Der Elysianer von ZMistress ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Kapitel 4   Cletus starrte auf seine Schuhe. Sie waren von strahlendem Weiß, ohne einen Kratzer oder gar Schmutz. Und aus dieser Perspektive konnte man auch kaum sehen wie dick seine Sohlen waren, um seiner Größe wenigstens ein paar Zentimeter hinzu zu mogeln. Aber letztlich waren seine Schuhe einfach nicht interessant genug um seine Aufmerksamkeit für mehr als ein paar Minuten zu rechtfertigen. Er war sich nicht sicher wie lange er nun in Sichtweite der Tür zu dem Apartment, in dem Lucia mit ihrer Familie lebte, gestanden hatte, aber ihm gingen inzwischen die Alternativen aus, zu ihrem Fenster hochzusehen. Sie war heute nicht in der Schule gewesen. Sie hatten gerade bei einem der Infobots eine Wiederholung des Stoffs über Programmierung durchgenommen, als Fräulein Melli hereinkam und mit tränenerstickter Stimme erzählt hatte, dass Lucias Großmutter verstorben war. Gestern. Während Lucia mit ihm in der Chill-Out-Zone war. Cletus fingerte an den weißen Handschuhen herum, die er seit ein paar Monaten trug, aber natürlich saßen sie bereits perfekt. Es war so typisch. Hätte die alte Hexe nicht noch etwas mit dem Sterben warten können? Wenigstens bis Lucia und er ihre Präsentation in der Schule gehabt hatten? Jetzt stand er natürlich erst einmal allein da. Und noch schlimmer, alle erwarteten, dass er Lucia tröstete. Er seufzte. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Nacht geheult, emotional wie sie war. Die Vorstellung ließ ihn schaudern. Wenn das die anerkannte Reaktion auf so eine Situation sein wollte, warum wurde es dann nicht auch allgemein erwartet, dass man andere nicht damit behelligte? Wirklich, je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde er sich darüber im Klaren, dass dies einfach nicht seine Aufgabe sein konnte. Lucia würde bestimmt allein darüber hinwegkommen und er würde abwarten, bis sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte und vor allen Dingen, wieder präsentabel aussah. Er wandte sich gerade zum Gehen als die Stimme eines Mannes in seine Gedanken drang. "Cletus!" Erschrocken drehte er sich um und sah Lucias Vater Narcius in der Tür ihres Apartments stehen. Er würde doch wohl hoffentlich hier keine Szene machen! Besorgt sah er ihn näherkommen und machte sich für ein Donnerwetter bereit. Lucias Vater betrachtete ihn einen Moment lang ernst, dann streckte er ihm die Hand entgegen. Cletus sah ihn verwirrt an und erinnerte sich erst mit Verspätung daran, dass von ihm eine Reaktion erwartet wurde. Narcius sah beinahe feierlich aus, als sie die Hände schüttelten. "Ich muss zugeben, dass ich wirklich nicht erwartet hätte, dich heute hier zu sehen, Cletus. Bitte, komm ruhig herein. Es wird Lucia bestimmt ein großer Trost sein, dich zu sehen. Sie hat so sehr darauf gehofft, dass du kommst." Das war ja noch schlimmer als er gefürchtet hatte! Cletus wand sich innerlich und verfluchte sich dafür, dass er nicht schon früher gegangen war, doch nun konnte er schlecht einfach die Flucht ergreifen. Noch dazu legte ihm Narcius die Hand auf den Oberarm und schob ihn in Richtung Tür. Schicksalsergeben schlurfte er hinein und sah sich verstohlen um. Wie bei den meisten Appartements öffnete sich nach einem kurzen Flur der Raum zu einem größeren Wohnzimmer. Doch im Vergleich zu Divius Wohnung beschränkte sich diese anscheinend auf eine Etage und war etwas einfacher eingerichtet. Er hatte mit einer Reihe Trauergästen gerechnet, wie sie sich nach Deneshas Tod bei ihnen zu Hause die Klinke in die Hand