Der Elysianer von ZMistress ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Kapitel 14   "Goal? Goal!" Cletus sah sich hektisch in seiner Kabine um, ließ sich auf ein Knie fallen um unter dem Bett nachzusehen und riss den Kleiderschrank auf. Doch Goal blieb verschwunden. "Herr Inspektor! Da sind Sie ja endlich!" Eine elektronisch verzerrte Stimme von der Tür her ließ ihn zusammenfahren. Ein Organon trat herein und griff nach seinem Arm. "Der Amtmann will Sie sehen. Jetzt!" Erbost machte Cletus sich los. "Was erlauben Sie sich? So können Sie mit mir doch nicht umgehen!" "Amtmann Argus hat mich beauftragt, Sie auf die Brücke zu schaffen. Wie ich das tue, ist ihm gleich. Wenn Sie freiwillig mitkommen, werden Sie uns beiden eine Menge Ärger ersparen... Oder zumindest mir." Cletus schnaubte. "Was soll das? Ich bin doch nicht Argus' Gefangener. Aber egal, ich wollte sowieso mit ihm sprechen. Warten Sie einen Moment, dann kann ich mir noch diese Uniform ausziehen und-" "Nein. Sie kommen jetzt mit." Cletus hob irritiert eine Augenbraue, aber er hatte jetzt wichtigeres zu tun als sich mit einem Organonbeamten zu streiten. "Na schön!" zischte er und folgte dem anderen zur Brücke. Das Bild, das sich ihm auf der Brücke bot, unterschied sich kaum von dem der letzten Tage. Argus stand mit einigen seiner Männer zusammen und gab Anweisungen, während draußen die karge Landschaft vorbeirauschte. Doch noch bevor Cletus das Wort ergreifen konnte, hatte Argus ihn entdeckt und marschierte auf ihn zu. "Sie dämlicher Vollidiot! Hatte ich Ihnen nicht gerade erst gesagt, dass Sie sich um Ihre verfluchte Verlobte kümmern sollten? Wie konnten Sie sie aus Ihrer Kabine lassen?!" "Ich muss doch sehr bitten! Der ganze Schlamassel ist doch erst entstanden als Ihr Untergebener ohne Vorankündigung in meine Kabine marschiert ist und mein Haustier hinausgelassen hat." "Ihr Haustier?" Argus kam noch einen Schritt näher und Cletus wurde sich bewusst, dass er die Fäuste geballt hatte. "Sind Sie deshalb ohne Helm losgelaufen und haben Goal damit die falschen Ideen gegeben?" Cletus spürte Hitze in seinen Wangen aufsteigen und wich sicherheitshalber ein Stück zurück. "Nun regen Sie sich doch nicht so auf. Für eben diesen Fall haben wir doch das Backup und auch wenn ich es lieber vermieden hätte, ist es doch keine Katastrophe, dass wir es nun doch benutzen müssen. Sagen Sie mir nur wo Sie Goal festhalten und ich beruhige sie und besorge Ihnen ihr Implantat." Argus lachte verächtlich. "Wo sie ist? Das sollten besser Sie herausfinden, Herr Inspektor. Sie befindet sich nämlich nicht mehr auf diesem Kreuzer." "Was soll das heißen? Reden Sie keinen Irrsinn, Argus." "Nachdem Sie mit Ihrem Haustier Verstecken spielen gegangen sind, hat Ihre Verlobte die Kabine verlassen und ist den Müllschächten nach unten gefolgt. Dort habe ich sie dann gestellt, nachdem sie einen Blick auf das nächste Dorf werfen konnte. Ich hätte sie noch zurückbringen und den Schaden eindämmen können, aber es hatte sich ein Deponianer auf den Kreuzer geschlichen." "Ein Deponianer?", wiederholte Cletus fassungslos. "Wer? Und wie ist er an Bord gekommen?" "Das tut jetzt nichts zur Sache", gab Argus unwirsch zurück. Er warf Cletus einen seltsamen Blick zu. "Er war einer von... nun, er war ein Idiot. Er versuchte sich einzumischen, erreichte aber nur, dass der Müllschacht unter dem Goal stand sich im unpassendsten Moment öffnete und sie von all dem Dreck mitgerissen wurde." Cletus sog erschrocken Luft ein. Was wenn Goal ernsthaft verletzt war? Ihr Vater würde ihn massakrieren! Ganz zu