommen?" "Nein!" "Es tut mir leid, okay?" Nichts keine Antwort mehr. Antonio atmet tief durch, dann öffnet er die Tür. Mit der Stirn auf seinem Sekretär, sieht Enrico ihn nicht mal an. Sein linker Arme baumelt leblos am Stuhl hinab, der rechte kritzelt mit einem Bleistift auf einem Stück Papier herum. "Ich hab's nicht so gemeint, ich hab mich einfach nur erschrocken", beginnt er noch mal eine Entschuldigung und tritt ein, doch wieder kommt keine Antwort. Erst als er Enrico fast erreicht hat, murrt dieser: "Geh weg!" "Was machst du denn da?" Antonio sieht ihm über die Schulter, in kleinen und großen Kreisen, fährt Enrico mit dem Bleistift über das Blatt. Ein einziges Chaos aus Strichen entsteht dabei. "Alles okay mit dir?" "Ahhr du nervst! Lass mich doch einfach mal in Ruhe! Du musst mir nicht immer, wie ein räudiger Köter, hinterher laufen." Enrico schiebt sich mit seinem Stuhl vom Sekretär weg und steht auf. Ohne Antonio anzusehen, geht er an ihm vorbei und lässt ihn stehen. „Du verdammtes Ekel! Du gehst mir gehörig auf die Nerven, weist du das?“, ruft Antonio ihm nach. An der Tür dreht Enrico sich nach ihm um. "Wenn's dir nicht passt, wie ich bin, da fahr doch wieder nach Hause! Ich kann dich sowieso nicht ausstehen", mit diesen Worten knallt er die Zimmertür nach sich zu. "Ich hasse dich auch!" Antonio tritt eine Papierkugel am Boden gegen die Tür. Wenn er doch nur schon heute Abfahren könnte. Er wird den Tag irgendwo draußen verbringen, hier rein setzt er bestimmt keinen Fuß mehr und mit diesem Idioten wird er auch nicht mehr sprechen. Als er das Zimmer verlassen will, verklemmt sich die Papierkugel unter der Tür. Genervt bückt sich Antonio nach ihr. Irgendetwas hat dieser Trottel darauf gezeichnet und es sieht nicht so chaotisch aus, wie die Kreise auf dem anderen Blatt. Antonio faltet das Papier auseinander. Auf der Zeichnung blickt er sich selbst an. Das sind doch seine Augen und seine dunklen Haare. Ratlos sieht er durch den Spalt der Tür in den Flur. Enrico packt den Welpen am Halsband. Das Tier quietscht und wehrt sich strampelnd, während er an ihm die Leine befestigt. Als er die Haustür öffnet, weigert sich der Hund mit ihm zu gehen. Enrico muss ihn an der Leine hinter sich her zerren, damit sie zusammen das Haus verlassen können. "Seit wann geht Enrico denn mit dem Hund raus?", meint Lui, der in der Tür seines Zimmers steht. Als die Haustür hinter Enrico zufällt, kommt er zu Antonio. „Was weiß ich! Der Kerl ist einfach krank. Ihr hättet es mit ner Irrenanstalt und nicht mit nem Krankenhaus bei ihm versuchen sollen. Seine Stimmungsschwankungen sind einfach nicht normal.“ „Was hast du denn da?“ Antonio drückt Lui die Zeichnung in die Hand. „Sollst du das sein?" Antonio antwortet nicht, er durchquert den Flur und das Wohnzimmer und tritt ins Freie. Ohne Umwege hält er auf den Holzstapel zu, der neben dem Baumstumpf und der Axt aufgetürmt liegt. Er nimmt sich eines der Holzscheitel und kehrt damit zur Bank zurück. Aufgebracht beginnt er es mit seinem Taschenmesser zu bearbeiten. „Was ist denn überhaupt passiert?