Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~ von Enrico (Teil IV) ================================================================================ Kapitel 20: ~Ein Alptraum~ -------------------------- ...~*~... Ein herzzerreißender Schrei zerreißt die Luft. Ich höre ihn wieder und wieder und weiß nicht, wo er in diesem viel zu großen Gebäude her kommt. Vergeblich suche ich die endlosen Gänge ab. Schließlich finde ich am Ende des Flurs Licht. Schroffe Stimmen dringen bis zu mir. „Wo ist dein Kumpel?“ „Wo ist der weiße Wolf?“, wollen sie immer wieder wissen. Langgezogene Schmerzensschreie folgen. „Ich … ich weiß nicht“, keucht jemand. 'Weißer Wolf' – ich habe das Gefühl, dass ich damit gemeint bin. Mit klopfendem Herzen, schleiche ich weiter, bis der Flur sich öffnet und eine große Halle frei gibt. Etliche Männer, mit kleinen Schlitzaugen, stehen im Kreis um einen Jungen. Die Arme haben sie ihm über den Kopf zusammen gebunden und mit einem Fleischerhaken, weit über seinen Körper ausgestreckt, nach oben gezogen. Er mag kaum fünfzehn Jahre alt sein. Sein Hemd hängt ihm in Fetzen vom Oberkörper. Etliche Wunden sind darunter sichtbar. Er atmet schwer, seine ganze linke Gesichtshälfte ist mit getrocknetem Blut verklebt, aus einem Schnitt in seiner Augenbraue, läuft frisches nach. Strähnig kleben ihm seine schwarzen Haare im geschwollenen Gesicht. Seine grünen Augen blinzeln Tränen weg. Mir stockt der Atem, entsetzt halte ich inne. „Toni“, kommt mir leise über die Lippen. „Ich frage dich jetzt ein letztes Mal, wo ist dein Kumpel? Wo ist der weiße Wolf?“ Toni zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht, als er antwortet: „Ihr werdet ihn niemals finden!“ Einer der Männer hält ein Messer in der Hand, er zieht es Toni quer durch den Oberkörper. Sein heller Schrei erfüllt die Lagerhalle und lässt mich zusammenzucken. Ich zittere am ganzen Körper, Wut und Hass arbeitet sich meinen Magen hinauf, ich balle die Hände zu Fäusten. Mein Blick hastet durch die Halle und bleibt an einer Pistole hängen, die unbeachtet auf dem Boden liegt. „Willst du immer noch nicht reden?“ „Wo ist der weiße Wolfe?“, fragen sie wieder und wieder. „Ich bin hier!“, höre ich mich selbst schreien. Ich stürze mich auf die Waffe am Boden. Als sich die Blicke der Männer zu mir drehen, richte ich den Lauf auf den Asiaten mit dem Messer und drücke ab. Die Kugel durchschlägt die Stirn des Mannes und tritt am Hinterkopf wieder aus. Seine Augen verdrehen sich ins Weiße, er sackt auf die Knie. Die übrigen Männer greifen unter ihre Jacken. Bevor sie fündig werden, schieße ich einem zweiten in die Brust, ein dritter wird von einer weiteren Kugel getroffen, doch sie stammt nicht aus meiner Waffe. Ein alter Herr in einem feinen, schwarzen Anzug, mit elegant gebundener Krawatte, tritt neben mich. Er erschießt noch einen Mann und sieht mich auffordernd an. Ein letzter Asiat ist noch übrig, er zielt mit seiner Pistole auf mich. Ich zögere keinen Moment und drücke ab. Etwas heißes trifft mich am Oberarm, doch ich spüre keinen Schmerz, nur das Rauschen meines Blutes in den Ohren. Mein Atem geht so schnell, dass ich glaube, nicht genug Luft zu bekommen. Mein Blick fällt zurück auf Toni. Er hängt schlaff in seinen Fesseln, sein Kopf liegt ihm auf der Brust. Die Pistole lasse ich fallen und renne zu ihm. Ich nehme seine Gesicht in beide Hände und hebe es an. Seine Augen sind matt, er sieht durch mich hindurch. „Nicht sterben!“, schreie ich ihn an. ...~*~... „Toni!“, schreie ich heißer und richte mich auf. Mein Atem rast, meine Hände zittern. Verstört sehe ich mich um. Ich sitze in einem dunklen Raum. Die vier Wände sind mir vertraut, trotzdem brauche ich einen Moment, um mich zurechtzufinden. Das ist mein Schlafzimmer, ich habe nur geträumt. Ich atme tief durch und lasse mich wieder ins Kissen fallen. Den Arm bette ich auf meinen Augen. Unbarmherzig trommelt mir das Herz gegen die Rippen, mein Atem will sich einfach nicht beruhigen. Was für ein beschissener Alptraum. Er hat sich so verdammt real angefühlt. Auch jetzt habe ich ständig das Gefühl, zurück in diesen Traum gezogen zu werden. Die Bilder spuken unaufhörlich durch meinen Geist. Ich nehme den Arm von den Augen und schaue neben mich. Der Platz ist leer, Robin ist nicht hier. Ich kann sie nicht, wie sonst wecken und ihr davon erzählen. Seufzend erhebe ich mich und fahre mir durchs Gesicht. Meine Haare sind schweißnass und fallen mir kalt ins Gesicht. Immer noch kann ich sie sehen, diese grausamen Kerle