Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~ von Enrico (Teil IV) ================================================================================ Kapitel 8: ~Alles was Räder hat~ -------------------------------- Jan steuert den Wagen in einen Hinterhof. Etliche Fahrzeuge stehen verstreut im Gelände, eine große Garage, mit offenem Tor, bildet die Mitte des Grundstücks. Wir sind das erste mal hier, Jan hat auch noch nie von einem Ort, wie diesem, berichtet. Als er aussteigt, tue ich es ihm gleich. Etwas schwerfällig kämpfe ich mich in die Waagerechte und schlage die Wagentür nach mir zu. Während Jan voran geht, verstaue ich meine Hände in den Taschen meiner Jacke und trotte ihm hinterher. Wir kommen an einem Traktor vorbei, dem der hintere linke Reifen fehlt. Die Motorhaube des Automobils daneben steht offen. Auf einem kleinen Hocker stehend, hängt ein Junge, von kaum elf Jahren, vorn über gebeugt, über dem Motor. Er hantiert mit einem Schraubenzier umständlich daran herum. Immer wieder schnappt er von einer Schraube ab und trifft schließlich seinen Daumen. „Au!“, murrt er und steckt die wunde Stelle in den Mund. Ich schmunzeln und bemerke den großen Mann, der uns entgegen kommt erst, als er bereits vor uns steht. Erschrocken blicke ich zu ihm auf und hallte abrupt inne. Seine buschigen Augenbrauen wachsen in der Mitte zusammen, die hellblauen Augen schauen freundlich. Unter seinen Achseln klemmen zwei Krücken, sein linkes Bein ist bis zum Oberschenkel in Gips gehüllt. „Buongiorno“, begrüßen Jan ihn. Ich nicke lediglich zur Begrüßung, dann wandert meine Aufmerksamkeit wieder zum Jungen. Noch immer hantiert der Knirps mit dem Schraubenzier herum, seine Zunge hat er dabei weit aus dem Mund geschoben und kaut angespannt darauf herum. „Danke, dass du es so schnell einrichten konntest. Wie geht es deinem Bein?“, beginnt Jan das Gespräch. Der große Mann lächelt bitter. „Es wird wohl steif bleiben, deswegen bin ich ganz froh darüber, dass du jemanden für den Job wusstest. Ich kann hier wirklich Hilfe brauchen.“ „Das geht nicht! Die alte Karre ist Schrott!“, klagt der Knabe und schaut zu uns herüber. Der Werkstattchef sieht an uns vorbei. „Versuchs noch mal! Ich komme gleich und schaue es mir an“, ruft er ihm zu. Der Kinderkopf verschwindet wieder unter der Motorhaube. Sein vergebliches Bemühen wird von lautstarken Flüchen begleitet. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Je länger ich ihm dabei zu sehe, um so deutlicher erkenne ich mich selbst in ihm. Habe ich mich als Kind auch am Reparieren von Fahrzeugen versucht? Völlig in Gedanken versunken, spüre ich den Blick des Werkstattchefs nur beiläufig auf mir, auch seine Worte gehen ungehört an mir vorrüber: „So und du bist also der junge Mechaniker, der mir ab heute zur Hand gehen will?“ Ohne zu antworten, lasse ich Jan und ihn stehen. Irgendetwas an dem Tun des Knaben, zieht mich wie magisch an. „Er ist etwas eigen“, seufzt Jan entschuldigend, „Ich bin mir nicht sicher, ob er dir wirklich eine Hilfe sein wird. Danke, dass du es überhaupt mit ihm versuchen willst.“ „Nun, eine wirkliche Wahl habe ich nicht. Es gibt hier im Umkreis von etlichen Kilometer niemanden, der sich mit Motoren und Kraftfahrzeugen auskennt.“ „Ich habe aber keinerlei Papiere für ihn, er hat nie eine Ausbildung gemacht.“ „Wer sollte das hier, am Ende der Welt schon kontrollieren? Wenn die Fahrzeuge am Ende des Tages wieder laufen und er mit den vorhandenen Materialien improvisieren kann, reicht mir das.“ „Das er unter Amnesie leidet, habe ich dir schon erzählt, oder?“ „Ja, aber schließt das auch sein handwerkliches Geschick ein?“ „Ich habe keine Ahnung“, seufzt Jan und zuckt mit den Schultern, „Früher konnte er alles wieder zum Laufen bringen, was Räder hat.