Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~ von Enrico (Teil IV) ================================================================================ Kapitel 7: ~Blutrot im Schnee~ ------------------------------ Dieser verdammte Mistkerl, was muss er auch dazwischen gehen? Der Chef der Drachen könnte längst tot sein und Antonios kümmerliches Dasein hätte endlich ein sinnvolles Ende genommen. Nun muss er sich wieder vor jedem Schatten fürchten, den die Bäume um ihn herum werfen. Obwohl er sich sicher ist, Michael und Butch abgehängt zu haben, glaubt er sie noch immer in jedem Rascheln des Windes zu hören. Der Weg vor ihm verschwimmt immer wieder, seine Beine wollen sein Gewischt kaum tragen. Vereinzelt fallen rote Tropfen in den weißen Schnee und begleiten seine Fußabdrücke. Wenn sie nicht dumm sind, werden Michael und Butch diesen Spuren folgen. Antonio hat zwar die U-Bahn genommen, um möglichst schnell, viel Abstand zwischen sich und seine Verfolger zu bringen, aber kann er sich wirklich sicher sein, dass sie nicht in die selbe Bahn gestiegen sind? So kann er auf keinen Fall zurück nach Hause. Um den Unterschlupf seiner Familie nicht zu verraten, hat er längst einen anderen Weg eingeschlagen. „Dreck, verdammter!“, murrt er in die Dunkelheit, und presst seine Hand auf die schmerzende Schulter. Warmes Blut sickert aus dem Loch in seinem Pullover und rinnt seine Finger hinab. Die Kälte frisst sich immer tiefer in seine Gelenke und macht sie steif und unbeweglich. Ständig knicken ihm die Beine weg. Zum Glück ist sein Ziel nicht mehr weit. Er kann den weißen Marmorobelisken schon sehen, der sich deutlich von allen anderen Gräbern hier abhebt. Im Mondlicht schimmert er blau. Ringsum ist er von kleinen Hecken umgeben, die nach vorn hin eine Öffnung bilden. Alles ist mit einer unberührten Schneedecke überzogen. Antonio ist schon etliche Wochen nicht mehr hier gewesen, trotzdem finde seine Beine zielsicher den Weg, obwohl der trübe Schleier vor seinen Augen immer dichter wird. Als er den Obelisken endlich erreicht, kann er nicht mal mehr die Inschrift entziffern. Mit den Fingern tastet er nach den eingravierten Buchstaben, die er einst für seinen Freund ausgewählt hat: ~Bis in den Tod, doch du kommst nie mehr zurück~ Er beginnt zu schmunzeln. „Von wegen!“ Kraftlos lässt er sich in den weichen Schnee sinken, mit dem Rücken lehnt er sich gegen den kalten Marmor und legt den Kopf zurück. Ganz allmählich fällt die Anspannung von ihm ab. Mit zitternden Fingern, kramt er in seiner Hosentasche nach seinem Feuerzeug und der Zigarettenschachtel. Sein Arm streift einen langen Riss im Stoff seines Pullovers, der sich quer über seine Hüfte zieht. Antonio zieht die Luft scharf ein. Er versucht die Stelle zu meiden, doch bei der Suche in seiner Hosentasche, lässt sich der Schmerz nicht umgehen. Seine erfroren Finger gehorchen ihm kaum, er braucht eine gefühlte Ewigkeit, um Feuerzeug und Zigaretten aus seiner Hose zu befreien, doch schließlich erfüllt angenehmer Qualm seine Lunge. In einer große Wolke, stößt er ihn wieder hervor und sieht ihm, bei seinem Weg in dem Himmel zu. Eine unnatürliche Stille hüllt ihn ein, nicht einmal der Wind fegt mehr durchs Geäst, dafür fallen lautlos, dicke, weiße Flocken vom Himmel. Antonio führt die zitternden Finger zum Mund, er nimmt noch einen Zug und schließt die Augen. „Wo steckst du jetzt eigentlich? Die ganze Zeit gehst du mir auf die Nerven und jetzt, wo ich hier krepiere, kommst du mich nicht mal abholen“, beschwert er sich. Nichts, keine gefühlte Zweisamkeit, nicht mal ein Knacken in den Baumwipfeln. Antonio zieht die gestohlene Pistole aus seinem Hosenbund und leg sie neben sich in den Schnee. Mit tauben Fingern fährt er den geschnitzten Elfenbeingriff ab und betrachtet die einzelnen Wölfe. „Warum musstest du auch dazwischen gehen? Ich hätte … ich hätte … den Scheißkerl so gern mit.... mitgenommen.“ Seine Stimme wird immer undeutlich, seine bebenden Lippen wollen einfach keine Worte mehr formen. Müde lässt er beide Arme sinken und schließt die Augen. „Sei bitte nicht … nicht sauer, dass ich's nicht … nicht geschafft ha ...