Der Elysianer von ZMistress ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Kapitel 7   "Cletus? ...Cletus!" Er hörte dumpf jemanden seinen Namen rufen, aber sein Kopf fühlte sich wie in Watte gepackt an. Unwillig verzog er das Gesicht und kniff die Augen nur noch fester zu. Jemand packte seine Schultern und rüttelte an ihm. Cletus stöhnte und versuchte die Hände wegzuschieben, doch nun kam auch wieder die Stimme dazu. Schließlich gab er auf und blinzelte vorsichtig nach oben. Das Licht war grell und tat ihm in den Augen weh, doch einen Moment später erkannte er seinen Besucher. "Arron?" Cletus' Stimme klang so dumpf wie sich sein Kopf anfühlte. "Was machst... Wie bist du hier rein gekommen?" Arron setzte sich neben ihn auf die Bettkante. "Der Hausbot hat mir die Tür geöffnet. Aber als er mich nicht reinlassen wollte, musste ich ihn... äh... ausschalten." "Du hast meinen Hausbot kaputt gemacht?" Cletus schnaufte ärgerlich. "Geh weg, Arron. Lass mich in Ruhe." "Das werde ich ganz sicher nicht tun. Jedenfalls nicht, ehe du mir sagst was mit dir los ist." Arron verzog das Gesicht. "Ich hätte nicht gedacht, dass das überhaupt möglich wäre, aber du stinkst, Cletus. Ich wage es kaum zu fragen, aber wie lange hast du dich nicht gewaschen? Du siehst furchtbar aus." Unwirsch dreht sich Cletus zur Wand. "Was spielt das überhaupt für eine Rolle? Es macht ohnehin keinen Unterschied was ich tue." Arron war einen Moment völlig still, dann sagte er leise: "Du fängst an, mir Angst zu machen. Was ist bloß passiert?" Cletus ignorierte ihn und schloss die Augen wieder. Arron das Herz auszuschütten war nun wirklich das letzte was er tun wollte. Aber er hatte ja Übung darin Arron los zu werden. Er musste ihn nur noch ein bisschen länger ignorieren, ihn zur Not beleidigen, falls er hartnäckig blieb und dann würde er bestimmt- "Hey!" quietschte Cletus als Arron ihm die Decke wegzog, ihn kurzerhand um die Taille fasste und ihn sich über die Schulter warf. Wie konnte er nur? Gut, er war mehr als einen Kopf größer als Cletus und letzterer war nicht sonderlich schwer. Aber hatte Arron denn auf einmal seinen Geruchssinn verloren? Was nutzte es, dass sich Cletus so gehen lassen hatte, wenn er damit doch niemanden fernhalten konnte? Arron setzte sich in Bewegung, aber während Cletus noch überlegte, was er vorhaben mochte und was er dagegen tun konnte, betrat Arron schon das Badezimmer und setzte Cletus mehr oder weniger unsanft in der Dusche ab. Zwar trug letzterer nur einen Bademantel, doch den hielt er nun um so fester geschlossen. "Vergiss es Arron, ich werde ganz sicher nicht-" Cletus Blick fiel auf den mannshohen Spiegel, den er selbst gegenüber der Dusche angebracht hatte, um sich angemessen bewundern zu können. Leider war das mit dem Bewundern zur Zeit etwas schwieriger. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, seine Wangen waren eingefallen und von dunkelbraunem Bart überwuchert. Er warf Arron einen verwirrten Blick zu, sah dann wieder in den Spiegel und zurück zu Arron. "Ich... Wie lange bin ich...?" Arron seufzte. "Du bist seit über fünf Wochen nicht mehr zur Arbeit gekommen. Oma Auria schwankt schon eine Weile zwischen Sorge, dass du etwas verbockt haben könntest, Hoffnung, dass du die Arbeit gar nicht mehr nötig hast, und Wut, dass du nicht von dir hören lässt, hin und her. Hast du denn gar nichts mehr mitbekommen?" Er rümpfte die Nase. "Hast du vielleicht getrunken, Cletus?" Das hatte er. Nahm er an. Die letzten Wochen waren ein langer verschwommener Zeitraum in seinem Gedächtnis. Er hatte die meiste Zeit geschlafen, hatte gegessen