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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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PROLOG

Nachdem sich die Menschheit, wegen separatistischer Bewegungen in den Osteuropäischen Nationen, nahe am Rand eines Dritten Weltkrieges befunden hatte, wurde, im Jahr 2028, eine übergeordnete Instanz gebildet, die sich aus den Vertretern aller ehemaligen Einzelnationen zusammensetzte.

Noch in demselben Jahr einigten sich die politischen Vertreter dieser Nationen dahingehend, dass die UNO in dieser neuen Organisation aufgehen sollte.

Der Notwendigkeit enthoben, einen Großteil des Bruttosozialproduktes für Kriegsangelegenheiten aufzubringen, nahm die technische und wissenschaftliche Entwicklung der Menschheit, zu diesem Zeitpunkt, einen rasanten Aufschwung. Die Ziele der Menschen richteten sich fortan vordringlich auf die Eroberung des Weltalls.

Bereits fünf Jahre später wurde mit dem Bau der ersten Mondbasis, die eine permanente Besatzung beherbergen sollte, begonnen.

Im Jahr 2048 fand der erste bemannte Flug zum Mars statt. Dabei wurden von den Raumfahrern dieser Mission umfangreiche Daten gesammelt, welche die Voraussetzungen für eine spätere Besiedlung des Mars sein sollten. In der Folge errichtete die Menschheit, im Jahr 2063, auf dem Mars die erste ständig bemannte Forschungsstation.

Forschungen im Bereich Antriebstechnik ermöglichten im Jahr 2097, noch vor Beginn des 22. Jahrhunderts, die erste bemannte Mission zum Saturnmond Titan. Dabei stellte sich heraus, dass Titan gute Voraussetzungen für eine Forschungsbasis bot, von der aus Missionen zu den äußeren Planeten des Sol-Systems durchgeführt werden konnten.

Politisch rückte die Menschheit zu dieser Zeit immer enger zusammen und bildete, im Jahr 2102, die erste Weltregierung. Alle von Menschen besiedelten Territorien wurden von nun an unter dem Begriff Terranisches Reich zusammengefasst, und Casablanca wurde beinahe einstimmig, von den Regierungsvertretern, zur neuen Hauptstadt bestimmt. Doch erst ab dem Jahr 2105 wurde das Terranische Reich vom neuen Regierungsgebäude, in der Hauptstadt Casablanca, aus regiert.

Ab dem Jahr 2132 starteten von Titan aus die ersten bemannten Weltraummissionen zum Pluto und nach Eris. Dabei wurden in der Folgezeit auch ein halbes Dutzend weiterer transneptunischer Objekte, durch Minilabore die von Sonden abgesetzt wurden, erforscht. Hierbei gelangten die Wissenschaftler der Erde zu neuen Erkenntnissen über den äußeren Aufbau des Sol-Systems.

Der erste Fusionsreaktor wurde im Jahr 2177 erfolgreich getestet. Diese Entwicklung konnte man mit Bestimmtheit als einen der bedeutendsten technischen Sprünge der modernen Menschheit bezeichnen, denn es löste ihr drohendes Energieproblem, sehr nachhaltig und dauerhaft.

Im Jahr 2204 entwickelten terranische Wissenschaftler, auf dem Mars, den ersten funktionsfähigen Schwerkraftgenerator. Schon wenige Jahre später hielt dieses Gerät Einzug in die Raumfahrttechnik - und auch alle Außenposten, weit abseits der Erde, wurden mit solchen Geräten ausgestattet.

Der EM-Schutzschild wurde im Jahr 2217 entwickelt. In der Lage, in vielfacher Stärke das Elektro-Magnet-Feld der Erde nachzubilden, wurden zunächst alle planetaren Außenbasen mit einer solchen Technik ausgerüstet. Nach einer Phase von permanenten Verbesserungen dieses Systems konnten schließlich auch Aggregate gebaut werden, die kompakt genug waren, um sie in Raumschiffen einzubauen, wodurch die Insassen fortan vor der gefährlichen Weltraumstrahlung geschützt werden konnten.

Dicke Raumschiffspanzerungen, die diesen Zweck bis dahin erfüllten, konnten von da an entfallen, was einen Quantensprung in der Raumschifffahrt bedeutete.

Mit der Entwicklung des Protonen-Strahltriebwerks, im Jahr 2231, machte die terranische Raumschifffahrt einen weiteren wichtigen Schritt. Nicht lange danach wurden alle irdischen Raumschiffe mit diesem Antrieb ausgerüstet.

Als Konsequenz der rasanten technischen Entwicklung wurden im Jahr 2250 schließlich die ersten Sonden nach Sirius A und B entsandt.

Nur sechs Jahre später wurde der Hyperfeld-Konverter entwickelt. Er umgab ein Raumschiff mit einer besonderen Art von Energiefeld, das es dem betreffenden Raumschiff ermöglichte in den Hyperraum einzudringen. Nach ersten erfolgreichen Testflügen stand fest, dass Raumschiffe, die mit diesem Gerät ausgestattet waren, unter normalen Umständen maximal bis zu 4,23 Lichtjahre pro Stunde zurücklegen konnten. Wissenschaftler versuchten in der Folgezeit herauszufinden, warum keine höhere Geschwindigkeit im Hyperraum erreicht werden konnte, doch es blieb schließlich bei der Theorie, dass es sich hierbei um eine natürliche Eigenschaft des Hyperraum handelte.

Im Jahr 2259 fand schließlich die erste bemannte, interstellare Mission statt – und zwar zu Barnards Stern. Dieser Flug bewies, dass die Hyperflugtechnik sicher war. Jedoch stellte sich gleichfalls heraus, dass es im Hyperraum Strömungen, Strudel und sogar so etwas wie Stürme gab, welche sich auf den Flug eines Raumschiffs auswirken konnten.

Auf Terra wurde, beginnend mit dem Jahr 2267, die Begrünung der Wüste Sahara, und einiger weiterer unwirtlicher Gegenden Terras in die Wege geleitet, um neuen Lebensraum für seine Bewohner zu schaffen.

Im Jahr 2271 stellte sich heraus, dass der zweite Planet des Sirius-Systems erdähnliche Bedingungen aufwies, und so wurde dort, bald darauf, die erste extrasolare Kolonie gegründet.

Ab dem Jahr 2280 erfolgte, dank gewaltiger Fortschritte in der Ökologietechnik, das Terraformen der Venus und des Mars. Diese Entwicklung wurde bis zum Jahr 2292 abgeschlossen und Venus und Mars verfügten nun über eine atembare Sauerstoffatmosphäre. Als Konsequenz konnte ab diesem Zeitpunkt ein erdähnliches Ökosystem auf beiden Planeten etabliert werden.

Im Jahr 2302 begann die Menschheit damit auch den Saturnmond Titan zu terraformen.

In der Raumfahrttechnik ersetzte, ab dem Jahr 2312, der Gravo-Magnet-Antrieb auch kurz: GMA genannt, die bisherigen Rückstoßaggregate auf irdischen Raumschiffen.

Um das Jahr 2320 herum wurden erste Langstreckensonden ausgerüstet, die, mit der neuesten irdischen Technik ausgerüstet, die Hyaden erforschten. Zwölf Jahre später wurden auch die ersten Langstreckensonden zu den Plejaden entsandt.

Bis zum Jahr 2335 hatte die Menschheit drei von insgesamt 42 Planeten des Wega-Systems kolonisiert - und zwar den siebten, den achten und den neunten Planeten.

Im Jahr 2351 wurde auf dem vierten Planeten des Capella-Systems ein Außenposten errichtet, welcher reinen Forschungszwecken diente, da eine Kolonisierung wegen des widrigen Klimas nicht in Frage kam. Die einzige Stadt auf dem Planeten beherbergte zu diesem Zeitpunkt ausschließlich das Personal des Außenpostens.

Im Jahr 2382 kam es auf dem achten Planeten der Wega zu einem politischen Umsturz und die Rebellen starteten bewaffnete Übergriffe auf Wega-VII und Wega-IX, mit dem Ziel alle drei Planeten des Systems in ihre Gewalt zu bekommen. Da die Menschheit zu dieser Zeit über keine bewaffnete Raumflotte verfügte konnte dieser Aufstand erst im Jahr 2383 von Truppen der Erde niedergeschlagen werden. Die Drahtzieher des Unternehmens, bei dem zehntausende Kolonisten den Tod gefunden hatten, wurden von einem Tribunal auf Terra zum Tode verurteilt, und wenige Tage danach hingerichtet.

Aufgrund der Ereignisse im Wega-System wurde im Jahr 2384 von der Regierung auf Terra beschlossen, eine bewaffnete Raumflotte aufzustellen, mit dem Ziel solche Revolten zukünftig im Keim ersticken, und die zivile Bevölkerung besser schützen, zu können.

Zu Beginn des Jahres 2400 wurde die Erste Flotte der Raumflotte, welche insgesamt 100 Einheiten umfasste, in Dienst gestellt. Die Hauptbewaffnung der Kriegsschiffe bestand dabei aus Railguns, die Explosivladungs-Projektile mit halber Lichtgeschwindigkeit verschießen konnten.

Bis zum Jahr 2450 wurden vier weitere Raumflotten derselben Stärke in Dienst gestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Offiziers-Korps der Flotte auf der Venus, dem Mars, auf Terra und auf Titan ausgebildet.

Im Jahr 2459 wurde in den Luna-Werften das erste Kriegsschiff mit phasengesteuerten Plasmakanonen, und einem zweifach gestaffelten Dual-Schild, der wahlweise entweder feste Objekte, oder Energiestrahlen abwehren konnte, in Dienst gestellt. Dieses Kriegsschiff war allen anderen Kriegsschiffen seiner Zeit, an Schlagkraft weit überlegen. Bis zum Jahr 2460 wurden in der Folgezeit alle Kriegsschiffe der Flotte mit Plasmageschützen nachgerüstet.

Mit dem Jahr 2502 begann die Expansionsphase der Menschheit in Richtung geeigneter Planeten der Hyaden und der Plejaden. Dieser Zeitpunkt markierte den Beginn dessen, was später in den Geschichtsbüchern, als die sogenannte "Erste große Expansionsphase" bezeichnet wurde.

Im Jahr 2514 wurden geeignete Planeten in den Sternensystemen Delta-Cephei und Antares kolonisiert.

Die "Zweite große Expansionsphase", in Richtung der offenen Sternenhaufen M-7 und M-34, nahm im Jahr 2570 seinen Anfang. Nur wenige Jahre später wurden die ersten Sternensysteme in der Umgebung des Falken-Nebels kolonisiert.

Im Jahr 2625 wurde das Deneb-System und das Zeta-Puppis-System kolonisiert. Gerade Ersterem von diesen beiden Systemen kam in späterer Zeit eine wichtige, militärisch-politische Bedeutung zu.

Bis zum Jahr 2648 wurden der Orion-Nebel, M-6 und das weit entfernte Sternensystem Harrel, benannt nach seinem Entdecker, Wayne Harrel, angeflogen und erforscht.

Um das Jahr 2720 herum wurden des weiteren die Kolonisierung der Hyaden, der Plejaden und der Gegend um den Falken-Nebel herum massiv vorangetrieben. Die Menschheit breitete sich immer weiter über das bekannte Weltall aus, das nun bis zu einer maximalen Entfernung von 3000 Lichtjahren rund um das Sol-System herum, weitgehend kartographisch erfasst worden war.

Ab dem Jahr 2900 drifteten die Interessen der Menschen, auf den verschiedenen kolonisierten Welten, immer weiter auseinander und schließlich zersplittert das Terranische Reich in die fünf autarke Sternenreiche: Antares Sternenreich, Bund von Harrel, Farradeen-Allianz, Konföderation Deneb und Terranisches Reich.

Bis zum Jahr 2950 rüsteten alle fünf Splitterreiche massiv auf. Im Bestreben, die Macht ihrer Gebiete zu festigen, wurden bald darauf mehrere, mit aller Härte ausgefochtene, Kriege geführt, die sich über weite Gebiete des bekannten Weltalls ausbreiteten. Kaum eine von Menschen besiedelte Welt blieb davon unberührt.

Erst zur Mitte des Jahres 2987 hin kam es, unter Terras Führung, der Hauptwelt des Machtbereiches, der sich zu dieser Zeit noch immer Terranisches Reich nannte, schließlich zu Friedensverhandlungen - und eine Reihe von Verträgen, die den einzelnen Sternenreichen die vollkommene Autarkie garantierte, wurden ratifiziert.

Ab dem Jahr 2992 entstand ein immer reger werdender Handelsverkehr zwischen den fünf Sternenreichen.

Im Jahr 3100 beschloss das Oberkommando der Terranischen Raumflotte, die Sektion-Terra fortan als besondere Kaderschmiede zu nutzen.

In den nächsten Jahren begannen sich die verschiedenen Sternenreiche, bei den jährlich abgehaltenen Handelsgesprächen, von den anderen Sternennationen übervorteilt zu fühlen. Einige gewiefte Politiker versuchten zu dieser Zeit erfolglos, diese Unzufriedenheit für ihre eigenen machthungrigen Ziele auszunutzen. Man kann es als unmittelbare Folge daraus ansehen, dass sich, im Jahr 3114, aus dem Terranischen Reich das Terranische Imperium entwickelte. Es stimmte jedoch, dass besonders Terra seinen Reichtum deutlich durch diese Handelsverträge, die sich für das Imperium als sehr vorteilhaft erwiesen, ausbauen und an Macht gewinnen konnte.

Bis zum Jahr 3216 konnte sich der, zunächst fragile, Frieden zwischen den fünf Sternenreichen festigen, und das Terranische Imperium galt gegenwärtig noch immer als das mächtigste von ihnen allen.

In demselben Jahr wurde eine Handvoll junger, ehrgeiziger Kadetten der Terranischen Raumflotte, unter ihnen Dean Everett Corvin, in einen Strudel von Konflikten und Ereignissen gerissen, die schon bald interstellare Dimensionen annehmen, und bestimmend sein sollten, für das weitere Schicksal der gesamten Menschheit.

SEKTION-VENUS

Um Dean Everett Corvin, Kadett der Terranischen Raumflottenakademie im zweiten Ausbildungsjahr, herum tobte das Chaos der Weltraumschlacht. Über zwanzig Kriegsschiffe aller Größen, davon sieben die zur Raumflotte des Terranischen Imperiums gehörten, feuerten seit etwa drei Minuten unablässig aus allen Geschützen. Grell violette, gerichtete Plasma-Entladungen jagten zwischen den gewaltigen Raumkreuzern hin und her, brachten die Dual-Schutzschilde der Metallkolosse zum Aufleuchten oder schlugen, mit verheerender Wirkung, in den mit Stahl gepanzerten Schiffskörpern ein. Dazwischen jagten immer wieder Raumtorpedos zwischen den Schiffen hin und her – dort wo sie trafen leuchteten grellweiße Atomsonnen in der Dunkelheit des Alls auf.

Die hellgraue Uniform Corvins spannte sich vor seiner Brust als er seine breiten Schultern nach hinten zog, während seine beinahe fiebrig glänzenden Augen die Anzeigen der Steuerungsdisplays des Leichten Kreuzers RUBICON überflogen. Unterbewusst nahm er die Blicke des diensthabenden Navigators, Kadett Andrea von Garding, wahr, die zu seiner Linken saß und nicht weniger angespannt wirkte, als Corvin selbst. Dessen grau-blaue Augen fingen kurz den Anblick seiner Kommilitonin ein und er bemerkte dabei ihr kritisches Stirnrunzeln, welches fraglos ihm galt. Im nächsten Moment hatte er bereits wieder alle Hände voll damit zu tun, den Kreuzer aus der Schusslinie zweier Schwerer Kreuzer des Gegners zu steuern, wobei er das schlanke, 397 Meter lange, Kriegsschiff des Terranischen Imperiums zwischen drei gegnerischen Zerstörern, die, in Flugrichtung gesehen, ein etwas schiefes, etwa gleichseitiges Dreieck bildeten, hindurch manövrierte.

Andrea von Garding, der bewusst war, dass die RUBICON in der momentanen Situation eine Reihe von Manövern ausführen konnte, um sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu bringen, nur nicht, zwischen den Zerstören hindurch zu fliegen, zischte ihrem Kameraden zu: „Das, was du da offensichtlich vorhast, ist keine gute Taktik, Dean.“

„Wir sind weg bevor die bemerken was ich vorhabe“, gab der, in Toronto geborene, Pilot der RUBICON leichthin zurück, wobei er das unwillige Auflodern in den blau-grünen Augen seiner Kameradin, die im bläulichen Schein der momentan aktivierten Gefechtsbeleuchtung der Zentrale noch intensiver als üblich zu funkeln schienen, ignorierte. In Gedanken fügte er schnell hinzu: Sobald das Manöver funktioniert hat, wirst du meinen scharfen, taktischen Verstand und meine Fähigkeiten als Pilot bewundern, mein Engel.

Mit etwas fassungsloser Miene blickte sich Andrea von Garding zu Kimi Korkonnen um, der links neben Dean Corvin an den Maschinenkontrollen saß, sich aber bisher jeglicher Kommentare, in Bezug auf das Manöver seines besten Freundes, enthalten hatte. Die rotblonde, junge Frau hoffte, Kimi Korkonnen würde ebenfalls gegen den Kurs, den Dean einschlug, intervenieren, doch die beiden hielten mal wieder zusammen wie Pech und Schwefel, wie es schien. Sie blickte aufgebracht nach Rechts, wo Jayden Kerr an den Waffenkontrollen seine Finger über die Sensorflächen huschen ließ und die Feindschiffe unablässig unter Feuer nahm. Auch von dem dunkelhäutigen Jamaikaner, aus dem kleinen, westlichen Küstenort Negril, war keine Hilfe zu erwarten, und in der Magengegend der Kadettin begann es zu brodeln. Die Wirklichkeit holte sie schnell wieder ein, als Dean Corvin sie ansprach.

„Andrea, ich brauche den günstigsten Kurs, nachdem wir durchgebrochen sind, um erst einmal außer Waffenreichweite zu gelangen.“

Die Ruhe des Kameraden wurmte die junge Frau zusätzlich, doch sie konzentrierte sich und übertrug wenige Augenblicke später die entsprechenden Daten zu seiner Konsole. Danach blickte sie schnell über die Schulter, zum Kommandanten des Kreuzers, der es nach seinem Befehl, die RUBICON aus der Schusslinie zu bringen, ihnen überlassen hatte, diesen Befehl entsprechend ihrer Ausbildung, auszuführen. Die Miene des erfahrenen Offiziers verriet nicht die Spur von dem, was momentan in ihm vorging und so blickte die junge Frau wieder auf ihre Konsolenanzeigen und Displays, auf denen sich die beginnende Katastrophe abzuzeichnen begann.

Die RUBICON wurde nun aus drei verschiedenen Vektoren unter Feuer genommen und Dean Corvin versuchte, einen unvorhersehbaren Kurs einzuschlagen, wobei er seinem Freund Kimi Korkonnen zurief: „Notreserven auf die hinteren Antriebsprojektoren und auf die Schilde!“ Danach wandte er sich an Jayden Kerr und forderte: „Waffenfeuer auf den Zerstörer in Vektor Grün, Jayden. Wir sind gleich durch.“

Fast so, als wolle das Schiff seine Worte Lügen strafen, begann die Zentrale des Kreuzers heftig zu erzittern, und Korkonnen meldete: „Schilde sind überlastet und brechen in wenigen Sekunden zusammen. Antrieb arbeitet im Grenzbereich!“

Gleich darauf meldete sich Jayden Kerr: „Waffen bekommen keine Energie mehr und fallen aus! Achtzig Prozent der Torpedorampen sind nicht mehr einsatzbereit.“

Andrea von Garding, die immer noch hoffte der Kreuzer könne dennoch entkommen, fluchte herzlich und suchte fieberhaft nach einem günstigeren Fluchtkurs. Doch noch bevor ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt werden konnten, durchlief ein heftiger Schlag die Zentrale, welcher die vier Kadetten fast aus ihren Sitzen warf. Gleichzeitig setzten die Alarmgeber des Schiffes ein und eine seelenlose Computerstimme meldete: „Vakuumeinbruch im hinteren Bereich des Schiffes! Schildgeneratoren versagen. Antriebsprojektoren überlastet! Schiff muss aufgegeben werden!“

Das Ende der RUBICON kam lautlos.

Alle Systeme der Zentrale fuhren gleichzeitig herunter, und lediglich auf den Konsolendisplays erschien der beinahe süffisant wirkende Satz: Der Leichte Kreuzer RUBICON wurde durch Feindbeschuss vernichtet. Im nächsten Moment erhellte wieder die normale Beleuchtung die Zentrale - genau genommen eine 1:1 Nachbildung des Nervenzentrums eines leichten Kreuzers, wie es in der Flotte des Terranischen Imperiums mehr als zweihundert gab - und die Gefechtsbeleuchtung erlosch dafür.

Noch während Dean Everett Corvin seine Hände zu Fäusten ballte, schnitt die Stimme des hinter ihnen sitzenden Majors durch die entstandene Stille und brachte die vier Kadetten in die Wirklichkeit zurück: „Übungsende! Die Nachbesprechung findet direkt im Anschluss in Konferenzraum II statt.“

Damit erhob sich Major Omar de la Hoz, dem man seine arabischen Vorfahren deutlich ansehen konnte, und marschierte mit raumgreifenden Schritten zum Ausgangsschott des Simulators.

Die vier Kadetten im zweiten Ausbildungsjahr folgten ihm schweigend und, mehr oder weniger, mit betretenen Mienen. Während sie hinter dem Major durch den breiten, weißen Gang schritten, schoss Andrea von Garding immer wieder wütende Blicke auf ihren Kommilitonen Dean Corvin ab. Er war ein Dickkopf durch und durch, und dieser Dickkopf war an diesem Tag ihr Untergang gewesen, wenn auch nur ein simulierter Untergang.

Seit fast zwei Jahren waren sie nun Kameraden an der Sektion-Venus und sehr gut mit einander befreundet, doch in diesem Moment hätte die ehrgeizige, junge Frau ihn am liebsten geohrfeigt, denn ihre Leistungen, bei der eben so spektakulär schiefgegangene Übung, wurden insgesamt gewertet, und nicht für jeden Kadetten einzeln, wie bei zahlreichen anderen Gelegenheiten. Sie selbst galt unter ihren Kameraden als sehr diszipliniert, und Dean war das genaue Gegenteil. Bei vielen praktischen Ausbildungen entschied er aus dem Bauch heraus, statt die Ratio zu Wort zu bitten.

Gerade so, als habe Corvin die Blicke der Kameradin gespürt, blickte er kurz zu ihr, wobei man ihm deutlich anmerken konnte, dass er sich im Moment nicht wohl in seiner Haut fühlte. Dem entsprechend schnell wandte er den Blick wieder ab und stapfte, mit verdrossen wirkender Miene, neben seinem besten Freund, Kimi Korkonnen, hinter dem Major her.

Korkonnen und Dean Corvin kannten sich bereits aus Kindertagen. Corvins Eltern waren tödlich verunglückt, als der Junge fünf Jahre alt war, und sein Patenonkel, der in Helsinki lebte, hatte den Jungen aufgezogen. Dort hatte der Kanadier den damals fast unnatürlich ruhigen Finnen, bei der Einschulung, kennengelernt. Trotz ihres damals extrem gegensätzlichen Temperaments waren die beiden Jungen schnell Freunde geworden, was nicht wenige Leute, die die Beiden kannten, verwundert hatte. Ganz im Gegensatz zu seinem besten Freund war Kimi Korkonnen von ernsthafter Natur, keinen Unfug zulassend; jemand, von dem man sich wünscht, dass er stets in der Nähe war und einem den Rücken freihielt.

Stellte Korkonnen den ruhenden Pol ihrer ihrer verschworenen Gemeinschaft dar, so konnte man Jayden Kerr als das Gute-Laune-Zentrum bezeichnen. Fast immer lag auf den Lippen des fast 1,90 Meter großen, athletischen Jamaikaners ein leises Lächeln, und oft schien er von einer stillen Heiterkeit beseelt zu sein. Eine positive Lebenseinstellung, die sich auch in seinen dunklen, fast schwarzen, Augen wiederfand. Außerdem konnten seine Freunde und Kameraden sich nicht daran entsinnen, ihn jemals fluchen oder schimpfen gehört zu haben, seit sie ihn, zu Beginn ihrer Ausbildung auf der Venus, kennengelernt hatten. Doch selbst Jayden Kerr schien in diesem Moment etwas angespannter zu sein, als üblich.

Zwischen den jungen Männern, von denen Corvin mit 1,84 Meter der kleinste war, hätte die junge Kadettin, adeliger Abstammung, beinahe verloren gewirkt, wenn da nicht die Ausstrahlung ihrer Augen gewesen wäre, die jeden Menschen unwillkürlich davor warnte sie, oder ihren Intellekt, zu unterschätzen. Und das zurecht, denn Baroness Andrea von Garding besaß einen messerscharfen Verstand und sie war auch sonst in jeder Hinsicht belastbar.

Als Kimi Korkonnen neben Dean Corvin in den rechten Seitengang einbog, fing er einen der Blicke ihrer Kameradin auf und raunte dem Freund warnend zu: „Die Hölle misst augenblicklich einen Meter achtundsechzig und sie marschiert in diesem Moment direkt hinter uns her, mein Freund. Oder besser gesagt, hinter dir, denn ich habe ja nichts angestellt. Halt gleich, beim Verriss, bloß deine große Klappe.“

In Dean Corvins blau-grauen Augen lag Widerspruch, doch beim beschwörenden Blick des Blonden verbiss er sich den Kommentar, der ihm bereits auf der Zunge gelegen hatte. Nur selten bedachte Korkonnen ihn mit einer solchen Eindringlichkeit, und wenn er es tat, dann war es geraten zurückzustecken, etwas, das Dean Corvin oft äußerst schwer fiel.

Sie erreichten endlich den Besprechungsraum, und Omar de la Hoz deutete einladend auf die bequemen, blau bezogenen Sessel, die sich um einen länglichen, sechseckigen Tisch aus schwarzem, venusianischen Pharran-Holz, einem der wichtigsten Exportartikel des Planeten, gruppierten.

Andrea von Garding beobachtete, wie Dean Corvin rechts des Majors Platz nahm, und demonstrativ steuerte sie selbst einen der Sessel auf der anderen Seite des Tisches an. Nur flüchtig blickte sie auf die Anzeige des Wandchronografen, der Montag den 23. Mai 3216 anzeigte. Sich umständlich in den Sessel setzend mied sie den Blick des Kameraden und starrte, mit mürrischer Miene, auf das feine, silbrige Muster der glasharten Tischoberfläche.

Aus einem nicht erklärbaren Grund schien es jedem Betrachter dieses Materials so, als würde sich diese Maserung bis tief in dieses seltene Edelholzes hinein verfolgen lassen, wobei wissenschaftlich nie geklärt worden war, wodurch dieser Effekt entstand.

Dass sich Jayden Kerr neben ihr niederließ beobachtete Dean Corvin mit verkniffener Miene, denn insgeheim sah er, seit einiger Zeit bereits, weit mehr in der jungen Frau als nur eine Kameradin, oder gute Freundin. Dabei konnte er nicht sagen wann diese Entwicklung seinen Anfang genommen hatte. Er spürte lediglich, seit einigen Wochen, das da von seiner Seite mehr war. Er wurde abgelenkt, als Major Omar de la Hoz sich räusperte, nachdem Korkonnen sich, als Letzter, seufzend neben ihm am Tisch niedergelassen hatte.

Der erfahrene Ausbildungsoffizier der Terranischen Raumflotte blickte mit undurchdringlicher Miene in die Runde, wobei sein Blick schließlich bei Dean Corvin hängen blieb. Für einen Augenblick ruhten die hart wirkenden Augen des Majors auf dem Kadett, bevor er seinen Blick wieder abwandte und mit dunkler Stimme erklärte: „Zunächst möchte ich vorausschicken, dass das, was ich heute im Simulator gesehen habe, mit das Beste war, während meiner mehr als zwanzigjährigen Zugehörigkeit dieser Akademie-Sektion. Ihre Entscheidungen und Reaktionen waren überdurchschnittlich gut.“

Er richtete sein Augenmerk wieder voll auf Dean Corvin.

„Zumindest bis zu dem Moment, als der Pilot der RUBICON den Suizid der gesamten Besatzung beschlossen hat. Jeder Kadett lernt bereits in seinem ersten Jahr an der Akademie, dass man sein Schiff nicht zwischen mehreren Feindeinheiten hindurch steuert – warum, das haben Sie und ihre drei Kameraden eben sehr nachhaltig erfahren, Kadett Corvin. Ich halte Sie, nach wie vor, aufgrund ihrer bisherigen Leistungen in der Praktischen Ausbildung, für einen künftigen Flottenoffizier mit sehr viel Potenzial. Doch im Moment möchte ich von Ihnen erfahren, welcher Teufel Sie geritten hat, dieses Wahnsinnsmanöver zu initiieren?“

Mit einer Mischung aus Trotz und fehlender Einsicht blickte Dean Corvin seinen Ausbilder an. Er räusperte sich nervös und sagte dann, mit fester Stimme: „Nun, Sir, diese Simulationscomputer gehen bei ihrer Berechnung auf Nummer-Sicher. Außerdem haben die simulierten Feindschiffe schneller reagiert, als ein überraschter Gegner es getan hätte. Erschwerender Weise traf der Feind besser, als Wilhelm Tell zu seinen besten Zeiten. In einem realen Gefecht hätte dieses Manöver, nach meiner Ansicht, funktioniert.“

Omar de la Hoz blickte kurz in die Runde und er registrierte dabei sowohl die fassungslosen Blicke der jungen Frau am Tisch, als auch die, teils erstaunten teils unwilligen, Blicke der Kadetten Kerr und Korkonnen.

Der Major selbst blieb ruhig und sachlich. Das Argument des Kadetten Corvin war nicht zu einhundert Prozent zu widerlegen, aber doch zu über fünfzig Prozent, und so antwortete er schließlich bestimmt: „Kadett Corvin, ihre Annahme ist sowohl provokant, als auch gewagt. Provokant deswegen, weil Sie selbst nie an einem realen Raumgefecht teilgenommen haben, und gewagt, weil die Simulationscomputer dieser Akademie-Sektion, die zu den besten im bekannten Weltall gehören, eine über fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit für den erlebten Ausgang des Gefechts errechnet haben. Ihr Vorhaben war, das ist meine persönliche Ansicht, zu riskant, denn Sie hätten im Ernstfall nicht nur für sich die Verantwortung getragen, sondern für weitere einhundertvierundneunzig Menschen an Bord. Bitte denken Sie über diesen Punkt sehr gut nach, bis zur nächsten Simulationsübung, bei der es um die hauptsächliche Bewertung für die Jahres-Abschlussprüfungen gehen wird.“

Dean Corvin presste seine Lippen zusammen, bei dem milden Verweis und der gleichzeitigen versteckten Warnung in den Worten des Majors. Es kostete ihn Überwindung, als er nach einem Moment knapp antwortete: „Aye, Sir.“

De la Hoz blickte erneut sinnend in die Runde, bevor er ernst meinte: „Falls Jemand in diesem Raum der Ansicht sein sollte, dass dieses Team so nicht funktioniert, dann bitte ich darum es nun zu sagen, Kadetten.“

Dean Corvins Blick zuckte unwillkürlich zu Andrea von Garding, die es vermied ihn anzusehen. Der Junge bemerkte, dass sich die gespreizten Finger ihrer schlanken, gepflegten Hände auf der Tischplatte, in rascher Folge, an- und entspannten. Sie hielt jedoch ihren Blick gesenkt und schwieg beharrlich - zur Erleichterung des Jungen.

Omar de la Hoz nickte in Gedanken.

„Nun gut. Ich nehme an, Sie alle werden etwas aus dieser Übung gelernt haben. Sie können wegtreten, Kadetten.“

Der Major erhob sich von seinem Platz und verließ den Besprechungsraum.

Dean Corvin hatte es eilig, es dem Offizier nachzutun, denn langsam setzte sich bei ihm die Erkenntnis durch, wenn auch etwas zu spät, dass er Mist gebaut hatte, und er wollte jetzt nur noch seine Ruhe haben, um darüber nachzudenken. Schnell erhob er sich und schritt zum Ausgangsschott.

Auf dem Gang hörte der Kanadier schnelle Schritte hinter sich, und als er sich umwandte da stand nicht sein Freund Kimi Korkonnen hinter ihm, sondern Andrea von Garding, die ihn zornig anfunkelte. Noch bevor Corvin zu einer Entschuldigung ansetzen konnte hatte die junge Frau ihn mit den Händen gegen die Wand des Ganges gedrückt, und herrschte ihn mit lauter Stimme an: „Du hast da eben einen Riesenscheißdreck verzapft, Dean Everett Corvin! Geht das in Deinen verdammten Dickschädel? Ja…?!“

Erneut wollte Dean Corvin zu einer Erwiderung ansetzen, und erneut kam er nicht zu Wort, denn die aufgebrachte Kameradin wetterte bereits weiter.

„Hör mir gut zu, Kamerad! Dieses Mal verzeihe ich Dir noch einmal, aber wenn du Dir jemals wieder so etwas leisten solltest, dann lernst du mich kennen! Ich habe mich nicht fast zwei Jahre lang hier auf der Venus abgerackert, um im Sommer vielleicht doch nicht das Ziel zu erreichen, zur Sektion-Terra versetzt zu werden! Also reiß Dich gefälligst zusammen, du Querkopf, und nimm Dein verdammtes Ego aus der Gleichung, solange ich mit Dir zusammen in einem Team bin, klar?!“

Übergangslos gab die junge Kadettin Dean Corvin wieder frei und stürmte, ohne eine Antwort des Kameraden abzuwarten, davon.

Konsterniert blickte Corvin der Kameradin hinterher und sah dann zur anderen Seite des Ganges, von dem sich Jayden Kerr und sein finnischer Freund langsam näherten. Er machte eine etwas hilflose Geste, wobei er brummelnd meinte: „Ich hätte gerade eure Unterstützung brauchen können.“

„Oh, und wir haben uns absichtlich Zeit gelassen“, versetzte Korkonnen trocken. „Wir sind in diesem Fall nämlich genau der Ansicht von Andrea, und sie hat uns lediglich die Mühe abgenommen ein ernstes Wort mit Dir zu reden.“

„Danke“, knurrte Corvin finster und zupfte nervös seine Uniform zurecht.

„Dir muss klar sein, dass sie Recht hat, mein Freund“, mischte sich Jayden Kerr ein, der sich bisher zurückgehalten hatte. „Kein Grund für verletzten Stolz. Du hast Dir das selbst zuzuschreiben, und das weißt du.“

„Selbstverständlich weiß ich das!“, brauste der Kanadier auf. Dann seufzte er schwach und erklärte: „Aber das muss mir nicht passen, oder?“

Während der blonde Finne entsagungsvoll den Kopf schüttelte, bei den Worten seines besten Freundes, lächelte Kerr lediglich und fuhr dabei mit den Fingerspitzen über die Insignien eines Kadetten des zweiten Jahrgangs an seinem Uniformkragen – ein angeschrägter, silberner Querbalken mit zwei kleinen, goldenen Rechtecken darin.

„Na schön, also: Oder“, stellte Dean Corvin missgestimmt fest. Er blickte die beiden Freunde an und erkundigte sich mit veränderter Stimmlage: „Wie lange wird Andrea wohl sauer auf mich sein?“

Kimi Korkonnen zog seinen besten Freund grinsend mit sich, und der Jamaikaner schloss sich ihnen wortlos an. „Hey, du kennst doch unsere Freundin. Die ist mit Lichtgeschwindigkeit auf Hundert, aber sie kriegt sich genauso schnell wieder ein. Du kannst es ihr jedoch nicht verübeln, dass sie laut geworden ist, denn wir alle wollen am Ende dieses Jahrgangs zu den besten fünf Prozent gehören, um zur Sektion-Terra versetzt zu werden.“

Corvin nickte schwach während sie in den Gang zum Hauptgebäude des Komplexes einbogen. Er wusste, dass es eine große Chance für ihre Karrieren war, zusammen mit den besten fünf Prozent aller Kadetten der übrigen Zehn Sektionen, nach Terra zu dürfen, denn die Sektion-Terra galt seit einhundertundachtzehn Jahren als Kaderschmiede der Flotte. Wer dort seine letzten beiden Jahre absolvieren durfte der konnte sich quasi aussuchen wo er später Dienst tun würde – und das betraf die begehrtesten Posten innerhalb der Raumflotte. Er war zwar in der Praxis einer der Besten, wenn nicht gar Jahrgangsbester, doch die Theorie machte ihm mitunter zu schaffen, und gerade Andrea hatte ihn in den letzten beiden Jahren immer wieder mit durchgezogen, indem sie ihm schwer verständlichen Stoff so erklärt hatte, dass er ihn besser verstand als im Unterricht. Nicht zuletzt darum störte es ihn, dass er Andrea verärgert hatte, doch es gab auch noch jenen einen anderen Grund.

„He, hör auf Trübsal zu blasen“, riss Jayden Kerr den Freund aus seinen Gedanken. „Ich fand übrigens den Spruch mit Wilhelm Tell klasse.“

Dean Corvin, der Kerrs verdrehten Sinn für historische Studien nur allzu gut kennengelernt hatte, in den letzten beiden Jahren, seufzte leise, währen Kimi Korkonnen, der wusste was nun folgen würde, lediglich raunte: „Und es geht los...“

Jayden grinste breit und meinte prompt: „Ihr wisst ja, dass ich historische Studien betreibe. Besonders in Sachen Sprache und Sprichwörter. Hört euch einmal dies hier an: Have you die Kappe on the left Ohr?

„Interessant“, heuchelte Kimi Korkonnen Interesse. „Und was bedeutet es?“

Kerr, dessen Gesicht immer noch nach Beifall heischte, machte eine bedauernde Geste. „Keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich mich historisch korrekt ausgedrückt habe. Seinerzeit gab es in der menschlichen Sprache noch sehr viel mehr Anglizismen, bevor sich schließlich, in den letzten fünfhundert Jahren, die germanischen und spanischen Einflüsse weitgehend durchgesetzt haben.“

Dean Corvin lachte amüsiert, wobei sich seine von Sommersprossen gesprenkelte Nase kraus zog, was seinem Gesicht eine pfiffige Note verlieh. Währenddessen gab Korkonnen dem Dunkelhäutigen, genervt dreinblickend, einen leichten Schlag gegen den Hinterkopf und beschwerte sich: „Das Sprichwort hast du eben selbst erfunden, gib es zu.“

„Habe ich gar nicht“, verteidigte sich Jayden Kerr mit überzeugender Miene.

„Schon klar!“, lachte Korkonnen und legte den beiden Freunden die Arme um die Schultern. So und nun ab zur Messe denn ich habe einen Mordshunger und in knapp zehn Stunden müssen wir eine schwere, nächtliche Dschungelkampf-Übung überstehen.“

 
 

* * *

 

Nach dem gemeinsamen Abendessen machte sich Dean Corvin schnell rar, und sein finnischer Freund ahnte, wo er seinen Freund später finden würde. Der blonde, hoch aufgeschossene, Kadett wusste bereits seit vielen Jahren schon, wie der Freund tickte. Nachdem er noch eine geraume Weile mit Jayden Kerr in der Messe verbracht hatte, verabschiedete er sich schließlich von Jayden Kerr und machte sich auf den Weg zu seinem besten Freund.

Wie es Kimi erwartet hatte, traf er seinen Freund in dem, ansonsten menschenleeren, Rundgang des oberen Radarturms, dem höchsten Punkt des ausgedehnt angelegten, venusischen Akademie-Komplexes. Von hier aus hatte man, durch die großen Glasscheiben des zur Außenseite abgeschrägten Rundganges, eine fantastische Aussicht auf die Umgebung.

Das Licht der nahen Sonne, die eine Handbreit über dem östlichen Horizont stand, schien orangegelb in den Gang hinein und es verwandelte die hellen Wände dabei in flüssig wirkendes Gold. Wegen der retrograden Rotation des Planeten würde der Stern dort in etwa acht Stunden sehr langsam untergehen. Diese Rotationseigenschaft war dafür verantwortlich, dass ein Venustag knapp 117 Stunden dauerte.

Mit zusammengekniffenen Augenlidern schritt der Finne zu Corvin und blieb zwei Schritt neben ihm stehen. Er folgte dem Blick des Freundes, hinaus über die beiden weiten, mit dichtem Dschungel bewachsenen, Talsenken. Erst in mehr als einem Kilometer Abstand erhoben sich die ersten sanften Hügel.

In der Ferne, gerade noch im ultrablauen Dunst zu erkennen, erstreckten sich zwei langgezogene Gebirgsketten, hinter deren linker eine größere Stadt lag, wie Korkonnen wusste, obwohl er sie, in den beinahe zwei Jahren, die er nun an dieser Akademie-Sektion ausgebildet wurde, noch nie besucht hatte. Bei diesem Anblick konnte sich der Finne kaum vorstellen, dass diese Welt, vor annähernd eintausend Jahren noch, eine tote Hitzehölle gewesen war, mit einem atmosphärischen Druck der neunzig Mal höher gelegen hatte, als heutzutage. Beginnend mit dem Jahr 2280 hatte sich dies allmählich, durch gezieltes Terraforming, verändert bis der Planet, im Jahr 2292, endlich über eine atembare Sauerstoffatmosphäre verfügt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war danach ein erdähnliches Ökosystem etabliert worden, in dem sich bis zum heutigen Tag eine ganz individuelle Flora und Fauna entwickelt hatte. Wegen der relativen Sonnennähe herrschte hier eine höhere Durchschnittstemperatur, als auf der Erde. Deshalb hatten sich auch zu keiner Zeit Eiskappen bilden können, da dies unter anderem durch eine recht hohe Wassertemperatur und durch starke, warme Winde in den höheren Schichten der Atmosphäre verhindert wurde.

Auch gab es auf der Venus, wegen der geringen Neigung des Äquators zur Bahn-Ekliptik von nur 2,64 Grad, keine Jahreszeiten. Wegen der recht langsamen Rotation des Planeten kam es am Terminator zumeist zu heftigen Stürmen, mit sehr heftigen Gewittern. Während der langen Tag- und Nachtphasen hingegen war die Wetterlage auf der Venus zumeist sehr stabil. Das Klima auf dem ausgedehnten Hochplateau, auf dem die Sektion-Venus lag, war relativ gemäßigt, zu den tiefer gelegenen Dschungeln hin änderte es sich zu subtropischen Verhältnissen hin, mit einer, den menschlichen Körper extrem belastenden, Luftfeuchtigkeit die zumeist über 90% lag. Die flachen Meere der Venus, die an keinem Punkt eine Tiefe von 200 Metern überschritten, bedecken etwa 58% der planetaren Oberfläche, doch von hier aus war nichts von diesen Meeren oder von den größeren venusischen Seen zu entdecken. Wohl aber wurden die sichtbare, weite Ebene von zwei größeren Strömen, und mehreren Nebenflüssen, durchzogen.

Momentan lebten 250 Millionen Menschen auf der Venus, die zum überwiegenden Teil Agrargüter und Holzerzeugnisse produzieren. Schwerindustrie gab es so gut wie keine auf der Venus, da die Erzlager dieses Planeten zu gering waren, um lukrativ ausgebeutet werden zu können. Auch davon war hier, auf der nördlichen Halbkugel des Planeten, hauptsächlich wegen der weitgehend unberührten Dschungel, nichts zu bemerken.

„Nicht zu vergleichen mit Wellington“, sagte Kimi Korkonnen schließlich nachdenklich. „Das heißt, falls wir es tatsächlich zur Sektion-Terra schaffen.“

„Ich habe es kapiert, Kimi“, fauchte Dean Corvin ungehalten zurück, ohne den Blick vom fernen Horizont abzuwenden. „Ich habe vorhin Mist gebaut.“

Sie schwiegen eine Weile, bis Corvin seinen Freund offen ansah und ernst versicherte: „Ich verspreche dir, dass das nie wieder vorkommen wird.“

Der Finne sah in das zur Hälfte sonnenbeschienene Gesicht des Freundes und nickte zufrieden. „Alles klar, Alter.“

„He, du bist älter als ich“, spöttelte Corvin, erleichtert darüber, dass damit die Angelegenheit für seinen Freund erledigt zu sein schien. Seit Dean Corvin den Freund kannte hatten sie noch niemals ernsthaft miteinander gestritten, und er war nicht erpicht darauf herauszufinden, wie das sein würde. „Also, wer ist hier der Alte?“

„Vielleicht sollte ich besser Kleiner zu dir sagen – wie wäre das?“

„Untersteh´ dich...“

Sie lachten und Korkonnen kam einen Schritt näher heran. „Dann benimm dich gefälligst. Im übrigen meinte ich es ernst, als ich vorhin sagte, dass Andrea die Sache schnell vergessen haben wird. Außerdem ist sie nicht nachtragend, aber das weißt du ja.“

Dean Corvin nickte schnell und warf einen kurzen Blick auf die beeindruckende Landschaft hinaus, bevor er wieder seinen Freund ansah. Er schien etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber. Es blieb einen langen Moment still zwischen ihnen, bevor der Kanadier schuldbewusst fragte: „Es ist Andrea sehr wichtig zur Sektion-Terra zu kommen, oder?“

Korkonnen nickte lächelnd. „Das kannst du dir doch denken. Ihre Familie stellt mittlerweile in siebter Generation einen Offizier der Terranischen Raumflotte. Außerdem war ihr Urgroßvater ein Generalmajor der Flotte. Da ist der Druck für sie, an der Akademie überdurchschnittlich gut abzuschneiden, dem entsprechend hoch. Sie lebt für dieses Ziel.“

„Außerdem hat sie mir in Mathematik und Navigation sehr auf die Sprünge geholfen, darum tut es mir leid, dass ich nun eine ihrer Bewertungen versaut habe“, murmelte Dean Corvin schuldbewusst und warf einen etwas hilflosen Blick zu seinem Freund.