und ihre schrecklichen Fratzen, als sie sterben. Ich muss aufstehen, irgendwas machen, um diese Bilder loszuwerden. Mühsam zwinge ich mich auf die Beine und verlasse mein Zimmer. Alles ist dunkel, kein Laut ist zu hören. Nur das leise Ticken der Standuhr im Wohnzimmer, dringt bis zu mir. Meine Kehle ist rau und wie ausgetrocknet. Ich laufe weiter, durch das Wohnzimmer und bis in die Küche. Aus einem der Schränke nehme ich mir ein Glas und fülle es mit Wasser aus dem Hahn. In einem Zug trinke ich es leer und fülle es gleich noch einmal. Hastig atme ich nach Luft, bevor ich auch das Zweite bis zur Hälfte leere. Endlich wird das trockene Gefühl in meiner Kehle erträglicher. Die Bilder des Traums verblassen. Ich drehe mich um und lehne mich an die Spüle. Verdammte Alpträume! Wenn ich nur mal eine Nacht durchschlafen könnte, ohne davon aufzuwachen. Ich fühle mich noch genau so müde, wie beim Zubettgehen. Mein Blick wandert umher und bleibt schließlich am Sofa hängen. Dort liegt doch jemand. Stimmt ja, ich habe Toni auf das Sofa verbannt. Die Decke, die Lui ihm gegeben hat, liegt zur Hälfte auf dem Boden, ebenso wie sein rechter Arm. Auch sein Bein baumelt über dem Rand. Ich muss über seine Schlafposition schmunzeln und stelle das Glas lautlos auf der Küchenzeile ab. Vorsichtig schleiche ich mich ins Wohnzimmer. Im fahlen Licht des Vollmondes, dass durch die Verandatür herein fällt, kann ich seine entspannten Gesichtszüge, wie am Tag erkennen. Er ist inzwischen viel älter, als in meinem Traum. Wir müssen wirklich schon lange befreundet sein. Irgendetwas wahres muss an dem Traum dran gewesen sein, denn er trägt tatsächlich eine Narbe über der linken Augenbraue. Ich lasse mich im Sessel neben ihm nieder und schaue ihm beim Schlafen zu. Ob ich wirklich jemanden töten könnte, um ihn zu retten? So friedlich wie er schläft, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass er gewalttätig werden kann. Ich stütze den Kopf in die Hand und lehne mich mit den Ellenbogen in die Sessellehne. „Enrico“, murmelt er im Schlaf. Ich muss lächeln. Er träumt von mir? Wie süß. Je länger ich ihn betrachte, um so friedlicher wird alles in mir. Ich rolle mich im Sessel ein und lege beide Arme übereinander auf die Lehne. Meinen viel zu schweren Kopf lasse ich auf sie fallen. Ich lausche seinen gleichmäßigen Atemzügen. Er lebt, es ist nicht, wie in meinen Träumen. Alles ist gut. Ich fühl mich so wohl, dass ich es wage, die Augen zu schließen. „Hoffentlich träumst du was schöneres, als ich“, murmle ich, während mich ein traumloser Schlaf verschluckt. „Enrico? Was machst du hier?“, dringt eine Stimme von weit her zu mir. Ich drehe den Kopf auf die andere Seite und wehre mich gegen das Aufwachen. „Ich darf nicht, aber wenn du bei mir pennen willst, ist es okay?“, schnauzt er mich an. Ich schrecke aus dem Schlaf hoch und sehe direkt in Tonis ernstes Gesicht. Er hat die Arme in die Seiten gestemmt und sich zu mir hinab gebäugt. Ich schlucke schwer, bei seinem Anblick und schaue umher. Ich sitze noch immer zusammengerollt im Sessel. Ein dicker Gloß presst sich mir in die Kehle, mir wird entsetzlich heiß im Gesicht. „Manchmal möchte ich dich einfach nur erschlagen, weißt du das eigentlich? Wie lange sitzt du da schon? Hast du mich etwa die ganze Nacht beobachtet?“, mault er weiter. Ich fühle mich ertappt, springe auf die Bein und drücke mich an Toni vorbei. Fluchtartig renne ich in mein Zimmer und knalle die Tür nach mir zu. Ich atme immer wieder durch, doch mein Herz will sich einfach nicht beruhigen. Dieser verdammte Kerl bringt mich völlig aus dem Konzept. Warum habe ich den Typ nur wieder ins Haus gelassen? Verächtlich schaue ich auf die geschlossene Tür. Ich muss ihm aus dem Weg gehen, am besten ich bleibe den restlichen Tag einfach hier. Ich drücke mich von der Tür ab und gehe zum Sekretär. Was fällt ihm überhaupt ein, mich so anzuschreien? Ich hab ja nur im Sessel gepennt, nicht in seinem Bett. Das ist etwas ganz anderes, versuche ich mir einzureden und krame ein leeres Blatt Papier und einen Bleistift heraus. Irgendwas unheimliches macht dieser Typ mit mir. Wenn ich in seiner Nähe bin, bin ich nicht mehr ich selbst. Ich muss ihn unbedingt loswerden. Als ich bewusst das Blatt betrachte, schauen mich seine Augen auf dem Papier an. Verdammt, jetzt zeichne ich ihn auch noch. Ich zerknülle die Zeichnung und werfe sie auf den Boden. Verzweifelt raufe ich mir die Haare. Das ist doch nicht normal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)