Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~ von Enrico (Teil IV) ================================================================================ Kapitel 12: ~Du lebst~ ---------------------- Die Haustür wird aufgeschlossen. Lautes Hundegebell und Stimmengewirr dringen mit kalter Zugluft herein. Pfoten schlittern über den gefliesten Boden. „Lui, lass den Köter gefälligst draußen!“, rufe ich vergebens in den Flur. Es ist bereits zu spät, der Welpe stürmt ins Wohnzimmer und begrüßt mich freudig kläffend. Tollpatschig versucht er auf das Sofa zu klettern. Schließlich schaffen er es, sich mit seinen viel zu großen Pfoten, zu mir hochzuziehen. Aufgeregt hüpft er neben mir auf und ab. Vorbei ist es mit meiner Ruhe. Nicht mal auf den Text, kann ich mich noch konzentrieren, dabei war es gerade so spannend. Ich will wissen, wie es mit dem Romanheld weiter geht, ob er findet, wonach der gesucht hat. Als ich Schritte auf dem Flur höre und Lui in der Tür stehen bleibt, packe ich den kläffenden Köter im Genick und reiche ihn in seine Richtung. Ohne von meinem Buch aufzusehen, weiße ich ihn an: „Würdest du das Tier bitte entfernen!“ Lui reagiert nicht, er steht einfach nur da. Das ist seltsam, sonst nimmt er mir den Welpen doch immer ab. Verwirrt sehe ich zu ihm auf, doch dieses mal braucht mein Blick wesentlich länger, um an seinem Gesicht anzukommen. Der Mann, der im Zimmer steht, ist deutlich größer und hat ein viel breiteres Kreuz. Dieses Gesicht, dass ist nicht das des Asiaten, sein Teint ist südländisch und unendlich vertraut. Mir stockt der Atem, den zappelnden Welpen lasse ich fallen, das Buch sinken. Der Hund quietscht und verkriecht sich ängstlich unter dem Sofa. 'Toni' – Meine Lippen formen seinen Namen, doch es kommt kein Ton aus meiner zugeschnürten Kehle. Das ist der Mann, denn ich so oft in meinen Alpträumen sehe. Er sieht genau so aus. Die selben grünen Augen, die selben pechschwarzen Haare. Es gibt ihn wirklich! „Ist … ist … das euer verdammter Ernst?“, schreit er. Seine Stimme geht mir durch Mark und Bein. Sie ist dunkel und kraftvoll und viel intensiver, als in meiner Erinnerung. Die Beine des Mannes beginnen zu zittern, vor dem Sofa sackt er auf die Knie. Unfähig zu reagieren, sehe ich ihm dabei zu. „Ich muss irgendwo meinen Schlüssel verlegt … verdammt Antonio, alles okay?“ Antonio, nicht einfach nur Toni? Lui kniet sich zu unserem Gast. Er nimmt ihn an den Schultern und hilft ihm, sich in einen der Sessel zu setzen. „Ich hätte dich wohl doch vorwarnen sollen, was? Warte ich hol dir ein Glas Wasser!“ Während Lui in der Küche verschwindet, kann ich meinen Blick nicht abwenden. Sein vertrautes Erscheinungsbild fasziniert mich. Ich habe nie damit gerechten, ihm einmal wirklich zu begegnen. Der junge Mann stützt das Gesicht in die Hände, seine schulterlangen Haare fallen ihm darüber. An ihre Spitzen bilden sich kleine Locken. Zwischen seinen Fingern blitzen mich seine smaragdgrünen Augen an und jagen eisige Schauer meinen Rücken hinab. Ein warnendes Gefühl schleicht sich in meinen Magen, das mit dem Kerl nicht zu spaßen ist. Lui kommt aus der Küche zurück. Er reicht unserem Gast ein Glas Wasser, das dieser Kommentarlos annimmt. Ohne daraus zu trinken, presst er lediglich ein unheilvoll klingendes: „Danke!