Kimi Korkonnen grinste offen. „Sag das ihr und nicht mir.“

Corvins Blick sprach Bände. „Werde ich, aber nicht mehr heute.“ Er blickte auf das Chrono-Feld seines, zur Standardausrüstung gehörenden, Multifunktionsarmbandes und meinte ablenkend: „Komm, wir legen uns hin, denn morgen werden wir alle Kraft für die Übung brauchen, fürchte ich.“

 
 

* * *

 

Am nächsten Morgen – natürlich nur nach Erdzeitrechnung, denn auf der Venus war gerade erst die Sonne untergegangen - hatte Dean Corvin die Ereignisse des vergangenen Tages gedanklich weitgehend abgehakt und er konzentrierte sich bereits ganz auf die vor ihm, und seinen Kameraden, liegende Nachtübung.

Nach dem Frühstück war er, voll ausgerüstet und mit einer Übungswaffe über der Schulter die jedes bekannte Lebewesen bis zu drei Minuten lang betäuben konnte, ausgerüstet, zusammen mit den übrigen Kameraden seines Jahrgangs, rund zweihundert Kadetten, auf dem Exerzierplatz der Akademie angetreten. Der Platz lag im Zwielicht der bereits einsetzenden, langen Venus-Dämmerung. Zwischen Kimi Korkonnen und Jayden Kerr stehend hörte er gut den Worten des Leiters dieser Übung zu.

„Kadetten, Sie werden im Anschluss an dieses Briefing von Luftgleitern im Dschungel abgesetzt werden. Sie alle haben eine umfassende Ausbildung darin bekommen, welche Tiere und Pflanzen Ihnen dort draußen eventuell gefährlich werden können, bleiben Sie also hoch konzentriert, damit es nicht zu tragischen Unfällen kommt. Jedem von Ihnen ist ein Medi-Kit ausgehändigt worden, um kleine bis mittlere Verletzungen schnell behandeln zu können. Kommen wir nun zu den Aufgaben der einzelnen Gruppen: Ausbildungsgruppe Gold wird am weitesten von der Akademie entfernt abgesetzt werden. Die Aufgabe von Gruppe Gold wird es sein, den Bereich der Akademie zu infiltrieren, ohne dabei von den anderen Gruppen bemerkt zu werden. Sie alle werden bei dieser Übung keine Nachtsichtgeräte erhalten. Wer entdeckt und betäubt wird der gilt als getötet. Für den Betreffenden oder die Betreffende ist die Übung dann automatisch beendet und der entsprechende Kadett aktiviert seinen Notsender. Er oder sie wird dann später von einem Rettungsgleiter zu einem Sammelpunkt gebracht werden. Die Gruppe Rot bildet das Jagd-Team, zwischen Gruppe Gold und Gruppe Blau, die am nächsten zur Akademie abgesetzt werden wird, und quasi die letzte Verteidigungslinie vor dem Ziel darstellt. Gruppe Blau hat dabei die Aufgabe sich einzugraben, während Gruppe Rot den Gegner in der Bewegung stellen soll.“

Während der Übungsleiter im Weiteren darauf einging, dass die Leistungen der Kadetten über, in den Uniformen befindlichen, Mikrosensoren später ausgewertet werden würde, blickte Dean Corvin seine beiden Freunde bezeichnend an. Sie gehörten, so wie auch Andrea von Garding, zur Ausbildungsgruppe Gold. „Warum bekommen eigentlich immer wir die ganz leichten Aufträge?“, zischte er spöttisch.

Der Ausbildungsleiter, der seine Einweisung eben beendet hatte, bekam die Worte mit und erkundigte sich, mit tragender Stimme: „Wollten Sie noch etwas Wichtiges zum Ablauf der Übung anmerken, Kadett Corvin?“

Ertappt blickte Corvin zu dem Oberstleutnant und antwortete geistesgegenwärtig: „Ich meinte nur, dass ich hoch erfreut bin zu Gruppe Gold zu gehören, Sir.“

Der Stabsoffizier nickte grimmig. „Dann hoffe ich mal, dass sich das auch in ihren Leistungen bei dieser Übung niederschlagen wird, Kadett!“

Dann räusperte sich der Oberstleutnant und erklärte mit lauter Stimme: „Gruppe Gold verteilt sich auf die Gleiter Eins bis Vier, Gruppe Rot auf die Gleiter Fünf bis Acht und Gruppe Blau auf die Gleiter Neun bis Zwölf – Ausführung!“

Uniformstiefel erzeugten ein hämmerndes Stakkato auf dem harten Boden und ein Gewirr verschiedenster Stimmen lag in der Luft, als sich die Kadetten in Bewegung setzten.

Während sich Andrea von Garding, die wie aus dem Nichts auftauchte, sich automatisch zu den drei Kameraden gesellte, spöttelte Jayden Kerr: „Dean, du musst mir das Geheimnis verraten, wie du es schaffst immer wieder unangenehm aufzufallen.“

„Dazu braucht es ein ganz besonderes Talent das dir fehlt, mein Freund“, konterte Corvin trocken, die Waffe von der Schulter in Vorhalte nehmend und auf einen der besagten vier Gleiter zu haltend. Als Erster die Ladeluke erreichend wandte er sich zu seinen Kameraden um und winkte sie heran. „Nun mal nicht so lahm, Ladies and Gentlemen.“

„Au Mann, der Spruch ist ja so was von retro“, spottete Rodrigo Esteban, der auf eine geschliffene Ausdrucksweise achtete, grinsend während er hinter Korkonnen, Jayden Kerr und Andrea von Garding ins Innere des Luftgleiters stieg. Er hing öfter mal nach Dienstschluss mit den vier Freunden ab, wenn er nicht gerade mit seiner eigenen Clique unterwegs war. Der etwas beleibte Junge, aus Madrid stammend, zwinkerte Corvin dabei zu und nahm seinen Worten damit die Spitze.

„Retro kommt wieder groß in Mode“, gab Dean Corvin mit überzeugendem Tonfall zurück und nahm auf einem der, in Flugrichtung, vorderen Plätze im Gleiter Platz.

Korkonnen warf sich auf den Sitz neben ihn, gefolgt von Kerr, Andrea von Garding und Esteban. Auch die übrigen Plätze füllten sich schnell, und die breite Einstiegsluke fuhr nach oben und bildete damit die gepanzerte Rückseite des Luftgleiters, während ein halbes Dutzend Karabinerkolben gleichzeitig klackend den Stahlboden der Kabine berührten.

Den Lauf seiner Waffe fest umklammernd beugte sich Rodrigo Esteban leicht vor, was ihm wegen der zuschnappenden Sicherheitsgurte nicht leicht fiel, und er meinte grinsend: „Das glaubst aber auch nur du.“

„Schluss mit der Schwatzerei, legt lieber schon mal euren Kommunikator an“, mahnte Andrea von Garding und schob sich ihr Kom-Set über das rotblonde Haar, das sie heute in Form eines Bauernzopfes gebändigt hatte.

„Die Stimme der Vernunft hat gesprochen“, grinste Rodrigo Esteban und wandte sich der jungen Frau zu. „Immer auf Zack, wie? Findest du nicht, dass du diese Übung zu ernst nimmst? Sieh mich an. Ich habe Spaß an dieser Sache.“

„Deswegen wirst du es auch zu Nichts bringen, in der Flotte“, scherzte die Rotblonde grob. „Du besitzt einfach keinerlei Ehrgeiz.“

Rodrigo Esteban verzog schmunzelnd das Gesicht. „Na und? Ich will auch kein Bordkommando, sondern nur einen gemütlichen Posten auf dem Mond oder auf dem Mars. Warum ich zur Sektion-Venus gekommen bin ist mir echt ein Rätsel.“

„Uns auch“, kommentierte die dunkelhaarige, gertenschlanke Miriam Rosenbaum von der gegenüber liegenden Seite und erntete damit unterdrücktes Gelächter. Sie zwinkerte dem Madrilenen verschmitzt zu und tat es dann Andrea von Garding nach, den Kommunikator überzustreifen, wobei sie geflissentlich übersah, dass Esteban ihr eine Grimasse schnitt.

„Frauen“, knurrte der etwas Beleibte gespielt verdrießlich. Dann folgte auch er dem Beispiel der beiden Kommilitoninnen und begann damit, umständlich seinen Kommunikator, nebst zugehörigem Kehlkopfmikrophon, anzulegen.

Unter diesen Umständen hob der Gleiter vom Akademiegelände ab und steuerte, an der Spitze dreier weiterer Flugmaschinen, seinem Ziel entgegen.

 
 

* * *

 

Durch beinahe völlige Finsternis liefen Andrea von Garding und Dean Corvin, dicht nebeneinander, durch den dichten Venus-Dschungel. Vor etwa vier Stunden waren sie von ihren Kameraden getrennt worden, als sie einer Jagd-Gruppe ausweichen mussten um nicht entdeckt zu werden. Der Nachtregen, der vor etwa zwei Stunden eingesetzt hatte, prasselte unvermindert auf das Blätterdach der Bäume nieder – lediglich der stürmische Wind schien etwas nachgelassen zu haben, in der letzten Viertelstunde. So vermischten sich Schweiß und Regen im Gesicht der beiden Kadetten, denn die Luftfeuchtigkeit lag in diesen Niederungen, auch ohne Regen, bei zumeist mehr als neunzig Prozent. Ein würzig-modriger Geruch nach venusianischer Erde vermischte sich mit den Ausdünstungen der hiesigen Pflanzenwelt.

„Wird Zeit wieder eine Positionsbestimmung vornehmen“, hörte Corvin die flüsternde Stimme seiner Begleiterin in seinen Empfängern. Die junge Frau hatte die Worte nur gebildet, ohne sie auszusprechen. Dass Dean Corvin sie dennoch verstehen konnte, als habe die Kadettin sie ihm leise ins Ohr gesagt, lag am hochwertigen Kom-Mikro-System.

Der Kanadier wischte sich über das triefend nasse Gesicht und machte Andrea von Garding auf eine kleine Buschgruppe aufmerksam, die etwas Sichtschutz bieten würde, wenn er das Holo-PADD aktivierte um ihre Position zu ermitteln. Dort angekommen bückten sie sich im Schutz der Büsche ab, wobei die Beiden ihrerseits mit ihren Körpern den schwach leuchtenden Emitter des PADD´s abschirmten, damit es den Jägern nicht ihre Position verraten konnte. Hastig studierten die beiden Kadetten die Holokarte und Andrea von Garding legte ihren Zeigefinger auf einen bestimmten Punkt, wobei sie flüsterte: „Wir müssen uns mehr nach Links halten. Der Lauf dieses Nebenflusses wird uns Schutz geben.“

„Toll, noch mehr Wasser“, gab Corvin beinahe lautlos zurück, deaktivierte dabei das PADD und verstaute es wieder wasserdicht in seinem Gepäck. „Als wären wir nicht schon genug durchnässt.“

Sie erreichten den Flusslauf eine halbe Stunde später und vertrauten sich ihm ohne zu zögern an. Die Strömung war mäßig und unterstützte sie, da der Fluss in die Richtung floss, in der ihr fernes Ziel lag. Dennoch blieb es anstrengend genug. Wenigstens waren die Uniformen wasserdicht, solange man nicht komplett untertauchte.

Über zwei Stunden lang wateten sie durch die hüfthohen Fluten und schließlich fragte Dean Corvin keuchend: „Kannst du noch.“

Nur einen kurzen Moment später gab er ihr einen Stoß und verschwand mit der jungen Frau unter Wasser. Dicht neben ihm war ein Betäubungsstrahl vorbei gezischt.

Das kalte Wasser schlug über ihm zusammen. Die Strömung versuchte Corvin und seine Begleiterin davon zu treiben. Ein großer Stein, an den sich beide Kadetten klammerten, bewahrte sie davor.

Dean Corvin zählte die Sekunden. Bei vierzig schrien seine Lungen nach Luft. Seit Stunden waren sie auf der Flucht; seit Stunden umgingen sie ihre Gegenspieler. Überall konnte der simulierte Feind lauern.

Nach weiteren zehn Sekunden richtete Corvin sich auf. Er schnappte nach Luft. Wo steckten ihre Verfolger?

Der Kadett erhöhte die Leistung der Außenmikrophone seines Kom-Sets. Nur der Fluss rauschte, sonst war es überall still. Andrea von Garding tauchte neben ihm auf.

„Weiter!“, flüsterte der Kanadier.

Sie wateten weiter durch den Nebenfluss, jetzt tropfnass am gesamten Leib und vor Kälte bibbernd. Der Flussboden wurde zudem immer schlammiger und das Waten dadurch schwerer und schwerer. Nach einer gefühlten halben Stunde erkannte Dean Corvin auf der anderen Seite in der finsteren Mauer aus Schlinggewächsen eine Lücke. Er gab Andrea von Garding ein Zeichen mit der Hand und kletterte das steile Ufer hoch. Danach reichte er seiner Begleiterin die Hand, um sie hinaufzuziehen. Noch während er sie nach oben zog blitzte plötzlich ihre Betäubungswaffe auf.

Ein halbes Dutzend schenkeldicker Tentakel, die nach Corvin griffen, erschlafften und sanken zu Boden.

„Danke“, ächzte der Kadett. „Was für ein Vieh war das denn?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Andrea von Garding, griff nach seiner Hand und zog sich aufs Ufer hinauf. Hinter ihnen erklangen leise Stimmen. Ein sonorer Tonfall, der ihnen beiden bereits früher aufgefallen war, erklang. Das trieb die beiden Kadetten vorwärts.

Von dieser Gruppe Kadetten wurden sie seit Stunden unerbittlich verfolgt, und der Schuss aus Andreas Waffe schien sie wieder auf ihre Spur gebracht zu haben.

Ohne es bewusst zu bemerken griff Corvin nach der Hand seiner Begleiterin und zog sich durch das Dickicht des Dschungels mit sich, damit sie einander in der Finsternis nicht verloren. Die Leistungen, die ihnen beiden bei dieser Übung abverlangt wurden, schafften sie nur dank ihrer hervorragenden Kondition, wobei die junge Frau Corvin in Nichts nachstand.

Nachdem sie zwei weitere Stunden lang, beinahe lautlos, durch den dichten Dschungel geschlichen waren, lag mit einem Mal ein freier Streifen vor ihnen, der weit und breit nicht die geringste Deckung bot.

„Laufen“, flüsterte Corvin seiner Begleiterin, die er noch immer an der Hand hielt, zu.

Sie nickte. Nur undeutlich war der ferne Waldrand sichtbar.

Sie passten ihr Tempo einander an. Dabei huschten ihre Blicke immer wieder nach allen Seiten. Einer steinigen Fläche mit Geröll, die sie erst im letzten Moment erkannten wichen sie in weitem Bogen aus. Der noch immer starke Regen peitschte ihnen dabei so heftig ins Gesicht, dass es beinahe schmerzte.

Endlich hatten sie das jenseitige Ende der freien Fläche erreicht und tauchten wieder im Dickicht des Venus-Dschungels unter. Erst hier ließ Andrea von Garding die Hand des Begleiters wieder los.

Hatten sie bisher gefroren, so schwitzten sie nun wieder. Sie machten im Schutz einiges gewaltigen, hohlen Baumes eine Pause und aßen einen Bissen von ihren Notrationen, den sie mit einem Schluck Wasser hinunterspülten.

Dean Corvin horchte in die Nacht hinaus. Langsam aber sicher begann er erneut zu frieren. Sicher, außer den Geräuschen des Dschungels und der in ihm ansässigen Tiere nichts zu hören, raunte er leise: „Andrea, mir tut leid, was ich gestern bei der Simulation angestellt habe. Ich möchte mich dafür bei dir entschuldigen, okay?“

„Und dazu findest du keinen günstigeren Moment, als ausgerechnet jetzt?“, zischte die junge Frau fassungslos zurück, die Arme um den Körper geschlagen. „Hast du gerade jetzt keine anderen Sorgen.“

„Nur die eine, dass du vielleicht noch immer sauer auf mich bist.“

Andrea von Garding versetzte Corvin einen festen Boxhieb gegen die Brust. „Ich bin nicht nachtragend, aber solltest du dir so etwas jemals wieder leisten, mein Freund, dann trete ich dir so in den Hintern, dass du auf einen anderen Planeten fliegst, ist das klar?“

„Aye. Ist vollkommen klar.“

„Prima, und ab jetzt will ich nie wieder darüber reden“, gab die junge Frau zurück und erhob sich gleichzeitig aus dem Überhang der Baumhöhle. „Gehen wir weiter, sonst erfriere ich am Ende noch.“

Corvin lächelte im Dunkeln erleichtert. Willig folgte er Andrea von Garding ins Freie und machte sich wieder mit ihr auf den Weg.

Langsam ließ der Regen nach und auch der bislang stürmische Wind flaute, bis auf unregelmäßige Böen, merklich ab, was zur Folge hatte, dass sie sich nun noch vorsichtiger bewegen mussten, da verräterische Laute nicht mehr so stark vom Wetter übertönt wurden. Dean Corvin schätzte, dass sie bereits tief in den Ring eingedrungen waren, der von Gruppe Blau um das Ziel gelegt worden war. Spätestens jetzt war doppelte Vorsicht geboten.

Bedächtig näherten sie sich ein paar Stunden später einem weniger bewachsenen Taleinschnitt. Dunkel malten sich die beiden sanften Hügelketten zu dessen rechter und linker Flanke gegen den nur geringfügig helleren Himmel ab. Der Weg hierher war geradezu verdächtig unbelebt gewesen, und die Senke, die ein leichteres Vorankommen versprach, wirkte sehr verlockend. Besonders nach dem Marsch, den sie bereits hinter sich hatten. Wenigstens war ihnen beiden dabei wieder wärmer geworden.

Die Deutsche wollte bereits forsch voran gehen, doch Dean Corvins fester Griff an ihrer Schulter hielt sie zurück.

„Das ist die perfekte Stelle für einen Hinterhalt“, raunte der Kadett, nur durch das Kom-Set für seine Begleiterin hörbar. „Da werden wir ganz bestimmt nicht rein tappen.“

„Bist du sicher?“, stöhnte Andrea von Garding. „Vom Ende dieser Senke aus ist es nicht mehr weit, bis zum Zielpunkt, und ich bin ziemlich erledigt.“

„Genau damit würde ich rechnen und mich genau hier auf die Lauer legen, wenn ich zur blauen Gruppe gehören würde“, versicherte Corvin ihr.

Wie zur Bestätigung seiner Worte trug der immer noch sporadisch auffrischende Wind ihnen einige leise Wortfetzen zu, deren Zusammenhang aber unklar blieb. Dean Corvin, dessen Gesicht dem der jungen Frau ganz nah war, blickte bezeichnend und wies nach rechts hinüber, wo es einen steilen, aber gangbaren, Aufstieg zu geben schien.

Innerlich über die erneute Schinderei fluchend kletterte Andrea von Garding behände hinter Dean Corvin den steilen Hang hinauf, wobei sie sich dicht gegen den Felsen drängte um einer Entdeckung zu entgehen. Oben angekommen gab es keinen Grund zur Freude, denn nach einem kurzen Stück ebenem Boden fiel das Gelände beinahe genauso steil wieder ab, allerdings, zur Erleichterung der beiden Kadetten nur etwa zwanzig Meter. Danach wurde es erträglich, auch wenn der dichte Bewuchs sie hier immer wieder zu Umwegen zwang - wollten sie sich nicht durch übermäßigen Lärm verraten.

Schwitzend zogen sie nach einer Weile erneut unter um eine kurze Rast einzulegen, diesmal in einer ausgewaschenen Felsmulde. Auch bei dieser Pause aßen und tranken sie etwas, und im Anschluss zog Corvin erneut das Holo-PADD aus dem Gepäck. Nachdem er es wieder verpackt hatte, erklärte er: „Wir können uns an diesem Felsrücken entlangarbeiten, bis etwa einen Kilometer vor dem Zielpunkt. Ich rechne ab hier zwar kaum noch damit, dass wir auf Kadetten der Gruppe Blau stoßen, aber wer weiß.“

Andrea von Garding lachte lautlos und meinte: „Wird auch Zeit anzukommen, denn du brauchst ganz dringend eine Dusche, mein Freund.“

„Du hast auch schon mal besser gerochen“, giftete der Kanadier zurück und fing sich dafür von der Rotblonden einen Stoß in die Rippen ein.

„Werd´ bloß nicht frech.“

Das leise Knacksen eines Astes ließ beide Kadetten herumfahren, und Andrea von Garding brachte ihre Waffe auf die dunkle Gestalt, die vor ihnen aufwuchs, in Anschlag. Bevor sie abdrücken konnte presste Dean Corvin ihr rechtes Handgelenk gegen den Felsenboden und zischte: „Es ist Kimi.“

„Dean, bist du das? Ist Andrea bei dir?“

Auch das Mädchen erkannte jetzt, obwohl die Stimme des Blonden nicht mehr als ein Flüstern gewesen war, dass Dean Corvin Recht gehabt hatte. „Mein Gott, ich hätte den Lulatsch aus Helsinki fast ins Reich der Träume geschickt.“

Gleich darauf wurden drei weitere Gestalten erkennbar und Korkonnen erklärte erheitert: „Bei mir sind Jayden – oder auch der Lulatsch aus Jamaika - Miriam und Rodrigo. Was aus dem Rest der Goldenen wurde wissen wir nicht.“

„Wie passend“, spöttelte die Deutsche. „Wir nämlich auch nicht.“

„Wollt ihr hier weiter herumalbern, oder geht es bald vorwärts“, schimpfte Esteban leise. „Wenn die uns jetzt noch schnappen würden wäre das nämlich mehr als lächerlich.“

Unter allgemeiner Heiterkeit gab Dean Corvin das Zeichen zum Aufbruch. Dass er wieder mit seinen Freunden zusammen war beflügelte ihn ungemein.

Kimi Korkonnen hielt sich ab jetzt an seiner Seite, während sich Andrea von Garding an das Ende der Gruppe, zu Jayden Kerr gesellte, was Corvin ein wenig gegen den Strich ging. Er sagte jedoch nichts dazu sondern schritt, immer wieder zu allen Seiten hin absichernd, voran.

Weniger als zwei Stunden später erreichte die Sechsergruppe die erhöhte Waldlichtung, die ihre Ausbilder als Ziel festgelegt hatten. Rechtzeitig mit dem Ende des Regens wie es schien.

„Das funktioniert immer“, beschwerte sich Miriam Rosenbaum. „Wie üblich, wenn eine Geländeübung gerade eben vorbei ist, wird das Wetter gut.“

Unterdrückt lachend trotteten die sechs Kadetten zu einem beleuchteten Platz, an dem zwei Luftgleiter geparkt waren. Erst jetzt erkannte Dean Corvin die Spuren der Anstrengung in den Gesichtern seiner Begleiter, und er selbst würde kaum besser aussehen. Er erreichte die Gruppe von vier Offizieren die bei den Gleitern stand als Erster, weshalb er es auch übernahm ihre erfolgreiche Rückkehr zu melden.

Einer der Offiziere trat nun etwas mehr ins Licht und erst jetzt erkannte Corvin, dass es sich um Major Omar de la Hoz handelte. Der Offizier nickte anerkennend und meinte zur gesamten Gruppe: „Gut gemacht, Kadetten. Dann können wir diese Übung nun beenden.“

Rodrigo Esteban kratzte sich zwanglos am Kopf und fragte dann etwas verdattert: „Wie meinen Sie das Sir?“

Das feine Lächeln auf dem Gesicht des Ausbilders vertiefte sich und erklärend sagte er mit dunkler Stimme: „Alle anderen Kadetten der Gruppe Gold sind von den anderen beiden Gruppen aufgespürt worden. Sie sind die Einzigen, die es hierher geschafft haben.“

Rodrigo Estebans dunkle Augen wurden kreisrund und ungläubig blickte er in die Gesichter seiner fünf Kameraden.

„Tja, das war es dann wohl mit dem gemütlichen Job für dich“, feixte Miriam Rosenbaum und grinste dabei von einem Ohr zum anderen. „Elitekadetten, wie du, werden als leuchtendes Vorbild an vorderster Front gebraucht, mein Lieber.“

Während Esteban noch immer sprachlos in die Runde sah, schlug ihm Kimi Korkonnen herzhaft auf die Schulter und meinte bedauernd: „Tut mir leid, wenn wir dir einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, in Bezug auf den Büro-Posten.“

„Ich habe ja schöne Kameraden“, murmelte Esteban, während sie zu einem der beiden Gleiter schritten. Doch schon einige Augenblicke später grinste er, hoch zufrieden mit sich.

 
 

* * *

 

Am Nachmittag des letzten Tages vor ihrer Versetzung, beziehungsweise ihres Abschlusses, waren sämtliche Kadetten der Sektion-Venus, in Paradeuniform, auf dem Exerzierplatz des Akademie-Komplexes angetreten.

Die Leiterin der Sektion, Brigadegeneral Marija Grlzik, hielt die obligatorische Abschlussrede. Zunächst verabschiedete sie feierlich den Abschlussjahrgang und gratulierte den angehenden Offizieren. Danach beglückwünschte sie die übrigen Kadetten zur Versetzung in den nächsten Jahrgang und sie verlas die Abgänge, die es in jedem Jahr zu beklagen gab, weil deren Leistungen nicht genügend waren.

Besondere Unruhe war bei den Kadetten des abgeschlossenen zweiten Jahrgangs zu beobachten, denn natürlich wollten die Kadetten dieses Jahrgangs wissen, wer es zur Sektion-Terra geschafft hatte. Einer, der besonders nervös war, war Dean Corvin, denn er wusste, dass es einige Kadetten gab, deren Leistungen besser waren als seine eigenen. Zwischen Kimi und Andrea stehend versuchte er, nicht nervös auf den Füßen zu wippen. Beim General wäre das sicher nicht gut angekommen.

Es dauerte Dean Corvin viel zu lange, und die Zeit schien rückwärts zu laufen, bis Brigadier Grlzik endlich damit begann, die Namen jener Kadetten zu verlesen, die dazu ausersehen waren, den Rest ihrer Akademiezeit auf Terra zu verbringen. Seine Nervenkraft wurde dabei auf eine harte Probe gestellt, denn die Akademieleiterin verlas langsam, geradezu andächtig, einen Namen nach dem anderen, ohne dass sein eigener mit dabei war.

Als Miriam Rosenbaum, nach einer gefühlten Ewigkeit, als Neunte genannt wurde sank Dean Corvins bisherige Zuversicht ins Bodenlose. Er ließ traurig den Kopf hängen, sicher, dass er es, anders als Andrea, Kimi und Jayden, nicht geschafft hatte. In seinem Magen begann es zu rumoren und er spürte eine bittere Übelkeit in sich aufsteigen. Für lange Zeit würde er seine Freunde nun nicht mehr sehen. Er hatte versagt.

Etwas verwundert blickte er auf, als er eine Berührung an seiner rechten Hand spürte, und er bemerkte, dass Andrea von Garding, deren Name als erster gefallen war, seine Hand in ihre genommen hatte, sie sachte drückte, und ihm dabei zuversichtlich zu lächelte.

Beinahe im selben Moment hörte er, fast wie durch Watte, dass Marija Grlzik seinen Namen, als letzten von zehn, verlas.

Zunächst ungläubig, dann unendlich befreit lächelnd, drückte Corvin freudig die Hand der jungen Frau. Am liebsten hätte er sie in seine Arme gerissen und herumgewirbelt, doch auch das wäre ein nicht wiedergutzumachender Affront gegenüber Brigadier Grlzik gewesen.

Bereits im nächsten Moment zog Andrea von Garding ihre Hand zurück, doch Dean Corvin gewann den Eindruck, sie noch eine geraume Weile in seiner zu spüren. Endlich den Blick abwendend, bevor es peinlich wurde, stellte der junge Mann in diesem Augenblick fest, dass dies einer der glücklichsten Momente seines bisherigen Lebens war. Er durfte zur Sektion-Terra, zusammen mit seinen besten Freunden. Und auch Rodrigo Esteban und Miriam Rosenbaum waren mit von der Partie.

Vom Rest der Zeremonie und von den anschließenden Glückwünschen seiner Kameraden bekam Dean Corvin kaum etwas mit. Immer wieder schweifte sein Blick ab zu Andrea, die er auch in den nächsten zwei Jahren regelmäßig sehen würde. Vielleicht fand er ja auf Terra einen Weg, sie wissen zu lassen, was er für sie empfand.

Der Kadett ballte seine Hände zu Fäusten, zuversichtlicher denn je, dass sich sein Leben genau so entwickeln würde, wie er es sich momentan vorstellte.

Woher hätte Dean Everett Corvin auch ahnen können, wie sehr er sich in dieser Hinsicht irren sollte…

EMOTIONEN

 In der letzten Vorlesung an diesem Tag stand Die Geschichte der modernen Menschheit auf dem Stundenplan. Zusammen mit weiteren neunundneunzig Kadetten strömte Kim Tae Yeon in Hörsaal III und bereitete sich innerlich darauf vor ihr Referat vorzutragen, denn Moderne Geschichte war eines ihrer Paradefächer.

Wie an allen anderen Tagen, seit sie im Sommer zur Sektion-Terra versetzt worden war, suchte sie sich einen Platz ganz in der Nähe eines Kadetten aus, der ihr über alle Maßen gut gefiel - Dean Everett Corvin. Für einen kurzen Moment blickte er, schräg vor ihr sitzend, herüber, und Kim Tae Yeon nutzte die Gelegenheit um ihm einen strahlenden Blick und ein zuckersüßes Lächeln zukommen zu lassen.

Der dunkelblonde Junge erwiderte das Lächeln unmerklich, bevor sich seine Aufmerksamkeit auf den Freund zu seiner Rechten richtete.

Etwas enttäuscht konzentrierte sich die, in Seoul geborene, junge Frau wieder auf den bevorstehenden Unterricht.

Obwohl sie selbst ihre Nase als etwas zu groß empfand, konnte man das Gesicht der Koreanerin als klassisch schön bezeichnen, denn ihre geschwungenen Lippen und die leicht schräg stehenden, dunklen Mandelaugen passten sich perfekt ein in das ovale, ebenmäßige Gesicht, das von langen, dunkelbraunen Haaren eingerahmt wurde. Dazu passte ihr heller Teint, der ihr Gesicht beinahe wie aus Porzellan wirken ließ. Auch die Proportionen ihres straffen, sehr sportlichen, Körpers waren dazu angetan, das Blut ihrer männlichen Kommilitonen schneller durch die Adern pulsieren zu lassen.

Kim Tae Yeon wusste um ihre Wirkung, und sie war es gewohnt, dass sie Jungs sehr schnell um den Finger wickeln konnte. Um so mehr irritierte sie die Tatsache, dass Dean Corvin bisher auf keinen ihrer subtilen Flirtversuche eingegangen war, von denen sie in den letzten vier Monaten mehr als genug gestartet hatte. Ihrer Ansicht nach. Etwas frustriert fragte sie sich, was mit diesem jungen Mann nur los sein mochte. Stand er am Ende vielleicht gar nicht auf Frauen?

Was für eine diabolische Verschwendung wäre das, überlegte die Asiatin, halb belustigt, halb betrübt. Sie erinnerte sich noch lebhaft an den Tag, als sie sich, und zwar bis über beide Ohren, in diesen etwas kühlen Typ, mit den lustigen Sommersprossen auf der Nase, verliebt hatte. Es war gleich in der zweiten Woche gewesen. Sie hatte Corvin bei einem Geländelauf überholt und sich einmal zu oft zu ihm umgesehen, denn dadurch war ihr ein tiefhängender Baumast entgangen, der quer über den halben Weg hing. Als sie das letzte Mal wieder nach Vorne gesehen hatte, da hatte sie nur noch etwas Dunkles auf sich zu kommen sehen. Gleich darauf war ihre rechte Schläfe heftig mit dem Ast kollidiert, wodurch sie sich selbst in den Zustand der Bewusstlosigkeit befördert hatte.

Dean Corvin hatte sich um sie gekümmert. Sie war wieder zu sich gekommen, als er seinen Arm unter ihre Schulter geschoben hatte, ihren Kopf gegen seine Brust bettete und seine Hand vorsichtig auf ihre Wange legte. Länger als es nötig gewesen wäre hatte sie ihre Augen geschlossen gehalten, bevor sie leise aufstöhnend, was sie hingegen nicht hatte spielen müssen, zu sich kam und die Augen öffnete.

Dean Corvin hatte ihr anschließend dabei geholfen langsam wieder auf die Beine zu kommen, wobei sie sich nur allzu willig von ihm hatte helfen lassen. Dabei war ihr schwindelig geworden, und sie war gegen ihn getaumelt. Der schneidige, junge Mann hatte darauf bestanden, dass sie ihren linken Arm um seine Schulter legte. Er selbst hatte seinerseits danach seinen rechten Arm um ihre Hüfte gelegt und sie zum Campus zurück gebracht, direkt bis zur Medizinischen Abteilung.

Selbst während der anschließenden Untersuchung und Behandlung dort hatte sie noch immer den Eindruck gehabt, seine Berührungen zu spüren. Seit diesem Tag war Dean Everett Corvin ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Vorne hatte der Geschichtslehrer, im Rang eines Hauptmanns, bereits hinter seinem breiten Pult Platz genommen, vor dem sich eine Empore mit Rednerpult befand. Er wartete darauf, dass Ruhe einkehrte. Nach einem Moment erhob er sich und sagte, mit tragender Stumme: „Die Aufgabe für den heutigen Tag lautete, ein Referat über die Entwicklung der Menschheit in den letzten eintausendzweihundert Jahren zu schreiben. Wer von Ihnen möchte nach Vorne kommen und sein Werk vortragen?“

Einige Kadetten, unter ihnen Kim, meldeten sich und erfreut verfolgte die Asiatin, dass der Hauptmann ihren Namen aufrief.

Etwas nervös, aber auch entschlossen, erhob sich die sportliche Kadettin von ihrem Platz und schritt mit dem PADD, das ihre Geschichtsdateien enthielt, hinunter zum Rednerpult, auf das sie ihr PADD ablegte. Sie ließ ihren Blick kurz über die anwesenden Kommilitonen schweifen, bevor sie auf ihr PADD blickend ihr Referat vorzutragen begann.

Bereits nach den ersten Sätzen hatte die Asiatin ihre Kommilitonen mit ihren Ausführungen in den Bann geschlagen und in stiller Anspannung lauschten sie, wie Kim die geschichtliche Entwicklung der modernen Menschheit wiedergab.

Als Kim Tae Yeon endete und wieder aufsah da blickte sie, zu ihrer großen Freude, in die beeindruckten Gesichter ihrer Kommilitonen und selbst ihr Geschichtslehrer nickte anerkennend und sagte zu ihr: „Dieses Referat war ausgezeichnet, Kadettin Kim. Sie können wieder Platz nehmen.“

Während die Asiatin stolz zu ihrem Platz hinauf schritt fing sie einen anerkennenden Blick von Dean Corvin auf, und innerlich jubelte sie, dass auch er sie endlich wahrnahm.

Währenddessen hatte der Hauptmann die Aufnahmefunktion seines PADD´s aktiviert und die Kadetten dazu aufgefordert ihre Referat-Dateien, mit der Sendefunktion ihrer Geräte, zu seinem zu überspielen.

Auch Kim kam der Aufforderung nach. Danach lehnte sie sich lächelnd in ihrem Sessel zurück, spielte gedankenverloren mit ihren, hinter dem Kopf zu einem Pferdeschwanz, zurückgebundenen Haaren und bekam vom Rest der Geschichtsstunde kaum noch etwas mit, während der Lehrer nun einen Vortrag über die Entstehung und Entwicklung des Bundes von Harrel, und seinem Gründer, Wayne Harrel, hielt.

 
 

* * *

 

Unmittelbar nach dem Ende der Stunde, als die Kadetten dem Ausgang des Hörsaal zu strebten, drängte sich Kim Tae Yeon zu Dean Corvin durch, den sie ganz bewusst zunächst an ihrem Platz vorbei gehen lassen hatte, bevor sie selbst von ihrem Platz aufgestanden war. Dabei hoffte sie, ihn für einen Moment von seinen drei Freunden loseisen zu können, die quasi permanent um ihn herum zu sein schienen.

Rechts neben ihm auftauchend stupste sie ihn vorsichtig an und wartete, bis er zu ihr sah, bevor sie mit glockenheller Stimme sagte: „Hallo, Dean. Wie fandest du mein Referat?“

Erkennen überflog das Gesicht des Kadetten und grinsend meinte er: „Du solltest besser auf den Weg achten, damit du dir nicht nochmal versehentlich die Lampe ausschießt.“ Dann räusperte er sich, als er die verlegene Miene der jungen Asiatin bemerkte, und fügte an: „Das Referat war toll. Du hast einen Sinn für das Wesentliche.“

Kim Tae Yeon wand sich, etwas verlegen wirkend, und erwiderte dann, mit kokettem Augenaufschlag: „Danke, für das Lob, Dean, und nochmal Danke für deine Hilfe damals.“

„Keine Ursache“, wehrte Corvin schnell ab. „War doch selbstverständlich, dass ich dich nicht einfach auf dem Weg liegenlasse und weiterlaufe.“

Er zwinkerte Kim grinsend zu, was ihren Puls beschleunigte. Geradeheraus fragte sie dann: „Musst du dringend irgendwo hin, oder hast du einen Moment Zeit für mich?“

Etwas überrascht hob der Kadett seine Augenbrauen und erwiderte: „Nein, ich habe einen Moment.“

Die Asiatin ließ sich etwas mit Corvin zurückfallen, und der Dunkelblonde rief Kimi Korkonnen und Jayden Kerr zu, dass er, wie verabredet, in einer Stunde in der Sporthalle sein würde. Danach wandte sich seine Aufmerksamkeit Kim Tae Yeon zu. „Was gibt es denn?“

Kim druckste einen Moment herum und erklärte dann: „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, was du zu Weihnachten und Silvester machst? Fährst du irgendwo hin, oder so?“

Zur Freude der jungen Frau schüttelte Dean Corvin den Kopf und antwortete: „Nein, seit mein Onkel, der mich nach dem Tod meiner Eltern aufgezogen hat, letztes Jahr gestorben ist habe ich keine Verwandten, zu denen ich heimfahren könnte. Kimi hat mich zwar bekniet mit ihm nach Helsinki, zu seiner Familie, zu fahren, aber ich denke, aufgrund meiner momentan etwas mäßigen Noten ist es besser wenn ich hier bleibe und für die Semester-Prüfungen lerne.“

„Toll!“, entfuhr es der Asiatin. Als sie gleich darauf den fragenden Blick des Kanadiers bemerkte fügte sie schnell hinzu: „Ich meine – tut mir natürlich leid, das mit deinen Verwandten. Das ist mir nur so raus gerutscht weil ich auch hierbleiben werde, und dann ist wenigstens ein bekanntes Gesicht da. Wir könnten gemeinsam lernen.“

Dean Corvin nickte verstehend. „Guter Vorschlag.“ Er schien zu bemerken, dass sie noch etwas auf dem Herzen lag, und darum fragte er vorsichtig: „Was hast du noch?“

Die drahtige Kadettin blickte ihn treuherzig an und erklärte zögerlich: „Na ja, ich habe gehört, dass es eine Silvesterparty geben wird, mit Tanz und so. Leider habe ich noch niemanden gefunden der mich zu dieser Feier begleiten würde und da… nun ja...“

Dean Corvin lächelte offen und meinte unbefangen: „Dann geh doch einfach mit mir hin. Ich wüsste sonst auch niemanden mit dem ich dort hin gehen könnte.“

„Dann ist das abgemacht!“, strahlte Kim Tae Yeon. Sie wandte sich um, als jemand im Gang ihren Namen rief.

„Meine beste Freundin“, gab die Asiatin bei dem fragenden Blick ihres Gegenübers Auskunft und verabschiedete sich vergnügt von ihm. „Also bis dann.“

„Bis dann!“, erwiderte Dean Corvin lächelnd und während Kim Tae Yeon zu ihrer Freundin schritt lag ein glücklicher Zug auf ihrem hübschen Gesicht.

 
 

* * *

 

„Du hast ein Date mit unserer hübschen Tae Yeon? Alter Charmeur.“

„Ha, ha“, machte Dean Corvin und blickte unwillig in Jayden Kerrs Gesicht. „Was ist überhaupt ein Date?“

„Hey du weißt ja, dass ich histo...“

„Oh, nein!“, fuhr Corvin dem Jamaikaner in die Parade und wandte sich hilfesuchend zu Kimi Korkonnen. „Bitte verschone uns damit!“

Die drei Freunde hatten sich, mit einigen anderen Kadetten zu einer Partie Speedball verabredet, ein Spiel, das sich aus dem antiquierten American-Football entwickelt hatte. Es wurde jedoch mit nur sieben Leuten pro Mannschaft gespielt, und war deswegen deutlich anstrengender. Momentan war gerade Halbzeit und eben hatte Corvin den Freunden, die heute mal nicht in derselben Mannschaft spielten wie Andrea und er, erklärt, was sich vorhin im Gang zugetragen hatte.

„Dann bleibt ihr eben dumm“, beschwerte sich der Dunkelhäutige. Doch schon im nächsten Moment setzte er wieder sein breitestes Grinsen auf und deklamierte mit erhobenem Zeigefinger: „Ein Date nannte man früher eine Verabredung.“

„Warum denn so kompliziert?“, warf Kimi Korkonnen seufzend ein. „Sag doch einfach Dean hat eine Verabredung, und alles ist okay. Dein historisches Durcheinander versteht kein Mensch.“

„Ich habe keine Verabredung“, korrigierte Dean Corvin gereizt.

Jayden Kerr kostete den Moment aus indem er scheinheilig fragte: „Tae Yeon hat dich aber schon gefragt, ob du mit ihr zu einer Party gehst, richtig?“

„Richtig.“

„Und du hast ja gesagt und wirst mit ihr zu dieser Party gehen, richtig?“

Corvin blickte seinen Freund, Jayden Kerr, stirnrunzelnd an und erkundigte sich, mit zusammengekniffenen Augenlidern: „Worauf willst du hinaus?“

Jayden Kerrs und auch Kimi Korkonnens Mundwinkel zuckten gleichermaßen verdächtig und Dean Corvin stöhnte schließlich unterdrückt: „Verdammt, ich habe eine Verabredung mit Tae Yeon.“

„Wer hat eine Verabredung?“

Corvin fuhr herum und erkannte, dass sich ihnen Andrea von Garding unauffällig genähert hatte. Bevor die Freunde etwas sagen konnten grollte er finster: „Kein Mensch hat eine Verabredung. Jayden hat uns eben nur einmal mehr mit seinen historischen Studien traktiert, du verstehst?“

Die Deutsche blieb stehen, warf Corvin und den beiden anderen Kameraden einen taxierenden Blick zu, und erwiderte feixend: „Ich verstehe. Ich komme nur um dich zu informieren, dass die Halbzeit gleich um ist. Du solltest vorher nochmal den nächsten Spielzug mit mir und dem übrigen Team durchgehen.“

Damit machte Andrea von Garding auf dem Absatz kehrt. Bevor Dean Corvin aufatmen konnte blickte sie nochmal über die Schulter und meinte keck: „Ach und Dean, dass du mir bloß anständig bleibst und dich wie ein Kavalier benimmst, wenn du zu Silvester mit Tae Yeon, oder sollte ich sagen mit deiner Verabredung, zur Party gehst, klar?“

Verdutzt blickte Corvin ihr nach und wandte sich mit einer ausladenden Geste an seine beiden Freunde: „Woher weiß die das schon wieder?“

Seine Freunde machten gleichermaßen ratlose Gesichter und Dean Corvin winkte ab. „Vergesst es einfach.“ Damit folgte er der Freundin und Kimi Korkonnen, der seinen Freund in- und auswendig kannte fragte sich insgeheim, warum dieser so ungewohnt emotional auf die Verabredung reagierte. Er beschloss, nach dem Spiel mit Dean zu reden, denn seit einigen Monaten hatte er eine ungefähre Ahnung woher der Wind wehte.

„Lass uns auch mal wieder langsam zurück auf´s Spielfeld gehen“, meinte Jayden Kerr und erkundigte sich dann bei dem Finnen: „Was ist eigentlich in der letzten Zeit mit Dean los, Mann?“

„Keine Ahnung“, entgegnete der Blonde schnell und fügte in Gedanken an: Zumindest weiß ich noch nichts mit Sicherheit.

Er und Jayden schnappten sich ihre Helme und trabten wieder in die Mitte des Feldes, wo diesmal das grüne Team das Spiel eröffnen würde. Beide spielten, für das gelbe Team, im Zentrum der Verteidigung.