“ Als ich den Jungen erreiche, sehe ich ihm über die Schulter. Ein Gewirr aus Drähten und Schläuchen umgibt ihn. Einige der Isolierungen sind gebrochen und notdürftig mit Klebband umwickelt. Etliche der Metallbauteile sind verrostet. Das sieht alles sehr provisorisch aus. Der Knabe zieht eine Schraube fest, deren Kopf schon abgewetzt und ausgefranst ist. Als ich dem verlauf der Kabel folge, die er miteinander verbunden hat, erscheint mir das alles falsch. Müsste nicht das eine Ende da hinten und das andere da vorn liegen? „So fertig!“, triumphiert er und knallt den Schraubenzier auf den Stoßdämpfer. Als er den Kopf aus dem Motorraum hebt, sieht er erschrocken an mir hinauf. Mit fragender Mine betrachtet er mich, als ich nichts sage, schüttelt er nur mit dem Kopf und hüpft vom Hocker. Er läuft um mich herum zum Fahrersitz des Wagens und setzt sich hinein. Seine kleinen Finger drehen den Schlüssel im Zündschloss, einmal, zweimal, doch auch beim dritten Versuch tut sich nichts. Enttäuscht rutscht er aus dem Fahrzeug. „Ich sag doch, das Ding ist Schrott!“, schimpft er resigniert und läuft seinem Großvater entgegen. Kein Wunder, bei dem ganzen Durcheinander, kann das ja nicht funktionieren. Der Schlauch gehört da definitiv nicht hin und das Kabel muss dort auch weg. Ohne dass es mir wirklich bewusst wird, nehme ich mir den Schraubzier und richte die Kabel und Schläuche entlang des Schaltplans, der wie von allein vor meinem inneren Auge auftaucht. Die Handgriffe sind so vertraut, dass sie automatisch ablaufen. Die Werkzeuge, aus der Kiste, neben dem Hocker, finden von allein ihren Weg in meine Hände. Trotzdem habe ich ständig das Gefühl, gleich eine Schelle auf den Hinterkopf zu kassieren und bissige Kommentar zu hören. Da gab es jemand, der sehr oft neben mir stand, der mein Tun mit prüfendem Blick kontrolliert hat, jemand der mir sehr nah stand. Je länger ich über dem Motor hänge, um so stärker wird dieses vertraute Gefühl. Irgendjemand muss mir das hier beigebracht haben. Obwohl ich mir sicher bin, noch nie unter die Motorhaube eines Automobils geschaut zu haben, glaube ich zu wissen, wie es hier drin aussehen muss. Ich richte alles so gut es geht, schließlich scheint mir das Chaos geordnet genug. Ich lasse die Werkzeuge in die Kiste fallen und gehe um das Automobil herum, um auf dem Fahrersitz platz zu nehmen. Aufgeregt drehe ich den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor gluckst kurz, dann ist wieder ruhe. So viel zu dieser scheinbaren Erinnerung. Offensichtlich war der Plan in meinem Kopf, doch nur eine fixe Idee. Ich seufze und schaue durch die Frontscheibe auf die offene Motorhaube. Für einen Moment meine ich dort einen Mann zu sehen, der prüfend das Innere betrachtet. „Das sieht gut aus, versuch es noch mal!“, klingen seine Worte in meinem Kopf. Sie erscheinen mir so vertraut, als wenn ich sie bereits hunderte Male gehört habe. Mir ist, als wenn ich diese Erinnerung förmlich greifen könnte. Ein passender Name, liegt mir bereits auf der Zunge. Ich drehe den Schlüssel noch einmal. Der Innenraum des Wagens beginnt zu vibrieren, der Motor brummt laut. Lange macht es die Kiste wirklich nicht mehr, aber für den Moment läuft sie. Zufrieden schaue ich hinaus, will gerade nach dem Mann in meiner Erinnerung rufen, erwarte jeden Moment ein herablassendes Lob von ihm, doch alles was neben mir erscheint ist Jans schmächtige Gestalt. „Ich sehe schon, du bist hier gut aufgehoben“, meint er und strahlt mich an. Irritiert betrachte ich den Asiaten. Ich brauche einen Moment, bis ich aus der Welt meiner Gedanken zurück finde. „Ich hole dich nach meiner Schicht wieder ab. Wenn vorher was sein sollte, ich bin zwei Häuser weiter, da vorn in der Polizeiwache.“ Mit ausgestrecktem Arm deutet er auf ein helles Haus, die Straße hinab. Ich nicke lediglich. Noch immer spukt das Gesehene in meine Geist herum, doch die Erinnerung ist längst zu flüchtig, um sie fassen zu können. Seufzend lege ich die Stirn ans Lenkrad. „Alles okay?“, will Jan wissen. „Ich dachte ich hätte mich an was erinnert, aber es ist schon wieder weg.