was der Hausbot gekocht hatte und sich gelegentlich hochgekämpft um sich zu erleichtern. Zwischendurch erinnerte er sich auch dunkel an leere Flaschen neben seinem Bett und furchtbare Kopfschmerzen, aber er konnte nicht mehr sagen, wie viel und was genau er da getrunken hatte. "Lass mich in Ruhe, Arron. Es geht dich gar nichts an, was ich mache. Und Auria mit ihrer gehobenen Gesellschaft kann mich auch mal gerne haben." "Jetzt bin ich mir sicher, dass du krank bist", gab Arron kopfschüttelnd zurück. "Oder dass du einen Schlag auf den Kopf bekommen hast." Cletus konnte nicht verhindern, dass er zusammenzuckte. Er sah wie Arron sich nach vorn lehnte und wusste, dass ihm die Reaktion auch nicht entgangen war. Was nun? Er konnte Arron nicht von Hawk erzählen, ohne von seiner Demütigung beim Türsteher zu reden. Ein entnervtes Stöhnen entfuhr ihm. "Sagt dir eigentlich seit ich ausgezogen bin niemand mehr wie penetrant du bist? Was muss ich denn tun, um dich wieder loszuwerden?" Arron verschränkte die Arme. "Ich werde dich auf keinen Fall in diesem Zustand alleine lassen. Aber ich mache dir einen Vorschlag: Du machst dich sauber und in der Zeit mache ich dir was zu essen. Wenn du das gegessen hast und wieder etwas stabiler wirkst, kannst du entscheiden ob du mir erzählen willst, was passiert ist. Falls nicht lasse ich dich wieder in Ruhe." "Na schön", gab Cletus zurück. "Dann sieh zu, dass du aus dem Badezimmer verschwindest, damit ich duschen kann." Das selbstzufriedene Grinsen in Arrons Gesicht störte ihn zwar schon, aber Cletus wollte nicht riskieren, dass sein Adoptivbruder noch länger blieb, wenn er ihn darauf ansprach. Also sah er Arron nur schweigend hinterher und zog vorsichtig den Bademantel aus, nachdem er hörte er, dass sich die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte. Er hatte mit Überbleibseln seiner Blessuren gerechnet, doch als er an sich heruntersah, konnte er keine Spuren seiner Prellungen mehr sehen. Anscheinend hatte er die Prügel besser verkraftet als er gedacht hatte. Cletus lehnte sich zurück und schaltete das Wasser ein. Er schloss die Augen. Wie hatte er nur so lange ohne das auskommen können? Es tat so gut, wie das warme Wasser seinen Rücken hinabfloss. Seine Muskeln entspannten sich und er seufzte zufrieden. Er griff nach dem Duschgel und seifte sich von Kopf bis Fuß ein. Dann spülte er alles ab und begann wieder von vorn. Mit jedem Mal, bei dem er zusah wie das Wasser mit seinem Dreck im Abfluss verschwand, fühlte er sich mehr wie er selbst. Doch als er wieder einen prüfenden Blick in den Spiegel warf, ließ ihn sein Bart erneut stutzen. Entschlossen stieg er aus der Dusche und griff zum Rasierer. Eine Weile später waren seine Wangen wieder makellos und glatt. Einzig unter der Nase und am Kinn hatte er noch Arbeit vor sich. Aber während er noch penibel alle Härchen von seiner Oberlippe entfernte kam ihm ein Gedanke. Im Grunde mochte er den Kontrast zwischen dem dunklen Haar und seiner hellen Haut. Dazu kam, dass der kleine Haarbüschel an seinem Kinn sein Gesicht streckte und ihn ein wenig älter und reifer wirken ließ. Er gab sich Mühe das Bärtchen in Form zu bringen und betrachtete sein Werk. Es war ein wenig ungewohnt, aber ihm gefiel sehr was er da sah. Beinahe summte er selbstzufrieden als er einen sauberen Bademantel aus dem Schrank holte und anzog, bevor er zurück ins Wohnzimmer marschierte und nach Arron Ausschau hielt. Der Hausbot stand noch immer stumm und außer Betrieb nahe der Tür. Cletus hoffte sehr, dass er ihn bald wieder zum Laufen bekommen würde. Aber da Geräusche aus der Küche