Andrea von Garding stand bereits mit fangbereiten Händen hinter ihrem Zentralspieler, der ihr den Ball nach hinten geben würde. Dean Corvin postierte sich, da er sehr schnell sprinten und gut fangen konnte, momentan an der rechten Seite der Linie, an der das Spiel starten würde.

Jedes Team, welches das Angriffsrecht hatte, bekam vier Chancen einen Raumgewinn von sieben Metern zu erlaufen, oder zu erpassen. Schafften sie es nicht spätesten mit dem vierten Spielzug, diese sieben Meter zu überwinden, so wechselte das Angriffsrecht an der Position, an der besagter vierter Spielzug scheiterte. Schaffte es ein Team den Ball in die Endzone des Gegners zu tragen so gab es dafür drei Punkte – wenn er dort als Pass gefangen wurde nur zwei. Dabei durfte der Ballführende auf verschiedene Arten von seinen Gegenspielern zu Boden gebracht werden. Dort wurde dann der nächste Spielzug gestartet.

Andrea von Garding blickte kurz zur rechten Seite hinüber. Gleich darauf gab einer der Kadetten, der heute den Hauptschiedsrichter machte, das Spiel frei und die Kadettin, als Spielführerin, gab die verabredeten Kommandos – traditionell in englischer Sprache, was diesem Spiel eine exotische Note verlieh. Auf ihr drittes Kommando hin hob ihr Mitspieler vor ihr den Ball und warf ihn, durch die Beine, nach hinten in ihre Hände.

Andrea von Garding fing den Ball geschickt auf und machte mit ihm ein paar Schritte zurück, während die gegnerischen Abwehrspieler versuchten zu ihr durchzubrechen. Sie blickte zu Corvin, der im Begriff war den vereinbarten Cut nach Innen zu machen, und warf den Ball zu der Stelle, an der er sein würde wenn der Ball ankam.

Corvin schien jedoch nicht richtig bei der Sache zu sein denn er ließ den fangbar geworfenen Ball durch seine Finger rutschen, was ihm einen wütenden Blick seiner Kameradin einbrachte. Als er zur Linie zurück trottete fuhr die junge Frau ihn wütend an: „Hey, du Lappen, konzentriere dich beim nächsten Mal wieder auf das Spiel und fang das Ei gefälligst, kapiert! Wie genau soll ich das verdammte Ding denn noch werfen? Vielleicht versuchen wir eine Kansas-Fortytwo?“

„Wirf das kleine Scheißding einfach zu mir!“, konterte Dean Corvin gereizt und nahm erneut an der Linie Aufstellung.

Andrea schluckte die scharfe Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag, aber sie schoss einige finstere Blicke auf Dean Corvin ab, bevor sie sich wieder auf das Spiel konzentrierte und als Kommando durchgab: „Tennessee-Twentynine! Hike – Hike – Hike!“

Der Spielzug begann und die Deutsche war versucht Corvin bei diesem Spielzug zu ignorieren, doch er hatte sich ideal freigelaufen. Außerdem blieb ihr keine Zeit sich nach einem anderen Passempfänger umzusehen, da Jayden Kerr, zwischen ihrem Zentralspieler und Rodrigo Esteban, der an der Linie neben ihm stand, durchgebrochen war und mit hohem Tempo auf sie zu lief.

Sie konnte den Ball gerade noch nach Vorne werfen, als Jayden Kerr sie auch schon erreicht hatte. Seine kräftigen Arme um die Kadettin legend und fest zugreifend riss er die Kameradin einfach mit sich, so dass sie nicht mehr mitbekam wie Corvin den Ball geschickt auffing und mit ihm in die Endzone lief.

Andrea von Garding hatte für einen Moment das Gefühl gegen eine Mauer gerannt zu sein. Die Luft wurde ihr aus den Lungen getrieben, als sie gemeinsam mit dem hochgewachsenen Jamaikaner zu Boden ging. Zu ihrem Glück hatte sich Jayden Kerr im letzten Moment mit ihr zur Seite gedreht, so dass sie auf ihm zu liegen kam.

Ihre Helme krachten hart gegen einander und für einen kurzen Moment glaubte die junge Frau Sterne zu sehen. Als sich ihr Blick klärte blickte sie direkt in das breit, und verdächtig anzüglich, grinsende Gesicht des Kameraden, der sie immer noch fest umarmte.

„Hallo, schöne Frau - nett dich getroffen zu haben“, lachte der Jamaikaner und zwinkerte ihr dabei geradezu unverschämt vergnügt zu.

„Lass mich gefälligst sofort los, du Rüpel!“, fauchte Andrea von Garding heftig. „Und sollte sich deine Hand nochmal so tief an meinem verlängerten Rücken hinunter verirren, dann kannst du etwas erleben, mein Freund!“

„So toll wie es sich anfühlt wäre ich glatt versucht es darauf ankommen zu lassen“, konterte Kerr mit unschuldigem Blick. Dennoch nahm er schnell die Rechte vom knackigen Po seiner Kameradin. „Dass ich dich ausgerechnet da zu packen bekam war übrigens nichts weiter, als reiner Zufall.“

„Wenn das stimmt, dann bin ich der Weihnachtsmann“, knurrte die Deutsche gespielt finster, konnte aber dabei kaum das Grinsen verbergen, dass sich auf ihre Lippen stahl. Sie ergriff Jayden Kerrs angebotene Hand und ließ sich von ihm nach oben ziehen. Als sie wieder auf den Füßen stand, verpasste sie dem Kameraden einen leichten Rippenstoß und deutete dabei in die Endzone, wo Dean Corvin noch immer, den Ball in die Luft reckend, wild herum hüpfte. „Den Pass hast du nicht verhindern können, dazu musst du früher aufstehen.“

„Abwarten“, lachte Jayden Kerr mahnend, während er gemeinsam mit der Kameradin wieder zum Mittellinie schritt. „Dieses Spiel ist noch nicht vorbei.“

 
 

* * *

 

Nach dem Spiel trennten sich die Kameraden und Kimi Korkonnen beeilte sich, an Dean Corvins Seite zu gelangen, als sie die Turnhalle verließen. Der Blonde blickte seinen nachdenklich wirkenden Freund von der Seite an, etwas besorgt, weil er diesen Gemütszustand, der nun fast ständig zu bemerken war, bei dem Freund bisher fast nie beobachtet hatte. Er atmete tief durch und beschloss dann Klartext zu reden – aber nicht hier, sondern an einem Ort, wo sie unter sich sein würden.

„Ich möchte Dich sprechen, Dean, und zwar unter vier Augen.“

Dean Corvin, der etwas in Gedanken gewesen war, blickte verwundert zu Kimi Korkonnen auf. „Warum denn die ernste Miene, mein Freund. Stimmt etwas nicht?“

„Das würde ich gerne von Dir erfahren.“

Korkonnen deutete den Gang hinunter, der zur Eingangshalle des Hauptkomplexes führte. „Im Zen-Garten werden wir ein ruhiges Plätzchen zum Reden finden.“

Da auf der südlichen Halbkugel der Erde gerade Sommer war, schritten die beiden Freunde, von den weißen, durch große Glasfronten bestimmten, maximal dreistöckigen, Gebäuden der Akademie weg. Wer zum ersten Mal vor dem Gebäudekomplex der Sektion-Terra stand, der war beinahe enttäuscht, denn da an dieser Sektion permanent nur gut zweihundert Kadetten ausgebildet wurden, war gerade an dieser Akademie-Sektion, auf der Zentralwelt des Terranischen Imperiums, alles etwas kleiner und übersichtlicher. Auch diesen beiden Kadetten war es so ergangen. Bei angenehmen Temperaturen trotteten sie durch den weitläufigen Park. Beide schwiegen, bis sie die japanische Bogenbrücke, die einen kleinen Bach überspannte, hinter sich gelassen hatten und sie unter sich waren.

Es war Kimi Korkonnen, der das Schweigen brach und diplomatisch meinte: „Es kann sein, dass ich mich irre, Dean, aber in den letzten Monaten habe ich eine Veränderung an Dir festgestellt. In der letzten Zeit kommst du mir sehr oft nachdenklich und in Dich gekehrt, ja, beinahe bedrückt, vor. So kenne ich Dich nicht, mein Freund, und deshalb mache ich mir so meine Gedanken darüber.“

Dean Corvin blickte seinen besten Freund, der ihm wie ein Bruder war, einen Moment lang nachdenklich an, bevor er leise seufzte und erklärend meinte: „Es ist wegen Andrea. Ich kann Dir nicht sagen wann, oder wie es passiert ist, Kimi, aber ich habe mich in sie verliebt, das ist mir in der letzten Zeit immer deutlicher klar geworden. Bereits gegen Ende des letzten Semesters, auf der Venus, habe ich das irgendwie schon gespürt.“

Sie schritten tiefer in den Bereich des Zen-Gartens hinein, der hinter der Brücke begann. Nachdem Kimi Korkonnen seine Worte unkommentiert ließ, fragte der Kanadier endlich: „Was denkst du denn?“

„Ich denke, dass Dich Andrea wirklich gern hat“, erwiderte der Freund ernsthaft. „Als Kamerad. Ob daraus mehr werden kann, oder nicht, das weiß ich offen gestanden nicht. Da musst du schon mit Andrea reden.“

Dean Corvin blickte den Blonden unsicher an. „Wie denn?“

Kimi Korkonnen sah seinen Freund in komischer Verzweiflung an. „Nun, du gehst zu ihr hin, fragst sie, ob sie einen Moment Zeit für Dich hat, und dann sagst du ihr was Sache ist. Ziemlich einfach, oder nicht?“

Dean Corvin blieb abrupt stehen und Panik lag in seinem Blick. „Bist du verrückt geblieben? Da würde ich rot wie eine Tomate werden und kein Wort herausbringen.“

„Tja, ich würde sagen, wenn du bei Andrea landen willst dann kannst du es Dir nicht leisten derart verklemmt und schüchtern zu sein“, spottete Kimi Korkonnen gutmütig. „Um sie zu gewinnen wirst du schon etwas riskieren müssen.“

Dean Corvin setzte sich langsam wieder in Bewegung. „Na, toll!“

Korkonnen, der an Dean Corvins Seite blieb, schmunzelte und fügte hinzu: „Oder aber du machst endlich mal Deine Augen auf und erkennst, bei wem du offene Türen einrennen würdest. Ich glaube, Tae Yeon müsstest du nur einmal intensiv ansehen, freundlich lächeln, und schon wäre sie die Deine, glaubst du nicht?“

„Tae Yeon ist sehr attraktiv“, räumte Dean Corvin zögerlich ein. „Außerdem hat sie bestimmt nicht weniger auf dem Kasten, als Andrea, es ist nur...“

„Verstehe“, seufzte der Blonde nickend. „Sie ist eben nicht Andrea.“

„Genau so ist es.“

Kimi Korkonnen legte seine Hand auf die Schulter des Freundes und sagte ernsthafter, als zuvor: „In dem Fall bleibe ich bei dem, was ich Dir zuerst geraten habe. Rede mit Andrea. Denn wenn du das nicht machst, dann wirst du sie nie für Dich gewinnen.“

„Aber was ist, wenn sie nein sagt.“

„Dasselbe, wie wenn du sie nicht fragst“, argumentierte der Finne überzeugend. „Natürlich kann es passieren dass sie nicht interessiert ist. Aber es zu wissen ist besser, als weiter im Dunkel zu tappen, wenn du mich fragst. Momentan mache ich mir ehrlich gesagt Sorgen, dass Andrea sonst zu einer fixen Idee bei Dir werden könnte. Du weißt, welche Chance du hier an dieser Akademie-Sektion hast, Dean. Da kannst du eine unglückliche Liebe am allerwenigsten gebrauchen.“

Dean Corvin stöhnte unterdrückt. „Jetzt hörst du dich schon genauso so an wie mein Patenonkel, kurz bevor er starb.“

„Scheint ein schlauer Typ gewesen zu sein“, gab der Freund ironisch zurück.

Mehrere Kadetten des vierten Jahrgangs kamen ihnen entgegen und die Freunde bogen nach Links auf einen der kleineren Seitenwege ein, der sich zwischen hohen, alten Buchen dahin schlängelte. Von Süd-Westen her kam starker Wind auf und trug eine salzige Brise vom Meer mit sich. Wellington, an der Südspitze der Nordinsel Neuseelands gelegen, war auch heute noch für seine plötzlichen Böen und Fallwinde berüchtigt. In früherer Zeit hatten die Einwohner ihre Stadt deshalb ironischer Weise Windy City genannt.

Als sie wieder ungestört waren, fuhr Dean Corvin fort: „Vermutlich hast du Recht, aber ich denke, dass ich Andrea nicht so kurz vor Weihnachten damit überfallen sollte. Vielleicht ist es besser damit zu warten, bis sie, nach den Semesterferien, wieder hier am Campus ist. Gut gelaunt, wegen der angenehm verbrachten Feiertage.“

Kimi Korkonnen schüttelte lachend den Kopf. „Immer und überall der alte Taktik-Fuchs – aber ich sage dir jetzt mal was: In Herzensangelegenheiten wird Dir keine noch so ausgefuchste Taktik etwas nützen, sondern nur Offenheit und Ehrlichkeit. Auch wenn Dir das vielleicht nicht gefällt.“

„Schöner Mist!“

Korkonnens blaue Augen funkelten amüsiert. „Eins verstehe ich beim besten Willen nicht, Alter: Wenn es in einer Übung darum geht, Dich durch das wildeste Gelände durchzuschlagen, das man sich denken kann, oder einen Kreuzer simuliert in die haarsträubendste Schlacht zu führen, dann bist du ganz vorne mit dabei und ich glaube es wäre nicht anders, würde es sich um den Ernstfall handeln - aber sobald es darum geht nur etwas Gefühle zu investieren, dann versagt Dein Heroismus. Das kapier ich nicht.“

„Vielleicht kapierst du es ja, falls es Dich mal so richtig erwischt“, konterte Dean Corvin mürrisch. „Dann werde ich Dich an Deine schlauen Worte erinnern.“

Kimi Korkonnen zwinkerte belustigt. „Kann vielleicht passieren. Aber ich hoffe trotzdem, dass ich mich dann weniger trottelig anstelle, als du.“

Er wurde wieder ernst, während sie langsam wieder auf den Haupteingang des Akademie-Komplexes zu schritten, und meinte abschließend: „Auf jeden Fall kennst du nun meine Meinung zu dieser Angelegenheit, und ich hoffe, dass du nach den Ferien nicht noch länger mit dieser Leidensmiene herumläufst.“

Dean Corvins Antwort darauf bestand in einem vielsagenden Blick.

Sie erreichten wieder belebtere Bereiche des Parks und das Thema wechselnd fragte Kimi Korkonnen: „Du willst über die Feiertage also tatsächlich hier am Campus bleiben? Mein Angebot, dass du mit nach Helsinki kommst, steht noch. Meine Eltern würden sich bestimmt freuen, Dich wiederzusehen.“

„Ich weiß“, nickte Corvin. „Grüß sie von mir.“

„Übrigens, Famke wäre bestimmt auch erfreut Dich zu sehen“, erinnerte Kimi Korkonnen den Freund mit eindringlicher Miene. „Sie mag Dich sehr, wie du weißt.“

Dean Corvin sah den Freund mit einer Mischung aus Unglauben und Fassungslosigkeit an, bevor er erklärte: „In all den Jahren, seit ich Dich und Deine Familie kenne, ist Deine kleine Schwester auch meine kleine Schwester geworden. Nein, Kimi, das wäre wirklich zu schräg.“

„Stimmt auch wieder“, gab Korkonnen grinsend zu. Der Kanadier war in seiner Kindheit fast jeden Tag bei ihnen Zuhause gewesen und seine zwei Jahre jüngere Schwester und Dean waren quasi wie Geschwister aufgewachsen. „War ein ganz blöder Gedanke, wie?“

„Sehr richtig.“

„Was…?“

Dean Corvin schlug dem Freund kameradschaftlich auf die Schulter und sagte nach einer Weile leise: „Danke für den Rat. Vielleicht bringt mir das neue Jahr ja Glück.“

„Vielleicht sogar noch das Alte“, ergänzte Kimi Korkonnen vielsagend und ignorierte den leidenden Blick des Freundes. Dann hakte er das Thema endgültig ab und begann mit dem Freund eine Unterhaltung darüber, wie das Speedball-Spiel von eben verlaufen war.

EINE FATALE ENTSCHEIDUNG

 Schon den gesamten Tag über war Kim Tae Yeon innerlich aufgewühlt gewesen, und auch jetzt, am Abend, war es kaum besser geworden. In der gesamten letzten Woche hatte sie Dean Corvin gesehen und gemeinsam mit ihm für die Prüfungen, die zu Beginn des neuen Jahres anstanden, gelernt. Wäre sie nicht bereits zu diesem Zeitpunkt in Corvin verliebt gewesen, spätestens in der vergangenen Woche hätte es sie erwischt, das war ihr in den letzten Tagen klar geworden. Sie hatte beschlossen, ihn für sich zu gewinnen, und damit stand für die Asiatin unverrückbar fest, dass sie schon bald mit Dean Corvin zusammen sein würde. Ein anderes Endergebnis kam gar nicht in Frage. Wer sollte ihr schon widerstehen?

Dabei waren die Gedanken der jungen Frau gar nicht so abwegig, denn in den letzten Stunden hatte sie sich sorgfältig für die heutige Verabredung zur Silvesterparty, mit Dean Corvin, zurecht gemacht. Fast eine halbe Stunde lang hatte sie unter der Dusche gestanden, wobei sie immer wieder ins Träumen geraten war. Anschließend hatte sie ihren straffen schlanken Körper von den angenehm warmen Luftströmen des Wellnesssystems trocknen lassen und war anschließend aus der Kabine getreten um ihren gesamten Körper mit einer schnell in die Haut einziehenden, verführerisch duftenden, Lotion einzureiben, die sie zusätzlich straffte und damit glättete. Danach war sie lächelnd in ihre schwarze Spitzenunterwäsche geschlüpft, die sie nur zu besonderen Gelegenheiten trug – so wie heute.

Leider herrschte bei dieser Campus-Party Uniformzwang, doch zu Kim Tae Yeons Erleichterung stand es weiblichen Flottenangehörigen frei, bei der Ausgeh-Uniform zwischen der normalen Variante, mit flachen Schuhen und Hosen, und der Variante mit Rock, der eine Handbreit über den Knien abschloss und halbhohen Schuhen, zu wählen. So zog sie, nachdem sie ein leichtes Make-Up aufgelegt hatte, anthrazitfarbene, halterlose Nylonstrümpfe an und zwängte sie sich dann in den mittelgrauen Rock, der an den Seiten handbreite, weiße Streifen aufwies. Dieselben weißen Streifen – normalerweise besagte eine jeweils andere Farbe, zu welcher Waffengattung der Träger gehörte, wobei Weiß den Kadetten der Akademie vorbehalten war – zogen sich über die Ärmel der dunkelgrauen Uniformjacke, die Kim Tae Yeon über der weißen Uniform-Bluse trug. Nicht ganz mit den Bestimmungen der Flotte übereinstimmend, hatte sie die Jacke geschickt etwas auf Taille umgenäht. Ebenso hatte sie den Rock etwas enger gemacht, so dass die Uniform perfekt ihre makellose Figur betonte, ohne dass es dabei zu sehr auffiel.

Ihr seidig schimmerndes Haar hatte Kim hinter dem Kopf mit einer weißen Seidenschleife gebändigt. Sie hätte zwar viel lieber eine flammend-rote genommen, schon um stärker in der Menge aufzufallen, aber zugelassen waren solche Schleifen nur dann, wenn sie farblich mit den Streifen für die Waffengattung harmonierten. Hierbei wurden die Bestimmungen zu ihrem Leidwesen sehr streng ausgelegt.

Als sie schließlich fertig angekleidet war, drehte sie sich vor dem Spiegel ihres Spindes hin und her und prüfte mit kritischem Blick den Sitz ihrer Kleidung, und anschließend ihr gesamtes Aussehen. Alles Bestens, die Uniform saß tadellos.

Zuletzt legte Kim Tae Yeon, leise ein altes Lied aus ihrer Heimat vor sich hin summend, ihr Multifunktions-Armband, kurz MFA, an. Die Bestimmungen der Flotte besagten, dass dieses Gerät von Angehörigen der Terranischen Raumflotte stets bei sich getragen werden, oder in Griffweite abgelegt sein musste, denn über die Kom-Einheit im MFA konnten die Flottenangehörigen unter anderem im Notfall jederzeit alarmiert, oder zu ihren Standorten einberufen werden, falls sie nicht vor Ort waren.

Der Besuchermelder des Quartiers, dass sie sich mit ihrer besten Freundin teilte, die ihre Semesterferien momentan bei ihrer Familie verbrachte, summte, gerade als Kim Tae Yeon das Gerät angelegt hatte. In freudiger Erwartung sah sie kurz auf das Chrono-Display des Gerätes und flüsterte zu sich selbst: „Perfekt!“ Dann schritt sie eilig zum Schott und legte die Hand auf den Öffnungskontakt.

Vor der Asiatin stand Dean Everett Corvin. Für einen Moment sprachlos ließ die junge Frau den Anblick des Kadetten auf sich wirken, denn in seiner Ausgehuniform wirkte er etwas älter, als er war – und auch noch eine Idee männlicher. Nach einem Augenblick hatte sie ihre momentane Befangenheit überwunden und lächelnd erkundigte sie sich bei Dean Corvin: „Können wir los?“

„Ich bin startklar“, grinste der Dunkelblonde und bot Kim Tae Yeon, wie es sich gehörte, seinen rechten Arm an.

Beschwingt hakte sich die junge Frau bei Dean Corvin unter und schritt an seiner Seite mit ihm durch die Gänge der Akademie, zum Festsaal, wobei sie das Gefühl hatte, ein Stückchen über dem Boden, wie auf Wolken, zu schweben. Immer wieder sah sie ihren Begleiter von der Seite an und stellte dabei ein ums andere Mal fest, wie sehr ihr dieser Kadett gefiel. Dabei versuchte sie ihr starkes Herzklopfen, weil sie ihm so erregend nahe war, unter Kontrolle zu bekommen.

Auch Dean Corvin, der von alldem nicht das Geringste ahnte, blickte ab und zu zu seiner Begleiterin. Sie ahnte nichts davon, dass es ihm lieber gewesen, wenn statt ihrer Andrea von Garding an seiner Seite gewesen wäre, und dass er sie gerade mit der Frau, die er insgeheim liebte, verglich. Auch von seinen Überlegungen darüber, dass er lediglich mit ihr zur Party ging, weil Andrea von Garding nicht hier war, und er es im Moment einfach nur genoss, eine nette Begleiterin für diese Veranstaltung zu haben, ahnte sie nichts.

Sie kamen an, als die Party bereits in vollem Gang war, was durchaus in Tae Yeons Absicht gelegen hatte. Darum hatte sie auch mit Dean einen relativ späten Zeitpunkt ausgemacht, zu dem er sie am heutigen Abend hatte abholen sollen. In der letzten Woche war sie ihm kaum näher gekommen, aber heute wollte sie dafür sorgen, dass sich dies änderte.

In dem großen Saal, der zur Not alle Kadetten der Akademie Platz bot, herrschte ein buntes Treiben. Es gab an den Wänden entlang lange Tische mit mehreren Kalten und Warmen Buffets und zwei Bars, an denen aber keine harten alkoholischen Getränke ausgeschenkt wurden. Bier und Wein waren bereits das höchste der Gefühle, denn niemand an der Akademie wollte, trotz aller Fröhlichkeit und Ausgelassenheit an diesem Tag, betrunkene Kadetten durch die Flure torkeln sehen. Das Protokoll der Terranischen Raumflotte sah für ihre Angehörigen ein jederzeit tadelloses Benehmen vor. Dasselbe galt für den Umgang zwischen den Geschlechtern. Innerhalb der Flotte waren so genannte Klammertänze nicht schicklich und galten als Affront, sofern sich jemand nicht an diese Bestimmung hielt. Allerdings, und das hatten die längst verstorbenen Angehörigen der vergangenen Generationen von Flottenangehörigen bereits vor mehreren Jahrhunderten herausgefunden, konnte man sich auch in normaler Tanzhaltung relativ nahe kommen.

So war es wenig verwunderlich, und durchaus nicht gegen die Bestimmungen der Raumflotte, dass sich einige hundert Kadetten zur momentan sehr langsamen Musik der Live-Band, paarweise nah bei einander, rhythmisch auf der Tanzfläche im Kreis bewegten. Dabei konnte man signifikante Unterschiede ausmachen, zwischen jenen Kadetten die offensichtlich romantische Gefühle für einander hegten, und jenen die lediglich des reinen Tanzvergnügens wegen hier waren. Unter den Tänzern tummelten sich auch einige gleichgeschlechtliche Paare, was gesellschaftlich kein Problem war – in dieser Hinsicht hatte die Menschheit in den letzten Jahrhunderten gewaltige Fortschritte gemacht. Diskriminierende Unterschiede, im Vergleich zu Hetero-Paaren, gehörten seit langer Zeit schon der Vergangenheit an.

Dean Corvin führte seine Partnerin langsam in den Saal hinein, wobei die beiden Neuankömmlinge die bunten Luftballons entdeckten, die zwischen farbenfrohen, sternförmig unter der hohen Decke drapierten, Stoffbahnen hingen, und darauf warteten, exakt um Mitternacht lokaler Zeitrechnung, auf die Tanzfläche hinuntergelassen zu werden. Trotz der Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte hatten Luftballons auf Partys noch immer nichts von ihrem ursprünglichen Reiz verloren.

Corvin und Kim Tae Yeon wurden von mehreren Kommilitonen gegrüßt, und einige von ihnen warfen ihnen beiden aufmerksame Blicke zu - Andere begannen zu tuscheln, als sie an ihnen vorbei schritten. Scheinbar unangenehm berührt beugte sich Corvin zu seiner Begleiterin und raunte ihr leise zu: „Wir erregen Aufmerksamkeit, wie es scheint. Ich würde wetten, dass ab morgen einige haltlose Gerüchte am Campus die Runde machen werden.“

„Müssen sie denn unbedingt haltlos sein?“, erwiderte Tae Yeon, ohne zu ahnen, dass Dean Corvin lediglich deshalb lachte, weil er an einen Scherz glaubte.

„Möchtest du zuerst tanzen, oder lieber etwas essen oder trinken?“, erkundigte er sich galant und blickte seine Begleiterin neugierig an.

„Zuerst möchte ich tanzen“, gab die junge Frau schnell zurück. Wer wusste schon, wann die Band wieder etwas Schnelleres spielen würde. Die Gelegenheit war günstig.

Dean Corvin lächelte verbindlich, ohne zu bemerken, was er damit bei Kim Tae Yeon anrichtete, die sein Lächeln mit strahlender Miene erwiderte. Sacht legte er seine rechte Hand auf ihren Rücken, während er mit seiner linken ihre Hand in seine nahm.

Dean Corvin nicht aus den Augen lassend legte die schlanke Asiatin ihre Linke auf die breite Schulter des Kadetten und blickte zu ihm auf, während sie sich von ihm im Takt führen ließ. Dabei spürte sie ein Kribbeln am gesamten Körper und sie wünschte sich nur, dass dieser Augenblick ewig dauern würde. Warum nur fror niemand diesen Moment ein?

 
 

* * *

 

Sie hatten beinahe eine Stunde lang miteinander getanzt, bevor Kim Tae Yeon ihren Partner um eine Pause gebeten hatte. Sie besorgten sich etwas zu essen am Warmen Buffet und etwas zu trinken, wobei Kim einem leichten Weißwein zusprach, während Dean Corvin sich lieber ein kühles Bier besorgt hatte. Einige Kommilitonen ihres Jahrgangs, die von den verschiedenen Sektionen hierher gekommen waren, und die sie in den letzten Monaten kennengelernt hatten, gesellten sich zu ihnen, was Kim Tae Yeon zu bedauern schien.

Als die Asiatin zwischenzeitlich den Waschraum aufsuchte, um ihr Make-Up und den Sitz ihrer Frisur zu kontrollieren, wandte sich Abdurrahim Bhairi, der von seinen Freunden meistens nur kurz Rahim genannt wurde, an Dean Corvin und raunte ihm warnend ins Ohr: „Bei Tae Yeon solltest du emotional Vorsicht walten lassen, Kamerad. Ich komme, so wie sie, von der Sektion-Mars und eines kann ich Dir sagen: Bei ihr haben in dieser Zeit bereits mehr Helden die Bühne verlassen, als in sämtlichen Dramen von Shakespeare.“

Verwundert blickte Dean Corvin in das ernst wirkende, dunkle Gesicht des Kadetten. Er hatte zwischenzeitlich mitbekommen, da Rahim Bhairi, so wie er, regelmäßig Speedball spielte, dass dieser schlaksig wirkende, junge Mann aus Tunis stammte. Dann erklärte er: „Wir haben uns nur für diese Party verabredet, weiter nichts. Kein Problem also.“

„Das meinte ich mit meiner Warnung eigentlich nicht.“

Beschwörend blickte Bhairi Dean Corvin an. „Ich mache mir keine Gedanken darüber, ob du eventuell Absichten haben könntest, sondern weil sie die haben könnte. Tae Yeon besitzt ein, wie soll ich es sagen, etwas einnehmendes, um nicht zu sagen dominantes Wesen, wenn du verstehst.“

Während Corvin ein etwas unwilliges Gesicht machte und überlegte, ob der Tunesier lediglich eifersüchtig war, blickte Bhairi über dessen Schulter hinweg.

Dean Corvin, dessen Blick dem des Kameraden folgte, bemerkte, dass seine Begleiterin wieder den Saal betreten hatte und auf sie zu kam. Schnell raunte Rahim Bhairi, bevor sie wieder bei ihnen war: „Du wurdest gewarnt, mein Freund.“

Der Schlaksige wandte sich ab und Dean Corvins Aufmerksamkeit richtete sich wieder ganz auf Kim, etwas nachdenklich wegen der merkwürdigen Warnung von eben.

Die Asiatin zog die Stirn kraus bei seinem Blick und fragte: „Hast du irgend etwas?“

Dean Corvin schüttelte das leicht beunruhigende Gefühl ab und lächelte beruhigend. „Nein, ich dachte nur, du würdest gar nicht mehr wiederkommen.“

„Dann lass uns schnell wieder tanzen.“

Corvin stimmte zu und folgte Kim Tae Yeon auf die Tanzfläche, ohne den seltsamen Blick zu bemerken, den sie Rahim Bhairi dabei zuwarf. Sie wurden von einigen Kommilitonen entdeckt, die in der letzten Woche, beim Speedball-Training gemeinsam mit ihm in einer Mannschaft gespielt hatten und sie wollten ihm und Kim Tae Yeon unbedingt den Tanz des Afrikanischen Ameisenbären-Rituals näherbringen. Lachend ließen sich die beiden Neuankömmlinge auf die verrückten Verrenkungen ein und sie hatten sehr viel Spaß dabei. Schon wenige Augenblicke später hatte Dean Corvin die seltsame Unterhaltung mit Rahim Bhairi vergessen.

Sie tanzten ausgelassen zu den jetzt eher schnellen Rhythmen und begaben sich zeitig zu einer der Bars, als es spürbar auf Mitternacht zu ging. Endlich spielte die Band einen Tusch und gemeinsam mit allen Anwesenden zählten sie die letzten zehn Sekunden des alten Jahres herunter.

Bei Null stieß Kim Tae Yeon beschwingt mit Dean Corvin auf das neue Jahr an, trank einen Schluck und hauchte ihm dann schnell einen Kuss auf die Wange. „Ein frohes, neues Jahr, Dean Everett Corvin!“

„Ein frohes. Neues Jahr, Kim Tae Yeon!“, gab Corvin vergnügt in derselben Weise zurück und prostete ihr ein zweites Mal zu.

Sie leerten ihre Gläser und die asiatische Kadettin zog Dean Corvin an der Hand mit sich, in die Wolke der, von der Decke herabschwebenden, Luftballons. Die günstige Gelegenheit nutzend, kaum gesehen zu werden, nahm sie schnell das Gesicht ihres Begleiters in die Hände und küsste ihn überraschend auf den Mund.

Im Moment vollkommen überrascht erwiderte Corvin den Kuss der Asiatin. Erst nach einigen Herzschlägen schob er sie sanft von sich und blickte in ihre dunklen Augen, die ihn verliebt ansahen. Dabei sagte er zögerlich: „Tae Yeon, das ist vielleicht keine gute Idee.“

Die Augenbrauen der jungen Frau hoben sich leicht. „Warum sagst du das? Ich finde, wir passen sehr gut zu einander. Und keiner von uns ist in festen Händen, oder etwa doch?“

„Nein, das nicht“, räumte Dean Corvin ein, der nicht wusste was er nun sagen sollte. Schließlich entschloss er sich dazu ohne Umschweife einzugestehen: „Es ist nur so, dass ich mich vor einiger Zeit in eine Andere verliebt habe. Es tut mir leid.“

Der traurige Blick der Asiatin ging Dean Corvin nahe und aus Angst, sie könnte ihm hier eine Szene machen fragte er hastig: „Was hältst du davon, wenn wir etwas im Park spazieren gehen? Da können wir vielleicht etwas ungestörter miteinander reden.“

Die Kadettin nickte, und ihre funkelnden Augen versprachen dabei nichts Gutes, wie Dean Corvin insgeheim für sich feststellte.

Kaum dass sie den Saal hinter sich gelassen hatten, packte Tae Yeon ihren Begleiter fest an der Hand und zog ihn mit sich durch die Gänge. Erst draußen im Park, als sie das Gebäude einige Dutzend Meter hinter sich gelassen hatten, ließ sie ihn wieder los und nahm zornig vor ihm Aufstellung.

„Also, was an mir gefällt dir nicht!“, fuhr sie Dean Corvin an.

Etwas konsterniert erwiderte der Kanadier ihren Blick und sagte offen: „Das kann man so nicht sagen, Tae Yeon. Du bist eine sehr attraktive Frau und bestimmt intelligent, doch es ist, wie ich es Dir gesagt habe. Mein Herz schlägt für eine Andere.“

„Dann schlag sie Dir aus dem Kopf, Dean!“, schrie ihn Kim Tae Yeon mit überkippender Stimme an. „Wir sind für einander bestimmt, ist Dir das nicht klar?“

Dean Corvin hob seine Hände. „Tae Yeon, bitte...“

„Eins musst du mir mal verraten“, schnitt die wütende Asiatin Dean das Wort ab. „Warum bist du dann überhaupt mit mir zu dieser Party gegangen, und nicht mit ihr? So groß können die Gefühle dann wohl doch nicht sein.“

„Sie ist momentan bei ihrer Familie“, erklärte Corvin seufzend. „Hör zu, ich finde Dich wirklich sehr nett und wir können immerhin Freunde sein, oder nicht?“

Kim Tae Yeon machte einen schnellen Schritt auf Corvin zu. Im nächsten Moment klatschte es scharf, als sie ihm eine schallende Ohrfeige gab, und hitzig fuhr sie ihn an: „Du findest mich was? Ich sage dir jetzt mal etwas: Wenn ich Freunde will, dann klatsche ich in die Hände und habe an jedem Finger zehn Stück, du Mistkerl. Du hast also lediglich mit meinen Gefühlen gespielt und für Dich war ich, für den heutigen Abend, nur eine Notlösung! Du bist ein ganz mieser Typ, Dean Everett Corvin!“

Die Asiatin schoss einige, beinahe mörderische, Blicke auf den Kanadier ab, bevor sie warnend ihren rechten Zeigefinger hob und gefährlich leise zischte: „Aber das hast du mir nicht ungestraft angetan. Ich garantiere Dir, dass du das ganz bestimmt noch sehr bereuen wirst. Das ist ein Versprechen.“

Damit wandte sie sich brüsk ab, ließ Corvin stehen und eilte zum Gebäude zurück.

Dean Corvin sah ihr mit gemischten Gefühlen hinterher und rieb sich die brennende Wange. Er hoffte, dass Kim Tae Yeon ihre Worte nicht so gemeint, sondern sie nur im aufwallenden Zorn gesagt hatte. Doch dann erinnerte er sich wieder an die warnenden Worte von Rahim Bhairi und plötzlich, mit einem ganz miesen Gefühl im Magen, fröstelte er, bevor er den Kopf schüttelte und langsam zum Akademie-Komplex zurück trottete.

ABGEBLITZT

 „Dich darf man aber auch wirklich nicht aus den Augen lassen“, waren Kimi Korkonnens erste Worte, nachdem Dean Corvin ihm berichtet hatte, was sich in dessen Abwesenheit, in der Neujahrsnacht ereignet hatte. „Dass Tae Yeon so heftig reagieren kann hätte ich ihr wirklich nicht zugetraut. Dann muss es sie wirklich heftig erwischt haben.“

Die beiden Freunde absolvierten auf dem Sportplatz des Campus einen Fünftausendmeterlauf und waren dabei annähernd unter sich, da ihre Kameraden weit vor oder hinter ihnen liefen. Zwar schrieb man den 9. Januar 3217 doch hier, auf der südlichen Halbkugel der Erde bedeutete dies Hochsommer, und so strengte dieser Lauf die Kadetten dementsprechend an.

Corvin blickte seinen besten Freund eindringlich an und zwinkerte dabei nervös den Schweiß aus den Augen. Keuchend fragte er: „Was hältst du von ihrer Warnung, oder sollte ich besser sagen, von ihrer Drohung? Das klang in meinen Ohren schon ziemlich ernst.“

Kimi Korkonnen lächelte beruhigend. „Hör zu, sie war aufgebracht, wütend auf Dich und enttäuscht. Da sagt man schon mal was, das man nicht so gemeint hat. Ich würde mir da keine großartigen Sorgen machen. In einigen Monaten ist Gras über die Sache gewachsen und keiner wird mehr daran denken.“

Der Kanadier zog das Tempo leicht an und ächzte dabei: „Hoffentlich.“

Sie liefen weiter und wandten sich um, als Jayden Kerr zu ihnen aufschloss und sich neugierig erkundigte: „Wie war deine Verabredung mit Tae Yeon?“

Dean Corvin hielt seinen rechten Arm nach hinten und deutete mit dem Daumen nach unten, sagte aber kein Wort. Der beschwörende Blick des Finnen veranlasste Jayden Kerr dazu keine weiteren Fragen in dieser Hinsicht zu stellen. Statt dessen wechselte er spontan das Thema und meinte: „Andrea und ich wollen nachher nach Wellington-City.“

Hey, tolle Idee“, lobte Dean Corvin. „Ich komme mit.“

Der Jamaikaner wechselte einen raschen, etwas säuerlichen, Blick mit Kimi Korkonnen und antwortete dann betont heiter: „Ja, klar. Warum nicht. Du auch, Kimi?“

Der Blonde grinste, halb amüsiert, halb mitfühlend. „Ich bin dabei.“

Im nächsten Moment forcierte Jayden Kerr, der bei Weitem der beste Läufer von ihnen dreien war, das Tempo und zog auf und davon, was Dean Corvin dazu verleitete laut hinter ihm her zu rufen: „Verdammter Angeber!“

Jayden Kerr winkte nur, ohne sich umzudrehen.

Nachdem er außer Hörweite war meinte Dean Corvin: „Denke nur ich das, oder benimmt sich Jayden heute etwas komisch?“

Der Blonde hob etwas die Augenbrauen an. „Wie meinst du das?“

Corvin zögerte, bevor er nachdenklich keuchte: „Na ja, gerade eben da… Ach, ich weiß auch nicht, vielleicht bin ich nur überspannt, wegen Tae Yeon.“

„Das wird es sein.“

Kimi Korkonnen kam ins Grübeln bei den letzten Worten des Freundes. Auch er hatte bei Jayden etwas bemerkt, das er nicht genauer definieren konnte, bei ihrer kurzen Unterhaltung. Vielleicht machte aber auch nur Dean, durch seine etwas traumatische Erfahrung zu Silvester, die Pferde scheu. Schließlich erklärte er entschlossen: „Das nächste Mal schleife ich dich einfach mit nach Helsinki, ob du willst oder nicht. So einen Zirkus mache ich kein zweites Mal mit.“

Du machst etwas mit? Und was ist mit mir? Ist es etwa meine Schuld, dass Tae Yeon völlig ausgeflippt ist?“, beschwerte sich Dean Corvin kurzatmig. „Ich war ehrlich zu ihr und habe nicht hinter dem Berg gehalten damit, dass mein Herz einer anderen Frau gehört, und ich deswegen zugesagt habe, weil ich, genau wie sie, allein war.“

Kimi Korkonnen stöhnte leise. „Und da wunderst du Dich, dass sie ausflippt? Au Mann, du hast ihr das Herz gebrochen – und zwar mit so einem Hammer.“

Der Blonde hielt dabei seine Hände, für einen kurzen Moment lang, einen halben Meter weit auseinander.

Dean Corvin blickte verständnislos. „Wieso denn das? Wenn ich zuerst mit ihr geschlafen hätte, und ihr dann erst reinen Wein eingeschenkt hätte, dann würde ich das ja noch verstehen, aber doch nicht so...“

„Ach nein?“ Der Finne schüttelte den Kopf. „Dann stell Dir doch bitte mal vor, wie du reagiert hättest, wenn Andrea Dir so etwas verbal um die Ohren gehauen hätte. Tae Yeon musste ja annehmen, du hättest sie nur als Ersatz für jemand anderen gesehen, was ja auch wohl so war, oder etwa nicht? Du hast in etwa das Feingefühl einer phasengesteuerten Plasmakanone, mein Freund.“

„Na, besten Dank auch.“

Auf Kimi Korkonnens Stirn erschien eine steile Falte. „He, du bist mein bester Freund und deshalb bekommst du von mir auch nie weniger zu hören, als die volle Wahrheit, okay? Und jetzt hör auf zu Jammern und leg lieber Einen drauf.“

Dean Corvin passte sich dem nun höheren Tempo des Freundes an und keuchte schwer: „Ja, mach nur – dann komme ich tot im Ziel an und habe es hinter mir.“

Sie schwiegen und erst nachdem sie die fünftausend Meter absolviert hatten, und gemächlich zum Gebäudekomplex zurück schritten griff Dean Corvin das unterbrochene Thema wieder auf, indem er fragte: „Glaubst du, ich sollte versuchen mich bei Tae Yeon zu entschuldigen? Vielleicht kommt sie ja dann wieder etwas runter.“

„Ich weiß nicht“, antwortete sein Freund ehrlich. „Vielleicht solltest du sie einfach in Ruhe lassen. Möglicherweise bringt sie das nur noch mehr gegen Dich auf.“

Corvin nickte nachdenklich. „Kann sein, aber ich denke ich versuche es trotzdem.“

Der Finne seufzte schwach. „Warum fragst du mich eigentlich, wenn du mich dann am Ende doch zum stillschweigenden Beobachter degradierst? Reich mir am besten einen Umhang und nenn´ mich Horatio.“

„Jetzt übertreibst du aber.“

Korkonnen grinste. „Kann schon sein, aber bei dir ist das gelegentlich auch nötig. „Aber mal was anderes, Alter: Wann gedenkst du mit Andrea zu reden?“

Dean Corvin verdrehte seine Augen. „Was glaubst denn du, warum ich vorhin so schnell zu Jayden gesagt habe, dass ich nachher mitkomme. Ich habe in den letzten Tagen nachgedacht und du hast Recht – es hinaus zu schieben macht es nur schlimmer.“

Der Blonde blickte etwas überrascht drein. „Na, bravo. Du fängst wirklich an Ratschläge anzunehmen.“

Dean Corvin winkte fahrig ab und ging nicht weiter darauf ein.

Sie betraten die große Eingangshalle und steuerten auf einen der Lifts, im hinteren Bereich des Foyers zu, der sie auf die dritte Etage bringen würde, wo ihr gemeinsames Quartier lag. Davor zweigten, rechts und links jeweils zwei Gänge zu den anderen Bereichen des weitläufigen Komplexes ab.

Während die beiden Kadetten nach oben fuhren grübelte Corvin vor sich hin und fragte sich, ob es wirklich eine so tolle Idee war, zu versuchen, nochmal mit Kim Tae Yeon zu reden. Dann aber fragte er sich, was schon groß passieren konnte, außer dass sie ihm nicht zuhören würde und ihn stehen ließ. Schlimmstenfalls würde er eben noch eine Ohrfeige kassieren, aber das würde er notfalls auch noch verkraften.

Oben angekommen beeilte der Kanadier sich, um vor Korkonnen ins Bad zu kommen. Danach kleidete er sich schnell an und gab dem Freund Bescheid, dass er gedachte, Kim Tae Yeon aufzusuchen. Der Finne schickte ihm, aus dem Bad ein Alles Gute hinterher.

Draußen auf dem Gang blickte Corvin, tief durchatmend, die lange Fensterfront entlang, ohne wirklich etwas wahrzunehmen und straffte sich dann. Mit raumgreifenden Schritten machte er sich auf den Weg zum Quartier von Kim Tae Yeon und ihrer Freundin. Den Weg kannte er ja bereits.

Vor dem Schott angekommen zögerte er nur kurz, bevor er entschlossen seine Hand auf den Meldekontakt legte. Er hatte Glück – die Koreanerin war anwesend und öffnete ihm.

