Ashounputtel von Writing_League ================================================================================ Eine schicksalhafte Anprobe --------------------------- Dass Shou sich dazu hatte überreden lassen, bereute er schon nach wenigen Minuten in dem seltsam angehauchten Laden, in den Sakuma ihn geschleppt hatte. Sie würden dort tolle Kostüme finden, hatte der behauptet, und das, obwohl ihm gar nicht so recht nach Verkleiden gewesen war. Diese ganze Halloweenparty, die ihr Team feiern wollte, war unpassend gewesen. Er war kein Freund von Halloween, Grusel oder Kostümen, die man mit dieser amerikanischen Feierlichkeit verband. Wenn er gekonnt hätte, hätte er sich vermutlich als Eichhörnchen verkleidet oder direkt als Risujirou, aber leider gab es nichts dergleichen in diesem Laden. Vermutlich war sein Elan deswegen schon stark unterdrückt.   „Guck dir das an!“, kommentierte Sakuma begeistert und hielt Shou ein Kleid vor die Nase. Ein Kleid. „Das ist total niedlich!“ Bei dem Kostüm handelte es sich, wie er schnell feststellte, um ein Feenkostüm, denn die halbtransparenten Flügel am Rücken und die vielen Lagen mit Glitzer versehenem Tüll sprachen dafür.   „Aber das ist für Mädchen“, merkte Shou an und blickte den kleinen Kerl ein wenig überfordert an. Er teilte seine Begeisterung nicht, spielte ihm aber auch nichts dergleichen vor. Dass das Kostüm unangebracht war, darauf müsste Sakuma eigentlich selbst kommen, trotzdem hing er es gar nicht erst wieder zurück, sondern hielt es sich an und schaute amüsiert an sich herunter. „Es ist so süß“, kommentierte er nur wieder und strahlte regelrecht. Shou, immer noch nicht wirklich begeistert, sparte es sich, ihn erneut davon abzuraten – und bereute es im nächsten Moment, als Sakuma auf eine ganz glorreiche Idee kam.   „Shou! Das hier ist sogar deine Größe!“   „Das ist ein Prinzessinenkleid...“   „Ich weiß, aber es würde dir sicher stehen. Probier es mal an, einfach nur zum Spaß.“   Wenig überzeugt verzog Shou kaum merklich das Gesicht, aber seine Augen verrieten zur Genüge, wie unglücklich er mit dieser Idee war. Was hatte er auch davon, ein Kleid anzuprobieren, das er sowieso nicht kaufen würde? Nichts. Er würde am Ende zwangsläufig ein Kostüm kaufen müssen, weil alle im Team verkleidet kommen wollten, aber sicher nicht das. Wenn es sein musste, würde er sich eben ganz klassisch als Vampir verkleiden – als männlicher Vampir natürlich – und Sakuma würde er in ein Kürbiskostüm stecken. Dass sich Neon-Orange mit Altrosa nicht so gut ergänzte, konnte er ja nicht wissen.   Er wollte es nicht anprobieren und Shou war jemand, der sehr stur war, wenn es darum ging, Dinge zu vermeiden, die er nicht wollte. Aber Sakumas große, bettelnde Kulleraugen waren unwiderstehlich. Es waren nicht die Augen, die für gewöhnlich Kazu anhimmelten – dazu war der Ausdruck zu anders, aber er verstand langsam, wie niedergerungen man sich von ihnen fühlen konnte. So blieb das Nein aus. Im nächsten Moment waren Sakuma und er in den kleinen, mit Vorhängen abgeschirmten Umkleiden verschwunden, aus dessen eigener Shou sich gar nicht heraus traute. Musste er auch nicht, denn sein Begleiter spickte durch den Spalt zwischen Vorhang und Holzverkleidung hindurch und riss ihn aus seiner peinlichen Starre.   „Das ist doch hübsch, ich wusste es!“, platzte es begeistert aus dem kleinen Kerl heraus, als er den Vorhang aufriss. „Guck dir meins an! Ist es nicht süß?