“ Aufmunternd schlägt er mir auf die Schulter. „Das ist doch gut. Vielleicht hilft dir das hier ja. Zumindest weist du noch, wie man Automobile repariert. Das ist ein Anfang. Aber ich muss wirklich los. Ich bin schon jetzt zu spät dran.“ „Ja, hau ab!“, murre ich, ohne aufzusehen. Jan verschwendet keine Zeit für einen Abschied, er geht einfach. Ob er recht hat? Weiß ich wirklich, wie man Fahrzeuge repariert? Ich habe über mein Tun nicht mal nachdenken müssen. Das Wissen ist einfach da gewesen. Also bin ich mal ein Mechaniker gewesen? Jan hat recht, diese Wissen wäre wirklich mal ein Anfang. Gemeinsam mit seinem Enkel, kommt der große Werkstattchef zum Wagen, beide werfen einen Blick in den Motorraum. „Ah, das musste da hin!“, ruft der Knabe aus und fummelt an den Verkabelungen herum. „Das sieht ganz ordentlich aus. Dafür dass dein Freund meinte, du hättest alles vergessen, scheinst du hier zu wissen, was du tust.“ Der Werkstattchef klappt die Motorhaube zu, dann kommt er um den Wagen herum. „Ich bin übrigens Eros.“ Er reicht mir die Hand. Ich schlage in seinen festen Händedruck ein. „Ich bin Enrico, wird zumindest behauptet.“ „Ja, ist eine wirklich blöde Sache mit deinem Unfall, tut mir leid.“ Unfall? Hat Jan etwa schon wieder diese Lügengeschichte verbreitet? „Das war kein Unfall! Man hat versucht mich umzubringen“, entgegne ich trocken und steige aus. Eros sieht mich entsetzt an, der Mund bleibt ihm offenen stehen. Ein Mordversuch scheint hier, in dieser abgeschiedenen Gegend, nicht all zu oft vorzukommen. Um keine weiteren Fragen in der Richtung zu riskieren, die ich ohnehin nicht beantworten kann, winke ich ab. „Schon gut, nicht so wichtig.“ Mit Blick auf das Bein des Mannes, versuche ich das Thema zu wechseln, „Was ist mit ihrem Bein passiert?“ Eros fängt sich wieder. Er setzt ein bitteres Lächeln auf, als er zu berichten beginnt: „Die alte Hebebühne ist schon lange kaputt gewesen. Ich habe sie längst reparieren wollen, aber wie das immer so ist, man schiebt es auf, flickt es notdürftig. Es geht schon noch irgendwie. Vor einem Monat kam sie samt eines Traktors runter, blöd nur, dass ich da gerade untendrunter lag.“ Ich schaue mitfühlend. „Dein Freund war zufällig gerade auf Streife und hat mich um Hilfe rufen gehört. Er hat mich befreit und erste Hilfe geleistet.“ „Und es wird nie wieder richtig verheilen?“ Meinen Blick kann ich nicht von dem Gips lassen. „Nein. Der Knochen war mehrfach zersplittert. Das wird nichts richtiges mehr. Deswegen brauche ich hier auch einen tüchtigen Mechaniker, der mir zur Hand geht. Mein Sohn und seine Frau wohnen weit weg in der Stadt, sie haben mir nur ihren Sohn da gelassen. Frederic gibt sich zwar die größte Mühe, aber bis er mal die Werkstatt übernehmen kann, werden noch einige Jahre ins Land gehen.“ Eros bleibt neben seinem Enkel stehen, er streichelt ihm über den Kopf und bringt seinen Frisur durcheinander. „Opa, lass das!“, schimpft der Junge. Ich muss über die Beiden schmunzeln. Wieder glaube ich mich selbst sehen zu können. Direkt vor einem Fremden so zerzaust zu werden, hätte mir als Kind sicher auch nicht gefallen. Ein wehmütiges Gefühl beschleicht mich. Ob ich wohl auch irgendwo noch Familie habe? Vater, Mutter, Opa, irgendjemanden? Mal von Robin, Jan und Lui abgesehen, hat sich nie jemand bei uns gemeldet. Selbst als wir die USA verlassen haben, kam nie ein Brief oder ein Telegramm an. Wenn da noch jemand ist, hat er wohl kein besonderes Interesse an mir. Dieser Gedanke wird immer erdrückender und nimmt mir schließlich das Schmunzeln von den Lippen. Um mich davon abzulenken, schaue ich mich im Gelände um. „Gibt es noch mehr Fahrzeuge, die repariert werden müssen?“, will ich wissen. „Dein Tatendrang gefällt mir“, lacht Eros warmherzig, „Alles was du hier siehst, ist zur Reparatur da. Du kannst dich also nach belieben austoben.“ Das werde ich. Alles ist besser, als daheim zu sitzen und zu viel Zeit zum Nachdenken zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)