Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~ von Enrico (Teil IV) ================================================================================ Kapitel 18: ~Der eigene Schatten~ --------------------------------- Ihr Weg ist lang und ewig schafft es Robin nicht zu schweigen: „Wie sieht es daheim aus? Wie geht es Vater und meinen Schwestern?“ Antonio steckt die freie Hand in die Hosentaschen und tritt ein Stein vor sich her, sein Blick ist düster, als er zu sprechen beginnt: „Susen und Raphael haben ziemlich fiese Geldsorgen. Susens Praxis steht jeden Monat auf der Kippe.“ „Mit Geld konnten die Beiden noch nie besonders gut umgehen“, murmelt sie gedankenversunken. „Judy ist mit den Kindern zu ihrem Ex gezogen. Der Typ arbeitet in einem Kontor und scheint wohl genug zu verdienen, um die Drei durchzubringen. Wenn du mich fragst, ist sie sowieso nur deswegen mit dem Kerl zusammen. Ich sehe sie oft mit den Kindern an Enricos Grab. Sie heult immer noch, wenn sie dort steht. Was Aaron angeht ...“ Antonio macht eine lange Pause und seufzt tief dabei. „Michael erpresst ihn, um das Leben seiner Enkelkinder. Er lässt sich von den Drachen befehligen und ist vergeblich auf der Suche nach einem Nachfolger, für sich und die Wölfe. Er hat selbst mich dafür in Betracht gezogen.“ „Dann muss Vater ja wirklich verzweifelt sein.“ „Na danke auch!“ Robin macht ein entschuldigendes Gesicht. „Sorry, so war es nicht gemeint, aber du bist ein Überläufer. Wer soll dich denn an der Spitze akzeptieren?“ „Ich habe es auch abgelehnt. Ich habe so schon genug Scheiße am Hals. Bei den Locos geht sowieso alles den Bach runter. Wir hätten die letzten Jahre Enrico wirklich brauchen können. Also den alten Enrico, nicht diesen traurigen Schatten von ihm.“ Abschätzig sieht Antonio vor sich hin. Robin hält abrupt inne. Fragend sieht er zu ihr zurück und bleibt ebenfalls stehen. Die junge Frau hat den Blick gesenkt, leiser will sie wissen: „Was hätte Enrico denn dagegen tun soll?“ „Mit Enrico hätten sich die Wölfe nicht in alle Himmelsrichtungen zerstreut und ...“ „Und ihr hättet zusammen mehr Drachen töten können?“ Robin schüttelt abwehrend mit dem Kopf. Sie sieht wieder auf und Antonio direkt an. „Antonio, willst du ihn wirklich in Vaters Krieg gegen die Red Dragons ziehen sehen?“ „Wir haben diese Schweine klein gehalten, als wir noch zusammen waren.“ „Ihr seid ständig angegriffen worden. Das ihr so lange überlebt habt, liegt nur daran, das Michael euch lebend haben wollte, um euch persönlich umlegen zu können. Ihr habt oft mehr Glück als Verstand gehabt.“ „Das war kein Glück! Wir wussten uns zu wehren.“ Robin setzt sich wieder in Bewegung, sie hebt den Kopf und sieht abschätzig an Antonio vorbei. „Ach ja, wirklich? Bei dem Überfall, seit ihr wie lange gefoltert worden, bevor Michael die Lagerhalle angezündet hat? Wie gut habt ihr euch da zur Wehr setzen können? Der einzige Grund, warum das nicht schon viel früher passiert ist, ist Enricos Talent gewesen sich einflussreiche Freunde zu machen, die euch in alle Richtungen geschützt haben. Mich, Aaron, Erik, Jan und Lui, der ganze Clan der Wölfe, er hat uns alle wie Schachfiguren um euch beide positioniert. Doch wenn nur eine davon fällt, seid ihr tot. So wie an Enricos zwanzigsten Geburtstag passiert.“ „Worauf willst du überhaupt hinaus?