schweigen davon, dass er ohne die Aufstiegscodes gar nicht erst wieder nach Elysium gelangen konnte. "Wo war das? Was hat der Deponianer gesagt? Und warum haben Sie den beschissenen Kreuzer noch nicht gewendet?!" Argus warf ihm einen kühlen Blick zu. "Wir haben den Deponianer über Bord geworfen. Er hätte uns ohnehin nicht viel weiterhelfen können. Was mir viel mehr Sorgen macht, ist dass Sie anscheinend glauben, Sie könnten mich herumkommandieren. Dieser Kreuzer folgt einem ganz bestimmten Zeitplan. Alle meine Kreuzer tun das. Wir sind so pünktlich, dass sie in den deponianischen Käffern ihre Rathausuhren nach uns stellen. Ich werde nicht riskieren, dass sich diese Disziplin in Chaos auflöst und es vielleicht noch zu Unfällen kommt." "Aber-" begann Cletus, doch Argus fuhr unbeirrt fort. "Wir werden bis zum nächsten Sprengturm weiterfahren. Von dort kann ich einen Suchtrupp losschicken und ein anderer Kreuzer kann unsere Route übernehmen bis wir in der Lage sind weiterzufahren. Und Sie werden mir nicht mehr in die Quere kommen. Nutzen Sie die Zeit und versuchen Sie den genauen Aufenthaltsort von Fräulein Goal zu erfahren. Um den Rest werden wir uns kümmern." Cletus schnaufte. "Wie denn? Ich kann ja wohl schlecht zu Fuß losziehen." Einen schrecklichen Moment lang dachte er Argus würde ihn vielleicht auch kurzerhand einfach vom Kreuzer werfen. Doch der Amtmann lächelte, was unter dem Helm beinahe unsichtbar blieb. "Herr Inspektor, haben Sie schon einmal ein Funkgerät bedient?"   * * *     "An alle Bewohner Deponias: Mein Name ist Cletus. Ich suche meine Verlobte. Sie ist möglicherweise aus großer Höhe gestürzt und benötigt ärztliche Versorgung." Cletus sprach jedes Wort sehr langsam und deutlich aus. Wer wusste schon wie zurückgeblieben diese Deponianer waren. Eine Antwort hatte er auf seinen Funkspruch jedenfalls noch nicht erhalten. Er seufzte. Nachdem Argus ihm die schrecklichen Neuigkeiten eröffnet hatte, war er zuerst kurz in seiner Kabine gewesen um sich endlich umzuziehen. Doch bevor er die Uniform zurückgab, hatte er den Handblaster aus dem Holster genommen und in seiner Reisetasche versteckt. Er hoffte zwar, dass er ihn nicht brauchen würde, aber die Reise hatte bereits einige unerwartete Überraschungen parat gehabt und er war das Gefühl der Hilflosigkeit leid. "An alle Bewohner Deponias..." begann er wieder, nachdem er eine neue Frequenz eingestellt hatte. Die Funkausrüstung war recht gut in Schuss und verfügte sogar über eine Kamera und einen Sichtschirm, sodass auch Videogespräche möglich waren. Zumindest theoretisch. Wenn sich nur einer der Schrottbewohner mal bequemen würde zu antworten. Wenigstens hatte Argus ihm eine Karte der Dreiviertellande gegeben und die ungefähre Region, wo Goal wahrscheinlich abgestürzt war, markiert. Allerdings wusste er nicht welche Frequenzen mit welchem der kleinen Käffer korrespondierten. Doch so wie er Deponia einschätzte, gab es da vermutlich ohnehin kein System und es funkte jeder auf der Frequenz, die ihm beliebte. Er wiederholte die Nachricht wieder und wieder und hatte inzwischen aufgehört mitzuzählen als das Funkgerät auf einmal knisternd zum Leben erwachte. "Gehen Sie endlich aus der Leitung!", knarzte eine Frauenstimme aus den Lautsprechern, doch der Sichtschirm blieb leer. "Und hören Sie auf die Horchposten vollzulabern. Die sind für Notfälle!" "Na, hören Sie mal! Das hier ist doch ein Notfall!" "Ha! Ihre Verlobte ist irgendwo heruntergestürzt und Sie wissen nicht einmal wo sie ist? Für mich klingt das so als wäre sie durchgebrannt und Sie schieben jetzt