“, will Lui wissen und bleibt, mit der Zeichnung in der Hand, neben Antonio stehen. „Ach, er geht mir einfach auf die Nerven. Die Nacht pennt er im Sessel neben mir. Ich will gar nicht wissen was er da getrieben hat und wenn ich ihn darauf anspreche, rennt er wie ein Kind weg. Dann gehe ich ihm nach und will mich entschuldigen und er schreit mich nur an und rennt wieder weg. Wenn ihr nicht wollt, dass ich ihm mal ordentlich eine Einschenke, dann haltet ihn besser fern von mir.“ Lui sagt lange nichts, er betrachtet die zerknitterte Zeichnung. Schließlich wendet er seine Aufmerksamkeit wieder Antonio zu. „Euch Beiden zuzusehen, ist schlimmer als jedes Liebesschnulzenhörspiel im Radio.“ „Was willst du damit sagen?“ „Naja, ihr sagt ich hasse dich, aber eigentlich wollt ihr beide sagen: Ich liebe dich!“ „Erzähl keinen Scheiß! Dem Kerl gehe ich am Arsch vorbei und mich kümmert auch nicht, was er treibt.“ Antonio dreht den Kopf weg und schält große Späne vom Scheitel. „Ach ja?“ Lui legt die Zeichnung neben Antonio auf die Bank. Dieser wirft nur einen flüchtigen Blick darauf. Stumm schnitzt er weiter. „Ein was muss ich dir über ihn erzählen“, beginnt Lui und lässt sich auf der Bank nieder. Als Antonio ihn ansieht, fährt Lui fort: „Seit er aufgewacht ist, macht er mich und Jan für unsere Beziehung zueinander fertig und das nicht zu knapp. Für ihn ist das etwas krankes und widerliches und seit du da bist, merkt er langsam, dass er selbst so krank und widerlich ist. Ich bin mir sicher, er erinnert sich an mehr, als er zugibt und das macht ihm zu schaffen. Hab ein bisschen Geduld mit ihm.“ Lui klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter, dann steht er auf. ...~*~... Dieser verdammte Köder. Nicht mal für eine Flucht aus dem Haus ist das Tier gut. Seit gut zehn Minuten, muss ich ihn schon dazu zwingen, mich zu begleiten. Er hat sich einfach hingesetzt und stemmt sich gegen den Zug der Leine. Das Haus ist zwischen den Bäumen hindurch immer noch zu sehen. „Nun komm schon!“ Mit allen vier Pfoten stemmt sich der Welpe in den Waldboden und dreht den Kopf hin und her, um aus dem Halsband zu entkommen. Ich kann noch so sehr an der Leine ziehen, er rührt sich nicht vom Fleck. Seufzend gebe ich auf und lasse mich auf einem umgefallen Baumstamm nieder. So weit es die Leine zu lässt, rennt der Hund von mir weg und zerrt so heftig, dass ich ihn kaum halten kann. Ich sehe seinen Bemühungen zu und murmle vor mich hin: „Bin ich wirklich ein Ekel?“ Der Welpe wirft den Kopf hin und her. Ich schmunzle mit traurigem Blick. „Na aus deiner Sicht bestimmt. Na los, lauf schon heim!“ Ich lasse die Leine fallen. Augenblicklich stürmt der Welpe davon. Das Unterholz knackt und ächzt unter seiner wilden Flucht, bald kann ich ihn auf dem freien Gelände Richtung Haus laufen sehen. Mit dem Hund habe ich es mir eindeutig verscherzt und wenn ich so weiter mache, mit Toni sicher auch. Aber vielleicht ist das nicht mal das Schlechteste. Wenn er in drei Monaten ohnehin wieder verschwindet, brauche ich mich auch gar nicht erst an seine Anwesenheit gewöhnen. Ich komme sowieso nicht mit ihm aus und bei ihm zu sein, fühlt falsch an. Immerhin ist er nur irgend ein Kerl, aber warum geht er mir dann den ganzen Tag nicht aus dem Kopf? Verzweifelt bette ich meinen Kopf in die Hände. Dieser