“, raunt Antonio genervt und läuft ihr nach. „Es ist nicht dein Verdienst als Leibwächter. Du kannst ihn nicht schützen, ich konnte es auch nicht.“ Wieder hält Robin inne und betrachtet mit trübsinnigem Blick den Boden. Bevor Antonio dazu kommt, etwas zu erwidern, fährt sie fort: „Ich war im Krankenhaus, als es passiert ist.“ Robins Stimme bekommt einen leidenden Tonfall: „Ich war dabei, als sie ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und abgedrückt haben. Einer hat mich bedroht, der andere hat geschossen. Ich konnte überhaupt nichts tun. Wären nicht Jan und Lui dazu gekommen, ich würde heute nicht mehr hier stehen.“ Sie wicht sich eine Tränen aus dem Gesicht und sieht zu Antonio auf. Wütend und vorwurfsvoll sagt sie: „Ich liebe ihn, verstehst du! Ich will ihn nie wieder in so einer Situation sehen und wenn du ihn auch lieben würdest, dann würdest du ihm dieses ruhige Leben hier wünschen und dich darüber freuen, wie er jetzt ist.“ „Ach du musst gerade reden. Warum belügst du ihn, wenn du ihn ja angeblich so liebst? Du bist nicht seine Frau!“ Robin lächelt bitter, als sie ihren Weg fortsetzt. Zügig folgt Antonio ihr. Er will noch immer eine Antwort und sieht sie auffordernd an. „Ich habe mich schon als seine Frau ausgegeben, noch bevor er aus dem Koma aufgewacht ist. Wir mussten so viel Bürokratie regeln, mit unendlich vielen Ärzten sprechen. Als Verwandte zweiten Grades, hätte ich gar nichts tun können. Jan hat mir alle Unterlagen besorgt, Papiere gefälscht und so weiter. Ich regle heute noch den ganzen Papierkram, damit sein Name nirgendwo auftaucht.“ „Na schön, dass ihr die ganze Welt täuschen musstet, sehe ich ja noch ein, aber warum hast du ihn angelogen? Er hat euch vertraut und hätte doch sicher auch so mitgespielt, wenn ihr es ihm erklärt hättet.“ „Ach Antonio, frag doch nicht so dumme Sachen. Es hat sich einfach so ergeben. Als er aufgewacht ist, haben mich doch schon alle für seine Frau gehalten und er hat das, ohne es in Frage zu stellen, akzeptiert. Ich bin seit Jahren nur die Geliebte gewesen, zu der er kommt, wenn er mit dir oder Judy Streit hat. Ein bisschen Glück habe ich mir nach der langen Zeit doch auch mal verdient, oder nicht? Außerdem, was glaubst du, wie lange er mit uns gekommen wäre, wenn er gewusst hätte, dass es da noch Frau und Kinder und dich gibt? Er wäre irgendwann nach New York zurück, nur um sich dort von den Drachen erschießen zu lassen. Ich weiß, dass er mich irgendwann dafür hassen wird. Aber weißt du was, dass nehme ich in Kauf. Denn wenn es so weit ist, wird er gesund und am Leben sein und nur darauf kommt es an.“ Antonio schüttelt abwehrend mit dem Kopf. Sie laufen schweigend nebeneinander her. Etliche Minuten vergehen. In der Ferne ist bereits das Sommerhaus zu sehen. „Glaub ja nicht, dass ich ihn dir so einfach überlasse werde“, lässt er sie irgendwann ernst wissen. Robin lächelt zufrieden. „Sollst du auch gar nicht. Hilf mir lieber dabei, dass er hier bleibt. Wenn er sich wieder in dich verliebt, hat er einen Grund weniger, hier weg zu gehen.“ „Ich werde nicht ewig hier bleiben Robin.“ „Warum denn nicht? Was gibt es denn in New York schon, außer Mord und Totschlag?“ „Meine Tochter!“ Robin hält erschrocken inne. „Nein! Du bist Vater? Wie ist das denn passiert?“ Strafend sieht Antonio sie an. „Was soll das denn heißen? Glaubst du ich kann keine Kinder machen?