hier das große Drama und machen auf ganz Deponia die Pferde scheu." Cletus funkelte das Funkgerät erbost an. "Was erlauben Sie sich? Meine Verlobte ist doch nicht durchgebrannt! Es gab einen... einen Unfall und ich habe erst später davon erfahren. Leider ohne den genauen Ort des Unglücks in Erfahrung bringen zu können. In welcher Ecke Deponias stecken Sie eigentlich?" Die deponianische Frau stöhnte. "Funken Sie echt aufs Geratewohl in der Gegend rum? Ich bin in Buusa-Westvoq, im Südwestquadranten." "Südwestquadrant klingt schon mal ganz gut. Sie haben nicht zufällig eine Organon Kreuzerstrecke in der Nähe?" Er schielte auf seine Karte, doch auf die Schnelle war es gar nicht so einfach auch kleinere Käffer mit seltsamen Namen zu finden. "Glücklicherweise nicht." Die Frau hustete angewidert. "Unser Nachbardorf Kuvaq ist ziemlich dicht an einer dran. Aber bei denen werden Sie erst recht keinen Erfolg haben." "Warum nicht?" Sie lachte verächtlich. "Zum einen, weil dort fast ausschließlich Vollidioten leben. Besonders der Sohn des ehemaligen Bürgermeisters soll nach allem was man hört eine echte Landplage sein. Und zum anderen hat der Horchposten da noch nicht mal ein Mikrofon, mit dem er Ihnen antworten könnte." "Na wunderbar," knurrte Cletus grollend. "Vielen Dank für gar nichts." "Was denn? Geben Sie mir jetzt die Schuld an Ihren Problemen? Hör'n Sie mal. Sie betteln hier um Hilfe, ohne die geringste Gegenleistung anzubieten, und jetzt werden Sie so pampig? Ich denke langsam, wo auch immer sie ist, Ihre Verlobte dürfte ohne Sie besser dran sein." Cletus griff nach vorn und schaltete eine Frequenz weiter. Sollte diese blöde Kuh doch denken was sie wollte. Nur in einem Punkt hatte sie vielleicht recht. Cletus strich sich über sein Bärtchen, dann begann er auf der nächsten Frequenz seinen Text aufs Neue herunterzuleiern. Allerdings mit einem kleinen Zusatz am Ende. "An alle Bewohner Deponias: Mein Name ist Cletus. Ich suche meine Verlobte. Sie ist möglicherweise aus großer Höhe gestürzt und benötigt ärztliche Versorgung. Jede Hilfe wird großzügig vergütet werden." Er wiederholte die Durchsage wieder und wieder, jedes Mal auf einer neuen Frequenz, stieß auf einen Radiosender, der irgendwelche belanglose Musik dudelte, wurde drei weitere Male angemault, er solle aus der Leitung gehen und dann hatte er alle Frequenzen durch und begann wieder von vorn. Die Kanäle, auf denen man ihm dumm gekommen war, ließ er zwar aus, doch waren es noch immer genug für seinen Geschmack. Dann endlich beim vierten Durchgang erhielt er wieder einmal eine Antwort. Mit einem Knarzen erwachte der Sichtschirm zum Leben und zeigte einen breitschultrigen Mann in einem schäbigen, abgewetzten Anzug. Über dem Kopf jedoch trug er eine Skimaske, die ihrem Besitzer die Sicht lediglich durch ein Loch über dem linken Auge erlaubte. "Was heißt 'großzügig vergütet'?" Cletus konnte sich gerade noch davon zurückhalten die Augen allzu deutlich zu verdrehen. Der Typ wirkte nicht so als wäre er mit sonderlich viel Intelligenz gesegnet, allerdings konnte er dafür wahrscheinlich um so fester zuschlagen. "Nun, es bedeutet, dass ich Ihnen eine Menge Geld zahle, wenn Sie mir meine Verlobte bringen können." "Hmm, dann könnten wir vielleicht ins Geschäft kommen. Ich werde der Donna von ihrem Angebot erzählen." "Warten Sie!", rief Cletus verwirrt. "Wer sind Sie überhaupt? Und wer ist die Donna? Und wo auf Deponia befinden Sie sich?" Er grunzte irgendetwas unverständliches, doch dann bequemte sich der Typ doch noch zu einer Antwort. "Wir sind das Unorganisierte