Ashounputtel von Writing_League ================================================================================ Ein Funken Hoffnung ------------------- Herren in Uniformen hielten Shou die Tür auf, nachdem er es die lange Treppe hinauf geschafft hatte. Der Saal, der sich weit unter seinen Füßen befand und der damit so bestens überblickt werden konnte, war gefüllt in den buntesten Farben. Es waren so viele Leute dort, dass kaum ein Platz mehr frei war, die meisten von ihnen waren in äußerst ausgefallene und teilweise sehr pompöse Kostüme gehüllt. Shou ließ seinen Blick über die tanzenden Menschenmassen schweifen, als er bemerkte, dass er angestarrt wurde, nicht nur von einer Person, sondern von vielen und immer mehr folgten den Blicken der anderen. Sie starrten ihn an und er kam nicht drum herum, sich unwohl zu fühlen. Es musste an dem Outfit liegen, das Sakuma ihm gezaubert hatte. Eindeutig. Jetzt blamierte er sich vor aller Augen. Er verspürte den Drang, umzudrehen und zu laufen, doch weit kam er nicht.   „Haru!“, rief jemand nach ihm – er hatte einen Moment gebraucht, um das zu verstehen –, als er gerade in der Drehung war. Er stockte und verharrte so, mit einem Fuß dem Ausgang zugewandt, mit dem anderen sich darauf einlassend, zu bleiben. Doumoto Schritt die goldverzierte Treppe hinauf und sah Shou an. Er hatte sich offenbar als Prinz verkleidet, wie Shou feststellte. Als er zögerlich an ihm vorbei sah, musste er aber leider auch feststellen, dass ihn immer noch alle anstarrten. Dank Doumotos Ausruf, wanderte auch der letzte Blick zu ihm.   „Ihr seid gekommen. Ich hatte es gehofft.“   „Ich konnte die Gelegenheit doch nicht ausschlagen“, entgegnete Shou leise, aber verunsichert. Verdutzt sah er auf die Hand, die ihm entgegen gestreckt wurde und griff sie zögerlich, woraufhin er von Doumoto die Treppe hinunter geführt wurde, mitten auf die Tanzfläche. Er hatte gar keine Chance, zu fliehen. Bevor er sich versah, hatte er Doumotos Hand an seiner Hüfte liegen und bewegte sich geschmeidig zur Musik. Es klappte besser, als er es vermutet hatte. Sein gutes Taktgefühl von jahrelangem Cheerleading und seine gute Koordinationsgabe ließen sie beide beinahe über die Tanzfläche schweben. Beeindruckt und voller Neid sahen die Leute sie an, während Doumoto nur Augen für Shou hatte.   Beide schwiegen sie, bis das Lied zu Ende war. Bevor sich allerdings die Gelegenheit bot, für den nächsten Tanz Partner zu tauschen, entführte Doumoto ihn von der Tanzfläche, durch eine Flügeltür hindurch, den langen, mit Bildern von einstigen Herrschern und Familienmitgliedern behangenen Flur entlang. Shou hörte nur noch ein paar empörte Äußerungen darüber, dass sie einfach verschwinden würden – oder viel mehr Doumoto. Den kümmerte das nicht.   „Wo gehen wir hin?“   „An einen Ort, den ich Euch zu gerne zeigen würde.“   Shou konnte sich nicht vorstellen, was für ein Ort das sein mochte, aber er war froh, aus dem Blickfeld der Leute heraus zu sein. Da war es ihm ganz gleich, wohin sie gingen, solange er Zeit mit Doumoto verbringen konnte – wie früher, auch wenn es zugleich doch so anders war. Als sie an einem der Bilder vorbei gingen, kam er ins Stocken und blieb automatisch stehen. Einen Wimpernschlag lang spürte er das Ziehen von Doumoto an seinem Arm. „Was ist mit Euch?“, fragte er irritiert. Sein Blick folgte Shous auf ein Gemälde, auf dem Haru abgebildet war – in einem Kleid. So fassungslos, wie er in dem Moment war, bekam Shou kein Wort raus, er sah nicht einmal Doumotos sanftes Lächeln. „Das ist meine Mutter.