Dean Corvin bemerkte, wie sich der Gesichtsausdruck der Kadettin signifikant veränderte, und schnell fragte er, mit einem Blick zu ihrer Freundin, die ebenfalls da war: „Ich würde mich gerne bei Dir entschuldigen, können wir unter vier Augen reden?“

Kim Tae Yeon blickte ihn unwillig an, nickte aber dann knapp und trat zu ihm hinaus auf den Gang. Dabei fragte sie kühl, kaum dass sich das Schott hinter ihr geschlossen hatte: „Also, was willst du noch?“

Der Dunkelblonde suchte nach Worten, bevor er offen zugab: „An Silvester war ich wenig taktvoll. Ich habe Dich, wenn auch unabsichtlich, verletzt, und das wollte ich nicht.“

Kim Tae Yeon, die zu Anfang noch gehofft hatte, Dean Corvin habe eingesehen, dass sie viel besser zu ihm passte als irgend eine Andere funkelte ihn bei diesen Worten wütend an. „Ach, hör schon auf! Das ist einfach jämmerlich, Dean! Du behauptest eine andere Frau zu lieben, und kaum, dass sie nicht da war, da hast du mit mir herum gemacht! Für Dich ist das alles nur ein Spiel – aber nicht für mich! Bitte lass mich ab jetzt in Ruhe und rede nie wieder mit mir klar?“

Ohne eine Antwort abzuwarten wirbelte die Asiatin herum und verschwand gleich darauf wieder in ihrem Quartier.

Draußen, auf dem Gang, blickte Dean Corvin perplex auf das geschlossene Schott. Seine Hände zu Fäusten ballend stürmte er wütend davon, wobei er unterdrückt fluchte: „Mann, wenn ich das geahnt hätte!“

 
 

* * *

 

Als Corvin wieder bei ihm im Quartier ankam, ahnte Kimi Korkonnen, wie das Gespräch verlaufen war, und meinte: „Kopf hoch, du hast es versucht. Und jetzt solltest du diese gesamte Geschichte abhaken und wieder nach vorne sehen.“

Der Kanadier nickte grummelnd.

Korkonnen legte bestimmend den Arm um die Schulter des Freundes und nahm ihn mit sich nach Draußen. Auf dem Gang ließ er los und meinte: „Denk an etwas Positives – zum Beispiel an das bevorstehende Gespräch mit Andrea.“

Dean Corvin lachte unterdrückt auf und bedachte den Blonden mit einem vernichtenden Blick. „Dein Sarkasmus schlägt heute Purzelbäume.“

„Warum das denn? Vielleicht siehst du momentan auch alles nur zu finster. Stell Dir doch einfach vor, dass Andrea nur auf einen Wink von dir wartet. Vielleicht sieht die Welt heute Abend schon wieder ganz anders aus.“

„Oh, das wird sie zweifellos“, spottete Dean Corvin wenig zuversichtlich. „Die Frage wird nur sein, wie anders sie aussehen wird.“ Dann lächelte er gezwungen. „Vielleicht hast du aber auch Recht und es wendet sich wirklich zum Besseren.“

Kimi Korkonnen nickte zustimmend. „Das ist die richtige Einstellung.“

Als die Freunde das Foyer betraten waren Andrea von Garding und Jayden Kerr bereits dort. Dicht bei einander stehend redete die junge Frau heftig auf den Dunkelhäutigen ein. Erst als sie die beiden Freunde entdeckte unterbrach sie sich und sah ihnen entgegen. „Hi, seid ihr zwei endlich auch soweit?“

Corvin wechselte einen letzten, schnellen Blick mit dem Finnen und nickte fröhlich. „Ja, klar. Komm, lass uns Wellington unsicher machen.“

Sie traten ins Freie, und Kimi Korkonnen, der wusste, wie der kurze Blick eben gemeint gewesen war, wandte sich zu Jayden Kerr, um ihn etwas von Corvin und der jungen Deutschen loszueisen. Gleichzeitig bemerkte er dabei die vielsagenden Blicke des Jamaikaners, die seine letzten Fragen beantworteten, die er sich in den vergangenen Wochen und Monaten gestellt hatte. Sich mit Jayden Kerr ein gutes Stück hinter die beiden Anderen zurückfallen lassend, während sie zum Tor des Akademiegeländes in Richtung der Magnetbahn-Haltestelle hinaus schritten, fragte er unvermittelt und mit ruhiger Stimme: „Seit wann empfindest du mehr als nur Freundschaft für Andrea?“

Beinahe bestürzt blickte Jayden Kerr den Blonden an und fragte erschrocken: „Wie kommst du denn darauf?“

„Ich habe gute Augen.“

Der Dunkelhäutige zögerte einen kurzen Moment lang, bevor er leise zugab: „Bereits seit einem halben Jahr. Aber ich habe bemerkt, dass Dean wohl dasselbe für Andrea empfindet, und darum habe ich mich bisher zurückgehalten, unserer Freundschaft zuliebe, mit dem Hintergedanken, dass uns am Ende wohl Andrea die Entscheidung abnehmen wird. Aber jetzt könnte ich mich in den Hintern beißen, weil ich euch vorhin davon erzählt habe, was Andrea und ich heute Nachmittag vorhaben, denn eigentlich wollte ich mal ungestört mit ihr reden, wenn du verstehst was ich meine. Und Andrea wohl auch mit mir, sonst wäre sie eben nicht so ungehalten gewesen, als ich ihr gesagt habe, dass ihr zwei mitkommen werdet.“

Kimi Korkonnen nickte, so als wolle er sagen, dass er das hatte kommen sehen. „Dann hat sich Andrea bereits entschieden, schätze ich.“

Jayden Kerr nickte und lächelte für einen Augenblick selig. Dann wurde er wieder ernster und gab zurück: „Ja, das denke ich auch und so glücklich ich darüber bin, so leid tut es mir für Dean. Ich möchte nicht, dass deswegen unsere Freundschaft in die Brüche geht.“

Korkonnen lächelte aufmunternd: „Das glaube ich einerseits nicht und andererseits werde ich das auch zu verhindern wissen.“

Jayden Kerr nickte. „Das hoffe ich wirklich.“

Für einen Moment machte er eine grüblerische Miene, bevor er unvermittelt fragte: „Denkst du nicht, wir sollten die Beiden allein nach Wellington fahren lassen?“

Der Finne schüttelte entschieden den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage, ich werde nämlich zu verhindern wissen, dass Dean auch noch von Andrea der Krieg erklärt wird.“

Der Jamaikaner warf dem Freund einen verständnislosen Blick zu und Kimi Korkonnen fasste in wenigen Sätzen zusammen, was er von Dean Corvin erfahren hatte, in Bezug auf Kim Tae Yeon. Danach erklärte der Blonde beschwörend: „Dieses Gespräch hat nie stattgefunden, klar?“

Jayden Kerr grinste schief. „Sonnenklar, mein Freund.“

 
 

* * *

 

Sie fuhren ins Stadtzentrum und Dean Corvin bemerkte erleichtert, dass sich Kimi und Jayden auch jetzt etwas von ihm und Andrea abgesetzt hatte. Durch die größte Einkaufspassage der Stadt schlendernd blickte Dean die Kameradin schließlich von der Seite an und sagte entschlossen, als sie an mehreren Bänken vorbei kamen: „Andrea, mir brennt schon seit einiger Zeit etwas auf der Seele, worüber ich mit Dir sprechen möchte. Wie wäre es, wenn wir uns dafür für einen Moment hierher setzen?“

Ahnungslos blickte die junge Frau in das Gesicht des Freundes und meinte unbefangen: „Sicher warum nicht.“

Neben Dean Corvin nahm sie auf einer der Bänke Platz, blickte ihn neugierig an und forderte ihn auf: „Dann heraus damit, worum geht es denn?“

Dean Corvin wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, besonders nicht mit dieser Tür, und deshalb holte er etwas weiter aus. „Erinnerst du Dich noch an den letzten Tag auf der Venus, als wir angetreten waren und Brigadier Grlzik die Namen der zehn Kadetten vorgelesen hat, die zur Sektion-Terra versetzt werden?“

Die junge Frau nickte. „Ja. An dem Tag warst du reichlich nervös, weil sie Dich als Letzten genannt hat.“

Dean Corvin nickte und lächelte gezwungen. „Das stimmt, denn ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass ich es nicht geschafft habe und von Dir, Kimi und Jayden getrennt sein würde, und das hat mir fast körperliche Schmerzen bereitet.“

„Kann ich mir lebhaft vorstellen“, nickte Andrea von Garding, ohne zu verstehen, worauf der Kamerad hinaus wollte. „Kimi und du, ihr zwei seid ja wie Brüder und das wäre bestimmt ein ziemlicher Schlag für euch beide gewesen.“

Zur Verwirrung der jungen Frau nickte Dean Corvin zunächst mit dem Kopf um ihn gleich darauf zu schütteln, und sie hörte ihn sagen: „Ja schon, aber das meine ich nicht. Ich dachte in dem Moment eher an Dich.“

„Warum an mich?“

Corvin fluchte innerlich, weil er insgeheim gehofft hatte, dass Andrea ihn spätestens an dieser Stelle verstehen würde. „Nun, als du meine Hand in Deine genommen hast, hat mich das ungeheuer beruhigt und getröstet, und gleichzeitig war es mehr. Es war...“

Während Dean Corvin verzweifelt nach Worten suchte, spiegelte sich nun endlich Verstehen in den blau-grünen Augen der jungen Frau und etwas ungläubig fragte sie: „Soll das etwa bedeuten, dass du… ich meine, ist das ein...“

„Ich bin in Dich verliebt, Andrea“, brachte Dean Corvin endlich heraus, und sah der Kameradin, die er nun bereits sein zweieinhalb Jahren kannte, direkt in die Augen – nach einer Reaktion forschend von der er hoffte, sie würde nach seinen Wünschen ausfallen.

Zunächst fassungslos, dann ungläubig erwiderte Andrea von Garding den fragenden Blick des Kadetten, den sie in den letzten Jahren als Freund zu schätzen gelernt hatte. Sie wollte Dean nicht weh tun, denn sie mochte ihn wirklich sehr gern, doch sie würde es tun mit ihren nächsten Worten, dessen war sie sich vollkommen klar. Was ihr ebenfalls klar war, das war die Tatsache, dass es keinen Sinn hatte lange um den heißen Brei herum zu reden und darum entschied sie sich für eine direkte und klare Antwort.

„Dean, du bist mein Freund und das wirst du auch zukünftig sein – doch ich liebe Dich nicht. Das habe ich nie und ich werde es auch nie, da bin ich mir ziemlich sicher, denn als Lebensgefährte bist du so gar nicht mein Typ.“

Nun war es heraus, und Dean Corvin sah die Kameradin wie betäubt an, gerade so, als habe er den Sinn ihrer Worte noch nicht ganz erfasst.

Mitleid stieg in Andrea von Garding auf und spontan legte sie sacht ihre Hand auf seinen Unterarm, bat ihn inständig: „Bitte sei nicht zu enttäuscht oder gar sauer auf mich, Dean. Du bist ein prima Kamerad und ein sehr guter Freund, den ich nicht missen, und auch nicht verlieren möchte. Wenn du deswegen mehr vermutet hast, so bedauere ich das, aber mehr ist es leider nicht.“

Corvin, der in einen bodenlosen Schlund zu fallen glaubte, nickte nach einer geraumen Weile endlich und sagte tonlos: „Ich bin nicht sauer, Andrea. Nur gerade im Moment ziemlich enttäuscht. Ich meine, nicht von Dir enttäuscht, sondern weil...“

Die Kadettin beugte sich etwas vor und der Druck ihrer Hand wurde etwas fester. „Ich verstehe, Dean. Ich hoffe, wir bleiben trotzdem gute Freunde, ja?“

Dean Corvin bemerkte den bittenden Ausdruck in ihren Augen und er erkannte, dass sie ihre Worte so meinte, wie sie sie gesagt hatte. Tief durchatmend nickte er schnell und versicherte ihr: „Natürlich bleiben wir Freunde, Andrea. Vielleicht werde ich etwas Abstand brauchen in der nächsten Zeit, das verstehst du sicher, aber das wird schon wieder.“

Andrea von Garding schluckte und sagte leise: „Ja, das verstehe ich. Ich hoffe nur, dass diese Phase nicht allzu lange andauern wird.“

Sie lächelte schmerzlich und fragte nach einer Weile: „Hast du Kimi und Jayden hiervon erzählt?“

„Nur Kimi.“

Die junge Frau nickte stumm. Langsam seinen Unterarm loslassend meinte sie, ungewohnt sanft und sehr leise: „Na komm, lass uns zu Kimi und Jayden zurück gehen, sonst fangen die noch an sich Sorgen um uns zu machen.“

Dean Corvins zusammengesunkene Gestalt straffte sich wieder und sich zustimmend erhebend antwortete er: „Okay, suchen wir die Beiden.“

FREUNDE UND FEINDE

 Heute, am Samstag den 18. März 3217, hatte Kimi Korkonnen mehr denn je den Eindruck zwischen sämtlichen Stühlen zu sitzen, was nicht zuletzt daran lag, dass Andrea, Jayden und Dean zwar mit ihm über ihre Gefühle sprachen, nicht aber miteinander.

Nach dem denkwürdigen Gespräch zwischen Dean und Andrea in Wellington-City hatte sich Dean zunächst spürbar von Andrea, und auch ein wenig von Jayden zurückgezogen, und Kimi fragte sich immer öfter, ob Dean etwas von Jaydens Gefühlen für Andrea ahnte, oder nicht.

Jayden seinerseits hatte, mit Rücksicht auf Dean, bis nach den Semester-Prüfungen, Mitte Februar, gewartet bevor er Andrea langsam aber sicher die ersten eindeutigen Signale gesendet hatte.

Vorgestern wiederum hatte Andrea mit ihm ein langes Gespräch geführt, weil sie sich dazu entschlossen hatte, eine feste Beziehung mit Jayden zu beginnen und seine Meinung in Bezug auf Dean dazu hatte hören wollen.

Und schließlich war da noch sein bester Freund, der allmählich herausfand, dass sich zwischen Jayden und Andrea etwas entwickelte, das über ihre bisherige, platonische Freundschaft hinaus ging. Das veranlasste Dean dazu, den beiden noch mehr aus dem Weg zu gehen, was bereits jetzt zu einem spürbaren Knacks zwischen Dean und ihm einerseits, und Andrea und Jayden andererseits geführt hatte.

In den letzten Tagen hatte sich Kimi Korkonnen dabei immer öfter gefragt, wie lange er zwischen den Freunden noch als Bindeglied dienen, oder besser, wie lange dieser Zustand noch gut gehen, konnte. Momentan kam ihm die Situation vor, wie ein Stepptanz mit brennenden Schuhen auf einem Pulverfass.

Nicht zuletzt deshalb war er froh darüber, dass Andrea vorgestern vorgeschlagen hatte, sich an diesem Samstag-Nachmittag im GREEN HILLS, einem der etwas abgelegenen Lokale, etwas außerhalb von Wellington-City, zu treffen. Dabei hatte er deutlich gespürt, dass die Kameradin an sich halten musste, weil sie offensichtlich ziemlich zornig war, wegen der aktuellen Situation und wegen des Verhaltens seines besten Freundes.

Sie waren in den letzten Monaten bereits einige Male hier gewesen. Von der Gartenterrasse des Lokals aus, das an einen der umliegenden Hügel geschmiegt lag, hatte man einen tollen Ausblick, über die Stadt und den Naturhafen hinweg, zur Cook Strait durch welche die Nordinsel von der Südinsel getrennt war. An klaren Tagen, so wie heute, konnte man von hier aus die oft schneebedeckten Kaikoura Ranges, auf der Südinsel, erkennen.

Die vier Kadetten waren froh, dass das Material ihrer Ausgehuniformen wärmende Eigenschaften besaß und windundurchlässig war, den an diesem Tag war es, trotz der momentan guten Wetterlage nicht nur sehr windig, sondern mit gerade mal zehn Grad Celsius auch nicht besonders warm. Nicht zuletzt deswegen waren sie an diesem Nachmittag beinahe unter sich, an diesem Ort.

Das GREEN HILLS gehörte zu den wenigen Lokalen auf der Erde, an dem es noch Bedienstete gab, welche die Bestellungen der Gäste aufnahmen und die Speisen und Getränke dann anschließend zu den Gästen brachten. Anders als bei den meisten anderen Lokalen, in denen es ausschließlich Servoautomatiken an den Plätzen gab.

Nachdem die vier Kadetten ihren heißen Tee bekommen und ihn bezahlt hatten, nahmen sie zunächst einen Schluck von ihren Getränken.

Es war schließlich Kimi Korkonnen, der das Wort ergriff, als er den vielsagenden Blick von der Deutschen auffing. Nachdem er ernst in die Runde gesehen hatte eröffnete er seinen Kameraden: „Freunde, so wie in den letzten Wochen geht es nicht mehr weiter. Ich komme mir nämlich vor wie ein Jongleur auf einem Drahtseil, bei Windstärke zehn. Darum werden wir heute ganz offen darüber sprechen, was sich in den letzten Wochen zwischen uns aufgestaut hat – oder besser ihr werdet darüber miteinander sprechen, denn bei mir habt ihr ja alle euren Kummer bereits abgeladen.“

Etwas erstaunt über die bestimmte Art des sonst so ruhigen Finnen sahen Dean Corvin und Jayden Kerr ihn an und schwiegen eine Weile, während Andrea von Garding den Ball dankbar aufnahm, den Korkonnen ihr mit seinen Worten zu gespielt hatte und meinte: „Du hast Recht, Kimi. Wir müssen darüber reden, und zwar dringend.“

Sie blickte entschuldigend zu Corvin und legte, für alle gut sichtbar, ihre Hand auf die von Jayden Kerr, der zu ihrer Rechten saß. Dabei erklärte sie, hauptsächlich zu Dean Corvin gewandt: „In den letzten Wochen habe ich gemerkt, was Jayden für mich empfindet, und ich empfinde dasselbe auch für ihn. Nach unserem Gespräch, Dean, da haben sowohl Jayden, als auch ich, mit Rücksicht auf deine Gefühle, gezögert zu unseren Gefühlen zu stehen, oder sie offen, Dir gegenüber, zu zeigen, weshalb es auch zu der momentanen Zweiteilung unserer kleinen Gruppe kam. Aber ich will diese Zweiteilung nicht, und Jayden auch nicht – und ich hoffe, bei Dir und Kimi sieht es ebenso aus.“

Kimi Korkonnen nickte zustimmend und schubste Dean Corvin, unter dem Tisch, etwas an, weil dieser keine Anstalten machte etwas zu erwidern.

Erst auf den zarten Wink des Freundes hin räusperte er sich und sagte rau: „Natürlich will ich diese Kluft nicht.“

„Dann hör gefälligst auf zu spinnen und Dich wie ein Idiot zu verhalten!“, fuhr Andrea von Garding den Freund plötzlich aufgebracht an, wobei sich all die Gefühle, die sie in der letzten Zeit zurückgehalten hatte, einen Weg bahnten.

„Du bist es, der sich von uns zurückgezogen hat, nicht wir von Dir, seit du mitbekommen hast, was im Busch ist! Also hör auch du gefälligst als Erster wieder auf mit diesem Blödsinn! Jayden und ich haben uns eben in einander verliebt, und das geschah nicht um Dich zu ärgern, sondern es passierte einfach! So, wie es Dir auch passiert ist. Was sollen wir denn machen, Dean?“

Bei ihren letzten Worten standen Tränen in ihren Augen und Dean Corvin schluckte schwer, denn er musste zugeben, dass jedes ihrer Worte den Kern des momentanen Problems traf. Betreten blickte er von Ihr zu Jayden Kerr und schließlich zu Kimi Korkonnen, der unmerklich nickte. Nervös nahm er einen Schluck von seinem Tee, bevor er mit belegter Stimme erwiderte: „Du hast Recht, Andrea. Ich war ein Esel, in der letzten Zeit. Es ist nur so, dass es weh tut, Dich zusammen mit Jayden zu sehen. Ich weiß, dass keiner von euch beiden etwas dafür kann, aber es hat mir immer wieder einen Stich versetzt. Vielleicht wird das auch noch eine Weile so bleiben, aber ich möchte euch heute eins ganz klar sagen. Ich werde damit fertig werden, und ich wünsche mir, dass ihr zwei glücklich seid.“

Dean Corvin unterbrach sich und er musste mehrere Male tief durchatmen, bevor er weiter reden konnte, wobei seine Augen feucht schimmerten. „Und ich wünsche mir, dass wir schon bald wieder die Freunde sein werden, die wir in den letzten drei Jahren waren.“

Wieder schluckte er schwer und sah Jayden und Andrea nacheinander offen an.

Sie schwiegen eine Weile, und Andrea von Garding wischte sich über die Augen, wobei sie sich sacht an Jayden anlehnte.

Zum ersten Mal, während sie am Tisch saßen, äußerte sich der Jamaikaner dazu.

„Das ist eine positive Einstellung über die wir uns beide sehr freuen, Dean. Du solltest vielleicht noch wissen, dass meine Gefühle für Andrea bereits auf der Venus entstanden, etwa zu demselben Zeitpunkt, an dem ich merkte, dass da auch von Deiner Seite etwas entstand. Darum habe ich damals erst einmal abgewartet was daraus wird, um unsere Freundschaft nicht zu gefährden. So, wie auch bei Dir, wurden diese Gefühle aber schließlich so stark, dass ich sie nicht mehr länger verbergen konnte, und es auch nicht länger verbergen wollte. Ich kann verstehen was in Dir vorgeht, Dean, und hätte sich Andrea anders entschieden, dann wäre wohl ich es, der mit dem Schicksal hadern würde. Was keiner von uns Dreien wollte war, den Anderen damit zu verletzen. Darum lass uns die Freunde sein, die wir sein sollten.“

Bei seinen letzten Worten streckte Jayden Kerr die geöffnete Hand über den Tisch und blickte Dean Corvin inständig an.

Dankbar für diese Geste ergriff Corvin die angebotene Hand. Er bemerkte den auffordernden Blick des Freundes in Richtung der Freundin, die zwischendurch ein Taschentuch hervorgeholt hatte um sich vernehmlich zu schnäuzen.

Die junge Frau lächelte zaghaft und legte ihre Hand auf die der beiden Kadetten, bevor Kimi Korkonnen aufatmend seinerseits seine Rechte auf ihre legte und meinte: „Nie wieder so einen Stress, Freunde, sonst werde ich zum Amokläufer, damit ihr klar seht.“

Alle Vier lachten befreit und Korkonnen wechselte, erleichtert über diese Entwicklung, und um seinen Kameraden die Gelegenheit zu geben ihre aufgewühlten Emotionen wieder in den Griff zu bekommen, das Thema, indem er berichtete: „Mir ist aufgefallen, dass Kim Tae Yeon sich, in den letzten Wochen, immer wieder auffällig oft mit zwei Kadetten, die, so wie sie selbst, von der Sektion-Mars hierher kamen, nach den Vorlesungen sehen lässt, und ganz ungeniert mit ihnen herummacht. Ich weiß nicht so recht was ich davon halten soll.“

„Na ja, wenn sie glaubt, dass mir das etwas ausmacht, so hat sie sich geschnitten“, bemerkte Dean Corvin und erklärte nun auch Andrea von Garding und Jayden Kerr, was genau sich zu Silvester, und in der Woche darauf, zwischen ihnen abgespielt hatte.“

Die Deutsche, die von alldem zum ersten Mal hörte, erklärte konsterniert: „Das ist doch krank! Wie ist denn die Frau drauf?“

Corvin trank seinen Tee aus. „Sie hat mich an Neujahr völlig überfahren, so als hätte ich sie betrogen. Dabei wäre es doch viel schlimmer gewesen, wenn ich ihre Gefühle für mich ausgenutzt hätte, statt offen mit ihr zu reden, oder etwa nicht?“

Jayden Kerr, der bislang auch nur einen Teil dieser Ereignisse gekannt hatte, schüttelte seinen Kopf. „Die Frau hat sich da anscheinend in etwas hinein gesteigert, und zwar deutlich schlimmer, als wir hier am Tisch. Was mir etwas Sorgen macht ist diese Drohung, die sie ausgestoßen hat. Vielleicht ist es besser, auf der Hut zu sein. Auf jeden Fall solltest du ihr weiterhin aus dem Weg gehen, vielleicht glätten sich die Wogen ja dann.“

„Dasselbe hat Kimi mir bereits gesagt. Ich denke, ihr Zwei habt Recht.“

Für eine Weile entspannten sich die vier Kadetten und blickten sich nur abwechselnd immer wieder stumm an, bevor Kimi Korkonnen schließlich, mit verändertem Tonfall, fragte: „Was haltet ihr übrigens von dem erneuten Säbelrasseln der Konföderation Deneb in Hinsicht auf das Delta-Cephei-System. Bereits während des Interstellaren Krieges von 2950 war das System heiß umkämpft, wegen seiner reichen Bodenschätze. Letztlich konnten sie es nicht erobern, aber ihre Ansprüche auf Outpost haben sie nie wirklich aufgegeben, wie es scheint. Jetzt reden deren Machthaber wieder davon, dass es über die Zugehörigkeit des Systems Verhandlungen geben muss. Vor einer Woche fand, ganz in der Nähe, ein großes Flottenmanöver der Konföderation statt.“

Dean Corvin nickte. „Ich habe läuten gehört, dass unsere Flotte einen Einsatz-Verband in den Delta-Cephei-Sektor verlegen will, um den Konföderierten zu zeigen, dass wir uns von ihnen weder einschüchtern noch bedrohen lassen. Ich hoffe nur, dass es wegen Outpost nicht zu einem erneuten Krieg kommen wird.“

Jayden Kerr schüttelte bestimmt den Kopf. „Das glaube ich nicht. Momentan ist wohl keines der Sternenreiche wirklich für einen Krieg gerüstet. Außerdem sind unsere Außensysteme sehr gut befestigt, das dürfte selbst die große Kriegsflotte von Deneb davon abhalten sich kopflos in ein so riskantes Abenteuer zu stürzen.“

„Das denke ich auch“, pflichtete Andrea von Garding ihrem Freund bei. „Allerdings, und das habe ich bereits vor zwei Jahren in einem Referat gesagt, mache ich mir darüber Gedanken, wie die Lage in fünf Jahren aussehen könnte. Vielleicht ist die Konföderation heute noch nicht bereit zu einem Krieg, aber wenn sie für das Vorhaben, einen Krieg gegen das Terranische Imperium zu führen Verbündete gewinnen können, und einige Jahre Zeit haben sich im Geheimen darauf vorzubereiten, dann könnte sich das vielleicht ändern. Nach meiner Ansicht hat unsere Regierung zu sehr auf Entspannung gesetzt, in den letzten fünfzig Jahren. Eine Doppelstrategie, um auf solche Bedrohungen besser reagieren zu können, hätte ich als sinnvoller erachtet.“

„Du wirst doch nicht etwa radikal?“, erkundigte sich Kimi Korkonnen, halb spöttisch, halb ernsthaft. „Das steht Dir nicht.“

„Unsinn“, verteidigte die junge Frau ihre Ansichten. „Ich sage nur, dass das Imperium nicht blindlings in seinen Untergang marschieren sollte. Und ein guter Weg das nicht zu tun wäre, eine stärkere Flotte aufzubauen, und nicht immer wieder auf die wirtschaftliche Macht zu setzen, denn damit wird es irgendwann vorbei sein. Die übrigen Sternenreiche holen in dieser Beziehung bereits stark auf.“

Dean Corvin blickte etwas verwundert zu der Kameradin und fragte: „Bist du sicher, dass du nicht besser in die Politik gegangen wärst? Zumindest hättest du da schon einmal ein Konzept, was man von unseren aktuellen Politikern leider sehr oft nicht sagen kann.“

„Nein danke, dazu fahre ich viel zu schnell aus der Haut“, gab die junge Frau grinsend zurück. „Versuch es vielleicht mal bei Kimi oder Jayden, die haben die Ruhe weg.“

Beide Kadetten machten eine gleichermaßen ablehnende Geste. „Bloß das nicht.“

Sie lachten befreit und Kimi Korkonnen stellte dabei erleichtert fest, dass Deans seelischer Druck wirklich etwas nachgelassen zu haben schien, denn seine momentane Fröhlichkeit wirkte nicht aufgesetzt auf ihn, was er als gutes Zeichen wertete. Sicherlich würde er noch eine Weile brauchen, um über Andrea hinweg zu kommen, doch der erste Schritt war gemacht, dessen war der Finne sich sicher. Zufrieden blickte er in die Runde. Ihre Freundschaft hatte die erste ernsthafte Zerreißprobe gut überstanden.

 
 

* * *

 

Als Dean Corvin und Kimi Korkonnen zum Campus zurückkehrten war es bereits finster. Andrea von Garding und Jayden Kerr hatten sich bereits etwas früher am Abend von ihnen verabschiedet um noch etwas für sich sein zu können. Dabei hatten die beiden es die gesamte Zeit über tunlichst vermieden, sich vor den Augen der beiden Freunde zu küssen, wofür ihnen sowohl Dean, als auch sein Freund, insgeheim sehr dankbar waren. Kimi Korkonnen sah sich jedoch genötigt das Thema bei Dean Corvin anzusprechen, und so meinte er, als sie durch das breite Tor der Akademie schritten: „Hör zu, wenn du schon akzeptierst, dass Jayden und Andrea zusammen sind, so gehört es dazu, dass du auch damit leben musst, dass sie sich vielleicht auch mal in Deinem Beisein umarmen oder sich küssen. Versprich mir, dann nicht auszuflippen, okay?“

Dean Corvin seufzte schwach. „Versprochen, aber leicht wird das zu Beginn nicht werden fürchte ich.“

„Das sagt auch niemand.“ Der Finne legte seine Hand auf die Schulter des Freundes. „Aber damit wirst du irgendwann klarkommen. Ganz bestimmt.“

„Danke, Kimi, du bist ein guter Freund.“

Er blickte wieder nach vorne und erkannte Kim Tae Yeon, die sich mit einem ihrer neuen Freunde aus einer anderen Richtung dem Haupteingang der Akademie näherte. Der Kanadier erkannte, wie sie etwas zu den beiden jungen Männern sagte und dann zielstrebig auf ihn und Kimi zu hielt.

„Oh, nein“, flüsterte Corvin gereizt. „Was will die denn schon wieder?“

Korkonnen raunte zurück: „Soll ich bei Dir bleiben, oder willst du alleine da durch?“

Dean Corvin entschied spontan: „Ich schaffe das alleine, keine Sorge. Und falls nicht schreie ich laut um Hilfe.“

Der Finne lachte unterdrückt. „Wenn du in einer halben Stunde nicht im Quartier bist gebe ich Großalarm, Alter.“

Damit ließ Kimi Korkonnen den Freund allein, bevor Kim Tae Yeon sie erreicht hatte.

Die Koreanerin warf dem Blonden einen langen Blick hinterher, bevor sie sich an Dean Corvin wandte und mit bittendem Tonfall fragte: „Kann ich Dich einen Moment sprechen, Dean?“

Sie bemerkte seinen abweisenden Blick und fügte schnell hinzu: „Ich weiß, dass du sauer auf mich sein musst. Ich habe im Zorn einige schlimme Dinge gesagt, aber das tut mir aufrichtig leid. Ich habe das gar nicht so gemeint aber ich war so enttäuscht und verletzt, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich tat. Bitte, Dean...“

Corvin war verwundert stehen geblieben. Er konnte kaum glauben, was Tae Yeon ihm eben eröffnet hatte und darum sah er sie nur völlig verwirrt an.

Kim Tae Yeon kam einen halben Schritt näher und der Kadett konnte ihr blumiges Parfum riechen das sie aufgelegt hatte. Ihn mit ihren dunklen Mandelaugen beinahe flehend ansehend fuhr sie fort: „Bitte vergiss, was ich Dir alles an den Kopf geworfen habe, Dean. Ich habe gehört, dass du selbst eine Enttäuschung erlebt hast, und da möchte ich Dir nicht auch noch Kummer machen. Vielleicht kannst du aber nun verstehen, wie ich mich am Neujahrsmorgen gefühlt habe. Die Ohrfeige tut mir schrecklich leid.“

Erst jetzt fand Dean Corvin seine Sprache wieder und noch ein wenig misstrauisch meinte er: „Immerhin hast du Dich schnell getröstet, wie mir scheint.“

„Das ist nichts Ernstes“, wiegelte Kim Tae Yeon schnell ab. „Aber ich hatte mich so verlassen gefühlt, dass ich eine starke Schulter zum Anlehnen brauchte.“

„Oder auch zwei, nicht wahr?“

„Ja, verdammt!“

Die Asiatin wurde schnell wieder ruhig und legte sacht eine Hand auf seinen rechten Unterarm. „Bitte, Dean, ich will doch nur, dass du nicht mehr böse auf mich bist, oder mich für eine Furie hältst. Ich weiß ja, dass ich selbst Schuld an diesem Eindruck bin, den du von mir gewonnen haben musst. Dabei habe ich nur Deine Freundschaft vermisst und deine Nähe, nachdem wir nicht mehr gemeinsam miteinander gelernt haben. Vermutlich war ich deswegen so gemein zu dir, aus Frust über meine eigene Dummheit.“

Dean Corvin schluckte bei diesem Vortrag. „Wow, zu so einer Entschuldigung gehört etwas, Tae Yeon. Dein Verhalten, nach Neujahr, hat mich sehr schockiert. Ich freue mich, über Deinen Sinneswandel und hoffe nur, das du das eben wirklich ernst gemeint hast.“

Die Asiatin nickte lebhaft. „Ganz bestimmt, Dean. Verzeih mir bitte.“

Sie sah ihn so flehend an, dass Dean Corvins Herz förmlich schmolz und aufgewühlt antwortete er rau: „Also gut, wir vergessen was da nach diesem Kuss passiert ist und fangen am Besten direkt da wieder an, einverstanden?“

„Ja, aber denk daran, dass es Dein Vorschlag war.“

Während Corvin noch überlegte wie die asiatische Kadettin ihre Worte gemeint haben könnte, hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt, ihre Hände auf seine Schultern gelegt, und ihm einen schnellen, flüchtigen Kuss auf die linke Wange gehaucht. Im nächsten Moment blickte sie ihn verschmitzt an und fragte unschuldig: „Gehen wir noch etwas im Park spazieren, Freund?“

Dean Corvin lächelte schwach. „In Ordnung, Freundin, aber nicht länger als zwanzig Minuten, sonst löst Kimi am Ende wirklich noch Großalarm aus.“

Kim Tae Yeon blickte den jungen Mann an ihrer Seite etwas befremdet an bei seinen Worten, und schmunzelnd meinte er: „Ich erkläre es Dir beim Spaziergang.“

Dabei entging ihm das eigentümliche Glitzern in ihren dunklen Augen, während sie tiefer in den Park hinein schritten und sich leise unterhielten.

 
 

* * *

 

Als Dean Corvin, im Wohnraum ihres Quartiers auf der Couch sitzend, seinem besten Freund später von dem Gespräch zwischen Tae Yeon und ihm berichtete, da war der Finne, der ihm in einem der beiden Sessel gegenüber saß, kaum weniger überrascht, als er selbst und etwas ungläubig fragte der Blonde: „Denkst du denn, dass sie es wirklich ernst gemeint hat?“

Dean Corvin nickte. „Ich denke schon. Offen gestanden, ich konnte mir auch nicht wirklich vorstellen, dass Tae Yeon tatsächlich so eine Furie sein soll. Irgendwie scheint das doch nicht zu ihr zu passen.“

Kimi Korkonnen nickte nachdenklich. „Ich eigentlich auch nicht. Vielleicht war es wirklich nur die Enttäuschung. Ich habe ja miterlebt, was beinahe aus der Freundschaft zwischen Andrea und Dir geworden wäre, nachdem sie dir einen Korb gegeben hatte. Und sie hat es Dir vermutlich sehr viel schonender beigebracht, als du Tae Yeon.“

„Das vermute ich auch mal.“

„Möglicherweise kam bei Tae Yeon auch noch Eifersucht dazu“, sinnierte der Finne. „Jetzt, da sie mitbekommen hat, dass aus Deiner großen Liebe nichts geworden ist, da hat sie vermutlich Mitleid mit Dir, und vielleicht macht sie sich auch wieder etwas Hoffnung, denn das war ja der Grund, warum du nicht mit ihr zusammen sein wolltest.“

„Hm...“, machte der Kanadier. „Das könnte es sein.“

„Wie steht es denn mit dir? Vielleicht passt ihr zwei ja doch ganz gut zusammen.“

Dean Corvin griff nach seinem Fruchtsaftglas, das auf dem niedrigen Tisch stand, nahm einen Schluck und stellte das Glas wieder ab. „Ehrlich gesagt, ich weiß nicht so recht. Zumindest werde ich nichts übereilen und erst einmal abwarten, ob es Tae Yeon wirklich ernst gemeint hat. Alles Weitere wird sich dann schon finden.“

„Ich wünsche dir Glück.“

Der Blonde erhob sich und gähnte herzhaft. „Ich, für meinen Teil, werde mich jetzt hinlegen. Du, Andrea und Jayden - ihr habt mich ziemlich viel Kraft gekostet, in den letzten Tagen und Wochen.“

„Faule Ausrede, aber egal“, lachte Corvin und trank sein Glas aus. Nachdem er Kimi Korkonnen eine Gute Nacht gewünscht hatte begab er sich in seinen eigenen Schlafraum, denn auch er hatte in den letzten Tagen wenig geschlafen. Doch er lag zunächst noch eine Weile wach auf dem Rücken, wobei die Ereignisse des vergangenen Tages nochmal wie ein Film vor seinem inneren Auge abliefen. Sein letzter Gedanke galt dabei Kim Tae Yeon und mit einem leisen Lächeln auf den Lippen schlief er endlich ein.

 
 

* * *

 

Eine Stunde zuvor hatte sich Kim Tae Yeon, kaum dass Dean Corvin sich von ihr verabschiedet hatte, mit ihren beiden momentanen Gefährten, in einem abseits gelegenen Trakt der Akademie getroffen, wo sie ungestört waren. Beide Kadetten blickten wenig erfreut, nachdem die Asiatin ihnen eröffnet hatte, dass sie ihre Beziehung in den nächsten Monaten erst einmal auf Eis legen mussten.

Etwas ungehalten deswegen erklärte die junge Frau deshalb eindringlich: „Wir haben doch bereits darüber gesprochen, oder etwa nicht? Wenn ich mit Dean Corvin anbandeln will, dann kann ich nicht gleichzeitig mit euch beiden ins Bett steigen oder öffentlich mit euch herummachen, oder euch ständig um mich haben. Dann würde er doch sofort etwas merken, und gerade das soll er ja nicht. Ich will meine Rache dafür, dass er zunächst eine Andere mir vorziehen wollte, und ich nur eine Art Ersatz für ihn gewesen bin.“

Der kleinere der beiden Kadetten, Jonas Zandvoort, blickte sie aus braunen Augen schief an und erkundigte sich lauernd: „Was passiert, falls du bemerkst, dass er nun doch ein Auge auf Dich werfen sollte. Dann wirst du Dich ihm an den Hals werfen und uns beide sausen lassen, nicht wahr?“

Die Ohrfeige kam für Zandvoort unerwartet. Während er sie noch wütend musterte, fauchte Kim ihn heftig an: „Du Idiot! Ich werde mich ihm niemals wirklich an den Hals werfen. Alles was zwischen uns passieren wird, dient am Ende nur einem einzigen Zweck: Ich werde dafür sorgen, dass seine Karriere bei der Flotte ein unrühmliches Ende nimmt, noch bevor sie richtig anfangen kann. Doch dazu muss er mir voll und ganz vertrauen, und das wird er nun einmal nicht von heute auf morgen, oder nur deshalb, weil ich ihn lieb anschaue, klar? Ich hasse diesen Kerl!“

Während Zandvoort sich seine brennende Wange hielt und vor sich hin brummte, hob sein Kamerad, der Australier Jeremy James, seine Augenbrauen und fragte finster feststellend: „Du wirst also mit ihm ins Bett steigen.“

„Na und?“

Die Asiatin runzelte ihre hübsche Stirn. „Ich habe euch beiden bereits mehrmals erklärt, dass ihr zwei kein alleiniges Anrecht auf mich haben werdet. Solange das kein Problem ist, werden wir drei unseren Spaß miteinander haben. Falls nicht – nun ja, dann finde ich andere Verbündete, die weniger moralische Bedenken haben.“

„Ist ja schon gut“, knurrte Jeremy James, wobei seine grünen Augen etwas Anderes auszudrücken schienen. „Kein Grund gleich die Krallen auszufahren. Du weißt, dass wir zu Dir stehen, und dass wir alles für Dich tun werden.“

Er blickte Zandvoort nach Zustimmung heischend an und meinte: „Stimmt doch?“

„Ja“, beeilte sich Zandvoort zu versichern.“

Kim Tae Yeon lächelte lieblich, schenkte den beiden jungen Kadetten einen verheißungsvollen Blick und gurrte verführerisch: „Ihr zwei werdet es am Ende nicht bereuen, dass ihr euch für eine Weile von mir zurückziehen müsst. Wenn ich Corvins Karriere vernichtet habe, dann werden wir drei wieder zusammen sein, das ist ein Versprechen.“

Die beiden Kadetten, die vollkommen in ihrem Bann standen, nickten gleichzeitig. Dann verabschiedeten sie sich von der Asiatin, die ein boshaftes Lächeln aufsetzte und dabei leise flüsterte: „Du wirst den Tag noch verfluchen, an dem du mir die kalte Schulter gezeigt hast, Dean Everett Corvin.“

KIMS RACHE

 Kim Tae Yeon blickte im Laufen über ihr rechte Schulter und rief Dean Corvin, der beim Geländelauf verzweifelt hinter ihr her hastete, lachend zu: „Wo bleibst du denn? Wenn du mich einholen kannst, dann bekommst du einen Kuss, wäre das ein Anreiz für Dich?“

Corvin lachte grimmig und beschleunigte fast übergangslos.

Während der letzten elf Monate waren sie sich sehr nahe gekommen, und schon seit einiger Zeit ahnte Dean Corvin instinktiv wie das enden würde, wogegen er mittlerweile nichts mehr einzuwenden gehabt hätte. Anfangs hatte er dem Friedensangebot der Asiatin nicht recht getraut und war für einige Monate auf Distanz geblieben. Ab dem Beginn ihres letzten Ausbildungsjahres hatte sich das langsam und stetig geändert. Schon zuvor hatten sie wieder begonnen, gemeinsam für den Unterricht zu lernen, wobei sie unmerklich zu ihrer normalen Freundschaft zurückgefunden hatten. Worüber Dean Corvin sehr glücklich war, denn mit Andrea zu lernen, so wie in den vergangenen Jahren, das wäre ihm sehr schwer gefallen, besonders in der Zeit, nachdem sie sich zu Jayden bekannt hatte. Bis zum Winter war daraus eine Vertrautheit geworden, wie es Dean Corvin zuvor nicht mehr für möglich gehalten hatte und immer öfter war er gemeinsam mit der Asiatin unterwegs, so wie auch am heutigen Samstag-Nachmittag. Es hatte sich in den letzten Monaten so ergeben, dass sie an den Wochenenden gemeinsam trainierten um auch körperlich in Höchstform zu bleiben. So wie an diesem dritten Februar des Jahres 3218.

Fast nur am Rande hatte Dean Corvin dabei mitbekommen, dass aus seinen drei übrigen Freunden, von der Sektion-Venus, mittlerweile quasi eine Fünfergruppe geworden war, denn Rodrigo Esteban und Miriam Rosenbaum schlossen sich ihnen immer öfter an. Zwischenzeitlich hatte Dean Corvin dabei den Eindruck gewonnen, als würde sich zwischen Miriam und seinem besten Freund etwas entspinnen, doch bislang gab es keine wirklich greifbaren Hinweise darauf, und so hütete sich der Kanadier voreilige Schlüsse zu ziehen.

Inzwischen hatte sich zwischen Ihm Andrea uns Jayden wieder die frühere unbeschwerte Freundschaft eingestellt und der Kanadier war ganz froh, am Ende darüber hinweg gekommen zu sein, dass Andrea ihn recht trocken hatte abblitzen lassen.

Momentan schwirrte eine ganz andere junge Kadettin durch seine Gedanken, und zwar jene, die er langsam bei diesem Geländelauf einzuholen begann. Als er heran war, gab er ihr einen scherzhaften Klaps auf den Po und zog schnell seine Hand zurück, um dem Schlag zu entgehen, den sie mit ihrer Rechten danach führte.

Der Wald um sie herum lichtete sich etwas und beide Kadetten verfielen schließlich in einen leichten Trab. Der Wind frischte auf und trug ihnen die ersten Ausläufer eines Niederschlag-Ausläufers entgegen.