“ Sakuma drehte sich extra für ihn herum, damit er auch noch jedes kleinste Glitzerkorn auf dem weit ausgestellten Feenrock bewundern konnte und natürlich die transparenten, aufwändig verzierten Flügel. Ganz offenbar erwartete er ein Kompliment mit seinem Blick aus unruhigen, erwartungsvollen Augen, die nur auf ihn fixiert waren. „Es ist... besonders.“ Und es war immer noch ein Kostüm für Mädchen.   „Ja!“, kam es zufrieden nickend von Sakuma, der es scheinbar anders auffasste, als es von Shou wirklich gemeint war. Irgendwo war es Glück, schließlich wollte er ihn auch nicht verletzen. „Aber es fehlt noch etwas, warte hier! Ich hab da beim Reinkommen was gesehen!“   Die Worte von Sakuma rissen Shous Augen von dem mädchenhaften Kostüm, ließen ihn den Blick heben, aber alles, was er noch zu Gesicht bekam, war ein sich immer mehr von ihm entfernender rosa Hinterkopf und ein paar wackelnder Flügel. Er hatte keine Ahnung, was Sakuma jetzt wieder vor hatte, aber er war sich sicher, dass es nichts Gutes war. Ein ungutes Gefühl durchströmte ihn. Shou war kurz davor, sich wieder umzuziehen, kam aber nicht dazu, denn Sakuma war schneller zurück als erwartet. In der Hand hielt er stolz ein Diadem.   „Setz es auf! Das fehlt noch zu dem Prinzessinen-Look!“   „Ich weiß nicht, wie“, stellte Shou ruhig fest, denn es sah nicht aus wie ein simpler Haarreif. Mit den seltsamen Zacken an den Seiten wusste er auch nichts anzufangen. Insgeheim hoffte er aber, dass es als Ausrede genügte, um sich vor dem Aufsetzen zu drücken. Saku jedoch zerschlug seine Hoffnungen. „Ah, das ist gar nicht so schwer. Meine Schwestern haben auch welche, da hab ich es mal gesehen. Ich helfe dir.“ Während er sprach, streckte er die Arme nach oben, hob das Diadem so weit hoch wie er konnte und ging sogar in die Zehenspitzen, um sein Ziel zu erreichen. Aber es half nicht, so musste Shou sich doch noch zu ihm herunterbeugen und ein Stück in die Hocke gehen. Er spürte die metallischen Stäbe an seiner Kopfhaut gemeinsam mit einem leichten Drücken. Es war seltsam, genau wie der Anblick, den sie gerade bieten mussten, während der kleine, rosahaarige Prinz in einem Feenkostüm seiner Prinzessin das Diadem aufsetzte – als würde er sie zu seiner Frau krönen.   „Was habt ihr getan?!“, fragte eine weibliche Stimme aufgebracht und riss sie damit aus ihrer Szenerie, noch bevor Shou sich überhaupt im Spiegel ansehen konnte. Genau wie Sakuma auch, hob er die Augenbrauen irritiert und blickte zu der in schwarze Spitze gehüllten Gestalt, die deutlich Gothic ausstrahlte.   „Wir wollten sie nur mal anprobieren“, meinte Sakuma und grinste entschuldigend mit all seinem bübischen Charme, den er scheinbar von Natur aus besaß.   „Aber sie darf von niemandem aufgesetzt werden, deshalb bewahre ich sie auch in einer Vitrine auf, zu der nur ich Zugang habe!“   „Tut mir leid, das wusste ich nicht“, entschuldigte sich Sakuma höflich und verbeugte sich tief. „Die Vitrine war offen, ich wusste nicht, dass es verboten war.“ Shou verbeugte sich ebenfalls tief und nahm das Diadem ab, um es der Dame zu überreichen.   „Es ist zu spät“, murmelte die Frau und sah auf die zwei jungen Männer vor sich, trotzdem nahm sie das Diadem entgegen und schloss es zurück in die kleine, mit edlem Schmuck beladene Vitrine.   „Aber wir haben es nicht kaputt gemacht! Nicht einmal einen Kratzer haben wir verursacht!“   „Natürlich nicht. Nichts kann diesem Diadem etwas anhaben“, begann sie mit einer abfälligen Handbewegung zu erzählen. Dann wurde ihre Stimme dunkler, ihr Augen verengten sich ein wenig. „Es ist verflucht.