Der Elysianer von ZMistress ================================================================================ Kapitel 13: ------------ Kapitel 13   "Was soll das heißen: Ich kann nicht mitkommen?" Goal starrte den Organonsoldaten so fassungslos an, dass Cletus in Erwartung eines Donnerwetters die Luft anhielt. "Ich habe es Ihnen doch schon gesagt", antwortete der Organon mit metallisch schnarrender Stimme. "Der Helm, der für Sie vorgesehen war, ist versehentlich beschädigt worden und der Amtmann hat zu Ihrer eigenen Sicherheit bestimmt, dass sie ihn heute nicht benutzen können. Bis morgen oder übermorgen wird sich aber bestimmt ein Ersatz finden lassen." Goals Kinnlade klappte herunter. "Sie machen den Helm kaputt und deswegen kann ich nicht mit?" So langsam machte sich Cletus Sorgen sie könnte handgreiflich werden. "Ich bin sicher es war nur ein Unfall", beeilte er sich einzuwerfen, doch der Organon-Beamte wirkte so unbesorgt und beinahe schadenfroh, dass er sich nicht sicher war, ob das überhaupt stimmte. Goal warf ihm einen finsteren Blick zu, aber zu Cletus' Überraschung beließ sie es dabei. Mit einem Grollen kehrte sie ihm den Rücken und verschwand hinter der kleinen Trennwand. Vielleicht kehrte ja langsam die Vernunft bei ihr ein. Immerhin waren sie jetzt schon seit vier Tagen unterwegs und wann immer sie die Prozedur über sich ergehen lassen hatten, sich in Sicherheitskleidung zu hüllen, die Goal noch immer genauso wenig passte wie am ersten Tag, waren sie dafür lediglich mit dem Anblick einer grauen, steinigen Küste, Flecken von dreckigem Schnee und dunklem Meer belohnt worden. Er selbst hätte gar nichts dagegen, wenn es heute seinen Helm erwischt hätte, aber er bezweifelte, dass es Amtmann Argus gefallen würde, wenn er seinen Helm an Goal abtrat. Mit einem Seufzen schickte er den Organon wieder hinaus und zog sich um. Mit Goal und ihrer schlechten Laune konnte er sich auch später noch beschäftigen, wenn sie etwas Zeit gehabt hatte, sich abzureagieren. Kurz danach trat er auch schon auf den Flur hinaus und folgte dem Soldaten auf die Brücke des Kreuzers. Gelangweilt sah er sich nach Argus um und trat näher an die großen Fenster heran. Irgendetwas war anders, aber... Er schluckte. Da draußen war eine Stadt. Gut, sie war bei weitem nicht so groß wie Porta Fisco und sah nicht so sehr nach ehemalig eleganter Metropole aus. Aber nach all den kargen Felsen, Steppen und trostlosen Küsten hatten die wuchtigen stählernen Gebäude etwas beeindruckendes an sich. Besonders die Außenmauer, die sich ringförmig um die Stadt legte, schien nicht aus Stein sondern aus Metall zu sein und ragte über 100 Meter in die Höhe. Wie breit sie war, konnte er von hier aus nicht feststellen, doch sie wirkte ungeheuer massiv auf ihn. Zudem war er hier weit dichter am Geschehen als von dem Aussichtspunkt auf der Oberen Aufstiegstation und dadurch war es im Gegensatz zu Porta Fisco unverkennbar, dass dieser Ort noch immer bewohnt war. Unter den Gestalten, die sich dort draußen regten, trugen mehr als die Hälfte nicht die graugrünen Uniformen des Organon, sondern waren zum Schutz vor Kälte in mehr oder weniger elegante Mäntel gehüllt. Einige schienen mit dem Transport von Lasten beschäftigt zu sein, bei den meisten anderen konnte er aber nicht erkennen, was sie gerade taten. Cletus zog den Helm vom Kopf und atmete tief durch. Kein Wunder, dass Goal heute eine Zwangspause machen musste. "Willkommen in Morasq, Inspektor." "Amtmann," erwiderte Cletus mit einem knappen Nicken, dann starrte er wieder aus dem Fenster. Argus trat neben ihn und betrachtete ihn von der Seite. "Hätten Sie sich etwas mehr mit unserer Route beschäftigt, wie ich es