Sie waren diese Strecke in den letzten Monaten sehr oft gelaufen und so wussten sie, dass in etwa fünfhundert Metern der Weg aus dem Wald heraus führte. Schließlich gingen sie neben einander her und Dean Corvin von der Seite ansehend fragte die Asiatin etwas enttäuscht wirkend: „Willst du Deine Belohnung am Ende gar nicht haben?“

Erst jetzt fiel dem jungen Mann wieder ein, was Kim Tae Yeon ihm zugerufen hatte, als er hinter ihr her gelaufen war, und etwas unsicher fragte er zurück: „Dann war das eben kein Scherz von Dir?“

Die Kadettin blieb stehen und erwiderte: „Nein, kein Scherz. Und da der erste Versuch das reine Fiasko war, dachte ich mir ich frage diesmal besser ob...“

Dean Corvin, der ebenfalls angehalten hatte und nahe bei Kim Tae Yeon stand, nahm sie wortlos in die Arme. Im nächsten Moment hatte er seine Lippen auf ihre gelegt und küsste sie sanft.

Die ersten Regentropfen fielen durch das lichte Blätterdach auf ihre Gesichter.

Kim Tae Yeon schmiegte sich mit einem leisen Gurren an ihn und erwiderte seinen Kuss verlangend, während ihre Hände dabei über seinen Rücken glitten.

Es dauerte gefühlt eine kleine Ewigkeit, bis sie sich endlich wieder von einander lösten, und die Asiatin lächelte zufrieden, als sie Corvins Gesichtsausdruck sah. Es war soweit den nächsten Schritt zu machen, das spürte sie, und sie würde ihn leidenschaftslos gehen, so viel stand fest. Darum blickte sie ihn verführerisch an und fragte heiser: „Erinnerst du Dich an diese kleine Pension, die unten, am Rand der Stadt liegt, wenn wir aus dem Wald herauskommen?“

Dean Corvin nickte. „Ja, warum?“

Die junge Frau hauchte Dean Corvin einen Kuss auf die Nasenspitze und lächelte bedeutungsvoll. „Na, warum wohl? Wie es der Zufall will, habe ich meinen Credit-Chip eingesteckt. Wir könnten dort den verregneten Nachmittag verbringen, damit wir nicht pitschnass werden und uns erkälten. Was sagst du?“

Der Kadett horchte nur kurz in sich hinein und antwortete lächelnd: „Ich halte das für eine sehr gute Idee.“

Sie küssten sich erneut, bevor sie sich endgültig von einander trennten und wieder in einen leichten Trab verfielen, mit dem Ziel, nicht allzu durchnässt die Pension zu erreichen.

Als sie in Sicht kam forcierten beide Kadetten das Tempo wieder und lachend betraten sie schließlich das schon etwas betagte Steingebäude, das bereits einige Jahrhunderte gesehen haben musste.

Nachdem sie eingecheckt hatten gab der Empfangsautomat ihnen den kodierten Impulsschlüssel und buchte automatisch den Betrag für das Zimmer dabei von Kims Credits-Karte, die sie zuvor in den dafür vorgesehenen Schlitz geschoben hatte, ab.

Die Karte wieder einsteckend nahm Kim Tae Yeon, mit einem verlangenden Blick zu Corvin, den Schlüssel und reichte ihm ihre Hand. Sie stiegen über eine antiquierte Treppe hinauf in die zweite Etage und fanden das Zimmer, ganz am Ende des Ganges, was die Koreanerin zu der Bemerkung veranlasste: „Perfekt, da haben wir unsere Ruhe.“

Sie beeilten sich einzutreten und suchten das kleine, zum Zimmer zugehörige, Badezimmer auf. Ganz zwanglos begann die Asiatin, vor Corvin, ihre Kleidung abzulegen und der Kadett ließ seine Blicke bewundernd über ihren makellosen Körper huschen, während auch er seine Sportsachen ablegte.

Gemeinsam stellten sie sich unter die Dusche, an der man noch manuell die Wassertemperatur einstellen musste. Hier gab es keine Automatik, die das übernahm, und die beiden Kadetten fühlten sich in eine weit zurückliegende Epoche zurückversetzt.

Lachend betätigte Kim Tae Yeon den Duschgel-Spender, wobei sie etwas von Finsteres Mittelalter murmelte und begann dann, zu Dean Corvins Überraschung, nicht sich selbst damit einzuseifen, sonder ihn. Dabei blickte sie ihn auffordernd an und bat ihn, dasselbe bei ihr zu tun.

Der Kadett kam ihrer Aufforderung nur allzu willig nach und er spürte, wie sein Körper auf die sanften, streichelnden Berührungen der splitternackten, jungen Frau zu reagieren begann. Unter seinen eigenen Berührungen begann Kim Tae Yeon leise vernehmlich zu seufzen. Sie schmiegte sich eng an ihn und küsste ihn verlangend, während sie einander weiterhin sachte einrieben.

Mit erregtem Aufstöhnen hauchte Kim Tae Yeon schließlich leise: „Nimm mich, Dean, oder ich fange an zu schreien.“

Dabei zog sie ihn einfach mit sich, bis sie die warmen Fliesen der Dusche in ihrem Rücken spürte. Gleichzeitig glitt ihre Hand an seinem Unterleib hinab und übernahm das Kommando.

Mit einem undefinierbaren Laut der Erregung drang Dean Corvin in sie ein und er spürte, wie sich gleich darauf ihre Finger fest in seinen Po krallten, und wie sie ihn fest gegen sich presste.

Oh, ja!“, hauchte sie und arbeitete seinen ersten sanften Bewegungen entgegen.

Es dauerte nicht lange, bis beide Entspannung fanden und sich lachend erneut einseifend beendeten sie kurze Zeit später endlich ihren Duschmarathon, um sich, nach alter Väter Sitte, mit den bereitliegenden Badetüchern abzutrocknen.

 
 

* * *

 

Als sie später, eng an einander gekuschelt, in dem breiten Bett lagen, nachdem sie ein weiteres Mal mit einander geschlafen hatten, lauschten sie dem leisen Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben. Draußen war es bereits merklich finsterer geworden, und im Halbdunkel spielte Dean Corvins linke Hand mit einer von Kim Tae Yeons Haarsträhnen.

Die Asiatin hatte ihren Kopf auf die Brust des Kadetten gebettet und ließ die Fingerspitzen ihrer Rechten dabei spielerisch über seine Bauchmuskeln gleiten. Nach einer Weile fragte sie leise in die Dunkelheit hinein: „Werden du und Kimi, so wie im letzten Jahr auch, dieses Jahr wieder am Schwimm-Turnier der Akademie teilnehmen?“

„Ja“, gab Dean Corvin leise zurück, während er ihre Haarsträhne auf seinem Zeigefinger aufwickelte. „Morgen Abend haben wir uns zum Trainieren verabredet.“

Die junge Frau lächelte diabolisch, wovon Corvin nichts mitbekam. Aber sie brauchte noch die genaue Uhrzeit und so fragte sie, bewusst unbeteiligt klingend: „Wann denn? Sehen wir uns vorher?“

Dean Corvin lachte leise. „Selbstverständlich werden wir uns vorher sehen, mein Engel. Kimi und ich trainieren erst am späten Abend. Kimi hat es so organisiert, dass wir die kleine der drei Schwimmhallen, als Letzte aller Teilnehmer, zwischen 21.00 Uhr und 22.30 Uhr für uns haben. Damit haben wir etwas mehr Zeit, als die übrigen Teilnehmer, da nach uns niemand mehr die Halle benutzen wird, und wir uns deshalb nicht mit dem Umziehen und dem Verlassen der Halle beeilen müssen.“

„Sehr clever“, lobte die Asiatin und dachte dabei gleichzeitig: Perfektes Timing – das begünstigt meine Pläne. Morgen Abend wird die Falle zuschnappen, und ab Übermorgen wirst du ganz andere Töne von mir zu hören bekommen, du Bastard.

Ohne wirklich bei der Sache zu sein streichelte ihre Hand den Oberkörper des Kadetten, der sie eben so sehr befriedigt hatte. Im Anschluss an ihr Liebesspiel wäre sie beide Male beinahe schwankend in ihrem Entschluss geworden, sich an Dean Corvin zu rächen, was sie jetzt, nachdem sie an ihn gekuschelt neben ihm lag, fast noch wütender machte, und sie noch mehr gegen ihn aufbrachte, je länger sie darüber nachdachte. Der Gedanke, auf ihre Rache zu verzichten um tatsächlich mit Dean zusammen sein zu können, hatte zwischenzeitlich etwas sehr Verlockendes gehabt und eine Unsicherheit in ihr Spiel gebracht, die ihr gar nicht gefiel, und gegen die sie verbissen angekämpft hatte. Jetzt, da sie wieder klar und emotionslos denken konnte, war sie fester denn je entschlossen ihren finsteren Plan, in Bezug auf Dean Corvin, in die Tat umzusetzen. Sie verschwendete keinerlei Gedanken daran, dass dabei mit Kimi Korkonnen auch ein Unschuldiger in das Netz ihrer Intrige verfangen würde. Kollateralschäden sind manchmal eben nicht zu vermeiden.

Hinter ihrer Stirn arbeitete es und ein Plan, den sie bisher nur sehr vage ausgearbeitet hatte, nahm allmählich Gestalt an. Jonas und Jeremy würden dabei eine wichtige Rolle spielen und eine Kadettin ihres Jahrgangs, die das perfekte, nichtsahnende Opfer in dieser Tragödie spielen sollte. Auch sie gehörte zu den unvermeidbaren Kollateralschäden.

Ihren Kopf anhebend und Dean Corvin sachte auf den Hals küssend, obwohl sie lieber ihre Zähne hinein geschlagen hätte, gurrte sie leise. „Ihr nutzt also die Zeit voll aus um die Halle erst kurz vor 22:30 Uhr zu verlassen.“

„Ja, ich denke schon.“

Kim Tae Yeon gurrte nur leise und liebkoste mit ihren Lippen seinen Hals, seine Brust und küsste ihn endlich wieder auf den Mund. Er sollte ruhig die Gelegenheit habe ihr noch ein wenig mehr zu verfallen, bevor sie diese Farce übermorgen beenden würde. Umso mehr würde er später leiden. In diese finsteren Gedanken versunken schob sie ihren geschmeidigen, warmen Körper über seinen um ihn ein weiteres Mal zu fordern und dabei gleichzeitig ihre momentane Lust auf Sex zu befriedigen.

Von all diesen finsteren Vorhaben der jungen Asiatin bemerkte Dean Corvin überhaupt nichts – hauptsächlich weil seine Emotionen gerade mit ihm Achterbahn fuhren. Als er sich schließlich gegen 21.30 mit Kim Tae Yeon auf den Weg zur Akademie machte hatte der Regen fast aufgehört. Hand in Hand schritten sie durch den vorgelagerten Park auf den Haupteingang zu. Vor der breiten Front aus Stahl und Glas blieben sie stehen und die Koreanerin umarmte Dean Corvin fest. Ihn kurz und heftig küssend, fragte sie nach einer Weile: „Wann sehen wir uns morgen, mein ungestümer Loverboy?“

Dean lachte. „Loverboy? Fängst du jetzt auch schon mit historischen Studien an, wie mein Freund Jayden?“

Kim lachte amüsiert auf. „Ganz bestimmt nicht, das überlasse ich lieber Deinem Freund. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.“

Dean blickte in die dunklen Augen der jungen Frau und erwiderte: „Was hältst du davon, wenn wir morgen, gleich nach dem Frühstück, hinunter zum Hafen fahren und eine Bootspartie auf einem dieser alten Segelboote machen. Es gibt einige Anbieter, die Ausflüge auf die Südinsel anbieten.“

Die Asiatin nickte lebhaft. „Das wäre toll, Dean.“ Sie legte den Kopf schief und erkundigte sich dann mit etwas verändertem Tonfall: „Was siehst du in mir?“

Der Kanadier zog die Stirn in Falten und antwortete unsicher: „Ich verstehe die Frage nicht so ganz. Was genau meinst du?“

Kim Tae Yeon wand sich bevor sie leise erwiderte: „Na ja, wir haben miteinander geschlafen, und ich frage mich jetzt natürlich, wie es weitergeht. Ich meine mit uns Beiden. Was empfindest du für mich?“

Dean Corvins Miene entspannte sich und sie offen anlachend antwortete er: „Momentan bin ich heiß in Dich verliebt, Tae Yeon. Ich hätte das vor einem Jahr nicht für möglich gehalten, aber es ist so, und im Augenblick bin ich rundherum glücklich.“

Die Asiatin strahlte Corvin an, bei seinen Worten, wenn auch ganz und gar nicht aus den Gründen, die er vermutete. Ihn nochmal rasch küssend sagte sie schließlich: „Dann hole ich Dich morgen, direkt nach dem Frühstück, in deinem Quartier ab.“

Dean Corvin lächelte zustimmend, und gemeinsam betraten sie das Innere des Gebäudes, bevor sie sich verabschiedeten, um ihre Quartiere aufzusuchen.

 
 

* * *

 

Der gesamte Sonntag verlief für Dean Corvin sehr harmonisch, in der Begleitung von Kim Tae Yeon, und während ihrer Bootspartie nahm er sich ein Herz und fragte seine Begleiterin, ob sie künftig mit ihm zusammen sein wolle.

Ihre Antwort hatte in einem Lächeln und einem langen Kuss bestanden, und glücklich über diese Reaktion hatte er sie in seinen Armen gehalten und an sich gedrückt. Hätte er in diesem Moment geahnt, was der durchtriebenen jungen Frau durch den Kopf ging, so wäre er stattdessen sicherlich hellauf entsetzt gewesen. Aber noch war er vollkommen ahnungslos.

Als der Kanadier an diesem Abend sein Quartier betrat, wobei ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht lag, war Kimi Korkonnen bereits anwesend.

„Wie ich sehe, war der Tag mit Tae Yeon ein voller Erfolg“, grinste der Finne und zwinkerte dem Freund verschwörerisch zu. „Seid ihr jetzt eigentlich zusammen oder wie ist der momentane Status eurer Beziehung?“

„Wir sind zusammen“, nickte Corvin vergnügt und es hätte nicht des unverschämt glücklichen Lächelns bedurft, um Korkonnen zu sagen, wie glücklich der Freund damit momentan damit war.

Kopfschüttelnd fragte der Finne: „Warum nicht schon vor einem Jahr so. Das hätte uns beiden sehr viel Kummer und Aufregung erspart, oder nicht?“

„Hinterher ist man immer gescheiter“, konterte Dean Corvin und zog eine Grimasse. Er blickte auf das Chrono-Feld seines Vielzweckarmbandes und meinte dann: „Komm, greifen wir uns unsere Schwimmsachen und machen uns auf den Weg zur Schwimmhalle.“

Kaum eine Minute später waren die beiden Freunde unterwegs zum Sporttrakt. Unterwegs begegneten ihnen verschiedene ihrer Kommilitonen. Als sie in den Gang zur Schwimmhalle einbogen, da glaubte Dean Corvin zwei bestimmte Gesichter zu erkennen, doch als er in die entsprechende Richtung sah, da konnte er sie nicht entdecken. Mit grüblerischer Miene setzte er seinen Weg fort.

Kimi Korkonnen, der den plötzlich so nachdenklichen Gesichtsausdruck des Freundes nicht zu interpretieren wusste, fragte neugierig: „Was hast du auf einmal?“

Der Kanadier blickte nochmal schnell über die Schulter zurück, doch auch jetzt erkannte er nichts ungewöhnliches. Wieder zu Kimi Korkonnen sehend antwortete er: „Ich weiß nicht, aber ich hatte für einen Moment den Eindruck, als würden uns die beiden ehemaligen Spielgefährten von Tae Yeon beobachten. Aber offensichtlich habe ich mir das nur eingebildet.“

Nun drehte sich auch Korkonnen um und zuckte mit den Schultern. „Anscheinend. Vielleicht ist es nur aus Angst, Tae Yeon wieder zu verlieren, jetzt da du gerade eben erst mit ihr zusammengekommen bist.“

„Ja, vermutlich hast du Recht. Ich werde hoffentlich nicht paranoid.“

Kimi Korkonnen nickte zustimmend. „Aber du weißt ja, wie es heißt: Selbst Paranoide haben mitunter reale Feinde.“

Lachend betraten die Freunde den Vorraum, von dem aus es zu den Umkleideräumen für männliche und weibliche Kadetten ging. Beide Kadetten legten ihre Kleidung ab und schlüpften in ihre Schwimmhosen. Nachdem sie ihre Sachen in den dafür vorgesehenen Spinden verstaut, und eine fünfstellige Codezahl zur Sicherung eingegeben hatten marschierten sie unter die Dusche, auf deren anderer Seite sich Schwimmhalle-III anschloss.

Als sie sich ins Wasser gleiten ließen fragte Dean Corvin seinen Freund: „Sag mal, was ist eigentlich jetzt mit Dir und Miriam. Macht sie Dir schöne Augen, oder habe ich mich da letztens verguckt?“

Kimi Korkonnen wirkte etwas verlegen, bevor er meinte: „Das habe ich selbst noch nicht so ganz herausgefunden. Ich glaube schon, aber ich bin mir nicht sicher.“

„Und?“

„Was, und?“

Dean Corvin verdrehte die Augen und führte aus: „Ich meine: Und wäre Dir das nun angenehm oder nicht?“

„Ach so“, machte Kimi Korkonnen, endlich verstehend was der Freund gemeint hatte. „Nun ja, Miriam ist ist wirklich in Ordnung, aber ich weiß nicht.“

Der Kanadier hob fragend seine Augenbrauen. „Warum das denn nicht? Du musst doch wissen, ob du etwas für sie empfindest.“

„Nun ja, das schon“, räumte der Blonde ein. „Ich meine, es gibt da schon so ein gewisses Gefühl für Miriam, aber ich bin mir nicht sicher, was es ist.“

„Und bis du das endlich herausgefunden hast, ist unsere Miriam ganz bestimmt schon längst verheiratet, und Mutter von zwei süßen Kindern“, spottete Corvin lachend. Er bemerkte den langen Blick des Freundes und hob lachend seine Hände. „Aber das ist ja nicht mein Problem, sondern Dein´s.“

„Lach du nur“, knurrte der Finne gespielt finster. Dann meinte er: „Los jetzt, wir sind nicht zum Tratschen sondern zum Schwimmen hergekommen.“

 
 

* * *

 

Etwa zur selben Zeit beendete Kadettin im vierten Jahrgang, Claudine Gilbert, ihr Training im Bodenturnen, zusammen mit sieben Kameradinnen. Die Französin galt unter ihren Kommilitonen als unnahbare Streberin, und die Tatsache, dass sie momentan, knapp vor Kim Tae Yeon, an zehnter Stelle zu den zehn Jahrgangsbesten gehörte schien dies zu bestätigen. Wenn es bis zum Jahresende dabei bleiben würde, so würde sie nach ihrem Abschluss zu den zehn Kadetten dieser Sektion gehören, die ihren zukünftigen Posten bei der Raumflotte frei wählen durfte. Doch das würde knapp werden, denn die Asiatin hatte in den letzten drei Monaten Punkte auf sie gutgemacht.

Claudine Gilbert war hingegen guten Mutes, dass sie ihren momentanen Vorsprung auf Kim, bis zum Abschluss im Mai, würde verteidigen können. Die hochgewachsene Französin konnte man durchaus als hübsch bezeichnen, doch sie machte zu wenig aus sich, und so wirkte sie stets etwas unscheinbar, obwohl sie einen durchtrainierten Körper und ein ansprechendes Gesicht, mit ausdrucksstarken, aquamarinblauen Augen besaß. Eine beinahe klassisch gerade Nase erhob sich in ihrem leicht sonnengebräunten, von mittellangen, blonden Haaren eingerahmten, Gesicht über geschwungene, volle Lippen. Trotzdem machte die Kadettin gegenüber ihren Kommilitonen einen stets etwas unsicheren und schüchternen Eindruck, der nur zu oft fälschlicherweise als Arroganz ausgelegt wurde.

Dies war hauptsächlich der Grund dafür, dass sie sich nach einem Training, wie heute, unter der Dusche zumeist sehr viel Zeit ließ um nach ihren Kameradinnen, als Letzte, den Umkleideraum zu verlassen. Auf diese Weise war sie für sich, was ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Eine trügerische Sicherheit, die sie im Grunde nicht wirklich empfand. Deshalb wirkte die Kadettin, aus dem Rhone-Tal stammend, oft einsam und in sich gekehrt.

So hatte Claudine Gilbert, wie sonst auch, kaum darauf geachtet, dass ihre Kommilitonin, Kim Tae Yeon, die ebenfalls an dem Training teilgenommen hatte, heute später als sonst den Umkleideraum verlassen hatte.

Über die Kom-Einheit ihres MFA hatte Kim ihre beiden Mitverschwörer James und Zandvoort alarmiert. Sie würden, in der Nähe der Schwimmhalle-III, an der Claudine Gilbert zwangsläufig vorbeikommen würde, nun in Position gehen.

Ahnungslos bog Claudine Gilbert zehn Minuten später in den Gang ein, der an Schwimmhalle-III vorbei, zur Haupthalle der Akademie führte. Ganz in Gedanke, wie meistens, sah sie nur undeutlich etwas auf sich zu kommen, und spürte, wie etwas über ihren Kopf gezogen wurde, und ihr die Sicht nahm. Sie wollte sich lautstark über diese Behandlung beschweren, als etwas Hartes ihren Kopf traf und benommen sank sie zusammen. Dabei spürte sich nicht mehr, dass starke Hände sie auffingen, und sie überhastet von diesem Ort weggeschleift wurde.

Jeremy James und Jonas Zandvoort indessen, die Claudine Gilbert den blickdichten, schwarzen Beutel über den Kopf gestülpt und annähernd bewusstlos geschlagen hatten, blickten sich grinsend an, während sie die Kommilitonin zunächst zu den Umkleideräumen der kleinen Schwimmhalle und von dort aus weiter zu den Duschen schleiften. Dort ließen sie die Kadettin unsanft zu Boden fallen, wo sie benommen wieder zur Besinnung kam.

Jeremy James drückte die Kadettin an den Oberarmen fest gegen den Boden, während sein Kamerad damit begann brutal ihre Kleidung zu zerreißen, wobei Claudine Gilbert sich gebärdete, wie eine Wilde.

Mit boshaftem Auflachen, grob die nackten Brüste der Kadettin betatschend, sagte Zandvoort so laut, dass die junge Frau am Boden es nicht überhören konnte: „Verdammt, Kimi, halt die kleine Schlampe besser fest, damit ich sie ganz ausziehen kann!“

„Mach ich ja, Dean, aber beeil dich gefälligst!“, antwortete James mit derselben boshaften Fratze. Gleich darauf versetzte er der Kadettin einen Faustschlag, der sie besinnungslos werden ließ.

Beide Kadetten ließen daraufhin von ihrem Opfer ab und Zandvoort zog der Kadettin noch schnell die Hosen halb an den Beinen herunter. Dann gingen sie rüber zum Umkleideraum, und Zandvoort deutete auf die Beleuchtungskontrollen, über die man auch die Lichter in der Dusche und der Schwimmhalle deaktivieren konnte. Zweifellos würden Dean Corvin und Kimi Korkonnen daraufhin nachsehen, was geschehen war und über Claudine Gilbert stolpern. Und genau das sollten sie auch.

Sie löschten das Licht, verließen eilig den Umkleideraum und rannten zur Gangecke hinunter, an der Kim Tae Yeon bereits auf sie wartete.

Die beiden Kadetten hoben den Daumen und die Asiatin zischte: „Verschwindet jetzt, den Rest erledige ich.“

Sie wartete eine geraume Weile nachdem Jonas Zandvoort und Jeremy James den Gang hinunter gehastet, und um die Ecke verschwunden waren, bevor sie sich Handschuhe überstreifte und schnell in den Umkleideraum schlüpfte. Nach einem schnellen Abstecher zur Dusche zog sie sich wieder auf den Gang zurück, hob ihren Arm und aktivierte die Kom-Einheit ihres MFA. Sie gab ihrer Stimme einen Klang, als sei sie vollkommen aufgelöst und schrie hysterisch auf: „Kadett Kim an Sicherheitspersonal! Dies ist ein Notruf! Ich… ich habe Hilfeschreie gehört, in der Nähe der Schwimmhalle-III! Ich weiß nicht… weiß nicht, was ich tun soll!“

Eine markante Frauenstimme meldete sich: „Bleiben Sie vor Ort, ein Team ist in weniger als einer Minute bei Ihnen.“

Kim deaktivierte den Kom ihres MFA und zerzauste etwas ihr Haar, was die Situation noch etwas dramatischer erscheinen lassen sollte.

Kaum eine halbe Minute später bog ein Feldwebel der Sicherheit zusammen mit drei Untergebenen um die Ecke – erkennbar an den kakifarbenen Streifen an Hosen und Jacken ihrer Uniformen.

Sich hilflos stellend deutete Kim Tae Yeon mit fahriger Geste auf das Schott, das zu der Schwimmhalle führte. „Ich… ich habe die Schreie von da gehört!“

Der Feldwebel beruhigte die scheinbar Hysterische und gab seinen Leuten einen Wink die Schock-Handschuhe zu aktivieren, während Kim Tae Yeon boshaft dachte: Jetzt bekommst du Mistkerl, was du schon lange verdienst.

 
 

* * *

 

Als das Licht ausging gab Dean Corvin einen Ruf der Überraschung von sich und sagte laut in der Dunkelheit: „Was, zur Hölle, ist denn nun los.“

„Keine Ahnung“, gab Kimi aus der Finsternis zurück. „Aber wenn das ein Witz sein soll, dann kann ich nicht darüber lachen!“

Dean Corvin, der den Beckenrand vor Kimi erreichte hörte ihn, ganz in der Nähe, herum planschen, als er selbst sich aus dem Becken stemmte. Er tastete sich in der Finsternis zum Schott vor, an dem es ebenfalls einen Kontakt gab, über den man das Licht wieder aktivieren konnte. Erleichtert fand er ihn und kniff geblendet die Augen zusammen, als es übergangslos hell wurde.

Kimi Korkonnen, der sich mittlerweile ebenfalls aus dem Becken begeben hatte, schritt schnell zum Schott und knurrte: „Mal sehen, ob der Spaßvogel noch anwesend ist. Falls ja, werde ich dafür sorgen, dass ihm oder ihr das Lachen vergeht.“

Corvin nickte und öffnete das Schott.

Sie betraten die Duschen und blieben beide erschrocken stehen, als sie, in der unmittelbaren Nähe des Schotts, die misshandelte, und auf dem Boden liegende, Kadettin bemerkten.

Ungläubig schritt Dean Corvin zu ihr hin, bückte sich ab und flüsterte dabei heiser: „Kimi, was ist denn hier passiert? Wer tut so etwas?“

„Keine Ahnung“, antwortete der Finne, nicht weniger schockiert, als sein Freund. Es dauerte einen Moment, bis er sich aus seiner Starre löste und sich in Richtung Umkleideraum in Bewegung setzte. „Bleib du bei ihr, ich hole Hilfe.“

Dean, der seinen rechten Arm unter den Rücken der Kadettin geschoben hatte, sie leicht anhob und ihr den Sack vom Kopf nahm, nickte nur.

In demselben Moment kam die Misshandelte wieder zu sich, starrte Dean Corvin panisch an und begann aus Leibeskräften zu schreien und wild um sich zu schlagen. Dabei erwischte sie Corvin mehrmals im Gesicht und zerkratzte ihm dabei die linke Wange.

Fast gleichzeitig stürmten drei Unteroffiziere der Akademie-Sicherheit in den Duschraum und setzten die beiden jungen Männer durch einen Schultergriff mit ihren aktivierten Schockhandschuhen außer Gefecht. Danach kümmerten sie sich um die sich noch immer wie wild gebärdende, Claudine Gilbert, die von einem Weinkrampf geschüttelt wurde und sich hilfesuchend an einen der Sicherheitsleute klammerte, der nur immer wieder, dabei auf die beiden betäubten Kadetten blickend, stammelte: „Diese Ungeheuer! Diese verdammten Ungeheuer…!“

Auf dem Gang bekam Kim Tae Yeon mit, wie die beiden bewusstlosen Kadetten, hinter dem Rücken an den Händen gefesselt, von den Sicherheitsleuten davon gezerrt wurden, während sie selbst, diabolisch grinsend und sich dabei unbewusst die Hände reibend hinterher sah, bevor sie sich auf den Weg machte, um sich mit ihren beiden Mitverschwörern zu treffen.

Als sie den ausgemachten Treffpunkt, am Ausgang zum Exerzierplatz der Akademie erreichte, umarmte sie zunächst Jeremy James und gab ihm einen wilden, leidenschaftlichen Kuss, bevor sie sich Jonas Zandvoort zu wandte und dasselbe bei ihm wiederholte. Mit vor Freude funkelnden Augen, weil ihr boshafter Plan so exzellent funktioniert hatte, blickte sie die beiden Kadetten an und erkundigte sich: „Ihr habt euch, so wie besprochen, mit den Namen Kimi und Dean angesprochen?“

Die beiden jungen Männer nickten zustimmend.

„Und ihr seid euch auch sicher, dass Claudine die Namen verstehen konnte?“

Wieder nickten die beiden Kadetten, wobei Jonas Zandvoort überzeugt sagte: „Das hat sie ganz bestimmt. Wir haben den Plan ganz exakt durchgeführt.“

Kim Tae Yeon nickte zufrieden und küsste beide Kadetten nochmals. Dabei dachte sie bereits mehrere Schritte weiter – und an den kleinen Kunststoffbeutel mit den Stofffetzen von Claudine Gilberts Uniformbluse, die sicherlich ein belastender Schuldbeweis sein würden, sollten sie jemals gefunden werden…

UNTER ANKLAGE

 Eine Woche später tigerte Andrea von Garding am frühen Samstagmorgen, in der Nähe des gepflegten Zen-Gartens, durch den Park der Akademie und sagte ein ums andere Mal: „Das glaube ich nie im Leben, Jayden!“

Der Jamaikaner, der auch jetzt seine sprichwörtliche Ruhe nicht verlor, beobachtete seine Freundin dabei, wie sie halb auf die Japanische Brücke schritt, es sich dann in der Hälfte anders überlegte und wieder zu ihm zurück kam. Dabei sagte sie hastig, halb zu ihrem Freund, halb zu sich selbst: „Wir dürfen jetzt nur nicht ausflippen, sondern müssen ganz ruhig bleiben. Irgendetwas stimmt da nicht, so sehr können wir uns doch einfach nicht in unseren Freunden getäuscht haben. Nein, nein, das würden Kimi und Dean niemals tun. Ich meine das ist doch vollkommen unmöglich, und darüber hinaus...“

Jayden Kerr trat zu Andrea von Garding, die immer hektischer wurde, packte ihre Handgelenke, was nicht einfach war, da sie mit den Armen wild in der Luft herum gestikulierte, und hielt sie fest gegen seine Brust gepresst.

Mit funkelnden Augen sah seine Freundin zu ihm auf und fuhr ihn an: „Was…?!“

„Du flippst aus“, erklärte der Jamaikaner ruhig.

„Ist mir doch egal!“

Jayden Kerr nahm die Freundin in seine Arme und sanft über ihre Haare streichelnd raunte er beruhigend: „Wir werden schon herausfinden, was sich da letzte Woche wirklich abgespielt hat, aber dazu müssen wir einen kühlen Kopf bewahren, in Ordnung?“

Die Deutsche atmete in seinen Armen einige Male tief durch und gab dann ruhiger als zuvor zurück: „Du hast Recht, aber ich fühle mich im Moment so hilflos. Als ich vorgestern Kimi besuchen durfte, da spürte ich seine Niedergeschlagenheit, und dass er das, was man ihm und Dean vorwirft, niemals getan haben kann. Keiner von Beiden, Jayden.“

„Ja, das weiß ich“, beruhigte der junge Mann sie. „In einer Stunde ist die offizielle und öffentliche Anhörung. Da werden wir zunächst etwas mehr zu den angeblichen Fakten erfahren und wir werden uns gut anhören, was die Beteiligten aussagen werden. Bitte versprich mir, dass du dabei nicht emotional werden wirst, denn das hilft weder Dean noch Kimi etwas.“

Andrea von Garding legte ihre Arme um Kerr und kuschelte sich an ihn. „Du hast ja Recht. Keine Sorge, ich werde mich zurückhalten, egal welche Lügen da aufgetischt werden. Aber ich werde sehr gut darauf achten, was und wie es gesagt werden wird.“

Jayden Kerr gab der Rotblonden einen schnellen Kuss und lächelte zufrieden: „Das ist die Andrea, die ich an meiner Seite brauche, um Licht in diese Angelegenheit zu bringen.“

Sie blickten sich entschlossen an und die junge Frau ballte ihre Hände, gegen die breite Brust des Freundes gepresst, zu Fäusten, während Jayden Kerr nun ruhig berichtete, was er erfahren hatte, als er am frühen Morgen endlich Dean, im Sicherheitstrakt der Akademie, hatte besuchen dürfen.

„Hör zu, und lauf nicht sofort Amok, wenn ich dir jetzt davon erzähle, was Dean vorhin berichtet hat. Er erzählte mir davon, dass Tae Yeon, gleich am Montag, bei ihm gewesen war. Offensichtlich glaubt sie nicht an seine Unschuld und sie hat sich deutlich von ihm distanziert und ihm gesagt es sei aus zwischen ihnen. Ich habe ein wenig herumgehorcht und dabei interessanterweise erfahren, dass es Tae Yeon gewesen war, die den Sicherheitsdienst alarmierte, weil sie angeblich Schreie gehört hat, nach dem Turntraining.“

Der Kopf seiner Freundin ruckte förmlich nach oben und mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen erkundigte sie sich: „Denkst du etwa, sie selbst könnte d´ran gedreht haben, Jayden?“

„Nun ja“, überlegte der Jamaikaner. „Ich habe herausgefunden, dass Tae Yeon zusammen mit Claudine Gilbert in derselben Turngruppe ist. Das ist schon eine etwas merkwürdige Häufung seltsamer Zufälle, wenn du mich fragst. Aber das alleine macht aus einem Anfangsverdacht noch keinen Beweis.“

Der beschwichtigende Unterton in der dunklen Stimme des Jamaikaners verfehlte seine Wirkung auf Andrea von Garding nicht und so antwortete sie, bereits wieder deutlich beherrschter: „Du hast Recht, wir müssen zusehen, dass wir an harte Fakten gelangen, und von Kimi und Dean erfahren, was sich in der Zeit vorher abgespielt hat. Die Sicherheit hat mir für heute Nachmittag einen Besuchstermin bei den Beiden eingeräumt und dann werde ich Dean einmal intensiv darüber aushorchen, was Tae Yeon in der Zeit vorher mit ihm angestellt hat. Ich spüre in jedem Knochen, dass sie nicht ganz sauber ist.“

Jayden Kerr machte eine etwas besorgte Miene. „Bitte versprich mir, dass du keinen Alleingang starten wirst, egal was du nachher von Kimi und Dean erfährst, und ganz egal was gleich bei der Anhörung passieren wird.“

„Bleib ruhig, Großer“, erwiderte die junge Frau, noch immer leicht gereizt, aber deutlich ruhiger, als zuvor. „Ich werde nicht explodieren oder etwas Dummes anstellen, das verspreche ich Dir. Aber sollte ich am Ende erfahren, dass Tae Yeon doch ein falsches Spiel gespielt haben sollte, dann garantiere ich für gar nichts.“

Der Jamaikaner seufzte schwach und blickte auf das Chrono-Feld seines MFA, bevor er sagte: „Komm, in zehn Minuten beginnt die Anhörung.

 
 

* * *

 

Als Jayden Kerr und Andrea von Garding den Sitzungssaal betraten, der extra für solche und ähnliche Gelegenheiten existierte, wie die heutige Anhörung, da waren bereits über fünfzig Kadetten beider Jahrgänge anwesend, was die Beiden etwas verwunderte, denn normalerweise war der Campus an den Wochenenden wie leergefegt. Dieser Vorfall erregte die Gemüter der Kadetten offensichtlich mehr, als gedacht, was andererseits bei genauerer Betrachtung nicht verwunderlich war, denn ein solcher Übergriff, wie der auf Claudine Gilbert, war seit einigen Jahrhunderten nicht mehr an dieser, oder einer der anderen Akademie-Sektionen, vorgekommen. Dem entsprechend entsetzt waren auch die Lehrkörper über diesen Vorfall, und sie würden ein hartes Urteil fällen, falls den beiden Beschuldigten eine einwandfreie Schuld zugewiesen werden konnte. Das war auch der Grund für die innere Unruhe unter den Freunden der beiden Beschuldigten, zu denen auch Miriam Rosenbaum und Rodrigo Esteban zählten, die ihren beiden Kameraden zu winkten, nachdem sie diese hatten eintreten sehen.

Die deutsche Kadettin machte ihren Freund darauf aufmerksam, und sie arbeiteten sich nach Vorne durch, wo sie neben dem Madrilenen, und der in Haifa geborenen, jungen Frau Platz nahmen.

„Das Ganze ist eine verdammte Farce!“, begehrte Miriam Rosenbaum auf, kaum dass sich Andrea von Garding neben ihr niedergelassen hatte. „Die beiden würden doch so etwas niemals machen, schon gar nicht Kimi.“

Die Deutsche verstand, warum Miriam so sehr an Kimi glaubte, aber sie sah sich dennoch genötigt anzumerken: „Und Dean genauso wenig, klar? Keiner der beiden würde das tun, und wir werden herausfinden was sich wirklich abgespielt hat, nur die Ruhe. Ich werde nicht ruhen, bis beide entlastet und rehabilitiert sind.“

Die Israelitin drückte dankbar die Hand der Kameradin. „Du hast ja Recht, entschuldige bitte. Ich wollte damit nicht behaupten, dass...“

„Schon verstanden, Miriam. Beruhige Dich wieder, das wird schon werden.“

Sie blickten nach vorne, als fünf hohe Offiziere der Akademie, unter ihnen der Leiter dieser Sektion, Generalmajor Herschel Collins, hinter das breite Podium, an der Stirnseite, traten und sich, wie auf ein geheimes Kommando hin, beinahe gleichzeitig setzten. Alle fünf Offiziere, zwei Frauen und drei Männer, blickten mit gleichermaßen versteinerten Mienen über die Anwesenden und warteten, bis Ruhe eingekehrt war.

In dieser Zeit ließ Jayden Kerr, der an Andrea von Gardings anderer Seite saß, seinen Blick durch den Saal schweifen und legte dabei beruhigend seine Hand auf ihre. Sein Blick blieb an den beiden Flaggen, hinter den fünf Offizieren, hängen. Eine zeigte das Logo der Sektion-Terra, bei der anderen handelte es sich um die Flagge des Terranischen Imperiums. Dazwischen war, an der Wand hinter den Offizieren das Motto der Akademie, in großen, verschlungenen Lettern, zu lesen:

Bleibt immer treu und redlich.

Dieser Satz hallte in Jayden Kerrs Gedächtnis nach, als Generalmajor Collins sich räusperte und mit tiefer, tragender Stimme die Anhörung eröffnete, indem er sich an die anwesenden Kadetten wandte.

„Kadetten der Sektion-Terra. Wir sind wegen eines besonders schwerwiegenden und niederträchtigen Verbrechens heute hier versammelt, und wir werden versuchen herauszufinden, was sich zugetragen hat. Ich verbitte mir, während der gesamten Anhörung, irgendwelche Bekundungen oder Zwischenrufe, oder ich werde den Saal räumen lassen. Dies ist zunächst einmal eine formelle Anhörung, nach der entschieden werden wird, ob es zu einer offiziellen Anklage kommen wird, oder nicht.“

Nur kurz entstand ein leises Gemurmel unter den Kadetten bevor es schnell wieder still im Saal wurde.

Weder Jayden Kerr, noch seine Kameraden hatten bisher an einem solchen Zeremoniell teilgenommen und sie wussten nicht, was nun in der Folge geschehen würde. So beobachtete der Jamaikaner interessiert, dass die beiden außen sitzenden Offiziere, ein Mann und eine Frau, jeweils im Rang eines Majors, PADD´s vor sich liegen hatten, auf denen sie anscheinend den Verlauf der Anhörung aufzeichneten.

Zuerst rief der Generalmajor Kadettin Kim Tae Yeon auf, mit der Bitte, zu Protokoll zu geben, wie sie auf die Umstände aufmerksam geworden war, die sie in der Folge dazu veranlasst hatte, die Sicherheit zu alarmieren.

Durch ein Schott zur linken des Podiums – ein weiteres gab es zur Rechten - betrat die asiatische Kadettin den Saal und nahm vor dem Podium Aufstellung, ohne die anwesenden Kommilitonen dabei anzusehen. Auf die Frage des Generals hin erklärte sie: „Ich bin am letzten Sonntag, nach dem gemeinsamen Training, bei dem auch meine Kameradin Claudine anwesend war, als vorletzte aus dem Umkleideraum gegangen. Nur noch Claudine war noch dort. Als ich zu meinem Quartier unterwegs gewesen war fiel mir schließlich auf, dass ich mein Halstuch im Umkleideraum vergessen hatte, also machte ich mich nochmal auf den Weg zurück. Unterwegs, als ich auf Höhe der Schwimmhalle war, da hörte ich plötzlich Hilfeschreie. Ich bekam Panik, und informierte die Sicherheit.“

Der Generalmajor nickte, als Kim Tae Yeon endete und fragte ernst: „Aber Sie haben nicht den Umkleideraum betreten um eventuell zu helfen? Sie wussten doch gar nicht, was für ein Notfall hier vorlag. Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen es könne sich auch um einen Unfall handeln?“

Insgeheim auf diesen Schwachpunkt ihres Planes fluchend antwortete sie leise: „Ich hörte undeutlich Männerstimmen und da bekam ich es mit der Angst zu tun. Vielleicht hätte ich wirklich nachschauen sollen, Sir, doch ich war völlig verunsichert.“

Der Generalmajor blickte die junge Kadettin prüfend an und meinte dann mit nachdenklicher Miene: „Nun, so etwas kann passieren, allerdings finde ich es eigenartig, dass ein angehender Offizier, aus der Kaderschmiede der Akademie derart kopflos reagiert. In Ordnung, Kadett Kim, ich habe keine weiteren Fragen an Sie. Wegtreten.“

Kim Tae Yeon grüßte vorbildlich und schritt zu dem Schott, durch das sie den Saal betreten hatte. An ihre Stelle traten nun die vier Unteroffiziere der Sicherheit auf, die nach Kims Alarmierung vor Ort gewesen waren.

Auf den Zuhörerbänken ballte derweil Andrea von Garding die Hände zu Fäusten und zischte so leise, dass nur Jayden Kerr sie hören konnte: „Die lügt doch. Ich sage dir, irgendetwas an Tae Yeons Geschichte ist oberfaul.“

Der Feldwebel und seine drei Untergebenen gaben nacheinander zu Protokoll, wie sich die Ereignisse für sie dargestellt hatten.

Wieder hörte der Generalmajor bis zum Ende zu, bevor er sich an den Feldwebel wandte und fragte: „Welchen Eindruck machte Kadett Kim bei ihrem Eintreffen vor Ort, Feldwebel Ivanov?“

Der Angesprochene erwiderte umgehend: „Kadett Kim machte einen sehr aufgelösten Eindruck. Die junge Frau zitterte, Sir.“

Der General sprach leise mit seinen beiden Offizieren zur Rechten und zur Linken, ein männlicher Oberstleutnant und ein weiblicher Oberst, bevor er sich wieder dem Feldwebel zu wandte und sagte: „Das wäre für heute Alles. Sie und ihre Leute dürfen wegtreten.“

Auch die vier Sicherheitsbeamten grüßten vorbildlich, bevor sie durch das linke Schott verschwanden.

Als nächste kam Claudine Gilbert an die Reihe, da traditionsgemäß die Angeklagten bei einer Anhörung, wie dieser, das letzte Wort hatten. Sie betrat, sichtlich nervös und immer noch deutlich traumatisiert, wegen der Attacke vom vergangenen Sonntag, den Saal.

Generalmajor Collins beugte sich etwas vor und senkte seine Stimme unmerklich ab, als er ruhig fragte: „Kadett Gilbert, bitte geben Sie zu Protokoll, wie sich der vergangene Sonntag Abend, speziell die Attacke auf ihre Person, aus Ihrer Sicht abgespielt hat.“

Die Kadettin schluckte und begann mit leiser Stimme: „Ich verließ als letzte Person des Bodenturn-Teams den Umkleideraum und schritt, in Richtung der Haupthalle, an Schwimmhalle-III vorbei, um mein Quartier aufzusuchen. Dabei war ich etwas in Gedanken. Darum bemerkte ich die beiden Angreifer nicht, von denen mir eine einen Sack über den Kopf zog und einer schlug mir auf den Kopf, so dass mir kurzzeitig die Sinne schwanden.“

An dieser Stelle einhakend fragte Oberst Erin Varinia: „Kadett Gilbert, woher wissen sie, dass es sich um zwei Angreifer handelte, und nicht um mehr als zwei, oder nur einen?“

Etwas erstaunt dreinblickend antwortete Claudine Gilbert auf den auffordernden Blick der Mittvierzigerin hin: „Ich hörte zwei Stimmen, Sir. Der eine Angreifer gab die Anweisung an den Anderen, mich fester gegen den Boden zu drücken, während er selbst...“

Claudine Gilbert unterbrach sich und wischte sich die Tränen von den Wangen.

