Der Elysianer von ZMistress ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Kapitel 3   "Das kann doch nicht dein Ernst sein!" Cletus hielt mit dem Löffel voller Frühstücksmüsli auf halbem Weg zum Mund inne. Normalerweise war es kein gutes Zeichen, wenn Divius so aufgebracht klang. Doch heute war allem Anschein nach nicht Cletus derjenige, der seinen Zorn erregt hatte, denn in der Küche war noch nichts von seinem Adoptivvater zu sehen. Außerdem hatte Cletus entschieden, sich nicht mehr so einschüchtern zu lassen. Immerhin war er inzwischen 16 Jahre alt und würde zur Not auch zurechtkommen, falls Divius wirklich eines Tages seine Drohung wahrmachte und ihn hinauswarf. Aber das würde er ja hoffentlich nicht. Cletus schob den Löffel in den Mund und versuchte möglichst selbstbewusst auszusehen, was beim Kauen bedeutend schwieriger war, als er sich gedacht hatte. Nun drang auch Arrons Stimme aus dem Wohnzimmer zu ihm herüber. "Ich verstehe wirklich nicht, warum das so ein Problem ist. Ich wollte doch noch nie auf diese furchtbaren Empfänge mit." "Aber das ist etwas besonderes!", kam Divius Antwort. Cletus stützte das Kinn auf seine Hand und lauschte noch aufmerksamer. "Immerhin wird man nicht alle Tage von Oberkontrollrat Ulysses höchstpersönlich eingeladen." Cletus hob die Augenbrauen. Das waren ja ganz neue Töne. Sonst war Divius bei der bloßen Erwähnung dieses Mannes unwirsch geworden und hatte Cletus finstere Blicke zugeworfen, als gäbe er ihm die Schuld an Ulysses Existenz. Und nun wollte er sogar einer Einladung von ihm folgen? "Mann, Papa, du weißt doch, dass ich mit dem Typ überhaupt nichts anfangen kann. Dieser ganze Militarismus ist mir einfach unsympathisch. Wie er immer betont, dass ihm der Organon untersteht und dass er alles dafür tut, dass der Zeitplan bis zur Sprengung Deponias eingehalten wird. Als könnte er es gar nicht abwarten." Arron begann ungewohnt genervt zu klingen. Dabei brachte ihn doch sonst nicht viel aus der Ruhe. "Es geht doch nicht um Sympathie. Es geht um Verbindungen, darum, Kontakte zu knüpfen, die dir später einmal helfen können." "Damit der Ältestenrat sich irgendwann auch mal einen ganz neuen Titel für mich ausdenkt? Na, vielen Dank. Oder gab es vor Ulysses schon mal einen 'Oberkontrollrat'?", hörte er Arron erwidern. Cletus verdrehte die Augen. Arron hatte einfach keinen Sinn für Klasse. Nicht, dass er selbst ein großer Freund des höchstrangigsten militärischen Befehlshabers Elysiums war. Er hatte, soweit er sich zurückerinnern konnte, noch nie etwas mit ihm zu tun gehabt, aber nicht einmal ein bisschen Respekt vor der Stellung Ulysses aufzubringen, erschien ihm als eine große Dummheit. "Und du meinst deine Zeit in der Fun Zone zu verplempern ist eine bessere Idee? Arron, du bist doch nicht dumm. Du bist ein hervorragender Schüler und du könntest sogar noch besser sein, wenn du nur ein bisschen mehr Ehrgeiz hättest." Verflixt, Cletus hasste es, wenn er einer Meinung mit Divius war. Naja, auch der musste wohl ab und zu mal ins Schwarze treffen. "Außerdem", fuhr Divius fort, "wärst du auch gar nicht das einzige Kind dort. Der Oberkontrollrat hat doch eine Tochter in deinem Alter." "Ja, ich weiß. Goal. Mann, sogar ihr Name zeigt, wie besessen ihr Vater ist. Er hat sie nämlich danach benannt, dass wir unbedingt das Ziel erreichen müssen. Er hätte sie wahrscheinlich