gegeben hatten, doch nirgends regte sich etwas. Narcius schien sein Blick aufgefallen zu sein, denn er hüstelte verlegen. "Ich fürchte meine Frau hat sich etwas zurückgezogen. Die Rückführungszeremonie heute morgen war sehr anstrengend für sie. Immerhin war es ihre Mutter, die sie verloren hat. Lucia ist noch in ihrem Zimmer, aber ich werde ihr gleich Bescheid sagen. Ich wollte nur den Moment nutzen und ein paar Worte mit dir zu wechseln." "Oh." Cletus war wenig begeistert, nahm aber auf dem Sofa Platz als ihn Narcius mit einer Geste einlud. Solange der Mann nicht wieder mit seinen erbärmlichen Deponianern anfing, sollte er das Gespräch ja wohl überstehen. Eine Weile saßen sie schweigend da und Cletus schwankte zwischen Ärger darüber, dass man seine Zeit verschwendete und Erleichterung, dass ihm bis jetzt unangenehme Themen erspart geblieben waren. "Ich kannte deine Mutter nicht sehr gut, aber von dem was ich von ihr gehört habe, scheint sie eine sehr warmherzige Frau gewesen zu sein.", begann Narcius unvermittelt. Cletus versteifte sich unwillkürlich. Er war sich nicht sicher wie gut sich Lucias Vater und Divius kannten und ob alles was er hier sagte, seinen Weg zu seinem Ziehvater finden würde. Er machte ein neutrales Geräusch, das unter Umständen als Zustimmung gedeutet werden konnte und überlegte fieberhaft wie er auf ein anderes Thema überleiten konnte. Narcius schien seine Unsicherheit gar nicht zu bemerken und fuhr unbeirrt fort: "Es ist jetzt schon sechs Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut daran, wie Lucia damals immer mehr von dir erzählt hat. Es ging ihr sehr nahe, wie wenig Hilfe du hattest und es lag ihr schon damals viel daran, dass es dir besser gehen sollte." Er warf Cletus einen durchdringenden Blick zu. "Sie ist ein großartiger Mensch und hat es verdient, dass man ihre Freundlichkeit erwidert. Aber als sie gestern nach Hause kam und hörte, dass ihre Großmutter starb, während sie unterwegs war, hat sie das schrecklich mitgenommen. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie nicht da war." Cletus spürte Ärger in sich aufsteigen. "Wollen Sie andeuten, dass das meine Schuld war?" "Nein, natürlich nicht. Ich fand nur, dass du das wissen solltest, bevor du mit ihr sprichst." Narcius räusperte sich. "Versteh' das bitte nicht falsch, mein Junge, aber du machst auf mich den Eindruck, dass es dir schwerfällt solche Hintergründe von dir aus einzuschätzen. Und ich will nicht, dass jemand Lucia wehtut." Er verschränkte die Arme und schob die Unterlippe vor. "Sie sind immer noch sauer, dass ich über ihren Trinkspruch über die ach so armen Deponianer gelacht habe, nicht wahr?" Narcius seufzte genervt auf und schüttelte den Kopf. "Ich wollte doch nur-" "Cletus!" Beide fuhren herum und sahen Lucia in der Wohnzimmertür stehen. Ihre Augen waren rot und verschwollen, ihre Haare ungekämmt und struppig und ihre Nase wirkte selbst aus einigen Metern Entfernung feucht auf ihn. Doch mittlerweile hatte er Narcius' Gesellschaft so satt, dass er sich sogar ein wenig freute sie zu sehen. Obwohl er kein Wort gesagt hatte, löste sie sich plötzlich aus ihrer Starre, lief auf ihn zu und fiel ihm in die Arme. Er erwiderte die Umarmung zaghaft, konnte aber nur daran denken, dass sich ihre Schniefnase auf der Höhe seines neuen Haarbands befand. Vorsichtig schob er sie ein wenig von sich und hoffte, dass sie deshalb nicht gleich durchdrehen würde. "Ich wusste, dass du kommen würdest.", flüsterte sie heiser. "Jedenfalls habe ich es ganz fest gehofft." Sie verstummte, ließ ihn los und zog ein Taschentuch