Ashounputtel von Writing_League ================================================================================ Ein unverhofftes Wiedersehen ---------------------------- Ein undefinierbares Pieksen auf seiner Kopfhaut weckte Shou aus seinen Träumen. Noch bevor er die Augen öffnen konnte, war ihm klar, dass es viel zu früh sein musste, so erschlagen wie er sich fühlte. Im Halbschlaf und in Trauer um die erholsamen Stunden griff er sich ins Haar und schreckte auf, als er etwas flauschiges an seinen Fingerspitzen fühlte. Wildes Geflatter verriet ihm, was es war – ein kleiner Vogel, der beim Losfliegen auch gleich seine Freunde auf Bettdecke und Fußende des Bettes mit aufscheuchte. Gemeinsam und aufgebracht flatterten sie zu dem offen stehenden Fenster, das, wie er schnell bemerkte, definitiv nicht zu seinem Zimmer gehörte. Und auch ein Blick durch dem Raum machte klar, dass hier etwas ganz gehörig falsch war.   Dies brachte sein schneller schlagendes Herz dazu, sich nicht abregen zu wollen. Shou versuchte, sich zu sammeln, überlegte, ob er bei jemandem übernachtet hatte – hatte er nicht, glaubte er zumindest. Es war nicht sein Zimmer, er kannte es nicht einmal. Ein Dachgeschossraum, der nicht ausgebaut war und irgendwie mehr nach einer Abstellkammer aussah, das war es. Nur ein Bett, ein Schrank und ein Tisch mit Spiegel befanden sich in ihm. Nicht ein einziges Bild von Risujirou. Erst nachdem er den Raum grob inspiziert hatte, fiel Shou auf, dass es, trotz dessen, dass sie eigentlich Ende Oktober hatten, gar nicht kühl in dem Raum war, dessen einziges Fenster immerhin die ganze Nacht aufgestanden haben musste. Unter dem Gezwitscher der Vögel trat er heran und blickte hinaus – der Anblick ließ ihn erstarren. Bäume. Unzählige Bäume in saftigem grün über denen ein blauer Himmel der Sonne seine Bühne bot. Und weit hinter den Baumkronen, konnte er eine Stadt erkennen, an deren Rand ein großes Schloss thronte.   Er hatte keine Ahnung, wo er hier war. Tokyo war das jedenfalls nicht.   Shou verstand die Welt nicht mehr, als er auf dem Schminktisch ein Foto fand, das ihn als kleinen Jungen zeigte, gemeinsam mit seinen Eltern. Wieso war es hier? Und wieso trug er darauf ein Kleid?! Er hatte dieses Bild noch nie gesehen, genau so wenig hatte er eine Erinnerung daran, mal so etwas getragen zu haben. Dennoch konnte er nicht leugnen, dass es seine Familie war, die in den einfachen Holzrahmen gehüllt wurden.   Ziemlich hilflos schlüpfte er in die Hausschuhe, die an dem fremden Bett standen und ging die hölzerne, irgendwie morsch wirkende Wendeltreppe herunter, die ihn in eine altes, aber durchaus eindrucksvolles Herrenhaus führte. Er hatte so etwas schon einmal gesehen, als sie einen Ausflug nach Kobe gemacht hatten. Dort gab es einen Bezirk, in dem es vor ausländischen Gebäuden nur so wimmelte. Aber Kobe? Wie kam er hier her? Und nein, in Kobe gab es kein Schloss, so viel er wusste. Er musste woanders sein.   