Typ treibt mich noch in den Wahnsinn. Ob er das ernst gemeint hat und mich wirklich hasst? Ach was ist schon dabei, er ist mir egal. Immer wieder versuche ich mir das einzureden, doch es geht nicht. Das nagende Gefühl in meinen Herzen, lässt sich nicht vertreiben. Ich will den Kerl nicht mögen. Sein stechender Blick ist unheimlich und seine grobe Art nervt gewaltig. Ich bleibe noch lange einfach im Unterholz sitzen, bis die Kälte in meine Knochen kriecht und mich zum Aufstehen zwingt. Der Weg zurück erscheint mir unendlich weit und trotzdem will mir die ganze Zeit über keine passende Entschuldigung einfallen. Als ich Toni schließlich hinter dem Haus begegne, weiß ich noch immer nicht, was ich sagen soll. Mit den kalten Händen tief in den Hosentaschen, schaue ich scheu zu ihm auf. Er wirft mir nur einen kühlen Blick zu, dann bückt er sich nach einem Wäschekorb am Boden. Über das ganze Grundstück sind Leinen gespannt, etliche seiner Kleidungsstücke wehen bereits im Wind. Ein schwarzes Hemd hängt er nun dazu. „Toni, ich ...“, suche ich nach den passenden Worten. „Lass es einfach! Ich will's nicht hören!“ Ich atme schwer aus und sehe ihm beim Wäscheaufhängen zu. Hilflos frage ich: „Was machst du denn da?“ Er sieht mich mit hochgezogener Augenbraue finster an. „Nach was sieht es denn aus?“ „Bei uns kümmert sich Robin um die Wäsche.“ Wieder sieht er mich finster an. „Robin ist nicht hier und ich brauche auch keine Frau, die mir irgendwas nachträgt.“ „Ja“, sage ich kleinlaut und umrunde ihn und den Korb, „Soll ich dir helfen?“ „Mach was du nicht lassen kannst!“ Er nimmt sich einen Berg Wäsche und läuft an mir vorbei, zu den Leinen, die am weitesten von mir entfernt sind. Das ist ja fast so schlimm, wie bei dem blöden Köter. Ich seufze und nehme mir ebenfalls ein paar der Sachen aus dem Korb und lege sie nach und nach über die Leine. „Das ich das noch erleben darf. Enrico macht Hausarbeit. Wie hast du ihn denn dazu bekommen?“, schallt es hinter mir. Lui kommt ins Freie und geht Toni entgegen. Ich ziehe einen Schmollmund und bemühe mich, ihn zu ignorieren. „Ach, er hat nur ein schlechtes Gewissen“, mault Toni und kommt zum Korb zurück. „Ich wollt mich ja entschuldigen, aber das willst du ja nicht hören!“, murre ich, als er mich erreicht. „Ich höre dir nun mal nicht zu, wenn du so herum stammelst“, sagt er, ohne mich anzusehen. „Na schön! Es tut mir leid. Ich bin ein Idiot! Bist du jetzt zufrieden?“ „Noch nicht ganz.“ Ratlos sehe ich ihm dabei zu, wie er sich noch einen Stapel Wäsche aus dem Korb nimmt. Als er sich wieder aufrichtet, schauen mich seine grünen Augen durchdringend an. „Warum zeichnest du mich?“ Mir bleibt die Luft weg. „Ich, also ...“ „Du stammelst schon wieder!“, sagt er und dreht sich von mir weg. Wieder verschwindet er zu den hintersten Leinen. „Ich zeichne eben gern Porträts von Menschen, die mir gef … die ich mag“, rufe ich ihm nach. „Ist das alles?“ „Ja!?“ „Dann ist ja gut“, sagt er in seltsam melancholischem Unterton. „Verzeihst du mir jetzt?“, will ich wissen und hänge eine seiner Hosen über die Leine. „Mal sehen.“ „Ist das alles?“ „Idiot! Hör auf mich nachzuäffen.“ „Selber Idiot!