Totholz von JiskahRedHood ================================================================================ Kapitel 1: ----------- In der vergangenen Nacht war er gekommen. Still und heimlich hatte er Stunde um Stunde das gesamte Land in seinen Besitz übergehen lassen. Bald würde er seinen Schleier über jeden Baum und jeden Strauch, über jedes Dach und jedes Gehöft werfen, und Ruhe Einkehr halten lassen. Seine Spuren waren noch am nächsten Morgen deutlich zu sehen, kleine Eiskristalle hatten sich auf Steinen und Gräsern nieder gelassen, nicht einmal die zögerlichen ersten Sonnenstrahlen konnten ihnen etwas anhaben. Der Winter war über das Königreich Siont gekommen. Zaghaft noch, doch schon bald würden die Nächte mit Frost und kühler Luft, einer bitteren Kälte und einer dicken Schicht aus Schnee und Eis weichen. Starre Grashalme knirschten und knackten leise unter den Stiefeln des Waidmanns. Um Unsichtbarkeit musste er sich nicht bemühen, sollten die Bewohner des Waldes ruhig wissen dass er durch ihr Reich streifte, zu befürchten hatten sie nichts vor ihm. Vor zwei Tagen noch hatte er einen Bären erlegt, und neben einem Eintopf den er sich gekocht hatte, genügend Fleisch getrocknet dass es ihn einige Tage sättigen konnte. So hoffte er. Der Hunger seines Begleiters war um einiges höher als sein eigener, doch dieser war nicht gerade fanatisch auf getrocknetes Fleisch, er liebte es roh und am besten zappelnd. Mit einer Hand fuhr der Waidmann über den Rücken seines Begleiters und ließ das weiche, helle Fell zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. Ein Kopf, mit einer langen Schnauze in welcher sich gefährlich scharfe Reißzähne befanden, wandte sich zu ihm um. Braune Augen schauten ihn fragend an und wirkten fast vorwurfsvoll. Der Waidmann wusste es besser, sie wirkten nicht vorwurfsvoll, sie waren es. Der Waidmann atmete tief durch und raunte mit leiser, dunkler Stimme. „Bald mein Freund.“ Veldig schnaubte zufrieden und sein warmer Atem kräuselte sich in kleinen Wölkchen in der kalten Luft des Morgens. Mehr brauchte er nicht zu hören um Gewissheit zu haben, dass ihre lange Reise bald ein Ende haben würde. Vorerst. Denn eine lange Pause war ihnen nie vergönnt. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, ließ der Mensch seine Blicke schweifen. Im hellen Morgenlicht, welches durch die kahlen Äste der Bäume fiel, tanzten kleine Schneeflocken umher. Den Wolken konnte er ansehen dass sie noch nicht den großen Schnee mit sich brachten. Dennoch war die Kälte schneidend. Er zog sich seinen schwarzen Schal noch etwas weiter über die Nase, so dass nur ein kleiner Schlitz entstand zwischen Stoff und Hutkrempe, durch die man seine blauen Augen sehen konnte. Ein langer schwarzer Fellumhang schützte seinen Körper vor der Kälte. Das Tier, welchem das Fell zuvor gehörte, hatte er natürlich selbst erlegt. Genau wie all seine restliche Kleidung die er am Leib trug, aus dem besten Leder seiner Beute bestand. Er lauschte auf das Knirschen unter seinen Stiefeln, den Atem seines Begleiters, das Knacken der steif gefrorenen Äste des Waldes, und das zwitschern der Vögel die hier überwinterten. Plötzlich blieb er stehen als wäre er vom Blitz getroffen. Er packte seinen Begleiter an einem der zwei Hörner die ihm auf der Stirn wuchsen, und brachte ihn so zum stehen. Seine buschigen Ohren stellten sich auf, hatte er etwas überhört dass sein Herr vernommen hatte? Ausgeschlossen. Des Waidmanns Augen waren geweitet als er in das Unterholz starrte. Dort, inmitten all des weißen Frosts, lag etwas auf dem Boden das sich deutlich von seiner Umgebung abhob. Nur ein paar wenige Schritte musste er gehen um zu erkennen um was es sich handelte. Auf dem Boden lag ein armlanger Zweig einer Tanne, vollkommen vom Frost befreit so dass seine grünen Nadeln deutlich ins Auge stachen. Jemand hatte ihn von seiner Rinde befreit, und der Waidmann wusste auch schon wer. Genau suchte er den Boden ab, seine Stirn legte sich in Falten denn er konnte keine Fußspuren erkennen. Langsam und vorsichtig ging er mit seinem Begleiter im Rücken in den Wald hinein dorthin wo die Spitze des Zweiges deutete, fern ab des ausgetretenen Pfades. Schon nach wenigen Minuten hatte er den zweiten Bruch entdeckt. Ein Tannenzweig, wie der erste von Rinde befreit, doch dieses Mal nur halb so lang. Er folgte der Spur eine geraume Weile, der Wald um ihn herum wurde immer dichter und die Rufe der Vögel verstummten je weiter er ging. Immer mehr Nadelbäume geleiteten ihn auf seinem Weg, reckten sich hoch empor, schluckten das Licht des heran nahenden Tages und bescherten ihm einen weichen Boden aus Nadeln. Der Waidmann blieb stehen, vor ihm auf dem Boden lag sein letzter Wegweiser. Zwei kreuzförmig übereinander gelegte Zweige deuteten ihm an hier zu warten. Langsam ließ er den Blick nach allen Seiten hin schweifen. Er befand sich in einem Ring aus Tannen, die erst weit über ihm die ersten Äste trugen, da sie sich hoch in den Himmel schraubten um den besten Platz nahe der Sonne zu ergattern. Hier unten in ihrem Schutz war das Licht dämmrig, und nur weit in der Ferne hörte er noch das Gackern eines Eichhörnchens, das Singen der Vogel und das Plätschern eines Baches. Seine Ohren schmerzten, so sehr spannte er sie an, damit ihm kein wichtiges Geräusch entgehen konnte. Um so verdrießlicher war er, als er hinter sich das leise Lachen einer Frau vernahm. Mit einem lauten Seufzer streifte er sich den Schal von der Nase und stopfte ihn unter den Kragen seines Mantels. Sein Begleiter knurrte kurz auf. Er drehte sich so schnell herum dass eine Schar von Nadeln in die Luft geschleudert wurde, und anschließend zu Boden prasselte. „Ruhig mein Freund... du weißt doch welche Freude sie daran hat uns wie Trottel dastehen zu lassen.“ Der Waidmann zog einen seiner schwarzen Handschuhe aus die ihm bis zu den Ellenbogen reichten, und tätschelte die Flanke des Tieres. „Guter Jäger, welch garstige Unterstellung du mir machst, dass ich Freude empfinde nur wenn jemand Anders wie ein Narr da steht. Zudem finde ich, dass du doch ganz gut da stehst.“ Aus dem Dunkel der Bäume schälte sich eine weibliche Silhouette, in einen feinen, roten Mantel gehüllt den man schon aus mehreren Metern Entfernung hätte erkennen müssen. Doch das hatte er nicht, noch nie, und es machte ihn wild so an der Nase herum geführt zu werden. Das war in der Regel seine Aufgabe. Stumm wartete er ab bis die Frau vor ihm zum stehen kam. Ihr roter Mantel reichte ihr bis zu den Knien, ihre Füße waren in braune Halbstiefel gehüllt und eine schwarze Strumpfhose schützte ihre Beine vor der Kälte. Um ihre Schulter hatte sie eine Ledertasche geworfen die so voll war, dass sie nicht einmal mehr das Stück Horn der oberen Lasche durch die Kordel an der Frontseite der Tasche schieben konnte um sie zu schließen. Kein gutes Zeichen. Unter der tiefen Kapuze die sie sich in ihr Gesicht gezogen hatte, konnte er ein schmales Lächeln auf ihren blutroten Lippen erkennen. Ihre grünen Augen, die ihn so genau taxierten lagen im Schatten. Ein langer, geflochtener Zopf schwarzen Haares fiel an ihrer rechten Gesichtshälfte hinab, und reichte bis auf Bauchhöhe. Der Waidmann zog seine Brauen ein wenig mehr zusammen und streichelte noch immer über die Seite seines Begleiters der sich inzwischen wieder beruhigt hatte. „Eines will ich wissen, wie macht Ihr das? Hinterlasst keine Fußspuren, Veldig kann eure Witterung nicht aufnehmen und Ihr pirscht Euch an uns heran ohne das wir auch nur einen Ton wahr nehmen?“ Statt einer zufrieden stellenden Antwort zuckte die Frau nur mit den Schultern, ein Grinsen entblößte ihre Zähne. Doch schon in der nächsten Sekunde erlosch das Grinsen und etwas Dunkles trat auf ihre Züge. „Guter Jäger, du weißt, ich habe dich nicht ohne Grund zu mir geführt. Es gibt einen Auftrag den ich für dich angenommen habe.“ Aus ihrer vollen Tasche zog sie ein zusammen gefaltetes Dokument hervor und reichte es an den Waidmann weiter. Ohne zu zögern nahm er das Papier entgegen und faltete es auseinander. Seine blauen Augen huschten eilig über die niedergeschriebenen Zeilen bis er langsam die Hände sinken ließ. „In dem Dorf Kraic soll es plötzlich einen verfluchten Wald geben, in welchem merkwürdige Kreaturen ihr Unwesen treiben und des Nachts Dorfbewohner verschleppen? Das ist alles an Informationen? Um was geht es hier? Aberglauben? Ruhelose Geister? Dämonen?“ Die Frau in Rot reckte ihr Kinn vor und deutete damit kurz auf das Schreiben in seinen Händen. „Dies ist ein Hilfegesuch einer jungen Witwe. Sie leitet das Gasthaus von Kraic, nachdem ihr Mann verschwunden ist. An das Dorf grenzt ein großes Waldstück welches bis an die östliche Küste reicht. Seit einer geraumen Zeit treiben sich Unwesen dort herum, doch ich kann dir auch nicht sagen von welcher Natur sie sind. Mehr weiß ich nicht.“ Der Waidmann blickte ihr eine ganze Weile lang in die Augen. Langsam schob er eine Hand unter seinen Umhang und löste an seinem Gürtel eine Schnalle. Daran befestigt hatte er ein altes Buch, der Umschlag war bereits stark abgewetzt und die dunklen Edelsteine, die in den Einband eingearbeitet waren, stumpf. Manche Seiten waren lose und blickten überall kreuz und quer an sämtliche Ecken heraus. Er öffnete das Buch an einer beliebigen Stelle und steckte das Schreiben hinein. Lautstark ließ er es mit einer Hand wieder zuklappen und befestigte es dort, wo er es her genommen hatte. „Gut. Eine Wahl habe ich sowieso nicht. Und so wie ich Euch kenne, werdet Ihr mir sicher nicht den tieferen Sinn dahinter erläutern.“ Sie senkte das Haupt so weit dass ihre Kapuze ihr komplettes Gesicht verdeckte, dennoch konnte er das Lächeln in ihrer Stimme hören. „Es hat nicht alles einen tieferen Sinn. Jäger Fisk. Manchmal sind es viele kleine Tröpfchen die sich zu einem Großen zusammenfügen. Gäbe es das eine Tröpfchen nicht, gäbe es ein Anderes. Dies ist lediglich ein Hilferuf einer armen Witwe.“ Kaum hatte das letzte Wort ihre Lippen verlassen, griff sie in ihre Tasche und holte ein großes Bündel hervor, welches sie sorgfältig verschnürt hatte. Sie reichte es dem Jäger. Zum Dank neigte er den Kopf und befestigte das Bündel an dem Sattel seines Tieres. „Viele Vorräte sind meist kein gutes Zeichen. Also wird die Reise länger?“ Die Frau kramte noch ein weiteres Bündel hervor. Sie schlug die obere Lasche ihrer Tasche zurück und offenbarte die verschiedensten Utensilien, welche sie in eine Reihe von kleinen Fächern gesteckt hatte. Ihre Finger glitten suchend über Schreibfedern verschiedener Strichstärken, einem Fläschchen mit Tinte, einem Kohlestift, einer Pinzette und allerlei Krempel von dem sie glaubte, es bei sich tragen zu müssen. Sie hielt inne als ihre Finger die kleine Schere fanden. Das Tier des Jägers leckte sich über seine Lippen und begann ungeduldig mit einer Pfote auf dem kalten Boden zu scharren. Rasch knipste sie die Schnüre auf und legte ein saftiges Stück Fleisch frei. Kaum hatte sie Veldig ihr Angebot hingehalten, war es mit zwei Bissen direkt zwischen seinen mächtigen Kiefern verschwunden. „Die Reise nach Kraic wird zwei Tage dauern.“ Sie ging dicht an das Tier heran und strich ihm sanft über dessen Schnauze. Schmunzelnd betrachtete sie wie es ihr den Kopf entgegen reckte und verlangte am Kinn gekrault zu werden. Ein zufriedenes Grollen drang aus seiner Kehler. Ihr Blick wanderte langsam zu dem ungeduldigen Jäger, der bereits die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Geh von hier aus nach Norden.“ Sie deutete knapp auf eine kleine Schneise zwischen den Bäumen. „Nach einer Stunde solltest du einen breiten Pfad gefunden haben. Viel befahren von Karren der Handelsleute. Folge diesem Pfad nach Osten. In zwei Tagen wirst du Kraic erreichen. Du wirst die Witwe ohne Probleme finden, es gibt dort nur ein Gasthaus weit und breit.“ Sie wandte sich von dem Tier ab und trat dicht an den Jäger heran, bevor er fragen konnte, was dann all die Vorräte sollten, klopfte sie ihm auf den Bauch. „Ich fürchte nur, du könntest Hunger leiden.“ Der Waidmann erwiderte nichts auf ihre Worte. Seine Miene war kühl und abschätzend. „Der Winter ist gekommen.“ Langsam trat sie einen Schritt zurück und nickte ihm zu. „Ich werde mein Versprechen halten, und du wirst mich finden wenn du deinen Auftrag erfüllt hast.“ Nun war es der Waidmann der ein paar Schritte zurück ging und sich von der Frau abwandte, er steuerte die Richtung an, in welche sie gedeutet hatte. „Komm Veldig. Zeit zu gehen.“ Sein treuer Begleiter folgte ihm. Hinter ihm erschallte die Stimme fest, und brachte ihn dazu sich noch einmal herum zu drehen. „Gib Acht auf dich, guter Jäger. Verliere dich nicht in den Weiten Dravasuums. Denn was einmal in dieser Welt verloren geht, kehrt vielleicht nie wieder zurück.“ Ein Nicken schenkte sie ihm zum Abschied. „Waidmannsheil.“ Auch der Jäger senkte sein Haupt, berührte mit Zeigefinger und Daumen die Spitze seines Hutes und bevor er seinen Schal wieder hoch, bis über seine Nase zog. „Waidmannsdank.“ Es war genau so gewesen wie sie ihm gesagt hatte. Zwei Tage lang war er dem breiten Pfad gefolgt und in ein tiefes Tal gestiegen. Der Winter war ihm dicht auf den Fersen. Die Nächte wurden lang und kalt. Der Waidmann war froh als er in dem Tal vor sich die ersten Dächer des kleinen Dorfes Kraic entdeckt hatte. Dort würde ihn ein warmes Bett erwarten. Nun waren es nur noch wenige Meter bis er die ersten Häuser erreicht hatte. Überall stieg Rauch aus den schmalen Schornsteinen in die Luft. An seine Ohren drang das übliche Treiben eines Dorfes. Das Lachen von Kindern, das Geschwätz der Weiber, das Klirren aus der nahen Schmiede und die Laute der Nutztiere. In der Luft lag der Geruch von frisch gebackenem Brot. Kraic war nicht groß, dennoch machte es auf den Waidmann einen fortschrittlichen Eindruck. Die Häuser hatte man zum größten Teil aus Stein erbaut, die breite Hauptstraße hatte man gepflastert, dass man im späteren Jahr nicht durch den Matsch waten musste, den die Handelskarren auf dem weichen Boden hinterlassen würden. Er sah Schilder aus Metall an den verschiedenen Handelshäusern hängen und selbst die Kinder aus den ärmeren Verhältnissen trugen festes Schuhwerk an ihren Füßen. Der Waidmann saß fest in seinem Sattel und lenkte Veldig langsam durch die Straßen. Niemand sprach ihn an, doch jeder der ihn erblickte, blieb wie angewurzelt stehen und tuschelte hinter hervor gehaltener Hand. Er wusste, es war nicht sein Anblick allein, sondern viel mehr sein treuer Begleiter dem die Blicke galten. Die Menschen hier besaßen meist Pferde zum Reiten, hatten auch schon von dem ein oder anderem Tier aus der Ferne gehört, doch gesehen hatte hier wohl kaum jemand mehr als die Grenzen des Dorfes. Ein kleines Mädchen blieb dicht am Rand der Straße stehen und starrte zu dem Fremden hinauf. Er hielt ein und blickte hinab. „Wo finde ich das Gasthaus?“ Mit zitternden Händen deutete das kleine Mädchen die Straße hinauf, und stotterte mit leiser Stimme. „Da lang. Beim Goldschmied müsst ihr dann da lang und dann immer weiter die Straße rauf.“ Ihre Finger deuteten ihm den Weg, den er eher erahnen konnte, ihrer Beschreibung nach. „Danke.“ Doch es reichte aus. Er bog beim Goldschmied zu seiner Rechten ab und folgte der Straße bis er an dessen Ende in einer Sackgasse landete. Dort baumelte an einem verwinkelten Gebäude, mit einer großen Stallung, ein rundes Schild mit der Aufschrift „Zum vollen Krug“. Der Waidmann schwang sich vom Rücken seines Begleiters. Noch einen Blick warf er nach oben in den grauen Himmel. Die Wolken würden mit Sicherheit an diesem Tag noch ein wenig Schnee mit sich bringen. Mit einem Fingerzeig deutete er Veldig an zu warten. Noch bevor er die erste von drei Stufen hinauf auf die kleine Terrasse des Gasthauses nehmen konnte, öffnete sich knarzend die schwere Holztür. Eine junge Frau trat hinaus, ein Handtuch stopfte sie nebenbei in ihre Schürze und blickte finster auf den Fremden hinab. Ihr blondes Haar fiel in Wellen ihre Schultern hinab. Ihre Augen waren von einem hellen Braun, ihre Kleidung gepflegt und sauber. Und doch sah man ihr ein kurzes aber dafür hartes Leben in ihrem Gesicht an. „Was wollt ihr?“ Der Jäger blickte sich kurz um, nein sie musste eindeutig ihn gemeint haben. Seine Schultern zuckten und fragend breitete er seine Arme aus. „Die Frage müsste ich Euch stellen, schließlich habt Ihr mich doch gerufen. Nehme ich an.“ Plötzlich hellten sich die Züge der jungen Frau auf und sie trat aus der Tür hinaus. Ihre Augen huschten einige Male an ihm auf und ab. „Oh! Ihr seid der Nebeljäger? Entschuldigt ich... habe mir Euch anders vorgestellt.“ Der Waidmann verschränkte die Arme vor der Brust und zuckte abermals mit den Schultern. Die Frau hob abwehrend die Arme und schüttelte den Kopf. „Nein, entschuldigt. Ich weiß auch nicht. Es überrascht mich einfach dass Ihr so schnell gekommen seid.“ Mit einem Nicken streifte sie ihre Schürze glatt. „Mein Name ist Mina Bach und mir gehört dieses Gasthaus.“ Der Jäger berührte die Krempe seines Hutes. „Thomas Fisk. Nebeljäger.“ Mina öffnete die Tür hinter sich und bat den Jäger hinein. „Kann ich meinen Begleiter bei Euch im Stall unterbringen?“ Die Wirtin blickte an dem Fremden vorbei und entdeckte erst jetzt das ihr fremde Wesen. Sofort spannte sich ihr gesamter Körper an. Nach einem Blick in die Augen des Jägers nickte sie ihm unsicher zu. „Natürlich, bringt ihn ruhig in die Stallungen, nur etwas Futter werden wir für ihn nicht haben. Vorräte besitzen wir kaum noch.“ Der Waidmann suchte einen gemütlichen Platz für seinen Begleiter und trat anschließend in die Gaststätte ein. Ein Junge, mit blondem Haar von vielleicht zwölf oder dreizehn Sommern, saß an einem der kleinen runden Tische und polierte ein paar Gläser. Er hielt mit seiner Arbeit inne als er den Fremden eintreten sah. Außer den dreien befand sich niemand in dem geräumigen Gasthaus. Etliche Stühle und Tische standen bereit, überall brannten kleine Laternen und es roch weder rauchig noch nach verbrauchter Luft, wie er es aus vielen anderen Gaststätten kannte. Sogar die Bodendielen waren blank geputzt. Scheinbar hatte hier schon lange kein reges Treiben mehr stattgefunden. Der Waidmann bedachte die Wirtin mit einem Seitenblick. „Ihr sagtet Ihr habt kaum Vorräte?“ Seufzend ging sie um den breiten Tresen herum und holte einen Krug hervor. „Schon lange kommen keine Händler mehr in unser Dorf. Und unsere Jäger trauen sich nicht mehr aus ihm hinaus. Nur noch wenige Vorräte sind uns geblieben und wir müssen von dem Leben was uns die nahen Höfe bieten können.“ Der Waidmann löste seinen Umhang von den Schultern, er erinnerte sich an die Worte seiner Auftraggeberin als sie ihm die Vorräte in die Hand gedrückt hatte. Diese Verräterin wusste doch wieder mehr als sie ihm sagen wollte. Das dicke Fell hängte er auf und ließ vor Erleichterung die Schultern kreisen. Schon lange hatte er sich nicht mehr so leicht gefühlt. Als er sich wieder dem Tresen zuwandte bemerkte er zwar die Blicke der beiden, jedoch schien es ihn nicht zu kümmern. Die Wirtin starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Unter dem Fell hatte sich ein ganz anderes Bild von dem Jäger offenbart. Sein Körper war in einen langen schwarzen Mantel gehüllt der ihm bis zu den Knien reichte, auch der Rest seiner Kleidung war schwarz. Sie konnte an seinem Harnisch zwei breite Lederriemen erkennen die sich auf seiner Brust kreuzten. Zu beiden Seiten steckten jeweils vier kleine Fläschchen darin, welche mit Flüssigkeiten verschiedenster Farben gefüllt waren. An seinen, bis zu den Ellenbogen reichenden Handschuhen, waren auf den Fingerknöcheln Nieten angebracht, die zwar flach abgerundet waren, aber bei einem Faustkampf beachtliche Schäden hinterlassen könnten. Ein altes Buch war an seinem breiten Gürtel befestigt, gleich daneben baumelten zwei kleine Beutel mit ungewissem Inhalt. Ein weiterer Gurt schlang sich um seine Taille, daran befestigt war ein Köcher mit Pfeilen. Aber noch etwas anderes war an diesem Köcher befestigt. Eine Armbrust mit silbernen Verzierungen die sicher von großem Wert war, verlieh dem Fremden eindeutig seine Berufung. Neben der Waffe hatte er noch ein Jagdhorn befestigt. Bei all den Eindrücken die wie eine Sintflut über der Wirtin zusammen brach, hätte sie fast noch ein ganz anderes Detail übersehen, auf welches der Junge hinter dem Jäger mit erschlafftem Unterkiefer starrte. Auf dem Rücken des Jägers war ein Zweihänder befestigt, dessen Klinge gut versteckt in einer abgewetzten Lederscheide steckte, die er hier und da mit ausgefransten Stofffetzen geflickt hatte. Nachdem Fisk sich auf einem Hocker direkt am Tresen nieder gelassen hatte, schaute er in das erstarrte Gesicht der Wirtin, die noch immer den leeren Krug in Händen hielt. Da sie neben einem großen Fass mit Zapfanlage stand, ging er davon aus, sie hatte ihm vielleicht etwas zu trinken einschenken wollen. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf dem poliertem Holz des Tresens. „Entspreche ich für euch nun besser dem Bild eines Jägers?“ Feste presste die Wirtin beide Augen zusammen und schüttelte den Kopf als müsse sie erst wieder zu klarem Verstand kommen. „Ja. Schon besser.“ Sie schob den Krug unter die Zapfanlage und füllte ihn bis zum Rand mit Bier. Die Schaumkrone lief über und tropfte zu Boden. „Nun habe ich schon eher den Eindruck dass all unser Geld nicht umsonst zusammen gekramt wurde.“ Der Jäger betrachtete den Krug vor seiner Nase, angelte mit einem Finger nach dessen Griff und zog ihn näher an sich heran. Er hasste Bier, aber er entsann sich seiner guten Kinderstube und sagte nichts. „Lobt den Tag nicht vor dem Abend, nur weil Ihr mich gerufen habt, heißt das nicht, dass ich Euer Problem auch lösen kann.“ Betroffenes Schweigen setzte ein, der Jäger war es, der es wieder brach. „Kommen wir zum Geschäftlichen Mina. Ihr habt mich gerufen weil die Wälder hier verflucht sein sollen?“ Kurz presste die Wirtin die Lippen zusammen, ihr stieß es bitter auf dass der Fremde sie einfach mit ihrem Vornamen ansprach, aber auch sie entsann sich ihrer guten Kinderstube. „So ist es. Daher leiden wir auch im Moment Hunger. Das ganze begann vor ungefähr acht Monaten. Einige Dorfbewohner die im Wald unterwegs waren, sprachen von merkwürdigen Geräuschen und dem Gefühl beobachtet zu werden.“ Mit beiden Händen fuhr sie sich über die Oberarme, ganz als würde sie frieren. „Bis die ersten verschwanden. Seither kehrt niemand mehr zurück der den Wald betritt. Doch... das ist nicht alles. Wenn die Nacht herein bricht, hört man vom Waldesrand her Schreie und unmenschliche Geräusche. Seit sieben Wochen dann, kommt in jeder Sonntagnacht etwas aus den Wäldern.“ Minas Gesicht wurde mit jedem Wort deutlich blasser als würde sie einen Geist im Nacken des Jägers erblicken. „Ein jeder verriegelt die Türen. Niemand traut sich nachts noch auf die Straßen. Doch auch das stärkste Schloss kann sie nicht aufhalten wenn sie kommen um einen zu holen.“ Die blauen Augen des Jägers taxierten die Wirtin ganz genau, er konnte in jedem feinen Wanken ihrer Stimme deutlich erkennen dass sie niemand war, die sich hier von einer Schreckensgeschichte abschrecken ließe, die sie irgendwo aufgeschnappt hatte. Sie hatte den Schrecken wahrhaftig gesehen. In den Flaschen die hinter ihr Standen sah der Jäger das Spiegelbild des Jungen, der inzwischen aufgehört hatte die Gläser zu polieren. „Was kommt des nachts?“ Mina schüttelte so energisch den Kopf dass ihre welligen Haare hin und her flogen. „Das weiß ich nicht, ich habe die Wesen nie gesehen! In den Nächten verriegele ich jede Tür und jedes Fenster.“ Sie beugte sich dem Jäger über den Tresen entgegen und flüsterte als befürchte sie, jemand könnte ihre Worte belauschen. „Von der Bäckersfrau, die direkt vorn am Marktplatz mit ihrem Mann wohnt, weiß ich aber dass die das Wesen gesehen haben will. Ihr Nachbar wurde vor zwei Wochen geholt.“ Weit riss sie ihre braunen Augen auf. „Sie traute sich aus dem Fenster zu schauen und sah wie etwas die Straße in gebückter Haltung hinunter ging. Es versteckte sich nicht einmal und hielt gezielt auf die Tür zu. Die Bäckerin sagte, es habe grüne Haut gehabt, die Statur einer alten Frau und ganz langes weißes Haar.“ Mina richtete sich wieder auf verschränkte die Arme vor der Brust. „Das Wesen soll einfach so die verschlossene Tür aufgedrückt haben, man hörte den Schrei des Nachbarn, dann wurde es wieder still. Nicht lange dauerte es, dann zog das Wesen den leblosen Mann aus dem Haus.“ Thomas strich sich nachdenklich über das Kinn. Als seine Finger über die Stoppeln seines Bartes fuhren, füllte das scharrende Geräusch die Stille des Gasthauses. „Gab es Blut?“ „Nein. Blut wurde nie gesehen.“ Noch immer fuhr sich Fisk über sein Kinn. Die Beschreibung der Frau half ihm nicht viel. Zu wage. Unbrauchbar. Er nahm einen Schluck des ekelhaften Bieres gegen die Trockenheit seiner Kehle. Wieder trommelten seine Finger über die Bretter des Tresens während seine blauen Augen wieder die Wirtin beobachteten. „Ihr sagtet die Ereignisse hätten plötzlich begonnen? Keine Vorfälle?“ Mina blickte durch ein nahes Buntglasfenster. Alles was draußen vor sich ging, konnte man nur anhand von Schemen erahnen. Kein Mensch war auf der Straße. „Nein. Zumindest nicht das ich wüsste.“ Steckte eine Lüge hinter den Worten der Frau? Verheimlichte sie ihm etwas? Der Waidmann betrachtete jede Regung in ihrem Gesicht, doch er sah nur eine Unsicherheit die überall herrühren konnte. In ihren Augen lag etwas flehendes als sie Thomas anblickte. „Nebeljäger Fisk, Euer guter Ruf gelangte sogar in unser abgelegenes, kleines Dorf. Niemand sonst nimmt sich unserem Problem an. Die Stadtwache traut sich selbst nicht in den Wald. Wir sandten sogar schon ein Gesuch an unseren König in Siont. Doch niemand reagierte. Bitte helft uns!“ Der Waidmann griff zu seinem Hut und legte ihn neben dem Krug ab. Sein mittellanges, blondes Haar lockerte er auf als er mit den Fingern hindurch strich. Mit beiden Ellenbogen stützte er sich auf und schaute Mina fest in die Augen. „Ihr habt mich gerufen, und ich bin Eurem Ruf gefolgt. Wenn ich einen Auftrag annehme, werde ich so lange an ihm arbeiten, bis er gelöst ist.“ Kaum trat eine Art Erleichterung in das Gesicht der Wirtin, erklang zum ersten Mal die Stimme des Jungen der bisher stumm an seinem Tisch gesessen hatte. „Eben habt Ihr noch gesagt ihr könntet für nichts garantieren. Warum lügt Ihr?“ Fisk drehte sich auf seinem Hocker langsam zu dem vorlauten Bengel herum und lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen. „Das war keine Lüge. Ich arbeite so lange an meinem Auftrag bis er erledigt ist. Jedoch kann ich nie eine Garantie geben. Ich bin nur ein Mensch, jeder Auftrag könnte mein letzter sein, woher soll ich denn wissen was mich erwartet? Als Toter wird es mir wohl kaum möglich sein weiter zu jagen.“ Der Junge erhob sich von seinem Platz und verschränkte fast trotzig die Arme vor der Brust. „Ihr würdet kämpfen bis zum Tod? Das ist doch dämlich! Nur weil jemand Euch dafür bezahlt?“ Fisk entgegnete den Worten des Jungen mit einem müden Lächeln. „Ich bin ein Nebeljäger. Jeder, der Hilfe benötigt, kann einen Nebeljäger rufen, die Motive unserer Auftraggeber sind uns gleich. Wenn wir einen Auftrag annehmen sind wir unserem Auftraggeber loyal ergeben, so steht es in unserem Kodex. Und zu dieser Loyalität gehört den Auftrag zu erfüllen, unter allen Umständen. Man wird kein Nebeljäger der Bezahlung wegen.“ Der Junge schüttelte nur den Kopf und stemmte nun seine Arme in die Hüften. „Wenn ihr es nicht wegen der Bezahlung tut, wieso solltet Ihr euch sonst solch einer Gefahr ausgeben? Eure Loyalität ist käuflich!“ Über die Züge des Waidmanns huschte abermals ein Schmunzeln als würde es ihn amüsieren dieses trotzige Kind zu belehren. „Du hast keine Ahnung über unseren Orden, daher spare ich mir meinen Atem dir unseren Kodex zu erklären. Nur deine Frage will ich dir noch beantworten. Wir setzen uns der Gefahr aus, weil sie ein Teil der Leidenschaft ist, die unsere Berufung ausmacht. Ich bin kein Jäger geworden weil ich Kaninchen nachstellen will, ich will die richtige Jagd spüren.“ Er drehte sich langsam wieder zurück zu dem Tresen, doch seine Augen hafteten noch immer auf dem Jungen. „Außerdem sagte ich, ich bin jedem loyal gegenüber, der mir einen Auftrag gibt. Jedoch liegt es an mir welchen Auftrag ich annehme, und welchen nicht. Ich nehme keine Aufträge an, die gegen den wichtigsten Punkt unseres Kodex verstößt.“ „Ach, und was ist dieser wichtige Punkt?“ Der Junge trat ein paar Schritte vor, er vertraute dem Fremden noch immer nicht, er glaubte weiterhin er wolle seiner Mutter nur das hart verdiente Gold aus der Tasche ziehen. Der Waidmann antwortete ihm lediglich mit, „Das geht ein Kind wie dich nichts an.“ Wütend marschierte der Knabe auf den Jäger zu, doch der strenge Blick seiner Mutter und ihr scharfer Ton brachten ihn dazu sich zu zügeln. „Tobias! Halt jetzt endlich deinen Mund! Geh lieber auf den Markt und kauf das Brot um das ich dich schon vor Stunden gebeten habe.“ Auf dem Absatz machte der Junge kehrt, jedoch nicht ohne dem Fremden noch einen zornigen Blick entgegen zu werfen. Er sollte ruhig wissen dass er ihn im Auge hatte und er es ja nicht wagen sollte mit dem Geld seiner Mutter das Weite zu suchen. Mit stapfenden Schritten ging er die Treppe hinauf um sich für einen kleinen Einkauf auf dem Markt bereit zu machen. Mina seufzte leise und blickte den Waidmann entschuldigend an, „Bitte verzeiht. Mein Sohn ist etwas aufbrausend geworden.“ „Kein Grund sich zu entschuldigen, er will nur seine Mutter vor Gaunern beschützen und betrachtet ihm fremde Dinge mit Argwohn. Das zeugt von gesundem Menschenverstand.“ Nachdem er noch einen Schluck des scheußlichen Bieres genommen hatte schob er den Krug von sich und rutschte von dem Hocker hinunter. „Noch was das ich wissen müsste? Sonst würde ich mich mal etwas in dem beschaulichen Kraic umsehen.“ Die Wirtin überlegte kurz und schüttelte den Kopf. Sie ging um den Tresen herum und deutet auf eine Tür die sich gut versteckt hinter einer Nische versteckt hielt. „Ich habe eines der Zimmer für euch her gerichtet, natürlich müsst ihr dafür nicht bezahlen. Nur versorgen müsst ihr euch selbst, ich schaffe es kaum dass Tobias und ich nicht jede Nacht mit knurrenden Mägen zu Bett gehen müssen.“ Als Dank erhielt sie ein Nicken. Der Waidmann nahm sein dickes Fell vom Haken und folgte der Frau zu der Tür. Auch sie war mit einem dieser Buntglasfenster in der Mitte versehen. Scharrend zog die Wirtin sie auf und ging die steile Treppe hinauf. Jede der abgewetzten Stufen knarzte laut unter ihren Schritten. Es war ein grässliches Orchester als das Knarzen seiner Schritte sich dazu mischte. Nach nur wenigen Stufen hatten sie die erste Etage erreicht. Vor ihnen lag ein Korridor der von der Treppe aus sowohl nach Rechts, als auch nach Links abzweigte. Zu beiden Seiten sah er jeweils vier Türen an der Wand gegenüber der Treppe und jeweils zwei Türen an der anderen Wand. Jeder Korridor endete mit einem weit oben angebrachten, halbrundem Fenster. Es fiel nur schummriges Licht hinein, und so wie das Gasthaus in der Nische der Sackgasse gelegen war, vermutete er dass das Sonnenlicht von den angrenzenden Häusern geschluckt wurde. Auf dem Boden lag ein bunt bestickter Teppich der ihre Schritte dämpfte. Vor vielen Jahren einmal musste er einen prächtigen Eindruck gemacht haben, nun aber war er durch die Besucher die hier ein und aus gegangen waren schon sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Als er der Wirtin den Korridor nach Links hin folgte betrachtete er das Muster des Teppichs. Es zeigte eine Schlacht in der Männer mit gelb roten Wimpeln und massiven Rüstungen, Männer in die Flucht jagten, die schäbige schwarze Rüstungen trugen. Er kannte das Banner auf den Wimpeln wieder, es war das Banner des Königreiches Siont, in dessen Herzen er sich gerade befand. An den Wänden gab es kleine Öllampen in denen zu dieser Zeit kein Feuer brannte, doch das schummrige Licht reichte auch so gerade aus. An der letzten Tür zur Rechten angekommen überreichte sie ihm den Schlüssel den sie während des kurzen Weges von ihrem Schlüsselring abgetrennt hatte. „Keines der ist Zimmer belegt, da wie ich sagte im Moment kaum Menschen von Außerhalb in unseren Ort kommen. Dies hier ist das größte Zimmer das ich Euch bieten kann.“ „Für mich bedarf es keinem großen Zimmer, ich werde sowieso kaum hier sein.“ Die Wirtin hob abwehrend die Hand und drückte seine Finger fest um den Schlüssel den sie ihm gegeben hatte, ihr Blick war auf ihre beider Hände gerichtet. „Was eure Bezahlung angeht... Mehr können wir Euch wirklich nicht bieten als den kleinen Betrag den ich in meinem Gesuch schrieb. Ich dachte schon ihr würdet für so ein paar mickrige Silbertaler gar nicht erst kommen. Ich kann euch nicht einmal verpflegen. Es ist mir eine Schande um Hilfe zu bitten, daher lasst mich doch zumindest alles dafür tun...“ ,ein Zeigefinger verschloss ihre Lippen. Mit von Tränen verschleierten Augen blickte sie zu dem Jäger auf. Der Ausdruck in seinem Gesicht wirkte kühl, aber seine leise Stimme hatte etwas beruhigendes. „Ruhe. Ich bin vollkommen zufrieden mit allem, wie es ist. In Ordnung?