“ „Ach komm schon Antonio. Du stehst auf Männer. Du wüsstest doch noch nicht mal, was du mit einer nackten Frau anfangen sollst.“ „Nur weil ich dich nicht wollte ...“, entfährt es Antonio wütend, doch Robin sieht in unbekümmert an. „Ach komm schon, du hast nicht nur mich ignoriert, sondern jede Frau. Nicht mal die Nutten bei Erik konnten bei dir landen und den süßen Miezen dort, kann nicht mal ich widerstehen. Wir haben selbst bei mir in der Villa Wetten darauf abgeschlossen, ob dich nicht doch eine ins Bett bekommt. Du hast sie alle zum Teufel gejagt.“ „Bei Anette war es eben anders.“ „Anette? Das Mauerblümchen hat es letzten Endes geschafft?“ Robin verkneift sich mit aller Mühe das Lachen. „Red nicht so von ihr!“ „Sie ist nur dein Alibi Antonio. Das hast du selbst gesagt.“ „Die Zeiten ändern sich eben“, murrt er. „Du kannst dich noch so sehr anstrengen, du wirst nicht normal. Ich dachte wenigstens das, hättest du auf meinen Partys gelernt.“ Antonio schweigt betreten und sucht krampfhaft etwas anzusehen, nur um Robins forschendem Blick zu entgehen. Die Villa, in der sie ihre Partys veranstaltet hat, ist ihm noch viel zu lebhaft in Erinnerungen. Stets waren nur Menschen mit seltsamen Neigungen eingeladen: Männer die nur Männer mochten, Frauen die mit anderen Frauen rummachten, Männer und Frauen die bunt durcheinander vögelten. Dort ging es wilder zu, als in jedem Freudenhaus. Enrico hat ihn oft dort hin geschliffen. Nach außen hin natürlich nur, um Robin einen Besuch abzustatten, aber eigentlich hat Enrico es genossen, ein Gleicher unter Gleichen zu sein und so schlecht war es dort gar nicht. Irgendwann hat selbst Antonio die Atmosphäre genossen. „Wie alt ist denn deine Tochter jetzt?“ Antonio braucht einen Moment, bis er seine Gedanken auf Robins Frage lenken kann. „Vier“, sagt er schließlich. „Süß. Warum holst du sie nicht her? Hier lebt sie sicher ruhiger, als in New York.“ „Sie lebt bei ihrer Mutter. Ich habe momentan keinen Kontakt zu ihr.“ Robin zuckt ungerührt mit den Schultern. „Dann hast du noch einen Grund weniger nach New York zurück zu kehren.“ „So einfach ist das nicht!“ „Wie du meinst. Mein Angebot steht auf jeden Fall. Von mir aus kannst du bleiben, so lange du willst. Das Haus und alle Konten laufen sowieso über mich. Wenn die Anderen dich los werden wollen, müssen sie erst mal an mir vorbei.“ „Ich bleibe nicht dort, wo ich nicht erwünscht bin.“ Das Haus ist nur noch wenige Schritte entfernt. Unruhig hastet Antonios Blick umher. Dicker Rauch steigt aus dem Schornstein und lässt die Wärme erahnen, die im Inneren auf sie wartet. Der kalte Wind heult vom Meer her die Klippe hinauf. Ein Schauer durchfährt Antonios ausgekühlten Körper. „Das kriegen wir schon wieder hin. Lass mich nur machen.“ Robin lächelt aufmunternd und geht voran. Sie öffnet die Tür mit einem dicken Schlüsselbund und tritt ein. Lautes Hundegebell ist zu hören, um die Hausecke kommt der Welpe geschossen und stürmt an Robin vorbei, in den Flur und weiter in die Wohnstube. „Könnt ihr den Köter nicht mal draußen lassen?“, tönt es von dort. Bei dem Klang von Enricos Stimme, presst sich Antonio ein dicker Kloß in die Kehle. So ernst und vorwurfsvoll, hat er an den Klippen auch gesprochen. Wie angewurzelt bleibt Antonio vor der Haustür stehen. Robin antwortet Enrico nicht. Sie hält ohne Umwege auf eine der Türen im Flur zu und klopf an. „Jan, Lui, zieht euch was an, ich muss mit euch reden!