hervor, mit dem sie sich ausgiebig die Nase putzte. Jetzt musste er nur noch einen Weg hier raus finden. "Willst du vielleicht in die Chill-Out-Zone?", platzte es aus ihm mit einem beinahe herausfordernden Seitenblick auf Narcius heraus. Sie sah ihn entgeistert an. "Was? Jetzt?" "Es, äh, würde dich möglicherweise auf andere Gedanken bringen." Sie schniefte wieder und rieb ihre ohnehin schon geröteten Augen. "Ich glaube nicht, dass ich heute in der Stimmung für Spaß bin, aber..." "Ich habe ja auch nicht die Fun-Zone vorgeschlagen", warf er ein, stolz über so viel Verständnis mit seiner hysterischen Freundin. "Aber ein bisschen Ruhe und Abstand von allem würden dir bestimmt gut tun." "Vielleicht hast du recht", antwortete sie zögernd und nun konnte er sich den triumphierenden Blick zu Narcius hin nicht mehr verkneifen. Möglicherweise konnte dieser Tag doch noch etwas werden. Wenn er sie genug ablenken konnte, würde sie vielleicht wirklich dankbar sein. Vielleicht sogar so dankbar, dass er noch zu ein bisschen Knutschen kommen würde. Jedenfalls in dem Fall, dass sie auch die Schniefnase unter Kontrolle brachte. Lucia warf ihrem Vater noch einen unsicheren Blick zu, doch zu Cletus Überraschung reagierte der mit einem sanften Lächeln. "Wenn du magst, ist es vielleicht wirklich eine gute Idee etwas frische Luft zu schnappen. Geht ruhig und ich sage Mama Bescheid. Versuch auf ein paar andere Gedanken zu kommen." Er küsste Lucia auf die Stirn. "Und fühl' dich bitte nicht schuldig, wenn du dich besser fühlst." Sie umarmte Narcius und hauchte ihm ein "Hab dich lieb" ins Ohr. Dann hakte sie sich bei Cletus unter, der noch immer darauf wartete, dass der ältere Mann ihm irgendetwas Gehässiges sagte. Doch als nichts geschah, beschloss er, sein Glück nicht weiter zu strapazieren und eilte mit Lucia hinaus.     * * *     Die Sonne schien. Gut, das tat sie eigentlich immer und da Elysium weit über den Wolken schwebte, gab es auch nichts, das sie davon abhielt die Weiße Stadt zum Strahlen zu bringen. Vielleicht bot das Kraftfeld, das den Sauerstoff in der Station hielt, ein wenig Schutz vor UV-Strahlung, aber sicher war sich Cletus da nicht. Es hatte schon seinen Grund, warum er so ungern in eine der Parkanlagen ging, die den Elysianern einen Hauch von Natur nahe bringen sollten. Natur war ihm schon immer eher suspekt gewesen. Das fing damit an, dass Pflanzen Erde, also gewissermaßen Dreck, brauchten um zu gedeihen. Dann zog dieses ganze Naturgedöns immer eine Reihe Krabbeltiere und Ungeziefer an, das Gras hinterließ Flecken auf seiner Hose und die Sonne ruinierte seine vornehme Blässe. Aber Lucia jammerte ja schon genug, da hatte er keine Lust gehabt mit ihr zu diskutieren als sie vorschlug in die Drehenden Gärten zu gehen. Auch wenn das bedeutet hatte, ein Ticket zu einem der drei kleineren Trabanten zu kaufen, die wie Miniaturausgaben der Hauptstation an dicken Stahlkabeln um Elysium herum schwebten. Und so saß er nun steif neben seiner Freundin im Schatten einer... eines... nun... eines Baumes halt. Oder Strauch. Es war ja auch egal. Wenn er wollte, konnte er nachher noch zu Hause nachschlagen, aber im Grunde gehörte dies zu den Themen, für die in seinem Gedächtnis kein Platz war. Etwas berührte seinen Kopf und rutschte kühl in seinen Kragen. Cletus fuhr zusammen und fischte sich ein glattes, aber fleckiges Blatt aus den Sachen. Angewidert sprang er auf und schüttelte sich. "Das ist doch wirklich das Letzte! Warum konnten wir nicht einfach in der Chill-Out-Zone ins Café gehen?" Sofort schimmerten in Lucias Augen wieder Tränen. "Ich