Verbrechen. Wer sich mit uns anlegt, wird es bitter bereuen. Mein Name ist Wink. Wo wir uns gerade befinden, geht Sie nichts an. Aber wir haben ein Tauchboot und können an der gesamten Küste operieren." Cletus hob eine Augenbraue. Der Mann war ein Idiot, aber er könnte womöglich nützlich werden. Doch solange er nicht richtig wusste, wo Goal überhaupt gestürzt war, kam er hier wohl auch nicht weiter. "Ich habe nicht vor mich mit Ihnen anzulegen", sagte er beschwichtigend. "Richten Sie Ihrer 'Donna' meinen Gruß aus. Ich werde mich mit weiteren Details bei Ihnen melden sobald es mir möglich ist. Cletus Over and out." Der Sichtschirm erlosch wieder und Cletus beeilte sich, die Frequenz zu notieren, unter der er das "Unorganisierte Verbrechen" erreichen konnte. Für den Moment jedoch nur, um diese nicht noch einmal zu wählen, solange er nach grundlegenden Informationen über Goals Verbleib suchte. Mit einem Seufzen stellte er die nächste Frequenz ein und begann seinen Text wieder aufzusagen. Er konnte nur hoffen, dass Argus zurückkam, bevor ihm die Zunge abfiel.   * * *     Er war müde. Cletus nahm einen kleinen Schluck Kaffee aus einem Becher, den er während einer Toilettenpause aus seiner Kabine geholt hatte, aber auch das half nicht viel. Er hatte das Gefühl hier schon seit Stunden zu sitzen, doch ein Blick zu einer kleinen Uhr verriet ihm, dass dies nicht der Fall und es immer noch früher Nachmittag war. Wenn nur Argus endlich zurückkäme. Und wenn Goal doch nur in ihrer Kabine geblieben wäre! Warum musste sie ihm nur das Leben so schwer machen? Er unterdrückte ein Seufzen und wiederholte seine Durchsage zum gefühlt hundertsten Mal. Nur mit größter Willenskraft konnte er sich dazu bringen, nach wie vor jedes Wort ruhig und sorgsam betont auszusprechen. "Ich suche meine Verlobte." Nein, Moment, er hatte die erste Hälfte vergessen. "An alle Bewohner Deponias", begann er von neuem als das Funkgerät knackte. "Mein Name ist Cletus. Ich suche meine Verlobte. Sie ist möglicherweise..." "Cletus?" kam eine Stimme aus dem Funkgerät. "Cletus! Sind Sie das? Hier ist Rufus." Er zog die Augenbrauen hoch. "Hallo? Rufus? Sind Sie auf Deponia?" "Klar bin ich auf Deponia. Ich habe Ihre Verlobte gefunden!" Cletus schluckte. Konnte er es wirklich geschafft haben? "Sind Sie sicher?" "Natürlich bin ich sicher", antwortete der Typ in beinahe empörtem Tonfall. Aber Cletus war noch nicht bereit das einfach so zu glauben. "Groß?", fragte er nach. "Lange Haare?" "...Hirnimplantat, fiel von einem vorbeifahrenden Organon-Kreuzer...", zählte dieser Rufus auf. "Fragte nach Ihnen. Glauben Sie mir ruhig. Es ist Ihre Verlobte." Cletus erlaubte sich ein Lächeln. Endlich. Jetzt durfte er nur keine Schwäche zeigen. "Was verlangen Sie?", fragte er und bemühte sich so unemotional und distinguiert wie möglich zu klingen. Sein Gesicht konnte der andere sowieso nicht sehen - vermutlich hatte er keinen Sichtschirm und keine Kamera - aber wenn Cletus zu verzweifelt klang, würde Rufus vielleicht auf einer höheren Belohnung bestehen. "Erst einmal ein paar Antworten." Na großartig! Warum konnte der nicht sofort zum wesentlichen kommen? Er würde ihm ja doch nichts Konkretes sagen können. "Antworten?", wiederholte er gepresst. "Mal sehen." "Kommen Sie wirklich aus Elysium?" War er ein Idiot oder ein Bewunderer? In beiden Fällen hatte Cletus keine große Lust seine Herkunft mit so einer dahergelaufenen Gossenratte zu diskutieren. "Ja. Natürlich. Aber ich verstehe nicht, was Sie das zu interessieren hat." "Wie ist es auf Elysium?" "Auf jeden Fall nicht so dreckig und