Ihnen geraten hatte, wären Sie wohl nicht so überrascht." "Ich habe mich damit beschäftigt", erwiderte Cletus, was allerdings nur bedingt der Wahrheit entsprach. "Ich hätte nur nicht erwartet, die Stadt in so einem Zustand zu sehen. Es liegt kaum Müll auf den Straßen und die Häuser befinden sich nicht einmal in einem desolaten Zustand. Statt dessen scheint es sogar Beleuchtung zu geben, die funktional ist und über die nötige Energiequelle verfügt." Der Amtmann verschränkte die Arme und wirkte ziemlich zufrieden mit sich selbst. "Das sollte Sie eigentlich nicht verwundern. Ganz Rußland ist fest in unserer Hand und Morasq steht unter besonderem Schutz des Organon. Handel, Infrastruktur und Energie - keine Entscheidung wird hier ohne Zustimmung des Organon getroffen." Cletus warf ihm einen Blick zu und schnaubte. "Es ist Ihnen wohl schon ganz ans Herz gewachsen." "Es ist notwendig", erwiderte Argus kühl. "Die Kraftwerke in Haccinobyl versorgen nicht nur Rußland, es ist unsere Hauptenergiequelle überhaupt." "Haccinobyl? Sie konnten die Kraftwerke wieder in Betrieb nehmen? Soweit ich gehört habe, sind die doch seit der Katastrophe Jahre vor dem Aufbruch nach Elysium völlig verstrahlt." Argus lachte. "Ja, das hat es etwas komplizierter gemacht. Allein die Freiwilligen, die wir gebraucht haben, um allles wieder aufzubauen... Und diejenigen, die die Kraftwerke nun betreiben halten auch nicht sonderlich lange durch." Cletus hob eine Augenbraue. "Freiwillige?" "Meine Männer treiben sie in den Dörfern zusammen. Nicht in Morasq selbst, natürlich, das würde zuviel Unruhe unter der Zivilbevölkerung auslösen. Ich fürchte mit der Zeit werden uns die Erwachsenen ausgehen. Aber wenn sie Ihre Aufgabe erfüllen, Inspektor, müssen wir ohnehin nur noch ein paar Wochen überbrücken." Zu seiner eigenen Überraschung spürte Cletus einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen. Argus schien sein seine Reaktion ebenso bemerkt zu haben. "Was ist los, Herr Inspektor? Entdecken Sie gerade Ihr Gewissen?" Cletus schüttelte den Kopf. "Reden Sie keinen Unsinn! Es sind lediglich die erbärmlichen Zustände auf diesem Drecksplaneten, die mir auf den Magen schlagen." Argus musterte ihn von oben bis unten. "Vielleicht hören Sie dann endlich auf, dies als Ihre persönliche kleine Urlaubsreise zu behandeln. Schon wie sie sich mit Ihrer Verlobten vergnügen... Einfach erbärmlich." Er schnaubte. "Und ihre Fitness ist sogar noch beklagenswerter als ich vermutet hatte." "Was soll das heißen? Wovon reden Sie?!" Der Amtmann lachte leise. "Dann ist Ihnen die Überwachungskamera in Ihrem Quartier gar nicht aufgefallen?" Cletus wurde noch blasser als sonst. "Sie haben..." Er schnappte nach Luft. "Wie können Sie es wagen?! Sie widerlicher, voyeuristischer Bastard!" Er ballte die Fäuste und wollte sich auf Argus stürzen, doch der trat nur einen Schritt beiseite und hob eine Hand woraufhin mehrere seiner Männer ihre Waffen zückten und sich näherten. Cletus erstarrte und ließ die Fäuste wieder sinken. "Aber, aber, Herr Inspektor. Sie sollten Ihre Position nicht vergessen. Sie brauchen mich. Und ich brauche Sie. Solange Sie sich auf den Ernst dieser Mission besinnen und sich mit Ihrer Verlobten etwas... angemessener verhalten, wird unsere Zusammenarbeit ganz bestimmt von Erfolg gekrönt sein." Cletus atmete schwer. Ein Teil von ihm brannte vor Wut auf Argus. Wie konnte er sie nur in ihren intimsten Momenten bespitzeln und sich dann auch noch so abfällig äußern?! Nicht dass er sich seines Körpers wirklich schämte, aber er zog es vor, selbst zu entscheiden, wer ihn so sah. Doch auf der anderen Seite wusste er, dass Argus recht hatte. Sie brauchten einander. Noch. Schließlich nickte er.   * * *     "Was ist bloß los mit dir, Cletus? Seit du gestern zurückgekommen bist, redest du kaum noch mit mir und hältst Abstand. Jetzt sag mir doch endlich was passiert ist, ja?" Cletus unterdrückte ein Seufzen. Natürlich musste Goal gerade jetzt ihre sanfte Seite entdecken, wo er sich eigentlich von ihr fernhalten wollte. Er hatte den halben Abend überlegt ob und wie er ihr beibringen sollte, was ihm Argus über die Überwachungskameras gesagt hatte, aber letztlich hatte er doch geschwiegen und lediglich große Müdigkeit vorgetäuscht. Als er nicht antwortete legte sie ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn zu sich. Cletus' Lippen kräuselten sich. "Goal, bitte. Nicht jetzt!" "War da irgendwas besonderes, das du gesehen hast?" "Nein, nur Steine, Meer und Dreck. Wie immer." Sie hob eine Augenbraue. "Komisch. Dabei sollten wir doch langsam in der Region von Morasq sein." "Ja, kann sein", grummelte er. "Ein paar Ruinen waren vielleicht auch da." Sie ließ ihn los und verschränkte die Arme. "Cletus, erzähl mir jetzt endlich was los ist!" Er wich ihrem Blick aus. "Es wird dir nicht gefallen." "Und es wird nicht besser, wenn du es nicht endlich aussprichst." Cletus seufzte, dann gestikulierte er vage gen Zimmerdecke. "Sie haben Überwachungskameras in den Kabinen." Goal starrte ihn an. Dann zur Zimmerdecke, dann wieder zu ihm. Sie atmete tief durch und setzte sich auf's Bett. "Ach so", sagte sie in beinahe gleichgültigem Tonfall. "Natürlich." Cletus blinzelte. "Du nimmst das besser auf als ich erwartet hatte." "Ich hätte mir so etwas denken sollen. Immerhin untersteht der Organon einem echten Kontrollfreak. Aber das ändert nichts daran, dass ich Argus umbringen werde, sobald wir wieder zu Hause sind." Er war sich alles andere als sicher, dass sie scherzte. "Goal, vielleicht sollten wir über solche Angelegenheiten... später reden." Er lehnte sich zu ihr hinüber und flüsterte: "Wenn wir nicht mehr überwacht werden." Sie dachte einen Moment nach und nickte dann. "Ach, Cletus, wenigstens kann ich mich auf dich verlassen." Er lächelte angestrengt und wich ihrem Blick aus. Wenn diese verfluchte Reise doch nur schon vorüber wäre! Sie verbrachten die Zeit schweigend bis endlich einige Organons mit ihrer Ausrüstung auftauchten. Dieses Mal war wieder für sie beide etwas dabei und Goal war geradezu unheimlich höflich als sie den Soldaten dankte und sich in ihr unbequemes Outfit helfen ließ. Es machte ihm beinahe noch mehr Angst als wenn sie ihre Wut offen gezeigt hätte. Sie waren alle inzwischen etwas routinierter darin, die Rüstungen und Helme anzulegen, aber die Organons fanden jedes Mal Wege, die Prozedur trotzdem in die Länge zu ziehen. Schließlich trafen sie dennoch auf der Brücke ein und Cletus warf sofort einen nervösen Blick aus dem Fenster. Doch sie hatten Morasq inzwischen weit hinter sich gelassen. Noch immer führte ihre Route an der Küste entlang; manchmal standen die Stützpfeiler der Einschienentrassen an Land, doch teilweise waren sie auch ins Meer eingelassen und erlaubten lediglich einen Blick auf die gischtumspülten Felsen der Küste. Doch allmählich schien sich die Landschaft zu ändern. Nach all dem Grau Rußlands konnte Cletus es kaum glauben, doch es gab auch auf Deponia anscheinend doch noch so etwas wie Vegetation. "Ist das ein Wald?" fragte Goal, deren Stimme sich durch den Helm seltsam dumpf anhörte. Argus trat zu ihnen und falls er über den Mangel an einer Begrüßung erzürnt war, so zeigte er es nicht. "Man könnte es eine Art Wald nennen. Diese Region trägt den 'idyllischen' Namen 'Parks', aber zu diesem grünen Etwas da draußen sagen - ich meine natürlich sagten - die