“, hervor. Unentwegt sieht er mich an und auch ich kann nicht wegsehen. Das erste Mal, seit ich aus dem Koma aufgewacht bin, ist da etwas vertrautes. Stirn, Nase, Augen, Mund dass alles kenne ich bereits auswendig, nur dieser finstere Blick und das Glas mit Wasser, passen irgendwie nicht dazu. Das war sonst eine Tasse und darin war auch kein Wasser. Das Getränk, dass er immer angelächelt hat, war dunkel und roch süßlich. Kakao, schießt es mir. Ich lege das Buch und die Decke bei Seite und stehe auf. Schwerfällig humple ich bis in die Küche und krame dort eine der Tassen aus dem Schrank. Robin trink auch hin und wieder Kakao, vielleicht haben wir ja noch welchen da. Wenn ich nur wüsste, in welchem der vielen Schränke sie ihn aufbewahrt. Während ich die nötigen Zutaten zusammen suche, folgt mir sein Blick unentwegt und auch Lui beobachtet mich aufmerksam. Mit der duftenden Tasse in der Hand, kehre ich zum Tisch zurück. Kommentarlos nehme ich unserem Gast das Glas Wasser aus der Hand und reiche ihm stattdessen die Tasse. Er nimmt sie entgegen und sieht mich noch einmal lange an, schließlich wandert sein Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Tasse. Ein wehmütiges Lächeln huscht ihm über die Lippen, während er sacht mit dem Kopf schüttelt. Gedankenverloren beginnt er mit dem Löffel in der Tasse zu rühren. Luis verwunderter Blick streift mich. „Du hast alles vergessen, aber was er gern Trink weißt du noch?“, will er wissen. Ich zucke mit den Schultern. Es scheint so zu sein. „Lui!“, beginnt der junge Mann leise aber kraftvoll. Als ihm die Aufmerksamkeit des Asiaten sicher ist, fügt er an: „Lass uns allein!“ Seine Wort gleichen einem Befehl. Lui zögert einen Moment, sein fragender Blick gilt mir. Ich nicke. Mit unserem Gast komme ich auch allein klar. „Schön, aber lasst das Sofa heil!“ Irritiert sehe ich Lui nach, während er auf die Tür zuhält. „Spar' dir deine dummen Sprüche. Ihr könnt froh sein, wenn ich euch dafür nicht alle umlege!“ Die kraftvolle Stimme unseres Gastest ist so laut, dass Lui zusammen zuckt und seine Schritte beschleunigt. Als er in sein Zimmer verschwindet und die Tür nach ihm ins Schloss fällt, wird es bedrückend still. Ob der Kerl das ernst gemeint hat? Aber welchen Grund sollte er haben, uns umbringen zu wollen und warum schleppt uns Lui so jemanden ins Haus? Die Haltung des Südländers ist tatsächlich angespannt und sein Blick hat etwas bedrohliches. Selbst Lui ist vor ihm zusammen gezuckt und den bringt für gewöhnlich nichts aus der Ruhe. Trotzdem empfinde ich weder Furcht noch Sorge, wenn ich ihn ansehe. Stattdessen bin ich so ruhig und ausgeglichen, wie lange nicht mehr. „Setz dich!“, fordert er streng. Ich tu ihm den Gefallen und setze mich in den Sessel, ihm direkt gegenüber. Meine Arme stütze ich mit den Ellenbögen auf den Knien und falte die Hände zusammen. „Wieso lebst du noch?“, will er ernst wissen. „Das selbe könnte ich dich fragen.“ „Was soll das heißen?“ „In meinen Alpträumen, stirbst du immer.“ Er schaut gedankenverloren in seine Tasse. „Du in meinen auch“, murmelt er. Meinen Kopf lehne ich gegen die gefalteten Hände und betrachte noch immer fasziniert das vertraute Gesicht. Obwohl wir in meinen Träumen immer von Flammen eingeschlossen werden, ist an ihm keine Brandnarbe auszumachen. Lediglich eine kleine, gerade Narbe, zieht sich durch seine linke Augenbraue. Er ist vielleicht ein bisschen mager, sieht ansonsten aber fit aus, auf jeden Fall fitter als ich es bin. „Was schaust du denn so?“, meint er schroff und wendet seinen Blick für einen Moment ab. Ich schaue ihn auch weiterhin direkt an, während ich mit fester Stimme wissen will: „Wer bist du?“ Endlich kann ich diese Frage mal jemandem stellen, der auch ganz sicher, die richtige Antwort darauf weiß. Sein irritierter Blick wendet sich wieder mir zu. „Was soll das heißen, wer ich bin? Wollt ihr mich eigentlich alle verarschen?“ Klangvoll stellt er die Tasse auf den Tisch ab und steht auf. Wütend stampft er bis zum Kamin und stützt sich mit den Händen an die Verkleidung, sein Blick verliert sich in den Flammen. „Toni, ich weiß nicht, ob Lui dich aufgeklärt hat, aber ich habe fasst all meine Erinnerungen verloren und ...“ Ein bitteres Lächeln schleicht sich auf seine Mundwinkel. „Wie … wie hast du mich gerade genannt?