drangen und es nicht der Hausbot sein konnte, steckte er einen Moment später seinen Kopf durch die Tür und betrachtete Arrons Versuche ein leicht verbranntes Spiegelei auf einen Teller zu bugsieren. "Ich hoffe, du hast andere Talente als Kochen", kommentierte Cletus trocken und ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder. Arron sah zu ihm auf und grinste. "Ich kriege zum Beispiel schlaffe Patienten dazu, wieder auf die Beine zu kommen." "Patienten?" Arrons Grinsen wurde noch breiter. Er griff nach einem zweiten Stuhl und setzte sich ihm gegenüber. "Ja, noch ein paar Jahre und du darfst mich 'Herr Doktor' nennen." Cletus hob die Augenbrauen. Er hatte in den letzten Jahren so wenig Zeit mit ihm verbracht, dass er das Gefühl hatte, Arron kaum zu kennen. "Du willst Arzt werden? Was sagt denn dein Vater dazu?" Arron seufzte, schien aber in seinem Enthusiasmus kaum gebremst. "Er meint, dass anderswo mehr zu holen wäre, aber im Großen und Ganzen ist er zufrieden. Ich soll mich nur bald spezialisieren, aber das hatte ich ohnehin vor." Auch wenn er nun wirklich nicht zum Neid neigte, war es einfach nur unfair, wie Arron alles bekam, was Cletus gerne hätte. Er grollte etwas in seinen nagelneuen Bart, doch Arron beachtete ihn nicht weiter. "Ich habe beim Studium eine alte Freundin von dir kennengelernt", fuhr Arron unbeirrt fort. "Lucia. Ihr wart doch mal zusammen, oder? Naja, sie forscht eher in Richtung Genetik, will ausgestorbene Tierarten zurückbringen und so. Und ich konzentriere mich mehr auf Menschen, aber auch Technik. Besonders Hirnforschung interessiert mich. Ich will mal Neurochirurg werden und-" "Du willst was?!" Cletus schnaubte. "Erst vergeudest du deine Zeit in der Fun-Zone und jetzt bildest du dir ein, du könntest anderen am Bewusstsein herumpfuschen?" Arron schüttelte den Kopf. "Cletus, da war ich vierzehn. Und jetzt gehe ich noch eine ganze Weile studieren-" "Pah", unterbrach ihn Cletus wieder. "Du meinst wohl du könntest alles schaffen, was? Wahrscheinlich willst du die Tochter des Oberkontrollrats beeindrucken. 'Seht her, ich kann Gehirnimplantate einsetzen. Darf ich Ihres mal sehen, junge Frau?'", äffte er Arron nach. "Versuchst du gerade zu klingen wie ich?" Arron schien mehr amüsiert als beleidigt zu sein. "Falls du dir deswegen Sorgen machst: Ich habe nicht das geringste Interesse an Goal. Ich bin gerade dabei, mich von meinem kontrollierenden Vater abzunabeln, da habe ich bestimmt nicht vor mich mit der Familie eines Oberkontrollrats einzulassen." "Das macht mir natürlich keine Sorgen", gab Cletus schon aus Prinzip zurück, auch wenn er sich schon viel beruhigter fühlte. "Du hättest eh keine Chance bei ihr. So unbeständig wie die ist. Die würde mit dir nur aus einer Laune heraus flirten und dich gleich darauf wieder fallen lassen." Das ließ Arron aufhorchen. "Sag mal, hat es irgendwas mit Goal zu tun, dass du... Ich meine, es ist auch glaube ich ungefähr fünf Wochen her, dass es so eine Aufruhr auf ihrer Party gab. Hast du-" "Aufruhr?", unterbrach ihn Cletus. Hatte Arron etwa doch von seiner unglücklichen Begegnung mit Hawk gehört? Arron zuckte mit den Achseln. "Ich war selbst nicht dabei, aber es war eine Weile das Stadtgespräch, dass Goal irgendeinem Exfreund eine Szene gemacht hat. Ich habe sogar gehört, sie sei handgreiflich geworden und dass sie sowohl ihren Vater als auch diesen Typ vor versammelter Menge angeschrien hat. Hast du wirklich nichts davon mitbekommen?" Cletus starrte ihn mit offenem Mund an. "Sie... sie hat..." Er verstummte und sah auf seine Hände herab. Er konnte sich einfach keinen