Humanity von hYdro_ ================================================================================ Kapitel 19: Verderben --------------------- Wenn man bei der Kriminalpolizei arbeitete, sah man mehrheitlich nur das Schlechte, das diese Welt zu bieten hatte. Es ließ sich kaum vermeiden, dass man mit den tragischen Schicksalen der Mordopfer in Kontakt kam. Besonders erdrückend war es, wenn man die Angehörigen der Opfer befragen musste. Dann war es, als würde ihr Schmerz auf einen hinüberspringen und manchmal war es so schlimm, dass sogar die Hartgesottensten Mühe hatten, professionell zu bleiben und es nicht zu sehr an sich heranzulassen. Sakura hatte dahingehend immer Probleme, sich nicht zu sehr mitreißen zu lassen. Was auch daran liegen konnte, dass sie noch nicht so viel Erfahrung hatte und allgemein ein sehr emphatischer Mensch war. Doch zum Glück konnte sie die trüben Gedanken immer recht schnell abschütteln. Wenn sie nach der Arbeit nach Hause fuhr, legte sie immer ihre lieblings-CD ein, summte zu der fröhlichen Melodie und sobald sie das Mehrfamilienhaus erreicht hatte, in dem sie zusammen mit Sasuke lebte, war alles Schlechte aus ihren Gedanken vertrieben. Die Welt war nunmal nicht perfekt. Es gab so viel Leid und Tod, versteckt hinter unscheinbaren Ecken und Winkeln. Die Meisten befassten sich einfach nicht damit. Warum sollte man auch, so lange man selbst nicht involviert war? Doch Sakura wollte nicht wegsehen – sie wollte hinsehen. Aus dem einfachen Grund, um etwas dagegen unternehmen zu können. Doch sich selbst zu schützen war unabdingbar. Wenn man so viele schreckliche Dinge sah, durfte man einfach nie vergessen, dass es auch noch Gutes auf der Welt gab. Ihre Familie war das hellste Licht das sie hatte. Sasuke und ihr Ungeborenes vertrieben die Dunkelheit jedes mal. Und als sie nun die Treppen zu ihrer Wohnung hinaufstieg, befand sie, dass es keine schlechten Tage gab, wann immer man am Ende nach Hause kommen konnte. «Sakura!» Sie war gerade in ihrer Etage angelangt, da ruckte ihr Kopf hoch und ihr Blick begegnete dem der älteren Dame – ihrer Nachbarin – die alleine in der kleinen Wohnung über ihr lebte. «Wie geht es dir? Habt ihr euch gut eingelebt?», fragte diese mit einem faltigen Lächeln. Sie stand oben auf der Treppe, vor ihrer halb offenen Wohnungstür und sah warmherzig zu ihr hinab. «Oh, hey. Ja, das haben wir, danke. Die Gegend gefällt uns wirklich sehr.» Während Sakura in ihrer Tasche nach den Schlüsseln kramte, versuchte sie sich an den Namen der älteren Frau zu erinnern. Sie tat sich immer schwer mit Namen und gerade hoffte sie, dass es sie heute nicht in eine peinliche Situation bringen würde. «Das ist schön! Wenn du Lust und Zeit hast, dann komm doch hoch, dann können wir uns bei einem Stück Kuchen unterhalten. Ich habe heute Nachmittag einen gebacken und erst jetzt gemerkt, dass ich die große Form genommen habe. So viel kann ich unmöglich alleine essen und es wäre doch schade um den schönen Kuchen.» «Oh, das wäre wirklich nett, aber eigentlich–» «Sasuke ist doch noch nicht da. Ich habe ihn jedenfalls nicht gehört. Also spricht doch nichts dagegen?», versuchte sie Sakura weiter zu überzeugen, gerade als diese den Schlüssel zu fassen bekam. Manch einer würde es als unheimlich bezeichnen, dass jemand immer haarklein genau wusste, wann die Nachbarn den Block verließen und wiederkamen. In gewisser Hinsicht war es das vielleicht auch. Doch eigentlich tat es Sakura eher als eine seltsame Macke einer etwas zu aufmerksamen älteren Frau ab. Und manchmal hatte sie den Eindruck, als wäre ihre Nachbarin bloß ein wenig einsam, so oft sie sie und auch die anderen im Block schon im Treppenhaus abgefangen hatte, nur um sie in ein kurzes Gespräch zu verwickeln. Mit einem warmen Blick wickelte die Alte sie schließlich ein und Sakura konnte nicht anders, als Mitleid mit ihr zu haben. Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen. «Na gut», meinte sie dann und versuchte sich an einem Lächeln. Auch wenn sie von der Arbeit erledigt war und sich eigentlich auf ein schönes Bad gefreut hatte, war gegen einen kurzen Besuch ja nichts einzuwenden. Denn wenn sie ehrlich war, knurrte ihr Magen jetzt schon und da war die Aussicht auf ein Stück Kuchen immerhin auch nicht so schlecht. Sonst hätte sie noch eine kleine Ewigkeit auf Sasuke warten müssen, damit sie zusammen zu Abend essen konnten. «Wie schön!», strahlte die Alte. Ihr Gesicht hellte sich auf, wirkte eine Sekunde etwas weniger faltig, bevor sie Sakura aufgeregt in ihre Wohnung winkte. «Na dann komm, er ist sogar noch ein wenig warm.» «Was für einen Kuchen haben Sie den gebacken?», fragte sie beiläufig und stieg die kurze Treppe hinauf. Dann fiel ihr etwas ein und sie versuchte einen Blick auf das Klingelschild zu erhaschen, doch ihre Nachbarin stand unglücklicherweise direkt davor und so war es ihr unmöglich den Namen abzulesen. «Ach, Liebes, du brauchst mich nicht zu siezen. Nenn mich einfach Chiyo.» ♦︎ Deidara war mit seinen jungen Jahren schon vielen schlimmen Dingen begegnet, hatte durchaus auch selbst einiges am eigenen Leib erfahren – deswegen hatte er immer gedacht, dass es nichts mehr geben würde, das ihn wahrhaftig schockieren könnte. Doch er musste schon bald erfahren, dass er diesbezüglich falsch gelegen hatte. Der Blonde war gerade dabei gewesen gezwungenermaßen in seine dreckigen Klamotten zu schlüpfen, als er den ersten Schrei vernahm. Nur dumpf drang dieser bis zu ihm ins Badezimmer vor und war dennoch deutlich genug, damit er mit angehobenen Brauen sein eigenes Spiegelbild irritiert anstarrte. Er verharrte, lauschte und es sollte nicht das Einzige Geräusch gewesen sein. Weitere Schreie folgten, die ihn dazu brachten sich sein Shirt unordentlich überzuwerfen und beunruhigt nachzusehen was los war. Im Wohnzimmer angelangt klopfte er gegen die Tür des Zimmers, in das Sasori zuvor verschwunden war. Als der Rothaarige weder darauf, noch auf sein Rufen hin reagierte und stattdessen ein weiterer, gellender Schrei durch die Tür drang, stieß Deidara diese alarmiert auf, platzte in den Raum, in dem sich ihm ein Bild bot, das er so schell nicht wieder vergessen würde. «Was machen Sie da, un?!», entkam es ihm entsetzt. Er handelte im ersten Augenblick wie ferngesteuert, wie aus einem Impuls heraus stürmte er zum Bett, riss Sasori die Säge aus der Hand und verpasste ihm mit der flachen Hand eine Ohrfeige die sich gewaschen hatte. Ein Klatschen erfüllte den Raum, Sasoris Kopf flog zur Seite, ehe der Ältere wie ein nasser Sack nach hinten kippte und dort reglos liegen blieb. Ohne auch nur im Ansatz wirklich richtig begriffen zu haben, was sich da gerade vor seinen Augen abgespielt hatte, stand Deidara wie erstarrt vor dem Bett und blickte aus geweiteten Augen zum Rothaarigen hinab. Der Teppichboden färbte sich rot, schien das Blut, das fortlaufend aus der klaffenden Armwunde des am Boden liegenden quoll, wie ein Schwamm aufsaugen zu wollen. Eine Minute verging, in der der Blonde auf den immer größer werdenden Fleck starrte, bevor sein Blick auf die Säge fiel, die er noch immer umklammert hielt. Ein blutiger Hautfetzen haftete an den scharfen Zacken, die Sasori zuvor noch über seinen Arm hat fahren lassen. Manisch und wie im Wahn. Als würde er verbissen ein widerspenstiges Stück Holz bearbeiten. Und nicht seinen Arm. Seinen