Vorsichtig öffnete Shou eine der Türen, die sich in dem langen Flur aneinander reihten, warf einen Blick in das stark verdunkelte Zimmer, in dem kaum etwas zu erkennen war. Ein Schlafzimmer, wie er festzustellen glaubte. Vorerst entschied er sich also, lieber wieder die Tür zu schließen und weiterzuziehen, vorbei an den anderen geschlossenen Türen und über die Treppe ins Untergeschoss mit einer großen Eingangshalle. Das Haus war sehr groß und wirkte so leer, wo sich doch in keinem der Zimmer des Untergeschosses Leute befanden. Dafür wurde er allerdings draußen fündig, keine Menschen zwar, aber dafür viele Hühner, ein alter Gaul und ein Hund, der ihn freundlich mit wedelndem Schwanz begrüßte.   Shou hatte keine Ahnung, wie er hieß. Er hatte auch keine Hundemarke, an der man es hätte ablesen können. Da der Vierbeiner allerdings so drum bettelte, wurde er gestreichelt, jedenfalls so lange, bis das Klingeln einer Glocke ihn aufschrecken ließ. Sie hing an der Wand in der Küche, die zum Hof führte. Neben ihr hingen noch weitere. So als hätten sie nur auf ihn gewartet und auf seinen Blick reagiert, begannen auch sie zu klingeln – nervtötend, hell, schrill. Er hatte keine Ahnung, wieso sie schellten und was er tun sollte. Jedenfalls so lange, bis er die Stimmen hörte, vertraute Stimmen, die aus dem Obergeschoss töten und seinen Namen riefen. Sie klangen teilweise streng, ungeduldig und piesackend. Er vermutete, dass es nicht aufhören würde, dieses Konzert aus krakeelenden Stimmen und schrillen Glockenschellen, sodass er sich auf machte in das Obergeschoss, zurück zu den Türen, durch welche die Stimmen drangen.   Shou öffnete und gelang in den Schlafsaal, der jedenfalls dunkel genug war, um die Gestalt im Bett zu verbergen. Sie tastete nach dem Nachttisch, so viel konnte er erkennen.   „Willst du nicht endlich die Vorhänge aufziehen? So finde ich meine Brille niemals“, sagte die Person und sofort wusste Shou, um wen es sich handelte. Mizoguchi. Warum auch immer, aber es war Mizoguchi. Verdattert setzte er sich irgendwie in Bewegung und öffnete die Vorhänge, wie gefordert. Er hatte keine Ahnung, wieso er das tat, vielleicht weil er höflich war. Eventuell war er auch einfach nur so verdutzt über die schroffe Art, mit der Mizoguchi sprach, sodass er wie aus dem Affekt handelte. Das kannte er nicht von ihm.   „Wo ist mein Frühstück?“, fragte Mizoguchi schließlich, nachdem er seine Brille gefunden hatte und kerzengerade im Bett saß, als hätte er eine unsichtbare Lehne im Rücken. Wieder konnte Shou ihn nur verdutzt ansehen. Die Geduld von Mizoguchi war allerdings sehr knapp bemessen und so sprach er weiter. „Geh runter und hol mir mein Frühstück, Shou! Wenn es überhaupt etwas Traurigeres gibt als ein verkanntes Genie, dann ist es ein unverstandener Magen. Honoré de Balzac.“   Shou blickte bedröppelt drein. Immerhin das war ihm vertraut – dieses Zitieren von seinem Teamkameraden, der so oft mit den Worten anderer sprach, dass es fast angenehm war in dieser Situation. Es war wie ein kleiner Strohhalm, den man einfach greifen musste. Zielstrebig verließ Shou den Raum, war jedenfalls gerade dabei, nicht, weil Mizoguchi etwas zu Essen von ihm eingefordert hatte und er diesem nachkommen wollte, sondern weil er völlig perplex war von dieser Situation. Irgendwie hoffte er, dass, sobald sich diese Tür wieder schloss, alles, was sich hinter ihr verbarg, verschwinden würde. Als wäre es nur ein böser Traum.   