Reim auf das Ganze machen. "Hör mal, Cletus, vielleicht würde es dir guttun, darüber zu sprechen, was passiert ist", versuchte es Arron noch einmal, doch Cletus schüttelte nur den Kopf. "Okay, dann bleib halt stur. Versprich mir wenigstens, dass du dich nicht noch länger hier verkriechst." Er grinste schief. "Brich Oma Auria nicht das Herz." Dieses Mal erwiderte Cletus das Grinsen. "Dann hat sie dich wirklich geschickt?" "Nicht ausdrücklich. Aber es hat irgendwann schon genervt, wenn sie wieder angefangen hat von dir und ihren enttäuschten Erwartungen zu sprechen. Außerdem... hat es mich irgendwie gewurmt, dass ich nicht weiß, was mit dir ist. Wir haben uns doch mal besser verstanden und jetzt sind wir uns so fremd geworden." Cletus weigerte sich zu zu geben, dass ihm der selbe Gedanke gekommen war. Er seufzte. "Dann sag Auria, dass ich einen Unfall hatte. Aber es geht mir wieder besser und ich werde morgen wieder zur Arbeit gehen." Er runzelte die Stirn. "Und um Poisonous muss ich mich auch mal wieder kümmern." "Poisonous?", wiederholte Arron. "Dein seltsames Haustier? Dein Hausbot hat ihn wohl gefüttert, aber als ich ihm vorhin etwas geben wollte, hat er nach mir geschnappt und versucht mich mit seiner Zunge zu treffen." "Dann ist er also völlig normal." Arron schnaubte. "Er passt zu dir. Ihr seid beide schlechtgelaunte Miesepeter." Damit erhob er sich und tippte sich wie zu einem spöttischen Gruß an die Stirn. "Aber Lucia meinte auch, dass man bei dir vielleicht noch mal was retten kann." Auch Cletus stand auf und verschränkte die Arme. "Ihr habt über mich gesprochen?" "Ich werde nie verstehen, warum du mit ihr Schluss gemacht hast." "Ich mit ihr? Sie hat doch mit mir Schluss gemacht." Arron stutzte. "Ich habe sie nicht danach gefragt. Aber hattest du nicht Papa erzählt, dass du..." Er unterbrach sich selbst und lächelte seltsam. "Ist nicht so wichtig. Papa muss ja auch nicht alles wissen, nicht wahr? Es war auf jeden Fall nett mal wieder mit dir zu reden. Fast wie damals als wir noch... Du weißt schon." Ja, wusste er. Und nun da die Angst vor Divius sein Leben nicht mehr bestimmte, war er sich nicht mehr sicher, wie er Arron sehen sollte. Natürlich war er ein nervtötender Idiot, aber ohne ihn wäre er wohl noch immer... "Ich muss dann langsam mal wieder los", mischte sich Arrons Stimme in seine Gedanken. Cletus atmete tief durch. "Ja, natürlich. Aber bevor du gehst, muss ich dir noch etwas sagen, Arron." Er lehnte sich vor und legte seinem Adoptivbruder die Hand auf den Arm. "Wenn du je wieder meinen Hausbot kaputt machst, dann kriegst du so richtig Ärger."   * * *     Cletus zupfte seine Haare zurecht und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Sein Kinnbart wuchs und gedieh so gut, dass er ihn schon ein paar Mal stutzen musste. Auch seine Wangen wirkten nicht mehr eingefallen und ausgemergelt. Die letzten Monate hatten ihm gut getan. Er lächelte sein Spiegelbild an. "Hallo, schöner Mann." "Flirtest du dich schon wieder selbst an?", kam Arrons Stimme aus dem Flur. "Kein Wunder, dass du immer ewig brauchst um fertig zu werden." Cletus warf ihm einen Blick über die Schulter zu. "Hatte ich nicht gesagt, du sollst im Wohnzimmer warten?" "Hattest du. Vor über einer Stunde. Aber wenn dich nicht jemand antreibt, wirst du nie rechtzeitig zu deinem Training fertig. Warum putzt du dich überhaupt so heraus? Wenn du dich richtig bewegst, kommt deine Frisur sowieso wieder durcheinander." "Und da wunderst du dich, warum ich keinen Sinn in diesem Training sehe." Cletus verdrehte die Augen. "Hey, du hast mich gefragt, ob es