Utopia genannt, aber auf dem Namen liegt bestimmt ein Copyright." "Woher willst du das wissen?", kam Divius Stimme. "Ach, Papa, wir gehen in die gleiche Schule. Zwar nicht in dieselbe Klasse, weil ihr Vater will, dass sie Einzelunterricht bekommt, aber ihre beste Freundin Tallis ist in meiner Klasse. Und in der Pause hocken die beiden ständig zusammen." "Dann kennt ihr euch doch schon. Großartig. Ihr habt ja auch eine Menge gemeinsam. Goal hat auch ihre Mutter verloren und wird bestimmt gut verstehen können wie du dich fühlst." Arron machte ein Geräusch, das wie ein Schnauben klang. "Ihre Mutter ist schon bei ihrer Geburt gestorben. Dabei ging wohl irgendwas schief und Goal hätte es beinahe auch erwischt. Seitdem hat sie auch ein Hirnimplantat." Cletus hielt einen Moment inne. Er kannte das Mädchen vom Sehen, hatte aber noch nie näher über sie nachgedacht, außer dass es dem Oberkontrollrat wahrscheinlich peinlich war, so einen Wildfang als Tochter zu haben. Außerdem war sie schrecklich lang und dünn, womit sie bestimmt zu Arron, dieser Bohnenstange, passte. Aber interessant war es trotzdem sich über die Elite Elysiums zu informieren. Wenn er nur an Arrons Stelle wäre, er würde diese Einladung ganz sicher mehr zu schätzen wissen. "Ich wette ihr würdet euch gut verstehen", versuchte Divius es wieder. "Wenn du dir nur ein bisschen Mühe gibst, kannst du sie bestimmt..." "Jetzt hör schon auf!", unterbrach Arron ihn gereizt. "Dir geht es doch nur um dein eigenes Ansehen, das darunter leidet wenn ich nicht der Vorzeigesohn bin, den du dir vorgestellt hast. Ich sehe einfach keinen Sinn darin, bei diesem Geschacher um Stellung und was weiß ich mitzumachen. Wir haben doch eigentlich genug. Mehr als das sogar. Aber dir reicht es nie." Cletus hörte, wie sich wütende Schritte der Küche näherten, dann stand Arron auch schon in der Tür. Meist achtete Cletus darauf, seinem Blick auszuweichen, aber heute würde Arron ohnehin nicht in der Stimmung sein, ein freundliches Gespräch anzufangen. Also versuchte er erst gar nicht zu verbergen, dass er das ganze Gespräch mitangehört hatte und grinste seinen Adoptivbruder halb herausfordernd an. Der verdrehte nur die Augen und meinte dann an Divius gerichtet, der ihm gefolgt war: "Nimm doch Cletus mit. Dem macht das Getue bestimmt Spaß." Divius warf ihm einen finsteren Blick zu. "Du bist noch hier?" Als wüsste er nicht, dass Cletus immer um diese Zeit frühstückte. Auch wenn er sich bemühte früher als Arron aus dem Haus zu kommen, um nicht zusammen mit ihm zur Schule zu gehen, konnte Divius ja wohl nicht erwarten, dass er nie auf ihn traf. Wahrscheinlich hatte er über den Streit mit seinem Sohn einfach nicht mehr an Cletus gedacht. Aber das war nun wirklich nicht seine Schuld. Cletus schob die Unterlippe vor und murmelte: "Als ob ich nicht immer pünktlich in der Schule wäre." Divius ließ sich auf einem der, mit Verschnörkelungen verzierten, Stühle nieder. Er betrachtete Cletus so durchdringend, dass der nicht wagte, sein Frühstück weiter anzurühren. "Du meinst wohl auch, ich sollte dich mitnehmen.", sagte er schließlich in abfälligem Tonfall. "Pah. So wie du rumläufst, müsste ich verrückt sein, mich mit dir blicken zu lassen. Du kannst dich ja nicht einmal dazu durchringen, dir einen ordentlichen Haarschnitt machen zu lassen." Bevor er sich bremsen konnte, wanderte