“ Nachdem sie ihm zögerlich zugenickt hatte nahm er seinen Finger wieder von ihren Lippen und entzog seine Hand ihrem festen Griff. Behutsam schob er sie zur Seite um an die Tür zu seinem Zimmer zu gelangen und steckte den Schlüssel in das Loch. Die Wirtin ging einige Schritte rückwärts und deutete eine Verbeugung an, ihr Gesicht wirkte plötzlich um viele Jahre gealtert. „Wenn ihr dennoch etwas braucht, ihr findet mich unten.“ Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter Fisk ins Schloss. Seine Augen brauchten einen Moment lang bis sie sich nach dem Dämmerlicht des Flures an die Helligkeit in seinem Zimmer gewöhnt hatten. In dem überraschend geräumigen Zimmer stand ein breites Bett, wahrscheinlich war diese Räumlichkeit sonst einem verheirateten Paar vorenthalten. Dazu gab es einen Schrank aus edlem Kiefernholz, einen Tisch und zwei Stühle. Was ihn aber wohl am meisten überraschte war ein gusseiserner Ofen unweit des Bettes, daneben stand ein kleiner Korb mit einigen Holzscheiten. Frieren musste er wohl erst einmal nicht mehr, darüber war er mehr als froh. Er ging zu einem der kleinen Fenster. Im Gegensatz zu dem Anderen blickte man nicht direkt auf die Mauer des Nachbarhauses. Es spendete reichlich Licht und er konnte hinunter in einen kleinen Hof blicken. Dort sah er einen kleinen Garten, in dem alles Leben durch den Winter schon zum Erliegen gekommen war, aber er vermutete dass die Wirtin dort einiges an Obst und Gemüse selbst anbauen konnte. Hinter dem Garten konnte er einen Verschlag erkennen, der ganz nach einem Hühnerstall aussah. Das sollte sein Begleiter Veldig besser nicht spitz bekommen. Viel mehr konnte er neben einer weiteren Häuserwand und der Mauer des Dorfes nicht erkennen. Die Mauer wahr nicht all zu hoch, dahinter konnte er in einiger Entfernung schon die ersten Baumkronen des Waldes aufragen sehen. Nachdem der Waidmann seine Reisetasche aus dem Stall geholt hatte und Veldig von der Last seines Sattels erlöst, beschloss er sich in dem Dorf ein wenig umzusehen. Mittlerweile hatte sich der Himmel durch dichte, graue Wolken verdunkelt und hier und da rieselten ein paar Schneeflocken hinab. Kraic war kein so winziges Dorf wie er zunächst angenommen hatte. Als er so durch die gepflasterten Gassen schlenderte kam er an an allerlei Geschäften von verschiedenen Handwerkern vorbei, es gab Schneiderinnen, Gerber, einen Juwelier, ja sogar einen kleinen Laden mit den edelsten Duftwässerchen entdeckte er. Das Dorf hatte durchaus ihren Charme, die Straßen waren zum größten Teil recht sauber, sogar das kleinste Häuschen hatte Fensterscheiben aus Glas und nun erstreckte sich vor ihm ein großer, runder Marktplatz. Er bot Freiraum für allerlei Stände, er konnte sogar erkennen dass überall noch Vorrichtungen waren wo man Vieh hatte anbinden können. In den Rinnsalen fanden sich noch Spuren von Stroh und Heu. Doch eine Sache verlieh der gesamten Atmosphäre des Dorfes etwas düsteres. Die Stille. Auf den Straßen, und von denen hatte er einige durchstreift, hatte er kaum Menschen erblickt. Und jene die seinen Weg gekreuzt hatten, warfen ihm verstörte Blicke zu. Dabei hatte er extra wieder sein dickes Fell übergezogen um seine Waffen zu verbergen. Oftmals machten sie die Menschen nervös. Mittig auf dem großen Platz befand sich eine Überlebensgroße Statue die in erhabener Pose auf einem Podest errichtet war. Der Mann wahr wohl genährt, hatte volles, lockiges Haar und einen Schnauzbart der sich zu beiden Seiten verspielt nach oben kringelte. Seine Kleidung war vom aller feinsten und die Spitzen seiner Schuhe waren nach oben gebogen. Fisk fand diese Darstellung mehr als lächerlich. Als er näher an die Statue heran trat konnte er eine bronzene Plakette erkennen die an dem Sockel befestigt war. Ihre Aufschrift lautete: Bürgermeister Ivan Müllebreck. Gute Seele und Beschützer von Kraic. Der Waidmann musste schmunzeln, selten hatte er solch etwas lächerliches gesehen. Er hatte genug vom Dorf in Augenschein genommen. Sein Weg führte ihn weiter, an einer Kirche vorbei, zu einem kleinen Pfad der aus Kraic hinaus führte. Seine Füße kamen an den ersten Büschen und Sträuchern zum stehen, er war nur noch wenige Schritte von den ersten Baumreihen entfernt. Vor ihm lag der verfluchte Wald. Alles war von Frost und zartem Puderschnee bedeckt. Kahle Äste schraubten sich dem Himmel entgegen und ein kalter Wind brachte die kleinen Zweige zum Rascheln. Ihm fiel es sofort auf. Wieder diese Stille. Nichts schien sich aus dem Inneren des Waldes zu regen, nicht einmal das Zwitschern der Vögel war zu hören. Alles was an sein Ohr drang waren die Geräusche des verschlafenen Dorfes hinter ihm. Langsam schob er seine Füße voran, passierte die ersten Bäume. Die gefrorenen Blätter unter seinen Stiefeln knirschten leise. An seinem Rücken verspürte er ein leises Summen, plötzlich blieb er stehen und ballte die Hände zu Fäusten. Er wusste was das Summen bedeutete. Sein Schwert spürte etwas, etwas das hier an diesem Ort nichts zu suchen hatte. Noch ein wenig langsamer ging er weiter, blickte nach Rechts und nach Links. Das Knacken eines Astes durchbrach die Stille so abrupt dass es in seinen angespannten Ohren schmerzte. Der Schnee, welcher einem Ast zur Last geworden war, rieselte zu Boden. Fisk suchte die Baumkronen ab, doch in den kahlen Zweigen konnte sich nichts verbergen. Gerade als er seinen Weg fortsetzen wollte, erblickte er einen Schatten weit hinten im Unterholz. Eine dunkle merkwürdig geformte Silhouette hob sich von denen der Bäume ab. Ihm war als starrte es ihn an. Ein Gesicht erkannte er nicht, aber es starrte ihn an. Er wusste es. Ein Lauter Ruf hallte durch den Wald, der Jäger wirbelte blitzschnell herum und fuhr mit seiner Hand unter das dicke Fell. Seine Finger schlossen sich gerade um den Griff der Armbrust als er einen Mann erkannte, welcher ihm mit einem Arm wild zuwinkte. „He! Ihr da! Geht nicht in den Wald!“ Fisk blickte wieder zurück, dort zwischen den Bäumen wo er den Schemen ausgemacht hatte, war nichts mehr zu erkennen. Suchend schweifte sein Blick umher, doch was immer ihn beobachtet hatte, war verschwunden. Seufzend ließ der Waidmann seine Armbrust wieder los und ging mit langen Schritten zurück zu dem Mann, der einen gehörigen Abstand zum Waldesrand gelassen hatte und ihm immer noch mit einem Arm zuwinkte. Mit dem zweiten stützte er sich auf einer Schaufel ab. Die Kleidung des alten Mannes sah bereits sehr verschlissen aus, auf seinen Knien waren bereits zu beiden Seiten große Flicken angebracht. Die unrasierte Haut seines faltigen Gesichts hing schlaff herab und unter seinem Hut ragten ein paar graue, verfilzte Haare heraus. „Seid ihr denn noch ganz bei Sinnen den Wald zu betreten? Hat euch niemand davor gewarnt Fremder?“ „Doch. Wegen dieses Waldes bin ich überhaupt hier.“ Der Waidmann kam kurz vor dem Mann zum stehen, der ihm nun ein fast zahnloses Grinsen schenkte. Hier und da waren noch einige faule Stummel erhalten geblieben. „Ah ihr seid der Jäger, stimmt´s? Die Witwen haben das Geld für euch zusammen gekratzt.“ „Nein. Die Wirtin...“ ,der alte Mann machte eine wegwerfende Handbewegung und rammte seine Schaufel in den gefrorenen Boden, sodass ein paar Splitter harter Erde davon flogen. „Ja, sag ich doch. Die Witwen.“ Der glasige Blick des Mannes musterte Fisk eine ganze Weile dann drehte er sich herum und humpelte wieder den kleinen Pfad entlang, seine Schaufel nahm er als Ersatz für einen Gehstock. „Kommt mit.“ Noch einen Blick warf der Jäger über seine Schulter und erhoffte noch irgendetwas verdächtiges zu erblicken, aber der Wald lag still und ruhig da. „Ihr sagtet die Witwen hätten mich gerufen? Mina Bach, die Wirtin hatte das Hilfegesuch versandt.“ Jene Frau die ihm vielleicht doch nicht alles erzählt hatte. Der alte Mann ging hinkend den schmalen Pfad zurück in das Dorf. „Sie und ein paar andere Frauen haben all ihre letzten Silbertaler zusammen gekratzt wie ich hörte um Euch zu rufen. All diese Frauen müssen sich, seit ihre Männer fort sind, allein durchschlagen versteht ihr? Es kommen kaum noch Besucher nach Kraic und das Leben ist hart geworden. Der Winter wird viele Mägen leer lassen. Wir legen viel Hoffnung in Euren Besuch.“ Fisk hob skeptisch eine Braue. „Warum müssen ein paar Frauen mich rufen? Gibt es nicht andere die...“ ,bevor er weiter sprechen konnte, grunzte der alte Mann laut und spuckte auf den Boden. „Ihr stellt die falschen Fragen! Weil ihre Not am größten ist natürlich. Die anderen denken sie werden es irgendwie noch schaffen, und wieder andere scheißen sich lieber Haufen in ihre Hosen vor lauter Angst sie könnten die Dämonen des Waldes nur noch mehr verärgern, wie der Bürgermeister es überall herum erzählt.“ „Aha. Dämonen. Was erzählt der Bürgermeister noch?“ Wieder begegneten ihm die glasigen Augen des alten Mannes, sein Zahnloses Grinsen überzog sein ganzes Gesicht. „Der fette Bastard? Na dass sich Dämonen in unseren Wäldern herum treiben! Sie wurden uns von Gott gesandt“ , er machte eine wegwerfende Handbewegung hoch in den Himmel, „Weil wir nicht genug beten. Macht einen auf streng gottesfürchtig das fette Schweinchen. Er sagt wir müssen nur ausharren und beten, dann würden die Dämonen rasch von uns ablassen und bessere Zeiten würden wieder heran brechen.“ Fisk leckte sich unter seinen Lippen über die oberste Zahnreihe. „Ihr mögt den Bürgermeister nicht sehr, was?“ Nochmal spuckte der alte Mann auf den Boden und rammte bei jedem Schritt seine Schaufel fester vor seine Füße. „Machen viele nicht. Aber sie sind zu feige, haben Angst verstoßen zu werden. Wisst Ihr, niemand aus den anderen Städten und Dörfern rund herum nimmt Bürger aus Kraic auf, die vor all dem hier geflohen sind. Sie denken nicht nur unsere Wälder seien verflucht, sondern wir auch. Man hat keine Wahl, entweder man verhält sich ruhig, oder man leckt dem Bastard die schicken Stiefel in der Hoffnung in seinem Arsch noch ein paar Krümel Brot zu finden.“ Die beiden Männer bogen am Rande der Kirche auf einen kleinen Pfad ein, der unter den tief hängenden Armen einer Trauerweide hindurch führte. „Wolltet Ihr mir etwas zeigen, oder warum rieft ihr mich zurück?“ „Bist ein ganz schlaues Bürschchen.“ Der alte Mann öffnete den morschen Zaun und betrat mit dem Jäger im Rücken den Friedhof von Kraic. Sie gingen hindurch zwischen verwitterten Holzkreuzen und ein paar Steinen mit Inschriften der besser Betuchten. Unter der leichten Decke aus Schnee konnte der Waidmann die Hügel noch gut ausmachen unter denen die Toten ruhten, ohne versehentlich auf eines der Gräber zu treten. Vor ihnen stand, an einem offenem Grab, ein Mann in weißer Kutte und zitterte vor Kälte am ganzen Leib. Auch sein Buckel war vom Alter bereits krumm geworden und das letzte bisschen Haar dass ihm noch geblieben war, zierte seinen Hinterkopf in der Form eines kleinen Kranzes. Er hob seinen Kopf und blickte sichtlich verärgert den Beiden entgegen. „Da seid Ihr ja! Wen habt Ihr denn da angeschleppt?“ Kichernd blieb der Mann mit der Schaufel stehen und deutete mit seinem Kinn hinüber zu Fisk. „Das ist der Nebeljäger.“ Mit großen Augen starrte der andere Mann ihn an, und kniff sie direkt vor Skepsis so weit wieder zusammen, dass nur noch zwei schmale Schlitze zu sehen waren. „Aha. Und der soll die Dämonen vertreiben?“ Fast schon drohend hob er einen Finger in die Luft und wedelte damit vor Fisks Gesicht herum. „Ich, Pfarrer Petersen bete für dieses Dorf! Gott wird es sein der unsere Gebete erhört und uns schließlich von den Dämonen befreit. Wir brauchen Euch nicht.“ „Meine Auftraggeberin denkt da etwas anders.“ Über die dreiste Antwort des Jägers wich der Gläubige zurück und schüttelte verdrießlich seinen Kopf. Fisk fuhr sich über die Stoppeln an seinem Kinn um ein Schmunzeln zu unterbinden. „Woher wollt Ihr denn wissen dass es Dämonen sind, die hier ihr Unwesen treiben?“ Der Pfarrer ging so dicht an den Waidmann heran, dass dieser seinen schlechten Atem riechen konnte. Und auch in seinen Augen sah er die Wut ihm gegenüber. Er, der Fremde, der in das Dorf gekommen war um zu zeigen dass ein paar Gebete nicht ausreichend waren, um dem Spuk ein Ende zu setzen. „In Jeder Nacht zum Ruhtag kommen sie einen Ungläubigen holen! Alle die, welche von den Dämonen fort gebracht wurden, waren alles Sündiger. Ich kannte sie alle! Sie alle haben bei mir ihre Beichten abgelegt. Aber alles haben sie mir nicht immer erzählt, es waren meine wachen Augen die ihr sündiges Verhalten enttarnt haben.“ Der Gläubige ging wieder vor das offene Grab und starrte hinein. „Außerdem erwarte ich gleich meinen nächsten Beweis!“ Er winkte den alten Mann mit der Schaufel zu sich und deutete auf das Grab zu seinen Füßen. „Totengräber! Sagt was Ihr gefunden habt!“ Mit seinem Zahnlosen Grinsen ging der alte Mann um das Loch im Boden umher, und nutzte seine Schaufel weiterhin als eine Art Gehstock. „Etwas dass Euch sicher gefallen wird heiliger Vater. Ihr hattet Recht. Die Toten rebellieren.“ Fisk trat näher an die beiden Männer heran als sich der Totengräber schwerfällig hinab in das Grab begab. Der Sarg war aus Stein, ein Zeichen dass hier einer der Wohlhabenden ehemaligen Bewohner lag. Nur die wenigen konnten sich einen Steinsarg leisten, selbst einer aus Holz war für die meisten schon zu viel, und ihre Liebsten verrotteten in Leinentüchern daher. Der Totengräber schob den Sargdeckel stöhnend einen Spalt zur Seite und nutzte seine Schaufel dazu die Platte vom Grab weg zu hebeln. Leere Augenhöhlen starrten hinauf in den grauen Himmel. Fast vorwurfsvoll blickten sie auf die drei Männer empor die seine letzte Ruhe störten. Die Kleidung war fast gänzlich verfault und die blanken Knochen befreit von jeglichem Fleisch. Angewidert hielt sich der Pfarrer ein feines Taschentuch vor Mund und Nase während er sich vorbeugte um sich den Toten besser an zu sehen. „Ja, und was hast du nun herausgefunden?“ Unter der langen Krempe seines Hutes konnte der Waidmann noch immer das zahnlose Grinsen erkennen während der Totengräber den Leichnam genau musterte. Seine Stimme schnarrte leise, fast ein Hauch von Verzücken war zu erkennen aufgrund des Stolzes, den er empfand weil er eine solch bedeutende Entdeckung gemacht hatte. Mit seinem knochigen Finger deutete er auf die Hände des Toten, die wie zu einem Gebet auf seiner Brust verschränkt waren. „Seht ihr die Fingerspitzen? Sie sind abgeschürft, fast die Hälfte der ersten Fingerknöchel fehlt bereits.“ ,sein Fingerzeig richtete sich auf die Unterseite der Grabplatte. „Und hier hat er sie sich abgewetzt. Seht die Kratzspuren!“ Der Pfarrer riss seine Augen so weit auf, dass es wirkte als würden sie jeden Augenblick komplett aus seinem Kopf treten. So weit vornübergebeugt verlor er das Gewicht und drohte in das offene Grab zu stürzen. Mit rudernden Armen fand er im letzten Augenblick sein Gleichgewicht wieder und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Rasch und mit zitternden Händen bekreuzigte er sich, dazu sprach er im Flüsterton ein Gebet. Er war unfähig die Augen von dem schrecklichen Anblick abzuwenden. Fisk sprang ungefragt hinab in das Loch, und stellte sich in den kleinen Spalt neben dem Grab, welchen der Totengräber noch zusätzlich geschaufelt hatte. Als er sich über den Toten beugte betrachtete er genau dessen Fingerkuppen die schon gar nicht mehr als solche zu erkennen waren. Der Knochen war deutlich abgerieben. An allen Fingern, mit Ausnahme des Daumens. Der Waidmann legte den Kopf leicht schief und beäugte nun die Kratzspuren an dem Deckel des Sargs. Es war wirklich so als wäre hier jemand lebendig begraben worden, und hatte versucht sich zu befreien. Eine seiner Hände schälte er aus seinen Handschuhen und fuhr mit seinen Fingern über die Kratzspuren. Sie waren nicht tief, und als er seine Fingerspitzen aneinander rieb konnte er den feinen Knochenstaub zwischen ihnen spüren. „Ihr schändet die letzte Ruhe des Toten!“ Empörte sich der Pfarrer vom oberen Rand des Grabes. Ohne aufzusehen bekam er vom Waidmann die passende Antwort, begleitet von einer Kälte in der Stimme die den heiligen Mann verstummen ließ. „Das habt Ihr bereits getan als Ihr dieses Grab ausheben ließt. Mich würde mal interessieren wieso Ihr das zugelassen habt?!“ Als aber der Pfarrer das Schweigen statt einer Antwort vorzog, schnarrte der Totengräber neben ihm los, während dieser in das wütende Gesicht des Heiligen hinauf blickte. „Unser Heiliger Vater vernahm des Nachts dumpfe Schreie und ein leises Scharren vom Friedhof. Nacht für Nacht. Als würden die Toten versuchen aus ihren Gräbern auszubrechen. Oder etwas ihre friedliche Ruhe stören, sodass sie der Ursache selbst auf den Grund gehen wollten.“ Fisk betrachtet den feinen Knochenstaub auf den Fetzen die auf des Toten Brust lagen, und wohl einmal ein Hemd gewesen waren. „Und warum habt ihr gerade dieses Grab ausgehoben?“ ,wollte er von dem Totengräber wissen. „Wisst ihr eigentlich wie viele Tage ich damit verbracht habe diesen gefrorenen Boden aufzubrechen und mich bis zu dem Grab durch zuschaufeln? Vier Tage! Da dieses Grab hier durch den massiven Grabstein vom kalten Ostwind geschützt war, und zudem unter dem Schutz der Äste der Trauerweide lag, habe ich mich für es entschieden. Es werden ja wohl nicht nur ausgewählte Tote randalieren, daher spielte es keine Rolle welches Grab ich aushebe. Mein Rücken ist nicht mehr der beste, daher habe ich das genommen was vielleicht am einfachsten war.“ Die ausführliche Antwort tat der Waidmann mit einem Nicken ab und bäumte sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Er konnte keinen Hinweis darauf erkennen dass der Totengräber das ganze hier nur inszeniert hatte. Die Höhe der Kratzer auf der Steinplatte stimmten mit der Höhe der Hände des Toten überein, und es waren eindeutig seine Finger gewesen die diese Kratzer hinterlassen hatten. Nachdem Fisk sich aus dem Grab gehoben hatte, bot er seine Hand dem Totengräber an, welcher sie dankbar annahm. Der Pfarrer machte eine ärgerliche Handbewegung. „Ich werde mit dem Bürgermeister sprechen und veranlassen dass ab heute jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend eine Messe zusätzlich einberufen wird. Wir alle sollten zusammen dafür beten dass die Dämonen verschwinden und die Toten ihre Ruhe wieder finden.“ Nachdem er sich zum Gehen abwandte, humpelte ihm der Totengräber nach und streckte seine knochige Hand aus. „Und was ist mit meinem Lohn? Ich habe vier Tage lang gefrorene Erde gehackt.“ Die kalten Augen des Pfarrers mahnten den alten Mann nicht so gierig zu sein. Er strich seine weiße Kutte glatt und wandte sich wieder ab. „Gottes Dank ist Euer größter Lohn. Woher soll ich als Heiliger Vater der nichts besitzt, euch bezahlen?“ Nachdem der Pfarrer außer Hörweite war, spie der Totengräber auf den Boden und fluchte verbittert. „Gottes Dank kann ich aber nicht fressen du dreckiger Hund!“ „Ihr scheint den Heiligen Vater nicht sehr zu mögen?!“ „Pah! Glaubt er kann hier einen auf selig machen und davon sprechen er wisse alles über die Sünden der Anderen. Habt ihr seinen fetten Wanst gesehen? Frisst sich jeden Abend an der Tafel des Bürgermeisters voll und nimmt das Gold aus dem Klingelbeutel um sich danach noch heimlich eine Flasche Wein zu kaufen. Er denkt ein alter Sack wie ich ist blind und taub was?“ Verärgert machte sich der Totengräber wieder daran die harten Erdbrocken um das Grab herum wieder zusammen zu kratzen und die Ruhestätte des Toten erneut zu versiegeln. „An der Tafel des Bürgermeisters? Ich dachte die Bewohner von Kraic leiden Hunger?“ Fisk rieb sich wieder über seine Bartstoppeln und warf einen Blick in die Richtung in die der Pfarrer verschwunden war. Durch die Buntglasfenster der Kirche konnte er erkennen wie nach und nach im Inneren Kerzen angezündet wurden und Flackerndes Licht in die kommende Dämmerung des Abends warfen. Der zornige Unterton in der Stimme des Totengräbers schwoll um ein vielfaches an. Noch eifriger machte er sich daran die harte Erde zu zerschlagen und die kleinen Krümmel in das Grab zu füllen. „Die Normalsterblichen müssen Hungern, während sich der reiche Pöbel ihre fetten Bäuche vollschlägt. Ist doch immer so! Ich habe es selbst gesehen und gehört! Meine Frau ist Köchin des Bürgermeisters. Sie hat mir erzählt wie voll die Speisekammer steht´s ist, und da ich es nicht glauben wollte, holte ich sie eines späten Abends selbst ab und konnte einen Blick hinein werfen. Alles was das Herz begehrt lagert dort! Und wir müssen uns die Maden aus der Hirse klauben und eine dünne Suppe daraus kochen um nicht zu verhungern.“ Nach seinen Worten spuckte er wieder auf den Boden. Der Waidmann betrachtete den Totengräber einen langen Augenblick und bewegte seinen Unterkiefer langsam hin und her als würde er seine Gedanken ganz genau zermalmen müssen bevor er sie ordnen konnte. Er war erst einen halben Tag hier und hatte einiges erfahren, von dem manche Dinge nicht gerade neu waren. Gierige Adlige und scheinheilige Pfarrer gab es in jeder gesunden Gemeinde wie Sand am Meer. Eine warme Hand legte sich auf die Schulter des Totengräbers und brachte ihn dazu seine harte Arbeit zu unterbrechen. Der Waidmann drückte ihm einen Goldtaler in die Hand und schloss die knochigen Finger des ungläubig drein blickenden Mannes darum. „Für eure Arbeit.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging durch die Straßen zurück zum Gasthaus. In seinen Gedanken kreiste nur eine Frage. Was konnte die Ruhe der Toten so sehr stören, dass sie die Flucht aus ihren Gräbern anstrebten? Welches Grauen nahmen sie wahr, von dem er vielleicht noch nichts ahnen konnte? Als Fisk die Gaststätte erreichte, wurde der Himmel schon deutlich blasser, dennoch würde es noch mehr als eine Stunde dauern bis die Sonne unter ging. Um so mehr wunderte es ihn, dass er Musik vernahm, als er sich der Tür zum Innenraum näherte. Das Murmeln mehrerer Gäste die sich an den runden Tischen der Bar niedergelassen hatten, verstummte fast gänzlich als der Waidmann eintrat. Jedes anwesende Augenpaar war auf ihn gerichtet. Nur ein Barde, ganz hinten in der rechten Ecke auf einer kleinen Anhöhe, saß weiterhin schunkelnd auf seinem Stuhl und gab ein Lied zum besten. Einige der Gäste steckten die Köpfe etwas näher zusammen und nahmen ihre Gespräche wieder auf. Die Wirtin Mina winkte den Jäger heran und deutete auf einen Hocker zwischen einer Gruppe von Männern, die ähnliche Hüte wie er auf seinem Haupt trugen. Jäger. Gewöhnliche Jäger. Fisk seufzte leise und ließ sich auf dem freien Platz nieder, als Mina bereits mit einem großen Krug auf eines der Bierfässer zuhielt, hob er eilig die Hand. „Habt ihr vielleicht noch etwas anderes als Bier?“ Für einen Moment lang wurde er aus großen Augen fragend angestarrt. Jeder in Kraic liebte dieses Bier abgöttisch, wieso sollte er etwas anderes wollen? Verdutzt ging sie an dem großen Regal hinter sich entlang in welchem Flaschen verschiedenster Art ihren Platz gefunden hatten. „Habt ihr Rum da?“ Die Frage des Jägers brachte ihm noch mehr fragende Blicke ein. Ohne ein Wort zu sagen nahm Mina eine der staubigsten Flaschen aus dem Regal und schenkte ihm ein wenig des klaren Alkohols ein. Etwas unsicher schob sie ihm das nicht einmal halbvolle Glas hin, doch der Jäger machte eine wedelnde Handbewegung sie solle das Glas doch bitte wieder zurück nehmen. „Etwas voller bitte.“ Mina schluckte und füllte das Glas bis zum Rand und schob es ihm wieder hin. Fisk, ein dünnes Lächeln auf den Lippen, nahm einen guten Schluck des Gesöffs und atmete tief durch. Erst dann schenkte er den Männern um ihn herum Aufmerksamkeit. „Nun denn. Ihr sitzt doch nicht alle zufällig hier oder? Was brennt euch unter den Nägeln?“ Ein stämmiger Mann zu seiner Linken stemmte eine seiner Fäuste in die Seite und beugte sich weit zu Fisk vor. „Ihr seid tatsächlich ein Nebeljäger?“ Nachdem sein Gegenüber nicht die Höflichkeit besaß auf seine Frage zu antworten schnaubte der Jäger genervt auf und kratzte sich an seinem Bierbauch. „Ich meine... habt Ihr keine Manieren? Setzt Euch hier in voller Montur an den Tisch und legt nicht einmal Eure Waffen ab?“ Fisk nahm noch einen Schluck und leerte das Glas fast bereits schon, wenn das so weiter ginge, würde er vielleicht doch noch ein zweites gebrauchen können. Diesmal drehte auch er sich auf seinem Hocker zu dem anderen Jäger herum und lehnte sich entspannt am Tresen an. „Komm zum Punkt, und kau mir kein Ohr ab. Was ich mache oder lasse geht nur mich und meinen Auftraggeber etwas an.“ Langsam rollte sein Kopf zu Mina hinüber die noch immer auf sein Glas mit dem verbliebenen Rum starrte. „Stört es Euch wenn ich meine Waffen trage?“ Die Wirtin zog ihre Schultern hoch und warf sich ein Handtuch, welches sie zum Abtrocknen der Gläser verwendete, über die Schulter. „Ich denke nicht. So wärt ihr bereit wenn es zu einem Angriff kommt. Außerdem denke ich nicht, da ich Euch einlud, dass ihr beabsichtigt hier Ärger zu machen.“ Fisk lächelte ihr zu, sein Kopf rollte wieder langsam über seine Schulter nach vorn. Bis er in das rote Gesicht des anderen Jägers blickte, war sein Lächeln bereits erloschen. „Also. Kommt zum Punkt.“ Das aufgedunsene Gesicht des Jägers färbte sich noch mehr rot, sein Mund schnappte auf wie der eines Fisches. Bevor er allerdings sagen konnte, was ihm auf der Seele lag, schob sich eine Hand auf dessen Schulter um ihn zu beruhigen. Hinter dem Koloss erhob sich ein weiterer Jäger der Gruppe von seinem Platz, und trat an die Seite seines Kollegen. Sein dichter Bart zog sich auseinander und offenbarte eine Reihe gepflegter Zähne. „Entschuldigt meinen Freund hier. Mein Name ist Ron. Wir sind die Jäger dieser Stadt. Es ist nur so, dass ganz Kraic bereits in Aufruhr ist vor Freude dass ihr zu uns gekommen seid. Ihr müsst wissen, wir alle leiden unter der momentanen Situation und daher liegen unsere Nerven etwas blank.“ Grimmig warf er seinem Kumpanen einen Blick zu und gab ihm ein Zeichen, den Platz frei zu machen. Nachdem sich Ron wieder niedergelassen hatte, stützte er sich mit beiden Händen auf seinen Knien ab und beugte sich Fisk entgegen. Sein Lächeln erlosch. „Viele von uns haben ihr Leben in den Wäldern gelassen als sie versuchten dem Grauen ein Ende zu setzten. Das Grauen, was uns schon so lange in dieser Starre hält. Jäger, Soldaten, wirklich gute und erfahrene Männer unserer Stadtwache zogen in die Wälder und kehrten nie zurück. Der König schickt uns keine Hilfe, wahrscheinlich hat er uns schon aufgegeben. Wir sagen uns immer, wir geben nicht auf. Komme was wolle. Aber unsere Hoffnung schwindet denn wir blicken einem harten Winter ohne Vorräte entgegen. Ihr seid unsere letzte Hoffnung, Nebeljäger.“ Mit seinem Kinn deutete er auf Mina, die sichtlich mit den Tränen kämpfte, dann fixierte er wieder die blauen Augen von Fisk. „Lady Bach, die erst vor kurzem ihren Mann verlor, hat den meisten Mut von uns allen bewiesen und Euch ein Hilfegesuch geschrieben. Wir wollen Euch nur klar machen, wie viel für uns auf dem Spiel steht. Wenn ihr uns nicht helfen könnt, dann wissen wir nicht, wen wir noch um Rat fragen sollten.“ Ron beugte sich noch ein wenig weiter vor und setzte zum Flüsterton an, als fürchte er seine Worte könnten von den falschen Ohren aufgeschnappt werden. „Uns wird immerzu gesagt wir sollen die heiligen Messen besuchen und beten. Es heißt dieser Fluch ist über uns gekommen, weil viele von uns Sünde im Herzen tragen, und all der Schrecken würde enden, wenn alle Sündiger von den Ungeheuern geholt wurden. Doch soll ich Euch etwas sagen? Ich gebe nichts auf Gebete! In der letzten Woche holten sie meinen Bruder, und der liebe Gott sollte eigentlich wissen dass es keinen frommeren Mann als ihn in ganz Siont gegeben hat!“ Fisk hielt sein Glas ein wenig hoch und schwenkte den letzten Schluck eine Weile lang hin und her, bevor er ihn brennend seine Kehle hinab sickern ließ. Als er das Glas wieder abstellte ließ er einmal die Schultern kreisen und nahm seinen Hut ab. „Warum nennt ihr die Lady Bach mutig nur weil sie mir ein Hilfegesuch geschickt hat? Dafür braucht man keinen Mut.“ Er konnte den empörenden Blick der Wirtin aus dem Augenwinkel erahnen. Viele Köpfe drehten sich aufgrund der dreisten Bemerkung zu dem Jäger herum. Der Barde bemerkte dass die Stimmung im Gasthaus deutlich drohte zu kippen. Einige Männer erhoben sich von ihren Plätzen und ballten die Hände zu Fäusten. Bereit ihm jeden Zahn einzeln aus seiner Visage zu prügeln. Fisk lehnte sich mit seinem Rücken an den erstarrten Mann, der hinter ihm saß, hob sein Bein und stellte seinen Fuß auf das Stückchen Hocker welches zwischen Rons gespreizten Beinen hervor lugte. Die Arme vor der Brust verschränkt zuckte Fisk mit den Schultern und legte den Kopf leicht schief während er Ron genau taxierte. „Ihr missversteht mich. Das sollte keine Anfeindung sein. Ich will nur wissen, was ihren Mut ausmacht.“ Sein Gegenüber starrte ihn aus zusammen gekniffenen Augen an, und deutete auf die Wirtin. „Diese Frau hat ganz allein das Dorf in früher Morgenstunde verlassen, und hat sich bis hoch zur Küstenstraße durchgeschlagen um einen Boten abzupassen dem sie das Hilfegesuch überbringen konnte. Diese Straße führt eigentlich auch hinab in unser Dorf, aber niemand traut sich mehr zu uns. Bis zu dieser Straße und wieder zurück, benötigt man mehr als einen Tag. Doch diese Frau, hat es ganz allein geschafft, in den letzten Atemzügen des Tageslichts wieder hier her zurück zu gelangen!“ Ron setzte sich auf seinem Stuhl wieder auf, und richtete mit hartem Blick über die verspottende Art des Jägers. „Nur damit Ihr es wisst. Für des Nachts wurde eine Ausgangssperre errichtet. Sobald die Dunkelheit herein bricht, muss jeder seine Fenster und Türen verriegelt haben. Wer dennoch erwischt wird, landet im Kerker. Die Stadtwache duldet keine Ausnahmen. Könnt Ihr Euch vorstellen was man zu diesen Zeiten im Kerker zu essen bekommt? Gar nichts. Man verrottet dort unten!“ Fisk fuhr sich mit seiner Hand nachdenklich über seinen Bart und schürzte die Lippen. „Eine solch harte Ausgangssperre? Wofür? Ich hörte die Ungeheuer kommen nur in der Nacht zum Ruhtag in das Dorf.“ Nun war es der Jäger mit dem wohl genährten Bauch, welcher sich neben Ron stellte und wütend die Arme in die Luft schmiss. Seine laute, krächzende Stimme erfüllte die ganze Gaststätte. „Seid ihr ein Idiot? Vorschriften sind Vorschriften! Sie dienen unserer Sicherheit! Diese Dämonen lauern doch nur darauf dass sich jemand hinaus wagt den sie zerfleischen können!“ Fisk hielt der Wirtin sein Glas hin und deutete damit auf die Flasche Rum. Ihr Blick war finster als sie ihm neuerlich eingoss. Mit einem Lächeln auf den Lippen hielt Fisk sein Glas in die Höhe und nahm eine weitaus entspanntere Haltung ein. „Ein Hoch auf den Mut der Lady Bach. Mir war nicht bewusst welches Risiko diese Dame auf sich genommen hat um mich hier her zu rufen.“ Mit einem Zwinkern blickte er nochmals zu Mina und flüsterte leise. „Nichts für ungut.“ Ein wenig unsicher erhoben sich die meisten der Gäste wieder und prosteten dem Fremden mit ihren Krügen zu. Niemand wusste recht wie sie das Verhalten des Waidmanns einschätzen konnten. Fisk ließ den Blick durch die anwesenden Gäste schweifen und breitete seinen Arm mit dem Glas in der Hand aus. „Wenn noch jemand beabsichtigt einem unwissenden Fremden wie mir ein paar Informationen zu geben, die mir vielleicht helfen könnten, ach dann wäre ich auf jeden Fall sehr dankbar. Jede Kleinigkeit, sei sie auch noch so unbedeutend, höre ich mir gern an. Schließlich will ich euch so rasch wie Möglich wieder den Frieden in eure Straßen bringen!“ Sofort entstand ein Wirrwarr aus Stimmen und Rufen, alle diskutierten und überlegten ob es etwas Wichtiges gab, dass der Jäger unbedingt wissen musste. Ron starrte den Fremden noch immer finster an, er fühlte sich unsicher. Die Worte des Nebeljägers waren freundlich gewesen, aber er glaubte dass eben dieser Fremde sie alle gerade in diesem Moment verhöhnte. Alle Gäste sahen zu, dass sie schon lange vor Sonnenuntergang in ihre Häuser zurück kehrten, um diese für die Nacht zu verriegeln. Nur einer hatte sich schon früher aus einer Ecke der Gaststätte geschält und sich auf den Weg gemacht. Er führte ihn nicht nach Hause. Sein neu erlangtes Wissen wollte weiter getragen werden. Fisk hatte Mina und ihrem Sohn noch geholfen sämtliche Fenster und Türen zu verrammeln. Als die Wirtin sich an die letzte, die Eingangstür, machen wollte, hielt der Jäger sie auf. „Ich sollte schon draußen sein, bevor ihr die Tür verriegelt.“ Mina starrte zu dem Waidmann auf, sein Grinsen konnte sie nicht erwidern. „Ihr wollt hinaus? In einer Ruhtagnacht? Aber sie werden heute kommen...“ Fisk setzte seinen Hut wieder auf und richtete seinen Mantel ein letztes Mal. Es war nur ein Schulterzucken dass er der Wirtin schenkte bevor er sein Schwert wieder auf den Rücken schnallte. Seine blauen Augen wirkten wie ein eisiger Hauch der sie streifte, und jagte Mina einen Schauer über den Rücken. „Dafür habt Ihr mich doch gerufen.