“ Als er seinen Kopf zu mir dreht, hat sein Blick etwas leidendes, seine Augen werden gläsern. „Ich habe dich Toni genannt. Du heißt doch nicht wirklich Antonio, oder?“ Der Name erscheint mir einfach nicht richtig. „Doch! Du bist der Einzige der Toni sagt.“ Seine Stimme verliert an Kraft und wird immer brüchiger, die Schultern lässt er hängen. „Seit Jahren hat mich niemand mehr so genannt ...“, murmelt er in die Flammen. Wieso geht ihm dieser Spitzname nur so nah? Kopfschüttelnd wende ich mich von ihm ab. „Wieso hast du gedacht, ich sei tot?“, will ich wissen. „Weil ich dich beerdigt habe, du Idiot!“ „Dafür kann ich nichts. Ich lag im Koma. Keine Ahnung was die drei Gestalten in der Zeit abgezogen haben.“ Verächtlich schaue ich zur Tür, hinter der Lui verschwunden ist. Offensichtlich bin nicht der Einzige, der die letzten Jahre belogen wurde. Wir schweigen beide, bis ich die unerträgliche Stille nicht länger ertrage. „Toni, du bist das einzige Gesicht mit Namen, in meinen wirren Erinnerungsbruchstücken und ich habe das Gefühl, dir vertrauen zu können …“ „Du hast nur das Gefühl, mir vertrauen zu können? Das ist bitter, ehrlich!“, seufzt er und sackt in seiner Haltung noch ein Stück mehr zusammen. Es ist tatsächlich nur ein unbestimmtes Gefühl in mir. Was soll es auch sonst sein? Mal von seinem äußeren Erscheinungsbild abgesehen, ist er mir fremd. „Nimm's mir nicht übel, aber ich weiß nicht mal, wer ich selbst bin. Woher soll ich wissen, ob du mein Freund oder Feind bist?“ „Sieh mir ins Gesicht und sag mir, ob du wirklich glaubst, dass ich dein Feind sein könnte!“, fordert er aufgebracht und dreht sich zu mir. Ich zögere einen Moment, bis ich es wage ihn anzusehen. Obwohl sein Blick ernst und verbissen und seine Haltung angriffslustig ist, empfinde ich noch immer keine Furcht. Nicht mal seine lauten und aggressiven Worte erschrecken mich. Ich bin mir fast sicher, dass er sich zwischen mich und eine Kugel werfen würde, wenn es nötig wäre. „Wer bin ich für dich?“, will ich meinerseits wissen. Irgendetwas ist da, etwas das ich nicht nicht greifen kann. Er ist nicht nur ein Begleiter, wie Jan und Lui, so viel steht fest. „Du bist … Eigentlich …. eigentlich bist du der wicht ...“, beginnt er und wendet seinen Blick verlegen ab. Bilde ich mir das nur ein, oder werden seine Wange rot? Anstatt zu antworten, kramt er in seiner Jackentasche und zieht einen Schlüssel heraus. Er dreht ihn einige Male nachdenklich durch die Finger und schaut dann, wie vom Blitz getroffen, aus der Verandatür nach draußen. Auffordernd sehe ich ihn auch weiterhin an. Ich will eine Antwort, doch er wechselt das Thema: „Lass uns abhauen. Weg von hier, weg von den Lügen!“ Ungläubig betrachte ich ihn. „Was denn? Du hast gesagt du hast das Gefühl mir vertrauen zu können, dann lass uns Luis Karre nehmen und abhauen.“ „Wohin denn?“ „Scheiß egal! Einfach weg!“ Der Schlüssel in seiner Hand, sieht genau so aus, wie der von Luis Automobile. Den gibt der doch nicht freiwillig her. Nicht mal Jan darf mit seinem Wagen fahren. „Wo hast du Luis Schlüssel her?“ Er zuckt mit den Schultern. „Nun, ich bin ein ziemlich guter Dieb!“, sagt er nur und geht auf die Verandatür zu. Während er sie öffnet, sieht er noch einmal zu mir zurück. „Was ist jetzt, kommst du?“ Ich schaue von ihm in den Flur. Weg von allen Lügen, weg aus diesem verdammten Haus, das klingt mehr als verlockend. Als ich wieder zu Toni sehe, geht ein verlockendes Gefühl von Abenteuer von ihm aus. Allein unterwegs mit einem Dieb, der meine Freunde beklaut, das kann nur schief gehen. Doch noch bevor die Bedenken Raum in meinem Kopf gefunden haben, bin ich schon aufgestanden und folge ihm hinaus ins Freie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)