Der Generalmajor wartete einen Moment, bevor er mitfühlend sagte: „Ich verstehe, dass es Sie emotional aufwühlt, die traumatischen Vorgänge hier nochmal zu beschreiben, doch das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, Kadett Gilbert. Bitte fahren Sie fort, wenn sie soweit dazu in der Lage sind.“

Die Kadettin schniefte unterdrückt und antwortete mit erstickter Stimme: „Ja, Sir.“ Sie brauchte noch einen Moment um sich wieder zu fangen und fuhr fort: „Dieser Andere zerriss meine Uniformbluse und betatschte mich grob. Der Erste schlug mir ins Gesicht, wonach ich eine Weile benommen war. Als ich wieder zu mir kam, da hielt mich der Kadett Corvin in seinem Arm und zog mir den Sack vom Gesicht, warum, das weiß ich nicht. Ich nutzte die Gelegenheit und begann aus Leibeskräften zu schreien und um mich zu schlagen.“

Wieder war es die ernst dreinblickende Mittvierzigerin, die einhakte: „Sie sagten, sie haben geschrien, als der Sack von ihrem Kopf entfernt worden ist. Haben Sie zuvor auch geschrien, oder erst in diesem Moment?“

Die Kadettin machte plötzlich einen gehetzten Eindruck. Mit zittriger Stimme antwortete sie unsicher: „Ich kann mich nicht erinnern, aber ich glaube schon. Zumindest habe ich laut protestiert, als mir der Sack über den Kopf gezogen worden ist.“

„Und sie haben erst im Umkleideraum wild um sich geschlagen?“

Wieder schien Claudine Gilbert unsicher zu sein, und darauf aufmerksam machend stupste Andrea von Garding ihren Freund heftig in die Seite.

„Auch dabei bin ich nicht sicher, Sir. Vielleicht habe ich, ohne es zu bemerken auch zuvor reflexartig um mich geschlagen.“

Die Mittvierzigerin flüsterte dem Generalmajor etwas zu. Dann fragte sie abschließend: „Wurden während des Angriffs auf Sie irgendwelche Namen genannt?“

Gilbert nickte und antwortete vernehmlich: „Es fielen die Namen Dean und Kimi.“

Leises Raunen entstand unter den Kadetten, bis sich der Generalmajor vernehmlich räusperte und eine noch strengere Miene, als bisher, aufsetzte. Dann wechselte er einige nicht deutbare Blicke mit seinem weiblichen Oberst, bevor er sich schließlich an die Kadettin wandte und meinte: „Danke, Kadett Gilbert, das wäre Alles. Wegtreten.“

Claudine Gilbert blickte kurz zu den anwesenden Kommilitonen und Andrea von Garding bemerkte den Ausdruck auf ihrem Gesicht. Wieder stieß sie Jayden an und zischte: „Hast du ihren unsteten Blick gemerkt? An der Aussage stimmt doch was nicht.“

Jayden Kerr nickte beschwichtigend und flüsterte knapp zurück: „Später.“

Dann richtete sich seine volle Aufmerksamkeit wieder nach Vorne, wo nun zunächst Dean Corvin, von zwei Leuten der Sicherheit eskortiert, hereingeführt, und zu den Vorgängen befragt wurde. Nachdem er seine Aussage ruhig vorgetragen hatte, wandte sich der Generalmajor an ihn und fragte: „Kadett, Corvin, Sie sagten, dass Sie Kadett Gilbert helfen wollten. Warum hat sie Ihnen dann das Gesicht zerkratzt?“

„Sir, sie dachte wohl, dass immer noch ihre Peiniger bei ihr seien.“

Lauter als bisher erkundigte sich der Generalmajor: „Und, Kadett Corvin – waren Sie nicht Kadett Gilberts Peiniger?

„Nein, Sir!“

„Dann wohl ihr Freund, Kadett Kimi Korkonnen?“

„Nein, Sir!“

Prüfend blickte Generalmajor Collins sekundenlang in die Augen des Kadetten. Dieses schmoren lassen hatte schon so manche Lüge aufgedeckt. Diesmal schien es zu versagen, denn der Dunkelblonde erwiderte seinen Blick mit undurchdringlicher Miene. Nach einem langen Moment nickte Collins unmerklich und fuhr fort: „Haben Sie zuvor Schreie gehört, Kadett Corvin?“

Dean Corvin schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Bis das Licht ausging war kein lautes Geräusch zu hören. Andererseits befanden sich Ki… ich meine Kadett Korkonnen und ich im Wasser und haben für den Schwimmwettkampf trainiert.“

„Wer, außer Kadett Korkonnen und Ihnen, wusste noch davon, dass Sie beide um diese Zeit trainieren würden?“

Corvin machte eine umfassende Geste. „Das war kein Geheimnis, Sir. Ich schätze, dass mindestens zwei Dutzend Kadetten davon gewusst haben.“

„Und Sie sind ganz sicher, dass es zuvor keinen Hilfeschrei gab?“

Dean Corvin nickte überzeugt. „Ja, Sir.“

Der Generalmajor blickte ein letztes Mal forschend in das offene Gesicht des Kadetten, bevor er auf die vordere, nicht belegte, rechte Bank deutete und meinte: „Das wäre Alles, Kadett Corvin. Bitte nehmen Sie hier vorne Platz.“

Der Kanadier salutierte zackig und setzte sich dann an der besagten Stelle, zwischen die beiden Sicherheitsleute, die ihn hereingeführt hatten.

Auch Kimi Korkonnen wurde von zwei Leuten der Sicherheit eskortiert, als er den Saal betrat und sich vor dem Podium aufbaute.

Der Generalmajor stellte dem Finnen exakt dieselben Fragen, wie Dean Corvin, und der Blonde gab dieselben Antworten darauf, wie sein zuvor befragter Freund.

Der General sprach im Anschluss leise mit seinen Offizierskollegen, bevor er ein Zeichen gab, auf welches hin sich alle Anwesenden im Saal erhoben. Selbst zusammen mit den übrigen Offizieren aufstehend wies er die beiden Beschuldigten an vorzutreten und verkündete: „Die hier vorgetragenen Aussagen haben keinen zwingenden Beweis für oder gegen die Schuld der beiden Beschuldigten erbracht. Aufgrund der Schwere des Vorfalls, vom vergangenen Sonntag jedoch, sind meine Offizierskollegen und ich mit drei zu zwei Stimmen dafür, dass Anklage erhoben wird um die Zusammenhänge eingehender zu klären und die Schuldigen an diesem schändlichen Vergehen zu finden und zu bestrafen. Die Verhandlung setze ich für den nächsten Samstag fest. Für die Dauer bis zu dieser Verhandlung verbleiben die beiden beschuldigten Kadetten weiterhin unter Arrest.“

Die anwesenden Kadetten nahmen Haltung an und der Generalmajor verließ, zusammen mit den vier übrigen Offizieren den Saal durch das Schott zur rechten Seite des Podiums, während Kimi Korkonnen und Dean Corvin von den Leuten der Sicherheit, durch das linke Schott abgeführt wurden.

Gemurmel entstand, während die Kadetten dem Hauptausgang des Saals zuströmten, und Andrea von Garding fluchte unterdrückt: „Jayden, die Sache stinkt. Ich schwöre Dir, sollte sich herausstellen, dass diese schlitzäugige Koreanerin gelogen hat, dann ist sie alt genug. Dann prügele ich ihr die verlogene Seele aus dem knochigen Leib.“

 
 

* * *

 

Später an diesem Samstag saßen Andrea von Garding und Jayden Kerr mit Miriam Rosenbaum und Rodrigo Esteban im GREEN HILLS zusammen und diskutierten die Entscheidung des Generalmajors. Dabei berichtete die Deutsche ihren Kameraden, wie ihr Besuch bei Dean Corvin und Kimi Korkonnen verlaufen war.

„Also, ich habe vorhin Dean besucht, und ich durfte auch anschließend noch kurz mit Kimi sprechen. Als ich Dean davon berichtete, dass Tae Yeon, deutlich vor dem Zeitpunkt, zu dem sie Claudine gefunden haben, Schreie gehört haben will, da war er ziemlich überrascht wie es schien. Und wenn er und Kimi Recht haben, dann gibt es da einen signifikanten zeitlichen Unterschied, zwischen den Schreien, die Tae Yeon angeblich gehört haben will, und den Schreien, die Claudine tatsächlich von sich gab, denn nach Deans Angaben hatte sie gerade erst begonnen zu schreien, als auch schon die Sicherheit unter die Dusche gestürmt kam. Was mir zusätzlich bei der Anhörung aufgefallen ist, das ist die Unsicherheit bei zwei Fragen des Generals gewesen, die sich exakt mit dieser Thematik beschäftigt haben. Sie wirkte dabei beinahe, als würde sie unter großem Druck stehen.“

Es war Rodrigo Esteban, der, ausnahmsweise mal zu keinen Scherzen aufgelegt, einen Schluck von seinem Fruchtsaft nahm, und nachdenklich ergänzte: „Ich verstehe das aber immer noch nicht ganz. Dean und Tae Yeon sind doch, soweit ich das mitbekommen habe, frisch verliebt in einander. Kann es nicht sein, dass Claudine geschrien hat, ohne sich daran zu entsinnen?“

Es war Jayden Kerr, der einsprang und widerlegend meinte: „Wenn das der Fall wäre, so hätte Tae Yeon die wirklichen Täter sehen und identifizieren müssen, aber laut ihrer Aussage kam ihr niemand im Gang entgegen, und es verließ auch niemand die Schwimmhalle. Andererseits sollte wohl eins klar sein: Keinesfalls waren Dean oder Kimi die Täter, darüber sind wir uns hier am Tisch doch wohl einig?“

Die Kameraden nickten zustimmend und Miriam nahm den Faden auf: „Ausgehend von Kims Aussage ist es also so, dass nur Dean und Kimi für die Tat in Frage kommen, aber wir hier schließen das aus. Also bleibt nur die Schlussfolgerung, dass es Jemand anders war, und dass Tae Yeon diese Anderen gesehen haben muss. Alternativ gäbe es nur noch die Möglichkeit, dass Tae Yeon erst dazu kam, als die Tat bereits begangen war, aber diese These weist zeitlich gesehen Lücken auf. Wie ich das drehe und wende – ein Punkt kristallisiert sich dabei klar heraus, und das ist der Verdacht, dass etwas an der Aussage von Tae Yeon nicht stimmen kann. Und ich tippe da nicht auf ein Versehen.“

Andrea von Garding machte eine zustimmende Geste. „Genau das habe ich Dean vorhin auch auseinander gepflückt, doch davon wollte er nichts wissen. Tja, momentan denkt er ja auch wohl nicht mit seinem Gehirn.“

„Mir fiel auf, dass der Generalmajor und dieser Oberst Varinia neben ihm, auch so ihre Zweifel an der Darlegung der Geschehnisse hatte“, ergänzte Jayden Kerr. „Sonst wäre die Entscheidung Anklage zu erheben nicht derart knapp gewesen.“

„Richtig!“, stimmte seine Freundin ihm zu. „Ich bin dafür, dass Jemand von uns auch etwas Druck auf Claudine aufbaut. Ich bin sicher, dass wir dann etwas mehr erfahren werden, als bei der Anhörung. Und ich denke, dass ich das übernehmen sollte.“

„Nein!“

Andrea von Garding glaubte sich verhört zu haben, als Miriam Rosenbaum dieses Wort mit einer, von ihr ungewohnten, Bestimmtheit sagte. Bei dem finsteren Blick der Kameradin erklärte sie rasch: „Du stehst den beiden Beschuldigten viel zu nahe. Erstens wird Claudine sofort ahnen warum du sie ausquetschen willst, und zweitens, falls das rauskommt, dann wird man sofort sagen, dass du sie zu einer Falschaussage drängen wolltest, wegen Deiner Freundschaft zu unseren Freunden. Deshalb wäre es vielleicht die bessere Idee, wenn ich mal bei Claudine anklopfe, was bestimmt unauffälliger wäre. Außerdem...“

Die Deutsche runzelte die Stirn. „Außerdem was?“

„Außerdem bist du nicht gerade für Deine diplomatischen Fähigkeiten bekannt“, ergänzte Miriam Rosenbaum das zuvor Gesagte. Sie bemerkte den Blick der Kameradin und meinte überzeugt: „Na komm, ist doch so.“

Andrea von Garding sah in die Runde und blickte in die gleichermaßen belustigten Mienen ihrer Kameraden. „Na, prima!“

Es war ihr Freund, der schmunzelnd seine Hand auf ihre Schulter legte und ruhig erklärte: „Sie hat Recht, Andrea. Miriam wird herausfinden, wenn es etwas herauszufinden gibt. Vertrauen wir ihr also. Und wenn nicht, dann kannst du immer noch loslegen.“

„Also schön“, gab sich seine Freundin schließlich geschlagen.

Der Jamaikaner gab seiner Freundin einen schnellen Kuss auf die Wange und schwor die Kameraden dann ein: „Vorläufig kein Wort zu Anderen. Sonst wird man behaupten, wir würden krampfhaft versuchen ein Alibi für unsere Freunde zurecht zu zimmern, was angesichts der Tatsache, dass wir keine Fakten vorweisen können, gar nicht mal allzu sehr daneben getippt wäre. Wir müssen auf der Hut sein, das gilt insbesondere für Dich, Miriam. Und hüte Dich vor Jonas Zandvoort und Jeremy James. Wenn mich mein Instinkt nicht im Stich lässt, dann stecken diese Beiden mit in der Sache drin, denn irgendwer muss die Attacke auf Claudine ja durchgeführt haben, und sie waren für einige Monate ständig mit unserer Tae Yeon zusammen.“

Für einen Moment lang hingen die vier jungen Kadetten ihren eigenen Gedanken nach, bevor Rodrigo überlegend sagte: „Wie ich es auch drehe und wende, wenn wir Recht haben, und ich weigere mich zu glauben, dass Dean und Kimi Claudine tatsächlich angegriffen haben, dann komme ich zum Schluss, dass Kim Tae Yeon diesen Vorfall inszeniert hat, oder zumindest an der Planung beteiligt war. Außerdem würde das bedeuten, dass sie Dean eiskalt für diesen finsteren Plan benutzt hat.“

„Mach diesem Blinden das mal begreiflich!“, ereiferte sich Andrea von Garding augenblicklich wieder. „Der hält diese Schlange für ein Unschuldslamm. Nur, weil...“

Die deutsche Kadettin biss sich auf die Lippen, denn Dean hatte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, was sich am Samstag-Nachmittag ereignet hatte.

„Nur weil… was?“, hakte Jayden Kerr sofort ein und sie verwünschte ihre vorlaute Bemerkung, doch nun war es zu spät – sie hatte sich verplappert.

Jayden würde nicht mehr locker lassen, also sagte sie zögernd: „Hey, ich habe Dean versprochen das nicht breitzutreten, also werdet ihr, über das, was ich nun erzählen werde, gefälligst die Klappen halten. Also, die Sache ist die, dass Dean deshalb an Tae Yeons Unschuld festhalten will, weil sie am Samstag erst miteinander geschlafen haben.“

Ungläubig blickte Rodrigo Esteban die Kameradin an.

„Ach du heiliger Strohsack!“

„So kann man es auch zusammenfassen“, stimmte Andrea von Garding ihm giftig zu. „Dean scheint es voll erwischt zu haben, und damit käme Tae Yeon sogar mit einem klaren Mord bei ihm durch, deshalb ist er uns momentan kaum eine Hilfe. Er hofft immer noch, dass sich Kim ihm wieder zuwenden wird, wenn sich herausstellt, dass er und Kimi unschuldig sind. Sie hat sich nämlich deutlich von ihm distanziert, angeblich weil sie von seiner Tat schockiert ist.“

„Diese falsche Schlange!“, rief Miriam Rosenbaum erbost aus. „So fällt gar nicht auf, dass sie das ohnehin vorhatte und sie kommt ganz sauber da heraus.“

„Das werden wir ja noch sehen“, widersprach Andrea von Garding finster. „Du wirst Dich, am Besten gleich heute Abend, mal um Claudine kümmern, unter dem Siegel der Fürsorge natürlich, und herausfinden warum sie so nervös war bei der Anhörung. Danach sehen wir vielleicht klarer. Was mich bedrückt ist nur, dass ich mir genau darüber im Klaren bin, dass das, was wir vorhaben, Dean wehtun wird denn ich glaube fester denn je, dass Kim ihn nur benutzt hat.“

Jayden Kerr war es schließlich, der sein Glas hob und feierlich erklärte: „Darauf, dass wir unseren Freunden erfolgreich aus der Misere helfen werden.“

Sie stießen mit einander an, und es kam ihnen beinahe so vor wie ein Blutschwur.

 
 

* * *

 

Der nächste Montag verlief relativ ruhig, obwohl die Anhörung, unter den meisten Kadetten der Akademie, immer noch Thema Nummer Eins war. Miriam Rosenbaum hatte, nach der letzten Vorlesung an diesem Tag, Andrea von Garding kurz darüber informiert, dass sie am Abend Claudine Gilbert aufsuchen würde um sich, wie es den Anschein haben sollte, lediglich nach ihrem Befinden zu erkundigen und ihr moralisch beizustehen. Dabei wollte sie dann, ganz subtil, auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen kommen. Danach wollte sie die Kameradin, mit der sie sich seit fast zwei Jahren, hier an der Akademie, das Quartier teilte, darüber in Kenntnis setzen, was sie erreicht hatte.

Sie spielten am Nachmittag eine Partie Speedball, aber weder Miriam Rosenbaum, noch ihre drei Kameraden, die den Fall um Dean Corvin und Kimi Korkonnen auf eigene Faust aufklären wollten, waren an diesem Nachmittag wirklich bei der Sache.

Miriam Rosenbaum wartete das Abendessen ab, bevor sie sich unauffällig an Claudine Gilberts Seite begab. Sie versicherte sich schnell, dass weder Kim Tae Yeon, noch die Kadetten Zandvoort und James, in der Nähe waren, bevor sie, wie zufällig, die Kommilitonin an der Schulter berührte. Sie lächelte warmherzig, als Claudine sie ansah, und fragte dabei mit sanftem Tonfall: „Wie geht es dir, Claudine?“

Etwas Unstetes flackerte kurz in den Augen der Angesprochenen. Dann antwortete sie leise: „Nun ja, momentan noch nicht wieder so toll.“

Miriam Rosenbaum blickte mitfühlend und nickte. „Ja, das kann ich mir denken. Zum Glück kam Tae Yeon nochmal zurück um ihr Tuch zu holen, das sie vergessen hatte.“

„Welches Tuch?“, fragte die Französin gedankenverloren.

„Nicht wichtig!“, wiegelte die in Haifa geborene Frau schnell ab und machte sich eine Gedankennotiz. Diese unbedachte Bemerkung von Claudine war für sie ein weiterer Hinweis, dass hier etwas nicht stimmte. Sie beschloss etwas stärker auf den Busch zu klopfen, aber nicht hier, wo es eventuelle Zuhörer gab, und so fragte sie unbefangen: „Was hältst du davon, wenn wir ein Stück spazieren gehen und uns etwas unterhalten.“

Mit dankbarem Blick nickte die Französin und gemeinsam mit ihrer Kommilitonin begab sie sich in den weitläufigen Park der Akademie.

Nachdem sie unter sich waren, war es Miriam Rosenbaum, die das Schweigen brach und vorsichtig fragte: „Die Fragen des Generalmajors waren unangenehm, oder?“

Claudine Gilbert nickt wortlos und die Israelitin setzte nach: „Er hat dich mit der Frage nach dem Zeitpunkt der Schreie ziemlich in die Ecke getrieben. Und dieser Oberst auch, als sie sich danach erkundigte, wann du dich gewehrt hast. Ich frage mich ernsthaft, was das sollte. Das war ziemlich unsensibel.“

Claudine Gilbert fasste bei den Worten der kurzhaarigen, jungen Kameradin etwas Zutrauen und so erwiderte sie zustimmend: „Ja, das war nicht schön.“

Dabei erkannte Miriam Rosenbaum erneut ein Flackern im Blick der Kommilitonin, das sie bereits zuvor schon bemerkt hatte. Spontan blieb sie stehen und ergriff eine Hand der Französin. „Hör zu, Claudine. Ich bin sicher, dass du bei der Anhörung nicht Alles gesagt hast, was du weißt. So, wie die Tatsache, dass Tae Yeon gar kein Tuch in der Umkleide vergessen hatte, nicht wahr?“

Ertappt blickte die Französin in die rehbraunen Augen ihres Gegenübers und wusste nicht was sie sagen sollte. Stattdessen rannen Tränen über ihre Wangen.

Spontan nahm Miriam Rosenbaum die Kadettin in den Arm und flüsterte dabei beschwörend: „Wenn es so ist, Claudine, dann musst du es dem Akademieleiter sagen. Sonst büßen zwei Unschuldige für diese schändliche Tat, und das willst du sicher Dein gesamtes Leben mit dir herumtragen. Wenn du wegen Kim und ihrer Freunde schweigst, dann sollst du wissen, dass ich und meine Freunde sich um Dich kümmern, und auf Dich achten werden.“

„Das könnt ihr nicht!“

Claudine Gilbert löste sich aus der Umarmung und rannte zurück zum Akademiegebäude während Miriam Rosenbaum unterdrückt fluchte. Aber immerhin hatte sie nun die Bestätigung, dass Claudine etwas verschwiegen hatte, und vielleicht würden ihre mahnenden Worte, die sie an sie gerichtet hatte, ja etwas bewirken. Nicht völlig zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte, folgte sie der Kommilitonin langsam zum Gebäudekomplex.

 
 

* * *

 

Auf dem Weg zu ihrem Quartier lief die vollkommen verwirrte Claudine Gilbert geradewegs Kim Tae Yeon in die Arme. Die Koreanerin setzte ein freundliches Lächeln auf und kam auf die blonde Frau zu.

„Hallo, Claudine, wie war deine Unterhaltung mit Miriam? Ich habe zufällig mitbekommen, wie ihr euch im Park getrennt habt. Ihr hattet doch keinen Streit?“

Die Französin schüttelte distanziert den Kopf. „Nein, warum sollten wir denn streiten? Miriam wollte mir nur etwas Trost zusprechen, das ist alles. Wirklich.“

Claudine Gilbert war eine schlechte Lügnerin und deshalb bemerkte Kim sofort, diese gewisse Unsicherheit bei der Kommilitonin, die ihr sagte, dass das nicht die ganze Wahrheit gewesen war.

Die Kameradin fest am Arm ergreifend zog Kim Tae Yeon sie mit sich. Sich versichernd, dass sie nicht beobachtet wurden zischte die Asiatin warnend: „Hör mir jetzt sehr gut zu, Claudine: Ich weiß, dass Miriam versuchen wird, von Dir zu erfahren, wer Dich am Sonntag angegriffen hat. Du wirst trotzdem bei dem bleiben, was du bereits bei der Anhörung ausgesagt hast, denn wenn nicht wird Dir die Konsequenz daraus nicht gefallen, schätze ich. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass so etwas, wie am vergangenen Sonntag, nochmal passiert – und dann wird diese Tat vermutlich auch zu Ende gebracht werden. Du verstehst mich?“

Entsetzen lag im Blick der Französin, und allein die Vorstellung, das eben Gesagte könne Realität werden versetzte sie in Panik. Ihre Knie begannen jämmerlich zu zittern und ihr Herz schlug wie wild, als sie in Kim Tae Yeons kalt blickende Augen sah.

„Ich… ich werde nichts anderes aussagen – ganz bestimmt nicht“, schwor Claudine Gilbert heiser.

Die Koreanerin verstärkte den Griff ihrer Hand bis die blonde Frau schmerzhaft ihr Gesicht verzog. Erst dann ließ sie los und raunte ihr mit gefährlich klingendem Tonfall zu: „Das wäre auch besser für Dich.“

Damit wandte sich Kim Tae Yeon abrupt ab und eilte den Gang hinunter.

Claudine Gilbert schluckte und musste sich für eine Weile mit einer Hand an der Wand des Ganges abstützen. Dabei begannen ihre Augen sich unaufhaltsam mit Tränen zu füllen. Sie wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand, und sie wusste ebenfalls nicht mehr, wie sie aus dieser verfahrenen Situation mit Anstand herauskommen sollte. Sie hatte Angst um sich selbst aber sie hatte auch Angst, dass zwei Unschuldige für diese Angst würden büßen müssen. Sie wischte sich schließlich die Tränen ab und setzte ihren Weg, mit unsicheren Schritten fort. Dabei durchzuckte sie ein zunächst fürchterlicher Gedanke, doch mit jedem Schritt, den sie tat, schien ihr dieser Gedanke zunehmend verlockender, und schließlich wie der einzig gangbare Weg, der ihr in ihrer Verzweiflung übrig blieb. Sie hoffte nur, in all dem gedanklichen Chaos dieses Momentes, dass sie sich wirklich richtig entschied, und man sie deswegen anschließend nicht verachten würde.

KONSEQUENZEN

 Als Miriam Rosenbaum sich zwei Tage später, während der ersten Vorlesung im Schulungssaal umsah, da bemerkte sie, dass Claudine Gilbert nicht anwesend war. Das fand sie ziemlich merkwürdig, da sie wusste, dass Physik eines der Lieblingsfächer der Französin war. Außerdem war sie, in den letzten anderthalb Jahren, noch nie zu spät zu einer Vorlesung erschienen, und so machte sie sich so ihre Gedanken.

Auch zur zweiten Vorlesung erschien Claudine nicht, und das ungute Gefühl, das von der Israelitin Besitz ergriffen hatte, erfuhr eine spürbare Steigerung. Unwillkürlich richtete sich ihr Blick immer wieder zu Kim Tae Yeon, doch diese schien sich ebenfalls fragend nach der Französin umzusehen, und gelegentlich gab sie Jeremy James und Jonas Zandvoort hektisch Handzeichen. Soweit sie diese deuten konnte, fragten sich die Drei ebenfalls, was mit Claudine Gilbert los war, also waren sie anscheinend nicht für das Fehlen der Kadettin verantwortlich, was sie wieder etwas beruhigte.

Als Miriam Rosenbaum sich kurz zu Andrea von Garding wandte, da blickte diese sie fragend an und raunte ihr zu: „Was ist mit Claudine. Glaubst du, sie hat deine Worte beherzigt und ist vielleicht gerade beim Generalmajor?“

„Hm, das könnte ihr Fehlen erklären.“

Die Deutsche blickte ihre Kameradin halb hoffend, halb zweifelnd an. „Schön wäre es ja. Ich kann nur beten, dass Deine mahnenden Worte von gestern Abend etwas genützt haben, sonst sehe ich schwarz für Dean und Kimi.“

Miriam nickte schwach. Sie folgte dem Unterricht nur halbherzig, da ihre Gedanken um Kimi Korkonnen kreisten. In den letzten Monaten hatte sich Dean etwas von ihm zurückgezogen, offensichtlich wegen Tae Yeon, und gleichzeitig hatte sie selbst mehr Zeit mit dem Finnen verbracht. Meistens waren zwar Rodrigo, Andrea und Jayden mit dabei, aber ihr schien es so, als seien sie sich trotzdem sehr viel näher gekommen in dieser Zeit. Sie lächelte bei diesem Gedanken unmerklich. Kimi war ein netter Kerl, und ein prima Kamerad, und sie mochte den ruhigen Finnen wirklich sehr, wie sie zugeben musste. Dann ist diese koreanische Schlange wenigstens für etwas gut gewesen, dachte sie düster. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hoffte sie, dass sich schnell seine Unschuld, und natürlich auch die von Dean, herausstellen würde.

Als sie, nach der Pause, der dritten Vorlesung folgte, gab es etwa zehn Minuten nach Beginn eine mysteriöse Durchsage, dass der heutige Unterricht, mit sofortiger Wirkung ausfiel. Gleichzeitig wurden alle Kadetten und Lehrkörper der Akademie angewiesen umgehend auf dem Exerzierplatz anzutreten.

Im Hinausgehen begab sich Miriam Rosenbaum zu Andrea, Rodrigo und Jayden und meinte aufgeregt: „Was hat das denn zu bedeuten? Ob die Konföderation ernst macht, und einen Krieg vom Zaun gebrochen hat?

Diese und ähnliche Vermutungen schwirrten von Mund zu Mund, wobei sich die Offiziere und das Personal der Sicherheit, das ungewohnter Weise in den Gängen patrouillierte, versuchten für Ruhe zu sorgen.

Es dauerte beinahe zehn Minuten, bis alle Angehörigen der Akademie auf dem Platz angetreten waren. Erstaunt stellten die Kadetten fest, dass die Flaggen der Akademie und des Imperiums auf Halbmast gesetzt waren, und Andrea von Garding orakelte düster: „Vielleicht ist der Präsident...“ Sie unterbrach sich und furchtbarer Verdacht beschlich sie.

In demselben Augenblick wandte sich Generalmajor Collins, dessen Stimme von einem nur münzgroßen Verstärker, am Kragen seiner Uniform, für alle deutlich hörbar verstärkt wurde, an die Angetretenen.

„Kadetten und Angehörige dieser Akademiesektion. Ich habe die traurige Pflicht Ihnen mitteilen zu müssen, dass Kadett Claudine Gilbert soeben tot aufgefunden worden ist. Einer der Ausbilder fand sie im Geräteraum der Turnhalle. Allem Anschein nach war es Selbstmord durch Erhängen. Ich bedauere zutiefst diesen tragischen Vorfall und vor allen Dingen die Umstände, die höchstwahrscheinlich zu dieser Verzweiflungstat geführt haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen gleichfalls mitteilen, dass wir die Anklagen gegen die Kadetten Dean Everett Corvin und Kimi Korkonnen fallen lassen müssen, aufgrund der Tatsache, dass es lediglich Indizienbeweise, aufgrund verschieden lautender Aussagen gibt, und die Hauptzeugin dazu nicht mehr befragt werden kann, was ich aus mehreren Gründen bedaure. Auf Wunsch der Familie wird der Leichnam, nach einer genauen Autopsie, zu ihren Eltern, nach Frankreich, überführt und dort beigesetzt. Ich habe beschlossen, dass ein Ehrenkommando der Akademie, deren Mitglieder ich noch benennen werde, an dieser Beisetzung teilnehmen wird. Die Trauerfeier für die Verstorbene, hier an der Akademie, findet morgen Früh statt. Zum Gedenken an die verstorbene Kameradin wird der Unterricht für den Rest dieser Woche ausgesetzt. Das wäre Alles. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit, Sie können nun wegtreten.“

Nur langsam verlief sich die Menge. Überall standen Kadetten in Gruppen zusammen und diskutierten heftig über diese schockierende Nachricht – andere Kadetten waren unfähig etwas zu sagen oder verliehen ihrer Trauer Ausdruck indem sie weinten.

Auch Miriam Rosenbaum wischte sich Tränen fort und blickte schuldbewusst zu Andrea von Garding. Leise flüsterte sie: „War es meine Schuld, Andrea? Vielleicht hätte ich sie weniger stark bedrängen sollen. Oh mein Gott...“

Die Kameradin legte ihr den Arm um die Schulter und sagte beruhigend: „Das hatte ganz bestimmt nichts mit Deiner Unterhaltung mit ihr zu tun. Ich vermute viel mehr, dass Jemand anderes sie unter Druck gesetzt hat. Bereits vorher machte sie einen sehr gehetzten Eindruck auf mich, so als würde sie unter sehr großem Druck stehen. Und ich kann mir schon denken, wer das war. Sie hat Claudine auf dem Gewissen, nicht du.“

Miriam Rosenbaum wischte sich schniefend über die Augen und Andrea von Garding sprach tröstend auf sie ein, während sie die Kameradin, gemeinsam mit Jayden Kerr vom Exerzierplatz führte. Auch in ihrem Magen schien sich ein Knoten zu bilden und mit versteinerter Miene blickte sie zu ihrem Freund.

Rodrigo Esteban, der die Freunde zwischenzeitlich aus den Augen verloren hatte, erreichte sie am Eingang zum Gebäudekomplex wieder und meinte aufmunternd: „Der einzige, schwache Lichtblick ist, dass Dean und Kimi wieder freikommen, und keine Anklage erhoben wird.“

„Nein, das ist es nicht“, widersprach Andrea von Garding heftig.

Sie beruhigte sich gleich wieder, als sie in die verständnislosen Mienen ihrer Freunde sah und erklärte mit brüchiger Stimme: „Mein Vater hat sich intensiv mit dem Flottenrecht auseinandergesetzt, während seiner Zeit bei der Flotte. Ich habe Einiges davon mitbekommen und darum weiß ich, dass diese Anklage, auch wenn sie nun nicht mehr stattfindet, trotzdem in den Dienstakten von Dean und Kimi vermerkt wird. Gelöscht worden wäre dieser Punkt nur dann, wenn es einen Freispruch aufgrund erwiesener Unschuld gegeben hätte. Dies hier aber wird ein Freispruch aus Mangel an Beweisen werden, das ist etwas ganz Anderes.“

Die Freunde blickten sich betroffen an, denn sie wussten, was das für die beiden Freunde bedeuten würde. Ihre Karrieren würden einen empfindlichen Schaden erleiden, noch bevor sie richtig angefangen hatten. Vermutlich würden sie, unabhängig von ihren Leistungen, zu einem der langweiligsten und abgelegensten Posten abkommandiert werden, die es innerhalb der Flotte gab. All ihre Anstrengungen der letzten vier Jahre waren damit quasi vergeblich gewesen.

Jayden Kerr beobachtete seine Freundin dabei, wie sie die Hände zu Fäusten ballte und Anstalten machte sich in Bewegung zu setzen. Noch bevor sie mehr als zwei raumgreifende Schritte machen konnte hatte er sie am Oberarm zu packen bekommen und zog sie zu sich herum. „Was hast du vor, zum Teufel?“

„Ich habe Dir gesagt, was ich mit dieser schlitzäugigen Schlampe anstellen werde, und du wirst mich nicht aufhalten, klar!“

„Hör auf mit diesem Wahnsinn!“, herrschte Jayden Kerr sie an und verblüfft starrte sie ihn an. Noch nie, seit sie ihn kannte, war Jayden laut geworden, oder hatte seine manchmal geradezu aufreizend wirkende Contenance verloren.

Noch während die Rotblonde ihn stumm ansah, bat Jayden Kerr sie inständig: „Bitte bleib vernünftig! Es nützt unseren Freunden doch nichts, wenn du Deine Karriere auch noch ins Weltall schießt, und das wirst du, wenn du eine Kadettin tätlich angreifst. Dazu hast du zu hart gearbeitet, und ich werde das nicht zulassen. Dean und Kimi würden das als Allerletztes für Dich wollen, denkst du nicht auch?“

Tränen der Wut rannen über die Wangen seiner Freundin und Jayden nahm sie tröstend in seine Arme. Dabei sagte er so leise, dass nur sie ihn verstehen konnte: „Aber ich werde das nicht vergessen, mein Engel, ganz bestimmt nicht, das verspreche ich Dir. Und auch wenn wir heute noch nicht an sie herankommen, so wird Kim Tae Yeon eines Tages dafür bezahlen, was sie Dean und Kimi angetan hat.“

Andrea von Garding legte ihre Hand auf seine linke Wange und blickte in hilflosem Zorn zu ihm auf. „Solange ich nur dabei sein darf...“

Jayden Kerr nickte zustimmend. Dann folgten sie ihren Freunden.

 
 

* * *

 

Dean Corvin blickte, nach einem sehr emotionalen Empfang durch die vier Freunde, ungläubig in die Runde, nachdem sie den Nachmittag dieses traurigen Tages im GREEN HILLS verbringend, ihn und Kimi Korkonnen mit dem vertraut gemacht hatten, was sie in den letzten Tagen in Erfahrung bringen konnten.

„Ich kann es immer noch nicht glauben“, bekundete Dean Corvin, wie betäubt, nachdem die Freunde geendet hatten. „So dermaßen gefühlskalt und berechnend kann ein Mensch doch nicht sein. Ich meine, sie und ich, wir haben...“

Er unterbrach sich und Kimi Korkonnen, der ahnte, was in dem Freund vorgehen musste, legte seine Hand auf dessen Schulter und blickte ihm tief in die Augen. „Ich fürchte, dass du Dich mit diesem Gedanken vertraut machen musst, Dean. Es tut mir leid.“

Der Finne beobachtete, wie sich die Gestalt des Freundes entschlossen straffte und ernster, als er ihn kannte, antwortete der Kanadier mit fester Stimme: „Nein, Kimi, mir tut es leid. Ich habe Dich da mit hineingezogen, durch mein leichtfertiges, oder einfach auch nur unbedachtes Verhalten. Meine Unentschlossenheit und mein Umgang mit Tae Yeon haben das alles letztlich ausgelöst, und mit dieser Tatsache muss ich leben.“

„Du trägst keine Schuld, mein Freund.“

Corvin lächelte bitter. „Ich weiß, wie du es meinst, und in dieser Hinsicht hast du Recht, doch das ändert nichts daran, dass es mein Dickkopf und mein Verhalten gewesen sind, weshalb dies alles letztlich so passiert ist, wie es passiert ist. Und damit trage auch ich einen Teil der Verantwortung.“

Dean Corvin wirkte plötzlich reifer und erwachsener, als er ruhig fortfuhr: „Aber ich werde die Lehre daraus ziehen. Nie wieder werde ich so dermaßen naiv sein, und nie wieder so leichtgläubig einer oder einem Fremden vertrauen.“

Der Blick, den der Kanadier anschließend in die Runde warf, nahm seinen Kameraden die Lust daran, seine Worte zu kommentieren, und so nickten sie schließlich nur vage und ließen seine Worte unkommentiert.

Für eine Weile blieb es still am Tisch bevor Rodrigo es war, der das Thema wechselnd in Richtung Corvin fragte: „Was tun wir in Bezug auf Tae Yeon. Ich meine, wir können doch nicht einfach auf sich beruhen lassen, dass sie damit durchkommt.“

„Momentan können wir nur genau das tun“, widersprach der Kanadier, noch immer so unnatürlich ruhig, wie zuvor. „Aber du kennst das Sprichwort, Rodrigo: Man sieht sich immer zweimal im Leben.“

Es klang wie ein Versprechen, voller finsterer Vorahnungen und seelischer Abgründe, und Rodrigo Esteban erschauderte für einen kurzen Augenblick. Ein ganz ungutes Gefühl sagte ihm, dass dieses Thema noch längst nicht endgültig abgeschlossen war.

Kimi blickte in die Runde und sagte endlich auffordernd: „Schluss jetzt mit diesen finsteren Gedanken, Freunde. Ich, genauso wie Dean, werde den Weg gehen, der mir vorbestimmt ist, daran glaube ich fest. Niemand kann heute schon sagen, was die Zukunft für uns noch alles bereit hält. Also Schluss jetzt mit all den Racheplänen und Mordgedanken, denn das sind im Grunde nicht wir, meine Freunde.“

Sie hoben ihre Gläser und tranken darauf.

Miriam Rosenbaum, die in den letzten Minuten immer unruhiger geworden war, blickte zu Kimi Korkonnen und meinte verlegen: „Ist vielleicht nicht der beste Augenblick für dieses Thema, Kimi, aber ich wollte Dich fragen, ob du bereits eine Partnerin für den Akademie-Ball hast?“

„Nun ja, da gibt es eine junge Frau, die ich aber bisher noch nicht gefragt habe.“

Auf dem angespannten Gesicht der Kameradin zeichnete sich ein enttäuschter Zug ab, bei seinen Worten, und der Finne beeilte sich hinzuzufügen: „Du bist diese Frau, Miriam.“

Ihr Gesicht leuchtete förmlich auf. Sie blickte fragend zu Dean Corvin.

Der Kanadier, der ihren Blick bemerkte hob seine Hände und meinte: „Ich bin da raus, Leute. Vermutlich werde ich gar nicht hingehen.“

„Oh, doch, das wirst du!“, widersprach Andrea von Garding bestimmt. „Ansonsten wird es nämlich so aussehen, als habe es einen triftigen Grund dass du fehlst, und diese Genugtuung wirst du Tae Yeon nicht gönnen, verstanden? Und wenn du nicht freiwillig hingehst, dann werde ich Dich hin schleifen!“

„Dann werden wir Dich hin schleifen“, verbesserte Jayden Kerr seine Freundin.

Dean Corvin grinste schief, als er die innere Übereinstimmung zwischen Jayden und Andrea spürte, und etwas neidisch entfuhr es ihm: „Ihr habt euch wirklich gesucht und gefunden, schätze ich.“ Dann blickte er in komischer Verzweiflung zu dem Madrilenen und erkundigte sich spöttisch: „Kennst du vielleicht ein paar nette Zwillinge, Don Rodrigo?“

Esteban schüttelte seinen Kopf. „Den verdammten Spitznamen habe ich, seit unserer Zeit auf der Venus, nicht mehr gehört. Ich dachte, der wäre längst untergegangen.“

Corvin schnitt eine Grimasse. „Das dachtest aber auch nur du. Also keine netten Zwillinge. Vielleicht ist es besser so. Wer braucht schon den ganzen Ärger.“

„He, mal etwas weniger verbittert“, beschwerte sich Miriam Rosenbaum bei ihm. Außerdem weißt du doch, dass bei diesem Ball alle angehenden Offiziere und Unteroffiziere aller Sektionen anwesend sein werden, und unter diesen tausenden anwesender, junger Frauen wird bestimmt auch wenigstens eine dabei sein, die etwas taugt, meinst du nicht? Vielleicht lernst du an dem Abend ja Deine ganz große Liebe kennen.“

Dean Corvins Miene sprach Bände, als er den Blick der Freundin erwiderte und zweifelnd zurück gab: „Das glaube ich zwar im Leben nicht, aber es ist nett, dass du mich aufmuntern willst. Bitte lass das.“

Er wurde fast übergangslos ernst, und bevor Kimi Korkonnen, der ihn besorgt musterte, eine entsprechende Frage stellen konnte, sagte er von sich aus: „Ich möchte, dass wir auf Kadett Claudine Gilbert trinken, und dass wir ihrer gedenken, solange wir leben. Ich sehe sie als das Opfer einer infamen Intrige, die mir gegolten hat, und in die sie unverschuldet hinein geraten ist, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Das sind wir ihr schuldig, denke ich.“

Die Freunde nickten und hoben ihre Gläser.

„Auf Claudine Gilbert.“

Sie leerten ihre Gläser und sahen sich an, wobei die Kadetten merkten, wie ernst Dean Corvin die Worte gewesen waren.

Es war Kimi Korkonnen, der nach einem langen Moment bekräftigend zu seinem besten Freund sagte: „Du hast Recht, Dean, denn sie war, wenn auch sehr in sich gekehrt, eine von uns und deswegen dürfen wir sie nie vergessen.“

ABSCHIED

 Obwohl es mehr als fraglich war, ob es überhaupt etwas bringen würde, strengten sich sowohl Dean Corvin, als auch Kimi Korkonnen, bis zum Ende des Semesters weiterhin an, und beide legten ihre Prüfungen mit sehr guten Noten ab. Schon allein um allen Kommilitonen und Vorgesetzten anzuzeigen, dass sie wirklich unschuldig an den zurückliegenden, tragischen Ereignissen waren. Dabei hatte sich Dean Corvin mehr als einmal eisern beherrschen müssen, um sich nicht irgendwann, von Zorn übermannt, zu vergessen und Tae Yeon einfach mit bloßen Händen zu töten.

Die Koreanerin ihrerseits war Corvin weitestgehend aus dem Weg gegangen, was vermutlich dazu beigetragen hatte Schlimmeres zu verhindern.

Andrea von Garding hatte als Jahrgangsbeste abgeschnitten und sie durfte sich, ebenso wie ihr Freund Jayden Kerr, der an fünfter Position liegend abschloss, aussuchen, wo sie im Anschluss Dienst tun würde.

Vor zwei Tagen, am Freitag den 25. Mai 3218, waren die offiziellen Beförderungen, in den Rang des Leutnants, ausgesprochen worden, und so trugen die ehemaligen Kadetten nun alle ihre brandneuen Rangabzeichen – einen von oben rechts, nach unten links beidseitig angeschrägten, silbernen Querbalken, mit einem goldenen, hochkant stehenden Balken, der den silbernen mittig kreuzte. Dabei hatte sich in negativem Sinn für Dean Corvin und seinen besten Freund herausgestellt, dass auf die Flottenprotokolle Verlass war. Das Oberkommando der Flotte würde sie zum Saturnmond Titan versetzen – zum Nachschubdepot der Flotte. Der langweiligste Posten im gesamten Sonnensystem, vielleicht sogar im gesamten Imperium.

Nichtsdestotrotz waren sie, zusammen mit ihren Kameraden, hierher nach Casablanca gekommen, um an dem hier traditionell stattfindenden Akademie-Ball teilzunehmen. Seit langer Zeit schon galt Casablanca als die Perle von Afrika, und jetzt, da Dean Corvin zum ersten Mal in seinem Leben hier war, verstand er auch wieso.