gottverdammten, eigenen Arm! Stück für Stück sickerte das eben Geschehene in Deidaras Verstand vor, bevor es ihn wie eine Flut mitriss und er endlich begriff dass das hier der Wirklichkeit entsprach und es sich nicht bloß um einen schlechten Alptraum handelte. Sein Herz setzte einen Schlag aus, nur um umso heftiger gegen seine Brust zu schlagen, während sich seine Kehle zuzog, als stünde sie im Griff einer eisig kalten Hand, die ihn zu Tode würgen wollte. Die Säge glitt ihm aus der Hand und fiel klirrend zu Boden. «Scheiße», keuchte er, und löste sich aus seiner Starre, trat langsam auf den Bewusstlosen zu. Halb beugte er sich über diesen, griff ihm völlig neben sich unter die Arme, um ihn auf das Bett zu hieven und dort abzulegen – mit aller Vorsicht auf den verletzten Arm. Diesen wagte er kaum anzusehen – die Wunde sah schlimm aus. Die Blutung war stark, ein Teil des Lakens sog sich bereits mit der roten Flüssigkeit voll. Schnell suchte Deidara das Zimmer nach etwas ab, das sich als Verband eignen würde, griff sich das erstbeste, um den Blutfluss so schnell wie möglich zu stoppen. Er zögerte einen Moment, als er soeben den Kissenbezug auf die Wunde drücken wollte, traute sich nicht den Arm auch nur anzurühren, da sich das Bild vor seinem geistigen Auge manifestierte, dieser würde schon bei der kleinsten Berührung an der Wunde auseinander knicken und nur noch an einem Hautlappen vom Oberarm baumeln – wie als ob ein Streichholz in zwei Teile brechen würde. Bei dieser Vorstellung, gepaart mit dem widerlichen Knacken von Knochen, das er glaubte in seinen Ohren widerhallen zu hören, musste er sich die Hand vor den Mund schlagen. Er würgte trocken und glaubte schon den scheußlichen Geschmack von Galle auf der Zunge zu schmecken. Das hier war nichts für ihn. Das war einfach eine Nummer zu groß. Damit kam er nicht klar. Überfordert kniff er die Augen zusammen und betete darum, gerade irgendwo anders zu sein. Zwar machte ihm Blut generell nichts aus, doch das hier war anders als bei seinen Attentaten. Bei diesen beobachtete er die Zerstörung aus der Ferne – ein unbedeutender roter Fleck, dort, wo die Detonation einen Körper erwischt hatte. Und bei einem Schusswechsel traf er so zielgenau, dass die Sache schnell erledigt war. Nur selten sah er sich mit etwas konfrontiert, das dem hier nahe kam. Doch das eigentlich Problem war nicht die Verletzung an sich, sondern dass sich Sasori diese selbst zugefügt hatte. Er bekam dieses Bild einfach nicht mehr aus seinem Kopf, wie der Rothaarige seinen Arm bearbeitete, mit diesem beängstigenden Funkeln in den Augen, das jenseits von Gut und Böse gewesen war. Was auch immer im Kopf des Älteren vorgegangen war, dass dieser absichtlich seinen eigenen Arm hatte abtrennen wollen, erschütterte Deidara bis in den Kern. Tief atmete er ein und aus, versuchte seine Übelkeit runterzuschlucken und sich zu sammeln. Denn jetzt war nicht die Zeit um schlapp zu machen. Was auch immer der Ältere für Gründe dafür gehabt hatte – Deidara würde ihn hier nicht verbluten lassen. Er nahm sich zusammen und überwand sich, drückte den Stoff auf die Wunde, umwickelte den Arm so gut es ging und wagte einen Blick zu Sasori. Jegliche Farbe war aus dessen Gesicht gewichen, was Deidara kalter Angstschweiß in den Nacken trieb. Mit zitternden Fingern tastete er nach dem Puls des Rothaarigen und war nur kurzweilig erleichtert, als er das zarte Pochen der Halsschlagader spürte. Er zog seine Hand zurück und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Diese Situation überforderte ihn so dermaßen, sein Kopf war leer und alles, das er über erste Hilfe zu kennen glaubte, war wie weggefegt. Ihn befiel