nicht einen Selbstverteidigungskurs gibt, der zu dir passt. Dann nehme ich dich mit zum Shai-Hulu-Unterricht und alles, was du tust, ist jammern und das Training ausfallen lassen." Cletus antwortete nicht. Ja, es war ihm wichtig gewesen, sich verteidigen zu können, falls er jemals wieder Hawk in die Hände fiel oder in einer ähnlichen Situation landete. Doch als die Monate vergingen, ohne dass etwas Schlimmes passierte, hatte sich das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen für diese ganze Shai-Hulu Sache umgekehrt. Im Grunde reichte es ihm, dass er die Grundstellungen kannte, wusste wie man drohend dreinsah und seinem Gegner damit imponieren konnte, welchen Askaten er erreicht hatte. Zur Not konnte man das ganze auch noch mit einer Lüge etwas aufpeppen. "Und du willst wirklich nach dem Training noch Lucia treffen?", wechselte er das Thema. "Verschwitzt und stinkend wie du dann immer bist?" Arron lächelte verlegen. "Ich dusche doch immer noch mal. Außerdem ist Lucia nicht der Typ, dem das etwas ausmachen würde." Er zögerte einen Moment. "Ich habe nur... Ich meine, würde es dir etwas ausmachen, wenn... also..." Er wand sich und suchte nach Worten. Cletus ließ ihn noch ein wenig zappeln, dann sagte er gönnerhaft: "Da du wahrscheinlich nehmen musst, was du kriegen kannst, will ich dir bei Lucia nicht im Weg stehen. Aber komm nicht zu mir jammern, wenn sie alles schlecht redet, was dir etwas bedeutet." Arron schnaubte. "Zu großzügig." Das war es wirklich, aber Cletus hatte ohnehin keine Lust mit Arron wegen einer Frau zu konkurrieren. Das ganze Drama um Goal hatte ihm wieder einmal gezeigt, dass es die Mühe nicht wert war und er hatte nicht vor, sich noch einmal solche Hoffnungen zu machen, nur um sie wieder zu verlieren. Er hatte sein Leben zurück. So wie es vor diesem Empfang gewesen war, auf dem er der Tochter des Oberkontrollrats über den Weg gelaufen war. Zumindest fast. Seine Arbeitskollegen hatten noch eine ganze Weile abfällige Kommentare über seine "angebliche" Einladung zu Goals Party gemacht, als er wieder begonnen hatte zur Arbeit zu gehen. Aber er war inzwischen zum Inspektor ernannt worden, nur zwei Wochen nach Frau Kinkel. Zwar wurde er ein wenig oft für seinen Geschmack als Assistent von Inspektor Elgon eingeteilt. Aber da Elgon kurz davor stand zum Oberinspektor ernannt zu werden, war ihm die Chance vielleicht noch ein paar Beziehungen zu knüpfen auch ganz recht. "Bist du denn jetzt endlich fertig?", unterbrach Arron seine Gedanken. "Ja, fast", antwortete Cletus. Im Grunde fiel ihm nichts mehr ein, was er noch tun müsste, aber er war einfach unmotiviert, sich wieder zu diesem Gehopse schleifen zu lassen. Arron verdrehte die Augen. "Weißt du was, ich habe es satt zu warten. Ich werde mich schon auf den Weg machen und wenn du es endlich geschafft hast deine Haare fertig zu drapieren und du dir den Bart ausreichend gezwirbelt hast, kannst du ja nachkommen." Cletus machte sich gar nicht erst die Mühe zerknirscht dreinzusehen. "Natürlich", erwiderte er, ohne auch nur in Betracht zu ziehen, wirklich noch nachzukommen. Die Enttäuschung war Arron so deutlich anzusehen, dass nicht einmal Cletus es übersehen konnte, aber er entschied sich, das zu ignorieren. Was konnte er dafür, dass sich Arron immer wieder unrealistische Hoffnungen machte? Kaum war die Tür hinter seinem Adoptivbruder ins Schloss gefallen, ließ Cletus sich auf dem Sofa nieder und legte die Füße hoch. Vielleicht hatte er noch ein paar Champagnerkugeln im Kühlschrank mit denen er den Nachmittag ausklingen lassen konnte, bevor es Zeit zum Abendessen