Einwohner 'der Kompost'." "Kompost?" wiederholte Cletus und verzog angeekelt das Gesicht. "Ist das auch der Grund warum es hier so stinkt?" "Ja", antwortete Argus, der für Cletus' Geschmack eine Spur zu amüsiert klang. "In diesem Gebiet wurden früher sämtliche Arten von Biomüll abgeladen. Und aus diesem Gemisch aus Bananenschalen, ranzigem Käse und gebrauchten Teebeuteln ist etwas gewachsen, hat weiter und weiter um sich gewuchert, bis es dieses Ding wurde. Es mag sein, dass ein paar mutierte Samen in dem ganzen Durcheinander gelandet sind und vielleicht hat der Wald auch einige neugierige Botaniker geschluckt als es noch welche gab. Aber wenn man auf Deponia einen Ort mit Stränden und malerischem Grün sucht, dann hat man ihn hier gefunden." "Es... es riecht wirklich... fürchterlich", sagte Goal und klang als ob sie ein Würgen unterdrückte. "Ich dachte wir würden diese Dinger hier tragen, weil darin Luftfilter sind." "Richtig. Aber glauben Sie mir: Ihre hochwohlgeborenen Nasen würden es vermutlich nicht überstehen, wenn sie nicht wenigstens diese Filter hätten." Cletus fühlte seinen Magen einen kleinen Hüpfer machen als der Kreuzer sich der Küste und damit dem "Kompost" weiter näherte. "Wie... groß ist dieses Ding?", fragte er zögernd. Argus gluckste. "Es überzieht beinahe den ganzen Nordwesten des Kontinents. Aber keine Sorge, Herr Inspektor, Sie werden ihn noch ausgiebig zu Gesicht bekommen. Der Kompost ist zwar nahezu undurchdringlich, aber in vier Tagen kommen wir an eine Stelle, an der wir es geschafft haben das Gleis über den Wald zu bauen. Dann können Sie diese Laune der Natur noch einmal von nahem bewundern." Cletus biss die Zähne zusammen und schluckte angestrengt. "Wie faszinierend", brachte er heraus. "Ich werde einen detaillierten Bericht darüber verfassen. Von meiner Kabine aus." "Natürlich. Ich hatte auch nichts anderes von einem Mann mit ihrem Arbeitsethos erwartet." Cletus griff nach Goals Arm und war erleichtert als sie ihm sofort folgte. Sie schwieg, doch er konnte spüren wie angespannt sie war. Kaum dass die Tür zur Brücke hinter ihnen zuglitt, konnten sie hören wie mehrere der Organons in Gelächter ausbrachen, aber es war ihm gleich. Er konnte sich nicht daran erinnern jemals etwas so widerlich gefunden zu haben wie diesen Planeten und er konnte Ulysses' Eifer den Dreck hinter sich zu lassen besser verstehen als je zuvor. Vielleicht würde Goal das irgendwann auch endlich einsehen.   * * *     Er hatte es alles so satt. Nicht wortwörtlich, denn seit sie in Parks waren, konnte Cletus kaum noch einen Bissen herunterbringen. Der Geruch war nach und nach in den gesamten Kreuzer eingedrungen und er fragte sich ob er ihn jemals wieder los werden würde. Dazu kam noch, dass dieser Urwald Chemikalien absonderte, die sich allem Anschein nach auf das Bewusstsein auswirkten. Er hatte noch nie derartige Träume gehabt wie er zur Zeit im wachen Zustand erlebte. Wenn es wenigstens gute Träume wären... Goal machte es sich leicht. Sie lag die meiste Zeit im Bett und hatte darauf verzichtet noch einmal mit auf die Brücke zu kommen. Dadurch hatte er zwar die Gelegenheit sich offen mit Argus zu unterhalten, aber er war sich nicht sicher ob er das nun ausgerechnet als Vorteil zählen sollte. Bei dem meisten, was der Amtmann über die Region zu sagen hatte, lief es Cletus kalt über den Rücken. Er wollte nicht wissen, dass die Hippies, die sich am Rande des und manchmal auch im Kompost herumtrieben, kleinere Patrouillen des Organon hin und wieder angriffen und keine Überlebenden hinterließen. Oder dass es im Süden eine Klonanlage gab, deren Rohstoffe größtenteils aus gefangen Hippies bestand. Er hatte ja damit