“, murre ich in mich hinein und bücke mich nach dem letzten Hemd im Korb. Es ist pechschwarz. Als ich es aufhebe und ausbreite, kommt Toni gerade zu mir zurück gelaufen. Sein Blick ist nicht mehr so streng, er lächelt. Als ich das Hemd aufhängen will, sieht es für einen Moment so aus, als wenn er an hätte. Ich kenne diese Hemd und genau diesen Blick an ihm. Für den Moment vergesse ich die Welt um mich herum und glaube mich selbst sehen zu können: Ich stehe vor ihm und löse einen Knopf nach dem anderen, bis sein ganzer Oberkörper frei liegt. Jeden Muskel fahre ich mit den Fingern ab und bewundere das Drachentattoo, das in seiner Hose verschwindet. Mit aller Kraft verbanne ich diese Erinnerungen aus meinem Kopf. Als ich mich wieder in der Wirklichkeit befinde, steht Toni direkt vor mir. Er lächelt schelmisch grinsend. Etwas liegt ihm auf den Lippen, doch ich komme ihm zuvor. „Hänge es selbst auf!“ Ich drücke ihm das Hemd in die Hand und flüchte mich zurück ins Haus. ...~*~... Verwirrt sieht Antonio seinem Freund nach, dann wandert sein Blick zu Lui: „Und jetzt sag noch mal, dass er nicht gehörig einen an der Waffel hat.“ Lui sieht unbeeindruckt ins Haus und fordert dann: „Zeig mal das Hemd!“ Antonio wirft es ihm zu. Der Asiate faltet es auf, betrachtet es einen Moment lang und sagt: „Hast du das nicht immer auf Robins Partys angehabt?“ „Ja, weil er es ja immer so toll an mir fand“, mault Antonio abschätzig. „Wie lange hast dus da anbehalten, wenn ihr allein wart?“, gibt Lui zu bedenken. Antonio sagt nichts mehr, gedankenverloren sieht er durch die Verandatür ins Haus. Es gab einen Bereich, in Robins Villa, den kein Gast betreten durfte. Eigentlich nicht mal er und Enrico. Trotzdem sind sie oft genau dorthin verschwunden. Wenn die Stimmung der Gäste auf dem Höhepunkt war und alle miteinander beschäftigt waren, haben sie sich stets zurückgezogen. Das Hemd war dabei nie lange zugeknöpft geblieben. „Ich sag doch er erinnert sich an mehr, als er zugibt“, sagt Lui zuversichtlich und kommt die wenigen Schritte zu Antonio. Er drückt ihm das Hemd in die Hand. „Geh ihm doch nach!“ „Um mich wieder als räudigen Köter beschimpfen zu lassen? Vergiss es! Von mir aus kann er in seinem Zimmer versauern. Ist mir egal!“ Antonio betrachtet das Hemd genervt und hängt es über die Leine. ...~*~... Kaum bin ich in meinem Zimmer, werfe ich die Tür nach mir zu und schließe sie sicher ab. Ich atme heftig, atme schnell, mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Was bitte ist das gewesen, was ich gesehen habe? Was für einen Grund sollte ich denn haben, ihm an die Wäsche zu gehen? Mit dem Rücken lehne ich mich an die Tür und rutsche allmählich an ihr hinab. Als ich den Boden spüren kann, ziehe ich die Beine an und umklammere meine Knie. Das kann doch alles nur ein böser Traum sein. Das muss einer sein. Ich zieh keine Männer aus. So was tu ich nicht und wenn doch muss es dafür einen triftigen Grund geben haben, dass muss es einfach. Vielleicht war er verletzt oder so, sicher habe ich deshalb das verdammte Hemd aufgeknöpft. Es darf einfach nichts anderes gewesen sein. Ich raufe mir die Haare und versuche vergeblich dieses Bild loszuwerden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)