“   „Verflucht?!“, kam es gleichzeitig aus Sakumas und Shous Mund – teilweise geschockt und ungläubig. Shou staunte nicht schlecht über diese Information, während Sakuma die Augen weit aufgerissen hatte. Dann verzog sich das Gesicht des Kleinen ängstlich. „Das ist ja furchtbar!“   Shou schaffte es schnell, die Fassung wiederzuerlangen und musste sogar unbeeindruckt wirken, so cool wie er aussah. „Was ist das für ein Fluch“, fragte er schließlich, einfach aus Interesse. Er glaubte nicht wirklich daran. Sakuma klammerte sich inzwischen an ihn, hatte die Hände fest in die vielen Tülllagen seines Kleides gekrallt.   „Weißt du, es ist nie gut, zu viel über sein Schicksal zu wissen.“   „Ich will es trotzdem hören.“   „Nun gut, wenn du dir so sicher bist~ Dieses Diadem gehörte einst einem hübschen Mädchen. Sie führte ein einfaches Leben, bis sie eines Tages aufgrund ihrer Schönheit einem wohlhabenden jungen Mann bezirzen konnte, der sie schließlich zu seiner Frau nahm. Er behandelte sie gut und beschenkte sie, doch zwischen dem Materiellen blieben die Gefühle plötzlich aus. Er verließ sie für eine andere und alles, was ihr blieb, war dieses Diadem. In ihrem Hass auf den Mann, den sie liebte und der Welt, in der die Götter sie so quälten, verfluchte sie es, sodass jeder, der es trüge, ihr Schicksal teilen müsste. Dann ließ sie es als anonymes Geschenk an die neue Liebe ihres ehemaligen Geliebten schicken.“   Der schockierte Gesichtsausdruck von Sakuma ließ schließen, dass ihm diese Geschichte ziemlich zusetzte. Shou selbst war sich nicht sicher, ob er den Worten Glauben schenken sollte. Selbst, wenn der Großteil davon der Wahrheit entsprach, so war es doch sehr weit hergeholt, dass das Diadem verflucht war. Und dass es sich dabei überhaupt um das Schmuckstück aus der Erzählung handelte natürlich. „Das ist ja furchtbar, Shou. Was machen wir jetzt?“, fragte Sakuma unsicher und mit zittriger Stimme, während er zu ihm hoch sah. Er klettete noch immer an seinem Kleid. Shou setzte das sanfteste Lächeln auf, das er gerade aufbringen konnte.   „Mach dir keinen Kopf. Mir wird nichts passieren. Und jetzt ziehen wir uns wieder um.“   Sakuma nickte, verunsichert, aber irgendwie hoffnungsvoll. Er glaubte seinen Worten, auch wenn er immer noch so aussah, als fühle er sich unwohl. Dazu schweigend ging die Frau wieder an ihre Arbeit und richtete ein paar Kostüme an. Shou nutzte die Gelegenheit, verfrachtete Sakuma und sich wieder in ihre Kabinen zurück und zog sich um. Am Ende kauften sie doch Vampirzähne und ein Cape für ihn, sowie ein Pinocchio-Kostüm für Sakuma. Der Kleine hatte sich wieder beruhigt, wollte aber trotzdem nicht länger als nötig in dem unheimlichen Laden bleiben.   Als sie gingen, spürte Shou noch einmal den Blick der seltsamen Verkäuferin auf sich. „Merke dir gut, was ich dir gesagt habe. Es wird dein Schicksal sein“, sagte sie noch, doch er tat es ab. Es war nur eine Erzählung – mehr nicht. Dies machte er auch Sakuma auf ihrem Weg nach Hause noch einmal klar. Es war nicht mehr als ein Märchen – weder schaurig noch kitschig. Er war ja nicht einmal eine Frau, wie es in der Erzählung der Fall gewesen war und wenn er eines Tages von seiner großen Liebe verlassen werden sollte, dann lag das sicherlich nicht an irgendeinem Diadem – es hätte andere Gründe. So etwas passierte jeden Tag.   Er konnte ja nicht ahnen, wie wenig Nächte ihn noch von diesem einen Tag trennen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)