Das Stadtzentrum des modernen Casablanca wurde von einem weiten, achteckigen Platz beherrscht, dem Oktogon, in dessen Zentrum sich eine originalgetreue Nachbildung des ersten irdischen, interstellaren Raumschiffs in den Himmel reckte. Am Rande dieses zweihundertfünfzig Meter durchmessenden Platzes reihten sich Café´s, Lokale und Boutiquen die von zahllosen Einwohnern oder Touristen aus allen Bereichen des Imperiums frequentiert wurden. Alle Häuser, Geschäfte und andere Gebäude erhoben sich in weißem Stein und Kunststoff, kunstvoll von Glasfronten und transparenten Bauelementen durchsetzt. Großzügig angelegte Blumenbeete oder Baum-Alleen lockerten das Bild auf und gaben der Stadt farbige Akzente. Lediglich einige historische Viertel der Stadt, darunter das Hafenviertel, waren so belassen worden, wie sie vor mehr als eintausend Jahren gewesen waren. Sie standen unter Denkmalschutz und auch dort tummelten sich die Touristen. Von dem Slumgürtel, der die Stadt bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts umgeben hatte war heute nichts mehr zu sehen – die sozialen Probleme, die zu dieser Zeit dort herrschten gehörten längst der Vergangenheit an. Heute war Casablanca ein moderne und architektonisch beeindruckende Stadt mit einem reichhaltigen kulturellen Angebot und einer überdurchschnittlich hohen Lebensqualität.

Nachdem Dean Corvin, am späten Nachmittag mit seinen Freunden über das Oktogon geschlendert war, hatten sie den Rest des Tages, bis zum Abend, in einem der zahlreichen Café´s verbracht, bevor sie zur Großen Festhalle, unweit des Platzes aufbrachen. Unterwegs trafen sie auf weitere Uniformierte, überwiegend Unteroffiziere und frisch beförderte Leutnants die ebenfalls auf dem Weg zur Halle waren. Sie gehörten überwiegend, wie an den blauen Seitenstreifen ihrer Uniformjacken, Hosen und Röcken zu erkennen war, zu einer Technischen Einheit.

Unwillkürlich fiel Dean Corvins Blick auf seine eigenen orangen Streifen auf den Ärmeln seiner Uniformjacke. Sie standen für Lager, Transport und Logistik.

Andrea von Garding, die diesen Blick bemerkte und die wusste, dass er davon geträumt hatte, so wie sie und Jayden, nach dem Abschluss die gelben Streifen des fliegenden Personals zu tragen, stieß ihn unauffällig an und meinte leise: „Lass den Kopf nicht hängen, wer weiß, was noch alles passiert in Deinem Leben. Bei Deinen, und auch bei Kimis, Noten wird man einen Versetzungsantrag zu einem Flottenschiff bestimmt annehmen, sobald etwas Gras über diese leidige Sache mit der Anklage gewachsen ist. Nach spätestens fünf Jahren wird der Eintrag, betreffs dieser vermaledeiten Anklage, gelöscht werden, sofern ihr zwei euch tadellos verhaltet. Also Kopf hoch.“

„Fünf Jahre...“ Der Kanadier ballte seine Hände zu Fäusten.

Die Kameradin legte eine Hand auf seinen Unterarm. „Lass uns das wenigstens für heute Abend ausblenden, in Ordnung?“

Corvin nickte, mühsam beherrscht und sein Blick fiel dabei auf seinen Freund Kimi, der dieselben orangen Streifen auf seiner Uniform trug, wie er selbst. Wenigstens blieben sie beide vorerst zusammen, das war ein Trost für ihn.

Zusammen mit den Offizieren und Unteroffizieren, die unterwegs zu ihnen gestoßen waren, schritten sie die breite Freitreppe zum Eingang der Halle hinauf, ein beeindruckendes, asymmetrisches Gebäude, das von einem weiten, verwinkelten Park umgeben wurde. Dabei stieß Dean Corvin versehentlich eine junge, dunkelhäutige Frau, mit auffallend kurzem Haar, an, und er wollte bereits zu einer Entschuldigung ansetzen, als sich ein Techniker, mit den Insignien eines Unteroffiziers, zwischen ihn und die junge Frau drängte, und ihn giftig ansah.

„Ich rate Ihnen dazu, nicht meine Freundin anzumachen, Herr Leutnant.“

Corvin erwiderte den Blick des etwas beleibten, blassen Mannes, der bei der Verteilung der Nase und der Ohren offensichtlich zweimal hier gerufen hatte. Mindestens zweimal… Der Kanadier hob mit leichter Verärgerung über diese rüde Ansprache die Augenbrauen und fragte: „Wer, zur Hölle, sind Sie?“

„Mein Name ist Rene B. Schobelgruber; und diesen Namen merken Sie sich mal besser, Herr Leutnant.“

In die wässerig-blauen Augen des Beleibten blickend erwiderte Dean Corvin spöttisch: „Oh ja, ab sofort werde ich nichts anderes mehr tun, als herumlaufen und mir Ihren Namen merken, Herr Unteroffizier.“

Bevor der unfreundliche Techniker etwas darauf erwidern konnte hatte Corvin ihn stehen gelassen und sich wieder zu seinen Kameraden gesellt.

Jayden Kerr, der diese kleine Szene am Rande mitbekommen hatte, grinste offen, als der Freund an seiner Seite auftauchte und fragte schmunzelnd: „Schließt du schon wieder Freundschaften auf Dean-Corvin-Art?“

Corvin runzelte unwillig die Stirn. „Was kann denn ich dafür, dass sich dieser Typ für den Star dieser Veranstaltung hält?“

Er blickte über die Schulter nach hinten und bekam mit, wie die Dunkelhäutige heftig mit dem Beleibten diskutierte. Offensichtlich war auch sie nicht von dessen Benehmen angetan. Dann verlor er die Beiden aus den Augen und hakte diesen unerfreulichen Vorfall innerlich ab. Trottel gab es offensichtlich eben immer und überall.

Zu ihrer gelinden Überraschung stellten Dean Corvin und seine Freunde fest, dass das Innere der Festhalle nicht aus einem einzigen riesigen Saal bestand, sondern aus einem Dutzend kleinerer Festhallen, die auf verschiedenen Ebenen und über ein sinnverwirrendes System aus Treppen und kleinen Gängen mit einander verbunden waren. Sie machten einen Treffpunkt in einer der kleineren Hallen aus, an dem sie sich in spätestens drei Stunden wieder einfinden wollten, bevor sie sich endgültig trennen würden. Ihre persönliche Habe und Ausrüstung war bereits mit Transportschiffen unterwegs zu ihren zukünftigen Standorten.

Miriam Rosenbaum blickte Kimi Korkonnen auffordernd an, und dieser wusste was sich gehörte. Er forderte sie zum Tanz auf und gemeinsam tauchten sie in der Menge unter.

Andrea von Garding und ihr Freund taten es den Beiden nach und mit schiefem Grinsen meinte Corvin zu Rodrigo Esteban: „Was hältst du davon, wenn wir zwei uns erst einmal etwas zu trinken besorgen, Don Rodrigo?“

„Für einen Moment hatte ich tatsächlich befürchtet, du würdest mich jetzt auch zum Tanzen auffordern“, lachte der Kamerad. Sie bahnten sich gemeinsam einen Weg durch die Menge und hatten die Halle bald hinter sich gelassen.

Sie besorgten sich ein Bier an der Bar und stießen miteinander an. Nach einem langen Schluck meinte Corvin, mit einem Blick auf die blauen Streifen an Estebans Uniform. „Du hast es also tatsächlich geschafft Deinen gemütlichen Posten zu bekommen, in der Planungs- und Entwicklungs-Abteilung der Luna-Werften. Meinen Glückwunsch.“

Die braunen Augen des Madrilenen drückten Zufriedenheit aus. „Ja, da wollte ich von Anfang an hin. Hätte fast nicht geklappt, wenn nicht in letzter Minute einer der Kadetten, der da auch hin wollte, sich anders entschieden hätte. Ich werde an der Entwicklung neuer Kreuzer-Typen mitarbeiten, ist das nicht toll?“

„Ich freue mich für Dich“, nickte Corvin. „Für mich wäre das allerdings nichts. Na ja, mal abwarten, vielleicht ist Titan gar nicht so schlimm.“

„Sei froh, dass es da nicht mehr so aussieht, wie vor tausend Jahren.“

Corvin nickte. „Da sagst du was.“

Sein Blick folgte dem des Freundes, als er bemerkte, dass dieser schon seit einiger Zeit starr über seine Schulter blickte. Er erkannte zwei junge Frauen, beide im Rang eines Unteroffiziers, von denen die höher gewachsene, blonde Frau ihn interessiert ansah, als er sich umwandte.

„Komm, Don Rodrigo“, meinte der Kanadier. „An unserem letzten Abend auf Terra wollen wir uns wenigstens nochmal amüsieren.“

Sie stellten ihre Gläser ab und begaben sich zu den beiden jungen Frauen, die Dean Corvin auf nicht älter als achtzehn Jahre schätzte. Jünger konnten sie definitiv nicht sein, da das Mindesteintrittsalter um in den Flottendienst einzutreten bei sechzehn Jahren lag, und die Ausbildung zum Unteroffizier exakt zwei Jahre in Anspruch nahm.

Dean Corvin bekam mit, wie Rodrigo sich der dunkelhaarigen Freundin der blonden Frau vorstellte, während er sie ansprach. „Guten Abend, mein Name ist Dean Corvin. Hätten Sie Lust zu tanzen, Unteroffizier…?“

„Tabea Carrick“, lächelte die junge Frau und fuhr sich mit der linken durch das schulterlange, strohblonde Haar. „Und ja, Leutnant Corvin, ich würde sehr gerne tanzen.“

Corvin bot Tabea Carrick seinen Arm an und führte sie auf die Tanzfläche.

Einige Meter entfernt stand die junge Technikerin, die Dean Corvin am Eingang versehentlich angestoßen hatte und blickte ihm und der blonden Technikerin nach. Sie hatte sich bei ihm für das rüpelhafte Verhalten ihres Kameraden, der nicht ihr fester Freund war, wie er vorgegeben hatte, entschuldigen wollen. Dabei dachte sie: Eigentlich schade, dass wir uns nur fast kennengelernt haben, Leutnant.

Davon nichts mitbekommend blickte Dean Corvin seine Tanzpartnerin eingehend an. Sie schien ganz nett zu sein, doch seine traumatischen Erlebnisse mit Kim Tae Yeon verhinderten, dass er ernsthaft mit Tabea Carrick flirtete. Schließlich war sie es, die das Schweigen brach und meinte: „Wie ich sehe haben Sie sich dazu entschieden im Bereich Logistik, Nachschub und Transport tätig zu sein. Dabei machen Sie auf mich den Eindruck, als würde das nicht wirklich zu Ihnen passen, Leutnant Corvin.“

„Bitte nennen Sie mich Dean, wir sind schließlich nicht im Dienst.“

„Sehr gerne, Dean. Aber nur, wenn Sie mich ihrerseits Tabea nennen.“ Sie lächelte ihn offen an.

„Dann haben wir den Punkt schon einmal geklärt“, schmunzelte der Kanadier. „Aber um auf ihre Bemerkung von eben zurück zu kommen. Ich wollte ursprünglich zum fliegenden Personal. Meine Abkommandierung nach Titan ist eine sehr lange Geschichte, über die ich heute Abend eigentlich nicht reden möchte.“

„Sagten Sie Titan?“ Ein freudiger Zug überflog das Gesicht der Technikerin. „Dahin werden ich und meine Freundin auch versetzt. Dann werden wir uns also wahrscheinlich zukünftig öfter über den Weg laufen, Dean.“

Das irgendwie zufriedene Gesicht des Kanadiers sprach für sich. Er nutzte beim Tanzen die Gelegenheit sein Gegenüber eingehender zu betrachten.

Tabea Carrick war vielleicht zwei Finger breit kleiner gewachsen, als er selbst. Das war vermutlich auch der Grund dafür, dass sie sich gegen die Uniform-Variante mit Rock und etwas höheren Schuhen entschieden hatte, und stattdessen Hosen trug, zu denen flache Schuhe getragen wurden. Sie machte einen athletischen Eindruck auf ihn, was der feste Griff ihrer Hand noch unterstützte.

„Darf ich Sie etwas persönliches fragen, Dean?“

Die Worte seiner Tanzpartnerin rissen Dean Corvin aus seinen Überlegungen. Er nickte knapp und meinte: „Kommt darauf an.“

Die junge Frau legte den Kopf etwas schräg und ihre azurblauen Augen blickten neugierig, als sie sich erkundigte: „Sind Sie nicht in Begleitung gekommen? Ich meine, Sie sehen wirklich gut aus, und da frage ich mich natürlich warum.“

Dean Corvin lächelte bitter und überlegte, ob er Tabea Carrick davon erzählen sollte. Die junge Technikerin machte jedoch einen so offenen und ehrlichen Eindruck auf ihn, dass er schließlich sagte: „Sehen Sie, Tabea, meine erste große Liebe hat mich abblitzen lassen, und meine zweite hat mir das Herz herausgerissen und mich obendrein verraten und verkauft. Letzteres gehört zu der schon erwähnten, langen Geschichte. Wie klingt das für Sie?“

„Etwas schräg, um es vorsichtig zu formulieren“, schmunzelte Tabea Carrick. „Zumindest erklärt das Ihre offensichtliche Zurückhaltung mir gegenüber. Ich hatte schon befürchtet, ich würde Sie langweilen.“

„Nein, überhaupt nicht“, beeilte Corvin sich zu versichern. „Sie sind wirklich toll, es ist eher weil...“

Die junge, blonde Frau lachte auf und schlug ihm herzhaft mit der flachen Hand auf die Brust. „Hören Sie, Dean, ich hatte nicht die Absicht mich gleich heute Abend in irgendeine wilde Geschichte zu stürzen, mit Ihnen.“

„Ach nein?“

Tabea Carrick schüttelte amüsiert den Kopf, wobei sie sich bemühte, nicht erneut zu lachen. „Ich wünschte, Sie könnten Ihr Gesicht sehen. Sie sehen aus als hätten Sie gerade einen Frosch verschluckt.“

Corvin grinste gezwungen. „Ich fühle mich auch so.“

Die Blondine musterte ihn mit unschuldigem Augenaufschlag und erkundigte sich übertrieben harmlos: „Sind Sie jetzt enttäuscht?“

„Nur etwas“, antwortete Dean Corvin wahrheitsgemäß. „Andererseits beruhigt mich, dass Sie nicht aggressiv mit mir flirten und wie ein Orkan über mich hereinbrechen.“

Etwas ernster werdend erklärte Tabea Carrick: „Das wird bestimmt nicht passieren, Dean. Sie haben Ihrerseits nicht gefragt, darum denke ich, dass ich Ihnen von mir aus sagen sollte, dass ich in festen Händen bin. Leider konnte Manu heute nicht hier sein, da er Stabsunteroffizier auf dem Leichten Kreuzer STURMBRINGER ist, und momentan mit ihm im Delta-Cephei-Sektor unterwegs.“

„Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie zwei sich bald wiedersehen werden, und dass die Konföderation ihr Säbelrasseln nicht ernsthaft weiterverfolgen wird.“

Die Technikerin lächelte dankbar. „Ja, das hoffe ich auch. Vielleicht ist es Ihnen ein kleiner Trost, wenn ich Ihnen sage dass Sie mir sehr sympathisch sind, und dass die Angelegenheit vielleicht anders aussehen würde, wäre ich nicht glücklich vergeben.“

Corvin lächelte unmerklich. „Durchaus, Tabea. Immerhin haben wir auf Titan vielleicht die Gelegenheit eine echte Freundschaft aufzubauen, denn Sie sind mir auch sehr sympathisch.“

Ein Lächeln, dass sich auch in ihren Augen wiederfand, überflog ihre Lippen und zustimmend gab sie zurück: „Das ist doch ein sehr guter Anfang, finden Sie nicht?“

Befreit lachend erwiderte Corvin: „Ja, das stimmt allerdings. Zumindest scheint mir der Posten auf Titan jetzt längst nicht mehr so trübe und trostlos, wie noch vor einigen Stunden.“ Er blickte seine Tanzpartnerin fragend an und fragte: „Möchten Sie vielleicht etwas trinken, Tabea?“

„Sehr gerne.“

Sie verließen die Tanzfläche und begaben sich zur nächstgelegenen Bar, wo sie Rodrigo und Tabea Carricks Freundin, lebhaft mit einander plaudernd, wiedertrafen. Die blonde Technikerin stellte Dean Corvin ihre mexikanische Freundin als Nayeli Gabriela García Herández vor.

„Ach du meine Güte“, lachte Dean Corvin. „Ich wollte eigentlich nicht noch den gesamten Familienstammbaum erfahren.“

Tabea Carrick stieß ihn sachte mit der Schulter an und mahnte augenzwinkernd: „Nicht ganz so ironisch, Leutnant Corvin.“

Sie lachten sich an und die Technikerin machte Corvin mit ihrer Freundin bekannt, an der Rodrigo Esteban offensichtlich Gefallen gefunden hatte. Und sie auch an ihm.

Gemeinsam verbrachten sie den gesamten Abend miteinander, und am Ende war Dean Corvin froh, dass er entgegen seinem ursprünglichen Plan, doch hierher gekommen war.

 
 

* * *

 

Beinahe bedauernd hatte sich Dean Corvin, als der Ball sich dem Ende nahte, von Tabea Carrick verabschiedet, als sie zusammen mit ihrer Freundin die Veranstaltung verließ. Doch bereits in weniger als zwei Stunden schon würden sie gemeinsam mit einem Transportschiff der Terranischen Flotte zum Titan aufbrechen, und so war es nur ein Abschied für relativ kurze Zeit.

Corvin blickte auf das Chrono-Feld seines MFA und ihm wurde bewusst, dass es höchste Zeit wurde, sich von Andrea und Jayden zu verabschieden, deren Schiff, dass sie zu einem der lunaren Flottenstützpunkte bringen würde, eine halbe Stunde vor dem Transporter zum Titan, aus dem Erdorbit, starten würde.

Da schon eine Reihe der Ballbesucher gegangen waren dauerte es nur kurze Zeit, bis Dean Corvin und Rodrigo Esteban ihre Freunde wiedergefunden hatten. Mit großem Hallo wurden sie von den Freunden empfangen und Andrea von Garding stellte aufgesetzt vergnügt fest: „Wenn ich das zwischenzeitlich richtig beobachtet habe, dann habt ihr zwei Ausreißer euch prächtig amüsiert, oder irre ich mich?“

„Wir haben neue Freundschaften mit zukünftigen Kameradinnen geschlossen“, gab Dean Corvin ihr Recht.

„Kameradinnen für dich“, murrte Esteban. „Ich werde Nayeli erst einmal für eine Weile nicht wiedersehen.“

Die Worte des Madrilenen erinnerte die Freunde daran, dass der Moment des Abschieds nun auch unwiderruflich für sie herangekommen war. Es war schließlich Andrea von Garding, die erst Kimi Korkonnen und danach Dean Corvin in die Arme nahm und ihnen beiden das Versprechen abnahm, dass sie regelmäßig via Interstellar-Kommunikation von sich hören lassen würden. Gespielt finster drohte sie ihnen: „Wehe wenn ich nicht regelmäßig Nachricht von euch beiden bekomme.“

Miriam Rosenbaum verabschiedete sich ganz ähnlich von den beiden Freunden, wobei sie allerdings deutlich länger Kimi in ihren Armen hielt. Jayden Kerr und Rodrigo Esteban beließen es hingegen bei einem festen Händedruck und einem kameradschaftlichen Schulterklopfen. Sie wünschten einander alles Gute für die Zukunft.

Etwas wehmütig in die Runde blickend sagte Dean Corvin abschließend: „Das waren schon vier verdammt turbulente, verrückte Jahre mit euch allen, und ich werde euch alle sehr vermissen, Freunde. Ihr seid die besten Freunde und Kameraden, die es gibt, und ich bin sehr stolz darauf euch alle kennengelernt zu haben. Ihr alle seid ein Teil von mir geworden.“

Dean Corvin hatte ausgesprochen, was seine fünf Freunde ebenfalls dachten, und alle wirkten gerührt bei seinen Worten. Stumm blickten sie einander in die Augen, die stille Versprechen ausdrückten.

Gemeinsam begaben sie sich endlich zum Ausgang der Festhalle. Am Fuß der Halle blickten sie sich, mit glänzenden Augen, nochmal an und das Herz wurde ihnen schwer.

Mehr als einmal musste Dean Corvin schlucken, und er bemerkte, dass es Kimi ganz ähnlich ging, als sich die übrigen Vier endgültig auf den Weg machten. Lange sahen sie ihnen nach, bis sie, an einem dafür vorgesehenen Platz, in einen Mietgleiter gestiegen waren, der beinahe lautlos abhob und sich schnell entfernte.

Tief durchatmend sah Corvin seinem Freund schließlich in die Augen und fragte: „Wann werden wir unsere Freunde wiedersehen, Kimi? Ich vermisse sie bereits jetzt.“

Der Finne nickte, und erst nach einer ganzen Weile antwortete er: „Ja, ich auch.“ Dann ging ein Ruck durch den Blonden, und etwas heiterer erinnerte er den Freund: „Du hast bereits zwei zukünftige Kameradinnen kennengelernt, sagtest du vorhin?“

Dean Corvin lächelte, obwohl ihm im Moment nicht danach war. „Du sagst es. Komm, brechen wir auch auf, dann stelle ich sie dir vor, sobald wir den Transporter zum Titan erreicht haben.“

Gemeinsam schritten die beiden Freunde zu dem Gleiter-Platz hinüber, einer ungewissen Zukunft entgegensehend…

UNEBENHEITEN

Feldwebel Rian Onoro blickte durch die hohen Panzerglasscheiben des Kontrollraums auf den fast fertigen Leichten Kreuzer, NOVA SOLARIS, der im Fertigungs-Dock der hoch geheimen ABTEILUNG-III, im Herzen der Leibnitz-Gebirge-Werft lag. Von Außen betrachtet unterschied sich der Kreuzer nicht von anderen Kreuzern dieser Größenklasse. Auch er besaß, inklusive der vorderen vier Antennen-Pods, eine Länge über Alles von insgesamt 397 Metern. Dabei entfielen auf den reinen Schiffskörper nur 354 Meter, bei einer Höhe von 66 Metern und einer Breite von 50 Metern. Die Unterschiede zu anderen Raumschiffen dieser Klasse lagen eher innerhalb seiner Hülle verborgen. Normalerweise war eine Crew von insgesamt 195 Personen nötig um einen Leichten Kreuzer voll operations- und gefechtsbereit zu machen. Die NOVA SOLARIS benötigte hingegen, durch den Einsatz neuester Automatiken und Computersysteme, lediglich 110 Crewmitglieder. Dazu kamen die neuesten Schildgeneratoren und Antriebsprojektoren in Kompaktbauweise, die um beinahe fünfzig Prozent leistungsfähiger waren, als ihre Vorgänger-Geräte, obwohl sie kaum mehr als 80 Prozent von deren Volumen beanspruchten. Auch die Energieerzeuger an Bord waren kleiner und leistungsfähiger geworden, so dass allen Systemen an Bord dieses Kreuzers mehr Energie zur Verfügung stand. Auch die Doppelgeschütze der zehn drehbaren Waffentürme des Kreuzers hatten die Ingenieure der ABTEILUNG-III stark verbessert. Die phasengesteuerten Plasmakanonen besaßen zusammen nun mehr Feuerkraft als die eines Schweren Kreuzers, und kaum ein Mensch außerhalb dieser Abteilung ahnte etwas davon.

Bedingt durch die Tatsache, dass momentan die Aggregate des Schiffes noch nicht von den an Bord befindlichen Konsolen, sondern von diesem Kontrollraum aus, gesteuert wurden, liefen unzählige, abgeschirmte Strom und Datenkabel, von klobig aussehenden Sammel-Verteilern aus, zu dem elegant aussehenden Raumschiff. Durch die metallene Struktur des Kreuzers hindurch, dort wo bisher noch etwa fünfzig Prozent der Panzer-Plattierung der Außenhülle fehlte, liefen die Kabel zu den Aggregat-Steuerungen der Schiffssysteme. Erst wenn diese Aggregate fehlerfrei liefen würde man sie an die Bordkonverter anschließen. Doch davon war man an diesem Freitag den 13. November 3220 noch ein ganzes Stück weit entfernt.

Seit Sommer 3218 war Rian Onoro nun bereits hier auf Luna als Technikerin tätig. Zunächst im Rang eines Unteroffiziers erkannten die Vorgesetzten der gebürtigen, Tansanierin ihr großes technisches Verständnis, und bereits im Jahr 3219 wurde sie in den Rang eines Stabsunteroffiziers befördert. Etwa zu demselben Zeitpunkt erfolgte, nach einer intensiven Sicherheitsüberprüfung, ihre Versetzung in diesen hoch geheimen Bereich der Luna-Werften, in dem an den modernsten und innovativsten Neubauten der Flotte gearbeitet wurde - unter Anderem an diesem Prototyp eines neuartigen Leichten Kreuzers. Dabei war der sportlichen Afrikanerin Leutnant Kim vom Geheimdienst in unguter Erinnerung geblieben. Die Asiatin hatte ihre Loyalität auf beinahe perfide Art und Weise auf die Probe gestellt, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte sie sich vergessen, und diesen anmaßenden Offizier des Geheimdienstes kräftig in den Hintern getreten.

Vor etwa einem Monat war ihre vorzeitige Beförderung zum Feldwebel ausgesprochen worden, aufgrund ihrer exzellenten Leistungen und ihres vorbildlichen Einsatzes. Damit hatte sie gleichzeitig ihr eigenes Technik-Team bekommen, trotz einiger Bedenken ihrer vorgesetzten Offiziere in Bezug auf ihr gelegentlich überschäumendes Temperament, durch das sie zu Beginn bereits einige Male mit verschiedenen Kameraden aneinander geraten war. Doch mit dieser Beförderung, die ihr ungeheuren Auftrieb und sehr viel zusätzliches Selbstvertrauen verlieh, hatte sie sich vorgenommen ihr Temperament fortan noch besser in den Griff zu bekommen. Denn sie wollte unbedingt in dieser Abteilung, in der es für sie die höchsten technischen Herausforderungen gab, bleiben. Schon als kleines Mädchen hatte Rian Onoro ihre sämtlichen Spielsachen in deren Einzelteile zerlegt, um sie später sehr geschickt wieder zusammenzusetzen – das war ihre Passion geblieben, wenn auch mittlerweile in einer ganz anderen Dimension.

Rian Onoro war zwar mit dem Segen ihrer Eltern Technikerin der Flotte geworden, doch sie hatte stets gespürt, dass beide sich einen anderen beruflichen Werdegang für sie gewünscht hätten. Einer, der sie öfter Nachhause gebracht hätte.

Die vollen Lippen der Technikerin verzogen sich zu einem etwas missmutigen Grinsen, wenn sie daran dachte, dass ihre beiden Schwestern so ganz anders waren, als sie selbst. Sinera und Enara waren beide erfolgreich in der Modebranche tätig und verdienten geschätzt mehr als das Doppelte dessen, was sie selbst als Sold bekam. Gelegentlich gab ihr dieses Wissen darum das Gefühl, das schwarze Schaf der Familie zu sein, und das nicht unbedingt nur optisch. Trotzdem hätte sie zu keinem Moment mit ihren beiden älteren Schwestern tauschen wollen.

Die Dunkelhäutige wurde abgelenkt, als einer der sieben Techniker ihres Teams, die ebenfalls im Kontrollraum tätig waren, von seinem Kontrollpult aus, über die Schulter zu ihr blickte und meldete: „Es ist Alles klar für den vorbereiteten Probelauf der neuen Antriebsaggregate, Feldwebel. Wir können auf Ihr Kommando hin beginnen.“

Rian Onoro fand schnell in die Wirklichkeit zurück und erwiderte: „Probelauf mit fünfzig Prozent der maximal möglichen Energieaufnahme starten und danach langsam auf achtzig Prozent steigern. Wir wollen ja nicht, dass uns die Aggregate gleich beim ersten Versuch um die Ohren fliegen.“

„Beim wievielten Versuch wäre es Ihnen denn genehm, Feldwebel?“, erkundigte sich ihr Stellvertreter, Stabsunteroffizier Frank Rhode mit Unschuldsmiene. Er arbeitete nun seit gut achtzehn Monaten eng mit Rian Onoro zusammen und er wusste, dass sie seinen etwas schrägen Humor zu nehmen wusste. Dabei nahm er den stets leicht rauen Klang ihrer Stimme kaum noch bewusst wahr. Zu Beginn ihrer täglichen Zusammenarbeit hatte Rian Onoro dadurch auf ihn einen etwas unnahbaren Eindruck auf ihn gemacht. Doch im Laufe der Zeit hatte Rhode herausgefunden, dass diese Äußerlichkeit über Rian Onoros wahres Wesen hinwegtäuschte, denn hinter ihrem explosiven Gemüt steckte ein sehr herzlicher, wenn auch gleichzeitig sehr zielstrebiger, Mensch.

Die jetzt eher energisch wirkende Frau warf ihrem Kollegen einen mahnenden Blick zu und ließ seine Bemerkung unkommentiert. Rhode, der diese seltene und allgemein untypische Stille des Feldwebels bereits kannte, und sie insgeheim Rian Onoros Ruhe vor dem Sturm nannte, beeilte sich wieder konzentriert seiner Aufgabe nachzugehen. Er rief über den Holoprojektor seiner Steuerkonsole die komplexen Schalt- und Fluss-Diagramme auf, die er bei diesem Probelauf überwachen sollte. Bei ihnen handelte es sich, in diesem Fall, um so genannte Form-Holos. Im Gegensatz zu normalen Hologrammen konnten hier bestimmte Schaltungen direkt im Hologramm selbst vorgenommen werden, es entfiel also der Umweg über eine externe Eingabequelle.

Einige seiner Kollegen hatten zusätzlich blass-blau leuchtende Form-Holo-Tastaturen, mit sich orangegelb abhebenden Schrift- und Ziffern-Symbolen aktiviert. Sie funktionierten ähnlich wie die Diagramme und boten den Fingern bei der Eingabe einen genügenden Widerstand um materiell zu erscheinen, ohne es wirklich zu sein. Dabei passte sich jede der Tastaturen den individuellen Handabmessungen des jeweiligen Benutzers an, und wechselte, abhängig von der jeweiligen Handhaltung stets in die ideale Position. Die Eingaben erschienen dabei auf leicht konkav gewölbten Holo-Bildflächen, die sowohl in der Größe, als auch im Seitenverhältnis differierten.

Frank Rhode nahm einige schnelle Anpassungen im Schaltdiagramm vor und meldete danach sachlich: „Energieaufnahme der Antriebsaggregate bei fünfzig Prozent, Feldwebel.“

„Langsam steigern und in Schritten von jeweils fünf Prozent Meldung machen“, erwiderte Rian Onoro konzentriert. „Machen wir unserem Schmuckstück mal etwas Feuer.“

Während nun langsam die Energieaufnahme der Schiffsaggregate vom Kontrollraum aus gesteigert wurde, überprüfte Rian Onoro die, seit Beginn der Tests, sensibel reagierende Synchronschaltung der Triebwerke. Es handelte sich, ihrer Meinung nach, um den einzigen Schwachpunkt der gesamten Konstruktion. Dabei achtete sie auf die Durchsagen von Rhode und warf gleichzeitig einen gelegentlichen Seitenblick zu Anja Thomsen, der neuen Kollegin in ihrem Team. Sie ersetzte, seit etwa vier Wochen, Rene Schobelgruber, der sich nicht nur als langsam, sondern auch als nicht teamfähig erwiesen hatte. Schobelgruber, der sich selbst als Genie und Star-Techniker betrachtete, hatte auf den unverhohlenen Rauswurf aus ihrem Team entsprechend sauer reagiert. Doch schon nach wenigen Tagen hatte sie seine ziemlich beleidigenden Worte und seine Vorwürfe vergessen, denn Anja Thomsen hatte sich als einen echten Gewinn für ihr Team erwiesen. Sollte dieser inkompetente, abgehobene Kerl ihr doch den Buckel herunter rutschen.

„Fünfundsiebzig Prozent“, drang die Stimme von Frank Rhode in die Gedanken von Rian Onoro und die Afrikanerin wandte ihm nun ihre volle Aufmerksamkeit zu.

„Durchsage nun bei jedem Prozent!“, wies sie Rhode an und selbst ihrer Stimme merkte man nun eine gewisse Anspannung an. Bei 78% musste sie miterleben, wie die Andruck-Kompensatoren, die seit dem Jahr 2194 Bestandteil jedes Raumschiffsantriebs waren, gleichzeitig ausfielen. Noch während sich Anja Thomsen mit fragendem Blick zu ihr umwandte, rief Rian Onoro ihr zu: „Ich habe es gesehen, Thomsen! Was ist schiefgegangen?“

„Die Analyse läuft bereits, Sir“, meldete die dunkelblonde, etwas mollig wirkende Frau mit heller Stimme. „Aber so, wie es aussieht, haben die neuen Regler zu den Aggregaten versagt. In den Dingern steckt der Wurm drin.“

Rian Onoros Augen schienen Blitze zu versprühen, als sie heiser erwiderte: „Dann holen wir den Wurm heraus, oder wir schmeißen das Zeug aus dem Schiff heraus, bevor mit diesen Dingern noch ein Unglück passiert, verstanden, Hauptgefreiter Thomsen?“

Das bläuliche Leuchten der Kontrollen gab der angesprochenen Technikerin einen beinahe traurigen Zug, als sie erwiderte: „Ja, Sir!“

Tief durchatmend sah Rian Onoro zum Wand-Chronograph und warf danach einen Blick in die Runde. „In Ordnung, machen wir Schluss für heute. Morgen werden wir zuallererst überprüfen, was mit diesen verdammten Reglern falsch läuft. Wegtreten!“

Der Feldwebel wartete, bis ihr Team den Kontrollraum verlassen hatte, bevor sie ihnen, nach einem letzten, finsteren Blick aus den Fenstern, hinunter zum Kreuzer, etwas langsamer folgte.

Die Afrikanerin war so in Gedanken versunken, dass sie draußen, auf dem Gang, fast gegen einen Oberleutnant der Entwicklungsabteilung geprallt wäre, hätte er sie nicht an den Schultern gepackt und sie daran gehindert. Verwundert blickte Rian Onoro auf und sah in das amüsierte Gesicht eines etwas beleibten Südländers.

„Vorsicht, Feldwebel, sonst verletzen Sie sich am Ende noch.“

Der Mann trat einen halben Schritt zurück und erkundigte sich bei ihr: „Nun, Feldwebel, wie laufen die Tests an der NOVA SOLARIS?“

Rian Onoro, die sich mittlerweile wieder gesammelt hatte, blickte schweigend in das offen wirkende Gesicht des Offiziers, unsicher, ob sie ihm von diesem Projekt überhaupt erzählen durfte.

Der Oberleutnant lächelte, so als habe er ihre Gedanken erraten, und fügte erklärend hinzu: „Mein Name ist Rodrigo Esteban und ich habe diesen Kreuzer zum Teil mit entwickelt, darum mein Interesse an den Fortschritten. Ich hatte mein Kommen bereits gestern angekündigt, aber leider komme ich wohl zu spät für den Testlauf. Gehen wir ein Stück, Feldwebel Onoro?“

„Die Afrikanerin erinnerte sich nun wieder an das gestrige Memo. „Ach, Sie sind das, Sir. Ich muss gestehen, dass ich Sie mir etwas anders vorgestellt hatte.“

Sie bemerkte das Schmunzeln des Südländers und ergänzte schnell: „Nun, sie haben ohnehin nur verpasst, wie die Andruck-Kompensatoren, wegen dieser neuartigen Regler, bei achtundsiebzig Prozent der Nominalleistung versagten. Was das im Ernstfall bedeutet hätte muss ich Ihnen nicht erklären, Oberleutnant.“

Sie bogen in einen der etwas belebteren Hauptgänge der Anlage ein. Den Gruß einer Gruppe von Gefreiten erwidernd, die ihnen entgegen kam, hakte Esteban nach: „Wie lange wird es schätzungsweise dauern, bis die Aggregate laufen, Feldwebel? Werden wir den geplanten Termin für den Testflug, zu Beginn des neuen Jahres, einhalten können?“

Rian Onoro blickte in die Augen ihres Vorgesetzten und erwiderte mit fester Stimme: „Das werden wir, Sir, und wenn wir aussteigen und die verdammte Kiste anschieben.“

Der Madrilene lachte. „Ihre Einstellung gefällt mir.“

Sie setzten ihren Weg fort und Esteban bemerkte die kurzen, prüfenden Seitenblicke des Feldwebel. Schließlich wandte er sich der Frau zu und fragte offen: „Was haben Sie, Feldwebel? Liegt es an mir?“

Rian Onoro fühlte sich ertappt, und zögernd erklärte sie: „Entschuldigen Sie, Sir, es ist nur so, dass ich den Eindruck habe, Sie schon einmal gesehen zu haben. Aber nicht hier, sondern woanders. Vielleicht auf der Erde.“

Esteban nickte verstehend. „Das wäre möglich, falls Sie Ihren Abschluss im Sommer 3218 gemacht, und in dem Jahr den Akademie-Ball, in Casablanca, besucht haben.“

Der bisher etwas grüblerische Zug verschwand aus der Miene der Frau und machte langsam einsetzender Erkenntnis Platz. Sie erinnerte sich wieder daran, wie sie einem der Neu-Offiziere nachgesehen hatte. Sie hatte sich bei ihm für das Verhalten von Schobelgruber entschuldigen wollen, um ihn bei dieser Gelegenheit nach einem Tanz zu fragen, doch bevor es soweit kommen konnte, hatten er und sein Kamerad zwei andere Frauen zum Tanzen aufgefordert. Und Oberleutnant Esteban war dieser Kamerad gewesen.

Rian Onoro nickte endlich lebhaft und erwiderte: „Ja, dort ist es gewesen, ich erinnere mich jetzt. Sie hatten einen dunkelblonden Freund dabei, wenn ich mich nicht irre.“

Rodrigo Esteban nickte in Gedanken. „Ja, Dean war dabei. Dean Corvin. Seit damals habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er fliegt zwar alle paar Monate die Route vom Titan zum Mond, doch bisher hatte ich nie Zeit mich bei einem seiner Besuche mit ihm zu treffen.“

„Sie scheinen dies zu bedauern, Sir?“

Der Südländer nickte etwas bedrückt. Erst, als die Afrikanerin schon nicht mehr damit rechnete antwortete er: „Ja, Dean ist ein guter Freund. Wir haben sehr viel Zeit gemeinsam verbracht, während unserer Zeit an der Akademie. Ich hoffe, dass mein Dienst es zulassen wird mich mit ihm zu treffen, wenn er das nächste Mal hierher kommt. Das dürfte etwa zum kommenden Jahreswechsel der Fall sein. Dann wäre ausnahmsweise auch unser gemeinsamer Freund Kimi dabei, der zusammen mit Dean auf Titan stationiert ist.“

„Ich hoffe für Sie, dass das Wiedersehen mit Ihren Freunden klappt, Sir“, antwortete Rian Onoro, und sie meinte es aufrichtig.

Ein nachdenkliches Lächeln überflog das Gesicht des Südländers. „Danke, Feldwebel Onoro. Doch lassen Sie mich zu meinem eigentlichen Ansinnen zurück kommen. Wenn ich richtig informiert bin, dann ist ihr Team seit dem Beginn der Konstruktion der NOVA SOLARIS dabei – Sie können also in etwa einschätzen was der neue Kreuzer leisten wird. Wie würden Sie, als Praktikerin die involviert ist, den Wert dieser neuen Kreuzer-Klasse bewerten, Feldwebel?“

Rian Onoros Gedanken kehrten zu ihrem Job zurück und bestimmt meinte sie: „Dieser Kreuzer wird, wenn erst einmal alle Kinderkrankheiten beseitigt sind, die Kampfkraft unserer Flotte signifikant steigern, Sir. Wenn die Antriebs und Waffentests erfolgreich verlaufen, so werden wir auch die bisher gebauten Schiffe mit den neuen Aggregaten ausrüsten können, und dann wird die Konföderation Deneb besser nicht mehr so provokante Manöver an unseren Grenzen abhalten. Spätestens in zwei Jahren sollte die gesamte Umrüstung abgeschlossen sein, falls nichts dazwischen kommt.“

„Was sollte dazwischen kommen?“

Rian Onoros Miene verfinsterte sich wieder. „So ein Fehlschlag, wie gerade eben zum Beispiel, Oberleutnant. Ich hoffe, davon werden nicht mehr allzu viele folgen.“

Esteban lächelte aufmunternd und blieb stehen, als sie die nächste Gangkreuzung erreichten. „Sie leisten gute Arbeit, habe ich mir sagen lassen. Darum habe ich Vertrauen darin, dass dieser Zeitplan eingehalten werden kann. Bitte entschuldigen Sie mich nun, Feldwebel, ich habe noch etwas zu erledigen, bevor ich Feierabend machen kann.“

Rian Onoro grüßte zum Abschied und sah dem Mann sinnend hinterher, als er sich rasch, in Richtung der Planungsabteilung dieser Sektion, entfernte. Dabei dachte sie lächelnd: Er heißt also Dean Corvin. Mal sehen, ob ich vielleicht irgendwann auch noch den Rest erfahre. Dann wandte sie sie sich abrupt ab und machte sich auf den Weg zum Freizeitzentrum, wo sie für den heutigen Abend mit einigen Freunden verabredet war.

 
 

* * *

 

Etwa zur selben Zeit blickte Dean Corvin aus dem Fenster seines kleinen Büros, das er sich mit seinem Freund Kimi Korkonnen teilte, auf den Bereich des Raumhafens von Titan, über den der rein militärische Nachschub von und zu den Planeten des Sonnensystems ablief. Da es im obersten Stockwerk des zehnstöckigen Verwaltungsgebäudes des Nachschubdepots lag hatte er eine gute Aussicht auf die flachen Hügel und die zwischen ihnen liegenden Senken der Umgebung.

Bis er im Jahr 2302 terraformt wurde, wobei seine dichte Atmosphäre mit hohem Stickstoffanteil diesen Prozess sehr vereinfacht hatte, war der, nach dem Jupitermond Ganymed zweitgrößte Mond im Sonnensystem, ein Eismond gewesen.

Obwohl die Oberflächentemperatur des Titans ursprünglich weitaus niedriger gewesen war, als die der Erde, hatte es den Öko-Technikern Terras nur sehr wenig Mühe bereitet, weitflächig Pflanzen dort anzusiedeln die Sauerstoff erzeugten. Dazu war es jedoch zusätzlich notwendig gewesen, sechs spezielle Satelliten in seinem Orbit zu stationieren, die den Schein der Sonne simulierten und sowohl Licht, als auch Wärme, erzeugten. Scherzhaft wurde Titan seitdem auch die "Sechssonnenwelt" genannt.

Seine Gashülle, die ursprünglich etwa fünfmal dichter gewesen war, als die der Erde, und deren Druck etwa fünfzig Prozent höher gewesen war, dünnte bei diesem Prozess langsam aus, so dass sie im Jahr 3220 beinahe Erdwerte aufwies. Sie bestand nun überwiegend aus Stickstoff, Sauerstoff, und Spuren organischer Verbindungen. Jedoch wies Titan einen um zwei Prozent höheren Kohlendioxid-Anteil in den oberen Schichten der Atmosphäre auf, damit die Wärme der Sonnensatelliten besser gespeichert werden konnte.

Von den ursprünglichen Methanseen war längst nichts mehr übrig. Beim Terraformen war das Methan in den ausgedehnten Eisfeldern der beiden Polkappen des Mondes eingeschlossen worden. Ursprünglich nicht für Leben, das auf Kohlenstoff und Wasser basierte, geeignet, war der Titan heute eine, wenn auch etwas raue, grüne Welt, mit einer spärlichen ganz eigenen Fauna, die sich im Laufe der letzten fünfhundert Jahre aus verschiedenen tierischen Spezies der Erde entwickelt hat.

Auf dem Titan gab es keine Ozeane, sondern einige ausgedehntere Binnenmeere, die durch Flüsse sowohl auf, als auch unter, der Mondoberfläche gespeist wurden, was daran lag, dass ursprünglich ein großes Wasserreservoir unterhalb der Felsoberfläche gelegen hatte. Da ein nicht unbeträchtlicher Teil dieses Wassers nun an der Oberfläche zu finden war, gab es nun riesige Höhlensysteme unter der Mondoberfläche, in die hinein ein Teil der Wohnanlagen, Energieerzeuger, und gewaltigen Warenspeicher gebaut worden waren.