“ Er trat hinaus in die Dämmerung, die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und bald schon würden ihre letzten Strahlen erlöschen um die Nacht über das Land sinken zu lassen. Veldig, sein treuer Begleiter folgte ihm durch die schmalen Gassen von Kraic über die sich eine bedrückende Stille gelegt hatte. Die Schritte des Waidmanns hallten laut von den Häuserwänden wieder. Alle Fenster waren mit Brettern so dicht abgeschottet worden, dass kein Funken Kerzenschein mehr hinaus drang. Als Fisk sein Ziel erreichte, hatte bereits die Dunkelheit alles rings herum verschluckt. Nur ein wenig Mondlicht fiel durch das Wolkendach, nicht genug um über die Hand vor seinen Augen hinaus zu blicken. Der Waidmann ließ sich auf einem Hügel nieder, der die Dächer von Kraic um wenige Meter überragte. Der Hügel lag an der Grenze des Waldes die er am Nachmittag ausgespäht hatte. Niemand hatte ihm sagen können von wo genau die Bestien in die Stadt einfielen, daher hatte er diesen Platz auserwählt, um einen guten Überblick über die Straßen unter sich zu bekommen. Veldig ließ sich auf seine Hinterläufe nieder und stellte seine Ohren vor Anspannung auf. Wie zu einer Statue erstarrt verharrte das Tier in vollkommener Ruhe, alles was sich bewegte waren seine Ohren die er zu allen Seiten ausrichten konnte. Fisk nahm eines der kleinen Fläschchen welche in einem breiten Gurt steckten, den er sich über die Brust geschnallt hatte. Er schüttelte die dunkle Flüssigkeit bevor er den Korken hinaus zog. Mit nur einem Schluck stürzte er den Inhalt seine Kehle hinab und schloss die Augen. Ein Schauer ging durch seinen Körper, er blinzelte einige Male, und als er seine Augen wieder aufriss, lag die Welt um ihn herum nicht mehr in Dunkelheit da. Alles war deutlich zu erkennen. Die Schindeln auf den Häuserdächern, die Pflastersteine auf den Straßen, kleine Schneeflocken die hinab auf das Land rieselten. Des Waidmanns Pupillen hatten sich zu schmalen Schlitzen verformt. Mit einem Blick über die Schulter starrte er in das Dunkel des Waldes, er konnte die einzelnen Sträucher und die Stämme der Bäume gut erkennen, jedoch nichts außergewöhnliches. In seinen Ohren aber, konnte er eine Veränderung im Gegensatz zum Tage deutlich ausmachen. Die Stille im Wald war verschwunden. Er hörte ein feines Rascheln in der Ferne und den Hall eines weit entfernten Wolfsgeheul. Das Leben schien in den Wald zurück gekehrt zu sein, der gute Jäger ahnte nicht, wie sehr er sich zu diesem Zeitpunkt irrte. Er nahm seine Armbrust von der Befestigung an seinem Köcher und löste einen Mechanismus aus, der die beiden Wurfarme aufschnellen ließ. Langsam zog er einen Pfeil aus seinem Köcher und spannte ihn ein. Aus einem kleinen Lederbeutel zog er einen selbstgedrehten Kräuterstängel hinaus und zündete ihn mit einem Streichholz an. Weißer Rauch füllte seine Lungen. Der Jäger war bereit. Nur einen Wimpernschlag später drang ein bedrohliches Knurren aus der Kehle seines Begleiters. Fisks Augen huschten umher, was war es dass ihm entgangen war, Veldig aber nicht. Dann entdeckte er es. An der Nordseite des Dorfes löste sich etwas aus den Schatten der Bäume und tauchte ein in den Schutz der schmalen Gassen. Fisk erhob sich und zog seine Handschuhe zurecht, ein dunkles Schmunzeln huschte über seine Züge. „Die Jagd beginnt.“ Kapitel 2: ----------- So schnell ihn seine Beine trugen, rannte der Waidmann durch die schmalen Gassen des Dorfes Kraic. Seine Beute befand sich weit fort, und es galt die Distanz zu ihr so schnell wie möglich zu überbrücken. In seinen Lungen brannte die kalte Luft der jungen Nacht. Schmerzen welche ihn nie und nimmer hätten aufhalten können. Dafür hatte er in seinem Leben schon genug andere Dinge erlebt. Dicht vor dem Waidmann rannte sein treuer Begleiter, und tat sich sichtlich schwerer auf dem Kopfsteinpflaster. Seine, mit Klauen besetzten, Pfoten fanden kaum Halt auf dem glatten Untergrund bei diesem hohen Tempo. Der Stein war gefroren und erschwerte somit ein schnelles Vorankommen noch mehr. Wann immer sie um eine scharfe Kurve, in die nächste Straße einbogen, verlor Veldig seinen Halt und schlitterte gegen die Häuserwände. Doch Veldig war schon lange an der Seite des Waidmanns, diese Hetzjagd war nicht seine Erste. Er ließ sich nicht aus der Bahn bringen, sondern nutzte die Häuserwände um sich an ihnen wieder abzustoßen und sein Tempo erneut aufzunehmen. Ein Pfiff hallte durch die Nacht und brachte Veldig dazu sein Tempo zu zügeln. Als er zum stehen gekommen war, blickte er sich nach seinem Herrn um. Wie eine Schlange peitschte sein Schwanz nervös umher, die Lefzen hatte er hoch gezogen und eine Reihe an scharfen Zähnen entblößt, die nur darauf warteten sich in etwas graben zu dürfen. Fisk stand starr und ruhig mitten auf der Straße, beide Arme hingen zu seinen Seiten hinab. Den Kopf nur leicht schief gelegt, lauschte er in die Stille hinein. Große Schneeflocken fielen unendlich langsam vom Himmel hinab, und heuchelten eine friedliche Atmosphäre der Ruhe. An die Ohren des Waidmanns drang das Keuchen seines Tieres und seine eigenen Atemzüge. Das leise Murmeln hier und da hinter den Fensterläden, verängstigter Bürger die keinen Schlaf fanden. Mit einem Ruck bewegte sich sein Kopf zur Seite. Da war es. Das Schlurfen von Schritten. Füße die keine Schuhe trugen. Nicht nah, aber auch nicht unerreichbar fern. Er lokalisierte die Schritte und rannte los. Veldig folgte ihm in die dunkle Seitengasse und hastete ihm hinterher. Auf einer breiteren Straße, umringt von Häusern mit verriegelten Türen und Fenstern, kam er wieder zum Stehen. Auf dem Weg vor sich sah er Fußspuren im frischen Schnee. Fisk beugte sich zu ihnen hinunter. Die Füße die diese Spuren hinterlassen hatten, waren größer als die seinen. Mitten auf dem Weg endeten sie, als hätte sich das Wesen in Luft aufgelöst. Der Waidmann richtete sich wieder auf, blickte hoch zu den Häuserdächern, in der Hoffnung er würde eine Spur finden. Und er fand sie. Auf allen Dächern lag eine Decke aus Weiß. Nur auf einem war das Bild zerstört. Irgendetwas hatte dort oben seinen Weg fortgesetzt. Fisk rannte die Straße weiter, so lange er die Spur noch verfolgen konnte. Doch schon nach wenigen Metern war sie verschwunden. Seine Augen suchten die Höhe ab, die Nacht blieb still und offenbarte gar nichts. Fluchend ging er langsamen Schrittes weiter, seine Beute konnte nicht einfach verschwunden sein. Sie musste hier irgendwo sein, und er würde sie finden. Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Eine Krähe hatte sich in den Himmel erhoben und zog ihre Kreise hoch über dem Jäger. Seine Augen folgten ihr einen Moment, er sah zu wie eine ihrer schwarzen Federn langsam zu Boden fiel. Sie landete vor seiner Fußspitze. Plötzlich würde die Stille der Nacht durchbrochen. Ein Schrei, schrill und nur einen Wimpernschlag zu hören, hallte durch die Gassen. Dann kehrte sie zurück. Bedrohlicher denn zuvor. Die Stille. Fisk rannte die Straße weiter hinab und hinterließ eine Spur aus aufgewirbeltem Schnee. Er hastete in die nächste Seitengasse zu seiner Linken und vernahm direkt hinter sich das Geräusch der Krallen seines Begleiters, welche beim laufen über die Pflastersteine scharrten. Kaum hatte er die Seitengasse verlassen, riss er seine Armbrust hoch. Sie war schussbereit. Doch seine Beute war nicht zu sehen. Zornig zog er seinen rechten Nasenflügel in die Höhe und senkte seine Waffe wieder. Hier war der Schrei her gekommen, daran hatte er keinen Zweifel. Dann entdeckte er das schwache Flackern eines Kerzenlichts dass sich auf der dünnen Schneedecke widerspiegelte. Vorsichtig schlich er sich an die offenstehende Tür heran. Seine Zunge schnellte über seine Unterlippe um sie zu benetzen. Veldig begann zu knurren und schlich sich mit peitschendem Schwanz an seinen Herren heran. Mit einem Satz sprang der Waidmann um die Ecke und hielt die Armbrust in die Höhe. Schnell richtete er sie erst zur Rechten, dann zur Linken Seite aus. Aber außer ihm befand sich niemand im Haus. Ein kleiner Zinnbecher war auf dem Tisch umgekippt und der rote Inhalt tropfte auf den Teppich. Sein Blick huschte über den Boden, er suchte nach Spuren im Schnee, doch vor der Tür war nicht ein Fußabdruck zu sehen. Das Wesen musste an der Häuserwand zur Tür hinab geklettert sein. Des Waidmanns Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen als er die massive Holztür genau untersuchte. Kein zersplittertes Holz oder sonstige Spuren eines gewaltsamen Einbruchs waren zu sehen. Der Riegel des Schlosses stand heraus. Es wirkte als hätte sich die verschlossene Tür dem fremden Eindringling von allein geöffnet. „Such!“ Veldig folgte seinem Befehl und schnüffelte erst in die Luft, dann folgte er einer unsichtbaren Spur auf den Holzdielen. Sein massiver Körper schob sich an den Möbeln vorbei, ohne dass er mit ihnen in Berührung kam. Fisk folgte ihm noch immer mit erhobener Armbrust. Die Dielen unter seinen Füßen knarzten leise. Er kam an einem Bett vorbei, die Decke war zurück geschlagen worden, als hätte sich jemand gleich zur Nachtruhe legen wollen. Ruhe hatte hier niemand mehr gefunden. Veldig blieb vor einer schmalen Treppe stehen und hob seine Schnauze in die Höhe, ein dunkles Grollen drang aus seiner Kehle und weckte die Aufmerksamkeit des Waidmanns. Er blickte hinauf in die Dunkelheit. Der Trank offenbarte seinen Augen einige steile Stufen die hinauf ins Ungewisse führten. Mit einer Hand drückte er Veldig zur Seite und stieg langsam die Treppe hinauf, der Durchgang war so schmal, dass seine Schultern zu beiden Seiten die Wände berührten. Sein Begleiter würde unten warten müssen. Ein kalter Windhauch streifte das Gesicht des Waidmanns, er konnte in der Dunkelheit über sich ein paar kleine Schneeflocken tanzen sehen. Sein Kopf streckte sich unmittelbar nach seiner Armbrust durch die Öffnung zum oberen Geschoss. Alles was dort auf ihn wartete, waren einige Regale, vollgestopft mit Stoffballen. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Tisch auf dem allerlei Utensilien die man zum schneidern gebrauchte, verstreut. Das einzige Fenster in der Dachschräge stand weit offen. Fisk rannte zum Fenster und spähte hinaus. Häuserdächer an Häuserdächern ebneten das Bild vor ihm, er blickte hinunter auf die Straße, die zur anderen Seite des Hauses verlief, als die Tür durch welche er eingetreten war. Eine Spur im Schnee dort unten verriet seine Beute. Eine Bewegung in den Schatten ließ ihn ruckartig den Kopf wieder heben. Am Ende der Straße konnte er eine Silhouette erkennen die gerade um eine Ecke bog, und dieses Etwas schleifte jemanden hinter sich her. Fisk drückte die beiden Arme seiner Armbrust feste zusammen bis sie unter einem Klicken einrasteten. Rasch befestigte er seine Waffe wieder an dem Köcher, während er einen Fuß bereits auf den Fensterrahmen stemmte. Mit beiden Händen zog er sich hoch, hinaus in die kalte Nacht. Ohne zu zögern schlitterte er das Hausdach entlang und riss einige der maroden Schindeln mit sich. Haltlos rutschte er auf die Kante des Daches zu. Erst im letzten Augenblick stieß er sich ab, und sprang. Am Haus Gegenüber bekamen seine Finger an einem schmalen Fensterbrett Halt. Unter ihm zerschellten die Schindeln auf dem Pflasterstein. Schon im nächsten Augenblick stieß er sich von der Hauswand ab und nutzte die gegenüberliegende Wand dazu, sich erneut abzustoßen. Nun war es nicht mehr weit bis nach unten und er ließ sich die letzten, wenigen Meter fallen. Der Waidmann rollte sich ab, das Schwert auf seinem Rücken drückte sich schmerzhaft gegen seine Wirbelsäule als sein Gewicht darüber hinweg rollte. Kaum war er wieder auf den Beinen, rannte er los. Zwischen seinen Fingern stieß er einen Pfiff aus, und konnte als Antwort den Ruf von Veldig durch die Straßen hallen hören. Fisk schoss um die Ecke, hinter welcher der Schatten verschwunden war. Seine Beute war dort. Am Ende der Straße, die zurück in den verwunschenen Wald führte. Mit langen Schritten kam er dem Wesen immer näher. Das Ende seines Mantels peitschte im Wind. In einer fließenden Bewegung zog er seine Armbrust und machte sie einsatzbereit. Schlitternd kam er auf dem Kopfsteinpflaster zu stehen und riss seine Waffe hoch. Alles um ihn herum schwand zur Bedeutungslosigkeit. Seine Augen fixierten die Beute. Heißer Atem verwandelte sich zu Dunst und ließ die kalte Luft knistern. Der Waidmann hörte es nicht. Sein Zeigefinger krümmte sich und betätigte den Abzug. Während der Pfeil, leise sirrend durch die Luft glitt, rannte Fisk bereits wieder los. Ein Schritt. Zwei Schritte. Dann schlug der Pfeil ein. Ein Kreischen hallte durch die Gasse und seine Beute sackte in sich zusammen. Der Waidmann verlangsamte seine Schritte kurz bevor er die Gestalt auf dem Boden erreichte. Langes, weißes Haar war über den Boden verteilt. Es war verklebt und verfilzt. Der Körper des Wesens war durch einen zerfetzten Umhang bedeckt, welcher aus braunem Moos zu bestehen schien. Überall auf dem Moos krabbelten kleine rote Käfer umher. Sie schlüpften zwischen den Fransen hindurch umher. Der Schaft seines Pfeils ragte aus dem Rücken der Gestalt heraus. Nur eine Hand lag ausgestreckt da, sie hatte sich dem Schutz des Umhangs entzogen. Sie war dürr und grau. Die langen Nägel waren verdreckt und hier und da abgebrochen. Fisk schluckte, denn er wusste, ohne ihr Gesicht zu sehen, was dort vor ihm lag. Und dass ein einzelner Pfeil sie nicht töten konnte. Sie wartete dass er näher kam. Sie wartete auf seine Unachtsamkeit. Sie wartete auf ihn ganz allein, dort, liegend auf den kalten, verschneiten Straßen von Kraic, und ihr Opfer starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Die andere Hand hatte das Wesen in das blonde Haar der Schneiderin gekrallt und sie so den ganzen Weg hinter sich her gezerrt. Die Frau zitterte am ganzen Leib, denn sie war nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet. Ihre blauen Augen starrten Fisk flehend an, sie wimmerte und Tränen liefen an ihren Wangen hinab. Ranken hatten sich um ihre Glieder gewickelt und sie so fest verschnürt dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie schlangen sich um ihren Körper, ihre Kehle und waren in ihren aufgerissenen Mund eingetaucht um jeden Ton den sie von sich geben wollte, zu ersticken. Langsam, und so leise wie möglich zog der Waidmann sein Schwert. Die dunkle Klinge wirkte fast unsichtbar im Finster der Nacht. Erst als das Schwert komplett gezogen war, erwachte es schier zum leben. Zwei Reihen goldener Runen waren in den Stahl der Klinge eingebrannt, welche begannen ein dämmriges Licht zu verströmen als würden sie vor Hitze glühen. Mit beiden Händen umfasste Fisk das Heft. Er wusste, er musste nur schneller sein als sie, dann könnte es schon vorbei sein. Ein leises Surren ging durch die Nacht als die lange Klinge seines Zweihänders niedersauste. Kleine Funken sprangen umher als sie auf den harten Stein des Kopfsteinpflasters prallte. Fisk stieß einen leisen Fluch aus, als seine Augen in das hässliche, grinsende Gesicht des Wesens starrten, dass sich über den Boden gerollt hatte und somit knapp seinem tödlichen Angriff entgangen war. Unter einem gackernden Laut erhob sich das Wesen, die Schneiderin noch immer an den Haaren gepackt. Sie weinte nur noch mehr. Das Gesicht einer alten Frau blickte dem Waidmann entgegen. Ihre graue Haut hing schlaff herab. Das Grinsen auf ihren Lippen entblößte das schwarze Fleisch in ihrem zahnlosen Mund. Rote Pupillen, umrahmt von vollkommener Schwärze blickten ihm aus eingefallenen Höhlen entgegen. „Ich hätte schon fast vergessen wie hässlich Wurzelhexen sind, so lange habe ich keine mehr gesehen.“ Als hätte das Wesen seine Worte verstanden, begann es wieder an zu gackern. Der Waidmann wusste es besser. Sie hatte ihn verstanden. Mit einem Satz nach vorn schwang Fisk seine Klinge, die Runen zogen einen dünnen Nebel goldenen Lichts hinter sich her. Doch auch so klobig wie das Wesen mit seinem breiten Buckel wirkte, es wich ihm wieder in Windeseile aus, und seine Klinge streifte die nahe Häuserwand. Doch so schnell würde er nicht aufgeben, er setzte ihr nach. Dieses Mal würde sein Schwert sich in weiches Fleisch graben und Blut kosten. Aber das falsche Blut. In der letzten Sekunde konnte er seinen Angriff abbremsen bevor er den Schädel der Schneiderin spaltete. Die Wurzelhexe benutzte sie als Schutzschild, hielt sie vor ihren knochigen Leib und drohte ihr die Kehle mit ihren langen Fingernägeln aufzuschlitzen. Langsam, mit kleinen Schritten bewegte sie sich seitwärts bis hinter ihr wieder der Pfad zu den Wäldern lag. Von Panik ergriffen begann die Schneiderin zu winseln und weinte bittere Tränen, sie hatte sichtlich Mühe mit dem Wurzelstrang in ihrem Mund Luft zu bekommen. Der Waidmann nahm eine geduckte Haltung ein, er hob sein Schwert in Kampfbereitschaft, doch er wusste, er würde keine Gelegenheit mehr für einen weiteren Angriff bekommen. Ein Schatten hatte sich lautlos durch das Dunkel der Nacht geschlichen. Scharfe Klauen gruben sich in das faulige Fleisch der Wurzelhexe als Veldig sie von hinten ansprang. Ein schriller Schrei der Überraschung entfuhr ihrer Kehle und schmerzte in den Ohren. Noch bevor ihre Nägel das zarte Fleisch der Kehle ihres Opfers zerfetzen konnten, entriss ihr Fisk dieses. Grob stieß er die wimmernde Schneiderin hinter sich auf den Boden und stellte sich schützend vor sie. Mit ihrem langen Armen versuchte die Wurzelhexe sich zu wehren und nach ihrem Angreifer zu schlagen, doch seine massiven Kiefer schlossen sich bereits um ihren Hals und bissen zu. Wie ein Spielzeug schleuderte Veldig den hageren Körper hin und her als er seinen Kopf zur Seite warf. Zähes, grünes Blut besudelte den Boden und die Häuserwände um ihn herum als er unter einem lauten Knacken den Kopf der Hexe von ihrem Körper riss. Ihr entsetzlicher Schrei hallte durch die Gassen und Fisk könnte hören wie manche Bürger in ihren Häusern ebenfalls vor Angst aufschrien, weil sie keine Ahnung hatten von dem Schrecken der in ihren Straßen vor sich ging. Zuckend blieb der Leib der Hexe am Boden liegen und krümmte sich schließlich grotesk zusammen. Veldig spie ihren Kopf aus, welcher unter einem dumpfen Aufprall über das Kopfsteinpflaster rollte. Angewidert von dem Geschmack ihres Blutes schüttelte sich das Raubtier und leckte sich über die Zähne. Fisk steckte sein Schwert zurück und ging neben der wimmernden Schneiderin in die Hocke. Ohne die Magie der Wurzelhexe war es für ihn nun ein leichtes sie von den Schlingen um ihren Körper zu befreien. Als er die Wurzelenden aus ihrem Mund zog, atmete sie gierig ein und brach danach in heftiges Husten aus. Ihr ganzer Körper zitterte, vor Kälte und vor dem Schrecken dem sie eben so knapp davon gekommen war. Mit beiden Händen klammerte sie sich an sein Hosenbein, und zog sich so an den Jäger heran. „Habt Dank! Habt tausend Dank!“ „Kommt hoch, der Boden ist eisig.“ Während er die Frau stützte und ihr auf die Füße half, blickte er den Weg hinauf in die fernen Schatten des Waldes. Der Trank ermöglichte es ihm mehr zu sehen, dass manche der Schatten sich bewegten und ihn beobachteten. „Ihr... Ihr seid der Jäger den wir gerufen haben oder?“ Er sah in das erschöpfte Gesicht, auf welchem ein dankbares Lächeln lag, und nickte ihr knapp zu. Noch etwas anderes konnte er in ihren Augen sehen. Hoffnung. Er hasste es wenn die Leute zu früh voller Hoffnung waren, diese konnte nur all zu leicht in Hass und Wut umschwenken wenn man sie ihnen wieder nahm. Leicht drückte er sie von sich und winkte Veldig heran. „Er wird Euch nach Hause bringen. Habt keine Angst vor ihm. Ich bin hier noch nicht fertig.“ Das Lächeln der Frau erlosch als sie das wilde Tier sah, aber sie hatte nicht vergessen dass eben dieses Tier vorhin daran beteiligt war, ihr das Leben zu retten. Ihr Blick blieb wieder auf der Leiche der Wurzelhexe hängen und sofort spannte sich ihr ganzer Körper an, sie begann zu schluchzen. „Was ist das nur für ein Dämon? Warum wollte er mich holen? Der Geistliche sagte, sie würden nur Sündiger holen! Aber was soll ich denn schon gemacht haben? Ich arbeite den ganzen Tag hart und lasse mir nichts zu Schulden kommen.“ Fisk legte ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie sachte in Veldigs Richtung, sein Blick war nur auf das Dickicht des Waldes gerichtet, ihre Worte drangen nur ganz nebenbei zu ihm durch. „Wir reden später. Ich muss das hier zu Ende bringen. Außerdem holt Ihr Euch hier Draußen noch den Tod, dann hätte ich Euch umsonst gerettet.“ Den vollkommen entgeisterten Blick der Schneiderin entging ihm, sie brauchte nun dringend etwas Trost, aber er war Jäger, solche Dinge fielen nicht in seinen Aufgabenbereich. Ohne noch länger Zeit zu verschwenden rannte er mit langen Schritten über das Kopfsteinpflaster in Richtung des Waldes. Die Schatten, welche ihn beobachtet hatten, zogen sich zurück, drängten sich tiefer in das Unterholz, fort von dem Besucher der eine von den Ihren getötet hatte. Doch er war keineswegs gekommen nur um sie einzuschüchtern. Fisk nahm die Armbrust wieder in seine Hände und machte sie bereit. Seine Augen huschten von Links nach Rechts als er die ersten kleinen Büsche und Sträucher passierte, welche den Einlass des Waldes umgarnten. Ein entsetzlich schriller Schrei hallte durch das Dickicht und überall im Wald erwachte leises Murmeln zum Leben. Vorsichtig und langsam schob er seine Füße immer tiefer in den Wald, er suchte nach den Schatten die ihn zuvor noch beobachtet hatten, konnte aber keinen mehr von ihnen erblicken. Ein Blick über seine Schulter verriet ihm, dass er das Dorf schon einige Meter hinter sich zurück gelassen hatte. Als er seinen Blick wieder nach vorn wante, versperrte eine buckelige Gestalt seinen Weg. Gackernd stürzte sich die Wurzelhexe auf den Jäger und hieb mit ihren langen, scharfen Fingernägeln nach ihm, doch es gelang Fisk sich mit einem Sprung zurück in Sicherheit zu bringen. Er hob seine Armbrust und wollte gerade mit seinem Finger den Abzug betätigen als sich etwas um seine Kehle schlang und ihn mit einem Ruck nach hinten zog. Die Wurzelhexe gab wieder ein Gackern von sich und entblößte mit einem breiten Grinsen ihr schwarzes Zahnfleisch. Fisk spürte die harte Rinde eines Baumes an seinem Rücken, als sich etwas dicht neben ihm in sein Blickfeld schob. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen dass es das Gesicht einer wunderschönen Frau war, die ihn fast lieblich anlächelte. Ihr Arm war es auch der sich viel zu fest für solch ein zierliches Wesen, um seinen Hals gelegt hatte und ihn an dem Baum fixierte. Je weiter sie sich neben seinem Gesicht hervor reckte, spürte er weiche, warme Haut an seinem Rücken statt der harten Rinde. Ihr dunkles Haar fiel über ihre Schultern und er konnte erkennen dass überall Efeu hinein geflochten war. Sie brachte ihre Lippen ganz nah an sein Ohr und hauchte in verführerischen Ton hinein. „Du gehörst hier nicht her. Du bist nicht willkommen.“ Fisk ließ sich von ihrer lieblichen Stimme nicht verführen, er wusste genau was sie war, eine Waldnymphe, und dass sie in diesen Wäldern nichts gutes mit ihm vorhatte. Ihr Griff wurde fester und ihre Stimme flüsterte ihm weiter zu, dass er nicht hier her gehörte, und obwohl er sich gegen ihren Zauber wehrte, fühlte er sich mit jedem ihrer Worte schläfriger. Gackernd kam die Wurzelhexe auf ihn zu, sicher er war bereits nicht länger Herr seiner Sinne. Knackend bogen sich ihre langen Finger unter ihren gierigen Bewegungen, sie streckte sie aus um ihm den Leib aufzureißen und sich an seinen Innereien gut zu tun. Fisk bäumte sich gegen den Zauber der Nymphe auf und stieß sich mit beiden Beinen vom Boden ab, um seine Fußsohlen mit voller Wucht in das Gesicht der Wurzelhexe zu pressen. Mit einem lauten Kreischen kippte das Weib nach hinten und hielt sich das blutige Gesicht. Die grünliche Masse sickerte in ihr langes, verfilztes Haar und tränkte den Waldboden. Fisk nutzte den Schwung seines Angriffes und drehte sich halb um seine eigene Achse. Unter einem lauten Knacken zerbrach der Unterarm der Nymphe. Unter einem wütendem Aufheulen zog sie sich blitzschnell zurück in den Baum, tauchte in dessen Rinde ein, und verschwand spurlos. Die Wurzelhexe hatte sich von ihrem Schlag erholt, rollte sich auf den Bauch und krabbelte auf allen Vieren auf das dichte Unterholz zu. Sie wollte ihr Heil in der Flucht suchen, brauchte nur noch ein kleines Stück bis sie die Büsche erreichte in denen sie eintauchen konnte um sich in ihrem Schutz davon zu schleichen. Ein Pfeil zischte durch die Nacht und durchbohrte ihren Hinterkopf. Zuckend und um sich schlagend blieb das alte Weib auf dem harten Waldboden liegen, ihr gackerndes Lachen war verstummt, geblieben waren unnatürliche Laute des Zornes die sie unter ihren Zuckungen hervor brachte. Fisk drückte einen seiner Stiefel auf den Rücken der Wurzelhexe und presste ihren Körper somit fest auf den Boden. Er beugte sich zu ihr hinab, und drückte einen der, mit scharfen Klingen versehenen, Arme seiner Armbrust in ihren Nacken. Er brauchte nur noch zuzustoßen und das jämmerliche Dasein dieses Wesens hatte ein Ende. Etwas anderes fiel in sein Blickfeld. Etwas das sich ihm blitzschnell zwischen den Bäumen hindurch, näherte. Zwei Männer hielten auf ihn zu und streckten ihre Arme nach ihm aus. Ihre Kleider waren zerschlissen und hingen zum Teil nur noch in Fetzen von ihren mageren Leibern. Der Kopf des Rechten lag auf dessen Schulter und wurde bei seinen hastigen Schritten hin und her geschleudert. Fisk verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und trat ein paar Schritte zurück. Ihm gefiel gar nicht was er sah. Ganz und gar nicht. Mit einem Sprung zur Seite wich Fisk den beiden Angreifern aus, die über die zuckende Wurzelhexe hinüber stiegen. Ihre Münder waren weit aufgerissen, doch außer einem dumpfen Stöhnen waren ihre Stimmbänder zu keinem anderen laut mehr fähig. Und auch wenn ihre Augenhöhlen längst leer und ohne Leben waren, schienen sie Fisk voller Hass anzustarren. Beide hieben mit Schlägen nach ihm, sie waren schnell und kraftvoll. Fisk wich ihnen aus, duckte sich unter einem der Arme durch und schoss von unten durch das Kinn in den Kopf des Toten. Alles was diese Hülle noch am Leben gehalten hatte, wich aus dem schon längst verstorbenen Menschen und ließ den Leichnam zusammen sacken. Die Faust des Zweiten traf Fisk schmerzhaft in die Seite. Bevor der zweite Schlag ihn treffen konnte, stoppte er ihn mit seiner einen Hand. Fest schlossen sich seine Finger um die Faust des Toten. Fisk nutzte den Schwung seines Angreifers und riss diesen herum, sodass er das Gleichgewicht verlor und auf dem gefrorenen Waldboden aufschlug. Bevor er sich wieder aufrappelt konnte, durchbohrte ein Pfeil seine Stirn, und erlöste auch ihn von seinem ruhelosen Dasein. Fisk atmete ein paar Male durch und ließ seinen Blick durch das Dunkel der Wälder schweifen, Er konnte in weiter Ferne noch immer die Schatten erkennen, die ihn die ganze Zeit beobachteten. Auch sie schienen von menschlicher Statur zu sein. Langsam zogen sie sich zurück und ihr Murmeln wurde immer leiser bis es schließlich vollkommen verstummte. Der Waidmann betrachtete die beiden Leichen der Männer. Sie waren schon seit langem tot, und soweit verwest das nur noch Knochen, überzogen mit einer trockenen Schicht Fleisches, übrig waren. Bedeckt von ein paar Fetzen ihrer Kleidung. Der eine musste an seinem gebrochenen Genick verstorben sein, bei dem anderen ließ es sich nicht mehr offensichtlich ergründen. Dennoch war ihre Anwesenheit allein, hier in diesen Wäldern, eine Tatsache die Fisk sehr beunruhigte. Mehr noch als die Waldnymphe die ihn angegriffen hatte, und sogar mehr noch als die Anwesenheit von Wurzelhexen. Dass ein Wald verflucht war, konnte mehrere Gründe haben, aber wenn wandelnde Tote hier ihr Unwesen trieben, war es meist nicht sehr angenehm diesen Ursachen auf den Grund zu gehen. Hinter sich vernahm Fisk einen schmatzenden Laut. Die Wurzelhexe hatte sich mit aller Kraft vom Boden hochgestemmt und sich den Pfeil aus ihrem Kopf heraus gezogen. Ihre Bewegungen waren ungelenk, dennoch schlurfte sie mit allen Vieren weiter in Richtung Unterholz um dem Jäger zu entkommen. Fisk hatte nicht die Absicht sie entkommen zu lassen. Langsam ging er auf das alte Weib zu und trat ihr so fest in die Seite, dass sie kreischend auf dem Rücken zum Liegen kam. Er stellte seine Stiefel auf ihre beiden Arme um sie auf dem Boden zu fixieren und ging über dem Wesen in die Hocke. Er zog sich den Handschuh seiner Rechten Hand aus. Die Hexe versuchte nach seiner Hand zu schnappen, als er sie über ihre Augen und ihre Stirn legte. Feste gruben sich seine Fingerkuppen in ihre ledrige Haut, während er Worte in einer längst vergessenen Sprache murmelte. Der Körper der Wurzelhexe zuckte noch mehr, sie versuchte sich kreischend zu wehren und wand sich unter dem festen Griff der sie am Boden fixierte, bis sie sich mit einem Mal zu entspannen schien. Langsam hob der Waidmann seine Hand, zarte, violette Fäden verbanden seine Fingerkuppen mit der Haut der Wurzelhexe wo sie zuvor aufgelegt waren. Als das alte Weib ihre Augen aufschlug, leuchteten auch diese violett. Ihr Gesicht war von Zorn verzerrt. Fisk betrachtete sie in aller Ruhe als er seine erste Frage stellte. „Was war es, dass dein Dasein in diese Wälder zog?“ Die Hexe verzog ihren Mund zu einem zahnlosen Grinsen. Ihre raue Stimme krächzte leise. „Der Geruch des Todes.“ Wieder gackerte sie vor Freude. „Von wo geht dieser Geruch aus?“ Die Fäden welche die Finger des Waidmanns mit der Stirn der Hexe verbanden, glühten etwas heller auf, als sie versuchte sich gegen die Antwort zu wehren, doch unweigerlich war sie gezwungen sie preis zu geben. „Überall verströmen sie den Geruch. So viele sind es die hier umher wandeln. Sie wollen keine Ruhe geben.“ „Was lässt sie nicht zur Ruhe kommen?“ „Er!“ Das Grinsen der Hexe wurde breiter und ihr fauliger Atem schlug dem Waidmann entgegen als sie vor Qual aufstöhnte. Doch er verzog keine Miene. „Wer ist Er?“ Der Körper der Hexe begann wild zu zucken und Fisks Muskeln spannten sich an, der Zauber durfte nicht abbrechen, nicht bevor er genug Antworten hatte. „Er ist der, der sie leitet. Er ist der, dem all dieses Leid angetan wurde. Er ist der...“ ,die Hexe reckte dem Waidmann ihr Gesicht noch näher entgegen. Sie riss ihre Augen auf, und krächzte unter einem letzten erstickenden Laut. „...der nicht ruht, bis er seine Rache genommen hat.“ Fisk atmete tief aus als die violetten Fäden sich von der Haut der Hexe lösten und verschwanden. Die Augen des Wesens verdrehten sich so weit, dass nur noch das Schwarze darin zu erkennen war. Der Zauber funktionierte bei jedem Wesen nur ein einziges Mal, sie war für den Waidmann unbrauchbar geworden, denn sie würde keine seiner Fragen mehr beantworten. Und dennoch hatte sie ihm einen wichtigen Dienst erwiesen. Dafür würde er sie erlösen. Er nahm seine Armbrust und drückte die Klinge auf die Kehle der Alten. Er stieß zu und ihr Kopf wurde mit einem sauberen Schnitt von ihrem Körper abgetrennt. Nachdem er seine Pfeile alle wieder eingesammelt, und sie gesäubert hatte, blickte er sich noch ein letztes Mal um. Nichts war dort in den Schatten zwischen den Bäumen, dass dort nicht hin gehörte. Der Wald lag ruhig und friedlich da, in dieser Winternacht, wie jeder andere Wald auch. Doch Fisk wusste dass er ein grausiges Geheimnis wahrte. Ein grausiges Geheimnis das er ergründen musste. Aber erst musste er einigen Leuten ohne den Gebrauch seiner Magie ein paar Fragen stellen. Früh am nächsten Morgen, die ersten Vorboten des Sonnenaufgangs bahnten sich erst an, donnerten wuchtige Schläge im Gasthaus wieder. Jemand bat an der Tür um Einlass, und das nicht gerade sanft. Immer wieder pochte es laut, bis Minas Stimme den Lärm noch übertönte. „Ich komme ja schon! Verdammt, immer mit der Ruhe!“ Ihre Haare waren von der Nacht noch etwas zerzaust, ein blaues Nachthemd fiel an ihr hinab, bis zu ihren Knöcheln, ihre Füße steckten in dicken Wollsocken. Über ihre Schultern hatte sie sich einen grobgestrickten Überwurf gelegt und hielt ihn mit einer Hand vor ihrer Brust zusammen. In ihrer anderen Hand klimperte ein voller Schlüsselring. Zumindest hatte der Jemand, auf der anderen Seite der Tür, ihre Nachricht vernommen und das Pochen eingestellt. Kaum hatte sie all die Schlösser und die Riegel der Tür gelöst, drückte sie jemand von der anderen Seite schwungvoll auf. „Was fällt dir ein, du dämlicher...“ Mina beendete ihren Satz nicht als sie sah, wer dort vor ihrer Tür stand. Drei Soldaten der Stadtwache und ihr Kommandant. Alle in voller Rüstung und mit Lanzen bewaffnet. Da wäre ihr ein dreister Jäger lieber gewesen. Bevor sie fragen konnte, was denn der frühmorgendliche Besuch sollte, schob der Kommandant sie bereits grob zur Seite. Mina raffte den Überwurf fester um ihre Schultern und starrte wütend auf den Rücken des Kommandanten der mit großen Schritten durch ihre Stube marschierte. „Das ist immer noch mein privater Besitz hier! Könntet Ihr mir vielleicht sagen was ihr wollt, bevor Ihr hier einfach rein marschiert? Ganz nebenbei habe ich nämlich noch nicht einmal geöffnet!“ Die drei anderen Soldaten schoben sich einer nach dem anderen durch die Tür und folgten ihrem Kommandanten. Der hoch gewachsene Mann drehte sich zu seinen Gefolgsleuten um, nachdem er die Stube mit einem flüchtigen Blick abgesucht hatte. Dann endlich schenkte er der Wirtin Beachtung und reckte sein breites Kinn vor. „Wir wollen zu dem Jäger dem Ihr hier Unterkunft gewährt habt!