Hinter der nächsten Tür ging der böse Traum allerdings weiter. Takerus freche Wortwahl, die ihn ebenfalls aufforderte, ihm doch endlich sein Frühstück zu bringen und was er sich einbilde, ohne aufzutauchen, ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Er wurde wütend, auch wenn er nach außen immer noch gefasst aussah. Wortlos verließ er das Zimmer. Takeru war ja immer recht frech gewesen, aber so sprach niemand mit ihm. Er war doch nicht sein Dienstmädchen. Für einen Moment durchfuhr ihn das Gefühl von Vertrautheit, welches er aber nirgendwo dran festmachen konnte und so verwarf er den Gedanken und damit auch das Gefühl wieder. Für Ablenkung war im dritten Zimmer sowieso gesorgt. Entweder hatte Hisashi einfach nur schlecht geschlafen, oder er sah jeden Morgen so zerknittert aus – so alt. Seine Laune war unterirdisch. Shous sank ebenfalls jede Sekunde.   Wieder wurde er geschimpft, wieder sollte er das Frühstück bringen. Dieses Mal waren die bösen Worte sogar recht vertraut. Shou hatte sie öfter aus dessen Mund gehört – nicht gegen sich selbst gerichtet, aber gegen andere. Er hatte auf seiner Erkundungstour durch das Untergeschoss keine Menschenseele gesehen und auch jetzt war niemand da. Niemand, der das Frühstück hätte zubereiten können. Langsam begriff er, dass er es war, der das Frühstück zubereiten sollte, dass er wie ein Hausmädchen behandelt wurde, weil er das Hausmädchen war. Nicht in echt, aber irgendwie dann doch. Shou war verwirrt. War das ein Gag? Wollte man ihn veralbern? Spielten sie das, um ihn hochzunehmen? War das einer von Takerus Streichen und bald würden sie lachend vor ihm zusammenbrechen und er würde vor Scham und Wut gleichzeitig rot anlaufen?   Es wird dein Schicksal sein.   Die Worte der Frau aus dem Kostümladen schossen ihm durch den Kopf. Es war albern, aber vielleicht war es dennoch die Erklärung hierfür. Sakuma hatte sicher seinen Mund nicht halten können und es Takeru erzählt, sie verstanden sich in letzter Zeit recht gut, wo sie im selben Boot saßen. Und dieser hatte dann seinen geschmiedeten Plan in die Tat umgesetzt – mit der Hilfe der anderen. Zugegeben, es war weit hergeholt. Aber es war alles, was in diesem Moment Sinn machte.   So in seine Spekulationen versunken hatte Shou gar nicht gemerkt, dass sich allerhand Tiere um ihn versammelt hatten, die anfingen an seinen Klamotten zu ziehen – Vögel an den Ärmeln, Mäuse an seinen Beinen, hätten es nicht liebreizende Eichhörnchen sein können? – und ihn zu einem der Schränke in der Küche führten. Porridge, zum Aufgießen mit heißem Wasser, das fand er darin. Er hatte so etwas noch nie gegessen, aber es sah einfach aus und ging schnell. Obwohl er es immer noch nicht als seine Aufgabe ansah, den anderen etwas zu Essen zu machen, tat er es. Zugegeben, er hatte auch langsam Hunger und so machte er eben für alle etwas, wenn er schon dabei war. Er brachte es ihnen sogar ans Bett, zusammen mit den gefüllten Teetassen, die von den tierischen Helfern in seinen Augenwinkel gerückt wurden. Hier zahlte sich tatsächlich aus, dass er Kellner war und er hatte schon ganz andere Dinge auf seinen Händen balancieren müssen.   Statt einem Dankeschön bekam er nur noch mehr Arbeit aufgehalst. Mizoguchi wollte seine Klamotten gewaschen haben, Takeru gab ihm mehrere Paar Socken, die er stopfen sollte und Hisashi forderte, dass er das ganze Haus putzen sollte. Es wäre ja schließlich seine Aufgabe, sagten sie. Langsam ging es ihm zu weit. Es war kein Spaß mehr für ihn.   „Es reicht, ich werde nichts davon tun“, merkte Shou an und wartete nur auf ihr Gelächter – hauptsächlich Takerus, zu den anderen Beiden passte das gar nicht. Stattdessen trafen ihn vorerst verwunderte Blicke, die sich schnell verfinsterten.   „Hast du das gehört, Vater? Sie will es nicht tun! Wie sie sich wieder in den Mittelpunkt drängt...“ - „Das kannst du dir nicht gefallen lassen, Vater. Ohne Erziehung zum Gehorsam ist keine Bildung zu einem charakterfesten Menschen, einem Manne denkbar. Adolph Diesterweg.“ - „Unerhört, dieses undankbare Stück!“ - „Wirklich, sie hat kein Benehmen.“   Die Wut in ihm stieg an. Shou wollte sich garantiert nicht beleidigen lassen, längst schon waren sie zu weit gegangen, viel weiter, als er es von ihnen gedacht hätte. Der Blick von Hisashi, der auf ihm ruhte, war beängstigend. Er war finster, eiskalt, völlig gefühllos. Er wusste, dass der Kerl streng war, ehrgeizig und hohe Erwartungen an andere hegte. Aber so hatte er noch niemanden angesehen, nicht einmal Takeru. Etwas in seinem Blick war anders. In ihren aller Augen lag so viel Kälte und Abscheu, die sie so niemals spielen können würden.   „Gut, wie du möchtest. Dann tust du es nicht“, begann Hisashi und erntete dafür zwei entsetzte Blicke von Takeru und Mizoguchi. „Aber Vater! Wie kannst du sie von ihren Aufgaben befreien?!“ - „Putzen ist schließlich alles, wozu dieses unnütze Ding zu gebrauchen ist! Sie ist viel zu kleingeistig!“   „Dann müssen wir das Haus aber verkaufen. Das Haus, das deine Eltern so geliebt haben. Es ist sowieso kaum noch was wert, aber wenn du es nicht schaffst, es in Stand zu halten, dann muss es weg und wir sehen uns nach einem vernünftigen Haus in der Stadt um. Wo du dann landen wirst, musst du sehen.“   Zugegeben, Shou bedeutete das Haus nichts. Und natürlich würde er wieder in seine Wohnung zurückkehren, wenn sie dieses Schmierentheater beendeten. Es müsste den anderen auch bewusst sein, wenn sie denn- Es war schwer zu glauben, aber sie waren nicht sie selbst. Er war nicht er selbst, wie es schien. Sein Verstand und sein Körper waren wie immer, aber offenbar lebte er das Leben einer anderen Person. Was unmöglich war, eigentlich. Vielleicht war das Diadem doch nicht so harmlos gewesen, wie er dachte, auch wenn er so etwas nur aus schlechten Filmen kannte, in denen die Hauptcharaktere ihre Körper getauscht hatten und ein riesiges Chaos entstand.   Er musste für sich sein, brauchte Zeit zum Nachdenken, zum Begreifen, also nickte er nur stumm und verließ wortlos das Zimmer.   Shous Gedanken wiederholten sich, wieder und wieder, kamen immer zu der gleichen Feststellung – es konnte kein Fluch sein, aber es war die einzige Erklärung, die er hatte. Er wollte es nicht glauben, aber das war alles, was übrig blieb. Das Diadem. Sein Schicksal. Es brachte seinen Kopf zum Schmerzen. Dann stockte er. Die Jungs hatten ihn sie genannt. Er hatte auf dem Bild ein Kleid getragen und obwohl er nichts von Mode verstand und den Grenzen, die es zwischen männlicher und weiblicher Kleidung gab, so kamen ihm die Rüschen an seinem Schlafanzug doch verdächtig vor. Shou schluckte. Es konnte nicht sein.   