gerechnet, dass diese Inspektion kein Zuckerschlecken werden würde, aber er hatte erwartet, dass zumindest der Organon durch seine Beziehungen zu Elysium ein wenig mehr Zivilisiertheit abbekommen hätte. Er hätte genausogut darauf hoffen können, einen Sternekoch und eine Cocktailbar zur Verfügung zu haben. Sie reisten mehrere Tage Richtung Süden und als Cletus begann zu befürchten, dass sie bei der Klonanlage Halt machen würden, von der Argus gesprochen hatte, trafen sie auf eine andere Kreuzertrasse, die in Ost-West-Richtung verlief. Zu seiner Erleichterung schlugen sie den Weg Richtung Osten ein und binnen eines Tages wich der Urwald einem Gebirge, das er schon seit einigen Tagen von weitem gesehen hatte. Die Spiky Mountains waren berühmt für ihre unberechenbaren Magnetfelder, doch der Organon hatte sich mit brachialer Gewalt und mehreren Plasmapulskanonen Wege gebahnt, auf denen ihre Kreuzer sicher hindurch kamen. Endlich hatten sie Parks hinter sich gelassen. Leider hatten sie damit erst ungefähr die Hälfte ihrer Reise, vielleicht auch etwas mehr, hinter sich. Vor ihnen erstreckte sich Miserior, ein Land, das sich vor allem dadurch auszeichnete, dass es hier nichts gab. Gut, es gab Insekten. Und Müll. Und Steine. Und sehr viel Langeweile. Inzwischen bedauerte Cletus zutiefst, dass er nicht wie Frau Kinkel das geplant hatte, einen Haufen Bücher mitgenommen hatte. Also verbrachte er seine Zeit damit, an seinem Bericht zu feilen, während Goal ihm über die Schulter sah und die Tage zählte, die sie noch hinter sich bringen mussten. Zumindest war sie nun von ihrer Abenteuersehnsucht geheilt, da war sich Cletus ziemlich sicher. Wenn sie nur nicht immer gleich so müde wirken würde, wann immer er versuchte ihre Hochzeit zu planen. "Zum Dinner sollten wir auf jeden Fall auch eisgekühlten Kaviar servieren", versuchte er es gerade mal wieder. "Und dann noch-" "Du magst doch nicht mal Kaviar", murmelte Goal, die bis dahin schweigend auf dem Bett gelegen und Löcher in die Luft gestarrt hatte. "Das ist doch irrelevant. Es gehört einfach zu einem gewissen Standard dazu." "Warum? Weil es furchtbar teuer ist?" Manchmal schien Goal selbst zu vergessen, dass sie eine Lady war. Cletus verdrehte die Augen. "Darüber müssen wir uns nach unserer Rückkehr doch keine Gedanken mehr machen. Vergiss nicht, ich bin befördert worden." Er grinste selbstgefällig. "Außerdem ist es soweit ich weiß Brauch, dass der Vater der Braut die Hochzeit ausrichtet." Goal machte ein genervtes Geräusch. "Ach daher weht der Wind. Du witterst eine Gelegenheit mit fremdem Geld anzugeben." "Goal..." "Da fällt mir ein", fuhr sie unbeirrt fort. "Wie hast du es eigentlich geschafft, meinen Vater umzustimmen? Selbst kurz vor deinem Antrag war er noch schrecklich schlecht auf dich zu sprechen. Und dann ändert er seine Meinung plötzlich um 180 Grad. Da frag ich mich natürlich wieso." Cletus schluckte. Die Unterhaltung entwickelte sich so gar nicht in die richtige Richtung. "Nun, ahem, er, äh, hat sein Bild von mir wohl noch einmal überdacht. Weil... weil ich zum Botschafter ernannt wurde. Ja. Genau. Ich bin ja jetzt Botschafter Elysiums und das hat sein Vertrauen darin, dass ich gut für dich sorgen könnte, bestimmt gestärkt." "Hmm, das mag sein. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass hier irgendetwas faul ist. Dass er etwas vor hat und Argus davon weiß. Deshalb benimmt der sich auch so komisch." Das war gar nicht gut. "Goal, ich bitte dich. Der Amtmann benimmt sich doch nicht komisch." Er beugte sich zu ihr und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: "Nicht jetzt, Goal. Du weißt doch! Die Kameras!" Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu und nickte, doch das ungute Gefühl in Cletus' Magengegend wollte nicht verschwinden. Was für ein Glück, dass sie es fast durch Miseria hindurch geschafft hatten. Morgen würden sie die Schrapnellküste erreichen und nach drei weiteren Tagen waren sie zurück in den Dreiviertellanden und damit nicht mehr weit von der Ostküste und Porta Fisco entfernt. Mit etwas Glück war er in sechs oder sieben Tagen zurück im Hochboot und auf dem Heimweg nach Elysium, zurück in das bessere Leben, das er verdient hatte.   * * *     Die Schrapnellküste hatte ihn seinen letzten Nerv gekostet. Das Land war vollgestopft mit Kriegsgerät, sowohl total schrottreifem als auch noch einigermaßen funktionalem. Außerdem lebte hier ein Menschenschlag von - laut Argus - "kompletten Vollidioten". Der Organon hatte es aufgegeben zu versuchen, Ordnung in diesen Haufen zu kriegen. Die Bewohner der Schrapnelküste waren ständig auf der Hut vor den Leuten aus anderen Ländern, die wahrscheinlich bald einen Krieg mit ihnen starten konnten. Bis es soweit war, führten sie eben Krieg untereinander. Bei den ersten Explosionen, die sie von fern gehört hatten, war Cletus noch jedes Mal ganz furchtbar zusammengezuckt. Aber er hatte Goal das Ganze als Selbstentzündungen der Mengen an Schießpulver und Sprengstoff, der hier lagerte, verkaufen können. Immerhin war die Sonneneinstrahlung hier ganz enorm und das Klima sehr trocken. Davon konnte sich Goal an dem einzigen Tag, an dem Argus sie auf die Brücke ließ, auch selbst überzeugen. Der Amtmann machte sich inzwischen nicht mehr die Mühe, sich Ausreden auszudenken, warum er Goal nicht aus ihrer Kabine ließ. Cletus wartete auf den Moment, da sie explodieren würde und hoffte inständig sie würde noch bis zu ihrer Rückfahrt damit warten. Immer öfter zog er das Backup von Goals Erinnerungsspeicher aus der Reisetasche um sich davon zu überzeugen, dass es noch da war. Schließlich steckte er es sich ganz in die Hosentasche um es stets an der Hand zu haben. Als sie endlich die Grenze erreichten und wie zum Abschied hinter ihnen eine letzte Detonation grollte, war er sich sicher, dass sie das schlimmste hinter sich haben mussten. Die Dreiviertellande waren vom Organon in drei Quadranten eingeteilt worden: Den Nordquadranten, den Südqudranten und den Südwestquadranten. Cletus fragte sich beiläufig ob der Organon wusste, was das Wort "Quadrant" implizierte, aber er hatte keine Lust sich darüber auf eine Diskussion mit Argus einzulassen. Hauptsache er war bald hier weg. Anderthalb Tage später betrachtete Cletus ein weiteres Mal gelangweilt die vorbeiziehende Szenerie von der Brücke des Kreuzers aus. Die Landschaft hier war ebenso trocken und karg wie an der Schrapnellküste mit nicht viel Vegetation außer Kakteen; lediglich der Schrott, der alle Wege säumte, war weniger martialischer Natur. In gewissen Abständen waren immer wieder Dörfer vom Kreuzer aus zu sehen, teilweise weit entfernt, aber manche auch so nah, dass man ohne sich anzustrengen Details entdecken konnte. Und Menschen natürlich. Es war daher kein Wunder, dass Argus sich auch heute nicht die Mühe gemacht hatte, für Schutzkleidung für Goal zu sorgen. Goals Abwesenheit bedeutete auch, dass Cletus keinen Helm tragen musste um den Anschein einer giftigen Atmosphäre aufrecht zu erhalten und zumindest das verbuchte er als Pluspunkt. Er war das Versteckspiel einfach nur Leid. "Ihre Verlobte wird immer ungehaltener", knurrte Argus neben ihm. Cletus warf ihm einen Blick zu, doch die Augen hinter dem getönten Visier verrieten nicht viel. Er schnaubte. "Was auch kein Wunder ist, so wenig Sie sich Mühe geben, uns nicht zu verraten. Sie lassen sie kaum noch aus