Cletus Hand ertappt zu dem Zopf, der ihm über die Schulter hing. Es war im Grunde so gar nicht seine Art, sich entgegen der neuesten Mode zu stylen, aber... Das Elend hatte vor etwa drei Jahren schleichend begonnen. Er hatte es nicht sofort bemerkt, aber mit Einsetzen der Pubertät, war das satte Grün seiner Haare nach und nach einem schlichten Braun gewichen. Am Anfang hatte er das ganze noch auf schlechtes Licht oder die falschen Pflegeprodukte geschoben, doch nach einer Weile konnte er den Farbwechsel nicht mehr ignorieren. Aber sich damit abzufinden und die grünen Haarspitzen einfach abzuschneiden, hatte er nicht über sich bringen können. Immerhin waren seine Haare die letzte Verbindung zu seiner M-- Er schob den Gedanken im letzten Moment von sich, aber er fühlte sich, als habe Divius ihn sofort durchschaut. Betreten senkte er den Blick, auch wenn er im Grunde wütend darauf war, wie leicht seine inzwischen geübte gleichgültige Fassade wieder Risse bekommen hatte. Divius erhob sich mit einem Schnauben. Cletus sah ihm nicht nach. Was hatte er auch erwartet? Immerhin hatte er bis jetzt noch jedes Mal sein Fett weg bekommen, wenn Divius ärgerlich war.   * * *     "Cletus! Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?" Er blinzelte und bemerkte wie Lucia ihn wütend anstarrte. "Natürlich höre ich zu. Ich dachte nur, du hättest noch nicht fertig gesprochen und ich wollte dir auf keinen Fall ins Wort fallen." Das war natürlich gelogen. Er fiel anderen wirklich gern ins Wort, schon, weil die meistens nichts sonderlich Interessantes von sich gaben. Zugehört hatte er ihr auch nicht. Lucia zog die Nase kraus, aber so ungehalten sah sie nun nicht mehr aus. Mit einem Seufzen lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und griff wieder nach ihrem Becher Soyoccino. Sie nippte an dem Getränk aus hauptsächlich Soya, das trotz des Mangels an Kaffee ganz passabel schmeckte, und starrte ihn nachdenklich über den Rand hinweg an. Cletus mochte es wie ihre dunklen Augen glitzerten wenn sie ihn so ansah. Es war jetzt fast zwei Jahre her, dass aus seiner Schulkollegin seine Freundin geworden war. Sie hatte es mit ihm natürlich sehr gut getroffen, aber er musste auch zugeben, dass Lucia ebenfalls ihre Vorzüge hatte. Ihre schwarzen Haare waren zu einem dicken Zopf geflochten, was ihr recht gut stand, auch wenn er es vorzog, wenn sie die Haare offen trug. Wenn sie nur nicht so viel von Dingen reden würde, die ihm nichts bedeuteten. "Ich mache mir nur solche Sorgen. Es ging meiner Oma heute morgen wieder schlechter und..." Oh nein, sie fing schon wieder an. Was interessierte es ihn, was mit jemandem passierte, den er gar nicht kannte? Mehr als einmal flüchtig hatte er die alte Dame nicht gesehen, aber so unaufhörlich wie Lucia ihn über die mangelnde Gesundheit ihrer Großmutter zu unterrichten versuchte, schien sie zu glauben, dass ihn das ganze irgendwie kümmern musste. Er überlegte fieberhaft wie er das Gespräch wieder in andere Bahnen lenken konnte, ohne dass sie erneut wütend auf ihn wurde. "Komm, ich kaufe dir noch einen Soyoccino." Sie seufzte tief, doch jetzt lag wieder der Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen. "Ach Cletus, das ist süß von dir. Aber eigentlich sind wir doch wegen unseres Schulprojekts hier. Da können wir ja nicht den ganzen Nachmittag im Café sitzen." Er grinste schief. "Es gibt genug in unserer Klasse, die das so machen." "Ja, aber du kannst mir nicht erzählen, dass du dich zufrieden damit geben würdest. Du kannst es doch nicht ertragen, der Zweitbeste zu sein." Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. Sie kannte ihn wirklich gut. "Ich habe eben vor, in meinem Leben noch was zu erreichen." Sie trank den letzten Schluck und setzte den Becher wieder ab. Glücklicherweise hatte dieses Café wie die meisten auf Elysium eine Zahlautomatik in den Tischen, die die Gäste erfasste und das Geld für Speisen und Getränke von ihrem Konto abzog, sodass er nicht erst auf eine Bedienung warten musste, um zu zahlen. Sie erhoben sich und schlenderten zum Streichelzoo, wo es sich mehrere Elysianer verschiedensten Alters gemütlich gemacht hatten und ein - meist pelziges - Tier ihrer Wahl liebkosten. Cletus kämpfte gegen den Drang die Augen zu verdrehen und spielte gedankenverloren mit seinem Pferdeschwanz. "Warum musstest du eigentlich ausgerechnet, dieses Thema für uns aussuchen?" Lucia hatte bereits einen Platz an der Theke angesteuert, wo man das Tier, das man gern streicheln würde, bestellen konnte. Doch statt die Kontrollen zu bedienen, holte sie ihr Schreibzeug hervor und klopfte auffordernd auf den leeren Platz neben ihr. "Du hast gesagt, es wäre dir egal und du würdest mit jedem Thema zurechtkommen." Seufzend setzte sich Cletus zu ihr und bereitete seine eigenen Unterlagen vor. "Und deshalb nimmst du das Thema, das dir am meisten liegt? Ich dachte, du überlegst dir etwas, das uns beide interessiert." "Mir war nicht klar, dass du ein Problem damit hast, dass Elysium eine Datenbank mit den genetischen Profilen bedrohter Tierarten hat." "Bedroht? Ausgestorbene Tierarten meinst du wohl. Und mein Problem ist weniger die Datenbank, als dass sowieso nur die ach-so-niedlichen-Tiere aufgerufen werden und möglichst zahm geklont werden um für die ganzen Weicheier hier ein bisschen Unterhaltung zu haben." "Hast du Angst, dass dein Image als ganzer Kerl darunter leidet, wenn dich jemand mit einem kuscheligen Tier sieht?" Er hob eine Augenbraue. "Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht wie sehr ich die Farbe pink mag und du denkst, dass ich mir Sorgen um mein Image mache?" Lucia schnaubte. "Du machst dir immer Sorgen um dein Image. Ich habe dich auch noch nie mit etwas pinkem gesehen." "Vielleicht trage ich es nicht offen - Es passt nicht so recht zur neuesten Mode. - Aber wenn du wüsstest, was ich hier drunter anhabe..." Er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, doch Lucia schien zu sehr mit den Anzeigen beschäftigt, um darauf zu reagieren. "Was für ein Tier würdest du dir denn aussuchen, das nichts für 'die ganzen Weicheier hier' wäre? Einen Drachen?" Er war sich nicht sicher ob sie sarkastisch gewesen war, aber er beschloss den Vorschlag ruhig erst einmal ernst zu nehmen. "Mal von dem Platzproblem abgesehen, wäre das zumindest mal was anderes. Wenn man die genetischen Daten von mehreren Spezies kombiniert, wäre es bestimmt auch im Bereich des möglichen." Lucia hob eine Augenbraue. "Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder?" Cletus machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wie gesagt, wäre es wohl schon vom Platz her etwas ungünstig. Aber es gibt ja auch kleinere Tiere, die dem vielleicht nahe