mache doch sonst auch immer mit, was du vorschlägst. Aber ich dachte, heute würde es mal darum gehen, etwas zu tun was mir gut tut." Er schnaubte. "Denken ist halt nicht jedermanns Sache." Nun sprang auch Lucia auf, die Hände zu Fäusten geballt und alle Tränen vergessen. "Was ist bloß los mit dir? Du tust so, als wolltest du mich trösten und dann kommt sowas?" "Was mit mir los ist?", gab er wütend zurück. "Ich verbringe meine Zeit damit dir beim Heulen zu zu sehen und kriege nichts dafür zurück. Wenn ich daran denke, was ich schon für Geld für dich ausgegeben habe und dann hast du doch wieder keine Lust auf Knutschen. Wozu mache ich das denn hier eigentlich?" Sie sah so fassungslos aus, dass er sich fragte, ob sie vielleicht nicht verstanden hatte, was er gesagt hatte. Doch zu seiner Überraschung schüttelte sie nur den Kopf und lachte humorlos. "Weißt du, was dein Problem ist?" Er verschränkte ärgerlich die Arme. "Eine hysterische Freundin?" Sie reagierte nicht auf die Beleidigung und ihre Wut schien mit einem Mal völlig verraucht. Stattdessen sah sie ihn beinahe mitleidig an. "Du denkst immer nur an dich und das wird dich irgendwann sehr unglücklich machen. Ich hatte gedacht, ich könnte dir helfen. Du warst immer so allein und ich hatte gehofft, dass du dich ändern würdest, wenn dir nur jemand einmal Freundlichkeit zeigt. Aber du willst dich gar nicht ändern. Du denkst, dass all deine Probleme von anderen verursacht werden. Dass an dir alles stimmt und es völlig in Ordnung ist, auf andere herabzusehen. Und du wirst genauso weiter machen, auch wenn das dazu führt, dass irgendwann niemand mehr etwas mit dir zu tun haben will. Ich hoffe, dass du das vielleicht selbst merkst bevor es ganz zu spät ist. Aber ich werde nicht mehr darauf warten, dass du irgendwann zu dieser Erkenntnis kommst. Wenn du dich unbedingt wie ein Arschloch verhalten willst, kannst du das allein tun." Damit drehte sie sich um und stapfte davon, ohne ihn noch eines letzten Blickes zu würdigen. Cletus sah ihr mit offenem Mund nach. Aus den Augenwinkeln sah er wie eine ganze Reihe anderer Elysianer, die den Streit mitangehört hatten, mehr oder weniger offen zu ihm hinüber starrten, aber es war ihm im Moment gleichgültig. Hatte sie Recht? Stimmte etwas mit ihm nicht? Trieb er alle anderen in seinem Umfeld von sich weg? Würde er eines Tages deswegen allein und unglücklich dastehen? "Frauen, was?" Cletus wirbelte zu einem älteren Mann herum, der zu ihm heran geschlendert kam und Lucia einen vielsagenden Blick hinterher warf. "Die machen aber auch immer gleich eine Szene. Wahrscheinlich hat sie ihre Tage." Cletus blinzelte. Der Mann wirkte nicht sehr gepflegt, weshalb er sich nicht geneigt fühlte nun mit ihm Bruderschaft zu schließen. Aber immerhin hatte er seine Sorgen recht gut vertrieben. Es lag also gar nicht an ihm selbst. Lucia war nur heute besonders unzurechnungsfähig. Er grinste und nickte dem anderen zu. "Ja, ja, das waren bestimmt die Hormone." Der Mann erwiderte das Grinsen, doch als er noch näher kommen wollte, verabschiedete sich Cletus hastig und machte sich auf den Weg zu den Pendelmodulen, die ihn an dem Verbindungskabel zur Hauptstation zurückbringen würden. Er fürchtete halb, dort Lucia noch einmal zu sehen, doch anscheinend war sie bereits fort. Stattdessen musste er sich das Modul mit einem älteren Pärchen teilen, das während des ganzen Wegs herumturtelte und sich nicht davon stören ließ, dass er die Augen verdrehte. Sollten sie sich doch zum Schrott scheren mit ihrer Liebe und Zweisamkeit. Er war allein sowieso besser