unserer Kabine heraus, da ist es nicht überraschend, dass sie Misstrauen entwickelt." "Wenn Sie nicht so ein Schlappschwanz gewesen wären, der ausgerechnet seine Verlobte mitnehmen musste, dann müsste ich mich darum auch gar nicht kümmern. Es war ausgemacht gewesen, dass Ihre Begleiterin die Reise über in ihrer Kabine bleibt ohne aufzumucken. Aber nein, daran konnten Sie sich ja nicht halten!" "Es war doch nicht meine Idee, Goal mitzunehmen!" gab Cletus zurück. "Ich habe lediglich aus einer verzwickten Lage das Beste gemacht, während Sie all meine Anstrengungen zu boykottieren versuchen!" "Alles was ich sehe ist wie sie Ihre ohnehin begrenzten Fähigkeiten verschwenden um den Hanswurst für ein verzogenes Prinzesschen zu spielen. Sie sind von Zeit zu Zeit recht clever, Cletus, aber wenn es um diese Frau geht, führen Sie sich auf als würde Ihre zu eng geschnittene Hose jeglichen Verstand abklemmen!" Cletus öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Was für eine Frechheit anzudeuten, er würde nicht mit Goal fertig! Als würde sich jemand wie er auf der Nase herumtanzen lassen! Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zu ihrer Kabine zurück. Sollte dieser dämliche Fatzke doch denken was er wollte. Wahrscheinlich war er ohnehin nur neidisch, weil er in seinem ganzen Leben noch nie die Aufmerksamkeit einer Frau genossen hatte. Er dachte gerade noch daran, den Helm wieder aufzusetzen, bevor er die Kabine betrat, nur um ihn sich wieder vom Kopf zu reißen, kaum dass er drinnen war. Goal saß auf dem Bett und sah überrascht auf als er hereinkam. "Ich habe dich noch gar nicht wieder erwartet, Cletus. Was ist los?" Er schnaubte und ließ den Helm auf das Bett fallen. Im selben Moment schoss eine Echse von etwa der Größe einer Katze getroffen aus ihrem Nest in der Bettdecke und war zischend um eine Ecke herum verschwunden. "Poisy!" rief Cletus erschrocken. Auch Goal war aufgesprungen. "Es tut mir leid, Cletus. Ich habe ihn aus seinem Käfig geholt und wollte nur etwas mit ihm spielen." Das auch noch! Er sank in die Hocke und versuchte den Pestspeichelwaran zu entdecken. Dieser raste immer noch aufgebracht in der Kabine hin und her. Er schien ein passendes Versteck zu suchen, doch als Cletus ihn in einer dunklen Ecke stellte, flitzte der Waran zwischen seinen Beinen hindurch und zur Tür. Das wäre noch kein so großes Problem gewesen, wenn sich diese nicht in eben diesem Moment geöffnet hätte. Ein Organon streckte den Kopf hinein und begann mit: "Der Amtmann schickt mich. Ich soll Ihre Schutzausrüstung-" Weiter kam er nicht, denn Poisonous entdeckte die neue Fluchtmöglichkeit sofort und raste hinaus in den Korridor. Cletus fluchte und nahm die Verfolgung auf. Auf dem Gang sah er hektisch hin und her, dann entdeckte er einen gelblichen, schuppigen Schwanz, der gerade hinter einer der Stützen verschwand, die in regelmäßigen Abständen in das Geländer eingelassen waren. Er stürzte an das Geländer und sah in die Tiefe. Poisonous hatte das offene Treppenhaus genutzt und war auf einer niedrigere Ebene gesprungen. Cletus entdeckte einen Fahrstuhl in der Nähe und hämmerte ungeduldig auf den Knopf neben der Tür. In diesem Moment hatte der Organon ihn eingeholt. "Sie dürfen Ihr Haustier nicht einfach hier frei herumlaufen-!" "Wegen Ihnen ist er doch überhaupt erst entkommen!", unterbrach ihn Cletus. "Wenn Sie nicht so dämlich in der Tür gestanden hätten, dann hätte ich ihn längst wieder eingefangen. Na los, helfen Sie mir!" Der Organon starrte ihn einen Moment nur an, dann zog er einen Handblaster und sah sich um. "Wo ist Ihr Tier denn?" Cletus griff genervt nach dem Blaster. "Sie werden doch wohl nicht auf ihn schießen! Er