das starke Bedürfnis, so lange auf den Bewusstlosen einzuschlagen, bis dieser wieder zu sich kam. Gleichzeitig brach eine alles einnehmende Angst über ihn herein, die seinen Mund trocken werden ließ. So hilflos hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. «Wachen Sie auf, un», flüsterte er und tätschelte vorsichtig Sasoris Wange. Es folgte keine Reaktion, weshalb er etwas fester weitermachte. Irgendwann war er so verzweifelt, dass er ausholte und dem Bewusstlosen erneut eine scheuerte. «Wagen Sie es bloß nicht, mich mit dem Mist hier alleine zu lassen!», brüllte er außer sich, nur um im nächsten Moment den tonnenschweren Stein von seinem Herzen fallen zu hören. «Sasori» stieß er erleichtert aus, da sich dieser endlich regte. Seine Lider zuckten als hätte er einem Alptraum, ein schmerzerfülltes Stöhnen drang aus seinem halboffenen Mund, als er den Kopf unwohl zur Seite warf. Sein Gesicht verzog sich, als er ganz plötzlich die Augen aufriss und einen kurzen Schrei ausstieß. Sein Körper krampfte sich vor Schmerz zusammen, bebte und zitterte unter dem Stress und Deidara musste ihn an den Schultern nach unten drücken, da er sich ansonsten herumgewälzt hätte – was mit der Verletzung sicherlich keine gute Idee war. «Bewegen Sie sich nicht, un.» «Bring–», krächzte Sasori, bevor das Folgende in einem weiteren Schmerzenslaut unterging. «Was? Was? Was soll ich bringen, un?» «Bring meinen Rucksack», kämpfte der Rothaarige heraus, kniff die Augen zusammen. Er konnte sich kaum still halten, seine Brust bäumte sich immer mal wieder gegen Deidaras Hände – er musste höllische Schmerzen haben. Der Blonde tat wie ihm geheißen, stolperte vom Bett, auf dem er bis eben gekniet hatte. Hektisch sah er sich im Zimmer um und fand gesuchtes Objekt nahe der Tür liegen. Als er sich damit wieder zum Bett begab, riss ihm Sasori diesen förmlich aus der Hand. Zitternd kramte der Rothaarige im Rucksack, bis er ein Etui zu Tage förderte, dessen Inhalt er ohne Umschweife einfach ausleerte. Verbände, Spritzen, Fläschchen und noch einige andere Utensilien verteilten sich über Sasoris Brust. Und während dieser sich durch die Fläschchen wühlte, sich jedes einzelne vor die Augen hielt, um deren Etikett einzusehen, ging Deidara so langsam auf, was der Rothaarige beabsichtigte. Er war überaus erleichtert, dass der andere wieder bei klarem Verstand war und sogar halbwegs einen Plan hatte, was zu tun war. Das rechnete er Sasori hoch an – vor allem unter diesen Umständen – und kam sich selbst dabei umso unfähiger vor. «Sitz da nicht so rum, bind meinen Arm ab», herrschte der Ältere ihn aus zusammengebissenen Zähnen an. Und tatsächlich fand Deidara unter den Sachen etwas Brauchbares und machte sich daran, Sasoris Arm abzubinden, damit das Blut abgeklemmt wurde und nicht mehr allzu viel davon aus der Wunde austreten konnte. Nachdem er es am Oberarm so fest er nur konnte zugezogen hatte, kontrollierte er noch kurz die Wunde selbst und wechselte den Kopfkissenbezug durch einen Verband aus, den er notdürftig darum wickelte. Er ging dabei so vorsichtig wie möglich vor, was ihm wohl nicht sehr gut gelang, denn Sasori dankte es ihm mit einem scharfen Zischen. Ansonsten versuchte dieser jedoch krampfhaft stillzuhalten und als der Blonde mit seiner Arbeit fertig war, atmete der Ältere angestrengt aus, hielt ihm jedoch sogleich eines der Fläschchen hin. «Aufziehen. 