Er blickte sich einmal um, damit er sicher sein konnte, ungestört zu sein. Die Türen waren verschlossen und er war alleine vor der Wendeltreppe. In diesem halb verlassenen Haus würde es niemand mitkriegen, wenn er jetzt... Shou presste die Lippen zusammen und schob seinen Daumen unter den Bund seiner Schlafhose und bekam schließlich auch den der Unterhose zu fassen. Kurz und schmerzlos zog er beide nach vorne und erhaschte einen Blick. Es war noch alles da. Shou atmete erleichtert auf und zog die Hand zurück. Dass alles nun noch weniger Sinn machte, war ihm egal. Er war unversehrt – das war ihm wichtiger als Antworten. Vorerst.   Er betrat das Zimmer im Dachgeschoss erneut, welches sich so wenig vertraut anfühlte und dennoch seines zu sein schien. Bis auf das Foto sprach allerdings nichts dafür. In den zwei kleinen Schubladen des Schminktisches befanden sich Make-Up und Haaraccessoires für Frauen, in seinem Schrank gab es nichts als Kleider, Röcke und Blusen. Shou wollte nichts davon anziehen, aber in seinem Schlafanzug draußen herumzulaufen, wäre ihm nicht weniger unangenehm. Er hatte keine Wahl, also suchte er sich die weiteste Bluse heraus, die er finden konnte. Als er sie anhatte, war er sich nicht mehr sicher, ob es sich dabei nicht ebenfalls um ein Kleid handelte, so lang wie sie war. Shou sparte es sich, einen Rock drunter zu ziehen. Unpassend zu dem intensiven Rot des Kleides wählte er blau-weiß-geringelte Socken, die halb versteckt wurden in rosa Ballerinas – die einzigen Schuhe, die er neben seinen Hausschuhen in dem Zimmer gefunden hatte. Sie waren dreckig und sahen abgetragen aus.   Ein Schuss ließ ihn zusammenzucken und riss ihn aus dem argwöhnischen Blick, mit dem er sich im Spiegel betrachtet hatte. Er kam zweifelsfrei aus dem Wald. Zwar konnte Shou nicht sehen unter den dichten Baumkronen, aber er konnte die Geräuschkulisse von Pferden, Hunden und Menschen nicht überhören. Wie im Affekt lief er los, die Wendeltreppe herunter, den langen Korridor entlang, hinunter in die Eingangshalle und geradewegs hinaus in den nahen Wald. Er wusste nicht einmal, wo er sein Ziel finden würde, dennoch lief er weiter. Sein sportlicher Körper trug ihn weiter, ohne richtig erschöpft zu sein, da machte es ihm schon mehr Probleme, keinen Schuh zu verlieren. Shou fand einen Reiter auf einer Lichtung, der konzentriert geradeaus schaute, das Gewehr bereit zum Abschuss hielt und etwas anvisierte, von dem er nicht sagen konnte, was es war. Das war ihm aber auch ziemlich egal – alles war schlimm genug.   „Halt! Nicht schießen!“, rief Shou, doch der Mann rührte sich nicht. „Bitte...“ Endlich beachtete er ihn und ließ das Gewehr sinken. Sein Oberkörper drehte sich fast wie in Zeitlupe in seine Richtung – jedenfalls kam es ihm so vor. Shous Augen weiteten sich. „Doumoto-senpai.“ Der klang seiner Stimme war deutlich sanfter, als er sich das gewünscht hatte, in ihr lagen Schock und automatisch auch Scham. Es war das erste Mal seit langem, dass er ihm wieder unter die Augen getreten war. Einzig allein die Hoffnung, dass das hier ebenfalls nicht der echte Doumoto war, brachte ihn dazu, stehen zu bleiben und seinen Fluchtreflex zu überwinden.   Demnach zu urteilen, was der trug, war es nicht der echte Doumoto Jin, sowie an dieser Realität überhaupt nichts echt war. Obwohl Shou das wusste, brach sein Herz ein kleines Stück, als er den fragenden Blick in dessen Augen sah. Er erkannte ihn nicht.   „Warum nicht? Es ist so Tradition. So wird es schon seit Generationen in meiner Familie gemacht.“   „Nur weil man etwas immer so gemacht hat, heißt es nicht, dass es richtig ist“, merkte Shou an – irgendwo zwischen traurig und ernst. Er erkannte ihn nicht. Shou wusste, dass er sich das nicht zu Herzen nehmen musste, immerhin war es nicht der Doumoto, der ihm und Sakura beim Training geholfen hatte, aber dass dieser Mann, der haargenau so aussah wie er, ihm nicht näher stand als ein beliebiger Fremder auf der Welt, zog ihn runter. Er spürte ein Stechen in seinem Herzen, welches zu stolpern drohte, als er bemerkte, dass Doumoto von seinem Pferd stieg und mit den Zügeln in der Hand auf ihn zu ging. Er sah amüsiert aus, sein Lächeln war sanft dabei.   „Das ist eine interessante Ansicht“, merkte Doumoto an, als er vor ihm stehen blieb. Obwohl Shou noch etwas gewachsen war, hatte er längst nicht zu ihm aufholen können. Sein Blick wanderte hinauf. „Ein bisschen rebellisch. Wie ist Euer Name?“   Shou stutzte. Er war doch immer noch Shou, nicht wahr? Aber... Ein Blick an sich herunter ließ ihn etwas daran zweifeln. Ob Mizoguchi, Takeru und Hisashi ihre Namen behalten hatte, glaubte er auch nicht, wenn sie tatsächlich eine Familie sein sollten. „Ist es nicht höflicher sich zuerst vorzustellen, bevor man nach dem Namen einer anderen Person fragt?“, sagte Shou unsicher, sah zur Seite und verschaffte sich so Zeit zum Überlegen.   Doumoto lachte leicht auf – es war ein schönes Lachen, so tief und hell zugleich. Er hätte es gerne noch etwas länger gehört. „Verzeiht. Wie unhöflich, in der Tat. Ich bin Jirouta.“ Shou wusste, dass sein richtiger Name Jin war. Er war sich dessen sogar ganz sicher. Die anderen hatten ihn Shou gerufen, soweit er sich erinnerte, aber er wollte nicht Shou sein, wenn das vor ihm nicht Doumoto Jin war. Und der erste Name, der ihm spontan einfiel, war- „Ich heiße Haru.“   „Haru?“, sagte Doumoto verblüfft und stutzte einen Moment. „Wie meine Mutter. Dieser Name steht Euch.“   Shou blinzelte irritiert. Seine Mutter hieß Haru? In seinem Kopf spannen sich die verrücktesten Gedanken zusammen. Er kannte den Namen seiner Mutter nicht, aber dass sie Haru heißen sollte, war schon ein seltsamer Zufall. Wenn er an Haru dachte, dachte er an seinen Cheerleading-Kameraden. Der Gedanke wurde schnell beiseite geschoben, als plötzlich eine weitere Person auf der Bildfläche erschien und ihre Zweisamkeit störte.   „Da seid Ihr ja! Wir müssen zurück zum Palast, sonst- Wer ist das? ... Ah, wie auch immer. Beeilung, es gibt noch viel zu tun!“   „Ich weiß, ich weiß...“   „Dann trödelt bitte nicht so.“   „Sie leben im Palast?“, fragte Shou stutzig und der fremde Reiter war schon kurz davor empört zu antworten, doch Doumoto brachte ihm mit einer Geste zum Schweigen. „Arbeite. Ich arbeite im Palast“, korrigierte er betont und schwang sich wieder elegant und geübt auf sein Pferd, setzte zu einer Drehung an und hielt noch einmal inne. Über seine Schulter sah er zu Shou herunter. „Wir sehen uns wieder“, sagte er noch und klang dabei sehr sicher in seinen Worten, so als wäre es ein Versprechen. Shou nickte leicht und sah zu, wie Doumoto und der andere Fremde davon ritten. Er würde warten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)