“ Mina blinzelte verwirrt und schloss mit dem Fuß die Tür hinter sich, damit nicht noch mehr der kalten Winterluft eindringen konnte. „Der Jäger? Er war diese Nacht nicht hier, und da ich ihm keinen Einlass gewährt habe, denke ich, dass er noch nicht wieder zurück gekehrt ist.“ Plötzlich breitete sich in ihrem Magen ein Gefühl der Angst und des Unwohlseins aus. Nicht weil die Stadtwache wegen ihm hier herein platzte, sondern weil sie sich bewusst wurde, dass er in dieser speziellen Nacht dort draußen gewesen, und nicht wieder Heim gekehrt war. Hatte sich dieser Kerl letztlich doch als Scharlatan herausgestellt, ihr Gold gefunden, und war dann damit abgehauen? Sie schüttelte den Gedanken ab, als der Kommandant sich der Tür zu den Gästezimmern näherte. „Und was wollt Ihr von ihm?“ Statt einer Antwort marschierte der Trupp Soldaten ihrem Kommandanten hinterher, der sich bereits daran machte die Treppenstufen hinauf zu den Gästezimmern zu erklimmen. In diesem Gasthaus kannte sich jeder aus, es war das einzige in des Dorfes, und so musste der Kommandant nicht einmal fragen wo die Gästezimmer lagen. Mina hastete dem Trupp hinterher, ihre Wangen färbten sich rot vor Wut. Dass sie es sich gefallen lassen musste, dass man sie so respektlos behandelte ärgerte sie sehr. Bevor der Kommandant noch auf die Idee kam jede einzelne Tür einzutreten, denn sie wusste dieser Mann war unberechenbar, sagte Mina ihm, sie habe im Moment nur einen Gast im letzten Zimmer untergebracht, und dass es sich um den Jäger handelte. Zur ganzen Sicherheit fügte sie noch an, sie habe den Schlüssel für das Zimmer bereit. Eine neue Türe konnte sie sich im Moment nicht leisten. Doch noch bevor die drei bewaffneten Männer und die Wirtin die Tür erreicht hatten, öffnete sich diese unter einem leisen Quietschen. Ein völlig zerzauster Jäger trat hinaus auf den Flur. Er trug nur leichte Nachtwäsche aus Leinen und sein blondes Haar stand zu allen Richtungen wild vom Kopf ab. Dunkle Ringe untermalten seine zusammen gekniffenen Augen als er der Gruppe entgegen blickte. Seine Stimme war rau und verschlafen. „Ist es in so einem kleinen Dörfchen für gewöhnlich üblich, am frühen Morgen solch einen Radau zu veranstalten der Tote wecken könnte?“ Die drei Soldaten streckten ihm zur Antwort ihre Lanzen entgegen und machten sich kampfbereit. Fisk hob eine seiner Brauen und kratzte sich den Bauch, ihm war seine schlechte Stimmung ins Gesicht geschrieben. Es gab fast nichts auf dieser Welt was er mehr hasste, als nicht wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Eines der Dinge aber die er noch weit mehr hasste war, wenn man ihn dann auch noch weckte. „Euch auch einen guten Morgen!“ Brummend schob er eine der Lanzen die auf ihn gerichtet waren zur Seite, doch sofort richtete der Soldat sie wieder auf ihn und trat noch einen Schritt näher an ihn heran. Fisk schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick. „Vorsicht, du könntest jemandem noch versehentlich ein Auge ausstechen.“ Der Kommandant hatte die Flachserei satt und baute sich vor dem Jäger auf. Durch die massive Rüstung, die seine stämmige Statur noch mehr unterstrich, wirkte er durchaus bedrohlich. „Jäger Thomas Fisk, im Namen des Gesetzes verhafte ich Euch. Ihr werdet uns unverzüglich begleiten.“ Hinter dem Kommandanten schnappte die Wirtin nach Luft, sie war noch immer verwundert darüber wie der Jäger es in das verriegelte Gasthaus geschafft hatte, aber dass er nun von der Stadtwache festgenommen werden sollte, zog ihr schier den Boden unter den Füßen fort. Fisk hob auf eine lockere Art und Weise seine Hände auf Brusthöhe, eine Geste die unmissverständlich seinen Hohn widerspiegelte. Leicht zuckte er mit den Schultern und verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein. „Oh das ist ja interessant. Und der Grund wieso Ihr mich verhaftet ist gleich...?“ Der Kommandant blähte seine Nasenflügel weit und leckte sich über die Unterlippe. Am liebsten hätte er das Gesicht dieses frechen Wurms mit einem Schlag zertrümmert. „Ihr wurdet heute Nacht auf der Straße gesichtet. Allerdings besitzt ihr keine Genehmigung die für Euch die Ausgangssperre aufheben würde.“ Mina rannte um die Soldaten herum und stellte sich an die Seite des Jägers, die Zornesröte kehrte langsam in ihr leichenblasses Gesicht zurück. „Soll das ein schlechter Scherz sein? Ich heuerte den Jäger an uns zu helfen und um diesen Dämonen die Nachts unsere Bewohner verschleppen, zu erledigen! Ihr könnt ihn doch wohl nicht anklagen nur weil er seine Arbeit verrichtet hat!“ „Lady Bach, ihr solltet lieber von der Seite des Angeklagten weichen.“ Die Drohung des Kommandanten wurde von einer starken Autorität in seiner Stimme untermalt, die keine Gegenwehr duldete. Mina fiel das atmen schwer, sie wusste nicht was sie tun sollte. Fisk legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie ein Stück weit fort. „Wir spielen einfach mal mit, in Ordnung? Lasst mich das machen.“ Sein Blick wendete sich wieder den drei Männern zu und er zuckte mit den Schultern. „Also schön. Ich ziehe mich nur noch um, und dann komme ich mit Euch, und dann klären wir das. Hm?“ Der Spaß war nun allerdings vorbei. Der Kommandant packte Fisk grob an seinem Arm und zerrte ihn von der Tür zu seinem Zimmer fort. Seine Lippen blieben verschlossen, es war jedoch unmissverständlich dass er verlangte dass der Jäger ohne Umwege seinen Ausflug antreten sollte. Fisk seufzte leise und widersetzte sich nicht. Er war froh, dass er zumindest noch in seine Stiefel geschlüpft war, bevor er die Tür geöffnet hatte. Flüchtig warf er einen Blick über seine Schulter zu Mina. „Oh, bevor ich es vergesse! Die Schneiderin sagte gestern noch zu mir, sie wollte mit Euch reden!“ Mina stand vor der offenen Zimmertür des Jägers und starrte ungläubig den Soldaten hinterher die gerade ihre letzte Hoffnung abführten. Es dauerte einen Moment lang, die Gruppe war fast schon die gesamte Treppe hinab gestiegen, bis die letzten Worte in ihr Bewusstsein durchdrangen. Die Schneiderin? Was sollte die Schneiderin von ihr wollen? Und warum um alles in der Welt sollte sie diese Bitte an Fisk gerichtet haben? Sie schüttelte ihren Kopf als wollte sie so ein paar lästige Gedanken los werden. Nachdenklich richtete sie ihren Blick in das Zimmer ihres verhafteten Gastes. Seine Fenster waren noch verriegelt. Wieder stellte sie sich die Frage wie er in ihr Haus zurück gekehrt war. Doch plötzlich schoss ein Blitz durch ihren Körper als sie die Erkenntnis traf, was seine letzten Worte bedeutet haben könnten. Sie musste der Schneiderin ganz dringend einen Besuch abstatten. Fernab jedes Sonnenstrahles, erhellte die kleine Zelle lediglich das schummrige Licht einer Öllampe vom Gang draußen, dass durch die Gitterstäbe eines kleinen Fensters in der Tür fiel. Ein entsetzlicher Gestank von Urin und fauligem Wasser hing in der Luft und sorgte dafür, dass Fisk es bevorzugte durch den Mund zu atmen. Was sich alles in den Ecken des winzigen Raumes befand, wollte er gar nicht erst herausfinden. Ebenso hatte er sich dazu entschlossen sich weder hin zu hocken, noch sich an die feuchten Wände zu lehnen. So lange er konnte, würde er stehen bleiben. Man hatte ihn mit den Worten hier drinnen zurück gelassen, er würde die Gnade erfahren dass sein Vergehen sicher bald dem Bürgermeister vorgeführt werden würde. Schließlich war er ein Fremder und hatte vielleicht nichts von der Ausgangssperre wissen können. Doch Unwissenheit schützte bekanntlich vor Strafe nicht. Wie schnell nun sein gnädiges Verfahren stattfinden sollte, wusste er nicht, aber er ahnte nichts gutes. Um so mehr überraschte es ihn, als in dem Gang vor seiner Zelle eine weitere Tür entriegelt wurde und zwei Soldaten in seine Richtung marschiert kamen. Fisk konnte nicht sagen wie lange er schon in der bitteren Kälte dieses Ortes gefangen gehalten wurde, doch anhand seiner tauben Zehen schätzte er erst ein paar wenige Stunden. Das Schloss wurde entriegelt und die Tür schwang auf. „Komm mit.“ Fisk folgte dem Befehl und ging hinter einem der Soldaten her, der zweite folgte ihm. Nur für den Fall der unbewaffnete Jäger beabsichtigte zu fliehen. Man hatte ihm Hand- und Fußfesseln angelegt. Die Ketten rasselten leise in der Stille während er dem Soldaten durch die düsteren Korridore folgte. Endlich, nachdem sie eine Treppe empor gestiegen waren, wurden die Räumlichkeiten ein wenig gemütlicher. In dem Flur, durch welchen er geführt wurde, war Parkett verlegt worden. Doch nicht nur das, seine Schritte wurden von einem sehr kunstvoll gewebten Teppich gedämpft. An den Wänden hingen Gemälde ferner Landschaften, und der Geruch von gebratenem Fleisch ließ einem das Wasser im Mund zusammen laufen. Vor einer breiten, doppelflügligen Tür kamen die beiden Soldaten zum stehen und salutierten vor den anderen beiden Wachmännern, die diese Gemächer bewachten. Einer der Wachmänner musterte den Gefangenen mit finsterem Blick. „Der Bürgermeister erweist dir die Ehre, vor ihm sprechen zu dürfen. Ich empfehle dir keine Dummheiten zu machen, sonst kann ich dir versichern, du wirst dort unten in deiner Zelle noch einen langen Aufenthalt haben.“ Die beiden Soldaten drehten sich herum und marschierten wieder von dannen, während sich die breite Tür für den Jäger öffnete. Ihn empfing eine Woge von köstlichen Essensdüften aller Art, so schnell konnte er sie gar nicht alle zuordnen. In dem großen Saal befand sich eine lange Tafel an der ein einziger Mann saß. Um seinen Platz herum stapelten sich die verschiedensten Gerichte. Von geschmortem Gemüse, über Kartoffeln bis hin zu saftigem Bratenfleisch mit Soße. An der kräftigen Statur des Mannes, und seines gezwirbelten Bartes konnte Fisk den Bürgermeister Ivan Müllebreck erkennen, von welchem er die Statue in der Mitte des Marktplatzes entdeckt hatte. Nur dass der Mann vor ihm um einige Kilo schwerer war. Zwei weitere Wachen schlossen hinter ihm die Tür und beobachteten jeden seiner Schritte, während sie ihm zu verstehen gaben, vor der Tafel stehen zu bleiben. Auf dem langen Tisch standen einige Luster mit Kerzen die den Raum zusätzlich erhellten. Durch die breite Fensterfront zu seiner Linken konnte Fisk erkennen dass es bereits später Nachmittag war. Überall an den Wänden befand sich allerlei Prunk. Weitere kunstvolle Gemälde, Kommoden mit goldenen Figuren wilder Tiere die von einem tapferen Helden niedergestreckt wurden, und hohe Spiegel, eingerahmt in noch mehr Gold. Bevor er den Raum noch weiter auf sich wirken lassen konnte, räusperte sich der Bürgermeister um seine Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. Mit einer lapidaren Geste deutet er dem Jäger an, sich an einem Platz direkt in seiner Nähe an der Tafel nieder zu lassen. Als Fisk seiner Aufforderung nachgegangen war, tupfte sich Müllebreck das Fett von seinem Bart und legte die Serviette fein gefaltet wieder neben sein Besteck. „Es freut mich Euch persönlich kennen zu lernen Nebeljäger. Euer Ruf ist Euch weit voraus, man erzählt ihr habt schon oft erfolgreich gegen die Bestien der Unterwelt gekämpft und sollt sogar schon einmal einen Dämonen zur Strecke gebracht haben. Sagt, ist das wirklich wahr?“ Fisk atmete tief durch und schürzte die Lippen. „Ja. Den ein oder anderen.“ Der Bürgermeister brach in schallendes Gelächter aus. „Ihr wirkt ja so bescheiden!“ „So bescheiden man nur sein kann wenn man ein paar Stunden lang Eure wunderschönen Zellen bewohnen durfte.“ Mit einem Schlag erlosch das Grinsen in dem Gesicht des Bürgermeisters. Seine Finger angelten nach seiner Gabel die er spielerisch zwischen den Fingern drehte. „Nur um Euren Humor scheint es nicht so gut zu stehen.“ „Verzeiht, jemand riss mich ganz überraschend aus dem Schlaf, und ich kam noch nicht dazu ihn nachzuholen.“ Ivan Müllebreck taxierte den Jäger eine ganze Weile lang. Eine gefährliche Stille lag in dem Raum. „Natürlich. Entschuldigt bitte dass Euch diese Unhöflichkeiten zuteil wurden! Aber ich bin ein gerechter Mann müsst Ihr wissen. Jeder ist vor dem Gesetz gleich. Und wie mir zu Ohren kam, habt Ihr Euch in der letzten Nacht ohne Genehmigung Draußen aufgehalten.“ Fisk verzog seine Lippen zu einem dünnen Lächeln. „Verzeiht mein Versäumnis. Ich war so bedacht darauf Eure Dorfbewohner zu beschützen und mich mit der Rettung dieses Dorfes zu widmen, dass ich ganz vergessen habe, mich nach etwaigen Genehmigungen zu erkundigen, die ich vielleicht benötigen könnte.“ Langsam legte der Bürgermeister die Gabel zurück neben seinen Teller. Das Holz seines Stuhles ächzte gequält als sich der robuste Mann zurück lehnte und seine Finger vor sich verschränkte. „Wisst Ihr wieso Ihr hier seid? Weil sich zwei besorgte Frauen heute für Euch eingesetzt haben. Eine davon sagte sogar, Ihr habt ihr das Leben gerettet. Natürlich bin ich Euch sehr dankbar dafür, und auch dass Ihr den weiten Weg hier her nach Kraic gekommen seid, nur um uns zu helfen. Aber ich gebe Euch den Rat, meine Dankbarkeit und meine Geduld nicht aufs Spiel zu setzten. Habt Ihr verstanden?“ Fisk hob unter dem Rascheln seiner Ketten die Hände und legte ein versöhnliches Lächeln auf. „Entschuldigt wenn ich Euch mit irgendwas verärgert haben sollte. Wisst Ihr, ich bin viel in der Wildnis unterwegs und nicht gewohnt viel zu reden. Da vergesse ich schon einmal meine Manieren, jedoch nie mit böser Absicht.“ Wieder taxierte der Bürgermeister ihn einen Moment lang abschätzend, bis er einmal tief durchatmete und das Gespräch wieder aufnahm. „Wisst Ihr, die Sache ist, diese Wälder dort draußen sind sehr gefährlich. Niemand der diese Wälder betreten hat, kehrte wieder zurück seit der Fluch um sich greift. Deswegen war ich sehr überrascht als ich hörte, dass die Lady Bach ein Hilfegesuch an einen Nebeljäger sandte. Ich möchte dieses Handeln als Verantwortungslos betiteln, denn ich kann nicht dulden, dass Ihr Euer Leben riskiert und noch dort draußen umkommt.“ Langsam beugte sich der Bürgermeister vor und deutet mit einem seiner Finger auf Fisk. „Diese Dämonen werden von allein wieder verschwinden. Da bin ich mir sicher. Unser heiliger Vater betet Stunde um Stunde für unser Heil. Und wenn wir alle ihm mit unseren Gebeten beistehen, dann werden diese Dämonen wieder verschwinden.“ Auch Fisk beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf seinen Knien ab. „Bürgermeister, ich danke Euch für Eure Sorge. Aber bei meiner Ehre als Nebeljäger, kann ich einer Dame in Not ihren Wunsch nicht abschlagen. Ich gab ihr mein Wort, mich um das Problem dass diese Wälder betrifft, zu kümmern. Alles um was ich bitte ist, eine Genehmigung mich auch des Nachts in den Straßen aufhalten zu dürfen. Ich weiß dass Euer Dorf in großer Not ist, und es sich nicht leisten konnte, mich zu rufen, schließlich leidet ein jeder dort Draußen großen Hunger, deswegen bitte ich Euch, lasst mich meinen Auftrag zu Ende führen. Wie ich hörte hat die Lady Bach all ihr Erspartes aus Spiel gesetzt als sie mich rief. Ich möchte Euch versichern, falls ich in diesen Wäldern dort draußen umkomme, dann behält sie natürlich ihr Gold.“ Fisk hob seine Hände und zuckte abermals mit den Schultern. „So entsteht für niemanden ein Risiko oder eine Gefahr. Nur für mich allein. Außerdem sagten mir einige der Bewohner sie seien froh dass ich gekommen bin. Mit Sicherheit wären auch sie bitterlich enttäuscht, würde ich nach einem Tag schon gehen. Dazu noch ohne das Problem gelöst zu haben.“ Bürgermeister Müllebreck leckte sich über seine Lippen und dachte eine ganze Weile lang über die Worte des Jägers nach. Dann klatschte er einmal in die Hände und faltete sie anschließend in seinem Schoß. „Nun gut. Ich sehe ein, dass ihr Euch des Risikos bewusst sein müsst, dem ihr euch aussetzt. Sicherlich wird Eure Anwesenheit hier ja auch niemandem schaden.“ Langsam lehnte sich der Bürgermeister wieder vor und griff nach einer kleinen, goldenen Klingel neben seinem Besteck. Ihr helles Leuten veranlasste einen jungen Mann hastig aus einem der Nebenräume heran zu eilen. Müllebreck hob eine seiner Hände und teilte dem Dienstboten mit, er möchte ihm doch bitte sein Schreibwerkzeug bringen und eine Genehmigung, welche die Ausgangssperre aufheben würde. Nachdem der Bürgermeister das wichtige Dokument unterschrieben hatte, reichte er es dem Jäger Fisk über den Schweinebraten hinüber. „Habt Dank. Nun kann ich doch sicherlich wieder gehen?“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht nickte Müllebreck ihm zu und deutete mit einer Hand auf die Tür. „Aber sicher doch. Ich werde Euch nicht aufhalten. Gebt gut auf Euch acht.“ Fisk ließ sich nicht lange bitten und marschierte zwischen den beiden Wachen zur Tür hinaus. Selbstverständlich traten wieder zwei hilfsbereite Soldaten an seine Seite, und geleiteten ihn nach draußen. Vor der Tür des Rathauses wurde Fisk bereits zu seiner eigenen Überraschung von der Wirtin und der Schneiderin erwartet. Beide hatten sich in dicke Mäntel gehüllt um der kalten Luft zu trotzen. Sie wirkten sichtlich erleichtert ihn zu sehen. Mina drückte ihm rasch seinen Mantel in die Hand. „Hier! Den habe ich euch mitgebracht! Diese Mistkerle haben Euch ja nicht einmal Zeit gelassen Euch etwas gescheites anzuziehen.“ Mina war sich bewusst, die Soldaten mussten sie noch gehört haben. Es war ihr egal. Schmunzelnd hüllte sich Fisk in die warme Kleidung ein, und reckte das Kinn in Richtung der nächsten Straßenkreuzung. „Danke. Wir drei sollten wohl reden.“ Nachdem sie in der Gaststätte eingetroffen waren, seufzte Fisk vor Wonne auf. Der Kamin in der Stube brannte bereits eine Weile und eine herrliche Wärme vertrieb die eisige Kälte aus seinen Knochen. Sofort riss ihn die Schneiderin am Ärmel und zwang ihn so, in ihr Gesicht zu blicken. Ihre Augen waren rot und feucht. Ihre Stimme zitterte als sie sprach. „Ich danke Euch! Ich danke Euch so sehr dass ihr mir in der vergangenen Nacht das Leben gerettet habt! Als Mina zu mir kam, und erzählte dass die Stadtwache Euch gefangen nahm, sind wir sofort zum Bürgermeister gegangen um für Eure Freilassung zu bitten!“ Die Wirtin machte sich bereits dran einen kleinen Bottich mit gewürztem Wein zu erhitzen. Sie befand dass sie alle drei ihn nach diesem Tag dringend nötig hatten. „Erst wollte er uns fortschicken, sagte er habe keine Zeit. Aber Anna und ich haben nicht locker gelassen. Ich habe keine Ahnung was in diese Idioten gefahren ist, dass sie Euch gefangen nahmen.“ Die Schneiderin schreckte zusammen und machte ungeschickt einen leichten Knicks, sie war so unsicher dass ihre Geste noch mehr fehl am Platz wirkte, als sie sowieso schon war, befand Fisk. „Oh! Verzeiht, ich hatte mich ja noch gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Anna Woit.“ Der Waidmann atmete einmal tief durch und ließ sich auf einem der Barhocker nieder ohne der dankbaren Schneiderin große Beachtung zu schenken. Mit einer Hand fuhr er sich durch sein Gesicht, mit einem Mal wirkte er um einige Jahre gealtert. „Ich danke euch beiden dass ihr mich da raus geholt habt.“ Die Schneiderin ließ sich zaghaft auf dem Hocker neben ihm nieder, die Wirtin hingegen schenkte drei Becher voll mit dem köstlich duftenden Gewürzwein ein. Nachdem sie die Becher an jeden verteilt hatte, beugte sie sich über den Tresen und stützte sich mit beiden Unterarmen darauf ab. „Jäger, mir brennen einige Fragen unter den Nägeln!“ „Mir auch. Aber fangt Ihr ruhig an.“ Mina blinzelte verwirrt aufgrund der Antwort des Jägers. Irgendetwas an ihm verunsicherte sie noch immer und sie war sich nie sicher ob er sie nun verhöhnte oder ob er einfach eine merkwürdige Art an sich hatte. „Haben sie Euch etwas angetan? Ich meine, es erschien mir so Unsinnig für Euch eine Genehmigung für die Ausgangssperre zu besorgen. Ich dachte, der Bürgermeister würde sich freuen und sei dankbar dass ich Hilfe holte. Ihr wisst ja wie schlecht es Kraic im Moment geht. Bitte vergebt mir, ich konnte ja nicht ahnen dass...“ Fisk brachte die Wirtin mit einer Handbewegung zum schweigen und schüttelte den Kopf. Er hielt es erst einmal für besser dass was er gesehen hatte, für sich zu behalten. „Schon gut. Lasst uns keine Zeit mit diesem Thema verschwenden. Nun habe ich meine Genehmigung. Mit dem Bürgermeister habe ich mich auch geeinigt.“ Mina runzelte kurz die Stirn, für sie schien die Sache noch nicht erledigt zu sein. Aber sie hatte noch ganz andere Fragen die ihr mehr unter den Nägeln brannten. Gerade als sie ihre Lippen öffnete um etwas zu sagen, drang das Echo eines Schreis an ihr Ohr. Sofort sprang sie auf und rannte so schnell sie konnte um den Tresen herum. „Tobias! Das war Tobias!“ Die Wirtin rannte durch die Stube, warf eine Tür so schnell auf, dass sie fast aus den Angeln flog. Nachdem sie ihre eigene Wohnstube durchquert hatte, steuerte sie auf die Hintertür zu, welche auf den Hof hinaus führte. Die anderen beiden blieben ihr dicht auf den Fersen. Ihre braunen Augen suchten jeden Winkel des Hinterhofs ab, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals als sie ihren Sohn im ersten Moment nicht finden konnte. Panisch schrie sie seinen Namen. „Mama! Komm schnell!“ Seine erstickte Stimme hallte aus den Ställen. Sofort stürmte Mina hinein, in ihrem Kopf malten ihre Fantasien bereits die schrecklichsten Bilder. Als die Drei in den geräumigen Stall rannten, erblickten sie den Sohn der Wirtin auf dem Boden kauernd. Er hatte sich mit dem Rücken an die Wand gedrückt und die Augen weit aufgerissen, unfähig den Blick von dem Schrecken vor sich, abzuwenden. Mina stürzte neben ihrem Kind auf die Knie und drückte ihn fest an sich. Blitzschnell folgte sie seinem starren Blick, als er sich an ihr Kleid krallte. Anna dagegen entspannte sich etwas als sie dem Blick der beiden folgte, da war nichts, was sie nicht schon gesehen hatte. Fisk neigte seinen Kopf zur Seite, um einen Blick hinter die kleine Holzwand zu werfen die einen Teil des Stalls abtrennte, in die alle starrten. Ja, alles war noch so wie er es hinterlassen hatte. In der kleinen, mit Heu ausgelegten Ecke hatte Fisk die Überreste der Wurzelhexe hingelegt, welche er als erstes erlegt hatte. Ihre abgetrennter Kopf war so gedreht, dass ihre toten, starren Augen die Anwesenden zu mustern schienen. Hinter dem Leichnam der Hexe hockte Veldig wie ein stiller Bewacher auf dem Heu und gab keine Regung von sich. „Keine Sorge. Es ist tot.“ Doch Fisk Worte schienen keinen der Anwesenden zu beruhigen. Anna, die Schneiderin starrte ihn verwundert an. „Das ist das Monster das mich entführen wollte! Wieso habt ihr es mitgenommen?“ Mina fand ebenfalls ihre Stimme wieder und fauchte den Jäger wütend an. „Dass ist der Dämon? Was hat es in meinem Stall zu suchen? Seid ihr Wahnsinnig?!“ Fisk stand vollkommen gelassen da, und sah die beiden Frauen müde an. „Ihr hört mir nicht zu. Es ist tot. Eine Wurzelhexe kann auch nicht untot werden, weil sie schon ein Wesen der Unterwelt ist. Da bedeutet tot dann auch wirklich tot.“ Fisk ging langsam ein paar Schritte in die Box hinein und strich Veldig über seinen Kopf, dieser saß noch immer vollkommen erstarrt da, und hielt Wache über den Leichnam. „Ich nahm sie mit, weil ich euch fragen wollte, ob ihr so etwas schon einmal gesehen habt? Außerdem wollte ich nicht, dass der Kadaver für Geschrei hier im Dorf sorgt.“ Mina schluckte laut und flüsterte noch immer heiser vor Schreck. „Eine Wurzelhexe? Was um alles in der Welt ist das?“ Fisk betrachtete den ausgetrockneten Leichnam vor sich. „Wurzelhexen sind Geschöpfe der Unterwelt. Sie bestätigen Euren Verdacht, dass die Wälder verflucht sind. Denn Wurzelhexen werden von verfluchten Orten angezogen.“ Mina kam wieder auf die Beine und zog ihren Sohn mit sich nach oben, der Jäger konnte in ihren Augen eine falsche Hoffnung aufblitzen sehen. Mit zittriger Hand deutete sie auf die Hexe. „Heißt dass, jetzt wo ihr sie besiegt habt, ist auch der Fluch von uns genommen? Haben wir nun wieder Frieden?“ Ihre Worte klangen in den Ohren des Jägers so naiv, dass sie von einem kleinen Mädchen hätten kommen können, und es tat ihm fast leid diese Hoffnung zu zerschlagen. „Nein, bei weitem nicht. Im Wald traf ich auf eine weitere, und ich bin mir sicher, es wird nicht dabei bleiben. Wurzelhexen sind ein schlechtes Zeichen. Aber auch ein Anfang. Sie deuten darauf hin, dass es eine Quelle gibt, von welcher der Fluch her rührt, allerdings muss sie schon äußerst Boshafte Ausmaße angenommen haben wenn Wurzelhexen angelockt werden.“ Tobias starrte Fisk mit weit aufgerissenen Augen an. „Heißt dass, diese Hexe da ist gar nicht die eigentliche Bedrohung, sondern wurde nur von dieser angelockt?“ Fisk nickte dem Jungen zu und sah dann den beiden Frauen abwechselnd in die Augen. „Nun aber zu meiner Frage. Gibt es vielleicht doch noch etwas, dass ich über diese Wälder wissen müsste?“ Seine Augen bohrten sich förmlich in die Gesichter der verängstigten Frauen. Beide warfen sich einen fragenden Blick zu und wirkten sichtlich ratlos. Mina schüttelte schließlich den Kopf. „Ich wüsste nicht was...“ Fisk schnürte ihr mit einer Handbewegung das Wort ab, sein Blick bekam etwas finsteres. „Dann werde ich euch auf die Sprünge helfen. Wurden in diesen Wäldern einmal Menschen hingerichtet?“ Die beiden Frauen wurden mit einem Streich leichenblass, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Fisk atmete tief durch und blickte hinab zu seinem Begleiter. „Wenn Ihr nicht ehrlich zu mir seid, ist es mir nicht möglich meinen Auftrag weiter auszuführen.“ Mina hob rasch ihre Hände in die Luft als könnte sie damit den Jäger besänftigen. „Aber nein! Ihr irrt Euch! Es ist lediglich so, dass ein Gerücht vor einigen Wochen die Runde machte. Einige machten sich deswegen Sorgen, aber die Meisten von uns hielten es für dummes Gerede.“ Fisk kratzte sich an den Stoppeln seines Kinns und blickte die Wirtin eindringlich an. „Was für ein Gerücht?“ Anna trat vor und zog ihren dicken Mantel noch fester um ihren dünnen Leib. „Die Mutter des Schmieds, ging vor über einem Mondwechsel in den Wald um Pilze zu sammeln. Dabei entdeckte sie einen Fingerknochen, weit ab aller Pfade. Als sie an dem Finger zog, holte sie einen kompletten Unterarm aus der Erde heraus. Sie hat mit ihrem bloßen Händen weiter gegraben und als sie fertig war, hatte sie drei Skelette geborgen. Bis auf die Knochen war nicht viel übrig, aber sie erkannte die Gebeine ihres Mannes wieder. Ihm hatte einmal ein Bandit in den Arm geschossen, die Kugeln waren so tief eingedrungen, dass sie in seinen Knochen feststeckten. Keiner konnte sie entfernen. Zum Glück wuchs die Wunde wieder zu, und er lebte damit. Und in einem der Oberarmknochen die sie fand, steckten zwei Kugeln drin. Sie hat immer beteuert es sei ihr Mann gewesen.“ Mina schüttelte langsam den Kopf und warf Anna einen Blick zu. „Die Sache ist nur, sie war schon immer etwas sonderbar. Sagte sie könne kleine Feen im Morgenlicht tanzen sehen und all solche Dinge. Und als sie nach ihrem Fund wieder nach Kraic zurück kehrte, und den Soldaten ihre Fundstelle zeigen wollte, war dort nichts außer der umgegrabenen Erde. Sie ist durchgedreht, hat immer wieder behauptet jemand habe die Knochen gestohlen. Sie beschimpfte den Bürgermeister, er habe ihren Mann ermordet.“ Fisk hob seine Brauen in die Höhe und blickte die Wirtin skeptisch an. „Wieso denn der Bürgermeister?“ Die beiden Frauen blickten sich einen Moment lang an, eine bedrückende Stimmung legte sich über alle Anwesenden im Stall. Mina seufzte und zog ihren Sohn dicht an sich heran, ganz als könnte seine Körperwärme sie trösten. „Gehen wir wieder hinein, dann mache ich den Wein noch einmal warm, und wir erklären es Euch.“ Nachdem die vier sich wieder aufgewärmt hatten, und die Damen sich etwas Mut durch den Wein zugeführt hatten, erhob schließlich die Schneiderin wieder das Wort. „Unser Bürgermeister ist eigentlich ein gnädiger Mann.“ Schon nach diesen Worten lachte Mina auf und hätte am liebsten zur Untermalung ihrer Meinung auf den Boden gespuckt. Anna fuhr unbeirrt weiter. „Hier in Siont wird Betrug an der Staatskasse, Mord, schwerer Diebstahl oder Schändung mit dem Tod bestraft. Doch Bürgermeister Müllebreck sagt immer, jeder Mensch macht einmal Fehler und hat eine zweite Chance verdient. Doch solche Leute können hier natürlich nicht bleiben, falls sie doch wieder eine Straftat begehen, würde uns das nur bedrohen. Daher verbannt er sie.“ Fisk hob langsam eine seiner Brauen und nahm noch einen großen Schluck des Gewürzweins. „Wohin verbannt er sie?“ Anna musste plötzlich mit ihren Gefühlen kämpfen und Tränen flossen an ihren Wangen hinab, daher gab Mina ihm die Antwort. „Wenn er jemanden eine Straftat angehängt hat, führen die Soldaten ihn zur Küste. Er darf einen Rucksack voller Vorräte und so viel Hab und Gut mit sich führen, wie er tragen kann. Die Soldaten fahren mit ihm hinaus auf das Meer, bis kein Land mehr zu sehen ist. Dann wird der Angeklagte in ein Boot gesetzt, und der See überlassen.“ Bitterkeit lag in ihrer Stimme und untermalte ihre Ablehnung gegen diese Handhabung in jedem Wort. Fisk kniff leicht die Augen zusammen und drehte seinen Becher langsam auf der Tischplatte im Kreis. „Was soll der ganze Aufwand? Er verschont sie, nur um sie dann auf See auszusetzen.“ Über Minas Züge huschte ein höhnisches Lächeln. „Nun liegt ihr Schicksal in den Händen unseres Schöpfers. Er allein entscheidet ob die Verurteilten auf ihrer Reise Gnade erfahren indem sie auf Land stoßen bevor sie verhungert und verdurstet sind, oder ob das Meer sie sich holt. Die Soldaten überwachen natürlich diese göttliche Fügung, damit unsere Männer nicht wieder hier an Land kommen.“ „Ihr scheint über das ganze hier sehr zorniger Meinung zu sein?!“ Es war eher eine Feststellung von Fisk als eine Frage. Mina lehnte sich über den Tresen und blickte dem Jäger tief in die Augen. „Mein Mann wurde verurteilt, genau wie der von Anna, Steuern hinterzogen zu haben. Glaubt mir, ich kannte meinen Mann! Er arbeitete rund um die Uhr hart für seinen Traum, diese Gaststätte hier zu führen. Mein Mann war einer der ehrlichsten Menschen auf dieser Welt. Keinen scheiß Kupfertaler haben wir hinterzogen. Ich habe nämlich unsere Haushaltskasse geführt Jäger Fisk. Ich muss es wissen.“ Sie stellte sich wieder gerade hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Auch Anna weiß das ihr Mann unschuldig war, redet sich aber jetzt gerne ein, dass er vielleicht doch etwas verbrochen hat, und unser herzensguter Bürgermeister hier, Gnade über sein Schicksal hat walten lassen.“ Mina tippte mit dem Zeigefinger auf den Tresen und verdrehte ihre Augen. „Ich weiß nicht was die Mutter des Schmieds wirklich gesehen hat, oder nicht. Aber auch sie hat immer beteuert ihr Mann sei unschuldig verurteilt worden. Auch er wurde verbannt. Ihr könnt Euch sicher vorstellen was hier in Kraic los war, als sie herum erzählte, dass der Bürgermeister sie auf dem Weg zu der Küste einfach im Wald abmurkse.“ Nachdenklich rieb sich Fisk wieder über sein stoppeliges Kinn und blickte nach und nach in die Gesichter der Anwesenden. Tobias starrte wie versteinert in seinen Becher, Anna versuchte krampfhaft ihrer Tränen her zu werden, und Mina wurde von ihrer Wut zerfressen. „Und man macht Euch zu Witwen, weil eure Männer zwar noch leben könnten, aber nie wieder hier her zurück kommen können?“ Anna kreischte vor Verzweiflung auf und trommelte mit ihren kleinen Fäusten auf den Jäger ein. „Ich wollte mit ihm gehen! Ich wollte meinen Mann nicht allein lassen! Aber man hat es mir verboten! Können wir dieses Thema nicht ruhen lassen? Unsere Männer sind da draußen, irgendwo in einer schönen Stadt und finden ihr Glück, bei einer neuen Familie!“ Völlig überrumpelt von den Gefühlen der Schneiderin, ließ er ihre Attacke über sich ergehen. Mina nahm sich ihrer an und packte ihre beiden Handgelenke, bis sich Anna wieder beruhigt hatte. „Lass mich los!“ Wütend stapfte sie, nachdem Mina ihrem Wunsch nachgegangen war, zur Tür hinaus. Wieder begann sie bitterlich zu weinen und rannte so schnell sie konnte die Seitenstraße hinab nach Hause. Mina seufzte schwer und schloss die Tür hinter ihr. „Entschuldigt. Sie ist sehr emotional. Tobias, bitte fang doch schon mal an, die Fenster oben für die Nacht zu verriegeln. Gleich helfe ich dir dabei.“ Ohne ein Murren kam der Junge ihrer Bitte nach. Als die beiden allein in der Stube zurück blieben setzte sich Mina auf einen Hocker neben den Jäger. Fisk leerte seinen Becher und starrte noch einen Moment lang in das Gefäß. „Was glaubt Ihr, was mit Eurem Mann passiert ist?“ Mina schwieg eine ganze Weile lang, bis ihre Stimme wieder leise erklang. „Ich weiß es nicht. Auch wenn ich mich an die Hoffnung klammern möchte, dass er irgendwo an Land gegangen ist, und es ihm gut geht, so werde ich die Leere in mir nicht los. Eine Leere die mir sagt, dass das Lebenslicht meines Liebsten erloschen ist.“ Erneut verzog sie vor Bitterkeit ihren Mund und fügte ihren Worten noch etwas hinzu. „Immerhin lasse ich mich nicht wie Anna schon nach kurzer Zeit wieder von unserem Kommandanten trösten.“ Fisk blickte sie flüchtig aus dem Augenwinkel an und spitzte die Lippen. Das waren keine Dinge die ihn interessierten. Langsam trommelte er mit seinen Fingern auf dem Tresen. „Die Mutter des Schmieds, wo wohnt sie? Ich würde sie gerne etwas fragen.“ „Sie erlag vor zwei Wochen ihrem Fieber.“ Der Jäger seufzte und trommelte weiter mit seinen Fingern auf dem Tresen. „Ein bedauerlicher Zufall.