80 Milliliter.» Wortlos nahm Deidara dieses entgegen und eine Spritze zur Hand, die er erstmal aus der Verpackung beförderte. Auch wenn er das noch nie getan hatte, konnte das doch nicht so schwer sein. Er dachte an die Filme, die er gesehen hatte und ahmte die Ärzte darin nach, stach die Spritze in die Aufzugskappe, stützte das Fläschchen und zog die ihm aufgetragene Dosis in die Spritze auf. Dabei fiel sein Blick auf das Etikett, auf dem mit großen, serifenlosen Buchstaben Morphin geschrieben stand. Auch wenn er von medizinischen Dingen keine Ahnung hatte, war das sogar ihm ein Begriff – das härteste Zeug vom Harten. Deidara hoffte nur, dass der andere wusste, was er da tat und sich mit der Menge nicht verzettelte. Vor allem gerade jetzt, wo er solche Schmerzen ausstand, dass manch einer sicherlich zu einer großzügigeren Dosis hingerissen wurde, nur um die Schmerzen loszuwerden. «Mach endlich! Ich halt das nicht mehr aus.» Keuchte Sasori mit schmerzverzerrtem Gesicht und Deidara versuchte sich zu beeilen. Als er es endlich geschafft hatte, riss ihm der Rothaarige die Spritze aus der Hand und rammte sie sich geradewegs in den Bauch. Die Flüssigkeit wurde für Deidaras Befinden viel zu schnell in den Körper gepumpt, doch er wagte nicht, das anzumerken. Kaum war der letzte Tropfen aus der Spritze gepresst worden, fiel Sasori keuchend zurück. Sein Körper entspannte sich schlagartig und dann lag der Ältere nur noch schlaff da, drehte benommen seinen Kopf zur Seite, die Augen verdreht, als hätte er sich gerade die härteste Dröhnung gezogen die es gab. Deidara beobachtete das alles im Stillen. Doch als Sasori auch eine Minute später immer noch ruhig da lag, seine Irden von einem Schleier durchzogen, sein Blick unfokussiert im Raum herum irrend, räusperte sich der Blonde leise. Der Ältere reagierte nicht, schien vollkommen weggetreten und machte auch nicht den Anschein, als wollte er in nächster Zeit etwas wegen seiner Verletzung unternehmen, was der Moment war, in der Deidara seine Stimme wiederfand. «Können Sie aufstehen, un? Ich kann Sie zwar zum Motorrad tragen, aber Sie müssen sich selbst festhalten, sonst kann ich nicht fahren.» Er sprach so schnell, dass die Worte eher stolpernd über seine Lippen kamen. «Wohin?», flüsterte Sasori vollkommen ermattet und kaum hörbar, während er es nichtmal für nötig hielt, seinen Kopf zu ihm zu drehen. «Wohin… willst du?» Der Blonde glaubte sich verhört zu haben. Wohin?! Sollte das ein schlechter Scherz sein? Auch wenn es so schien, als habe der Ältere erstmal keine Schmerzen mehr, war das Problem dadurch doch keineswegs gelöst. Zudem hatten sie keine Zeit für langes Gerede. «Na in die Notaufnahme!», schrie Deidara fast schon hysterisch, da nun wieder die Wut überwog und er einfach nicht wusste, wie er das alles verarbeiten sollte. «Ihr Arm sieht verdammt übel aus, das muss bestimmt operiert werden, un! Scheiße, obwohl ich schon jetzt daran zweifle, ob da noch was zu retten ist. Aber jetzt endlich hoch mit Ihnen!» Grob zog er Sasori am unverletzten Arm zu sich, doch der wiederum stemmte sich ihm entgegen, machte sich absichtlich schwer, wodurch er wieder zurück aufs Bett fiel. Deidara blinzelte irritiert, da er sich nicht zusammenreimen konnte, was das nun sollte. «Kein Krankenhaus», murmelte Sasori schwach, während ihm seine Haare schon verschwitzt und strähnig an der Stirn klebten. «Oder bist du lebensmüde.» Deidara starrte den Rothaarigen einen Moment fassungslos ab, bevor sich in ihm eine Wut zusammen brodelte, die jeden Augenblick mit einem Knall aus ihm brechen würde. Wer war hier denn lebensmüde?! Dem Blonden war durchaus klar, dass sie in einem Krankenhaus gefundenes Fressen waren für die Beamten, die hinter ihnen her waren. Die Kliniken wurden sicherlich auch gründlich nach ihnen abgesucht. Das Risiko war hoch geschnappt zu werden, doch was gab es denn für eine Alternative? Deidara war kein Fachmann, doch selbst er sah, dass