unzivilisiert wie hier. Und die Menschen sind auch weniger penetrant." Deutlicher konnte er wohl kaum machen, dass er an dieser Unterhaltung nicht interessiert war. "Astrein", kam es enthusiastisch von Rufus zurück. "Das klingt nach genau dem richtigen Ort für mich." Ah, es war ein Idiot. "Was hatte Ihre Verlobte an Bord des Organon-Kreuzers verloren?" fragte er als nächstes. "Das geht Sie nichts an." "Aber es ist doch seltsam, dass eine Frau aus Elysium..." "Denken Sie nicht so viel über Dinge nach, die Ihren Horizont überschreiten", unterbrach Cletus ihn. "Kommen Sie lieber zur Sache." "Planen die Organons etwas?" Cletus biss die Zähne zusammen. Auch wenn Rufus ein geistiger Tiefflieger war, schien selbst er irgendetwas zu ahnen. "Warum wollen Sie das wissen? Hören Sie: Mischen Sie sich nicht in die Angelegenheiten der höheren Sphären ein. Sie werden die Vorgänge über Ihren Köpfen niemals verstehen. Und schon gar nicht beeinflussen. Versuchen Sie es gar nicht erst." Aus dem Funkgerät kam ein unzufriedenes Grunzen. "War Ihre Verlobte schon immer etwas seltsam?" Cletus wusste nicht ob er erleichtert sein sollte, dass Rufus anscheinend ihr voriges Thema aufgegeben hatte, oder genervt, dass er nicht endlich zur Sache kam. "Was? Wovon reden Sie?" "Ach nichts", kam die zögerliche Antwort. "Mal angenommen, Ihre Verlobte hätte eine Art... Gehirnerschütterung erlitten..." "Eine Gehirnerschütterung?" Oh, nein, es war doch wohl nicht das Implantat mit den Aufstiegscodes beschädigt worden! "Rein hypothetisch." Cletus glaubte ihm kein Wort. Von wegen hypothetisch. Der Trottel verheimlichte ihm etwas. "Dann sollten Sie keine Zeit verschwenden und sie umso schneller zu mir bringen. Und wehe, wenn Sie ihr etwas angetan haben. Ich brauche ihr Hirn intakt." "Sie haben sie richtig gern, nicht wahr?" Blödmann! Er hatte halt mal laut gedacht. Natürlich lag ihm auch Goal am Herzen, aber wenn sie hier beide auf Deponia umkamen, weil die Aufstiegscodes verloren waren, wäre auch niemandem gedient. Aber das ging diesen Vollidioten ja nichts an. "Und sie beide sind wirklich verlobt?" So langsam wurde es wirklich schwer ruhig zu bleiben. Wie schade, dass er nicht durch das Funkgerät greifen und den neugierigen Kerl erwürgen konnte. "Was soll die Frage?" "Ach, nichts. Smalltalk." Nach einem kurzen Moment fügte er noch hinzu: "Hat Ihre Verlobte zufällig noch eine Schwester?" Cletus biss die Zähne zusammen. "Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen", log er. Dies war wirklich das letzte, über das er gerade mit diesem Trottel sprechen wollte. "War auch nur so ein Gedanke." "Sie sollten weniger denken. Ihr Kopf scheint mir dafür nicht gemacht zu sein." Rufus blieb einen Augenblick still, dann sagte er endlich: "Keine weiteren Fragen." Dass er das noch erleben durfte! "Sehr gut. Können wir dann jetzt endlich zurück zum Thema kommen?" "Natürlich. Wo waren wir denn gerade?" Idiot! "Sie wollten mir Ihre Bedingungen nennen. Was wollen Sie im Austausch gegen meine Verlobte?" "Ich will mit nach Elysium", kam es prompt zurück. "Unmöglich." Cletus verdrehte die Augen. Warum hatten in letzter Zeit alle möglichen Leute den Drang zu versuchen seine Pläne zu ruinieren? Erst bestand Goal darauf mit nach Deponia zu kommen und jetzt wollte dieser Schrottplatztrottel nach Elysium. "Das ist aber meine Bedingung. Entweder ich komme mit nach Elysium oder..." "Hören Sie, ich kann Sie nicht nach Elysium mitnehmen. Es muss etwas anderes geben." "Eine Passage nach Elysium oder gar nichts." Cletus warf seinem Mikrofon einen wütenden Blick zu, aber leider konnte Rufus das nicht sehen. Er schnaubte abfällig. "Dann eben gar nichts." "Gut. Dann könne Sie ja schon mal die Hochzeit absagen." Was für eine dreckige Ratte! Er wagte es doch tatsächlich Goal als Druckmittel gegen ihn einzusetzen. Cletus wand sich innerlich für einen Moment, aber es half alles nichts. "Warten Sie noch. Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit." Eine Möglichkeit an Goal zu kommen und Rufus dann dem Organon zu überlassen. Argus hatte bestimmt eine Verwendung für ihn und wenn es als Zielübung war. "Wusste ich es doch!" Wie konnte die Kakerlake nur so selbstgefällig klingen? Cletus lächelte schief und warf einen Blick auf seine Karte. Zu einem Organonsprengturm oder Stützpunkt konnte er Rufus schlecht einladen. Da würde sogar dieser Höhlenmensch den Braten riechen. Aber an der Küste der Dreiviertellande fiel ihm ein Ort ins Auge, der wahrscheinlich verlassen und ungestört war. "Bringen Sie Goal bis morgen Abend zur Unteren Aufstiegsstation am Ufer des Rostroten Meeres. Wir treffen uns ganz oben auf der Plattform. Schaffen Sie das?" Zum ersten Mal schlich sich ein Zögern in Rufus' Stimme. "Morgen Abend? Ich weiß nicht genau, ob..." "Jetzt machen Sie mal keinen Rückzieher." Das letzte was Cletus gebrauchen konnte, war Rufus mehr Zeit zu geben das Treffen zu seinen Bedingungen zu planen. Es reichte schon, dass er Cletus dazu gebracht hatte, zuzustimmen ihn nach Elysium mitzunehmen - mal unabhängig davon ob er sich an die Vereinbarung hielt oder nicht. Er durfte Rufus nicht erlauben, noch mehr die Kontrolle zu erlangen. "Oder haben Sie Goal am Ende gar nicht gefunden?" "Doch, doch." "Dann haben wir einen Deal. Ich erwarte Sie nach Sonnenuntergang. Cletus Ende." "Moment noch. Ich...", rief Rufus, doch Cletus griff nach vorn und schaltete den Empfänger ab. Das hatte der Primitivling davon, dass er geglaubt hatte, Cletus erpressen zu können. Rufus würde schon einen Weg finden pünktlich zum Treffpunkt zu kommen. So beharrlich wie der nach Elysium wollte, würde er bestimmt alles in Bewegung setzen. Und dann konnte sich der Organon darum kümmern, die kleine Ratte zu beseitigen.   * * *     Trotz all seiner vielfältigen Begabungen, war Cletus im Lesen von Emotionen zwar nicht schlecht, aber vielleicht nicht ganz so profiliert wie in anderen Dingen. Aber auch er erkannte nur zu deutlich, dass Argus stinkwütend war, als er Stunden später auf die Brücke gestampft kam, wo Cletus auf ihn gewartet hatte. Der Amtmann stieß einen seiner Leute zur Seite und warf Cletus einen finsteren Blick zu. "Bericht!" "Oberkontrollrat Ulysses hat uns informiert, dass er zurück auf dem Planeten ist und uns angewiesen, seine Drohne zu aktivieren. Wir sind dabei, dies in die Wege zu leiten", erwiderte ein Soldat zackig. "Ansonsten ist alles ruhig geblieben, Herr Amtmann. Keine Spur von der Vermissten." Cletus grinste. "Na, haben Sie nichts gefunden? Tja, ich war da erfolgreicher." "Ach?" Argus' Stimme klang noch eisiger als sonst. "Sie haben Ihre Verlobte also wieder? Wo ist sie? Ich sehe nichts von ihr." "Ich habe sie noch nicht hier." Cletus war entschlossen, sich jetzt nicht seinen Triumph ruinieren zu lassen. "Aber ich habe jemanden gefunden, der weiß wo sie ist und der sie zu mir bringen wird." Er grinste breiter. "Wahrscheinlich sind sie schon auf dem Weg." Er sah die Faust im letzten Moment kommen, aber es war zu spät um auszuweichen. Cletus ging zu Boden, konnte sich aber noch halbwegs aufrecht halten. Er schmeckte Blut und als er zaghaft nach seiner Lippe tastete waren die Fingerspitzen seiner