dran. Wenigstens mäkelte nun niemand mehr an ihm herum und er konnte all die Sachen machen, von denen Lucia ihn immer abgehalten hatte. Wenn ihm nur irgendetwas einfallen würde! Auf der Hauptstation angekommen entschied er sich jedenfalls dagegen nach Hause zu gehen und Trübsal zu blasen. Er würde sich schon zu amüsieren wissen, dachte er sich und nahm Kurs auf die Chill-Out-Zone. Erst trank er einen Soyoccino, dann schlenderte er weiter und versuchte der wachsenden Langeweile Herr zu werden. Es war wirklich ärgerlich, niemanden zu haben, der ihm zuhörte und ihn unterhielt. Doch als er am Streichelzoo vorbeikam, schlich sich ein neuer Gedanke ein. Er setzte sich an die Theke und ging die Datenbank der gespeicherten Tiere durch. Es dauerte wirklich lange bis er weit unten auf der Liste fand, was er gesucht hatte. "Ein Pestspeichelwaran?" kam Ronnys Stimme aus dem Interface. Cletus hatte die künstliche Intelligenz noch nie so skeptisch klingen hören. Er hätte wetten können, dass Ronny eine Augenbraue gehoben hätte, wenn er denn welche gehabt hätte. "Die sind giftig und gefährlich. Wie soll man den ein Tier streicheln, dass einen beißen könnte?" Cletus stöhnte entnervt. "Das ist ja wohl meine Sache. Besorg' mir einfach, was ich haben will." Er überlegte einen Augenblick und fügte dann hinzu: "Und, äh, bring mir für alle Fälle auch das Gegengift für den Pestspeichel, ja?" "Wie du willst", antwortete Ronny zögerlich. "Du weißt aber, dass das extra kostet, nicht wahr?" Zwar ging ein Großteil seines Taschengelds für Pflegeprodukte drauf, aber Cletus hatte seine Finanzen penibel dokumentiert und wusste genau, dass er sich in den letzten Jahren einen bequemen Puffer angespart hatte. Er bedeutete Ronny mit einer wegwerfenden Geste einfach fortzufahren. Einen Moment später fand er sich Auge in Auge mit einer etwa katzengroßen Echse, die aus einer kleinen Klonkammer über ein Förderband direkt zu seinem Sitzplatz transportiert wurde. Er streckte die Hand vorsichtig aus, zuckte aber sofort wieder zurück als der Waran züngelte. Cletus schluckte. Noch hatte sich das Tier nicht von seinem Platz bewegt, aber er war sich nicht sicher, ob er es aufhalten konnte, falls es auf ihn losging. "Hier ist das Gegengift, das Sie verlangt haben", unterbrach ihn ein Servicebot und stellte eine kleine Tablettendose auf die Theke. Dankbar für die Ablenkung, griff Cletus nach der Dose und warf einen Blick auf die Warnhinweise. Anscheinend wirkte das Gegenmittel schnell und sicher, aber dafür sorgte es auch für erhebliche Gasbildung im Magen-Darm-Trakt. Gut, das machte es vielleicht doch zu keiner so optimalen Idee, in der Öffentlichkeit auszutesten, ob das Waran ihn beißen würde. Zwar wäre es schon interessant zu sehen, wie sein kleiner Drache die anderen Tiere aufmischte, aber wenn er selbst das Gift des Pestspeichels abbekam, würde er auch ein großes Publikum für die Nebenwirkungen des Gegengifts haben. Er betrachtete den Waran nachdenklich. Wenn er ihn jetzt zurückschickte, würde er über das Förderband in eine kleine Kammer transportiert, wo er dunkel einen großen Druckhammer und verschieden große Öffnungen erkennen konnte. Blutspritzer waren keine zu entdecken, aber er wusste, dass die Anlage sehr gründlich dabei war, auch wirklich sämtliche Bestandteile aufzunehmen. Biomasse durfte nicht verschwendet werden. Er schob die Unterlippe vor und rechnete einen Moment vor sich hin, dann winkte er nach dem Servicebot. "Ich brauche einen tragbaren Käfig. Besorg' mir so einen und setz' den Pestspeichelwaran da rein. Für die Kosten werde ich schon aufkommen." Der Bot war einen Moment reglos als er sich mit dem Hauptrechner abstimmte und auf Cletus Konto zugriff. Da gingen seine Ersparnisse hin. Aber das war ihm im Moment gleich. "Sehr wohl, mein Herr", bestätigte der Servicebot einen Augenblick später und setzte sich in Bewegung um den Auftrag auszuführen. Cletus warf dem Waran einen triumphierenden Blick zu. Das Tier erwiderte ihn und nutzte die Gelegenheit um sich auf der Theke zu erleichtern.     * * * Cletus keuchte etwas als er den Käfig kurz abstellte, die Tür öffnete und möglichst geräuschlos hineinschlich. Wenn er nur vorsichtig genug war, konnte er seinen kleinen "Poisounous", wie er den Waran kurzerhand getauft hatte, wahrscheinlich eine ganze Weile vor Divius verstecken. Und bis er gezwungen war, mit der Wahrheit rauszurücken fiel ihm bestimmt noch etwas cleveres ein. "Arron?" Divius trat aus der Tür zum Wohnzimmer als habe er dahinter gewartet und erstarrte als er Cletus sah. Dem ging es nicht anders, außer dass er vor Schreck noch eine Spur blasser wurde als sonst. "Ähm, ich bin es nur", murmelte er. Divius verzog den Mund und wandte sich halb wieder zum Wohnzimmer um. "Es ist nur Cletus!", rief er wem auch immer zu, dann betrachtete er seinen Adoptivsohn noch einmal mit kritischem Blick. "Du hast dir deine Haare endlich abschneiden lassen? Na, wenigstens etwas. Aber was hast du denn da dabei?" "Ein Haustier", hauchte Cletus und ging in Gedanken bereits all die Leute durch, bei denen er unterkommen konnte, wenn Divius ihn hinauswarf. Jetzt wäre es doch nützlich gewesen, wenn er noch mit Lucia zusammen wäre. "Bring ihn rein. Mit ihm wollte ich ohnehin auch noch sprechen", kam jetzt eine Frauenstimme aus dem Wohnzimmer. Divius hob eine Augenbraue, trat dann aber zur Seite und wies ihm mit einer einladenden Geste den Weg. Cletus huschte an ihm vorbei und platzierte den Käfig neben der Tür, so dass niemand darüber stolpern konnte, bevor er gehorsam zum Sofa ging. Dort saß Auria, Divius Mutter, mit einer Tasse echtem Kaffee in der Hand. Sie hatte die goldenen Haare, die sie, wie Cletus recht sicher war, seit Jahren färbte, zu einem eleganten Dutt hochgesteckt und wirkte weit jünger als ihre siebzig Jahre. Sie nickte ihm freundlich zu und bedeutete ihm sich zu setzen, doch Cletus machte sich keine Illusionen, dass sie ihn mehr mögen könnte als ihr Sohn. Aber sie war unübertroffen darin, einen schönen Anschein zu wahren, und so lächelte auch er und ließ sich auf einem kleineren Sessel ihr gegenüber nieder. Auch Divius fand sich in der Runde ein, doch ersparte er sich die Mühe ein höfliches Gesicht zu machen. "Nun, mein Junge", begann Auria, "du bist jetzt sechzehn Jahre alt, nicht wahr? Du siehst besser aus, als ich erwartet hatte." Sie warf Divius einen Blick zu, doch als der protestieren wollte, winkte sie sofort ab. "Nun, wir haben uns in den letzten Jahren wenig gesehen, aber wie ich finde, ist es an der Zeit das zu ändern." Dieses Mal ließ sich Divius nicht durch eine einfache Geste bremsen. "Aber Mutter! Du willst doch nicht etwa ihn an Stelle von Arron..." "Natürlich nicht", unterbrach sie ihn. "Aber ich finde, dass er ruhig seinen Teil zum Vorankommen der Familie beitragen kann. Besonders solange Arron noch kein Interesse daran hat, in der Politik mitzumischen. Zumindest ist es an der Zeit den Schaden zu begrenzen, den er anrichten könnte. Oder hältst du es für vorteilhaft, wenn er den Familiennamen in den Schmutz zieht? Schon dieses Mädchen, mit dem er sich immer abgibt. Ihre ganze Familie macht immer wieder mit ihrer unorthodoxen Haltung von sich