“ Schritte bewegen sich im Raum, die Tür wird geöffnet. „Wir sind angezogen“, mault Jan und sieht sie ärgerlich an. „Du denkst auch wir haben nichts anderes als vögeln im Sinn, oder?“ Robin lächelt belustigt. „Ist doch auch so. Das ist schon euer drittes Bett in vier Monaten.“ „Robin? Warum bist du denn schon wieder zurück?“ Lui schiebt die Tür weiter auf, um ebenfalls in den Türrahmen zu treten. Er zieht sich einen Pullover über und steckt die Arme durch die Ärmel. Robin lächelt wissentlich, als sie ihm dabei zusieht, dann wandert ihr Blick an Jans Hals. Sie betrachtet ihn prüfend. „So wie du aussiehst, musst du ihn ja wirklich ganz schön provoziert haben.“ Jans sieht an Robin vorbei, hinaus zur Tür. Als sich sein Blick mit dem von Antonio kreuzt, flucht er wütend: „Was will der schon wieder hier?“ „Ich habe ihn unterwegs aufgegabelt. Er war so nett mir den Korb herzutragen“, beginnt Robin in einem zuckersüßen Tonfall, der überhaupt nicht zu ihrem ernsten Gesicht passen will. Als Jan Luft für einen Einwand holt, fährt sie unbeirrt fort: „Es wäre echt nett gewesen, wenn ihr mir vorher mal Bescheid gegeben hättet, das ein Gast vorbei kommt. Das hier ist immer noch 'mein' Haus.“ Jan und Lui sehen sie nicht einmal an, ihr finsterer Blick gilt Antonio. Dieser atmet einmal tief durch, dann betritt er den Flur. Er geht die wenigen Schritte zu Robin und drängt sie an der Schulter bei Seite. Den Korb drückt er ihr in die Hand und sieht dann Jan fest an. „Jan, tut mir leid. Ich hab überreagiert, das kommt nicht wieder vor.“ Sein Blick wandert auf Lui, von oben herab schaut er ihn an, „Und Lui, du bist selbst schuld. Ich habe ihn längst los gelassen gehabt. Die Waffe zu ziehen, war nicht nötig.“ Er macht eine kurze Pause, dann meint er an alle gerichtet: „Ihr habt mich her geholt, euretwegen sitze ich jetzt mindestens drei Monate hier fest. Es wäre ein netter Zug von euch, wenn ich wenigstens mein Zeug hier unterstellen und die Nacht hier verbringen darf. Den restlichen Tag mach ich mich sowieso dünne und in drei Monaten seit ihr mich ganz los.“ Überrascht wird Antonio von allen drei angesehen. Als kein Einwand von ihnen kommt, fordert Antonio von Lui, mit ausgestreckter Hand: „Darf ich deinen Wagenschlüssel haben? Meine Sachen sind noch in deiner Karre.“ Kommentarlos greift Lui in seine Hosentasche und legt ihm den Schlüssel in die Hand. „Danke!“ Während Antonio das Haus wieder verlässt, kann er die fassungslosen Blicke noch immer im Rücken spüren. „Hat er sich gerade ernsthaft entschuldigt?“, will Jan von Robin wissen. „Es scheint so“, antwortet sie freudig überrascht und lächelt warmherzig, während sie Antonio dabei zusieht, wie er die beiden Koffer aus dem Wagen holt. „Er hat recht. Ich bin Schuld daran, dass er jetzt hier fest sitzt“, meint Lui kleinlaut. Jan dreht sich zu ihm und fährt ihn harsch an: „Na und! Er hat es sich doch mit uns verscherzt, nicht umgekehrt.“ Robin schlägt Jan ihren Handrücken auf den Oberkörper. „Der kaltblütigste Killer der italienischen Mafia hat sich gerade bei dir entschuldigt. Du solltest dich geehrt fühlen.“ „Ach von wegen. Das macht er doch nur, weil er sonst nicht weiß wohin.