“   „Unmöglich“, murmelte Shou und wurde noch fassungsloser, als er den Blick zur Seite richtete. Neben dem Gemälde von Haru hing ein weiteres, auf dem Kazu abgebildet war in voller königlicher Montur – eine glänzende Krone zierte sein Antlitz, gepaart mit einem prachtvollen roten Umhang. „Ist das...Ihr Vater?“   Doumoto nickte. Shou konnte es immer noch nicht glauben. Das war zu verrückt! Und wie konnten Kazu und Haru ein Kind haben, wenn- Er war ja wirklich froh, dass bei ihm noch alles dran war, denn für Haru standen die Chancen gerade sehr schlecht. Von Biologie hatte er zumindest genug Ahnung, um das sagen zu können. „Und Sie sind ein Prinz“, stellte Shou fest. Wieder nickte Doumoto. „Aber Sie sagten, Sie würden nur hier arbeiten. Ich dachte, Sie wären ein Angestellter.“   „Verzeiht, dass ich Euch hinters Licht geführt habe. Aber ich arbeite im Palast, so als Prinz. Es war also nicht einmal eine Lüge.“   „Wo wir gerade dabei sind... Mein Name ist nicht Haru. Er ist Shou.“   „Ihr hattet sicherlich gute Gründe. Es ist nur normal für eine Prinzessin, nicht sofort seine Identität Preis zu geben.“   „Prinzessin?“, stutzte Shou und schüttelte den Kopf. „Wenn es das ist, was Sie suchen, dann bin ich leider die falsche Person.“ Er entzog Doumoto die Hand, der ihn perplex anblickte und nach seinen Schultern griff. Shou konnte gar nicht anders, als ihm direkt ins Gesicht zu sehen, in dem ihm ein ausdrucksvoller, starker Blick begegnete.   „Ich bin mir sicher, dass Ihr es seid, auf die ich so lange gewartet habe. Ob Prinzessin oder nicht. Ich habe beschlossen, dass Ihr es seid, die ich heiraten werde. Natürlich nur, wenn Ihr wollt.“   Shou konnte nicht verhindern, dass er rot wurde bei solch süßen Worten. Das war ein Antrag, nicht wahr? Einfach so, aus heiterem Himmel. Er war völlig überfordert. „Aber...“ stockte er. „Ich bin ein Mann.“   „Und?“, fragte Doumoto unbeeindruckt, so als wäre es die langweiligste Information des Abends. Shou verstand nur noch Bahnhof.   „Wie stellen Sie sich das vor? Wie soll das funktionieren?“   „So, wie es all die Generationen vorher auch funktioniert hat natürlich. Hört zu, das muss alles gerade sehr viel für Euch sein. Wir werden es langsam angehen lassen.“ Behutsam strich Doumoto ihm ein paar kleine Strähnen aus der Stirn. Shou schluckte, er verstand wirklich nichts mehr davon, was in dieser seltsamen Realität abging – was normal war und unnormal. Irgendwie schien es allerdings eine geheime Regel zu sein, dass alles, was unnormal war, hier als völlig normal und möglich galt. Immerhin schaffte Shou es, sich langsam zu beruhigen und seine Hautfarbe zu normalisieren. Er nickte wortlos und entzog seine Wange Doumotos Fingern.   „Gut. Nun kommt, ich wollte Euch noch etwas zeigen“, erinnerte er Shou und griff wieder seine Hand, um ihn weiterzuführen. Der folgte ihm bereitwillig, hinaus in den Hof, wo sie gemeinsam durch ein großes, bis eben verschlossenes Tor schritten. Hinter den Mauern und diesem Tor befand sich ein geheimer Garten, der von den schönsten Blumen bewachsen war. Ein großer Baum ragte in der Mitte hervor, an den eine hölzerne Schaukel mit zwei groben Hanfseilen befestigt war. Shou staunte nicht schlecht, auch wenn es unsagbar kitschig war.   „Magst du Cheerleading?