“ „Jäger Fisk, wieso habt ihr uns gefragt, ob wir Euch etwas über den Wald verheimlichen würden? Was habt ihr dort gesehen?“ „Wandelnde Tote.“ Seine klare und direkte Antwort gab Mina das Gefühl, dass ihr jemand den Boden unter den Füßen fort gerissen hatte. Ihr stockte der Atem. „Sie griffen mich an als ich den Wald betreten hatte. Es waren zwei Männer, einer hatte ein gebrochenes Genick. Daher wollte ich wissen, ob vielleicht einmal Hinrichtungen in dem Wald stattgefunden hatten.“ Mina, noch immer außerstande ein Wort zu sagen schüttelte nur den Kopf. Sie rang sichtlich um Fassung. Gerne hätte Fisk noch einen Becher des Weines getrunken, normal war das nicht ganz sein Fall, aber er musste gestehen dass er köstlich schmeckte. Vielleicht sollte er die Wirtin mal in einem anderen Augenblick nach dem Rezept fragen, und es jener weiter geben, die ihm im Winter ein Quartier stellte. Wenn er sie ganz nett darum bitten würde, könnte er sie eventuell dazu erwärmen ihm auch mal solch einen Wein zu machen. Unter einem lauten Seufzer rutschte Fisk von seinem Hocker und streckte sich. „Nun gut. Bevor ich hier noch wie eine dieser Hexen Wurzeln schlage, werde ich mich für die Nacht vorbereiten.“ Rasch sprang auch Mina von ihrem Hocker und ging dem Jäger ein paar Schritte nach. Bedenken spiegelten sich in ihren Zügen wieder. „Aber die Ruhtagnacht ist vorüber. Sonst kommen für gewöhnlich keine Dämonen in unsere Stadt.“ Fisk wandte sich der Tür zu die ihn an die Treppe führen würde, hinauf zu dem Flur wo sich sein Gästezimmer befand, ohne sich noch einmal herum zu drehen. „Ich werde auch mit Sicherheit nicht warten bis sie wieder hier her kommen. Dieses Mal werde ich es sein, der ihnen einen Besuch abstattet.“ „Ihr wollt wirklich allein des Nachts in die Wälder ziehen?! Wartet doch bis der Morgen anbricht!“ Fisk schloss seine Finger um die Türklinke und warf Mina einen Blick über die Schulter zu. „Allein werde ich nicht sein. Veldig wird mich begleiten. Außerdem, erinnert Euch wen ihr rieft. Einen Jäger.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln, und seine Stimme wurde von etwas Dunklem begleitet. „Ein wahrer Jäger jagt seine Beute nicht wenn sie schläft.“ Kapitel 3: ----------- Die Schatten der Häuser des kleinen Dorfes Kraic wurden immer länger, und der Himmel zauberte mit seinen zarten Pastelltönen eine falsche, friedliche Idylle. Kaum einer hatte bis vor kurzem noch daran geglaubt dass in ihrem Dorf einst wieder das turbulente Leben stattfinden würde, wie es für einen Handelsumschlagpunkt typisch war. Auch wenn die Winter immer etwas Ruhe mit sich brachten, so hatte es doch nie eine solch gespenstische Stille gegeben, wie sie nun Einkehr gehalten hatte. Viele überlegten sich dem Verbot zu widersetzen, das Dorf zu verlassen, und ihr Glück in der Fluch zu suchen. Aber alle waren sich bewusst dass dieses Vorhaben sie geradewegs in den sicheren Tod führen würde. Niemand in den Dörfern und Städten ringsum würde sie aufnehmen. Man munkelte hinter hervor gehaltener Hand, dass nicht die Wälder um Kraic herum allein verflucht waren, sondern ebenso seine Bewohner. Ironisch grinste das Schicksal fast hämisch auf die Menschen in diesem Dorf hernieder. Würden sie gehen, würden sie sicherlich erfrieren, doch wenn sie hier blieben, würden sie eines Tages verhungern wenn sich das Blatt nicht bald wendete. Seit der vergangenen Nacht aber machte sich zum erstem Mal seit so vielen Monaten wieder ein Funken Hoffnung breit. Der Jäger Fisk hatte eine Frau vor den dunklen Kreaturen des Waldes gerettet. Man wollte glauben er könne sie wirklich von ihrem Fluch erretten. Sie befreien, und das Leben zurück nach Kraic bringen. Nicht jeder aber sah in ihm eine Gestalt des Erlösers. Der Waidmann legte sein Schwert im Stroh neben seinem Begleiter Veldig ab. Noch einmal drückte er mit beiden Händen seine massiven Kiefer auseinander um einen prüfenden Blick in dessen Rachen zu werfen. Veldig gefiel dieses Behandlung nicht im geringsten, aber man biss schließlich nicht in die Hand die einen fütterte, und da diese Hände dies eben noch getan hatten, blieb er geduldig liegen. Es hätte ihn kaum Kraft gekostet sich gegen die Hände seines Herren zu wehren, sein Kiefer war eines der gefährlichsten Dinge an seinem Körper. Gleich neben den zwei Hörnern auf seiner Stirn, die lang genug waren um einen Menschen ohne Probleme aufzuspießen. „Alles in Ordnung, mein Freund. Das Blut der Wurzelhexe hat keinen Schaden angerichtet.“ Gerade als sich Fisk wieder erheben wollte, hörte er ein leises Geräusch hinter sich. Den Finger am Abzug seiner Armbrust richtete er sich auf, und drehte sich in Richtung der offenen Stalltür. In seinem Kopf rechnete er sich seine Chancen aus, würde jemand ebenfalls auf ihn zielen, wäre er schnell genug seine Waffe zu ziehen, zu zielen und dann noch abzudrücken? Bevor er aber seinen Gedankengang zu Ende bringen konnte, erblickte er die Silhouette eines Kindes im Türrahmen und ließ den Finger um den Abzug wieder locker. Tobias stand mit erstarrter Miene einige Meter von ihm fort und schenkte dem Waidmann keine Beachtung. Sein Blick hatte sich auf Veldig gerichtet und jede Farbe in seinem Gesicht war verschwunden. Fisk wandte sich wieder seinen Vorbereitungen zu, und packte in die kleine Tasche die er mit sich nehmen würde, noch ein wenig Proviant. Es würde eine lange Nacht werden. Endlich hatte Tobias seinen Mut wiedergefunden und tastete sich langsam an der Wand aus Holz, weiter an den Jäger und dessen Begleiter heran. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist es?“ Fisk atmete lange durch die Nase aus und beschäftigte sich weiter mit dem Packen seiner Tasche, er war kein Freund von Kindern, und schon gar nicht von welchen die auch noch dumme Fragen stellten. Als die Stimme in seinem Rücken eine Weile lang schwieg, erhob er widerwillig doch das Wort. In seiner dunklen Stimme war deutlich zu hören dass er leicht genervt war. „Was ist was? Redest du von einem Gegenstand?“ Tobias schluckte so laut das Fisk es hören konnte „Nein. Ich meine Euer Tier. Ich habe noch nie so ein Wesen gesehen! Was ist es?“ Fisk leckte sich langsam über die Unterlippe und band die letzte Schnalle seiner Tasche zu. „Veldig ist ein Hyna. Hynas kommen weit im Süden vor, fern der Grenzen von Siont. Schon mal was von den Schlafenden Riesen gehört?“ Tobias überlegte und traute sich noch ein paar Schritte weiter heran, dann durchfuhr ihn plötzlich die Erinnerung. Sein Herz klopfte schneller als das Bild seines Vaters vor seinem inneren Auge auftauchte. „Ja! Die Schlafenden Riesen! Mein Vater erzählte mir von diesem Land. Man nennt es so, weil die Berge dort so hoch sind, dass sie fast den Himmel berühren. Und weil ihre Form so aussieht als hätten sich Riesen auf den Rücken zum schlafen gelegt. Man soll ihre Gesichter sogar erkennen!“ Über die finsteren Züge des Waidmanns huschte ein Lächeln. Langsam erhob er sich und befestigte seine Reisetasche an Veldigs Sattel. „Richtig, mit etwas Fantasie kann man in der Form der Berge wirklich Gesichter erkennen. Die Landschaft dort ist sehr abwechslungsreich. Es gibt viele Seen, Wälder und breite Graslandschaften. Dort traf ich einst auf Veldig. Und wie das Schicksal es so wollte, begleitet er mich seitdem auf meinen Reisen.“ Tobias machte große Augen und blieb schließlich gut zwei Meter von den Beiden stehen. Das war eindeutig nah genug. Fisk schnallte sich sein Schwert auf den Rücken, dann war er bereit. So bereit man nur sein konnte sich nachts in einem Wald herum zu treiben, der von dunklen Gestalten heimgesucht wurde. Tobias sah dem Waidmann zu wie er die letzten Vorkehrungen für seine Aufgabe traf, und verschränkte immer wieder nervös seine Finger ineinander. Dann fasste er all seinen Mut zusammen, und sprach das aus, weswegen er überhaupt an diesen Ort gekommen war. „Nebeljäger. Ich hörte wie Ihr mit meiner Mutter über die Toten im Wald spracht. Ist es wahr? Wandelten dort wirklich tote Männer umher?“ Fisk zog die letzte Schnalle seines Schwertes fest und setzte sich seinen Hut auf. Unter der Krempe starrten zwei blaue Augen düster zu dem Jungen herüber. „Du hast gelauscht?“ Tobias zuckte zusammen, suchte händeringend nach einer guten und plausiblen Ausrede, doch die Zeit war zu knapp als dass er eine hätte finden können. „Es tut mir leid, ich...“ Fisk brachte ihn mit einer barschen Handbewegung zum schweigen und gab Veldig ein Zeichen, woraufhin sich dieser erhob, um sich das Stroh aus dem Fell zu schütteln. „Mir ist das egal, für deine Erziehung sind andere zuständig. Ja, ich sah die ruhelosen Toten. Warum fragst du?“ Tobias ballte seine Hände zu Fäusten, eine Handlung die den kleinen, scheuen Jungen direkt in ein anderes Licht rückte, denn sie war begleitet von einem festen Blick. „Wenn ihr einen Mann seht, der einen Gürtel mit Werkzeugen, die man zum Schnitzen von Holz benötigt, um seine Hüften trägt, dann bitte ich Euch, es mir zu sagen!“ Fisk sah den Jungen einen Augenblick lang abschätzend an, dessen Fassade, die Stärke heucheln sollte, bereits zu bröckeln begann. Seine kleinen Fäuste zitterten, und an dem Beben seiner Unterlippe war deutlich zu erkennen, dass er mit seiner Fassung rang. „Dein Vater?“ Tobias nickte und senkte den Blick zu Boden, die ersten Tränen benetzten die umher liegenden Strohhalme. „Auch uns erzählte man die Geschichte, man hätte ihn auf ein Boot gebracht und auf dem Meer ausgesetzt wo er gute Chancen hätte auf einem anderen Stück Land zu stranden, und dort ein gutes Leben führen zu können. Aber ich glaube davon kein Wort! Mein Vater und ich haben jede Minute zusammen verbracht! Kurz nachdem man ihn in den Wald brachte, da spürte ich mit einem Mal so eine tiefe Leere! Sie ist immer noch da! Ich weiß einfach dass Vater tot sein muss!“ Die Schultern von Tobias bebten, er wollte seine Gefühle bändigen, aber die Tränen flossen erbarmungslos an seinem Gesicht hinab. Fisk seufzte leise und antwortete in einem ruhigen Tonfall, welcher schon fast freundlich hätte wirken können. „Wenn ich jemanden mit solch einem Gürtel sehe, wirst du es erfahren.“ Eilig wischte sich Tobias ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und blickte zu dem Waidmann auf. „Diesen Gürtel würde mein Vater niemals ablegen! Das Schnitzen war seine Leidenschaft und ich habe viel von ihm gelernt! Er trug ihn an dem Tag, als er aufbrach.“ Fisk nickte ihm zu, als Zeichen dass er sich an seine Worte halten würde, dann durchquerte er mit ein paar wenigen Schritten den Stall und trat mit seinem treuen Begleiter in die kalte Nacht des Abends hinaus. Noch bevor er die Grenze des Waldes erreicht hatte, war das Licht bereits so weit gewichen, dass die finstere Nacht nur noch wenige Augenblicke auf sich warten lassen würde. Der Waidmann ging mit langen, aber ruhigen Schritten den breiten Pfad durch den Wald entlang. Konzentriert lauschte er auf jedes Geräusch, doch die einzigen die er vernahm, kamen von ihm. Es war so leise, dass er das Knistern seines Atems in der kalten Luft hören konnte. Obwohl er dieses Mal die Schatten im Unterholz nicht ausmachen konnte, die ihn einst beobachtet hatten, hatte er dennoch das Gefühl dass unentwegt Blicke auf ihn gerichtet waren. Wieder konzentrierte er sich auf sein Schwert, welches er auf seinem Rücken befestigt war. Es summte nicht wie das letzte Mal als er diesen Wald betreten hatte. Dass das Summen ausblieb war keineswegs eine Garantie dafür dass sich niemand in seiner Nähe befand, sondern lediglich dafür dass es keine Wesen der Dunkelheit waren. Vorsichtig zog er eines der kleinen Fläschchen, welche er an einem Riemen über der Brust befestigt hatte, aus seiner Halterung. Mit dem Daumen schob er den Korken auf und schüttete sich den Inhalt im Ganzen die Kehle hinab. Fisk blinzelte einige Male, dann hatten sich seine Augen an die immer weiter voran schreitende Finsternis gewöhnt und er konnte mindestens genauso gut sehen wie sein Begleiter. Zwei weitere dieser kleinen Fläschchen besaß er noch, genug für zwei weitere Nächte. So lange beabsichtigte er allerdings nicht an diesem Ort zu bleiben. Seine Jagd sollte in dieser Nacht ihr Ende finden, denn er wollte sein Winterquartier erreichen bevor der Schnee ihm bis zu den Knien reichte. Plötzlich setzte es ein. Das Summen auf seinem Rücken. Seine Augen suchten das Unterholz ab, huschten aufmerksam hin und her, doch sie machten keine Bewegung aus. Selbst Veldig, dessen Nase kaum jemand das Wasser reichen konnte, hatte scheinbar noch nichts gewittert. Ruhig schritt er dicht an der Seite des Waidmanns daher. Das Summen auf seinem Rücken nahm zu, etwas musste sich ganz in seiner Nähe befinden. Fisk verharrte an Ort und Stelle. Seine Ohren schmerzen vor Anstrengung, er vernahm ein ganz leises Schlurfen in der Ferne. Die Augen weit aufgerissen drehte er sich einmal im Kreis, untersuchte jede Baumkrone, jeden Busch, jeden Baumstamm, doch konnte er nichts auffällig erkennen. Die Situation gefiel ihm nicht. Der Wald war gut bewachsen zu beiden Seiten des Pfades, dicke und dünne Baumstämme der verschiedensten Arten standen nah beieinander, jedoch war dieser Wald nicht so dicht, dass man sich unerkannt an ihn heran schleichen konnte. Zwischen den Bäumen war so viel Platz dass man schon einige große Schritte tun musste, um von einem Versteck zum anderen zu huschen. Fisk verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und ging langsam den Pfad weiter entlang, immer tiefer hinein in die Dunkelheit des Waldes, begleitet von dem Summen seines Schwertes. Er konzentrierte sich auf das schlurfende Geräusch, und näherte sich ihm vorsichtig. Dafür musste er seinen sicheren Pfad verlassen. Farne und kleine Sträucher streiften seine Beine. Hölzer und gefrorenes Laub knackten unter seinen Füßen. Vor sich entdeckte er die Umrisse einer Grube im Boden, aus ihr stammte das Geräusch. Vorsichtig pirschte er sich an die Grube heran, um über dessen Rand einen Blick hinein erhaschen zu können. Tief war das Loch nicht, zwei Meter mochten es sein, vielleicht einen Meter mehr in Breite und der Länge. Als er nah genug an der Grube war, um einen Blick hinein zu werfen, entdeckte er einen Mann am Boden von dieser. Er musste sich vor einer Weile die Beine gebrochen haben, vielleicht als er in dieses Loch stürzte, denn diese schleifte er wie einen Fremdkörper hinter sich her. An den Rändern der Grube konnte Fisk Kratzspuren ausmachen, scheinbar hatte er ohne Erfolg wieder versucht aus seinem ewigen Grab hinaus zu kommen. Leere, vertrocknete Augenhöhlen blickten zum Waidmann auf. Lange schon musste das Leben aus diesem Mann gewichen sein, denn auf seinem Haupt befanden sich nur noch ein paar spärliche Reste seines Haars, und sein Fleisch hatte sich soweit zurück gezogen dass man auf sein blankes Gebiss schaute. Als der Tote seinen Mund öffnete, drang ein leises, dunkles Stöhnen hinaus. Mühsam drehte er sich in der engen Grube und versuchte an dem Ende wo Fisk stand, hinauf zu kriechen. Doch seine Beute war unerreichbar fern. Gerade als Fisk sich wieder aufrichtete, begann Veldig zu knurren und warf seinen Kopf über die Schulter. Zu spät. Etwas hartes prallte gegen Fisk. Es riss ihn von den Füßen, und bevor er verstand was gerade geschah, stürzte der Waidmann hinab in die Grube. Jemand hielt seinen Körper fest umschlugen, jemand der so kalt war wie die eisige Winterluft selbst. Der Körper des Toten in dem Erdloch dämpfte den Sturz etwas ab, dennoch presste der Balast der zweiten Person, Fisk den Atem aus den Lungen. Unter ihm brachen Knochen, zum Glück nicht seine eigenen, doch er spürte wie die Knochensplitter schmerzhaft in seinen Rücken drückten. Er blinzelte seine Benommenheit fort und stemmte sich mit beiden Händen gegen seinen Angreifer, erst jetzt erkannte er ihn. Eine Wurzelhexe musste ihm aufgelauert sein, hatte gewartet bis der Augenblick günstig war, und die Aufmerksamkeit des Jägers auf etwas anderem gelegen hatte. Ihr Zahnloses Grinsen überzog ihr altes Gesicht, sie gackerte hämisch vor Freude und versuchte ihre langen, gelben Fingernägel in seine Augen zu Bohren. Ihr Atem stank nach fauligem, nassen Holz. Fisk gelang es ihre Handgelenke mit beiden Händen zu umfassen, bevor sie ihn blenden konnte. Die Spitzen ihrer Nägel waren nur wenige Zentimeter von seinen Augen entfernt, sie versuchte mit aller Kraft sie hinunter zu drücken. Für ein altes Weib hatte sie eine unsagbare Kraft, Fisk ächzte vor Anstrengung. Neben ihm schob sich etwas in sein Gesichtsfeld. Leere Augen starrten ihn an. Blanke Zähne entfernten sich voneinander, und ein stechender Verwesungsgestank mischte sich unter den Geruch der Hexe. Bevor sich die Zähne in das weiche Fleisch des Waidmanns graben konnten, drehte Fisk seinen Kopf weit zur Seite. Der Untote würde auch seine blanke Kehle nicht verschmähen und riss seine Kiefer noch weiter auf. Die dünne Haut riss unter der Spannung und gab noch mehr seines Kiefers frei. Mit aller Kraft wuchtete Fisk seinen Kopf wieder auf die andere Seite und gab dem Toten eine Kopfnuss, die seinen morschen Schädel zum bersten brachte. Eine Hand der Wurzelhexe drückte seinen Griff zu Boden, ihre Nägel streiften noch seine Wange und hinterließen ein feines Rinsaal Blut. Über ihm bellte Veldig nervös, fletschte die Zähne und versuchte immer wieder nach der Wurzelhexe zu schnappen die seinen Herren angriff. Fisk war von der Kopfnuss, die einen seiner Angreifer endgültig getötet hatte, selbst total benommen. Die Konturen des Gesichts über ihm verschwammen zu undeutlichen Linien. Die Wurzelhexe richtete sich mit ihrem Unterleib so weit auf, dass ihre Füße beide fest auf dem Boden standen, sie verlagerte ihr Gewicht so weit nach vorn dass Fisk noch mehr Mühe hatte, ihre Krallen bei einem weiteren Angriff fern zu halten. Aus dem Mund der Hexe drangen unverständliche Laute, ihre Zehen drückten sich noch fester auf den gefrorenen Boden. Fisk merkte augenblicklich dass die Erde um ihn herum begann sich zu bewegen. Ganz so als würde eine ganze Schar Würmer unter ihm erwachen und versuchen an die Oberfläche zu gelangen. Der Boden um ihn herum begann aufzubrechen und kleine Wurzeln schlängelten sich unter größter Anstrengung in die Höhe. Ein paar Worte der Hexe, und die Wurzeln begannen sich auf Fisk zu zubewegen. Die Hexe gackerte vor freudiger Erregung als die Wurzeln ihn erreicht hatten und sich um seine Gliedmaßen legten. Mehr noch, sie wanderten über seinen Oberkörper und dem Waidmann wurde bewusst, was die Hexe beabsichtigte. Feste drückten sich die Wurzeln auf seine Kleidung, suchten einen Weg hindurch, suchten einen Weg zu seiner Haut, dem geringsten Widerstand bis sie sich in sein Innerstes graben konnten. Fisk wollte es nicht so weit kommen lassen. Die Hexe hatte durch ihre Verlagerung seine Beine frei gegeben. Der Waidmann nutzte die Gelegenheit und zog sie so weit an, bis er seine Füße unter ihrem Magen wusste. Langsam klärte sich auch wieder sein Blick und er konnte am oberen Grubenrand noch immer Veldig erkennen, der nicht aufgab und versuchte die Hexe mit seinen massiven Kiefern zu erreichen. Fisk legte all seine Kraft in seine Beine, und unter einem Aufschrei der Anstrengung, streckte er sie aus, und schleuderte die Hexe über sich in die Luft. Unter ihren Fußsohlen hatten sich kleine Wurzeln gebildet, welche bei dem heftigen Ruck aus dem Erdreich gerissen wurden. Es war des Waidmanns Glück gewesen dass der Boden so hart gefroren war, denn sonst hätte er genau so gut versuchen können einen Baumstamm mit bloßen Händen heraus zu reißen. Kreischend wurde die Hexe in die Höhe geschleudert, nicht weit, aber es reichte gerade aus, dass Veldig einen ihrer rudernden Arme zu fassen bekam. Ohne Mühe gruben sich seine spitzen Zähne in das harte Fleisch, mit einer Pfote schlug er nach ihrem Brustkorb und fixierte sie so am Rand der Grube. Wütend und kreischend versuchte sie mit ihrem freien Arm nach der Bestie zu schlagen. Die Wurzeln um Fisks Körper hatten augenblicklich ihr Leben verloren und hielten ihn nicht länger in seiner Gewalt. Mit einem Ruck war er wieder auf den Beinen und zog surrend sein Schwert. Bevor die Wurzelhexe Gelegenheit hatte ihren Kopf zu dem Waidmann zu drehen, hatte er ihn mit einem Schlag sauber von ihren Schultern abgetrennt. Polternd rollte er zwischen seinen Beinen hindurch und blieb an den Überresten des Untoten liegen, den er bei seinem Sturz zerschlagen hatte. Veldig gab den leblosen Körper der Wurzelhexe wieder frei, und richtete sich am Rand der Grube stehend, stolz zu seiner vollen Größe auf. Fisk holte noch ein paar Mal tief Luft und betrachtete den Boden seines Gefängnisses, als wollte er sicher gehen, dass sich auch niemand mehr rührte. Langsam schob er sein Schwert wieder zurück in die Scheide, mit leichter Besorgnis stellte er fest, dass es noch immer summte. „Veldig geh ein paar Schritte zurück.“ Sein Begleiter gehorchte. Fisk stellte sich mit dem Rücken in eine Ecke der Grube und richtete seinen Blick konzentriert auf die ihm gegenüberliegende Seite. Dann stürmte er los. Viel Anlauf konnte er nicht nehmen, aber es musste reichen. Er sprang ab, stieß sich mit einem Fuß an der Wand der Grube ab, und streckte seine Arme nach dem schräg dazu liegenden Rand aus. Seine Finger bekamen tatsächlich für einen Augenblick lang Halt, er versuchte sich so schnell wie möglich hinauf zu ziehen. Seine Unterarme lagen bereits auf dem Waldboden auf, er musste sich nun nur noch in die Höhe ziehen. Seine Füße rutschten immer wieder von der glatten Wand der Grube ab, langsam zog ihn sein Gewicht wieder zurück. Ächzend vor Anstrengung wollte er sich dagegen wehren, versuchte weiter sich hinauf zu kämpfen, dann endlich hatte sein Begleiter erbarmen. Veldig trat ruhig an den Waidmann heran und nahm behutsam den Gurt zwischen seine Zähne, mit dem er sein Schwert auf dem Rücken befestigt hatte, und zog den zappelnden Menschen hinauf. Fisk hatte es eilig wieder auf die Beine zu kommen, klopfte sich den Dreck von der Kleidung und pflückte noch ein paar Wurzeln ab die sich an ihm verheddert hatten. Nachdem er seinen Hut wieder gerichtet hatte, warf er Veldig einen strengen Blick zu und tätschelte sein Haupt. „Gut gemacht mein Freund. Aber dass ich etwas meine Kondition verloren habe, davon erfährt niemand. In Ordnung?“ Veldig schnaubte als habe er verstanden, dann machten sich die beiden wieder auf den Weg. Fisk setzte seine Reise erst einmal auf dem Pfad weiter fort, er wusste nicht wie groß der Wald war, noch wo er seine Suche beginnen sollte. Alles was er wusste war, dass es eine Ursache für einen tief verwachsenen Fluch an diesem Ort geben musste wenn so viele Wurzelhexen hier ihr Unwesen trieben. Drei Stück hatte er bisher gesehen, und dabei war er nicht einmal tief in das Herz des Waldes eingedrungen. Ein schlechtes Zeichen, denn Wurzelhexen waren sehr selten. Etwas riss ihn aus seinen Gedanken. Ein dunkles Stöhnen. Schatten bewegten sich langsam durch das Unterholz. Fisk ging zusammen mit Veldig hinter einem breiten Baumstamm in Deckung. In einiger Entfernung sah er eine Gruppe Männer durch den Wald marschieren, Sieben an der Zahl. Alle tot und ruhelos. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, versuchte Fisk die Männer genauer zu betrachten, doch leider ermöglichte ihm der Trank nur in der Nacht zu sehen wie am Tage, nicht aber zu sehen wie ein Adler. Seine Augen waren gut, sonst hätte er auch als Jäger versagt, aber die Männer waren einfach zu weit fort. Er konnte nur erahnen dass manche von ihnen schon länger tot sein mussten als die anderen. Sie waren magerer, und ihre Schritte ließen ihre Körper hin und her schwanken. Die meisten aber hatten mehr Ähnlichkeit mit gewöhnlichen Spaziergängern. Seine Finger angelten nach der Armbrust. Im Moment würden sie ihm vielleicht keine Bedrohung sein, aber zumindest von ihrem Leid konnte er sie befreien. Ein heftiges Summen hinter ihm brachte ihn von seinem Vorhaben ab. Sein Schwert reagierte auf eine nahe und sehr starke Präsenz. Tiefe Atemzüge brachten die Luft vor ihm zum Knistern als er sich langsam herum drehte. Niemand war da. Veldig stellte seine Ohren auf. Das Fell auf seinem Rücken sträubte sich leicht. Plötzlich bemerkte Fisk einen schwachen, grünlichen Schimmer im Dickicht des Waldes. Noch einmal blickte er zu den wandelnden Toten, doch sie entfernten sich immer weiter von ihm. Langsam erhob er sich, schlich durch das Unterholz, immer weiter in die Nähe des grünen Leuchtens. Darauf bedacht, kaum einen Laut von sich zu geben, fragte er sich wieso. Viel gewisser schien ihm zu sein, dass irgendetwas genau wusste wo er sich befand. Dass es ihn beobachtete. Jetzt vielleicht sogar zu sich lockte. Das Schwert verriet ihm dass er und Veldig nicht alleine waren, auch wenn es sich bisher nicht zu erkennen gegeben hatte, glaubte er, dass der Augenblick bald gekommen sein musste. Das gefrorene Laub unter seinen Füßen knirschte leise. So leise dass ein normales Tier nichts von seiner Pirsch mitbekommen hätte. In all den Jahren als Nebeläger war dies eine der ersten Lektionen die er gelernt hatte. Sich in möglichst vollkommener Stille zu bewegen. Es kam vor, dass sein Leben davon abhing. Ihm war, als entferne sich das Schimmern immer so weit, wie er ihm näher kam. Kein Schritt brachte ihn näher heran. Jemand lockte ihn, spielte sein Spiel mit ihm. Fisk spielte mit, hoffte nach seinen eigenen Regeln. Seine Umgebung suchte er unaufhörlich ab, doch bis auf das Schimmern, war er von einer trügerischen Idylle eines winterlichen Waldes umgeben. Trotz des Frostes wurde der Boden unter seinen Füßen weicher. Ein Teppich aus Moos ebnete ihm den Pfad durch das Gehölz. Dann war er gekommen, der Augenblick an dem das grünliche Licht eine Stelle erreicht hatte, an der es verweilen mochte. Ein leichtes Flackern ließ es mal stärker, mal schwächer wirken. Umringt von Moos und ein paar vereisten Farnen, schwebte es nur eine handbreit über einem zersplitterten Baumstumpf. Aus Veldigs Kehle drang ein leises Knurren, Fisk blieb einige Meter von dem Licht entfernt stehen. Nichts geschah. Schritt um Schritt näherte er sich langsam dem Baumstumpf. Plötzlich sank das Licht hinab auf das verrottende Holz, des Waidmanns Füße verharrten still. Wie ein Wassertropfen, so versickerte das Leuchten. Kaum war es verschwunden, begann das Holz sich zu regen. Kleine Splitter lösten sich, fielen Stumm auf das vereiste Moos. Knackend brach der Stamm in Zwei, ein Haarschopf drückte sich langsam aus dem Riss heraus. Es machte sich Platz, der Spalt wurde größer und auf einen Kopf folgten nackte Schultern. Eine Frau schälte sich aus dem Stamm heraus, ihr Gesicht war verborgen hinter einem Schleier grünen, verfilzten Haares. Ihr Körper war vollkommen unbekleidet, nur hier und da schlängelten sich feine Ranken um sie. Bis zu ihren Knien wuchs die weibliche Gestalt aus dem alten Baumstumpf heraus, der Rest von ihr schien mit dem Holz verwachsen zu sein. „Ihr gehört hier nicht hin. Mischling.“ Knirschend rollte ihr Kopf über eine Schulter, bis in ihren Nacken, und dann zu ihrer anderen Schulter. Wirre Strähnen fielen in ihr Gesicht, die Lippen waren dunkel, wie ihre seelenlosen Augen. Zwei schwarze, matte Abgründe. „Wie es aussieht bin ich allerdings hier, Waldnymphe. Richtig?“ Fisk lockerte mit kreisenden Bewegungen seine Schultern. Ganz unauffällig ließ er anschließend seine Hand nahe des Griffes seiner Armbrust ruhen. Was sie war wusste er ohne Zweifel, es war nicht das erste Mal dass er einer Waldnymphe begegnete. Gestern aber waren ihre Augen viel mehr von Leben durchflutet. Sie wirkten wie klare, wunderschöne Edelsteine die in einem herrlich anzusehenden Gesicht eingefasst waren. Auch sie musste unter dem Fluch leiden, einen Ausweg gab es für sie nicht. Denn Nymphen waren immer an den Ort gebunden, an dem sie lebten. „Spart Euch Euren Humor, Mischling. Ihr habt an diesem Ort nichts zum lachen. Er will Euch. Er weiß dass Ihr da seid. Und er mag Euch nicht, für dass was ihr seinen Schützlingen angetan habt.“ Fisk dachte über die Worte der Frau nach, meine sie mit den Schützlingen etwa die Wurzelhexen? Soweit es ihm bekannt war, existierten diese dunklen Wesen allein. Niemand konnte sie befehligen, noch eine Art Pakt mit ihnen eingehen, wie es mit anderen Kreaturen der Dunkelheit oder Dämonen üblich war. „Wer ist Er?“ Statt auf seine Frage zu antworten, rollte die Waldnymphe ihren Kopf langsam wieder auf ihre andere Schulter. „Geht. Solange Ihr noch könnt. Wenn Ihr noch weiter an ihn heran tretet seid ihr verloren. Wie wir. Er wird niemals ruhen. Nie wieder.“ Tief zog Fisk die kalte Nachtluft durch die Nase ein und reckte sein Kinn leicht vor. „Ich werde nicht gehen. Sag mir wo ich ihn finde.“ Schweigen trat ein. Die Nymphe starrte ihn lange an, dann richtete sie ihren Kopf wieder in eine gerade Position auf. Ihr Arm hob sich, als wäre sie eine Marionette und der Puppenspieler würde an dem entsprechenden Faden ziehen. „Geht. Das ist die letzte Warnung. Niemand mehr kann Euch schützen. Unsere Mutter stirbt. Und wir mit ihr. Seht. Seht und verlasst diesen Ort solange Ihr es noch könnt.“ Der nackte Körper der Nymphe begann zu zucken und ihre Glieder verrenkten sich in schmerzhafte Winkel. Ihr Körper drängte sich zurück in den Spalt des Baumstammes aus dem sie heraus gekrochen war. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Fisk folgte zunächst nur mit den Augen ihrem Fingerdeut. Vor ihn erstreckte sich eine große Fläche aus Moos und erfrorenen Farnen. Hier und da lagen ein paar Äste herum die ebenfalls stark vermoost waren. Etwas Ungewöhnliches fiel ihm nicht auf. Seine Füße schoben sich weiter, leise knirschte das frostige Moos unter seinen Schuhsohlen. Er suchte die Finsternis des Waldes ab, die kahlen Baumkronen, aber nichts ließ sich finden. Vielleicht hatte sie ihm auch eine Stelle tiefer im Wald gezeigt. Das Knurren seines Begleiters riss ihn aus seinen Gedanken. Veldig hatte etwas auf dem Boden mit seinem Blick fixiert, vor wilder Erregung peitschte sein Schwanz hin und her. Fisk sah nun ebenfalls was Veldig entdeckt hatte. Zu seinen Füßen lag eine Gestalt im Moos. So lange schon, dass sie ein Bestandteil des grünen Teppichs geworden zu sein schien. Ihre feinen Gesichtszüge und ein paar wenige Körperteile die aus dem Boden heraus ragten, ließen ihn wissen dass es eine Frau war. Sie glich der Waldnymphe, doch ihr Haar wirkte seidig, nicht verfilzt und in ihren Augen lag noch immer ein kaum erkennbarer Glanz. Ihre Augen starrten in den schwarzen Himmel. Dicht neben ihr ging Fisk in die Hocke und betrachtete genau ihr Gesicht. Ihre Lippen zuckten leicht, Fühler reckten sich heraus und tasteten blind in die Luft. Ein Käfer krabbelte aus ihrem Mund und huschte davon. In seinem Leben hatte er viel über die verschiedenen Wesen dieser Welt gelernt, dennoch kannte er sie nicht alle. Waldnymphen hatte er selten einmal zu Gesicht bekommen, aber er hatte keine Ahnung wen sie als Mutter benannten. Was ihm klar wurde, dass diese Frau vor ihm wahrscheinlich so etwas wie die Seele des Waldes sein musste, und es sah nicht gut aus um sie. Langsam erhob sich Fisk wieder und blickte sich um, vor wem auch immer die Nymphe ihn hatte warnen wollen, er musste ihn schnell finden. In der Ferne weckte etwas seine Aufmerksamkeit. Vor ihm lichtete sich der Wald ein wenig, und er konnte eine kleine Anhöhe ausmachen. Auf ihrer Spitze ragte etwas in die Luft das aussah wie ein Hausdach. Zumindest war es etwas dass von Menschenhand errichtet worden war. An der Anhöhe war eine riesige Eiche gewachsen, deren Wurzeln so verwuchert waren, dass sie auf den zweiten Blick wie eine Treppe wirkten. Tatsächlich waren diese Wurzeln die einzige Möglichkeit hinauf zu gelangen und Fisk fragte sich, ob der Baum wirklich nur durch Zufall so gewachsen war. Oben angekommen, bestätigte sich sein Verdacht. Vor ihm stand eine kleine Hütte, erbaut aus vielen breiten Ästen die man aneinander geschnürt hatte. Das Dach war aus vielen Schichten Geäst der naheliegenden Nadelbäume gedeckt und eine ausgetretene Feuerstelle war unweit des Einganges zu erkennen. Eine Tür war nicht mehr vorhanden, vielleicht auch nie gewesen. Zumindest stand dieses Haus schon eine sehr lange Weile hier und niemand hatte sich darum gekümmert. Die Verwitterung war weit voran getrieben worden und er entdeckte ein breites Loch im Dach. Veldig hatte sich inzwischen auch die Wurzeltreppe hinauf gemacht und trat dicht an seinen Herrn heran. „Bleib du hier mein Freund.