“, murmelt er in die Stille. Die Kälte betäubt alle Schmerzen, die letzten Worte kommen ihm nicht mehr über die Lippen. Sein Kopf fällt ihm auf die Schulter. Leise knirscht der Schnee, unter den Schritten schwerer Stiefel, das Geräusch kommt immer näher. Antonios Finger umschließen ganz automatisch den Griff der Pistole. Nur mühsam schleppt sich der Gedanke in seinen Geist, dass in der Waffe keine Kugeln mehr sind. Auch der Versuch seinen Arm zu heben, scheitert. „Wenn man dich finden will, brauch man nur deiner Blutspur zum Grab meines Bruders folgen.“ Diese Stimme, dass ist nicht Michael und auch nicht Butch. „Will ich wissen, was du wieder getrieben hast?“ Antonio dreht murrend den Kopf von einer auf die andere Seite. Jede Anstrengung ist ihm zu viel, selbst eine Antwort zu geben. „Willst du etwa da liegen bleiben?“ Ja, genau hier, hier soll es zu Ende gehen, ein für alle mal. „Los steh auf!“ Ein harter Schlag trifft seine Schuhsole, Antonio zuckt zusammen und blinzelt. Ein schemenhafter Schatten hockt vor ihm, blaue Augen starren ihn auffordernd an. „Enrico?“, kommt ihm leise über die Lippen. Der Schatten schüttelt den Kopf. „Man, wie viel Blut hast du eigentlich schon verloren, wenn du mich nicht mal mehr erkennst?“ Eine warme Hand umschließt Antonios Handgelenk, seinen Arm legt der Schatten sich über die Schulter. „Los steht auf!“, befiehlt er, doch Antonio fühlt sich zu keiner Reaktion fähig. Trotzdem hebt sich sein Körper unaufhörlich. Er spürt den Boden unter den Füßen. Die Pistole Enricos gleitet ihm aus den eisigen Fingern und fällt vor ihm in den Schnee. „Wo hast du die her?“, will der Schatten wissen. „Ge ...geklaut“, kommt Antonio über die zitternden Lippen. Der Ansatz eines Lächelns bildet sich in seinen Mundwinkeln. „Dir ist echt nicht mehr zu helfen!“ Der Schatten schüttelt mit dem Kopf und setzt sich in Bewegung. Er macht keine Anstalten, sich nach der Waffe zu bücken. „Mitnehmen will“, fordert Antonio und deutet auf die Pistole. Der Schatten seufzt, sie bücken sich gemeinsam, doch noch bevor Antonios Finger den Griff erreichen können, schwindet die Welt um ihn herum. Ein dunkler Schleier verhüllt all seine Gedanken und nimmt jedes Gefühl mit sich. Hitze arbeitet sich in seinen Körper, sie frisst sich in seine Zehen und Finger und beißt sich seine Gliedmaßen hinauf. Antonio stöhnt gequält und wirft den Kopf zur Seite. Etwas weiches drückt sich gegen seine Wange, etwas nasses kühlt seine Stirn. Sein ganzer Körper ist in Wärme eingehüllt. Hart pulsiert seine Blut in seiner Schulter, etwas brennt über seiner Hüfte. Michael und Butch, schießen ihm die Namen seiner Verfolger durch den Kopf. Sind sie noch immer hinter ihm her? Augenblicklich reißt Antonio die Augen auf und versucht sich aufzurichten. „Liegenbleiben!“, weißt ihn eine strenge Stimme an. Sacht aber bestimmt, drückt ihn eine große Hand zurück ins Kissen. Antonios Blick hasstet umher. Ein Kronleuchter hängt von der Decke, die Lehne eines weißes Sofas versperrt ihm die Sicht nach links. Rechts von ihm steht ein Couchtisch und daneben ein Sessel. Ein großer Mann mit blonden Haaren sitzt darin. Er hält eine Tasse in der Hand und führt sie gerade zum Mund. Sein Blick verliert sich auf einer Zeitung, die auf dem Tisch ausgebreitet liegt. Er sieht ihn nicht an, nur seine Hand ruht weiterhin auf seiner Schulter. Antonio brauch einen Moment, den Bruder Enricos zu erkennen und zu verstehen, dass er nicht mehr auf dem Friedhof, sondern im Haus Raphaels ist. Als der große Bruder ihn auch weiterhin am Aufrichten hindert, gibt Antonio schließlich sein Bemühen auf. Es gibt keinen Grund aufzustehen und sich zu verteidigen. Mit dem lodernden Feuer im Kamin, kann ihm nicht einmal mehr die Kälte gefährlich werden. So behaglich, hat er sich lange nicht gefühlt. Die Arme steckt er wieder unter die Decke, um das wärmende Gefühl zu genießen, als sie etwas seltsames an seinem Oberkörper berühren. Verwundert schiebt er die Decke von sich, um sich zu betrachten. Der zerrissene Pullover ist verschwunden. Lediglich Mullbinden bedecken seinen Oberkörper. Etliche sind um seine Schulter gebunden, während ein großes, rechteckiges Pflaster, den Streifschuss über seiner Hüfte bedeckt. „Das wird teuer, das ist dir hoffentlich klar“, meint Raphael, während ihm ein schelmisches Lächeln übers Gesicht huscht. Antonio erwidert nichts, er rollt sich lediglich wieder in der Decke ein und schließt die Augen. „Ist es okay, wenn ich mich hier ein wenig ausruhe, nur einen Moment?“, will er wissen, doch noch bevor ihm Raphael antworten kann, ist er bereits wieder eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)