die Verletzung, die sich der andere zugefügt hatte, lebensbedrohlich werden konnte, sollte man sich nicht schnell genug Hilfe suchen. Infektionen könnten auftreten oder allein der bisherige Blutverlust war schon eine Sache für sich und mehr als bedenklich. Zudem hatte er bei dem kurzen Blick, den er zuvor auf die Wunde geworfen hatte, schon erkannt, dass diese überaus tief war, wenn sie Glück hatten nur zur Hälfte durch – das konnte unmöglich so gelassen werden. Mit einfachem Zunähen oder Abheilen lassen, wäre es definitiv nicht getan. Sasori musste als bald als möglich versorgt werden. Und das musste diesem doch auch klar sein. Warum also sträubte er sich? War ihm sein Leben derart bedeutungslos, dass er es so leichtfertig auf’s Spiel setzte? «Was ist nur los mit Ihnen, un?! Wollen Sie hier lieber verbluten? Warum zum Teufel haben Sie das überhaupt getan? Was ist nur in Sie gefahren, dass Sie sich ihren eigenen verdammten Arm haben absägen wollen? Das ist verrückt, un! Sie sind verrückt! Und jetzt sind Sie vollkommen übergeschnappt und wollen einfach liegen bleiben und sterben oder was?! Sie sind doch krank!» Die Worte sprudelten aus ihm heraus, ohne dass er etwas dagegen hätte unternehmen können. Die Aktion des Älteren hatte ihn einfach derart geschockt, dass er sich nicht anders zu helfen wusste. Und diese Gleichgültigkeit, die der andere jetzt wieder an den Tag legte, kam er einfach nicht mehr klar. «Ich weiß», antwortete Sasori scharf und eine Spur lauter als zuvor. Sein Blick klärte sich ein wenig und er sah Deidara endlich wieder an. Trotz seiner matten Züge hatte sich eine zornige Falte auf seiner Stirn gebildet. «Das weiß ich selbst auch alles.» Stur und auf eine seltsame Art dennoch einsichtig blitzen ihm die braunen Augen entgegen und Deidara glaubte, trotz dem Schleier, der sich über sie gelegt hatten, noch nie so viel… so viel Leben in ihnen gesehen zu haben. Der Jüngere wusste nicht, ob es durch die Wirkung des Betäubungsmittels hervorgerufen wurde oder doch etwas anders der Auslöser dafür war, aber die emotionslose Maske war fort, wie weggewischt. Deidara konnte dem anderen regelrecht im Gesicht ablesen, was er dachte, was er fühlte – wie in einem offenen Buch. Dem Blonden wurde das Herz schwer, ihm taten seine Anschuldigen, die er dem anderen so unbedacht entgegengeworfen hatte, bereits wieder leid, als er die endlose Traurigkeit und diese bittere Aussichtslosigkeit in den braunen Augen aufkeimen sah. Als würde Sasori es wissen. Als würde ihm bewusst sein, wie es um seine Psyche stand und er sich dennoch nicht stoppen konnte. Als wäre er dazu verdammt zuzusehen, wie er unaufhaltbar auf sein eigenes Verderben zuhielt. «Es war eine Kurzschlussreaktion. So wollte ich das nicht.» Sasori deutete mit dem Kopf rüber zu seinem verletzten Arm. «Ich dachte, das würde es besser machen. Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen. Weil… das neulich einfach zu viel für mich war. Und dann… kommst du und bringst mich immer so durcheinander.» Kraftlos fiel sein Kopf zurück auf die Kissen, bevor er benommen die Augen schloss, während Deidara sich über die Redseligkeit und Offenheit des anderen wunderte. Wohl eine Nebenwirkung des Morphins. Der Blonde wusste darauf nichts zu erwidern – was hätte er auch sagen sollen? Zumal er auch nur erahnen konnte, was ihm Sasori damit hatte sagen wollen. Dass er auf verquere Weise irgendeine Mitschuld an der Selbstverletzung des Älteren hatte, war jetzt jedoch nicht mehr von der Hand zu weisen. Womöglich war die Sache vorhin der Auslöser hierfür gewesen? War er ihm zu nah gekommen? Hatte Sasori ein Problem mit Bindungen oder gar Angst vor Nähe? Hatte