“ „Und wenn schon. Das hier ist mein Haus und hier wird getann was ich sage!“ Jan knirscht mit den Zähen, als er murrt: „Enrico will ihn auch nicht hier haben.“ „Ich rede mit Enrico. Und du reist dich einfach mal am Riemen. Du bist nämlich nicht ganz unschuldig an der Sache.“ Robin klopft ihm noch einmal auf den Brustkorb, dann folgt sie dem Flur ins Wohnzimmer und schließt die Tür nach sich. Enrico sitzt auf dem Sofa und ist in einem seiner Bücher vertieft. Er sieht sie nicht mal an, als sie herein kommt. Selbst den Welpen, der immer wieder aufgeregt neben ihm auf dem Sofa herum springt, nimmt er nicht wahr. Um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, nimmt sie ihm das Buch aus der Hand. „Ich wünsche dir auch einen schönen guten Tag!“, sagt sie schroff. Erst jetzt richten sich seine eisblauen Augen auf sie. Er legt den Kopf schief, als ernst wissen will: „Was machst du denn hier?“ „Ja, Schatz, du hast mir auch gefehlt!“ Enrico rollt mit den Augen und reist ihr das Buch aus der Hand, er legt ein Band, das mit dem Buchrücken verbunden ist, in die Mitte und schlägt es zu. „Gut das du hier bist, ich habe sowieso ein Hühnchen mit dir zu rupfen.“ „Ich mit dir auch. Warum muss ich Antonio am Hafen einsammeln? Der arme Kerl ist über den ganzen Ozean gesegelt, nur um dich zu sehen und du setzt ihn einfach so auf die Straße?“ „Hast du Jan schon gesehen?“ „Hast du mal nachgefragt, wie es zu dem Streit kam?“ „Welchen Grund kann es schon geben, so auszurasten?“ „Dieser Grund steht vor mir!“ Irritiert wird sie von Enrico gemustert. „Ach du raffst mal wieder gar nichts, oder?“ Robin stemmt die Arme in die Seite und seufzt tief. Sie greift sich an die Stirn und sieht nach unten weg. „Wer sich in dich verliebt, kann sich eigentlich gleich die Kugel geben.“ „Was redest du schon wieder für einen Mist?“ „Hast du das wirklich nicht mitbekommen, dass es den beiden um dich ging?“ „Was für ein Blödsinn! Jan hat Lui und Toni in New York eine Frau und ein Kind.“ „Ich geb's auf! Tu mir einfach den Gefallen und mach Antonio das Leben nicht zur Hölle, so lange er bei uns bleiben muss. Ihm liegt wirklich was an dir und das nächste Schiff legt erst in drei Monaten an.“ „Sein Problem! Er kommt mir hier nicht mehr rein.“ „Er und Jan haben das schon geklärt.“ Enrico zwingt sich auf die Beine, wütend schnauzt er: „Ist mir egal!“ „Na schön, dann darf ich dich daran erinnern, dass das hier mein Haus ist. Du und auch Jan und Lui, sind hier auch nur zu Gast. Bis jetzt habe ich mir noch nie nachsagen lassen, eine schlechte Gastgeberin zu sein und damit fange ich auch jetzt nicht an. Wir haben ihn eingeladen, also wird er wie ein Gast behandelt. Ende der Diskussion.“ „Dann kratzt du ihre Überreste von den Wänden, wenn sie sich umgebracht haben. Ich tus nicht!“, mault Enrico und lässt sich auf das Sofa fallen. „Schön! Und was wolltest du jetzt mit mir besprechen?“ Enrico sagt nichts, er beginnt den Verband von seinem Ringfinger zu wickeln, bis der goldene Ring daran zum Vorschein kommt. Seine Hand streckt er ihr entgegen und meint: „Hast du mir dazu, was zu sagen?“ Robin atmet tief durch und hebt stolz den Kopf. „Er hat es dir also schon gesagt?“ „Also stimmt es?