“ Seine Worte besiegelte er durch ein Handzeichen und ging langsam auf den Eingang zu. Etliche Spinnennetze versperrten seinen Weg. Bitter verzog er seinen Mund und umrundete das Haus einmal. Nichts, kein Fenster, kein zweiter Eingang. Mit einem tiefen Seufzer nahm er all seinen Mut zusammen und zerstörte die Kunstwerke der Spinnen mit seinem Arm. Er versuchte noch sie abzuschütteln, doch die Spuren seiner Tat klebten unauslöschlich an ihm. Mit einer Hand am Abzug seiner Armbrust wagte er sich hinein und die Dunkelheit der Hütte verschluckte ihn. Seine Augen brauchten trotz des Elixieres dass er genommen hatte einen Augenblick bis sie sich an die undurchdringliche Finsternis im Inneren gewöhnt hatten. Die Hütte war geräumiger als er anfangs vermutet hatte. Es gab zwei Räumlichkeiten, wobei die kleinere von Beiden fast vollkommen von dem hinabgestürzten Teil des Daches ausgefüllt war. Er konnte noch erkennen dass dies eine Schlafstätte gewesen sein musste. Viel Interessanter aber war für ihn der Raum in dem er sich befand. Überall standen die kuriosesten Dinge herum. An den Wänden waren Bretter befestigt worden auf denen sich unzählige Gläser mit den verschiedensten Inhalten befanden. Käfer, getrocknete Blüten, Pilze, Wurzeln, Samenkörner, Knochen und einige Dinge die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Fisk überlegte, dass es vielleicht auch besser war, wenn er nicht alles kannte. Sogar einen richtigen Boden aus fein säuberlich zurecht gesägten Brettern gab es. Etwas zu seinen Füßen fiel ihm direkt ins Auge. Direkt im Eingang hatte jemand eine Schutzrune auf die Bretter gemalt. Er kannte das Zeichen, es diente zur Abwehr böser Geister. An der Decke des Raumes waren verschiedene Pflanzen und Gräser zu Büscheln gebunden, und zum trocken aufgehangen worden. In den Ecken standen unzählige Kisten, klein und groß, er entdeckte sogar einen Korb mit den fauligen Überresten von Kartoffeln. Alles stand an seinem Platz, es wirkte fast penibel ordentlich wie alle Gläser und sonstiger Kram nach Größe sortiert da standen. Wenn die Witterung dem Inventar nicht so zugesetzt hätte, bekäme man den Eindruck dass jemand nur kurz hinaus gegangen war, und gleich wieder zurück kehrte. Fisk trat an den breiten Holztisch heran, der ihm gegenüber an der Wand stand. Ein paar Blatt Papier lagen herum, waren jedoch vollkommen unleserlich geworden. Sonst gab es nur noch einen Holzbecher mit ein paar Schreibgeräten. Fisk verspürte Enttäuschung, oftmals hatte er an den merkwürdigsten Plätzen Hinweise gefunden die ihn weiterbrachten. Aber dies schien nur eine alte, verlassene Hütte inmitten eines verdammten Waldes zu sein. Als er sich abwenden wollte fiel ihm etwas merkwürdiges auf. Leichte Kratzspuren waren auf dem Fußboden zu sehen, genau vor den Beinen des Tisches, so als hätte ihn jemand des öfteren mal verschoben. Fisk runzelte die Stirn und ging in die Hocke, seine Finger fuhren über die glatten Bretter des Bodens. Alles passte perfekt zusammen. Er pochte. Nichts ungewöhnliches. Er pochte wieder, dieses Mal ein wenig weiter unter dem Tisch. Dieses Mal war es ein hohl klingendes Pochen. Sofort machte sich Fisk daran den gesamten Tisch zu verschieben. An der Wand entdeckte er eine kleine Kerbe im Holz, perfekt um einen Finger hinein zu schieben. Es brachte ihn zum Schmunzeln als er somit eine kleine Geheimtür im Boden der Hütte öffnen konnte. Eine schmale Treppe, die ins Erdreich gegraben war, führte ihn hinab. Die Stufen waren fester als er gedacht hatte, die Erde hier musste über lange Zeit festgetreten worden sein, sie führten ihn hinab in den Bauch des Hügels auf der die Hütte erbaut worden war. Als er ein paar vorsichtige Schritte hinunter gegangen war, stieg ihm ein süßlicher Gestank entgegen der ihm den Atem raubte. Er hielt inne. Es war der unverwechselbare Gestank von Verwesung. Fisk blinzelte und wartete bis sich seine Augen an die vollkommene Dunkelheit gewöhnt hatten. Nur noch ein paar wenige Stufen lagen vor ihm, dann erstreckte sich ein Raum, welcher fast doppelt so groß war wie die gesamte Hütte über ihm. Wurzeln hingen hier und da von der Decke herab. Der Boden war mit großen Steinplatten ausgelegt. Dann fand er ihn. Jener, der vermutlich diesen Ort sein Zuhause genannt hatte. Ein Mann lag mit dem Bauch auf dem Boden, alle Glieder von sich gestreckt. Sein Haar war grau und stand wüst in alle Richtungen ab. Seine Kleidung bestand lediglich aus einer abgetragenen Leinenkutte und seine Füße steckten in einfachen Lederschuhen. Fisk fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt, dass er diese Hütte als das Heim eines Druiden ausgemacht hatte. Er ging neben dem alten Mann in die Hocke und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken. Sein Bart war so lang, dass er ihm bis zu den Knien reichen musste. Seine toten Augen waren weit aufgerissen als läge in ihnen noch immer das Grauen was er zuletzt gesehen hatte. Der Waidmann machte anhand des Zustandes der Leiche und des Madenbefalls aus, dass der Druide ein paar Wochen hier unten liegen musste. Tiefe Furchen zeichneten sich auf Fisks Stirn ab als er den Toten genauer betrachtet. Erst jetzt erkannte er die dunkle Verfärbung der Steine unter ihm. Getrocknetes Blut. In der Brust des alten Mannes befand sich eine tiefe Stichwunde. Jemand hatte ihm zielgenau in sein Herz gestochen. An seinem Tod war kein Fluch beteiligt gewesen, dieser Mann war durch die Hand eines Menschen umgekommen, nicht durch eine Wurzelhexe oder einen Untoten. Er erinnerte sich an die Schutzrune beim eintreten in die Hütte. Keines dieser Wesen hätte auch nur einen Fuß hinein setzen können. Aber warum hatte es jemand auf einen alten Mann abgesehen der hier inmitten eines verfluchten Waldes lebte? Vor allem, wer war es der sich trotz der Gefahren auf den Weg zu diesem Ort hier gemacht hatte? Langsam erhob Fisk sich wieder, sein Blick streifte durch den Raum. An den Wänden standen dutzende Regale, doch im Gegensatz zu oben, stand hier nichts mehr an seinem Platz. Alles mögliche war auf dem Boden verteilt worden, ganz als hätte jemand etwas gesucht, oder aus Wut alle Habseligkeiten des Druiden zerstören wollen. Dutzende Gläser und Phiolen waren zerbrochen und ihr Inhalt verdorben. Fisk konnte nicht mehr viel erkennen, der Trank ermöglichte es ihm in der Dunkelheit zu sehen, aber keine Farben zu unterscheiden. Schriftrollen, Bücher, Knochen, kleine Eidechsen und Kräuter waren überall verteilt. An einer Wand entdeckte er einen breiten Tisch mit noch mehr zerschlagenen Phiolen, Mörsern und einer kleinen Öllampe. Auch wenn die Gerätschaften zerstört worden waren, Fisk erkannte einige davon wieder, jene die seine Tränke braute, hatte genau die gleichen. Hier hatte der Druide sein kleines, geheimes Alchemielabor geführt. Vorsichtig schob er seine Fußspitze durch all die Scherben und suchte. Wonach? Das wusste er selbst nicht so ganz. Irgendetwas musste es hier gegeben haben dass den Mörder des Druiden angelockt hatte. Vielleicht war es ja auch schon gefunden worden. Zwischen all den zerstörten Habseligkeiten fand er nichts von Interesse. Diesen Ort gefunden zu haben, weckte mehr neue Fragen als dass er die Alten beantwortete. Vielleicht wusste Mina wer der Mann gewesen war. Fisk wandte sich zum Gehen ab, da hielt er plötzlich inne. Die Wände dieses geheimen Raumes waren mit Brettern verkleidet, eines von ihnen wirkte allerdings vollkommen fehl am Platz. Alle Bretter hatten eine ähnliche Maserung die darauf hindeutete, dass sie alle von einem Baum stammen mussten. Es waren fließende Übergänge die jemand penibel genau aneinander gesetzt hatte. Nur dieses eine Brett war seltsam. Dann erkannte er wieso. Es war verkehrt herum angebracht worden. Fisk zog sich einen seiner Handschuhe aus und fuhr über das glatte Holz. Er griff nach einer silbernen Verzierung an der Rückseite seines Gürtels den er um die Hüften trug und enttarnte beim herausziehen einen schmalen Dolch. Vorsichtig schob er die Klinge in den Spalt zwischen den Brettern und hebelte somit das falsch eingesetzte Stück heraus. Es fiel ihm förmlich entgegen, so locker saß es in der Wand. Dahinter befand sich ein kleines Fach im Erdreich in dem ein Lederbündel lag. Über seine schmalen Lippen huschte ein zufriedenes Lächeln. Fisk sah über die Schulter zu dem toten Druiden, wahrscheinlich hatte er seinen Mörder kommen gehört. In der Eile hatte er hier etwas versteckt was nicht gefunden werden sollte, und dabei das Brett verkehrt herum wieder in die Wand gedrückt. Zu seinem Glück. Der Waidmann nahm das Bündel heraus, es war nicht schwer, und schon bevor er das Leder zurück schlug, hatte er gewusst was sich in seinen Händen befand. Ein Buch. Abgegriffen, aber dennoch in recht gutem Zustand. Fisk schlug es auf, und betrachtete die erste Seite. Sie war mit einem Datum versehen dass schon mehr als fünf Jahre zurück lag. Es war das Tagebuch des alten Mannes. Vorsichtig blätterte er in dem Buch herum, überflog diesen und jenen Absatz. Die meiste Zeit schrieb er über seine Entdeckungen die mit der Alchemie zu tun hatten, notierte Formeln und Rezepte. Viele der Dorfbewohner suchten ihn auf, kauften von ihm Salben oder Tränke die ihre Leiden lindern sollten. Eine halbe Seite lang schwärmte er von dem Kuchen der Müllersfrau die sie ihm mitgebracht hatte weil er sie von ihrem lästigen Ausschlag befreit hatte. Das Buch war fast bis zur letzten Seite beschrieben, nur noch wenige waren leer. Fisk schlug das Buch weiter hinten auf, der letzte Eintrag lag erst vier Tage zurück. Hastig überflog Fisk die eilig geschriebenen Zeilen. Er glaubte kaum was er da las, sein Herz pochte schneller. Ihm fehlte der Zusammenhang, rasch blätterte er einige Seiten zurück und überflog auch diese. Mit jedem Absatz verstand er besser wieso der Druide hatte sterben müssen. Er hatte zu viel gesehen. Gierig verschlang Fisk die Seiten, doch ein entsetzliches Jaulen riss ihn in das Hier und Jetzt zurück. Sein Herz setzte einen Moment aus, es war der Aufschrei seines Begleiters gewesen. „Veldig!“ So schnell Fisk konnte, hechtete er die Stufen hinauf und stolperte zur Tür der Hütte hinaus. Zwei starke Arme packten den unvorsichtigen Jäger und schlangen sich von hinten um seinen Hals. Fisk keuchte auf und wurde nach hinten gerissen. Seine Augen fingen das Bild vor sich ein. Vor dem Baum, welcher allein auf dem Hügel neben der Hütte thronte, lag Veldig. Unzählige kleine Ranken hatten sich um seinen Körper gewickelt und fixierten ihn am Boden. Aus dem Stamm des Baumes hatten sich bis zu den Hüften zwei Waldnymphen geschält und beugten sich mit ausgestreckten Armen über seinen Begleiter. Ihre Augen leuchteten, auf den Lippen trugen sie ein gieriges Lächeln. Veldig regte sich nicht mehr. Fisk war es unbegreiflich wie so feine Ranken diesen massiven Körper bändigen konnten. Fauliger Atem drang an seine Nase, Zorn brannte in ihm auf. Eine raue Stimme flüsterte nahe seines Ohres. „Die Toten werden Rache an den Lebenden nehmen! An jedem einzelnen!“ Fisk rammte seinem Angreifer den Ellenbogen in die Seite, doch es folgte keine Reaktion. Mit einem Aufschrei und einem gewaltigen Akt der Anstrengung packte Fisk die Arme die sich um ihn geschlungen hatten, und wuchtete seinen Körper mit einem Ruck nach vorn. Es hatte gereicht. Der Mann flog über ihn hinweg und landete mit einem dumpfen Aufschlag vor ihm auf dem Boden. Um den Untoten würde er sich später kümmern, zuerst musste er Veldig befreien. Fisk stürmte los, doch eine breite Hand packte sein Bein und hielt ihn zurück. Für so etwas hatte er keine Zeit. Fisk zog das breite Schwert auf seinem Rücken, die Klinge surrte in freudiger Erwartung, goldene Runen tanzten auf ihr. Mit einem Hieb trennte er den Arm ab, der ihn gepackt hatte. Kein Schmerzensschrei folgte. In einer einzelnen, fließenden Bewegung stürmte Fisk weiter voran und holte zu einem Schlag aus, der beide Nymphen zerteilen sollte. Die Wesen des Waldes erschraken im Angesicht des Todes und zogen sich rasch zurück, und verschwanden in dem Stamm des Baumes. Dadurch ließ sich des Waidmanns Schneide nicht halten. Mit aller Wucht die sein Körper her gab, zwang er die Klinge hinein in die harte Rinde des Baumes. Immer wieder und wieder holte er aus, Splitter flogen in alle Richtungen, und schließlich zerbarst das letzte Stück des Stammes das den Baum noch aufrecht gehalten hatte. Krachend und knackend lehnte der Baum sich zur Seite und landete mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Rand des Hügels. Ein Schrei hallte durch die Nacht als das Leben der beiden Nymphen, die in diesem Baum Unterschlupf gesucht hatten, verwirkte. Endlich verwelkten auch die grünen Ranken, die Veldig am Boden fixiert hatten, und zerfielen zu Staub. Hinter dem Waidmann hatte sich der Untote wieder aufgerichtet und stolperte auf ihn zu. Fisk war so in seinem blinden Zorn gefangen, dass er nicht lange zögerte dem Untoten seine wahre Bestimmung zukommen zu lassen. Wieder sauste die Klinge durch die Nacht, spaltete den Schädelknochen und zerteilte alles was sich ihm in den Weg stellte. Fisk zerteilte den Angreifer einmal in der Mitte bis hin zu seinem Nabel. Der blutende Leichnam brach zusammen und blieb in seinem eigenen Blut vor ihm liegen. Alles was Fisk interessierte war sein treuer Begleiter. Neben Veldig ging er in die Knie und strich ihm über das sonst so weiche Fell. Nun war es stumpf, und darunter konnte er jeden einzelnen Rippenbogen deutlich spüren. Leise und raschelnd kamen die unregelmäßigen Atemzüge noch aus seiner Kehle, unter großer Anstrengung hielt er seine Augen geöffnet und drehte den Blick zu seinem Herren. Fisk ballte vor Wut seine Hände zu Fäusten, diese verfluchten Wesen des Waldes hatten ihm einen Großteil seiner Lebensenergie geraubt. „Warum lässt du dich auch überrumpeln?“ Behutsam strich er Veldig über den Kopf. „Ich bringe dich fort von hier, dann bekommst du so viel zum Essen wie in dich hinein passt und kannst dich ausruhen.“ Fisk ließ den Blick schweifen, er würde schon etwas finden aus dem er eine Bare bauen konnte. Der Weg zurück in das Dorf war weit, er hatte in dieser Nacht den Fluch aus diesen Wäldern austreiben wollen, doch nach allem was er in dem Buch des Druiden gelesen hatte, war es vielleicht auch besser wenn er sich den ein oder anderen Bewohner von Kraic einmal zur Brust nahm. Der Waidmann richtete sich auf und griff nach dem Heft seines Schwertes, welches noch immer in dem zerschlagenen Körper des Toten Steckte, und zog es heraus. Dabei fiel ihm der Gürtel des Toten auf. Der breite Gurt besaß viele Schlaufen in denen verschiedene Werkzeuge, nebeneinander angereiht, steckten. Es waren Werkzeuge die man zum Schnitzen von Holz benötigte. Fisk stieß langsam einen tiefen Atemzug aus und hob den Blick. Ringsherum um den Hügel auf dem er stand, schälten sich Schatten aus dem Unterholz, angelockt durch all den Lärm den der Kampf verursacht hatte. Eine ganze Schar von Toten kam auf ihn zu. Ruhelos und auf der Suche nach jemandem an dem sie sich für das Unrecht was ihnen widerfahren war, rächen konnten. Fisk schüttelte das Blut von seiner Klinge. Er würde nicht dieser Jemand sein, und auch wenn er ihren Seelen niemals Frieden geben konnte, so würde er ihren ruhelosen Körpern ein Ende bereiten. Es würde schnell gehen, denn die Zeit war zu seinem Feind geworden. Der neue Tag war noch nicht lange angebrochen, die Farben des Himmels schimmerten noch in zarten Tönen, und die Raben hatten eben erst damit begonnen ihre Kreise zu ziehen. Sie rochen ihr köstliches Mahl tief im Wald, es würde ein Fest werden, und ihre Bäuche so voll dass das Fliegen schier unmöglich für sie werden würde. Erst zu dieser Stunde hatte Fisk die Mauern des Dorfes Kraic erreicht. Nicht wie sonst lag diese gespenstische Stille in der Luft, ein Wirrwarr aus Stimmen drang an seine Ohren, zu weit entfernt als dass er ein Wort hätte verstehen können. Die Stimmen allein waren noch nicht alles was merkwürdig war. An jeder Pforte die in das Dorf hinein führte, waren unzählige Wachen positioniert worden. Ihre Lanzen hielten sie kampfbereit in den Händen und suchten mit ihren Blicken den Waldrand ab. Fisk hatte sich nicht einmal vorstellen können dass es so viele Wachen in Kraic gab. Vorsorglich hatte er einen Weg gewählt, am Waldesrand vorbei, der nicht unter der Beobachtung solch vieler Blicke lag. Schweiß tropfte von seinem Kinn, den ganzen Weg hinaus aus dem Wald hatte er die, in Eile gebaute Bare hinter sich her gezogen, auf welcher Veldig gerade gegen die Dunkelheit ankämpfte. Er schaffte es an einer unbewachten Stelle hinein in das Dorf, scheinbar gab es doch nicht genug Wachen um auch die kleineren Pforten zu bewachen. Die Stimmen waren noch immer weit fort, und der Rest des Dorfes schien noch leerer geworden zu sein als zuvor schon. Es war für ihn kein Problem es bis zu dem Gasthaus im Schutz der Seitengassen zu gelangen. Mit einem Fuß trat er die Tür zu dem Stall ein, wo sein Begleiter auch schon zuvor untergekommen war. Eilig legte er die Bare in einer der Boxen ab und schleppte einen Eimer Wasser heran. „Ich weiß es ist eiskalt, aber du musst etwas trinken.“ Nur mit Mühe und Not gelang es Fisk Veldig ein paar Schlucke einzuflößen, er war einfach zu schwach, selbst das Schlucken schien ihm größte Mühe zu bereiten. Das Licht in dem Stall wurde verschluckt als sich jemand in die offene Türe stellte. „Nebeljäger!“ Tobias rannte stolpernd die wenigen Meter zu Fisk herüber und riss die Arme in die Höhe. „Was habt Ihr hier zu suchen? Es ist gefährlich!“ Der Junge holte neuen Atem um weiter zu reden, doch Fisk brach ihn mit einem kalten Blick und einer barschen Handbewegung zum schweigen. „Halt den Mund und hilf mir! Wir müssen Veldig versorgen. Bring mir ein paar Decken, er friert.“ Tobias gestikulierte wild mit den Armen und blickte sich immer wieder nervös zum Eingang um. „Ihr wisst gar nicht was hier los ist! Ihr werdet gesucht Jäger! Überall suchen die Stadtwachen nach Euch! Es ist unmöglich dass es Euch gelungen sein kann, hier unerkannt herein zu kommen.“ „Wieso werde ich gesucht?“ Missmutig runzelte Fisk die Stirn während er seinem Begleiter beruhigend über die Seite streichelte. Tobias sah ihn mit angst geweiteten Augen an und verfiel in einen Flüsterton als fürchte er, jemand könnte sie belauschen. „In der Nacht kamen die Dämonen aus den Wäldern wieder! Das haben sie sonst nie getan! Gleich drei Menschen entführten sie aus ihren Häusern und verschleppten sie!“ Fisk schoss in die Höhe und funkelte den Jungen finster an. „Was sagst du da?“ Tobias hielt sich den Zeigefinger an die Lippen um dem Jäger zu symbolisieren, er solle doch bitte nicht so schreien, und warf noch einmal einen panischen Blick hinüber zu der offenen Stalltür. „Es findet gerade auf dem Marktplatz eine Bürgerversammlung statt. Alle sollten sich dort einfinden, meine Mutter aber schickte mich nach Hause, falls Ihr hier auftaucht. Ich hatte nur noch mitbekommen wie der Bürgermeister Euch als den Gehilfen des Teufels bezeichnete! Ihr hättet noch größeres Unheil über Kraic gebracht.“ Fisk leckte sich langsam über die Unterlippe und blickte hinab zu Veldig. „Verstehe. Ich werde mir diese Versammlung mal ansehen. Dann musst du aber etwas für mich tun.“ Tobias machte so große Augen, dass man befürchten müsste, dass sie ihm jeden Augenblick aus den Höhlen fallen würden. „Ihr könnt doch nicht einfach durch die Stadt marschieren! Überall lauern die Wachen Euch auf.“ „Das sind dämliche Amateure. Ich habe es mit einer Bare hinein geschafft auf der ein Hyna lag, ohne dass mich jemand gesehen hat. Glaub mir, ich schaffe es ohne große Mühe zu der Versammlung.“ Mit dem Finger deutete er auf Veldig. „Kannst du ihn irgendwo hin schaffen wo man ihn nicht findet, wenn man eure Gaststätte durchsucht?“ Tobias gaffte den Jäger einen Moment lang mit offenem Mund an, plötzlich zuckte er zusammen als hätte ein Blitz ihn getroffen. „Ja! Ich denke schon! Hinten in dem großen Schuppen lagern unzählige Fässer! Es gibt auch viele leere Weinfässer dort. Sie sind so riesig dass Euer Tier dort hinein passen könnte! Meine Mutter und ich konnten uns allein nicht mehr um die Produktion von Wein kümmern.“ Fisk nickte ihm zu und drängte sich an ihm vorbei. „Erledige das. Ich muss mir diese Versammlung ansehen.“ „Aber... aber Nebeljäger! Wie soll ich das denn ganz allein schaffen? Euer Tier ist so schwer!“ Der Waidmann hielt inne und blickte langsam über seine Schulter zu dem Jungen, dann drehte er sich noch einmal herum und ging auf ihn zu. Tobias konnte seinem dunklen Blick kaum stand halten und fürchtete seine Knie würden gleich nachgeben. „Weißt du was einen Menschen am schnellsten seine Grenzen vergessen lässt? Blinder Zorn.“ Der Waidmann ging langsam in die Hocke und zog etwas aus der Innenseite seines Mantels hervor und legte es in die Hände von Tobias. Es raubte ihm die Luft als er den Ledergurt mit all den vertrauten Werkzeugen sofort erkannte. Fisk dunkle Stimme kam seinen Fragen zuvor. „In den Wäldern stieß ich auf einige Tote, die umher wandelten weil sie keine Ruhe mehr fanden. Einer von ihnen trug das.“ Tränen schossen in die Augen von Tobias und seine Hände begannen zu zittern. „Das ist der... der Gurt meines Vaters!“ „Die Männer von Kraic, die man angeblich zu dem Hafen bringen sollte, und wo Gottes Gnade auf offener See über ihr Schicksal entscheiden sollte, kamen nie dort an. Ihre ruhelosen Seelen sind ein Teil des Fluches der auf dem Wald hier liegt, aber nicht die Ursache.“ Tobias sah voller Wut zu Fisk auf, seine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen. „Was soll das heißen? Wisst ihr was meinem Vater zugestoßen ist?“ Der Waidmann blickte dem Jungen einen Augenblick lang in die Augen, dann wandte er sich wieder zum Gehen ab. „Bring Veldig in Sicherheit. Wenn ich wieder zurück bin, werde ich dir und deiner Mutter alles erzählen.“ Auch wenn es ihm nicht sonderlich gefiel, er musste den Jungen allein mit seiner Trauer zurück lassen, jemand musste sich um Veldig kümmern, und er musste sich um diese Versammlung kümmern. Die aufgebrachten Stimmen der Bürger waren in jeder entlegenen Straße von Kraic zu hören, sie wiesen ihm den Weg, auch wenn er schon längst ahnte dass sein Ziel der Marktplatz sein würde. Fisk sprang von Hausdach zu Hausdach, lautlos wie eine Raubkatze auf der Jagd. Viel Geschick verlangte sein Schleichweg ihm nicht ab, die Häuser waren so dicht an dicht gebaut dass er ohne Probleme voran kam. Hier und da erblickte er eine Stadtwache in den Gassen unter ihm, sie waren auf der Suche nach ihm, nur an der falschen Stelle. Innerlich verhöhnte er sie für ihre Naivität und Unfähigkeit. Langsam spähte er über die Spitze des letzten Hausdaches und blickte hinab auf den Marktplatz. Auf dem kleinen Podium vor seinem eigenen, riesigen Abbild stand Bürgermeister Müllebreck und plapperte auf die Menge ein. Diese Menschenmasse die unter ihm in der bitteren Kälte des Morgens stand, war fürwahr eine beachtliche Anzahl an Menschen. Er hatte sich in diesem fast schon geisterhaften Ort nicht vorstellen können, dass hier so viele Menschen hausten. Auch wenn ein jeder seinen Leib in dicke Mäntel und Felle gehüllt hatte, war nicht zu übersehen dass alle schon sehr lange einen quälenden Hunger litten. Nur der Bauch des Bürgermeisters und des Pfarrers waren kugelrund und wohl genährt. Der Pfarrer stand dicht neben dem Podium und warf finstere Blicke in die Menge, zur anderen Seite des Bürgermeisters stand der Kommandant der Stadtwache, wie ein riesiger, unbezwingbarer Wächter in Stahl. „Dieser Jäger des Teufels hat uns unser Verderben gebracht! Wir alle haben Tag um Tag gebetet dass die Dämonen des Waldes verschwinden mögen sobald sie sich den letzten Sündiger geholt haben! Doch nun sehen wir was dieser Fremde angerichtet hat! Diese Dämonen haben sich unschuldige geholt, und sie wurden von diesem Satan dazu angestiftet!“ Die Stimme des Bürgermeisters donnerte über die Anwesenden hinweg, dazu fuchtelte er mit seinem Zeigefinger in der Luft herum. Seinen Worten folgte ein leises Raunen durch die Menge. Plötzlich entdeckte er die Schneiderin, welche er in der Nacht zuvor noch gerettet hatte. Zwei Soldaten hielten sie fest, ihre Wangen tränennass, und die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Dann richtete sich der Zeigefinger auf Mina, die Wirtin, Augenblicklich wichen alle anderen, die um sie herum standen, wie ein Schwarm fort gescheuschte Fliegen zurück. Marie aber zuckte nicht einmal zusammen. „Und sie ist die Verräterin die diesen Teufel in unser Dorf geholt hat! Ihr haben wir dieses Leid zu verdanken!“ Mina trat einen Schritt vor und warf wütend die Arme in die Luft. „Das ist doch alles Irrsinn! Dafür muss es eine andere Erklärung geben!“ Hilfesuchend blickte sie sich um und schüttelte den Kopf. „Er ist den weiten Weg hier her gekommen um uns zu helfen! Niemand sonst war bereit dazu!“ Müllebreck fiel der Wirtin grob ins Wort und schleuderte wieder seinen Zeigefinger in ihre Richtung. „Auch du wirst auf der Stelle zur Beihilfe bei dämonischen Machenschaften verurteilt! Wachen! Ergreift sie!“ Ohne zu zögern wurde auch Mina direkt von zwei Männern in Rüstung an den Armen geschnappt und zur Seite geschleppt. Schreiend und tretend versuchte sich die zierliche Frau zu wehren und sich dem Griff zu entreißen, aber sie hatte keine Chance, und niemand sah es ein ihr zu helfen oder für sie einzustehen. „Lasst mich los! Das könnt ihr nicht machen! Mein Sohn! Ich muss mich um ihn kümmern. Ihr habt ihm doch schon seinen Vater genommen!“ Fisk zog sich auf seinem Posten hoch über den Köpfen der Anwesenden zurück und machte sich auf den Weg zum Gasthaus. Tobias hatte es derweil tatsächlich geschafft Veldig mit Hilfe der Bare in den Bauch des alten Weinfasses zu zerren, Seine Muskeln brannten und Schweiß tropfte aus jeder seiner Poren. Tränen mischten sich unter den Schweiß. Jeden Tag hatte er mit einer Illusion gelebt, einer Lüge. Jeden Tag hatte er daran gedacht was sein Vater wohl gerade tat, irgendwo an fremden Ufern, denn dass die See ihn geholt habe, daran hatte er nie geglaubt. Sein Vater war immer ein guter Mann gewesen, wieso hätte Gott ihn strafen sollen. Nun aber wusste er sein Vater war tot, Fisk hatte es nicht wörtlich gesagt, aber er wusste es. Der Nebeljäger hatte ihm seinen Gurt mitgebracht, aber was mit seinem Vater geschehen war, dass wusste er nicht. Er wollte es aber wissen. Eine Hand schloss sich um seine Schulter. Tobias schrie auf und wirbelte herum. Ungeschickt stolperte er dabei über seine eigenen Füße und landete auf den Dielen des Schuppens. Fisk schüttelte den Kopf. „Du solltest deine Umgebung etwas aufmerksamer wahrnehmen.“ Er blickte auf seinen Begleiter Veldig, welcher schwer atmend in dem riesigen Fass lag. „Gut. Du hast ihn hinein bekommen. Ich werde ihn gleich noch versorgen und dann das Fass verschließen.“ Tobias kämpfte sich wieder auf die Beine und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Wütend herrschte er den Jäger an. „Ich habe es so gemacht wie du es wolltest! Und jetzt erzähle mir endlich was mit meinem Vater passiert ist!“ Fisk wusste er hatte nicht viel Zeit, aber er wusste auch dass er etwas besonnener sein musste, er würde die Hilfe des Jungen brauchen. Er musste sich selbst etwas abverlangen dass er gar nicht konnte. Mit Kindern umzugehen war nicht gerade eine seiner Stärken. „Hör zu, ich habe deinen Vater erlöst. Er hat nun Ruhe gefunden, aber dort in den Wäldern wandern noch immer einige Tote herum um Rache zu nehmen.“ Tobias kreischende Stimme unterbrach den Jäger. „Wie erlöst? Was willst du mir damit sagen?“ „Ich sagte dir doch, die Männer, welche der Stadt verwiesen wurden, gelangten nie ans Meer. Ihr Ende fanden sie alle hier in diesen Wäldern. Nun wandeln ihre Körper noch immer dort herum. Dein Vater hat mich angegriffen und ich habe ihm Ruhe verschafft.“ Zorn und neu aufkommende Tränen machten Tobias blind, der Junge stürmte vor und schlug mit seinen Fäusten auf den Jäger ein, er schrie ihn an dass er ein Monster sei, dass er seinen Vater hätte hier her bringen können, seine Mutter hätte ihn schon wieder gesund gepflegt. Die Schläge machten Fisk nichts aus, dennoch packte er die Handgelenke des Jungen damit er sein Handeln einstellte und ging etwas in die Hocke. „Dein Vater wurde ermordet. Es war nur noch eine leere Hülle die dort in den Wäldern umher irrte. Niemand kann ihn wieder zurück bringen. Du musst dich jetzt zusammen reißen Tobias, dann verspreche ich dir, werde ich mich um seinen Mörder kümmern.“ Der Junge atmete heftig, sein Blick war noch immer voller Zorn aber er leistete keine Gegenwehr mehr. Als Fisk sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, sprach er weiter. „Du musst mir jetzt gut zuhören, denn ich brauche deine Hilfe. Kennst du einen Mann der dort draußen in den Wäldern gelebt hat?“ Tobias Gesichtszüge entspannten sich ein wenig aufgrund der merkwürdigen Frage. Kurz dachte er nach, dann nickte er. „Ja. Der Waldkauz.“ „Der Waldkauz? Erzähl mir von ihm. Aber schnell, wir haben keine Zeit.“ Tobias runzelte nachdenklich die Stirn, sein Gesicht war noch immer ganz rot und feucht von all den Tränen. „Der Waldkauz ist ein alter Mann der irgendwo in den Wäldern lebt. Niemand weiß genau wo. Einmal in der Woche kam er zu einem kleinen Stand den er sich am Waldesrand gebaut hatte und verkaufte allerlei Salben und Tinkturen. Viele kauften bei ihm ein, sagten er wäre ein weiser Druide. Andere wiederum wie meine Mutter schüttelten nur den Kopf über ihm. Sie nannte ihn einen Scharlatan, weil sie nicht an seine Mittelchen glaubte. Seit der Fluch ausgebrochen ist, hat ihn niemand mehr gesehen. Manche munkelten er sei bestimmt geflohen, andere sagten er sei tot, die Dämonen hätten ihn geholt.“ „Kannst du lesen?“ Die Frage des Jägers irritiere Tobias noch mehr, dann nickte er. „Ja, meinen Eltern war es wichtig dass ich lesen lerne, ich kann es aber noch nicht gut und muss sehr langsam lesen.“ Fisk zog das Buch dass er in der Hütte des Druiden gefunden hatte aus seinem Mantel und hielt es Tobias hin. Der Junge rieb seine schmerzenden Handgelenke und starrte verwirrt auf das Buch. „Das ist das Tagebuch von dem Druiden. In seinen letzten Einträgen erzählt er von einer sehr interessanten Beobachtung die er gemacht hat. Wir haben keine Zeit lange zu reden, daher ist es wichtig dass du machst was ich dir sage.“ Fisk drückte dem Jungen das Buch in die Hand. „Eben hat der Bürgermeister deine Mutter verhaften lassen, weil sie es war die mich her gerufen hat. Ihr und mir werden Dinge vorgeworfen die vollkommen banal sind.“ Tobias stockte der Atem, erst erfuhr er dass sein Vater tot war, und nun hatte man seine Mutter verhaftet? Bevor der Junge etwas erwidern konnte, sprach der Jäger weiter. „Ich verspreche dir, wir werden sie schnell wieder da raus holen, aber dafür musst du mir helfen und machen was ich dir sage.“ Ganz offensichtlich war Tobias nicht gerade erfreut über diese Aussichten, aber er war restlos überfordert mit der Situation und traute sich nichts zu sagen. „Du musst dieses Buch nehmen und zum Totengräber gehen. Jetzt. Ich bezweifle dass die Stadtwache nicht hier her kommen wird um auch dich mitzunehmen, aber bei ihm wirst du einen Verbündeten finden. Lies ihm die letzten Einträge vor, und ihr werdet alles verstehen.“ Tobias schüttelte fassungslos den Kopf und blickte immer wieder zu dem Buch in seinen Händen, und dem dunklen Gesicht des Jägers hinauf. „Zum Totengräber? Aber...“ Fisk schnitt ihm das Wort ab und deutete auf die Tür des Stalls. „Mach was ich dir sage. Und unternehmt nichts, bevor ich wieder zurück bin. Ich werde mich dann um alles weitere kümmern. Scharrt Menschen um euch denen ihr vertrauen könnt, und nicht jemanden die dem Bürgermeister die Stiefel lecken.“ Tobias schüttelte den Kopf. „Aber wo wollt Ihr denn hin? Ich verstehe nicht.“ Fisks Blick wurde dunkler und er der Ton in seiner Stimme deutlich frostiger. „Ich muss mich um diesen Fluch kümmern wenn wir wollen dass nicht noch mehr Menschen verschleppt werden. Ich darf keine Zeit verlieren. Und du auch nicht mehr. Mach was ich dir gesagt habe. Wenn nicht, dann werde auch ich euch allen nicht mehr helfen können. Dir nicht, und deiner Mutter nicht. Was du in diesem Buch lesen wirst, wird deinen Zorn noch weiter wachsen lassen, aber du musst dich zusammen reißen. Sonst werden viele unschuldige in diesem Dorf sterben. Vergiss das nicht.“ Des Jägers Zeigefinger deutete auf die Tür des Stalls und seine Worte wurden mit einem zornigen Zischen untermalt. „Geh, und lass dich nicht erwischen!“ Tobias Beine zitterten wie Espenlaub, ihm drehte sich der Kopf, doch dann hechtete er los, voller Zweifel ob er diesem Fremden trauen sollte. Als der Junge zur Tür hinaus geeilt war, warf Fisk einen letzten Blick auf Veldig. Behutsam streichelte er ihm über die Seite, seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Halte durch mein Freund.