“, fragte Doumoto plötzlich und für Shou so überraschend, dass er im ersten Moment verstummte. Aber auch als er länger darüber nachdachte, brachte er keine Antwort über die Lippen. Er mochte Cheerleading, so war es jedenfalls einmal gewesen. Und auch jetzt wollte er es, doch wann immer er einen Toe Touch machte, einem Stunt zuschaute oder simpel Motions wie ein High V trainierte, dachte er an sie. Shou dachte daran, dass sie nicht mehr cheeren konnte, dass es seine Schuld war und trotzdem wurde er verschont. Er konnte noch alles, aber es machte ihm kaum noch Freude. Sein Körper verlangte trotzdem danach.   Man sah es ihm an, das wusste Shou. Wann immer er cheerte, sah man die Qualen in seinem Gesicht, die damit verbunden waren und offenbar strahlte er auch jetzt, allein bei dem Gedanken daran, das Selbe aus. Doumoto zog eine Augenbraue hoch, machte mit fragendem Blick einen Schritt auf ihn zu und legte seine warme Hand an seine Wange. Shou senkte den Blick, konnte ihm so einfach nicht ins Gesicht sehen, denn egal was für eine Version von Doumoto er da auch vor sich hatte, er fühlte sich ganz einfach schlecht dafür, ihm so unter die Augen zu treten. Nach allem, was passiert war. Die fremde Hand auf seiner Haut und der Daumen, der ihm über den Mundwinkel strich, machten ihn zusätzlich verlegen.   „Das hier ist nicht das Gesicht, das ein Cheerleader tragen sollte. Euch fehlt die Freude, der Glaube und die Passion in Euren Augen. Ich bin mir sicher, ein Lächeln steht Euch wunderbar und es wird die Menschen zu Größerem antreiben.“ Shous Blick wurde noch ein wenig schmerzvoller bei seinen Worten. Es war nicht so einfach, es war- Mit Unsicherheit spürte er, wie Doumoto sein Kinn sanft anhob und er beging den Fehler, den Blick selbst zu heben und ihm fragend ins Gesicht zu sehen. Ihre Blicke trafen sich und Doumoto schien das zu reichen. Er beugte sich ein Stück weit hinunter – genug, um ihren Größenunterschied auszugleichen –, dann hörte Shou seine Stimme noch einmal flüstern. Sie klang rauer und tiefer als sonst. „Bleibt bei mir und ich werde Euch ewig glücklich machen.“   Ein Glockenschlag löste Shou aus seiner Trance und ließ ihn zurückzucken, noch bevor ihre Lippen sich trafen. Er weitete die Augen, als er realisierte, was beinahe passiert wäre und was die Turmuhr verkündete – Mitternacht. Er löste sich von Doumoto und sah mit sich selbst hadernd zu ihm. „Verzeih mir! Ich muss gehen!“, sagte er hastig und bemerkte nicht einmal, wie er sein Gegenüber adressierte. In diesem Moment war er ihm viel zu vertraut, war sein Doumoto-senpai gewesen und nicht der Jitarou, der er eigentlich war.   „Wartet, bitte bleibt!“   „Ich würde gerne, aber es geht nicht!“, antwortete Shou und lief los, völlig vergessend, dass er Ballerinas aus Glas trug, die sicher nicht so robust waren, wie es für einen Sprint nötig sein würde. Doumoto blieb einen Augenblick verdutzt stehen, wolle es sich aber offenbar nicht gefallen lassen, einfach so abserviert zu werden. Shou meinte es ja auch nicht böse, aber so wirkte es sicherlich. Er lief den Weg zurück, den sie gegangen waren, landete in dem großen Ballsaal, in dem Doumoto fürs Erste seine Spur verlor.   „Du!“, motzte es von rechts und Shou blieb zumindest für einen Augenblick verdutzt stehen. Das Mädchen, das da neben ihm stand und ihn anfunkelte, während es mit ausgestrecktem Arm auf ihn zeigte, knurrte leise. Ihre Stimme war laut und überraschend tief. „Der Prinz gehört mir! Wir sind so gut wie verlobt und er wird mich heiraten. Lass deine Finger von ihm!“   „... Wer bist du?“ Shou hatte keine Ahnung, wen er da neben sich hatte. Das Mädchen verärgerte er damit noch mehr, was sich in einem noch wütenderen Blick äußerte.   „Ich bin Prinzessin Kaoru!