ist mein Haustier!" "Das ist mir doch egal. Ich muss für Ordnung sorgen!" So kam er also nicht weiter. "Hören Sie: Es wäre Wahnsinn, hier drin um sich zu schießen. Denken Sie nur daran, was Sie an Einrichtung zerstören könnten." "Oh. Da haben Sie schon recht. Das sagt der Amtmann auch immer." Der Organon gab seinen Widerstand auf und ließ sogar den Blaster los. Cletus nutzte die Gelegenheit und steckte den Blaster sicherheitshalber ein. Da er immer noch seine geliehene Uniform trug, wenn auch ohne den Helm, hatte er sogar ein leeres Holster dafür. Dann öffnete sich der Fahrstuhl und die beiden taumelten hinein. "Verdammt!", schimpfte Cletus. "Jetzt habe ich nicht gesehen, welche Richtung Poisonous eingeschlagen hat." Er drückte einen Knopf um abwärts zu fahren und presste das Gesicht an eine kleine Scheibe, die in der Fahrstuhltür eingelassen war. Endlich entdeckte er weit unten eine Bewegung, dort wo er den Maschinenraum und die Antriebsräder des Kreuzers vermutete. Der Organon neben ihm verschränkte die Arme. "Warum wollen Sie das Viech überhaupt wieder haben? Anscheinend findet der den Ausgang schon allein und dann sind sie das Ding endlich los." Cletus warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Er gehört mir! Sie mögen das nicht begreifen, aber... aber es geht Sie auch gar nichts an!" Er fühlte sich seltsam leer bei dem Gedanken, Poisonous verlieren zu können. Er war doch schon so lange da gewesen. Seit Cletus entschieden hatte ihn zu behalten anstatt ihn einstampfen zu lassen, war der Waran sein Gefährte gewesen. Und jetzt... Er schluckte. Endlich waren sie im untersten Stockwerk angekommen. Cletus ignorierte den Organon und sah sich sofort um. "Poisy? Wo bist du? Komm, Kleiner! Papa wartet!" Er lief rufend durch einen Korridor an zwei anderen verdutzt wirkenden Organons vorbei und gelangte dann durch einen Durchgang zu einer Plattform, von der aus man einen direkten Blick auf die Schiene hatte. Zwei gewaltige Räder, die durch eine Achse verbunden waren, trieben den Kreuzer an und hielten ihn auf der Spur. Jenseits der Schiene konnte er freien Himmel erkennen und mehrere Meter unter sich den Boden, wie er unter dem Kreuzer dahin huschte. Deponianischer Boden. Staub, Dreck und Müll. Doch da, zwischen einem Autoreifen und einem kaputten Kühlschrank, sah er ein blassgelbes Tier sitzen. Dann rauschte der Kreuzer weiter und er konnte ihn nicht mehr sehen. "Poisy!!" Cletus hatte die Sicherheitsreeling gepackt. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Das durfte nicht sein! Vielleicht hatte er sich vertan. Aber eigentlich wusste er, dass er Poisonous nicht wiedersehen würde. Er blieb noch eine Weile dort stehen und starrte in die Deponianische Einöde hinaus, dann machte er sich mit hängendem Kopf auf den Rückweg. Er ignorierte die Organons, die versuchten ihn anzusprechen. Er konnte nur daran denken, wie er Goal das Ganze beibringen sollte und was er tun würde, falls sie verlangte, zurück zu fahren und Poisonous zu suchen. Er seufzte. Das war natürlich absurd. Aber Goal war weit emotionaler als er und würde sich den Verlust sicher zu Herzen nehmen. Er spürte einen Kloß im Hals und räusperte sich. Gut, dass er nicht so weich war. Die Rückfahrt nach oben schien viel schneller von statten zu gehen als der Weg hinunter und er hatte sich immer noch keine gute Erklärung zurecht gelegt. Ach, sei's drum. Er würde eben improvisieren müssen. Die Tür zu ihrer Kabine glitt auf und er setzte eben dazu an, ihr alles zu erzählen, doch als er sich umsah, stutzte er. Er warf einen Blick hinter die kleine Trennwand, doch es blieb dabei. Goal war fort. 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