“ Kapitel 4: ----------- So schnell die Füße den Waidmann trugen, rannte er zurück in die tiefen, schwarzen Schatten des Waldes. Selbst wenn der Tag schon längst angebrochen war, die verwachsenen Baumkronen über ihm machten es dem Tageslicht schwer hindurch zu kommen. Die Wirkung des Tranks, welcher ihm das Sehen in der Nacht ermöglichte, war längst vergangenen, doch noch konnte er genug im Zwielicht erkennen um sich selbst einen Weg zu bahnen. Der gefrorene Boden unter seinen Füßen ließ ihn oftmals schlittern, Pulverschnee wurde von seinen Stiefeln aufgewirbelt, und er merkte dass ihm Gestalten folgten. Mit ihnen konnte er sich nicht aufhalten, er musste sie bei passender Gelegenheit abhängen, vielleicht war dies auch gar nicht möglich da sie bereits wussten wohin ihn sein Weg führen würde. Sein heißer Atem verdampfte knisternd in der kalten Winterluft. Kurz nachdem er die Hütte des Druiden passiert hatte, blieb er kurz stehen und ließ den Blick schweifen. Er erinnerte sich an die Worte die er in dem Tagebuch gelesen hatte, dass in der Nähe ein Fluss durch eine tiefere Senke führen musste. Es war bereits zu kalt geworden, als dass der Fluss sich durch das vertraute Rauschen enttarnen ließ, also musste Fisk sich blindlings durch das Unterholz begeben. Ihm fiel zwischen all den Bäumen und Sträuchern eine Art kleiner Pfad auf, vielleicht war dies ein Weg den der Druide oft gewählt haben musste. Der Pfad schlängelte sich einen kleinen Hang hinab. Das gefrorene Laub unter seinen Stiefeln gebot ihm kaum Halt, aber er durfte keine Zeit verlieren. Sich still und leise an diesem Ort zu bewegen brachte ihm nichts. Fisk wusste, um ihn herum lauerten unzählige Augen die ihn beobachteten. In jedem Baum, in jedem Strauch waren die Geister des Waldes zu Hause, verderbt von dem Fluch der ihrem Heim anlastete. So rutschte der Waidmann den Hang hinab, unten angekommen rannte er bereits weiter, hinter ihm das dumpfe Stöhnen seiner Verfolger. Plötzlich kreuzte sein Pfad eine breite Fläche aus Eis. Der Fluss, den er gesucht hatte, lag direkt vor ihm, keine zwei Meter breit. Dicht trat er an das Ufer und blickte das Flussbett entlang welches sich immer tiefer in den Wald schlängelte. Etwas fiel ihm in der Ferne bereits auf, etwas dass ihm großes Unbehagen bereitete und von dem der Druide nicht einmal berichtet hatte. Vielleicht weil er sich schon lange nicht mehr in diesen Teil des Waldes getraut hatte, oder weil sein Körper so lange schon verrottete. Seine Finger griffen nach dem Heft seines Schwertes, es summte schon eine ganze Weile vor freudiger Erregung. Als er es langsam herauszog, konnte er den unbändigen Durst des Stahls vernehmen der danach schrie das Böse von dieser Welt zu verbannen. Seine Handinnenfläche brannte wie Feuer. Fisk zog die Klinge blank, hinter seinem Rücken näherten sich die Leidenden, die ihm schon lange folgten, in der Hoffnung an ihm ihre alles verzehrende Rache zu nehmen. Rache für all das Leid und den Schmerz der ihnen bereitet wurde. Diesen Wunsch konnte er ihnen nicht erfüllen, nur die Erlösung. Er wirbelte herum und ließ seine Klinge in der kalten Luft tanzen. Zertrennte Knochen und Fleisch, trennte Köpfe von ihren Leibern und streckte nieder was schon längst tot sein sollte. Als sein Werk verrichtet war, zog es ihn weiter. Nach wenigen Metern kam er an die Stelle die ihm bereits aus der Ferne aufgefallen war. Die Wurzeln eines Baumes waren an manchen Stellen aufgebrochen und ein dumpfes, violettes Schimmern trat daraus hervor. „Verderbnis...“ Er kannte sie nur zu gut, daher gab es keinen Zweifel für den Jäger. Langsam ging er weiter, das violette Leuchten zeigte ihm den Weg zum Herzen des Fluches. Immer mehr Bäume trugen die Spuren, ihre Wurzeln und bald auch ihre Stämme waren zerborsten und eine violette Masse quoll hervor. Er passierte Pilze, die sich trotz der Kälte durch den Boden gebohrt hatten. Der Schnee machte ihnen nichts aus, sie wirkten als seien sie transparent, und auch sie gaben ein violettes Leuchten ab. Die Verderbnis wucherte an jedem Baum, jedem Strauch, wie ein Geschwür das sich immer weiter auszubreiten schien. Deformierte Bäume beugten sich über ihn, als wollten sie ihre Äste gebrauchen um nach ihm zu greifen. Das Summen seines Schwertes nahm zu, er umfasste den Griff noch fester. Der gefrorene, mit Schnee bedeckte Boden wich einem morastigen Untergrund und der Gestank von Fäulnis trieb die Übelkeit in seine Magengrube. Fisk zog sich den Stoff seines Schals über die Nase und schlich in gebeugter Haltung weiter. Ein Lufthauch streifte ihn, eisig kalt wie der Hauch des Todes persönlich. In letzter Sekunde gelang es dem Waidmann auszuweichen. bevor eine schwarze Hand nur knapp an seinem Gesicht entlang fuhr. Fisk blickte hoch in ein Gesicht das keines war. Der Leib des Wesens war in eine lange, graue Kutte gehüllt die seinen schwarzen Körper fast gänzlich verbarg. Sie war bestickt mit Tüchern aus dunklem Leinen auf denen rote Runen flackerten. Schnell wie der Wind wich es zurück, seine Kutte blähte sich leicht unter einem nicht existierenden Wind, dann erst erkannte Fisk dass es keine Füße hatte und nur wenige Zentimeter über dem Boden schwebte. Kurz stockte Fisk der Atem, ihm war dieses Wesen gänzlich unbekannt, obwohl er in der Annahme war, in seinem Leben schon fast alles gesehen zu haben. Ein Irrtum. Ein ziemlich dummer. Irgendetwas an dieser Kreatur ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Noch immer versuchte er ein Gesicht in der Schwärze zu erkennen die unter der Kapuze der Kutte lag, aber dort schien einfach nichts zu sein. Es streckte die Arme nach dem Waidmann aus, seine langen Finger waren gekrümmt wie Klauen. Wieder stürzte es nach vorn, Fisk machte sich bereit auszuweichen, doch dann ging alles ganz schnell und etwas geschah, das nicht geschehen sollte. Unter der Schwärze der Kapuze tat sich ein langer Schlund auf der fast das komplette Gesicht einnahm, und entblößte eine lange Reihe aus spitzen Zähnen. Ein Schrei drang aus der Kehle der Kreatur, so schrill dass Fisk glaubte ihm würde es seinen Kopf zerreißen. Dann konnte er sich nicht mehr bewegen. Er hatte zur Abwehr noch einen Arm hoch gerissen, doch kein Muskel seines Körpers wollte ihm jetzt noch gehorchen. Das Schwert lag unendlich schwer in seiner anderen Hand und seine Füße schienen im fauligen Morast verwachsen zu sein. Sein Blick war auf den finsteren Schlund vor sich gerichtet. Der Gedanke, ob es ihn im ganzen verschlingen wollte, oder erst mit seinen Klauen zerreißen würde, schoss ihm durch den Kopf. Alles geschah in nur wenigen Sekunden. Sekunden die für den Waidmann wie eine Ewigkeit wirkten, denn er fühlte sich als würde der Tod ihn nun endlich überlistet haben. Das wollte er nicht zulassen. Niemand konnte ihm jetzt noch helfen, er war allein in der Tiefe dieser verwunschenen Wälder, kein Ort an dem man eines ruhmreichen Todes starb. Also musste er los lassen, die Kontrolle von etwas lösen, dass er eigentlich niemals frei lassen durfte, doch ohne es, würde er sterben. In seiner ausgestreckten Hand manifeszierte sich ein violettes Licht, formte sich zu einer Flamme die sich um seine Finger schlang. Das Feuer loderte auf, und schoss im nächsten Augenblick vor, direkt in das formlose Gesicht der Kreatur. Die Flamme explodierte und hüllte den gesamten Körper ein, verzehrte ihn, brachte die schlimmsten Todesqualen mit sich. Fisk konnte sich wieder bewegen und taumelte nach hinten. Das Wesen schlug unkontrolliert um sich, schrie vor Schmerz bis die Flammen seinen Leib gänzlich verzehrten, und nur noch einen kleinen Haufen glimmender Asche übrig ließen. Fisk atmete schwer, seine Augen waren weit aufgerissen und erfüllt von eben jenem violetten Leuchten das soeben seiner Hand entsprungen war, und dass den Wald um ihn herum befallen hatte. Ein paar Male blinzelte der Waidmann, dann hatten seine Augen wieder die Farbe von klarem Blau angenommen. „Verflucht!“ Er zischte vor Wut und atmete noch einige Male tief durch. Dieser Auftrag konnte nicht wieder gut machen, was er in nur einem kurzen Augenblick gerade wieder verloren hatte. Wütend zerstampfte er mit seinem Stiefel den Haufen Asche vor sich, bis auch der letzte Funken des dämonischen Feuers erloschen war. Dann ging er weiter, verteufelte sich selbst das nächste Mal aufmerksamer zu sein, noch solch ein dummer Fehler sollte ihm nicht passieren. Mit größerer Vorsicht schlich sich der Waidmann durch das Unterholz, immer schlimmer wurden die Geschwüre der Dämonenmagie, er konnte spüren wie sie ihn rief, ihn lockte. Immer wieder mahnte er sich nicht die Konzentration zu verlieren. Noch ein paar Mal begegnete er den merkwürdigen Kreaturen, die lautlos über den Waldboden schwebten, eine jede trug die zerlumpten Kutten mit den Aufnähern, auf denen rote Runen tanzten. Still und heimlich gelang es ihm sich an ihnen vorbei zu schleichen, es juckte ihn in den Fingern herauszufinden wie er sie besiegen konnte ohne die Magie anzurufen, aber er durfte kein Risiko eingehen. Er musste sich beeilen. Für Veldig und die Bewohner von Kraic. Nach einer Weile des Fußmarsches lag plötzlich eine kleine Lichtung vor ihm, und was er dort sah trieb kalte Schauer seinen Rücken hinab. Das musste es sein. Sein Ziel. Inmitten der Lichtung stand ein Baum. Viele Jahre schon alt, so groß gewachsen war er. Seine nackte Baumkrone erstreckte sich fast über dem gesamten Himmel über sich. Dunkle Wolken hingen tief und brachten sicherlich bald neuen Schnee mit sich. Ein fauliger Duft lag in der Luft. An den dicken Ästen des Baumes baumelten leblose Körper. Rings herum hatte man sie mit dicken Stricken aufgeknöpft. Dem Anblick nach waren sie schon eine sehr lange Weile tot, das letzte Bisschen Fleisch hing träge von ihren Knochen. Doch noch etwas befand sich auf den knorrigen Ästen, eine ganze Schar von Raben deren matte Augen auf ihn gerichtet waren. Fisk umfasste das Heft seines Schwertes noch fester, es war schwer den Blick von dem entsetzlichen Bild vor sich zu lösen, aber er durfte nicht wieder in eine Falle laufen. Die Lichtung schien bis auf den alten Riesen vollkommen verlassen. Ein kalter Wind fegte über ihn hinweg und schaukelte die toten Leiber sachte hin und her. Das musste er sein, der Baum von dem der Druide in seinem Tagebuch geschrieben hatte. Unter seiner Rinde sah Fisk ein violettes Licht pulsieren. Langsamen Schrittes ging der Waidmann über die Lichtung, alles was zu hören war, war sein eigener Atem. Die Augen der Raben hatten ihn noch immer fixiert, ließen ihn nicht mehr los. Erst als er wenige Meter noch von dem Baum entfernt war, begannen sie alle zusammen unruhig mit ihren Flügeln zu flattern, es war ein Geräusch so nervtötend dass es ihm den Verstand rauben konnte. Unter seinen Füßen begann der Boden zu beben, etwas regte sich, und die gefrorene Erde der Lichtung schien zum Leben erweckt zu werden. Die Wurzeln des Baumes befreiten sich aus dem Grund, feste krallten sich die Raben in die Äste auf denen sie saßen um nicht herunter geschüttelt zu werden wie reifes Obst. Knackend richtete sich der Baum immer weiter auf, bog sich unter der Last seines nackten Geästs, seine Wurzeln tasteten über den Boden als wären es Finger, suchend nach Halt. Ein dunkles Stöhnen durchdrang die Stille, es war qualvoll und getränkt von solch unsagbarem Leid wie Fisk es noch nie erlebt hatte. Er stand noch immer vollkommen regungslos am Rande der Lichtung und betrachtete das grausige Schauspiel vor seinen Augen, traute sich nicht zu blinzeln oder gar zu atmen. Langsam krochen die Wurzeln des Baumes über den Boden des Waldes. Sie krochen in seine Richtung. Starre Raben Augen bohrten sich in seine Seele als wollten sie diese in der matten Schwärze ertränken. Mit beiden Händen fest im Griff hob Fisk sein Schwert. Die goldenen Runen leuchteten auf wie flüssiges Gold. So wunderschön der Anblick auch sein mochte, der Schmerz, das Brennen in des Jägers Händen wurde immer schlimmer und trieb ihm feine Schweißperlen auf seine Stirn. Die Baumkrone bog sich nach vorn, schien einen Käfig aus nacktem Geäst zu formen, gemacht um seine Beute einzufangen. Doch diese Beute wollte sich nicht fangen lassen. Fisk löst seine Starre, erwachte zu neuem Leben, sog einen tiefen Schwall der kalten Winterluft ein und stürmte los. Wie eine Peitsche schnellte ein weiterer Ast vor um seinen Übermut zu stoppen. Die Klinge sauste durch die Nacht und mit einem mächtigen Hieb ließ Fisk sie gegen seinen Angreifer prallen. Sie durchtrennte das Holz ohne Mühe und der Ast landete krachend neben ihm auf dem Boden. Eine Schar Raben die darauf gesessen hatten flatterten krächzend in die Luft. Aus dem Stumpf sickerte eine violette, zähe Masse. Noch einen Augenblick lang zuckte der Ast, ein weiteres Stöhnen drang über die Lichtung. Plötzlich flatterten alle Raben auf einmal in die Luft, das Getöse ihrer Flügelschläge war kaum auszuhalten. Lange hatte Fisk keine Zeit sich an dem Lärm zu stören, da ging auch schon die Schar in einen Sturzflug über und fiel auf den Waidmann ein. Wieder sauste seine Klinge durch die Luft, Federn wurden in alle Richtungen geschleudert und regneten, begleitet von Blut und den Resten der Vögel, auf ihn nieder. Feucht und warm prasselte es auf sein Gesicht, ein kupferner Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Echtes Blut. Diese Raben zumindest, waren kein böser Zauber. Dennoch hackten ihre spitzen Schnäbel bedrohlich auf ihn ein, ihre scharfen Klauen griffen nach ihm und verhakten sich hier und da in seiner Kleidung. Die Finger der Waidmanns angelten nach seiner Armbrust, blind tastete er sich zu dem Abzug vor. Noch während er die Waffe mit einer Hand erhob, ließ er die Arme zu beiden Seiten aufschnellen und schoss geradewegs in einen Raben hinein, der seine Krallen erhoben hatte um sie in seine Augen zu bohren. Ein Gedanke reichte aus. Der Gedanke an Feuer, Hitze und heiße Glut, und schon flammte die Spitze des Pfeiles auf. Nachdem sie den Leib des Raben durchbohrt hatte, explodierte sie in dutzende, brennende Splitter und wurde so zu tödlichen Geschossen die etliche Raben vom Himmel holte. Ein zweiter Schuss folgte dem ersten, dem zweiten ein dritter, und die noch wenigen verbliebenen schwarz gefiederten Vögel flatterten davon. Diesen kleinen Sieg konnte der Waidmann nicht auskosten. Etwas traf ihn hart von der Seite und fegte ihn fort wie eine lästige Fliege. Diesen Ast hatte er nicht kommen sehen. Fisk flog wenige Meter durch die Luft und prallte hart wieder auf dem Boden auf. Lichtblitze tanzten vor seinen Augen, die Welt um ihn herum drehte sich erbarmungslos. Das Beben der Erde trieb ihn dazu an, schnell wieder auf die Beine zu kommen denn das Grauen verfolgte ihn, und es war wütend. Der Schlag hatte ihm seine Armbrust aus den Händen gerissen, sein Schwert aber hielt er noch immer fest. Ächzend kam er auf die Beine, kaum trugen sie ihn wieder, musste er auch schon dem nächsten Angriff der peitschenden Äste ausweichen. Mit einem Hieb trennte er auch den nächsten Arm des Baumes ab, kleine Splitter flogen durch die Luft. Wieder ertönte dieses unendlich qualvolle Stöhnen. Als Fisk ein paar Schritte zurück ging erkannte er etwas entsetzliches zwischen den Wurzeln des Baumes mit denen er sich langsam fortbewegte. Überall, zwischen Erde und Wurzeln, blitzten weiße Knochen auf. Aus den leeren Augenhöhlen unzähliger Schädel blickten die Toten zu ihm auf. Manche der Skelette streckten ihre Arme nach ihm aus, versuchten ihn zu greifen. Es war keine Illusion, sie bewegten sich tatsächlich. Fisk wurde übel, wie viele Seelen waren hier begraben? Eine Zahl die er sich unmöglich ausmalen konnte, vielleicht auch gar nicht wissen wollte. Viele mussten es sein, um solch eine Kreatur hervor zu bringen. Der Baum geriet in starke Seitenlage, für einen Moment wirkte es, als wollte er sich selbst zu Fall bringen, doch dann wankte er wieder zurück zu der anderen Seite und stieß seine Wurzeln hart ins Erdreich. Der Boden bebte so stark dass Fisk sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er kämpfte noch mit dem Gleichgewicht als ihn etwas von hinten packte, und feste umschlang. Einer der massiven Äste hatte ihn zu greifen bekommen und schraubte sich fest um ihn. Fisk blieb die Luft weg, er verlor den Boden unter den Füßen als der Baum ihn in die Höhe zog. Mit beiden Händen umfasste er noch immer das Heft seines Schwertes, doch die Äste hatten sich so fest um ihn geschlungen, dass er seine Arme nicht bewegen konnte und seine Waffe nutzlos war. Als ihn der Baum so hoch oben in den Himmel hob, konnte er das Loch in der Erde sehen aus dem er entstiegen war. Überall lagen Knochen verstreut. Diese Lichtung war ein einziges, großes Massengrab. An einem dickeren Ast neben ihm baumelte einer der Erhängten, sein leerer Blick hatte fast schon etwas flehendes. Fisk keuchte, seinen Lungen blieb kaum noch Platz und das atmen fiel ihm immer schwerer. Ein heftiger Ruck erschütterte den Baum. In der Mitte seines Stammes bildete sich unter lautem Knacken ein gewaltiger Riss. Im Zickzack suchte er sich den Weg von rechts nach links. Holz splitterte ab und der Riss spaltete sich auf. Unter dem Waidmann tat sich ein Maul auf, grotesk und mit fauligem Atem. Als dieses Mal das Stöhnen ertönte war es viel lauter, es kam nicht mehr aus dem Inneren des Baumes, sondern drang nun durch das Maul hinaus ins Freie. Im Inneren des Stammes erkannte Fisk die Geschwüre der Verderbtheit. Sie pulsierten in freudiger Erwartung dass der Waidmann verschlungen werden sollte, ihr violettes Licht leuchtete heller. Der Baum beugte sich nach hinten, öffnete seinen Schlund weit und löste die Äste um Fisks Leib. Seine Lungen füllten sich mit kalter Luft während er in die Tiefe stürzte. Der Waidmann nutzte diese alleinige Gelegenheit die sich ihm bot, direkt an das verdorbene Herz des Baumes heran zu kommen. Im Fall umfasste er den Griff seines Schwertes fest mit beiden Händen, mit der spitzen Klinge voran stürzte er sich in den breiten Schlund. Fisk biss die Zähne zusammen es gelang ihm seinen Körper in eine gerade Position hinter seinem Schwert zu bringen. Er durfte nicht gegen die scharfen Zacken des Mundes kommen die problemlos seinen Körper aufreißen konnten. Nur knapp gelang es ihm gerade in den Schlund einzutauchen. Seine Klinge bohrte sich in das feste Gewebe, es gab nur einen kurzen Widerstand, dann riss es auf und eine zähe Masse quoll hervor. Der Baum schloss sein Maul wieder, in der Gewissheit den Eindringling verschlungen zu haben. Doch in seinem Inneren wütete Pein. Der Waidmann holte in seinem beengten Grab immer wieder aus, und rammte sein Schwert in die Wucherungen der Verderbnis unter seinen Füßen. Das Licht der goldenen Runen auf seiner Schneide, mischte sich in das violette Dämmerlicht. Sein Schwert brannte das Böse aus, stieß immer tiefer vor in den Kern. Die Luft um ihn herum brannte, jeder Atemzug schmerzte als würde es ihn von Innen heraus zerfressen. Aber er ließ seine Klinge immer wieder erbarmungslos nieder sausen. Plötzlich explodierte das violette Leuchten um ihn herum in etliche Lichtblitze, versengten das faulige Holz seines stinkenden Grabes. In einem entsetzlichen Schmerzensschrei riss der Baum sein Maul wieder auf und taumelte, wild mit den Ästen schlagend umher. Fisk steckte in Windeseile seine Waffe zurück, ging tief in die Knie und stieß sich ab. Seine Finger bekamen die Zacken des Mundes zu fassen und er konnte sich aus dem Schlund hinaus ziehen. Der Baum bemerkte den Flüchtenden, schnappte zu, doch einen Moment zu spät. Er war entkommen. Der Waidmann rollte sich über den Waldboden ab und wirbelte sofort zu dem Baum herum. Eine zähe Masse quoll aus dem Baum hervor, seine Bewegungen wirkten träge, doch er wollte den Eindringling noch immer zermalmen. Wieder schlug er mit einem seiner Äste zu, doch Fisk wich wieder und wieder aus. Wütend bleckte Fisk die Zähne, eigentlich müsste der Baum bereits keine Wurzel mehr rühren können. Dann fiel sein Blick an die baumelnden Körper. Noch einmal zog er sein Schwert, ließ die Klinge singen und schnitt den Ast ab an dem der Tote hing. Unter einem leisen Stöhnen schwankte der Baum zur Seite, Fisk eilte weiter, wich den Wurzeln aus die sich um seine Füße schlingen wollten und hieb den nächsten Ast mit einem Toten ab. Immer mehr sackte der Baum in sich zusammen je mehr Last von seiner Krone geschlagen wurde. Als der letzte leblose Körper zu Boden fiel, keuchte Fisk schwer vor Anstrengung und ging langsam zur Vorderseite des Stamms wo sich der Schlund aufgetan hatte. Noch immer sickerte die zähe Masse aus dem Baum, doch hatte sie all ihre Farbe verloren und war nun schwarz wie Teer. Stille kehrte zurück auf die Lichtung, doch kein Frieden. Er spürte noch immer den Fluch der auf diesem Wald lastete, er lag in der Luft, bedeckte Pfade und jegliches Blatt dass unter dem Frost verborgen lag. Die Äste des Baumes bewegten sich, getrieben von einem unsichtbaren Wind. Eine raue Stimme erklang hinter dem Waidmann, er musste sich anstrengen die leisen Worte zu verstehen. „Du kannst den Fluch nicht nehmen. Zu viel Blut tränkt meine Erde. Zu viel Leid zerfraß sein Herz.“ Langsam drehte sich Fisk herum, eine dürre Gestalt kroch über den Boden. Es war jene Frau die er schon im Moos hatte liegen sehen, dort wohin ihn die Waldnymphe geführt hatte. „Ihr seid die Hüterin des Waldes, nicht wahr?“ Schweigend kroch sie auf ihn zu, quälend langsam, viel Kraft hatte ihre Existenz nicht mehr. Als sie die ersten Wurzeln des Baumes erreicht hatte, schlang sie ihre dürren Finger darum. Ein leises Stöhnen drang aus dem Inneren des Baumes und ihre raue Stimme erklang wieder. „Unendliche Schmerzen, bis in alle Ewigkeit.“ „Werde ich den Fluch brechen können wenn ich ihm den bringe, der ihm all das angetan hat? Der ihm zu diesem Grauen machte?“ Fisks Stimme schnarrte leise während er seine Hand auf eine schmerzende Stelle an seiner Seite drückte, wo ihn die Äste des Baumes wie einen Peitschenhieb getroffen hatten. Die Frau mit den matten, grünen Augen und dem seidigen Haar drehte sich langsam auf den Rücken. Fisk konnte in ihren eingefallenen Zügen etwas wie Hoffnung erkennen. „Tut es.“ Zitternd streckte sie eine Hand aus, in der Innenfläche bildete sich ein schwaches, grünliches Licht zu einer festen Kugel. Kraftlos fiel ihr Arm zu Boden und ihre Stimme war kaum noch wahr zu nehmen, doch Fisk hörte in der Stille jedes ihrer Wörter. „Meine Kinder nahmen es dem Wesen was Euch begleitete. Ich nutzte es um den Weg hier her zu finden. Gebt es zurück.“ Mit dem letzten Wort das ihre Lippen verließ, rollte die kleine grünliche Kugel aus ihrer Handfläche. Ihr Körper zerfiel zu Erde. Langsam ging Fisk auf die kleine Kugel zu, als er sie aufhob konnte er ihre Wärme durch seinen Handschuh hindurch spüren. Fest schlossen sich seine Finger darum. Nun musste er den letzten Teil seines Auftrages ausführen. Das dämmrige Licht des Abends hatte sich bereits über das kleine Dorf Kraic gelegt. Schatten wurden immer länger und würden bald alles einnehmen sobald die letzten Strahlen der Sonne am Firmament erloschen waren. Kurz hatte sie sich zwischen den Wolken hindurch geschoben, doch der Decke aus Schnee die sich bereits über das ganze Land gelegt hatte, konnte sie nichts mehr anhaben. An diesem Tag war das Dorf ungewöhnlich belebt gewesen. Stadtwachen waren von Haus zu Haus gezogen und hatten sämtliche Zimmer auf den Kopf gestellt, in der Hoffnung eine Spur von dem Jäger oder dem Jungen der Wirtin zu finden. Doch beide waren wie vom Erdboden verschluckt. Eine Tatsache die nicht jedem gefiel. Drei Wachen sollten im Gasthaus bleiben, für den Fall dass sich ein Unvorsichtiger dorthin verirrte. Natürlich kosteten sie hier und da von dem Hab und Gut der Wirtin, schließlich wollte man nicht dass das gute Bier verdarb. Es sollte ihr letzter Krug gewesen sein. An diesem Abend ruhten ihre leblosen Körper auf dem Boden der Gaststube. In ihren Köpfen steckten Pfeile und hatten ihnen ein schnelles Ende gemacht. Unter großer Anstrengung zog Fisk den Deckel von dem riesigen Weinfass indem er seinen treuen Begleiteter Veldig zurück gelassen hatte. Kaum noch ein Atemzug verließ seine Lippen. Fisk kniete sich vor ihn hin und legte den Kopf auf seine Oberschenkel. Mit beiden Händen zog er die mächtigen Kiefer auseinander und legte die grünliche Kugel auf Veldigs Zunge. Es kostete ihn ein wenig Mühe seinen Freund zum Schlucken zu bewegen, aber es gelang ihm schließlich. „Komm schon mein Freund. Es wartet noch ein wenig Spaß auf uns.“ Als hätte der Hyna seine Worte genau verstanden, begann eines seiner Beine zu zucken und kurz darauf öffnete sich eines seiner braunen Augen. Auf den sonst so düsteren Gesichtszügen des Jägers schlich sich ein erleichtertes Lächeln. Fisk strich dem Tier über die Seite und spürte schon kaum mehr Rippen unter dem dichten Fell. Veldig erholte sich schon in wenigen Augenblicken und war dabei sich mit wackeligen Beinen aufzurichten. „Bleib noch ein wenig hier und ruhe dich aus. Ich brauch dich gleich wieder“ Im dämmrigen Licht der hereinbrechenden Nacht, sickerten die Rinnsale des Kerkers unter dem Rathaus voll mit Blut. Dutzende Wachen hatten hier ihren Posten angetreten um den Bürgermeister zu schützen. Sie hatten versagt. Der Tod hatte fast einen jeden ereilt ohne dass er darauf gefasst gewesen wäre. Ihre Augen hatten die Schatten außer Acht gelassen in denen er wandelte und ihnen nahe kam. Bürgermeister Müllebreck saß in seinem Schreibzimmer auf einem weich gepolsterten Sessel, den er einst vom König geschenkt bekommen hatte. Auf diesem Sessel saß es sich besonders gut. Erstrecht wenn man sich zuvor den Magen vollgeschlagen hatte, man wollte ja nicht hungrig in die Nacht entlassen werden. Sein Plan war gewesen in dieser Nacht erst Schlaf zu finden, wenn die Störenfriede seines geliebten kleinen Dorfes gefunden waren und dort sitzen würden, wo sie hingehörten. In den Kerker. Noch war diese Aufgabe nicht erfüllt, aber seine Stadtwache würde ihn sicher nicht im Stich lassen. Sein Kopf lag leicht im Nacken, ein feiner Faden Speichel floss aus seinem Mundwinkel und lief an seinem Kinn hinab. Begleitet wurde das Bild des zufrieden schlafenden Bürgermeisters mit einem leisen Schnarchen. Eine eiserne Spitze zielte mittig auf seine Stirn. Der Waidmann musste nur den Abzug seiner Armbrust betätigen und der Pfeil würde das Hirn des dicken Mannes durchschlagen und alles auslöschen was ihn ausmachte. Kalte, blaue Augen blickten von oben auf ihn herab, verborgen in dem Schatten seines Hutes. Ein schmales Lächeln legte sich auf seine Züge. So sicher und behütet fühlte sich dieser Mann im Schutze Anderer die er dafür bezahlte, nun saß er hier, sabberte sich ein und merkte nicht einmal dass jemand in das große Zimmer getreten war und eine Waffe aus nächster Nähe auf ihn richtete. Langsam ließ Fisk seine Armbrust wieder sinken. Es war nicht einmal verlockend diesen Versager im Schlaf zu erschießen, aber es war auch nicht Teil seines Auftrags. Eine der wichtigsten Regeln für einen Nebeljäger war, kein Leben zu beenden außer wenn es das eigene nicht in höchstem Maß bedrohte, oder Bestandteil seines Auftrags war. Diesem Mann das Leben zu nehmen würde ihm selbst mehr schaden als dass es irgendjemandem helfen würde. So leise wie er gekommen war, verließ er auch wieder das Zimmer des Bürgermeisters und stieg ab in den Bauch der Kerker. Jede Wache die ihm auf seinem Weg begegnete, hatte ihren letzten Atemzug getan. Sie waren anders als Müllebreck, an ihren Händen klebte etwas das nie wieder fort gewaschen werden konnte. Fisk spähte in jede Zelle die er passierte, immer erwartete ihn das gleiche Bild, es kam jede Hilfe zu spät. Wer hier eingesperrt wurde, sah nie einen Krumen Brot. Dann allerdings fand er die massive Tür die gefangen hielt, weswegen er gekommen war. Fisk betrachtete den dicken Schlüsselbund den er einer der Wachen abgenommen hatte und probierte jeden Schlüssel aus, bis er den gefunden hatte, der passte. Ungläubige Augen starrten ihn aus der Dunkelheit heraus an. „Nebeljäger? Seid Ihr das?“ Mina schlich in geduckter Haltung durch die Zelle und starrte auf die Silhouette in der Tür. „Kommt, es ist Zeit diesen Ort zu verlassen.“ Fisk runzelte die Stirn als er in das Gesicht der Wirtin blickte. „Wer hat Euch geschlagen?“ Selbst in dem dämmrigen Licht konnte er den dunklen Ring um ihr linkes Auge sehen und die kleine Platzwunde an ihrer Unterlippe. Ihr Kinn bebte und leise krächzte sie. „Die Wachen. Ich wollte mich nicht einsperren lassen. Für was? Nichts habe ich mir zu Schulden kommen lassen.“ Ihre tränennassen Augen blickten in das Gesicht des Jägers, sie stürzte auf ihn zu und umklammerte mit beiden Händen fest seinen Mantel. „Mein Junge! Tobias ist sicher in großer Gefahr! Sie haben...“ Fisk brachte sie mit einer Handbewegung zum schweigen und schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, er ist in Sicherheit.“ Mina blickte fragend zu ihm auf, doch Fisk trieb sie zur Eile an und zog am Arm. „Später werde ich Euch alles erklären. Wir müssen nur schnellstens hier raus. Es gibt noch eine Angelegenheit die ich erledigen muss, und die keinen Aufschub duldet.“ Direkt in der Zelle nebenan fand er die Schneiderin, die beiden Frauen waren die einzigen die in diesem unterirdischen Grab noch am Leben waren. Niemandem sonst hatte er noch helfen können. Als sie den Ort des Grauens verließen, war bereits die Nacht hereingebrochen und brachte neuen Schnee mit sich. Dicke Flocken fielen hinab und legten eine neue, weiße Decke auf das Land. Die beiden Frauen zitterten wie Espenlaub, nicht einmal wegen der Kälte allein. Der Waidmann fasste Mina am Arm und ließ seinen Blick über die verlassenen Straßen wandern. „Ihr müsst in das Haus des Totengräbers gehen. Dort ist auch Euer Sohn, er hat ein Buch bei sich das ihr lesen solltet.“ „Was redet Ihr da? Wieso um alles in der Welt ist mein Sohn beim Totengräber? Außerdem denke ich nicht dass dies die perfekte Zeit ist um Bücher zu lesen! Ihr könnt Euch nicht vorstellen was in der vergangenen Nacht geschehen ist!“ Mina blickte mit angst geweiteten Augen zu dem Jäger auf und schüttelte ungläubig den Kopf. „Die ganze Versammlung habe ich zwar nicht mitbekommen, aber ich weiß was geschehen ist.“ Fisk blickte zu der Wirtin hinab und verengte leicht die Augen. „Das Buch. Lest es. Nun geht, ich muss meinen Auftrag noch in dieser Nacht erfüllen wenn ihr wieder frei sein wollt.“ Mina drehte sich der Kopf, der Jäger ließ ihren Arm los und warf ihr noch einen Blick zu der ihr klar machte, dass sie nicht noch länger zögern sollte. Die Wirtin packte die Schneiderin beim Arm und rannte mit ihr so schnell sie konnte durch die Nacht. Ihre Schritte hallten laut durch die totenstillen Gassen. Nur kurz blickte Fisk ihnen nach, Sorgen machte er sich keine. Es gab keine Stadtwachen mehr die ihnen noch Probleme machen konnten. Auf seine Züge legte sich ein schmales Lächeln, er leckte sich langsam über die Unterlippe. Er war bereit für seine Jagd. Der Kommandant saß mit seinen engsten Vertrauten in seinem Zimmer um einen runden Tisch. Sie alle waren wichtige Mitglieder der Stadtwache, und stattliche Männer welche die Mauern des Dorfes immerzu gesichert hatten. Nun aber konnten selbst sie nicht mehr für Sicherheit sorgen, irgendwas war schief gelaufen. Zwischen den sechs Männern fand eine angeregte Unterhaltung statt, sie machten sich gegenseitig Vorwürfe wer schuld daran war dass ihnen der Junge der Wirtin entkommen war, und niemand auch nur eine Spur von diesem verfluchten Jäger hatte. Der Kommandant schlug mit der Faust auf den Tisch dass es nur so knallte. Alle Augen ruhten auf dem Mann mit dem kurzen, dunklen Haar und dem Stiernacken. „Schluss jetzt! Als ob uns so ein dummer kleiner Junge gefährlich werden könnte. Er ist sicher abgehauen, mit ein wenig Glück in die Wälder. Dann sind wir ihn sowieso los.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wir sollten uns lieber mit der Frage beschäftigen was wir mit der Sache tun sollen die nun aus dem Ruder gelaufen ist. Dieser verdammte Jäger hat uns alles durcheinander gebracht.“ Gerade wollte der Kommandant Luft holen, um einen Vorschlag zum lösen des Problems zu machen, als ein leises Surren an sein Ohr drang. Nur einen Wimpernschlag weiter fielen zwei der Männer vornüber und knallten mit dem Gesicht auf die Tischplatte. Ihre Körper rutschten von den kleinen Holzstühlen und fielen zu Boden. Die vier anderen sprangen auf, griffen instinktiv an ihre Waffengürtel, doch die Rüstungen hatten sie abgelegt und gegen bequemere Kleidung getauscht. Vor dem Haus gab es noch ein paar mehr Wachen die immer die Augen offen hielten, also brauchten sie ihre Waffen für gewöhnlich nicht in der Nähe zu haben. Ein weiterer fiel plötzlich wie ein nasser Sack zu Boden, aus seiner Brust ragte der Schaft eines Pfeiles. Die beiden letzten drehten sich herum, schon traf ein weiterer Pfeil sein Ziel direkt zwischen die Augen. Der Kommandant stand allein in dem geräumigen Zimmer. Fast. In der Eingangstür, die hinaus in eine kleine unbewohnte Gasse führte, stand ein Mann ganz in schwarz und richtete seine Armbrust auf ihn. Der Kommandant knurrte leise und biss sich auf die Unterlippe. „Jäger? Was fällt Euch ein? Ihr kommt hier rein und knallt unschuldige Männer ab! Wisst Ihr was wir mit Kerlen wie Euch machen?“ Bevor der Kommandant noch etwas anfügen konnte, kam der Jäger drei langsame Schritte auf ihn zu. Seine leise Stimme schnarrte leicht, klang amüsiert. „Ja. In den Wald bringen und sie aufknöpfen.“ Kurz verschlug es dem Kommandanten die Sprache, dann reckte er sein Kinn vor und lockerte seine Haltung. Er versuchte abzuschätzen wie schnell er sein Schwert an der gegenüberliegenden Wand erreichen konnte, wahrscheinlich nicht schnell genug bevor dieser Jäger einen Schuss abgeben konnte. „Was redet Ihr da für einen Blödsinn? Wir beschützen die Bürger dieses Dorfes! Deswegen werde ich Euch auch verhaften und Euch in den Kerker bringen wo ihr hingehört. Wegen Euch sind die Dämonen außer sich vor Wut. Ihr habt noch größeres Unheil über uns gebracht, weil ihr im Bunde mit dem Teufel steckt!“ Mit jedem Wort wurde das Lächeln auf Fisks Zügen noch breiter, wurde zu einem Grinsen. „Schön gebellt Kommandant. Nur leider helfen Euch die Märchen bei mir nicht. Ihr müsst nämlich wissen dass ich fand, was ihr vergeblich suchtet. Dort draußen, im Haus des Druiden. Ihr ward es der ihn erstacht. Richtig?