“ Shou hatte immer noch keine Ahnung, wen er da neben sich hatte, denn auch der Name sagte ihm nichts, genau so wenig, wie das Gesicht. Bevor er jetzt noch seine Zeit vertrödelte – ein Blick zurück ließ ihn bemerken, dass Doumoto aufgeholt hatte, lief er weiter. Er hatte keine Zeit mehr. „Ey, bleib gefälligst hier! Du kannst nicht einfach abhauen, während ich dir den Krieg erkläre!“, zeterte es noch von weiter weg, aber Shou beließ es dabei. Er konzentrierte sich darauf zu flüchten, ironischerweise wieder einmal, aber dieses Mal nicht vor der Vergangenheit sondern der Zukunft. Das, was der letzte Glockenschlag offenbaren würde, wollte er nicht preisgeben, auch wenn er den Prinzen vermutlich sowieso nicht wiedersehen würde. Prinzen heirateten schließlich Prinzessinen und keine Cheerleader und er gehörte hier nicht einmal hin.   Während er die Stufen zum Palast hinunterlief und dabei einen seiner gläsernen Ballerinas verlor, die es ihm deutlich schwerer machten, überhaupt bis zum Ende der Treppe zu gelangen, weshalb der verbleibende Schuh lieber gleich in seiner Hand landete, spielte sich im Inneren des Schlosses ein ganz anderes Märchen ab.       Sakuma war begeistert von den ganzen tollen Kostümen und den vielen tanzenden Menschen. Es war sogar eine Frau da, die sich als Ballerina verkleidet hatte, was ihm besonders gut gefiel. Aber ihr hübsches, weit ausgestelltes Tutu war kein Vergleich zu dem funkelnden Tüllröckchen, das er trug. Leider war er so klein, dass er ein wenig in der Menschenmenge unterging und gar nicht so weit gucken konnte, wie er es gern getan hätte. Und zum Tanzen hatte ihn auch noch niemand aufgefordert.   „Warte, Jin! Wo willst du hin?“, hörte er noch jemanden rufen, dann spürte er einen festen Stoß und kippte nach hinten, sodass er unsanft auf dem Boden landete. Er kniff kurz die Augen zu nebst dem Schmerz, der seinen Hintern durchzog. Mit der Hand hatte er sich noch ein wenig abstützen können, sodass sein Steißbein unversehrt blieb – zum Glück. Als Sakuma die Augen wieder öffnete, sah er direkt auf eine Hand, die von oben ausgestreckt vor ihm hing. Irritiert folgte er dem Arm mit den Augen nach oben und blickte in das Gesicht eines Mannes mittleren Alters, das ihn mit einer leichten Verschmitztheit entgegen lächelte.   „Alles okay? Geht es Euch gut?“   Sakuma war in einer Starre gefangen, in der er gar nichts mehr tun konnte, als zu dem Mann hoch zu sehen, der so wunderschön war, wie bisher keiner in diesem Alter. Seine Ausstrahlung tauchte ihn in eine wohlige Wärme und in den tiefblauen Augen verlor er sich beinahe völlig. Er merkte, wie ihm Hitze in die Wangen stieg. Irgendwie schaffte er es, immer noch benebelt seine Hand zu greifen und sich hoch helfen zu lassen. Sakuma nickte zaghaft als Antwort auf die Frage. „Ja“, sagte er, das einzige Wort, das ihm irgendwie über die Lippen kam. Er kämpfte mit seiner Zunge, denn er wollte noch viel mehr sagen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. „Dan....k-“   „Ah, das ist gut. Habt noch viel Spaß auf dem Ball!“   Und dann war er weg. Der Mann hatte sich durch die Menge gewühlt und war verschwunden, ein sprachloser, noch immer benommener Sakuma blieb zurück. Es war das erste Mal, dass er so etwas gefühlt hatte. Dabei mochte er eigentlich niedliche Dinge, alles, was ihm ein Kawaii! entlockte. Der König war nicht niedlich, dennoch war er es, der sein Herz am meisten zum Hüpfen brachte.   Der König und die Fee, so etwas gab es nicht einmal im Märchen. Aber seine Träume waren endlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)