“, entfährt es Enrico entsetzt. Robins Haltung strafft sich weiter, ungerührt erklärt sie: „Ja, als deine Schwägerin hätte ich nichts klären können, hätte nicht mal eine Auskunft von den Ärzten bekommen. Es war für uns alle einfacher, wenn ich deine Frau spiele, aber es wäre auch gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich es nicht auch für mich selbst getan habe. Ich habe es einfach satt gehabt, nur deine Geliebte zu sein. Wenn du mich deswegen jetzt hasst, kann ich damit leben. Ich hatte wenigstens vier schöne Jahre mit dir und konnte dir damit das Leben retten. Das reicht mir.“ Robin wendet sich um und geht. Sie öffnet die Tür und bleibt im Türrahmen stehen. „Vielleicht ist es ja ganz gut, dass ich erst mal bei meiner Cousine bin, dann haben wir beide die Zeit, darüber nachzudenken, wie es mit uns weiter gehen kann.“ Sie wirft Enrico einen letzten, traurigen Blick zu, dann geht sie den Flur entlang, und verlässt das Haus. „Willst du jetzt einfach so gehen und das so stehen lassen?“, ruft Enrico ihr nach. Sie kann seine schwerfälligen Bewegungen hinter sich hören und beschleunigt ihre eigenen Schritte. Ohne Abschied lässt sie sowohl Jan, als auch Lui und Antonio hinter sich. Während Antonio seine Koffer im Flur an die Wand lehnt, sieht er erst Robin nach, dann fällt sein Blick auf Enrico. Dieser ist in der Haustür stehen geblieben und sieht der jungen Frau mit grimmiger Mine nach. „Verdammtes Weib“, murmelt er, dann richtet sich sein zorniger Blick auf Antonio. Stumm mustert er zunächst die beiden Koffer und dann ihn. „Du brauchst es dir hier gar nicht erst gemütlich machen. Von mir aus kannst du die drei Monate hier pennen, aber Tagsüber will ich dich nicht im Haus haben und ich will, dass du Abstand zu Lui und Jan hältst“, droht er lautstark, dann wandert sein Blick auf den Welpen, der zwischen ihnen liegt. Er kaut auf einem der Schuhe herum und zerbeißt das Leder. Enrico bükt sich nach ihm. „Und nimm die Dreckastöle mit!“, schnauzt er und entreißt dem Welpen den Schuh. Er holt weit damit aus und schlägt dem Tier die Sohle auf das Hinterteil. Der Hund jault hell und flüchtet hinaus ins Freie. Antonio sieht ihn fassungslos an. „Du bist ja immer noch hier!“, keift Enrico. Antonio rollt mit den Augen, dann dreht er sich um und verlässt das Haus. „Tja, da gehört ein Straßenköter, wie du eben hin: Vor die Tür!“, ruft ihm Jan gehässig nach. Ein harter Schlag prallt gegen den Brustkorb des Asiaten. Als Antonio sich nach ihm umdreht, drängt Enrico ihn mit dem Arm hart gegen die Wand. Finster und durchdringend sieht er Jan direkt in die Augen, als er ihn anschreit: „Halts Maul! Du bist mindestens genau so schuld an dem Streit. Bei deiner großen Klappe, wundert es mich ehrlich gesagt, dass er dich nicht umgelegt hat. Halt in Zukunft deine Schnauze, sonst fliegst du genau so raus, wie er!“ Ein schadenfrohes Lächeln schleicht sich in Antonios Mundwinkel. Als Jan in seine Richtung schaut, hebt er den Mittelfinger. Enrico finster Blick richtet sich beinah zeitgleich auf ihn. Er schaut drohend, dann wirft er die Haustür zu. Antonio bleibt allein im eisigen Wind zurück. Nur der Welpe sitzt zu seinen Füßen und leckt sich das getroffene Hinterteil. Seufzend beugt Antonio sich zu ihm hinab und krault ihn hinter den Ohren. „Dich kann er wohl auch nicht besonders leide, was?