kommen. Ein Waran zum Beispiel. Da gibt es wirklich gefährliche Exemplare, die würden schon was hermachen. Die würden hier zwischen den kleinen, nutzlosen Fellknäueln richtig aufräumen. Mit messerscharfen Zähnen und giftigen..." Er bemerkte Lucias entsetztes Gesicht und verstummte. Als habe er etwas interessantes in der Liste der Tiere, die der Streichelzoo zum kombinieren und klonen anbot, entdeckt, begann er hastig ein paar Notizen aufzuschreiben. Einen Moment später erwischte er sich dabei, dass er in der Hektik die linke Hand benutzt hatte, anstatt wie Fräulein Melli es ihm eingeschärft hatte "die gute Hand". Er wechselte den Stift in die rechte Hand, als Lucia ihm plötzlich die ihre warm auf den Arm legte. "Weißt du, Cletus, ich kann dich wirklich gut leiden. Aber manchmal verstehe ich einfach nicht, was da in dir vor sich geht. Und das tut mir leid, aber manchmal machst du mir Angst." Sie seufzte. "Ich glaube nicht, dass du das mit Absicht machst und ich denke, wenn wir uns einfach noch ein bisschen besser kennen würden, würde mir das vielleicht nicht mehr passieren. Aber du ziehst dich immer wieder vor mir zurück und willst auch nicht zu mir nach Hause kommen." Er schob die Unterlippe vor. "Ich glaube nicht, dass deine Eltern besonders wild darauf wären, mich öfter zu sehen." "Gut, beim letzten Mal lief es nicht so richtig zwischen euch. Warum musstest du auch so loslachen, als mein Vater einen Toast auf die armen Deponianer ausgesprochen hat?" "Ich kann so was einfach nicht ernst nehmen. Wenn ihnen diese Schrottplatzbewohner so am Herzen liegen, warum sind sie nicht auf dem Planeten geblieben und haben ihre Plätze auf Elysium an zwei Deponianer abgetreten? Es ist ja nicht so, als ob sie auf Elysium geboren wären wie wir." Lucia machte ein genervtes Geräusch. "Sie waren doch selbst noch halbe Kinder als sie evakuiert wurden." Sie rutschte näher an ihn heran und fügte mit einem schiefen Lächeln hinzu: "Außerdem hättest du keine Freundin, wenn sie das getan hätten." Er erwiderte ihr Grinsen und legte ihr den Arm um die Taille. "Das ist doch mal ein gutes Argument.", sagte er und küsste sie. Doch schon nach einem Moment schob sie ihn zurück und flüsterte aufgeregt in sein Ohr: "Hast du den Ältesten gesehen?" Er versuchte sich nicht all zu offensichtlich umzudrehen, doch als er ihn nicht schnell genug entdeckte, hatte seine Neugier bald die Oberhand. Dann erspähte er etwas abseits einen rundlichen, älteren Mann mit tiefschwarzer Haut und einem weißen Bart. "Ist das Ältester Deux?" Lucia nickte und lächelte. "Er ist mit meinen Eltern befreundet und sehr nett. Aber du klingst als würdest du ihn gar nicht kennen. Ich dachte er wäre entfernte Verwandtschaft von deiner Mutter." Cletus presste die Lippen ärgerlich zusammen. Er wusste, dass Deux ein Großonkel Deneshas gewesen war, aber sehr zum Leidwesen von Divius hatte sie sich nie etwas aus Politik gemacht und kaum Kontakt zu ihrem berühmten Verwandten gehabt. Er hatte gehört, dass der Älteste auf Deneshas Rückführung anwesend gewesen war, aber... Nun ja. "Ich kenne ihn flüchtig.", sagte er ausweichend. "Er hat erzählt, dass er seit dem Tod deiner Mutter beinahe einmal im Monat mit deinem Vater essen geht. Nimmt er dich und deinen Bruder da nie mit?" Warum musste sie nur immer wieder auf seine Familie zu sprechen kommen? Er war dem Thema bis jetzt