reden. Zwar haben sie Kontakte zu einem der Ältesten, aber ich rechne jeden Tag damit, dass es zum großen Knall kommt, und sie sich ganz gegen den Rat stellen. Sicher nicht der Umgang, den ich mir für einen meiner Enkel wünsche." Cletus sah Divius nicken und fühlte sich darin bestärkt sich zu Wort zu melden. "Ich habe heute mit ihr Schluss gemacht. Wir passen einfach nicht zusammen." Aurias Gesicht erhellte sich und Cletus war sehr zufrieden mit sich. "Ich bin wirklich angenehm überrascht, mein Junge." Sie lächelte eine Spur aufrichtiger. "Ich nicht", brummte Divius dazwischen. "So ein schlechter Umgang wie das Mädchen war, der Junge hat einfach nicht den Hauch von Loyalität in sich. Was sagt uns, dass er die Familie nicht genauso fallen lässt, wenn es ihm in den Kram passt?" Auria lachte nur. "Dann sollten wir wohl dafür sorgen, dass Loyalität in seinem besten Interesse ist. Seinen Ehrgeiz werden wir wohl kaum bremsen, wenn wir ihn weiter außen vor lassen." Sie lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Kaffee. "Was sagst du dazu, Cletus: Ich werde dich unter meine Fittiche nehmen, dir Benimmregeln und die Gepflogenheiten der gehobenen Kreise beibringen und wenn du dich gut anstellst, sorge ich dafür, dass dir der Zugang zu den Empfängen und Dinnerparties der Elite nicht länger verwehrt bleibt." Er spürte wie sein Herz schneller schlug. "Ich werde dich nicht enttäuschen." "Ja, das solltest du besser nicht. Aber jetzt geh auf dein Zimmer, bevor Arron nach Hause kommt und uns zusammen sieht." "Nimm dein Haustier mit", fügte Divius noch hinzu, als Cletus sich erhob. "Und sorge dafür, dass es mir nicht vor die Füße läuft."     * * *     Er lächelte immer noch, als er sich in seinem Zimmer aufs Bett fallen ließ. Er konnte sein Glück kaum fassen, dass er endlich seine Chance bekommen würde. Er würde alles tun, um nur endlich an die Spitze zu kommen. Poisounous kratzte an seinem Käfiggitter und Cletus flippte den Verschluss kurzerhand auf. Sollte sich der Waran ruhig mit ihm freuen. Die Zunge des Pestspeichelwarans traf ihn oberhalb der ellbogenhohen Handschuhe an seinem nackten Arm. Cletus biss sich heftig auf die Lippe um nicht zu schreien, aber beinahe wäre er in Ohnmacht gefallen. Verdammt, tat das weh. Noch dazu legte sich ein Schleier über seine Sinne und er konnte kaum noch sehen. Er griff nach seinen Augen, aber seine Finger fühlten sich geschwollen und ungelenk an. Etwas grünliches blieb an seinen Handschuhen kleben und er wurde sich mit Entsetzen bewusst, dass das Eiter sein musste. Panisch begann er nach dem Gegengift zu suchen. Wo hatte er es nur hin gepackt? Endlich entdeckte er das Döschen auf seinem Nachtschrank und schaffte es gerade noch sich eine Tablette in den Mund zu schieben und zu schlucken. Dann legte er sich zurück auf das Bett und schloss die Augen. Er konnte mit jeder Sekunde spüren wie der Effekt des Giftes nachließ. Dafür war da ein entsetzlicher Druck in seinen Eingeweiden. Er stöhnte und ließ geräuschvoll jede Menge Luft entweichen. Einen Moment später sah er einen schuppigen Kopf über der Bettkante auftauchen, aber er fühlte sich zu erschöpft um panisch zu reagieren. Poisounous kletterte kurzerhand zu ihm hinauf und rollte sich dann neben ihm, der größten Wärmequelle in der Umgebung, zusammen. Cletus legte dem Tier zaghaft die Hand auf den Kopf und der Waran schien sich an der Wärme zu erfreuen. Gut, im Vergleich zu einer Freundin, war es ein wesentlich stachligeres und kühleres Gefühl. Aber man konnte eben nicht alles haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)