weißen Handschuhe rot gefärbt. Fassungslos starrte er zu Argus hinauf und blinzelte. "Was...?" "Sie dämlicher, kleiner Wurm! Sie haben den Idioten angestachelt mit Ihrer Verlobten zu fliehen. Ich hatte sie schon so gut wie in meiner Gewalt, doch dank Ihnen musste ich unverrichteter Dinge wieder abziehen." Cletus machte den Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trocknen. "A-aber Sie haben mir doch gesagt, dass ich per Funk nach ihr suchen soll." "Wollen Sie mir etwa widersprechen? Sie hätten den Deponianer doch anweisen können, Ihre Verlobte dem Organon auszuhändigen. Immerhin wussten Sie, dass ich dorthin unterwegs war." "Darauf hätte er sich nie eingelassen", entgegnete Cletus und erhob sich vorsichtig. Glücklicherweise schien lediglich seine Lippe in Mitleidenschaft gezogen, Zähne waren keine locker. Nichtsdestotrotz würde er diese Aggression nicht so schnell vergessen. Aber zurückzuschlagen schien ihm eine ebenso schlechte Idee. "Ihre Leute haben hier nicht den besten Ruf, Amtmann." Argus schnaubte. "Sagten Sie nicht, dieser jemand..." "Er heißt Rufus." "... dieser Rufus würde Ihre Verlobte zu Ihnen bringen? Wohin haben Sie ihn denn bestellt, wenn nicht zu unserer Basis?" "Am Ufer des Rostroten Meeres gibt es doch noch eine verlassene Aufstiegsstation. Dort soll er Goal hinbringen. Ich habe ihm dafür versprochen ihn nach Elysium mitzunehmen." Er sah wie Argus' Augen schmal wurden und hob beschwichtigend die Hände. "Ich habe natürlich nicht vor, das zu tun. Aber wenn wir Goal erst einmal wiederhaben, sollte es ein Leichtes sein, mit diesem Rufus fertig zu werden." Argus verschränkte die Arme und schien darüber nachzudenken. Schließlich nickte er. "Vielleicht ist das ohnehin die bessere Route." "Was meinen Sie damit?" "Wie Sie auch gerade gehört haben, ist der Oberkontrollrat wieder auf Deponia gelandet. Er ist in seinem Büro in Porta Fisco wird mit dem letzten Hochboot den Planeten verlassen. Zusammen mit Ihnen und Ihrer Begleitung. Zumindest war das der Plan. Allerdings liegt auch bei der Unteren Aufstiegstation ein Notboot vor Anker. Wenn Sie und Fräulein Goal auf diesem Wege nach Elysium zurückkehren, brauchen Sie das nicht zusammen mit Ulysses zu tun, was angesichts der Identität Ihrer Begleiterin ratsam wäre. Die Aufstiegscodes könnten Sie mir auch dort aushändigen, nachdem Sie sie selbst eingegeben haben." Cletus hob eine Augenbraue. "Würde es dem Oberkontrollrat nicht auffallen, wenn ich nicht die geplante Route über Porta Fisco nehme?" "Ich bin sicher, dass Sie ihm glaubhaft machen können, wie sehr Sie sich eine Rückkehr nach Elysium wünschen. Und ich bezweifle, dass er Sie vermissen wird, wenn Sie ein paar Tage früher den Planeten verlassen." "Nun gut. Wie soll ich den Oberkontrollrat kontaktieren? Soll ich wieder in den Funkraum...?" "Das wird nicht nötig sein. Wenn er sich auf dem Planeten befindet, benutzt der Oberkontrollrat für gewöhnlich eine Drohne, um sich mit uns abzustimmen, die bald einsatzbereit sein sollte. Er wird also in der Unteren Aufstiegsstation ebenfalls vor Ort sein, wenn auch natürlich in begrenzter Weise. Aber im Notboot selbst sollten Sie und Ihre Verlobte ganz für sich sein." "Gut, gut." Cletus strich sich nachdenklich über sein Bärtchen. "Ich habe mit Rufus verabredet, dass wir uns nach Sonnenuntergang treffen." "Dann sollten wir nicht zu früh aufbrechen", sagte Argus und lachte leise. "Immerhin wollen wir ja nicht, dass Rufus den Kreuzer sieht und kalte Füße bekommt, bevor wir ihn in der Falle haben."     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)