“ Der Kommandant brauchte nichts zu sagen, Fisk konnte es in seinen Augen lesen. Diese Art wie der Schock durch seinen Körper fuhr, und er noch nach einer Möglichkeit suchte sich herauszureden. Der Kommandant war kein dummer Mann, seine Miene gefror, er wusste das Spiel war vorbei. „So? Nur aus Neugier, was habt ihr denn gefunden?“ Fisk ging noch zwei kleine Schritte auf ihn zu. „Etwas sehr informatives. Der Waldkauz hat Euer Treiben eine ganze Weile lang beobachtet und alles fein säuberlich notiert. Doch eine Frage stellte er sich, die ich mir auch gestellt habe. Warum das alles? Wieso mussten all diese Menschen sterben?“ Schweigen machte sich in dem Raum breit, noch einmal ging der Kommandant im Geiste nach wie schnell er wohl sein Schwert erreichen würde. Ganz langsam ging er beiläufig in die Richtung des Objekts seiner Begierde. „Wofür wollt Ihr das noch wissen Jäger? Welche Rolle spielt es für Euch? Ihr knallt mich doch sowieso ab. Feige, ohne mir eine Chance zu geben, mich zu wehren.“ Das Lächeln auf Fisks Lippen blieb bestehen während seine blauen Augen noch immer jeder Bewegung des Kommandanten folgten. „Falsch. Ich habe ganz andere Dinge im Sinn. Es hätte mich nur interessiert um es später den Bewohnern von Kraic mitzuteilen. Letzte Chance es mir in Ruhe zu beichten. Sonst wird es unangenehm.“ Der Kommandant konnte nicht mehr an sich halten und brach in lautes Lachen aus. Wie absurd diese ganze Situation war, und dann tat der Jäger noch so als sei er ihm eine Erläuterung schuldig. Dieser Kerl würde ein vorzügliches Opfer abgeben, vielleicht würde es dann wieder alles seinen gewohnten Gang gehen. „Ihr seid wahrlich ein Narr Nebeljäger. Spuckt hier große Töne, als hättet ihr etwas gegen mich in der Hand.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und seine dünnen Lippen bildeten eine blasse Linie. Ein dunkles Knurren aus seiner Kehle untermalte seine gepressten Worte. „Ihr hättet niemals hier her kommen sollen. Heute Nacht werde ich mir das Buch des Greises aus Euren kalten, toten Händen holen!“ Alles setzte er auf diese eine Karte die er hatte und stürmte los. Um einem möglichen Pfeil zu entgehen, rollte der Kommandant über den Boden ab, sein Arm streckte sich in die Länge und seine Finger schlossen sich um die Scheide seines Schwertes. Geschafft. Nun musste er nur noch seine Klinge in den Leib des Jägers stoßen. Ein höhnisches Gelächter erklang hinter ihm. Eisiger Wind fegte durch den Raum und brachte in einem Wimpernschlag die brennenden Dochte der Kerzen zum erlöschen. Finsternis hüllte den Raum ein. Der Kommandant sprang auf die Beine und zog sein Schwert blank. Jegliches Licht um ihn herum war erloschen, für einen Moment überlief ein Schauer seinen Rücken, nur das fahle Mondlicht im Türrahmen gab ihm einen Anhaltspunkt. Doch wo war der Jäger hin? Seine Augen huschten umher, wollten sich nicht an die satte Dunkelheit gewöhnen, er fand ihn einfach nicht. Angestrengt lauschte er in das Dunkel, kein Laut drang zu ihm durch, nicht einmal ein leiser Atemzug war zu hören, außer seinem eignen. Plötzlich erklang die Stimme des Jägers erneut, der Kommandant wirbelte herum, doch sie schien viel mehr aus seinem Geist zu ihm zu sprechen. „Du hast deine Chance vertan. Nun werde ich keine Gnade mehr walten lassen. Blut für Blut ist das einzige dass diesen Fluch noch beenden kann.“ „Was redest du da für einen Scheiß? Stell dich mir wie ein Mann und verstecke dich nicht!“ Der Kommandant rannte zu dem einzigen Anhaltspunkt den er hatte, die Ausgangstür. Das fahle Licht des Mondes das hier und da durch die Wolken drang, würde ihm zumindest ein wenig Orientierung bieten. Als er über die Schwelle hinaus in die eiskalte Nacht trat, sah er all seine aufgestellten Wachen in ihrem eigenen Blut am Boden liegen. „Du verdammter Scheißkerl! Das wirst du bezahlen!“ Unverhofft traf ihn ein Fußtritt in den Rücken und der Kommandant stürzte mit rudernden Armen nach vorn. Schnell hatte er sich wieder gefangen und wirbelte mit der Klinge voran umher, doch sein Hieb ging ins Leere. Stattdessen erklang hinter ihm die leise Stimme des Jägers. „Lauf so schnell wie deine Beine dich tragen können.“ Knurrend drehte sich der Kommandant wieder herum und funkelte den Schatten vor sich an. „Niemals werde ich weglaufen! Ich bin keine feige Sau wie du!“ Alle Kraft legte er in seinen Angriff, hob das Schwert weit über den Kopf und stürmte auf den Jäger zu. Als seine Klinge nieder ging, flogen feine Funken als sie auf die verstärkten Arme der Armbrust traf, die der Jäger zu seiner Verteidigung hoch gezogen hatte. Mit einem kraftvollen Stoß trieb er den Kommandanten wieder ein wenig fort von sich, sofort setzte er ihm nach und stieß ihm sein Knie tief in die Magengrube. Würgend taumelte der Getroffene zurück und presste seine Hände auf die schmerzende Stelle. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, wischte er sich den Speichel aus dem Mundwinkel und setzte wieder zum Angriff an. Immer wieder sauste seine Klinge durch die Nacht und verfehlte ihr Ziel knapp. Der Jäger packte den Schwertarm des Kommandanten und drehte ihm diesen auf den Rücken, für einen Moment noch versuchte er seinen Arm wieder frei zu bekommen, aber dann explodierte seine Welt in einem Gewitter aus Schmerzen die ihn kurzzeitig lähmten. Das Klirren seiner Klinge hallte in seinen Ohren, sie musste seinen Fingern entglitten sein. Er merkte dass der Jäger schon wieder von ihm abgelassen haben musste, doch der Schmerz ließ ihn kaum einen klaren Gedanken fassen. Sein Arm baumelte unbrauchbar an seiner Seite. Keuchend betastete er seinen Arm bis zu seiner Schulter hinauf und musste feststellen dass sie ausgekugelt war. „Du verdammter Schweinehund! Versteckst dich hier wie eine feige Sau in der Dunkelheit!“ Sein Körper bebte und er betrachtete voller Hass den Schatten vor sich. „Du bist selbst ein verdammter Dämon!“ Eine Wolke gab die Sicht auf den vollen Mond frei. Sein helles Licht leuchtete auf die Welt herab, noch hier und da rieselten ein paar feine Schneeflocken durch die Nacht. Die Augen des Jägers lagen unter dem Schatten seines Hutes verborgen, von seinen Lippen war das amüsierte Lächeln verschwunden. Seine Stimme erklang leise und rau. „Wäre ich ein Dämon, hätte ich mich Eurer schon entledigt. Unter dem Kommandanten der Stadtwache hätte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ihr seid ein schwächlicher Versager. Ihr langweilt mich.“ Der Jäger führte seine Finger zu den Lippen und stieß einen lauten Pfiff aus. Der Kommandant blickte sich um, seine Kameraden mussten doch aufmerksam werden und endlich heran eilen. Er hatte sie schließlich überall in Kraic verteilt. Doch alles was kam, war ein Biest das sich aus dem Dunklen schälte, größer als ein Wolf, den Nacken breit wie der eines Bären. Zwei Hörner, mit den Spitzen nach vorn ausgerichtet, thronten auf seiner Stirn, die Lefzen waren hochgezogen und ein dunkles Grollen wie herannahender Donner drang aus seiner Kehle. „Das ist mein Freund Veldig. Er schlägt seine Fänge nicht in jedes Stück ordinäres Fleisch. Aber wenn es sein muss, wird er mir gehorchen. Lauft Kommandant, oder ich verspreche Euch, Ihr würdet Euch wünschen Euer Schwert noch halten zu können um Euch selbst die Kehle zu zerschneiden.“ Veldig fletschte die Zähne und der Kommandant wich ein paar Schritte zurück, dann rannte er die kleine Seitenstraße hinunter so schnell er konnte, die Hand presste er auf seine schmerzende Schulter. „Soldaten! Hier her! Bewegt eure verdammten Ärsche hier her!“ Doch die Nacht blieb still, alles was man hörte, waren seine eigenen Schritte die über das Kopfsteinpflaster hasteten. Er rannte die Hauptstraße weiter hinab, an eine Stelle wo er genau wusste dass er dort drei Männer stationiert hatte. Als er an dem kleinen Brunnen in der Nähe des Marktplatzes ankam, sah er ihre leblosen Körper am Boden liegen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Hinter ihm kam die Bestie die Straße hinab gerannt. „Nein! Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Panik kroch in ihm hoch, er rannte weiter, auf eines der kleineren Tore zu, welches aus der Stadt führte, doch auch dort langen seine Kameraden schweigend auf den kalten Steinen und rührten sich nicht mehr. „Mörder! Ihr seid ein feiger, verdammter Mörder! Dafür werdet ihr hängen!“ Ein leises Lachen erklang in seiner Nähe. „Auch ich bin ein Mörder, auch an meinen Händen klebt Blut. In dieser Nacht mehr als ich wollte. Aber im Gegensatz zu Euren Händen, klebt an meinen das Blut der Schuldigen. Ihr alle ward beteiligt.“ Feste donnerte das Herz des Kommandanten in seiner Brust, er verfluchte dass er selbst nicht das Buch gefunden hatte. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Mauern des Dorfes und blickte den Weg weiter, mitten in das finstere Dickicht des Waldes. Wieder erklang die Stimme des Jägers und er konnte seine Silhouette vor sich auf dem Weg erkennen. Gemächlich kam er auf den Kommandanten zu. „Wollt Ihr wissen wo das Buch ist? Es befindet sich in den Händen der Menschen, die bald das Sagen über diesen Ort haben werden. In diesen Minuten lesen sie Seite um Seite über das Grauen das Ihr angerichtet habt. Keiner Eurer Leute kann Euch noch zur Seite stehen, alle die in dem Buch erwähnt wurden, liegen in ihrem eigenen Blut. Über die Restlichen kann ich nicht richten, daher habe ich sie in eine Eurer gemütlichen Zellen gesteckt.“ Der Jäger blieb einige Meter von ihm entfernt stehen und legt den Kopf leicht auf die Seite. „Der Bürgermeister schlummert noch immer in seinem Sessel. Wie eine Ratte im Brot, vollkommen überfressen. Er war nur Eure Spielfigur. Ein dummer Bauer den ihr auf Eurem Schachbrett hin und her geschoben habt wie es Euch passte. Ihr brauchtet jemanden der das Sagen hatte, und den Dorfbewohnern die Zügel anlegen konnte.“ Auf den Lippen des Kommandanten erschien ein gequältes Lächeln. „Scheiße, dieser alte Mann hat mehr gesehen als ich dachte. Er dachte er wäre unsichtbar, aber einmal da habe ich ihn gesehen. Zwischen den Büschen. Wie er uns beobachtet hatte. Es hat ein wenig gedauert, aber dann fand ich seine Hütte im Wald. Er wollte uns beim Bürgermeister anschwärzen. Das dufte ich nicht zulassen.“ Fisk hatte sich schon gedacht dass Müllebreck von all dem wirklich nichts wusste, er war einfach nur ein gieriger, verfressener Egoist. Jemand der sich um das Wohl Anderer nicht scherte solang sein eigenes nicht bedroht war. Der Kommandant zeigte mit dem Finger auf Fisk und brüllte ihn voller Zorn an. „Wenn diese dämliche Kuh dich nicht her gerufen hätte, wäre alles wieder gut geworden! Wir hätten das Problem wieder in den Griff bekommen! Wir haben mit dem Dämon im Wald einen Pakt geschlossen, wir haben ihnen einmal in der Woche ein Opfer angeboten und dafür ließen sie uns in Ruhe! Aber ihr habt den Dämon erzürnt, indem ihr ihm das Opfer wieder genommen habt.“ Auf diese Aussage war Fisk nicht gefasst, dass diese Narren ihren selbst erschaffenen Dämon noch genährt hatten. „Ihr meint den Baum, an dem ihr all die Menschen erhangen habt? Und zu dessen Wurzeln ihr die Toten in der Erde verscharrtet? Er existiert nicht mehr. Ich habe ihn geläutert.“ Nun war es der Kommandant der ungläubige Augen machte. Einen hastigen Blick warf er in das Dunkel des Waldes. „Nein! Unmöglich!“ Hinter ihm erklang ein dumpfes Stöhnen und Schatten rückten langsam im Unterholz heran. Leise flüsterte die Stimme des Waidmanns, während er näher kam. „Aber ihren Zorn kann ich nicht beenden. Das könnt nur Ihr Kommandant. Los. Alles wofür Euer jämmerliches Leben noch dient ist diesem Wald seinen Frieden wieder zu geben.“ Als die Augen des Kommandanten das Grauen erkannten was sich auf ihn zubewegte, wurden seine Knie weich und etwas drückte seine Kehle zu. „Nein. Nein. Nein. So darf das alles nicht passieren.“ Mit Panik in der zitternden Stimme wandte er sich wieder dem Waidmann zu. „Verschone mich! Lass sie mich nicht holen! Ich werde das alles wieder irgendwie gut machen!“ Vollster Abscheu rümpfte Fisk seine Nase. „Gnade war für Euch immer ein Fremdwort. Im Buch des Druiden habe ich gelesen wie die Männer Euch um ihr Leben anflehten. Sie bettelten, doch ihr stelltet Euch taub. Als Ihr sie aufgeknöpft habt, habt Ihr es so gemacht dass sie noch einen Moment lang lebten. Ihr ließt sie baumeln bis ihre Körper nicht mehr zuckten. Lachend habt ihr ihnen dabei zugesehen. Das letzte was ich für Euch habe Kommandant, ist Gnade.“ Als er merkte wie hoffnungslos die Situation für ihn war, stürmte der Kommandant wieder los. Er wollte den Waidmann überlisten und sich an ihm vorbei drängen, aber Veldig war sofort zur Stelle und schnitt ihm den Fluchtweg ab. Hungrig fletschte er die Zähne und schnappte nach dem Flüchtigen. In seiner tiefen Verzweiflung nahm der Kommandant den einzigen Weg der ihm noch geblieben war. Hinein in das Dunkel des Waldes. Fort von dem Jäger und den Toten die ihm nahe kamen. So schnell wie ihn seine Füße trugen, rannte er immer weiter hinein in den Wald. Hier und da wagte er einen Blick über seine Schulter, doch einen Verfolger konnte er nicht abschütteln so schnell er auch lief. Den Jäger. Die Schmerzen in seiner Schulter ließen ihn noch schneller außer Atem kommen, tief hängende Äste peitschten in sein Gesicht. Den Weg vor ihm konnte er nur erahnen, hier und da drang etwas Mondlicht durch die Baumkronen. Immer wieder stolperte er über Wurzeln und Steine, verlor fast das Gleichgewicht, schaffte es aber immer wieder sich zu fangen und weiter zu rennen. Mal rechts, mal links von ihm donnerte die Bestie des Jägers durch den Wald. Kam näher, ging wieder etwas auf Abstand. Der Kommandant merkte erst das seine Schritte in eine bestimmte Richtung gelenkt wurden, als er auf eine helle, vom Mondlicht beschienene Lichtung stolperte. Auch wenn dieser Ort so anders aussah, als in seiner Erinnerung, er erkannte ihn sofort wieder. Es war der Platz, an dem der große Baum gestanden hatte. Der Platz wo sie ihre blutigen Taten begangen hatten. Der Platz an dem sie all die Leichen verscharrt hatten. Fassungslos starrte er, nach Atem ringend, auf das Gewirr aus abgeschlagenen Ästen, zerwühlter Erde, Knochen und schwarzen Federn. Inmitten des Chaos auf der einst idyllischen Lichtung, lag der Rest des Baumes. Ein zertrümmerter Stamm, bedeckt von feinen Rissen die kaum merklich in einem violetten Licht schimmerten. Er war vollkommen entwurzelt und befand sich in leichter Schräglage. Der Kommandant hatte keine blasse Ahnung von dem was an diesem Ort vor sich gegangen war. Hinter ihm knirschte der gefrorene Boden unter langsamen Schritten die sich näherten. Noch immer vor Anstrengung schnaufend, drehte er sich langsam um, kalter Schweiß tropfte von seinem Kinn. „Und nun? Du hast mich an diesen Ort getrieben um mir das Grauen nochmal vor Augen zu führen? Ich werde nicht noch mal um mein Leben betteln!“ Stumm blieb der Jäger wenige Meter vor ihm stehen, die Bestie trat dicht an seine Seite und setzte sich ruhig auf ihre Hinterläufe. Er blieb stumm. Die Verzweiflung über seine Lage wuchs in dem Kommandanten heran, raubte ihm den Verstand, neben dem Schmerz den ihm seine Schulter bereitete. Grinsend bleckte er die Zähne und brach in ein hämisches Lachen aus. „Soll ich dir was sagen? Ich bereue gar nichts! Im Gegenteil! Jeden einzelnen ihrer Schmerzensschreie habe ich genossen! Ich liebte es sie zu Tode zu quälen!“ Noch immer blieb der Jäger stumm, und starrte ihn an. Der Kommandant malte sich aus wie herrlich es sein würde, im mit der Faust das Gesicht zu zertrümmern. Im Geiste sagte er sich, dass er es wagen sollte. Was hatte er denn noch zu verlieren? Gerade als er seinen Gedanken Taten folgen lassen wollte, vernahm er hinter sich ein leises Knarren, etwas brachte den Boden unter seinen Füßen zum vibrieren. Der Kommandant drehte sich herum und blickte direkt auf die zersplitterte Borke des entwurzelten Baumes. Seiner Kehle entwich ein Schrei. Wurzeln gruben sich in den Boden unter seinen Füßen und hoben ihn ein Stück weit in die Höhe. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorn. Inmitten des Stammes tat sich ein Riss auf. Kleine Splitter flogen im entgegen. Er fiel in den aufgerissenen Schlund des Baumes, schrie erneut in Panik auf, bis sein Fleisch an den scharfen Zacken aufriss. Blut sickerte an dem Stamm herab als sich sein Maul wieder schloss. Noch einen Moment lang vernahm der Jäger den schrillen Schrei des Kommandanten aus dem Inneren des Baumes. Ein Knacken ertönte, fuhr ihm durch Mark und Bein, dann kehrte Stille ein. Langsam versank der Baumstamm in der Erde als sei sie nichts weiter als Morast. Nur noch ein kleines Stück ragte heraus bis er schließlich inne hielt. Das violette Licht erlosch und Fisk konnte spüren wie die Last von diesem Ort fiel. Nicht gänzlich, vielleicht war es auch nur ein Hauch dieser Last, aber der Baum, der so viel Leid erfahren hatte, fand zu seiner Rache die ihm endlich Frieden schenkte. Noch eine sehr lange Weile verblieb der Waidmann an diesem Ort bis er sich wieder auf den Rückweg zu dem Dorf Kraic machte. Als Fisk die Mauern des Dorfes erreicht hatte, brach gerade ein neuer Morgen an. Der Himmel war wolkenverhangen und ein eisiger Wind fegte über das Land. Sicherlich würde es heute wieder schneien, und vor ihm lag noch eine lange beschwerliche Reise. Etwas fiel ihm auf als er das Eingangstor passierte, die Leichen der Stadtwachen waren verschwunden. Ihr getrocknetes Blut zeichnete sich allerdings noch immer auf den Pflastersteinen des Bodens ab. Schon bald würden auch diese Spuren von einer Decke aus Schnee verborgen werden. Rufe hallten durch die Straßen, er vernahm viele Stimmen die wirr durcheinander redeten in der Ferne. Er musste nicht lange horchen, bis er sich sicher sein konnte, dass der Tumult in der Nähe des Rathauses stattfand. Fisk seufzte leise. Er hatte darauf bestanden dass sich alle versteckt und die Füße ruhig hielten bis er eintraf. Irgendwie hatte er schon befürchtet dass man nicht auf ihn hören würde. Eine Stimme donnerte durch die Straßen. „Der Nebeljäger ist zurück!“ Fisk bog um eine Straßenecke und erblickte vor sich den ausladenden Vorhof und das dazugehörige Rathaus. Eine Menschenmenge hatte sich darum gebildet und trug Säcke mit Vorräten hinaus. Mehl, Reis, Zucker, Hirse, Linsen, Äpfel, getrocknetes Fleisch und vieles mehr trug man zu einem Karren. Einige Männer diskutierten angeregt wie man all die Vorräte aufteilen sollte. „Jäger Fisk!“ Mina rannte ihm entgegen, ihre Augen wirkten eingefallen und tiefe Schatten zeichneten sich darunter ab. Fast alle Dorfbewohner verfielen in Schweigen und blickten zu ihm hinüber. Wieder seufzte Fisk leise. Es hatte doch viel mehr Vorzüge wenn man sich im Voraus bezahlen lassen konnte. Mina blieb dicht vor ihm stehen, ihr blondes, leicht gewelltes Haar stand in alle Richtungen ab, sie musste diese Nacht kein Auge zugemacht haben. Ihr Blick verriet Unsicherheit. „Nebeljäger... Ihr seid zurück.“ Fisk verzog den Mund und blickte hinüber zu den Menschen die ihn argwöhnisch beäugten. „Und Ihr habt nicht zugehört. Oder wolltet es nicht.“ „Was redet Ihr denn da? Wir konnten doch nicht alle tatenlos in der Hütte des Totengräbers hocken und abwarten nachdem wir das Buch des Waldkauzes gelesen hatten. Außerdem hörten wir das Brüllen dass unser Kommandant von sich gab. Wir alle wollten wissen was geschehen war.“ Sie senkte etwas den Blick und zog ihren warmen Überwurf fester um ihre Schultern. „Ihr habt ein Blutbad angerichtet. Viele wissen nicht was sie davon halten sollen.“ Fisk zuckte mit den Schultern und senkte den Blick auf die Wirtin. „Mir ist gänzlich egal was andere von mir oder meinen Taten halten. Ich tue dass was für die Erledigung meines Auftrags nötig ist. Da ihr das Buch gelesen habt, wisst auch Ihr was diese Männer taten. Richtig?“ Minas Lippen begannen zu beben, ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie rang schweigend um ihre Fassung. Langsam senkte sich ihr Blick zu Boden und ihre Stimme war nicht mehr als ein leises, ersticktes Flüstern. „Ich wusste es. Tief in meinem Herzen wusste ich dass er tot ist. Tobias erzählte mir was Ihr gesehen habt.“ Vorsichtig und mit Bedacht legte sie eine Hand auf des Jägers Brust, langsam hob sie ihren Blick wieder zu ihm. „Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Von all dem Grauen ist mir noch immer Übel. So viele unserer Männer sind dort draußen ermorden worden. Bitte sagt mir was Ihr mit dem Kommandanten gemacht habt, und wieso er das unseren Männern angetan hat.“ Flüchtig warf Fisk einen Blick auf eine Gruppe von Dorfbewohnern die sich ihm langsam näherten, er erkannte sogar die zwei Jäger die ihn in der Gaststätte angesprochen hatten. „Der Kommandant hat sein Ende gefunden. Mehr kann ich Euch leider nicht sagen, weil ich mehr nicht weiß. Ich fragte ihn nach dem wieso, aber er gab mir keine Antwort. Gier, die einfache Lust am Töten. Ich weiß es nicht, aber ich schätze es ist eine dieser menschlichen Triebe die ihn dazu verleitete.“ Die Gruppe von etwa sieben Männern blieb bei ihm stehen. Sie hatten seine letzten Worte gehört, der Jäger Ron erhob das Wort. „Es ist lange her, da tranken eine Gruppe von Männern der Stadtwache in Lady Bachs Gaststätte einen über den Durst. Einer von ihnen ärgerte sich über den Kommandanten. Sagte dieser lasse seinen Missmut immer an ihnen aus. Seine Launen seien stellenweise unerträglich gewesen. Er wollte lieber am Hofe des Königs dienen. Stattdessen hätte man ihn in so ein kleines Dorf am Rande der Welt versetzt, soll er geflucht haben.“ Ron zuckte mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf. „Wenn er tatsächlich diese Tat aus Wut oder Frust begangen hat, ist dies eine bittere Neuigkeit. Von denen hatten wir heute reichlich.“ Fisk nickte, niemand konnte ihnen eine eindeutige Antwort auf diese Frage geben, außer vielleicht den Stadtwachen die er in einen der Kerker gesteckt hatte. „Was habt ihr mit dem Bürgermeister gemacht?“ Mina erhob das Wort bevor es einer der anderen Männer tun konnte und bemerkte das ihre Hand noch immer auf der Brust des Jägers ruhte. Langsam ließ sie diese wieder sinken. „Ihn haben wir ebenfalls in den Kerker gesteckt. In dem Tagebuch stand zwar, dass der Kommandant ihn für eine Witzfigur hielt die er nach seinen Plänen lenken konnte, aber viele sind sich nicht sicher ob er nun wirklich unschuldig ist, oder nicht.“ Fisk nickte, er blickte noch einmal zu den Menschen die sich wieder daran machten die Speisekammer des Bürgermeisters Müllebreck zu räumen. Einer der Männer trat einen Schritt vor, er wirkte angespannter als die anderen, Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit. „Sagt ist es wahr? Der Waldkauz soll von einem Baum geschrieben haben, an dem viele unserer Freunde erhängt worden. Und er soll... gestöhnt haben. Wie ein lebendiges Wesen.“ Fisk schürzte die Lippen, wog seine Worte einen Augenblick lang ab. „Ja. Der Fluch der eure Wälder heim suchte, hatte diesen Baum zur Ursache. All das Leid was er an seinen Ästen hatte tragen müssen, machten die Seele des Baumes krank und verderbten sie. Dieser Fluch wurde aus all diesen Qualen geboren. Quasi von Menschenhand selbst auferlegt.“ Die Männer schluckten, manche warfen sich schweigende Blicke zu, jener der gefragt hatte, machte große Augen und stotterte seine zweite Frage mit leiser Stimme hervor. „Und nun? Habt ihr den Fluch gebannt?“ Kurz sah er noch einmal in die Gesichter der Männer. Einmal atmete er tief ein und aus. „Der Baum ist erlöst. Der Wald aber wird noch eine Weile brauchen. Auf dem Weg zurück sah ich keine Wurzelhexen mehr, ein gutes Zeichen. Auch die Ruhelosen Körper der Toten, lagen regungslos am Boden. Dennoch solltet ihr zur Sicherheit bis zum Frühjahr warten bis ihr den Wald wieder betretet. Die Geister des Waldes sind erschöpft und könnten sich ihre benötigte Lebensenergie überall her holen.“ Niemandem schien die Antwort auf ihre Frage so richtig zu gefallen, doch bevor einer von ihnen noch eine weitere Frage stellen konnte, kam der Jäger ihnen zuvor. „Ich müsste noch einen Augenblick mit der Lady Bach alleine die Details meines Auftrages besprechen.“ Missmutig musterten ihn einige der Männer doch sie willigten ein und zogen sich wieder zurück. Jedoch nicht ohne Mina zu signalisieren dass sie nur rufen müsste, falls es Ärger geben sollte. Fisk verschränkte die Arme vor der Brust und blickte mit einem lauten Seufzen in ihre fragenden Augen. „Mein Auftrag ist beendet, daher bitte ich um meine Bezahlung.“ Mina zuckte regelrecht zusammen und rief hastig ihren Sohn zu sich. Der Junge eilte an ihre Seite und blickte zu Fisk hinauf. Das erste Gesicht das ihn anlächelte. Bevor er auch nur ein Wort mit dem Jäger wechseln konnte, bat ihn seine Mutter aus dem Haus des Bürgermeisters den gewünschten Betrag zu holen. Der Totengräber wachte über das kleine Vermögen damit es sich nicht jemand unter den Nagel reißen konnte in all dem Chaos. Während sie auf den Jungen warteten richtete Fisk wieder sein Wort an die Witwe. „Was werdet ihr nun tun, ohne Bürgermeister oder Stadtwache?“ Mina verlagerte ihr Gewicht und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich denke wir werden unseren nächsten Bürgermeister weise auswählen und eine neue Stadtwache aus Leuten bilden, denen wir vertrauen können. Unser Leben wurde auf den Kopf gestellt, aber ich bin sicher es hat uns weit genug zusammen geschweißt, dass wir die Sache in die Hand nehmen können. Nun, und mit Müllebrecks Vorräten kommen wir alle sicherlich über den Winter.“ Tobias rannte den beiden mit einem kleinen, klimpernden Lederbeutel entgegen. Mina warf einen Blick hinein und schnürte ihn wieder zu. Mit beiden Händen hielt sie ihm dem Jäger entgegen und umschloss seine Finger als er danach griff. „Ihr habt viel für uns getan! Und auch wenn vieles noch nicht im Reinen sein sollte, weiß ich nicht wo uns all dies noch hingeführt hätte. Ich danke Euch.“ Wortlos entnahm Fisk ihr den Beutel, nur zögerlich nahm Mina ihre Hände wieder zurück. „Ihr rieft mich, gabt mir einen Auftrag, und ich erfüllte ihn. Daher sage ich Lebewohl.“ Mina legte eine Hand um Tobias Schultern und zog ihn dicht an sich heran. Die ersten dicken Flocken des Tages fielen vom Himmel hinab. „Nein. Ihr habt Euer Leben für uns riskiert. Ihr seid eingeladen den Winter bei uns zu bleiben. Das Zimmer steht Euch frei und natürlich kann ich nun auch wieder meine Gäste versorgen.“ Besorgt warf sie einen Blick gen Himmel. „Heute wird es sicherlich viel schneien. Es wäre verrückt wenn Ihr Euch bei dem Wetter auf den Weg machtet.“ Bevor sie noch weiter reden konnte, hob Fisk seine Hand und lenkte ein. „Ich weiß Euer freundliches Angebot zu schätzen. Aber ich muss weiter.“ Stur schüttelte Mina ihren Kopf, mit ihrem Sohn wandte sie sich um und deutete auf den Karren voller Vorräte vor sich. „Redet keinen Unsinn. Kommt. Ihr helft uns ein wenig die Lage hier wieder in den Griff zu bekommen, außerdem haben viele Bewohner noch einige Fragen. Ihr würdet uns wirklich sehr weiterhelfen.“ Der Jäger verwehrte ihr eine Antwort, also blickte Mina über ihre Schulter um zumindest seinen Gesichtsausdruck zu sehen. Jedoch war alles was sie sah, eine leere Straße und das wilde Gestöber des frischen Schnees. „Nebeljäger?!“ Verwirrt huschte ihr Blick hin und her, sie erkannte noch seine Spuren im Schnee, sie endeten an einer Hauswand. Tobias rief seinen Namen noch einige Male. Doch der Jäger war fort. Seine Jagd beendet. Stunde um Stunde wurde das Schneetreiben immer stärker. Die Sicht war schlecht und ein kalter Wind kroch in Mark und Bein. Schwer stapften Pranken durch den Schnee, kleine gefrorene Klumpen blieben in dem dichten Fell haften. Viel Haut war nicht zu sehen, seinen Hut hatte er Tief in sein Gesicht gezogen, den Schal bis unter die Augen, und dennoch schien sein ganzes Gesicht aufgrund der Kälte zu brennen. Fisk wusste ungefähr in welche Richtung er musste und lenkte Veldig über die zugeschneiten Straßen. Genug Proviant hatte er, und zum Notfall ein Zelt das ihn in der Nacht vor der Kälte schützen konnte. Dennoch wünschte er sich ganz woanders zu sein. So sollte es laut Vertrag auch nicht sein. Gerade als er damit begann stille Flüche zu murmeln, ließ das Schneetreiben ein wenig nach, wenn auch noch immer einige Flocken vom Himmel fielen. Vor ihm, an einer Wegkreuzung, stach etwas dunkles aus der weißen Winterpracht heraus. Eine Schwarze Kutsche, bespannt mit einem Ross das unruhig mit seinem Huf scharrte, stand am Rand des Pfades. Es war eine Frau, gehüllt in einen roten Umhang die auf dem überdachten Kutschbock saß und die Zügel locker in Händen hielt. Über Fisks Lippen huschte ein bitteres Lächeln. Er lenkte Veldig in die Richtung der Kutsche. Eine vertraute Stimme erklang leise. „Da bist du ja, guter Jäger. Du hast dir Zeit gelassen.“ Sie stieg hinab und warf eine Plane auf der Rückseite der Kutsche zur Seite. Die Ladefläche war mit warmen Fellen ausgelegt und ein paar Kisten waren am Rand befestigt damit sie nicht hin und her rutschten. Fisk stieg von Veldigs Rücken und schnallte seine Reisetaschen ab, und schließlich auch den Sattel. Nachdem er alles auf der Ladefläche verstaut hatte, gab er Veldig ein Zeichen, und sein Begleiter hüpfte hinein. Die Frau im roten Umhang schloss die Planen wieder, ihre Kapuze hing ihr tief ins Gesicht sodass er ihre Züge nicht sehen konnte. „Er sieht aus als hätte er viel mitgemacht.“ Fisk antwortete ihr leicht gereizt. „Hat er auch. Vielleicht wäre ich besser vorbereitet gewesen wenn Ihr mir mehr Informationen mitgegeben hättet! Und sagt mir nicht, Ihr hattet keine mehr. Ich weiß es!“ Sie hob leicht den Kopf, ihre Augen lagen im Schatten, doch er konnte ein amüsiertes Aufblitzen darin erkennen. „Steig auf guter Jäger. Wir sollten los, du weißt wie sehr ich es hasse zu frieren.“ Als sie beide auf dem Bock Platz genommen hatten, nahm sie wieder die Zügel in die Hand, schnalzte mit der Zunge, und das Pferd trabte an. Es hatte eine schwere Last zu ziehen und schnaufte, doch schnell hatte es seinen Schwung gefunden und zog die Kutsche durch den Schnee. Die Frau griff hinter sich und zog eine Kanne aus Gusseisen hervor. Sie schenkte zwei Becher voll Tee ein, dann griff sie nach einer weiteren Flasche und gab noch einen guten Schuss der klaren Flüssigkeit in einen der Becher. Sie reichte ihn dem Jäger. Ihre rot geschminkten Lippen zeigten ein Lächeln. „Sei nicht so mürrisch. Trink, es wird deine Laune heben.“ Seufzend lehnte sich Fisk nach hinten und nahm einen großen Schluck. Es tat ihm tatsächlich gut. Er nahm seinen Hut ab, an dessen Seite hatte er einen großen Holzsplitter hinein gesteckt. Diesen reichte er ihr. „Auftrag erledigt. Dafür war die Jagd eine der langweiligsten die ich jemals hatte. Allerdings war der Grund des Fluches sehr beeindruckend. Ich denke ich habe später noch Zeit Euch über alle Details zu unterweisen.“ Vorsichtig nahm sie das Holz entgegen und strich mit den Fingern über die tiefen Kerben. „Ich wusste du bist der richtige für diesen Auftrag.“ Nach einem weiteren, großen Schluck lehnte sich Fisk zurück, streckte die Füße von sich und schlug die Stiefel übereinander. „Dafür brauche ich allerdings eine kleine Auffrischung was das Bestiarium angeht. Kurz bevor ich den Ort erreichte wo der Kern des Fluches lag, bin ich Kreaturen begegnet die ich noch nicht kannte.“ Die Frau im roten Gewandt war erst amüsiert, zog ihren Schüler auf, ob er denn den Unterricht bei ihr geschwänzt hätte, doch nach seiner Beschreibung erlosch das Lächeln auf ihren Zügen. Langsam drehte sie das Gesicht zu Fisk, er konnte Besorgnis in ihren grünen Augen sehen. Es dauerte eine Weile bis sie das Schweigen beendete. „Sie lähmten dich mit einem Schrei? Mit Runen bestickte Kutten? So etwas habe ich selbst noch nie gesehen.“ Das war wahrlich ein Grund besorgt zu sein. Ein Schauer fuhr ihm eiskalt den Rücken hinab. „Ich musste Magie einsetzen um es zu töten, sonst säße ich nun nicht mehr hier. Dieser Auftrag hat mir mehr genommen als das ich wieder gut machen konnte. Einige Menschen verloren durch mich ihr Leben.“ Eine schwere Stimmung legte sich nieder, sie presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, dann wandte sie den Blick wieder nach vorn, tat es ihm gleich und lehnte sich mit dem Rücken an das Polster. „Vielleicht hast du nicht so viel verloren wie du denkst.“ Eine Weile lang herrschte Schweigen zwischen den Beiden, er warf ihr einen verstohlenen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Wohin?“ Unter dem Schatten ihrer Kapuze zeichnete sich wieder ein Lächeln ab. „In das Winterquartier. Du hast es dir verdient, guter Jäger.“ Auch er musste schmunzeln, ließ sich noch mehr in das Polster sinken und legte sich seinen Hut über das Gesicht. „Dann weckt mich wenn wir da sind. Ich fühle mich als hätte ich seit Nächten nicht geschlafen.“ Kaum dass seine Brust sich unter tiefen Atemzügen begann zu heben und zu senken, ruhte ihr Blick auf dem schlafenden Jäger. Eine lange Zeit. Vielleicht hatte sie ihm dieses Mal zu viel zugemutet. Vielleicht aber war dies auch nur der Anfang, eine Vorbereitung auf das was kommen sollte. Und etwas würde kommen, das wusste sie. Ihre Finger fuhren über den Holzsplitter den der Waidmann ihr mitgebracht hatte. Als sie mit ihren nackten Fingerkuppen langsam die Rillen nach fuhr, schimmerten sie in einem violetten Licht auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)