“ Der Welpe legt den Kopf in seine Hand und genießt die Streicheleinheiten. „Da haben wir wohl was gemeinsam“, seufzt Antonio und verstaut die kalten Hände in seinen Hosentaschen. Als er das Haus zu umrunden beginnt, folgt der Welpe ihm. Drei Monate muss er sich jetzt mit diesem unfreundlichen Enrico herumschlagen, da wäre es besser gewesen, sein Freund wäre tot und beerdigt geblieben. Was soll er denn die ganze Zeit in dieser Einöde machen? Hier gibt es nicht mal Drachen, die er umlegen kann und am Hafen legen neben den Fischerboten wohl auch nur selten große Schiffe an, die er entladen könnte. Mit einem tiefen Seufzer lässt er sich auf der Bank nieder, die hinter dem Haus aufgestellt ist. Was zu Essen wäre auch nicht schlecht, sein Magen hängt ihm bereits in den Kniekehlen. Seine letzte Mahlzeit hat er auf dem Schiff gehabt. Nicht mal die Spiegeleier hat er essen können, die hat sich am Morgen ja Enrico unter den Nagel gerissen. Diese zehnköpfige Raupe. Bei dem Spitznamen, den Raphael seinem kleinen Bruder verpasst hat, muss Antonio schmunzeln, doch nur all zu schnell trüben sich seine Gedanken wieder. Sein Blick verliert sich in der Ferne und streift das Meer. Irgendwo dort hinten leben Anette und Kira. Wie es den beiden wohl geht? Die Pfote des Welpen kratzt an seinem Hosenbein, auffordernd sieht er zu ihm auf. In der Schnauze hat er ein Stück Holz. Antonio ist jetzt nicht nach Spielen zumute. Er ignoriert das Tier, doch der Hund lässt ihm keine Ruhe. Immer wieder legt er ihm seine Pfote auf das Knie und wuft auffordernd. Schließlich erbarmt sich Antonio und nimmt ihm das Stück Holz aus dem Maul. Es ist kein Stock, sondern sieht wie ein großer Splitter aus, der beim Holzhacken übrig geblieben ist. Das Holz hat eine feine Maserung und die Form ähnelt dem Welpen, wenn er aufrecht sitzt. Je länger Antonio es ansieht, um so deutlicher glaubt er eine Hundeform drin erkennen zu können. Es müssen nur noch hier und dort ein paar Stellen geglättet und abgeschnitten werden. Antonio zieht sein Taschenmesser aus der Hosentasche und beginnt an dem Holzstück herumzuschnitzen. Immer deutlicher arbeitet er die Konturen eines Hundes heraus. Der Welpe beobachtet ihn interessiert. Er schnappt immer wieder nach den herabfallenden Holzspänen und schiebt sie mit der Pfote hin und her. Antonio nimmt ihn zum Vorbild und gestaltet die Ohren eben so spitz und die Schnauze rundlich, die Beine kurz, die Pfoten groß. Für die Feinheiten des Fells, wird er jedoch anderes Werkzeug brauchen. Seufzend sieht er durch die Verandatür ins Innere des Hauses. Enrico sitzt auf dem Sofa, in der Hand ein Buch. Trotzdem schaut er ab und an in seine Richtung. Sich an ihm vorbei zu schleichen, wird keinen Sinn machen. Dann muss er eben wieder die Konfrontation mit ihm suchen. Inzwischen ist es sowieso egal, weswegen der Kerl sauer auf ihn ist. Antonio legt Messer und Holz auf die Bank und steht auf und zieht die Verandatür auf. Als sich Enrico ihm zuwendet, sagt er schnelle und ohne den Freund eines Blickes zu würdigen: „Keine Sorge, ich bin gleich wieder weg. Ich brauch nur was aus meinem Koffer.“ Enrico lässt ihn wortlos passieren und wendet sich wieder seinem Buch zu. Auch Lui, der mit einer Pfanne in der Küche hantiert, sagt nichts. Im Flur kramt Antonio zwei Holzkisten aus seinem Koffer. Die eine schwer, die andere leichter. Er nimmt beide an sich und verlässt das Haus wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)