meist erfolgreich aus dem Weg gegangen, aber langsam gingen ihm die Ausreden aus. Und er wäre lieber gestorben als sich bei Lucia auszuheulen. So verzweifelt war er nun doch noch nicht. "Er meint, solange ich so rumlaufe, würde er mich nie zu offiziellen Anlässen mitnehmen.", antwortete er schließlich mit einer Geste zu seinem Zopf hin, stolz, dass ihm doch noch etwas eingefallen war. Lucia runzelte die Stirn. "Ich habe mich ehrlich gesagt, auch schon gefragt, warum du dir nicht endlich die Haare schneiden lässt. Du bist doch sonst so modebewusst." Und die nächste unangenehme Frage. Langsam wünschte er sich sie würde wieder von ihrer im Sterben liegenden Großmutter erzählen. "Nostalgie?", schlug er vor. Sie sah ihn lange mit ihren durchdringenden, dunklen Augen an. "Ist es weil du noch grüne Haare hattest als deine Mutter gestorben ist? Und es dich an sie erinnert?" Er wich ihrem Blick aus. Wer weiß, vielleicht konnte sie Gedanken lesen. "Kann sein." "Möchtest du darüber reden?" Er schüttelte schon den Kopf bevor sie die Frage auch nur vollendet hatte. "Ach, Lucia, das ist doch albern. Es sind ja nur Haare." "Würde es dir helfen, wenn ich mit zum Friseur komme?" Er wollte sie gleichzeitig an sich drücken und wegstoßen. Musste sie ihn immer so durcheinander bringen? Er strengte sich an, dass sein Gesicht einen wohlgeübten Ausdruck gelangweilter Gleichgültigkeit zeigte, bevor er sich an eine Antwort traute. "Wenn du dann unbedingt meine neue Frisur bewundern willst, komm von mir aus mit." Sie grinste wieder. "Na dann los." Beinahe wären ihm seine Züge wieder entglitten. "Was denn? Jetzt?" "Na klar. Dann hast du es hinter dir." Da hatte er nun den Salat.   * * *     "Ich finde, es sieht gar nicht so schlecht aus." Cletus warf Lucia einen Seitenblick zu. Natürlich sah es nicht schlecht aus. Immerhin war sein Gesicht darunter. Aber... "Es ist einfach ein bisschen ungewohnt.", antwortete er schließlich. Der Friseur, ein Elysianer, der sich die eigenen Haare dunkelblau und silbern gefärbt hatte, und sichtlich enttäuscht war, als Cletus all seine extravaganteren Vorschläge ablehnte, betrachtete ihn immer noch eingehend. Anscheinend hatte er den Drang noch nicht aufgegeben, seine künstlerischen Ambitionen etwas mehr zu befriedigen, aber Cletus fand, dass das dem Gedanken eines unauffälligeren Haarschnittes zuwider lief. Vorn hatte ihm der Mann einen Pony geschnitten und die Haare dann etwas eingedreht, so dass sie nicht fransig in seine Stirn fielen sondern sein Gesicht eher wie Wellen einrahmten. Hinten waren seine Haare allerdings noch mindestens kinnlang und er war sich nicht sicher ob das viele Haarspray und Pomade ausreichen würden, sie an Ort und Stelle zu halten. Zwar gab es auf Elysium keinen Wind, aber er war auch nicht wild darauf bei jeder heftigeren Kopfbewegung darauf achten zu müssen, ob seine Frisur noch saß. Als habe er seine Gedanken erraten griff der Friseur noch einmal in eine Kiste und zog ein breites Haarband in dem auf Elysium so populären mintgrün hervor. Cletus' Augen weiteten sich. Mit so einem Band hatte auch Denesha ihre Lockenpracht aus dem Gesicht gehalten, aber die Dinger waren bei Elysianern aller Geschlechter weit genug verbreitet, um nicht besonders aufzufallen. Ohne um Erlaubnis zu bitten, befestigte der Friseur das Band mittels eines Clips unter den Haaren hinter