ihn das dazu gebracht, sich solche Dinge anzutun? Wie tief mussten seine psychischen Probleme wohl gehen, dass auf eine einfache Annäherung, Selbstverstümmelung folgte? Auch wenn ihm schon etliche Fragen auf der Zunge brannten, so hielt er sich zurück. Zum einen wollte er Sasoris jetzige Labilität nicht noch weiter verschlimmern, zum anderen hatten sie gegenwärtig größere Probleme. Denn der Verband unter seinem Griff färbte sich bereits wieder rot. Deidara drückte seine Hand noch etwas fester dagegen, was Sasori nun nichtmal mehr wahrzunehmen schien, denn dieser gab keinen Mucks von sich. «Na schön, auch wenn wir uns alle nun ein wenig beruhigt haben, das hilft uns jetzt trotzdem nicht weiter, un. Das da wird dadurch nicht besser, nur schlimmer, wenn wir weiter Zeit verplempern. Also kommen Sie endlich und bitte sagen Sie mir nicht, dass Sie noch immer nicht ins Krankenhaus wollen.» «Kein Krankenhaus», wiederholte der Rothaarige, was diesem nur einen verzweifelten Blick seitens Deidara einbrachte. «Wir können das auch anders wieder in Ordnung bringen.» «Und wie?», wollte der Blonde vorsichtig wissen, auch wenn er die Frage bereits bereute. «Du musst es tun.» «Was?» Sasori antwortete nicht, wies nur mit einer Geste auf den Sektionskoffer, der offen vor dem Bett auf dem Boden lag. Deidaras Augen weiteten sich in Unglauben, als er meinte zu verstehen, was der Ältere damit andeuten wollte. «Vergessen Sie es, un! Ich kann das nicht, ich kenne mich damit Null aus.» Wehrte er sofort ab. Allein die Vorstellung war… nein. Dafür war er nicht gemacht. «Doch das kannst du. Das musst du. Ich würde es ja selbst tun, aber das geht nicht mit nur einer Hand.» Hielt Sasori dagegen und er schien es tatsächlich ernst zu meinen. Deidara verzog unwillig das Gesicht, versuchte sich dennoch damit anzufreunden, dass er Sasoris Arm irgendwie… zusammen basteln sollte. Doch es gelang ihm nicht. Er verstand einfach nichts davon, traute es sich nicht zu, mal abgesehen davon, dass er es eigentlich auch gar nicht tun wollte. Er hatte nicht den Mut dazu, zu vieles was schiefgehen könnte. Wenn er etwas falsch machte, war es das – schließlich handelte es sich hier um einen echten, lebenden Menschen und keine Versuchspuppe, die beliebig ausgetauscht werden konnte. «Ich kann das nicht.» Heftig schüttelte er den Kopf. Am Ende wäre er Schuld daran, wenn Sasori bis ans Lebensende verkrüppelt sein würde. Damit konnte er nicht leben. Er merkte erst dann, dass der Rothaarige nach ihm griff, als dieser ihn schon zu sich runtergezogen hatte. Und das so weit, dass sich ihre Gesichter direkt voreinander befanden und er den flachen Atem des Älteren gegen seine Haut schlagen spürte. «Bitte», flüsterte Sasori in einem seltsam sanften Tonfall. Der Blick, den er dem Blonden daraufhin zuwarf, konnte dieser nur schwer standhalten. «Ich brauche dich jetzt, Deidara.» Der Jüngere haderte mit sich. Noch nie hatte er mitbekommen, dass Sasori um etwas bat. Es hatte für ihn immer den Anschein gemacht, als wäre der Rothaarige zu Stolz dafür. Dieser tat doch sonst immer so unnahbar und kontrolliert – als gäbe es nichts womit er nicht alleine fertig werden würde. Aber gerade bat er ihn um Hilfe und allein das reichte Deidara aus, um es sich nochmal zu überlegen. Ich brauche dich, hallte es in seinem Kopf wider und mit jeder Sekunde fand er mehr Gefallen an diesen Worten. Was musste er tun, um Sasori noch weitere dieser Art zu entlocken? «Scheiße, na gut!», gab er sich geschlagen, da ihm ja so oder so keine andere Wahl blieb. Er bemerkte Sasoris erleichtertes Aufatmen und hoffte nur, dass er das nicht bereuen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)