wurde. Die Türklingel ließ ihn wieder aufschrecken. Hatte Arron noch etwas vergessen? Er winkte dem Hausbot ab und ging selbst zur Tür. Am besten er wimmelte ihn selbst ab, bevor er überhaupt noch einmal hereinkam. "Was ist denn jetzt no-", begann er, doch dann blieb ihm der Rest des Satzes im Hals stecken. "Goal?!" Sie trug ihre rotgoldenen Haare offen, nur zurückgehalten durch ein blassgrünes Haarband, ähnlich dem seinen. Statt eines Kleides war sie nun in einen weißen Bodysuit gekleidet und anstelle der hochhackigen Schuhe steckten ihre Füße in sportlichen Stiefeln, was sie ihn nicht mehr ganz so viel überragen ließ. Aber ansonsten sah sie noch genau so unverwechselbar atemberaubend aus wie an dem Tag, an dem sie einander zum ersten Mal richtig begegnet waren. "Willst du mich nicht hereinbitten?", fragte sie vorwurfsvoll. Noch bevor er richtig darüber nachdenken konnte, übernahmen die von Auria sorgsam gedrillten Instinkte in Sachen Etikette und er trat gehorsam zur Seite. Goal rauschte an ihm vorbei und Cletus schloss noch immer verdattert dreinsehend die Tür. Dann folgte er ihr ins Wohnzimmer, wo sie vor dem Couchtisch erregt auf und ab lief. "Sag mal, Cletus, wie alt bin ich?", fragte sie plötzlich. Er überlegte einen Moment zu welchem Geburtstag sie ihn vor Monaten eingeladen hatte, doch als er den Mund öffnete redete sie schon selbst weiter. "Ich werde in vier Monaten neunzehn und er behandelt mich wie ein kleines Kind!", rief sie wütend. "Jetzt wollte ich mit den Planungen früh genug anfangen, damit es dieses Jahr besser läuft als letztes und da erfahre ich, dass er mir schon letztes Jahr in der Gästeliste herumgepfuscht hat. Und dann sagt er mir auch noch, dass er das besser beurteilen kann. Ich bin doch keine Zwölf mehr!" "Wer-?", versuchte Cletus zu fragen. "Mein Vater natürlich. Er hat dich von der Gästeliste genommen und Hawk drauf gesetzt. Kannst du dir das vorstellen? Weil es immer nur um ihn und seine Vorlieben geht! Was ich will, nimmt er überhaupt nicht wahr!" Goal hatte sich nur noch mehr in Rage geredet. "So kann er nicht mit mir umgehen!" Sie schimpfte noch eine Weile weiter, doch Cletus nahm kaum noch wahr, was sie da sagte. Sie hatte ihn also doch nicht absichtlich auflaufen lassen. Sie stand auf ihn, da war er sich sicher. Dass es mit dem Oberkontrollrat noch ein paar Probleme gab, war nicht schön, aber er würde es schon schaffen, auch ihn für sich einzunehmen. "Und? Was ist nun?", fragte Goal gerade unwirsch und er wurde sich bewusst, dass er die eigentliche Frage verpasst hatte. "Ja, natürlich", erwiderte er hastig in der Hoffnung, dass das die richtige Antwort war. "Schön", sagte Goal schon etwas ruhiger. "Ich weiß, das war etwas unkonventionell, aber du kannst mich ja bei unserem nächsten Date offiziell einladen." Date? Hatte sie gerade Date gesagt? Cletus klappte die Kinnlade herunter, doch Goal nahm ihn kurzerhand am Arm und marschierte in Richtung Tür. "Du kannst mich zu einem Soyoccino einladen. Ich kenne ein Café in den drehenden Gärten, wo sie den besten Soyoccino in ganz Elysium machen." Cletus ließ sich mitziehen und tat sein bestes nicht dümmlich zu grinsen. Wie gut, dass er Wert darauf gelegt hatte, sich ordentlich zurecht zu machen.   * * *     "Und dann sagte Inspektor Elgon zu mir: 'Wenn nur alle Inspektore so einen Arbeitsethos hätten wie Sie, Cletus, würde unsere schöne Station wohl ewig halten.'" Cletus hielt einen Moment inne um Goal angemessene Gelegenheit zu geben, ihre Anerkennung zu zeigen. Doch sie hob nur die Brauen und fragte: "Du redest wirklich gern über dich, was?" Cletus war verwirrt. Was war denn das für eine Frage? Natürlich tat er das. "Ich rede gerne über interessante Themen", erwiderte er "Und das überschneidet sich eben meist." Goal seufzte und Cletus beschlich ein leichtes Gefühl der Nervosität. Was hatte sie nur? "Ich hatte nur mit etwas ungewöhnlicherem gerechnet", sagte Goal. "Zumindest arbeitest du und verbringst nicht den ganzen Tag in der Fun-Zone oder der Chill-Out-Zone. Aber..." Sie seufzte wieder. Cletus suchte fieberhaft nach etwas, das ihn sonst noch von der Masse abhob. "Ich habe ein Haustier!", platzte es schließlich aus ihm heraus. Das erregte ihre Aufmerksamkeit. "Wirklich? Paps hält nichts davon. Er meint, es wäre eine Verschwendung von Ressourcen. Aber ich wollte auch schon immer ein Tier haben." Er lehnte sich zurück und lächelte sebstgefällig. "Es ist auch nicht ganz billig, jeden Monat für so ein Tierchen aufzukommen, aber ich finde, das ist es wert." "Warum gehst du nicht in den Streichelzoo, wenn du so tierlieb bist? Das wäre bestimmt billiger." Cletus seufzte übertrieben. "Das mag schon sein. Aber ich konnte es einfach nicht über mich bringen, ihn dort zurück zu lassen. Immerhin ist er so unkonventionell, dass wohl niemand außer mir etwas mit ihm anfangen kann." Jetzt war sie erst recht neugierig. "Was ist er denn?" Er winkte ab. "Ach, ich will dir keine Angst machen." Sie grinste schief. "Ich werde mir schon nicht bei der bloßen Erwähnung in die Hose machen." Cletus beugte sich vor und flüsterte verschwörerisch: "Er ist ein Pestspeichelwaran und sein Name ist Poisonous." Zu seiner Überraschung reagierte Goal kein bisschen schockiert, sondern lachte sogar hell auf. "Oh, wie süß. Den musst du mir beim nächsten Mal unbedingt zeigen." Süß? Hatte sie wirklich "süß" gesagt? Aber gut, solange sie auch von einem "nächsten Mal" sprach, sollte sie doch mit ihrer Fehleinschätzung glücklich werden. "Aber", fuhr Goal fort, "für heute hatte ich genug. Du darfst mich gerne noch nach Hause bringen, wenn du willst?" "Wenn ich will?", wiederholte er ohne darüber nachzudenken. "Wenn du ein Gentlemen bist", stellte sie klar. Natürlich. Goal lebte mit ihrem Vater in der obersten Habitatebene, wo der Durchmesser der Station nur noch einen Bruchteil der Ausmaße hatte, die in der Fun-Zone, der breitesten Plattform Elysiums, herrschten. Hinter den gediegenen Häusern ragte die Zentrale Senkrechtachse Elysiums empor, in der sich die Verwaltungsebenen und darüber an der höchsten Stelle die Kammer, in der der Ältestenrat tagte, befanden. Cletus tat sein bestes nicht zu beeindruckt auszusehen, doch das war leichter gesagt als getan. Was er nicht dafür geben würde eines Tages hier leben zu können. Goal hatte ihn schon am Fahrstuhl an der Hand genommen und ging zielstrebig auf einen Prunkbau ganz in der Nähe zu. Cletus konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie beobachtet wurden. Hatte der Oberkontrollrat vielleicht hier draußen Kameras installiert? Goal blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Sie lächelte beinahe triumphierend und legte ihm eine Hand auf die Wange. "Danke, dass du so spontan Zeit hattest, Cletus. Es war wirklich nett mit dir." Cletus' Herz machte bei der Berührung einen Hüpfer und begann dann wie wild zu klopfen als ihre Finger zu seinem Kinn herabglitten und mit seinem Bärtchen spielten. Ihre Augen glitzerten als sie fester zufasste und ihn zu sich heranzog. Er reckte sich unwillkürlich hoch und dann spürte er ihre Lippen auf den seinen. Er schloss die Augen und erwiderte den Kuss als habe er sein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)