Cletus' rechtem Ohr und zog es dann über seinen Hinterkopf, um das andere Ende hinter dem linken Ohr festzustecken. Dann nickte er, zufrieden mit sich selbst und mit einer Miene, die keinen Widerspruch duldete. Cletus lächelte. als er den grünen Akzent in seinen braunen Haaren betrachtete. "Ja, ich denke, so kann es bleiben." Er erhob sich und betätigte einen Knopf an der Empfangstheke des Salons, womit er seine Identität bestätigte und die Abbuchung von seinem Konto autorisierte. Er nickte dem Friseur zu, der sich jedoch bereits auf einen neuen Kunden gestürzt hatte und sein nächstes Projekt plante. Also legte er den Arm um Lucias Schultern und wandte sich zum Gehen. "Seit wann habt ihr denn Klone hier im Salon?", ertönte eine, ihm bekannt vorkommende Stimme von hinten. Cletus drehte sich verwundert um und erkannte Ennio, einen weiteren Klassenkameraden. "Ennio? Wovon redest du?" Der andere junge Mann kam näher, sein Gesicht ebenso verwirrt wie Cletus', und starrte ihn prüfend an. "Cletus? Mann, dich habe ich ja kaum erkannt. Ich dachte für einen Moment, du wärst ein Klon, sorry. Was hast du mit deinen Haaren gemacht?", brach es aus ihm hervor und er lachte verlegen. Cletus verdrehte genervt die Augen. "Du brauchst wohl echt neue Augen. Oder mit dem Körperteil hinter deinen Augen stimmt was nicht. Außerdem sind meine Haare schon eine ganze Weile braun, sie sind jetzt nur kürzer." Ennio lachte unbeirrt weiter. "Ach, Mann, versteh mich nicht falsch, aber ich guck dich sonst nicht allzu gründlich an. Bei Lucia wär' das ja was anderes." Er grinste vielsagend und stieß Cletus in die Seite. Lucia sah wie sich sein Gesicht weiter verfinsterte und hakte sich kurzerhand bei ihm unter. "Also dann, wollen wir, Cletus? Bis Morgen, Ennio, war nett dich zu treffen." Er ließ sich von Lucia aus dem Salon bugsieren und schlenderte mit ihr nach Hause. Je näher sie ihrem eigenen Apartment kam, desto stiller und in sich gekehrter wurde Lucia. Cletus war das ganz recht, da ihm ohnehin nicht nach Smalltalk war. Er verabschiedete sich mit einem Kuss auf ihre Wange und machte sich weiter auf den Weg. Doch als er ein gutes Stück weitergegangen war, bemerkte er, dass sie noch immer nicht hineingegangen war, und etwas verloren auf der Straße stand. Er entschied, dass das ihre Sache war und vermied es noch einmal zurück zu sehen. Glücklicherweise waren weder Arron noch Divius zu sehen, als er in die Wohnung huschte und den Hausbot anwies ihm das Abendessen ins Zimmer zu bringen. Er musste erst selbst mit seinem neuen Aussehen warm werden, bevor er Divius damit unter die Augen treten konnte. In seinem Zimmer packte er alle Notizen und Unterlagen für das Schulprojekt auf seinen Schreibtisch und setzte sich dann an seinen Frisierspiegel. Er betrachtete sein Gesicht, die schmalen, bleichen Züge von denen das Weiche seiner Kindheit größtenteils gewichen war, die lange gerade Nase, die dichten, dunklen Augenbrauen, die vom gleichen Braun waren wie seine Haare. Und er versuchte sich daran zu erinnern wie der Klon ausgesehen hatte, den er vor Jahren in seinem Zimmer getroffen hatte. Mit einem Schnauben schob er den Gedanken wieder von sich. Ennio war ein Idiot, das war alles. Und eines Tages würde er, Cletus, sich so einen Namen machen, dass ihn niemand je wieder unterschätzen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)