Zwischen den beiden größten von ihnen, in der Nähe des Äquators, gab es einen ausgedehnten Raumhafen, wo etwa fünfzig Prozent aller Waren umgeschlagen wurden, die von anderen Sternensystemen in das Sonnensystem importiert wurden. Außerdem gab es ein militärisch genutztes Nachschubdepot auf dem Titan, das einen abgetrennten Teil des Raumhafens beinhaltete, von dessen Verwaltungsgebäude Dean Corvin nun auf die Landschaft blickte. Er warf seinem Freund, der intensiv dabei war, die letzten Wareneingänge zu erfassen, von Zeit zu Zeit einen fragenden Blick zu. Dabei brannte ihm eine Frage auf der Seele. Als er es schließlich nicht mehr aushielt fragte er unvermittelt in Richtung des Freundes: „Gibt es Neuigkeiten in Bezug auf die Rückkehr der SATURN, Kimi? Wäre schön, wenn sie rechtzeitig wieder hier ist, damit wir mit Andrea und Jayden Silvester feiern können. Wir haben die Beiden jetzt über zwei Jahre lang nicht mehr gesehen. He, hörst du mir überhaupt zu?“

Kimi sah kurz von seinen Holo-Anzeigen auf und erklärte fahrig: „Ja klar höre ich zu. Äh, was sagtest du eben über die SATURN?“

Dean Corvins Temperament ging mit ihm durch, als er zu Korkonnens Arbeitskonsole stürmte und mit beiden Händen wütend auf die Kante schlug. „Hör endlich auf mit dieser verdammten Liste, Kimi! Wir haben seit zehn Minuten Dienstschluss, und dieses Ding trägt nicht den Vermerk Dringend! Mach den Mist doch morgen!“

Etwas verwundert sah der Finne nun von der Liste auf. „Was ist denn in Dich gefahren, Alter? So schräg bist du doch sonst nicht drauf gewesen, in der letzten Zeit.“

Corvin blickte in die blauen Augen des Freundes. „Entschuldige. Es ist nur wegen...“

„Verstehe. Die SATURN, was?“

Das Gesicht Corvins drückte nur allzu sehr aus, was er dachte und Kimi Korkonnen lächelte schwach. „Nach meinen letzten Informationen wird die SATURN frühestens zu Anfang Januar wieder hier sein. Andrea und Jayden schaffen es also nicht zur Silvesterfeier auf der Erde. Wir zwei übrigens auch nicht.“

Erstaunen spiegelte sich auf dem Gesicht des Kanadiers. Er strich mit den Fingern gedankenverloren über das noch neue Rangabzeichen eines Oberleutnants und erkundigte sich dabei: „Wie meinst du denn das nun wieder?“

Der Finne, ebenfalls erst seit einigen Tagen Oberleutnant der Flotte, erklärte: „Unser Flug nach Luna wurde um drei Tage verschoben. Wir fliegen nämlich nicht unseren üblichen Umschlaghafen dort an, sondern eine Basis, nahe des Leibnitz-Gebirges – und zwar genau am Silvester-Morgen. Das Gute daran ist, dass wir dabei höchstwahrscheinlich Don Rodrigo sehen werden, denn der ist da stationiert habe ich mir sagen lassen. Du solltest gelegentlich die hereinkommenden Memos lesen.“

„Dafür habe ich ja Dich“, spöttelte Corvin, wobei seine Augen aufleuchteten, als Korkonnen den Namen des Freundes erwähnte. „Und jetzt verabschiede Dich von dieser verdammten Konsole, wir sind nachher mit Tabea und Nayeli, in der ENCKE-BAR, verabredet. Also schalt endlich ab. Was fesselt Dich überhaupt so an dieser Liste?“

Der Blonde seufzte, deaktivierte und sicherte seine Konsole, und erhob sich. Erst dann antwortete er dem Freund. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe das ungute Gefühl, als würde etwas nicht stimmen, mit den letzten Frachtlisten. Was mich dabei fast wahnsinnig macht ist die Tatsache, dass ich keinen Fehler entdecken kann.“

„Dann gibt es vielleicht auch gar keinen“, orakelte Corvin.

Kimi Korkonnen nickte nachdenklich. „Möglich, aber das werde ich morgen klären. Für heute reicht es wirklich.“

Corvin lachte. „Endlich wirst du wieder normal.“

Sie begaben sich zu ihren Unterkünften und nachdem Kimi Korkonnen seinen Freund eine halbe Stunde später in seinem Quartier abgeholt hatte, verließen sie den Militärkomplex.

Corvin blickte kurz zum, nur leicht bewölkten, Himmel hinauf, während sie zum Abstellplatz ihres Dienstgleiters schritten, und seufzte schwach. „Ich wollte, ich wäre irgendwo da oben, bei unseren Freunden.“

„Vielleicht befinden sie sich auch gerade da unten“, zog Korkonnen seinen Freund auf. „Du weißt doch, dass das Universum bei Nacht auf dem Kopf steht.“

„Deine Witze waren auch schon mal besser!“, beschwerte sich Dean Corvin augenzwinkernd und fügte mit gezwungenem Optimismus an „Wir haben nun fast Halbzeit.“

Der hochgewachsene Blonde an seiner Seite wusste was sein Freund meinte und nickte zustimmend. „Ja. Etwas mehr als nochmal so lang und wir können endlich ein Bordkommando beantragen.“

Dean Corvin nickte in Gedanken, winkte grüßend zu einer Gruppe von Kameraden hinüber, deren Dienst gerade erst begann und grübelte vor sich hin. Er und Kimi hatten sich, obwohl sie mit diesem Posten hoffnungslos unterfordert waren, sehr gut in den Dienstablauf eingefügt, was besonders ihm zu Anfang äußerst schwer gefallen war. Letztlich war es sein Freund gewesen, der ihn immer wieder aufgerichtet, und bei der Stange gehalten hatte, auch hier sein Bestes zu geben. Dabei hatte er oft das Argument angeführt, dass man ihnen vermutlich besonders auf die Finger schauen würde – und vermutlich hatte er Recht damit. Auch die Freundschaft, die ihn und den Finnen mittlerweile mit Tabea Carrick und Nayeli Herández verband, hatte ihnen beiden dabei geholfen, bis zum heutigen Tag nicht halbwegs wahnsinnig zu werden, auf ihrem Posten. Fast eine Ironie dabei war, dass sie beide sich, gerade weil der Posten so wenig zu bieten hatte, oft intensiv in die Arbeit vergruben um nicht pausenlos daran zu denken was hätte sein können aber nicht war. So waren sie mittlerweile bei ihren direkten Vorgesetzten ziemlich gut angeschrieben, trotz deren anfänglicher Animositäten ihnen gegenüber.

Dean Corvin schüttelte die finsteren Gedanken ab, als sie den Abstellplatz des Gleiters erreichten. Sie bestiegen die funktionell gehaltene Maschine, die bis zu sechs Personen Platz bot und der Kanadier startete das Feldtriebwerk, dass die Maschine vom Boden abhob und ließ sie rasch an Höhe gewinnen. Den Weg nach Sankt-Cassini. einer der beiden nahen Städte zwischen denen ihr Stützpunkt lag, kannte Corvin mittlerweile fast blind, und da der Verkehr auf diesem Mond, abseits des Raumhafens recht spärlich war, gab es hier keine Flugkorridore innerhalb derer er sich hätte halten müssen. Wenigstens etwas – denn so konnte er immerhin hier einigermaßen frei und ungezwungen fliegen. Er warf, wie fast immer wenn er nach Sankt-Cassini flog, einen kurzen Blick über die Schulter, in Richtung von Huygens-Stadt, deren Umrisse am Horizont gerade eben erkennbar waren.

Er blickte wieder nach vorne, wobei er in Gedanken meinte: „Ist Dir aufgefallen, dass Tabea, seit einigen Tagen, irgendwie durch den Wind zu sein scheint? Ich wollte sie vorgestern darauf ansprechen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich mir da nicht vielleicht nur etwas einbilde.“

Korkonnen sah den Freund von der Seite an und erwiderte: „Dann sind wir schon zwei die sich etwas einbilden würden, und wie unwahrscheinlich ist das?“

Corvin blickte kurz nach rechts. „In Ordnung, ich spinne also nicht. Denkst du, ich sollte sie darauf ansprechen? Vielleicht hat sie ja etwas worüber sie nicht sprechen möchte.“

„Warten wir am Besten erst einmal ab“, schlug der Finne vor. „Vielleicht vertraut sie sich uns ja von selbst an, wenn wir sie nicht drängen. Ich könnte auch bei Nayeli mal unauffällig anfragen, vielleicht weiß sie ja mehr – wenn es etwas zu wissen gibt heißt das.“

Dean Corvin nickte vage. „Abgemacht.“

Sie erreichten nur Minuten später eine, auf Höhe der höchsten Dächer der Stadt liegende, Gleiter-Plattform, auf der sie ihr Transportgefährt absetzten. Mit einem der vier vorhandenen Schnell-Lifts fuhren sie hinunter auf die Straßenebene, die einzig und allein Fußgängern vorbehalten war. Von hier aus war es nicht weit, bis zur ENCKE-BAR. Entlang der breiten Allee gab es einige Tavernen, Restaurants, Geschäfte und diverse Sport- und Vergnügungs-Zentren.

Als sie ihre Stammbar betraten wurden sie bereits von Tabea und Nayeli erwartet, die an der geschwungenen, hufeisenförmigen Bar standen. Eine weitere gab es auf einer höher gelegenen Ebene des verwinkelt angelegten Lokals – zwischen einer Tanzebene, die momentan nur mäßig frequentiert war, was sich erfahrungsgemäß in den nächsten Stunden sehr stark ändern würde.

Dean Corvin winkte den beiden jungen Frauen zu, ließ seinen Blick kurz über die Tische, nahe der verglasten Außenfront der Bar schweifen, und bahnte sich hinter seinem Freund einen Weg durch die Menge der Anwesenden. Einige flüchtige Bemerkungen mit Bekannten wechselnd, die sie im Zuge der letzten zweieinhalb Jahre auf dem Titan kennengelernt hatten, erreichten die Freunde die Bar, an der die Frauen etwas zusammenrückten, damit sie ebenfalls Platz fanden. Wie immer, wenn sie sich sahen, umarmten die beiden Technikerinnen Corvin und Korkonnen kurz zur Begrüßung.

Als sich Tabea Carrick von Dean trennte, meinte sie verschmitzt: „Ihr habt euch heute Zeit gelassen, Freunde.“

Der Kanadier blickte bezeichnend zu seinem Freund und erklärte: „Kimi hat mal wieder kein Ende gefunden.“ Er bestellte sich ein Bier und fragte dann unvermittelt: „Alles klar, bei euch Beiden?“

„Wie immer“, entgegnete die, in London geborene, Technikerin lachend, und die Bedenken die Dean im Gleiter Kimi gegenüber geäußert hatte legten sich etwas. Vielleicht hatte er nur etwas zu viel in ihr Verhalten der letzten Tage hinein interpretiert.

Wie erwartet füllte sich die Bar im Zuge der nächsten Stunde zusehends.

Nayeli Herández riss das Thema Politik an, und schon bald hatte sich zwischen den vier jungen Flottenangehörigen eine intensive Diskussion über die aktuell angespannte Lage entsponnen. Dabei verging die Zeit wie im Flug und nur am Rande bemerkte Dean Corvin, dass Tabea heute einige Drinks mehr konsumierte als normalerweise üblich bei ihr war.

Gegen Mitternacht, nach Terra-Standard, blickte Tabea Carrick den Kanadier an ihrer Seite fragend an und erkundigte sich bei ihm: „Gehen wir tanzen, Dean?“

Die Frage brachte Corvin etwas aus dem Tritt. Sie hatten zuletzt auf der Erde, während des Akademie-Balls miteinander getanzt. Hier auf dem Titan hatten sie es beide irgendwie seitdem vermieden.

„Klar, warum nicht“, antwortete der Dunkelblonde etwas unsicher und wechselte einige fragende Blicke mit seinem Freund Kimi.

Der Finne blickte den beiden Kameraden sinnend hinterher und wandte sich danach offen an Nayeli. „Hat Tabea irgend etwas? Mir kam sie in den letzten Tagen irgendwie verändert vor, im Vergleich zu sonst.“

Die Mexikanerin wich dem forschenden Blick des Blonden einen kurzen Moment lang aus bevor sie wieder zu ihm sah. In ihren Augen schimmerte ihr innerer Widerstreit. Dann blickte sie entschlossen zu Kimi Korkonnen auf und sagte: „Manu hat Tabea letzte Woche eine Nachricht geschickt. Er hat die Beziehung mit ihr beendet.“

„Na, kein Wunder, dass Tabea durch den Wind ist.“

„Sag bitte nichts wenn sie wieder hier ist“, bat die Dunkelhaarige inständig. „Wenn sie soweit ist wird sie schon von sich aus mit dem Thema anfangen.“

„Natürlich.“ Der Finne nippte an seinem Longdrink und erkundigte sich dann ablenkend: „Und was ist mit dir und Don Rodrigo? Wann habt ihr euch beide eigentlich das letzte Mal gesehen?“

Nayeli Herández seufzte schwach und fuhr sich mit der Linken durch das lange Haar. „Das ist jetzt schon wieder einige Monate her. Ich wollte bereits zweimal einen Versetzungsantrag stellen, aber...“

Die Mexikanerin unterbrach sich und blickte zur Tanzfläche.

„Verstehe, du willst Tabea nicht allein hier zurücklassen“, erriet Kimi Korkonnen ihre Gedanken. „Aber sie hätte doch mich und Dean, und da gibt es sicherlich noch einige andere Leute in eurer Abteilung.“

Die Mexikanerin schluckte. „Das ist nicht die ganze Wahrheit, Kimi. Tabea steht mir so nahe wie eine Schwester. Ich würde sie schrecklich vermissen, wenn ich nicht mehr hier wäre, und das hat mich bisher am meisten abgehalten. Außerdem habe ich, offen gestanden, auch ein wenig Angst davor, zum ersten Mal wirklich auf eigenen Füßen zu stehen. Ich meine, bisher war, während meiner gesamten Laufbahn, immer Tabea an meiner Seite.“

Kimi Korkonnen blickte die junge Frau ernst an. Er näherte sich ihr etwas und antwortete dann eindringlich: „Natürlich würdest du Tabea vermissen, alles Andere wäre wohl auch ziemlich seltsam. Doch andererseits opferst du eventuell Dein Glück, wenn du dies nicht zulassen willst. Denkst du, dass es das wert ist?“

Nayeli Herández presste für einen Moment die Lippen auf einander bevor sie heftiger als beabsichtigt entgegnete: „Verdammt, das weiß ich auch nicht, obwohl ich mir seit einiger Zeit den Kopf darüber zerbreche. Ich kann mich nicht entscheiden.“

Die Mundwinkel des Finnen zuckten kurz, bevor er sanft widersprach: „Doch, das kannst du. Du hast nur Angst, wie du Dich entscheiden wirst, denn im Grunde hast du das doch bereits, habe ich recht?“

Die dunklen Augen der Mexikanerin nahmen ihre Antwort vorweg. „Ja, das habe ich. Ich weiß nur nicht wie ich es Tabea beibringen soll. Besonders jetzt, da Manu die Beziehung mit ihr beendet hat, und sie besonders verletzlich ist.“

Lächelnd legte Kimi Korkonnen seine Rechte an die Schulter der Kameradin und beruhigte sie, indem er sanft aber überzeugt sagte: „Sie wird es verstehen.“

 
 

* * *

 

Auf der Tanzfläche bewegten sich Tabea Carrick und Dean Corvin, so gut es in der Menge ging, zu den Stakkato-Rhythmen der Musik, die mit sphärisch klingenden Elementen durchsetzt war. Dabei fragte sich der Kanadier, warum er das nicht schon längst wieder einmal gemacht hatte, denn er fand Gefallen daran, ebenso wie Tabea, deren Augen ihn zwischenzeitlich immer wieder kurz musterten – so als habe sie ihn eben erst kennengelernt. Im Moment dachte er weder an Ladelisten, noch an Politik, oder an seine Karriere. Im Moment ließ er sich einfach fallen, zum ersten Mal seit langer Zeit, und er spürte, wie gut ihm das tat. Er ließ sich von der Musik mitreißen.

Corvin wusste nicht, wie lange dieser Zustand angehalten hatte, als die Art der Musik wechselte und sie merklich langsamer wurde. Zeit für die verliebten Paare. Er machte Anstalten die Tanzfläche zu verlassen, als Tabea Carrick ihn am Oberarm zurück hielt und neugierig ansah.

„Du willst schon wieder aufhören?“

Echte Überraschung lag in den blau-grauen Augen Dean Corvins. Zögerlich antwortete er: „Nun ja, die Musik...“

Beinahe amüsiert über die Verlegenheit des Freundes fragte sie unschuldig: „Was ist denn mit der Musik?“

Gleichzeitig trat sich dicht an Dean Corvin heran und legte unbefangen ihre Arme in seinen Nacken. „He, komm, die Unterhaltung hatten wir doch schon. Ich werde mich auch heute Nacht nicht in eine wilde Geschichte mit Dir stürzen. Ich möchte einfach nur mit Dir tanzen und einfach an gar nichts mehr denken.“

Da war es wieder.

Dean Corvin legte vorsichtig seine Arme um die Freundin und bewegte sich langsam mit ihr im Kreis. Anders, als beim Akademie-Ball, sah ihnen hier jedoch niemand über die Schulter, wenn man von Kimi und Nayeli mal absah. Trotzdem spürte der Kanadier ein seltsames Kribbeln in der Magengegend. Das Verhalten der Britin wirkte zumindest seltsam.

Beruhigt, dass Tabea offensichtlich wirklich nur mit ihm tanzen wollte, entspannte sich Corvin langsam wieder und er war froh, als die Rhythmen der Musik schließlich wieder schneller wurden.

Als sie sich nach einer geraumen Weile wieder zu den Freunden an der Bar gesellten, blickte die blonde Frau auf einen der Wandchronos. Normalerweise fing der Abend um diese Zeit erst richtig an, doch sie schien sich nicht in der Stimmung zu fühlen länger hier zu bleiben. Zur Verwunderung der Freunde gab sie bekannt: „Ich fühle mich irgendwie matt. Ich denke, ich fliege zurück zum Stützpunkt.“

Fragend wandte sie sich an Kimi. „Könnt ihr dann bitte Nayeli nachher mitnehmen?“

„Klar, kein Problem“, erwiderte der Finne, wobei er Dean gleichzeitig einen Tritt gegen das linke Bein verpasste und ihn auffordernd ansah. Erst als Kimi bereits entsagungsvoll mit den Augen rollte verstand der Kanadier seinen Freund.

„Ich komme mit dir“, warf Corvin schnell ein. „Ich… äh… fühle mich heute auch irgendwie nicht so besonders.“

Tabea nickte.

Sie und Dean Corvin verabschiedeten sich von den Freunden und machten sich auf den Weg nach Draußen, wo sich Tabea, wie sie es schon öfter getan hatte wenn sie gemeinsam unterwegs gewesen waren, bei dem Freund unterhakte. Auf dem Weg zum Gleiter spürte sie die Wirkung der genossenen Drinks und ihr wurde etwas schwindelig, doch sie hielt sich tapfer.

Der Flug zurück zum Stützpunkt verlief schweigend, und erst, als Tabea, wieder bei Dean eingehakt, im Stützpunkt, auf dem Weg zu ihrem Quartier waren, ergriff die Technikerin wieder das Wort und sagte ohne Einleitung: „Letzte Woche habe ich eine Nachricht von Manu bekommen.“

Dean Corvin wurde aufmerksam bei ihren Worten. Er ahnte, dass Tabeas Verhalten der letzten Woche nun eine Erklärung finden würde, und so fragte er vorsichtig: „Waren wohl nicht so gute Nachrichten, schätze ich mal?“

Tabea blickte Dean kurz von der Seite an und erwiderte mürrisch: „Nein, ganz und gar nicht. Er hat mir erklärt, dass er sich in eine Kollegin, an Bord seines Schiffes, verliebt hat, und nun mit ihr zusammen sein will. Irgendwie verstehe ich es ja, wir haben uns in den letzten beiden Jahren kaum gesehen. Der verdammte Dienst in der Flotte ist eben nicht gerade beziehungsfördernd.“

Dean Corvin schluckte und wusste nicht was er sagen sollte. Darum schwieg er und drückte nur sacht ihren Unterarm.

Vor dem Schott zu Tabea Carricks Quartier hielten sie an und die blonde Frau sah Corvin in die Augen. Leise erklärte sie: „Danke, dass du nicht gesagt hast, dass es Dir leid tut, denn genau das hätte ich jetzt gar nicht ertragen.“

Der Kanadier grinste schief, bei dem Gedanken daran, dass genau das sein erster Impuls gewesen war. Nun erleichtert, dass er diesem Impuls am Ende doch nicht nachgegeben hatte, erwiderte er rau: „Ich kann verstehen, was du momentan empfindest. Wenn du mich brauchst dann bin ich für Dich da. Ich… äh… meine als Freund, und...“

Tabea Carrick umarmte den Kanadier wortlos und schmiegte sich eng an ihn.

Corvin, der die junge Frau instinktiv festhielt, spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde. Ein Vibrieren schien durch seinen Körper zu jagen und er verspannte sich. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass Tabea sich etwas von ihm gelöst hatte und ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verwirrung ansah. „Was hast du, Dean? Du zitterst ja.“

Corvin sah sie an und die Britin flüsterte schließlich erstaunt: „Du hast panische Angst, mein Freund. Weniger dass ich dir näher kommen könnte, sondern dass irgendeine Frau dir näher kommen könnte, ist es so?“

Nur langsam schwand die Verkrampfung, die Dean Corvin überkommen hatte und endlich wieder zu sich findend erwiderte er leise: „Ich habe Dir mal von Kim Tae Yeon erzählt. Nun ja, dieses Mädchen hat mir vor einigen Jahren recht übel mitgespielt, und damit meine ich nicht nur, dass sie Kimi und mir die Karriere versaut hat. Was noch war, das habe ich Dir bisher nie anvertraut.“

Tabea löste sich sacht aus seinen Armen und fragte: „Was hältst du davon, wenn wir reingehen, ich einen Kaffee aufsetze, und du mir die ganze Geschichte erzählst?“

Dean Corvin zögerte einen Moment lang und nickte schließlich. „Ist vielleicht gar keine schlechte Idee.“

Sie betraten Tabea Carricks Quartier, und als sie eine Viertelstunde später mit einer großen Tasse Kaffee in den Händen auf der Couch im Wohnraum saßen, begann Dean davon zu berichten, was er, während seiner Kadettenzeit, mit Kim Tae Yeon erlebt hatte.

Am Ende meinte er: „Verstehst du, ich vertraute ihr, während sie eiskalt meine Gefühle für sie in ihr Kalkül gezogen hatte. Seitdem habe ich geradezu panische Angst davor ernsthaft Gefühle für eine Frau zu entwickeln. Das wirklich Schlimme ist, dass das erste Mal mit ihr – für sich gesehen – wunderschön war, aber was dann daraus wurde… Ich will sagen, es war niemals echt, Tabea, sondern eiskalt berechnend, und das jagt mir heute noch einen Schauer über den Rücken.“

Die Hände des Kanadiers begannen erneut zu zittern und er stellte die Kaffeetasse auf den niedrigen Tisch, der vor ihnen stand.

Tabea legte ihre Rechte auf die Schulter des Freundes und sah ihn eindringlich an.

„Okay, wir zwei haben den Punkt, an dem wir ein Paar hätten werden können, längst hinter uns gelassen, das steht mal fest. Aber es wird der Zeitpunkt kommen, an dem du eine Frau triffst, die es ernst mit Dir meint – und wenn es soweit ist, dann musst du Kim vollkommen vergessen, hast du gehört?“

Dean Corvin nickte unmerklich.

„Hast du es auch verstanden?“

Corvin grinste schief und wich ihrem forschenden Blick aus.

„War ja klar“, seufzte die Technikerin mit abgesenkter Stimme und gab dem Freund einen leichten Schubs. Schnell wieder ernst werdend fügte sie hinzu: „Was ich gesagt habe, das habe ich auch so gemeint, Dean. Wenn die Richtige Deinen Weg kreuzt, dann gib ihr eine faire Chance, klar?“

Corvin gab den Schubs von eben zurück und griff nach seiner Tasse. „Sonnenklar. Aber ich kann nichts versprechen.“

Tabea funkelte den Freund giftig an. „Schon kapiert. Du hast es verstanden und wirst es trotzdem vermasseln wenn es soweit ist.“

„Genau so wird es ablaufen“, bestätigte Corvin spöttisch grinsend.

Tabea nahm einen langen Schluck von ihrem Kaffee und legte ihre Hände um die Tasse, wobei sie seufzte: „Ich gebe es auf.“

Sie schwiegen eine Weile und kamen schließlich wieder auf Manu zu sprechen.

Als sich Dean Corvin endlich erhob um zu gehen, da brachte Tabea ihn noch bis zum Schott und umarmte ihn nochmal fest, wobei sie ernst meinte: „Lass bitte nicht zu, dass diese Kim noch länger Dein Leben beeinflusst, okay. Die hat auch so schon genug angerichtet, findest du nicht auch?“

Dean Corvin nickte und er spürte in seinem Innern, wie gut und wie nötig dieses Gespräch gewesen war. Mit Tabea über all das zu reden war etwas ganz Anderes gewesen, als seine Gespräche darüber mit Kimi.

Tabea sanft bei den Schultern haltend gab er ihr einen sanften Kuss auf die Wange und raunte leise: „Danke.“ Dann ließ er sie los und verließ das Quartier der Freundin, die einen Moment lang auf das Schott starrte, nachdem es sich hinter ihm geschlossen hatte, bevor sie sich abwandte um zu Bett zu gehen.

 
 

* * *

 

In der ENCKE-BAR hatten sich Kimi Korkonnen und Nayeli Herández zu einigen Bekannten gesellt, die sie dort regelmäßig antrafen. Mit ihnen am Tisch saß dabei ein junger Handels-Raumfahrer, namens Pavel Varanski, der von seinen letzten Touren zwischen dem Sol-System und dem Deneb-System, dem Hauptsystem der Konföderation-Deneb, berichtete.

Zunächst hatte Korkonnen den Ausführungen des Zivilisten nur mit mäßigem Interesse zugehört. Doch das änderte sich, als der schlaksige Raumfahrer erwähnte, welche Ware sein Frachter ins Deneb-System transportiert hatte.

Mit plötzlich erwachtem Interesse wandte Korkonnen sich an den dunkelhaarigen Mann und erkundigte sich bei ihm: „Was sagtest du, war der Hauptanteil eurer Ladung?“

Pavel Varanski blickte zu dem Finnen und erklärte: „Über die Hälfte der Ladung bestand aus Garrett-Hellmann-Prozessoren. Das Ungewöhnliche daran ist, dass es in diesem Jahr bereits die vierte große Lieferung dieser Prozessoren war. Im Normalfall transportieren wir kaum zehn Prozent dieses Volumens an GH-Prozessoren zum Deneb. Ich kann mir nicht denken, wozu die Konföderierten so viele dieser Prozessoren brauchen. Nach meiner Kenntnis gibt es keine besondere, militärische Verwendungsmöglichkeit dafür.“

„Außer die Wissenschaftler der Konföderation wären auf eine neue Möglichkeit des Einsatzes gekommen“, hakte der Finne nach und blickte fragend zu Nayeli.

Die Mexikanerin schüttelte unmerklich den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne die Spezifikationen des Prozessors. Das Imperium hätte auch einen Export der Dinger längst untersagt, wenn sich die Lage anders verhalten würde.“

Kimi Korkonnen presste seine Lippen aufeinander und raunte dann: „Kommt mir dennoch merkwürdig vor. Die Ladelisten, die ich gestern Abend kontrolliert habe, und wegen derer wir etwas später als üblich hier waren, beinhalteten etwas, das mit diesen Prozessoren in Verbindung stehen könnte. Ich bin mir nur nicht ganz sicher was. Aber ich habe da ein ganz mieses Gefühl.“

Nayeli Herández gab dem grüblerischen Finnen einen scherzhaften Rippenstoß und meinte: „Du bist wahrscheinlich übernervös wegen der erneuten Großmanöver der Konföderierten-Flotte, in der Nähe des Delta-Cephei-Systems. Das sollte indessen auch unsere Nachbarn von der Farradeen-Allianz beunruhigen. Aber ich glaube kaum, dass das mehr ist, als das alljährliche Säbelrasseln der Konföderation. Hör also auf das Gras wachsen zu hören und genieße Deinen verdienten Feierabend.“

Kimi Korkonnen lächelte gezwungen und nickte. Ein ungutes Gefühl in der Magengegend blieb jedoch und es verschwand den gesamten Morgen über nicht mehr.

KRIEGSVORBEREITUNGEN

 Die tiefstehende, blau-weiße Sonne des Systems schien durch die gewaltigen, hohen Fenster des Büros, in dem der Diktator der Konföderation Deneb hinter einem wuchtigen Schreibtisch stand, der diese Bezeichnung kaum verdiente. Das ausladende Möbelstück erinnerte mehr an eine geschwungene Raumschiffskonsole, was kaum verwunderlich war, denn in diesem gewaltigen Arbeitsraum liefen die Fäden eines Sternenreiches zusammen, welches aus 42 besiedelten Sternensystemen bestand. Dazu kamen schwer befestigte Flottenbasen in 73 weiteren Systemen, die keine geeigneten Planeten zur Kolonisierung besaßen, jedoch taktisch günstig an den Grenzen des Sternenreiches lagen.

Die gepflegten, kräftigen Hände auf den Rücken legend schritt der hochgewachsene, hagere Mann zu einem der Fenster, die vom Boden des zehn Meter hohen Raumes bis zur Decke hinauf reichten. Markante Linien hatten sich in das schmale Gesicht des Mitfünfzigers eingegraben und verliehen den ohnehin energischen Zügen zusätzlich eine ernste Note.

An den Schläfen des Mannes wies sein nussbraunes Haar bereits einige graue Strähnen auf. Anfangs hatte sich Laskarin Carom darüber geärgert, mittlerweile machte es ihm nichts mehr aus. Hauptsächlich deswegen, weil er sehr schnell festgestellt hatte, dass diese Äußerlichkeit ihn bei der Frauenwelt eher interessanter gemacht hatte.

Carom hätte es nie von sich aus zugegeben, doch eine gewisse Eitelkeit war ihm nicht abzusprechen. So war es keine Seltenheit, dass er sich dreimal am Tag umzog. Dabei bevorzugte er dunkle Farbtöne was seine Kleidung betraf – helle oder knallige Farben waren nicht sein Fall.

Laskarin Carom besaß allgemein etwas, das Frauen an ihm liebten, und ihn in ihren Augen interessant machte – und er war sich dessen bewusst. Dabei hatte er sich jedoch nie dazu überwinden können zu heiraten und eine Familie zu gründen. Nach seiner Ansicht verloren Männer, sobald sie erst einmal verheiratet waren, jegliche Eigeninitiative. Falls sie dann doch irgendwann einmal etwas Wesentliches auf den Weg brachten, so konnte man sich dessen sicher sein, dass die Ehefrau hinter dieser plötzlichen Initiative steckte. Nein – zu einem solchen Pantoffelheld zu werden, soweit wollte es Carom niemals kommen lassen. Ganz abgesehen davon liebte Carom die Abwechselung und hätte es bei einer einzigen Frau nicht sehr lange ausgehalten.

Ohne es bewusst wahrzunehmen strich sich der unumschränkte Herrscher der Konföderation Deneb über das linke Schulterstück seiner schwarzen Tunika, zu der er eine, ebenfalls schwarze Hose trug. Seine Füße steckten in halbhohen, dunkelbraunen Stiefeln, die farblich zu dem weitärmeligen Hemd passten, das Carom unter seiner Tunika trug. An den Handgelenken waren Diamantfäden in die Ärmel des Hemdes eingewebt, die im Licht der untergehenden Riesensonne funkelten wie flüssiges Silber.

Die harten, grauen Augen des Mannes blickten, zwischen den schmalen Schlitzen der verengten Lider hindurch, auf die großzügig und beinahe kreisrund angelegte Millionenmetropole der Stadt, in dessen Zentrum der Regierungspalast sich erhob. Die Hauptstadt von Denebarran, wie die ersten Siedler diesen Planeten getauft hatten, ließ vergessen, dass diese Welt, mit gerade einmal zwei Milliarden Bewohnern, in den meisten Gegenden nur sehr dünn besiedelt war.

Von Innen gezählt war Denebarran der neunte von insgesamt 28 Planeten, die Deneb umliefen. Denebarran war die, für Menschen, einzige bewohnbare Welt des Deneb-Systems. Analysen der geologischen Zusammensetzung, die von den ersten Siedlern des Planeten erstellt wurden ergaben, dass es sich bei Denebarran nicht nur um eine relativ alten Welt handelte, sondern dass sie älter war, als sein Zentralgestirn. Es handelte sich ohne Zweifel um einen Irrläufer, der irgendwann von Deneb eingefangen worden war. Auch die Neigung der Planetaren Umlaufbahn von 17 Grad zur mittleren Ekliptik der übrigen 27 Planeten zeugte von dieser Tatsache.

Während er in die Ferne sah, dachte Laskarin Carom daran, dass das Deneb-System, wegen seiner großen Distanz zum Sol-System erst im Jahr 2625 besiedelt worden war. Dies war während des Höhepunktes der Zweiten großen Expansionsphase der Menschheit, zwischen den Jahren 2570 und 2648 geschehen. Zwar endete damit die Auswanderungswelle von Terranern nicht, doch ab diesem Zeitpunkt wurden, bis zum heutigen Tag, nie wieder so viele verschiedene Gebiete des bekannten Weltalls innerhalb so relativ kurzer Zeit kolonisiert.

Auch gegenwärtig war dieses Sternensystem noch immer das am weitesten von Terra, entfernte System, das von Menschen kolonisiert worden war. Dabei war Carom froh um jedes der 2107 Lichtjahre, die zwischen Deneb und Sol lagen, denn er hasste das Zentrum eines Sternenreiches, das sich, nach seiner Ansicht, selbst überlebt hatte. Das Terranische Imperium hatte den Rubikon längst überschritten, ohne dass es den Verantwortlichen klar war. Anders als die Konföderation Deneb, die er, Laskarin Carom, zu wahrer Größe zu führen gedachte.

Nach dem Ausbruch des Interstellaren Krieges, im Jahr 2950, der bis dahin geeinten Menschheit, kam es im Deneb-System zum politischen Umsturz und eine straffe, militärisch organisierte Diktatur ersetzte die bis dahin gültige Demokratie. Im Zuge dieser Entwicklung lösten sich die Menschen des Deneb-Systems politisch vom Terranischen Reich und gründeten die Konföderation Deneb, zu dessen politischen und wirtschaftlichen Zentrum das Deneb-System bis heute geworden war. Und hier auf dem vierten Planet dieses Systems, liefen alle Fäden der Konföderation zusammen – sprich: bei ihm.

Laskarin Carom atmete tief durch und straffte sich. Wie so oft, wenn er diesen Gedanken nachhing, überkam ihn das Bewusstsein unumschränkter Macht, und er liebte dieses Gefühl. Mehr, als er alles andere was er liebte.

Ein beinahe diabolisches Lächeln überflog das Gesicht des Diktators, denn er gedachte, diese Macht schon sehr bald signifikant zu erweitern. Darum hatte er auch die wichtigsten Kommandeure der Kriegsflotte, die aus beinahe eintausend Einheiten bestand, für heute in den Regierungspalast einbestellt. Die Flotte der Konföderation war momentan die größte aller fünf Sternenreiche, und hinsichtlich der Pläne, die Carom momentan verfolgte, war das auch dringend notwendig. Denn schon bald würde die Hälfte diese Flotte zum Einsatz kommen, gegen eben jenes Sternensystem, in dem momentan der 17. November 3220 geschrieben wurde.

Der Diktator wurde in seinen Gedankengängen unterbrochen, durch das typische, leise Zischen des Panzerschotts, dass seine Zimmerflucht vom Vorraum trennte. Er brauchte sich nicht umzuwenden, um seine Rechte Hand, Aylana Beringaar, am Rhythmus ihrer Schritte zu erkennen. Sie war zudem die Einzige, die außer ihm selbst den Code kannte, um dieses Schott, ohne Risiko für Leib und Leben, öffnen zu können.

Laskarin Carom warf einen letzten Blick auf die unter ihm liegende Stadt, bevor er sich umwandte und Aylana ein sanftes Lächeln schenkte.

Wie immer saß ihre Kleidung, in diesem Fall ein blass-gelbes Trägerkleid das bis zu ihren Knien reichte, tadellos. Es schmiegte sich fließend um ihren schlanken Körper und brachte ihre weiblichen Vorzüge zur Geltung, was Carom nur unterbewusst zur Kenntnis nahm, da er daran längst gewöhnt war.

Laskarin Carom legte großen Wert darauf, dass eine Frau eine gewisse Affinität zu Stil und gutem Geschmack besaß, und in dieser Hinsicht hatte er sich bei Aylana nie beschweren können. Sie wusste die jeweilige Mode immer mit ihrem persönlichen Stil zu kombinieren.

Die, zu ihrem Kleid farblich passenden, hochhackigen Riemensandalen besaßen eine Schnürung, die über die straffen Waden der Frau, bis eine Handbreit unter ihre Knie reichte. Eine Kette aus dünnen Goldschnüren, die ein kompliziertes Muster auf ihrem Dekolleté bildeten, und zwei breite, dazu passende, ebenfalls goldene, Reifen, die sich aus filigranen Formen und Symbolen zusammensetzten, an den Handgelenken, rundeten das Erscheinungsbild der selbstbewusst wirkenden Frau ab.

Ihr langes, schwarzes Haar fiel in einer sanften Welle über ihrer rechten Schulter bis über die Brust hinab, und für wenige Augenblicke betrachtete der Diktator, wie es im Licht der untergehenden Sonne, beinahe metallisch schimmerte. Im nächsten Moment konzentrierte er sich ganz auf ihre sphinxhaften, grünen Augen.

„Aylana, was gibt es?“, fragte Laskarin Carom mit sonorer Stimme, obwohl er die Antwort darauf natürlich längst kannte. Er selbst war es gewesen, der die Mittdreißigerin mit den feingeschnittenen Gesichtszügen, angewiesen hatte, ihn nicht zu stören bis die Flottenkommandeure vollzählig eingetroffen waren. Er hätte mit keiner anderen Person in dieser Form Konversation gemacht, doch bei Aylana machte er eine Ausnahme, und das hatte einen einzigen Grund. Er mochte sie von Herzen.

Etwas, das einmalig war.

Dabei hegte er keinerlei romantische Gefühle für diese Frau. Aylana Beringaar war für ihn das, was einer platonischen Freundin am nächsten kam. Mochte ihm auch sonst jeder Mensch im Universum herzlich egal sein, für Aylana galt das nicht. Sie stand nun schon seit rund fünfzehn Jahren in seinen Diensten, und mittlerweile wusste Carom ganz sicher, dass sie keinerlei Machtambitionen besaß. Auch nicht die Ambition ihm menschlich näher zu kommen, als es bis heute der Fall war. Vielleicht war es genau das, was Carom besonders an ihr mochte. Ihr einziger Ehrgeiz bestand darin, ihren Posten als seine Rechte Hand pflichtbewusst und gewissenhaft zu erfüllen – und das tat sie.

Aylana Beringaar war, in der kurzen Liste von Caroms Vertrauten, die einzige Frau, und darüber hinaus die einzige Person, die nicht zum Militär gehörte. Anfangs hatte es deswegen einige Diskussionen mit seinen männlichen Vertrauten gegeben, doch Carom hatte seinen Kopf durchgesetzt, und Aylana hatte die Richtigkeit dieses Verhaltens bereits oft unter Beweis gestellt. Abgesehen davon war sie momentan der einzige Mensch, mit dem er sich duzte, und der ihn mit seinem Vornamen ansprechen durfte.

Mit einem feinen Lächeln ihrer geschwungenen Lippen andeutend, dass sie sein kleines Manöver ihrerseits durchschaut hatte, antwortete die hochgewachsene Frau mit glasklarer Stimme: „Die geladenen Generale sind vollzählig im kleinen Konferenzraum versammelt, Laskarin. Bis auf General Raskallan machen die Herren einen ziemlich angespannten Eindruck.“

Carom erlaubte sich ein fast jungenhaftes Grinsen und blickte über den Schreibtisch hinweg zu Aylana, die, wie schon so oft zuvor, drei Schritte vor dem Möbelstück stehengeblieben war, und ihre Hände vor dem Körper gefaltet hatte. Auch dieses gelöste Verhalten des Diktators wäre in der Gesellschaft keines anderen Menschen vorgekommen.

„Weißt du, wie oft ich mir schon gewünscht habe, den alten Haudegen Raskallan einmal wild zu erleben, Aylana? Ich gäbe etwas dafür, ihn nur ein einziges Mal richtig außer sich zu sehen, doch ich denke, diese Hoffnung wird sich niemals erfüllen.“

Grübchen bildeten sich auf der samtbraunen Haut ihrer Wangen, als Aylana Beringaar sich auf die Unterlippe biss, um ihre Heiterkeit im Zaum zu halten.

„Überschäumende Emotionen konnte man General Raskallan noch nie vorwerfen. Doch ich schätze, dass er ebenso gespannt darauf ist zu erfahren, wann genau Operation Schwarzer Stern abrollen soll. Er verbirgt es nur besser, als seine Kollegen.“

Das anfängliche Lächeln des Diktators vertiefte sich.

„Du sagst es, Aylana. Bitte unterrichte die Generale davon, dass ich in zwei Minuten bei ihnen sein werde.“

Mit einem angedeuteten Kopfnicken wandte sich die Frau ab und schritt, auf ihre unvergleichlich anmutige Weise, zum Schott hinaus, wobei Carom erst jetzt den raffiniert schrägen, tiefen Rückenausschnitt des Kleides zu sehen bekam. Im nächsten Moment schloss sich das Schott automatisch hinter Aylana Beringaar.

Laskarin Carom blickte sinnend auf das Schott, und wie schon so oft fragte er sich auch diesmal, warum er nie etwas mit Aylana angefangen hatte. Die Antwort war dieselbe, wie sonst auch: Weil ihm die Freundschaft mit ihr zu wichtig war, um sie auf solcherlei Art aufs Spiel zu setzen. Diese Freundschaft war etwas Besonderes, denn sie war echt.

Der Diktator sammelte sich. Er umrundete den Schreibtisch und folgte Aylana nun mit energischen Schritten.

Nachdem er den Vorraum passiert hatte, erwiderte er den militärischen Gruß der beiden Wachen, die zu beiden Seiten des Schotts standen, als er auf den Gang hinaus trat, und bog nach Rechts ab. Mit jedem Schritt den er ging verhärteten sich seine Gesichtszüge und nahmen jenen unnahbaren Ausdruck an, den man von ihm gewohnt war. Der umgängliche Laskarin Carom, der durchaus menschlich sein konnte, blieb auch weiterhin allein Aylana Beringaar vorbehalten. Diese Wandlung des Mannes war schon unzählige Male vor sich gegangen, immer dann, wen er sich mit Aylana unter vier Augen unterhalten hatte, und auch dieses Mal nahm er es nicht bewusst wahr.

Als Laskarin Carom wenig später jenen Konferenzraum betrat, in dem für gewöhnlich die wichtigsten, militärischen Entscheidungen fielen, erinnerte nichts mehr an den Mann, der er für die Augen einer hübschen Frau noch vor wenigen Momenten gewesen war. Nun war er wieder der fanatisch ambitionierte Diktator der Konföderation Deneb.

Die fünf Anwesenden, alle die perlnachtblaue Uniform der Konföderation Deneb tragend, erhoben sich bei seiner Ankunft, wie auf ein geheimes Signal hin, beinahe gleichzeitig und salutierten dem Protokoll entsprechend.

Laskarin Carom begab sich zum Kopfende des länglich ovalen Besprechungstisches, in dessen Zentrum ein Hologramm-Projektor installiert war, der von jedem Platz aus aktiviert und genutzt werden konnte. Als er sich setzte gab er den Generalen mit einer knappen, herrisch wirkenden, Geste zu verstehen, es ihm gleichzutun.

Flottengeneral Orson Brent Raskallan, der Carom gegenüber am anderen Ende des Tisches saß, legte seine großen Hände auf die Tischplatte und erwiderte den Blick seines höchsten und zugleich einzigen Vorgesetzten, mit verschlossener Miene. Der vierschrötige, wuchtig gebaute, Mann war sich seiner Stellung als zweitmächtigster Mann innerhalb der Konföderation bewusst und entsprechend selbstsicher war sein Auftreten. Die Ansichten des Diktators in Bezug auf feste Bindungen nicht teilend, war Raskallan nun seit mehr als fünfundzwanzig Jahren verheiratet und Vater von insgesamt vier Kindern.

Ein wenig hatte es Laskarin Carom immer gewurmt, dass ausgerechnet Raskallan seine Ansicht, was verheiratete Männer betraf, Lügen strafte. Carom sagte sich dabei jedes Mal, dass der Flottengeneral die berühmte Ausnahme der Regel war. Dennoch passte es ihm nicht so recht, und er hätte es den hoch aufgeschossenen, breitschultrigen Mann ganz sicher spüren lassen, wäre er nicht ein so brillanter Raumstratege gewesen.

Der Blick des Diktators wanderte vom Chef des Stabes zu dessen Stellvertreter, General Arne Riekenbrauk, einem hageren, hoch aufgeschossenen Mann mit eingefallenen Wangen und schlohweißem Haar.

Rechts von Riekenbrauk saß Generalmajor Tarun Al-Misra, ein mittelgroßer, etwas fülliger, Mann in mittleren Jahren, dessen harmlos wirkendes Äußeres über seine, teilweise perfide, Raffinesse hinwegtäuschte. Er führte den Geheimdienst der Konföderation Deneb.

Zu Raskallans Linker hatte sich, wie schon zu vielen anderen Meetings diese Art, General Nor Zul Kurumu, ein dunkelhäutiger Riese, von über zwei Metern Körpergröße, niedergelassen. Gegen ihn wirkte selbst Raskallan klein. Kurumu kommandierte und führte die gesamte Kriegsflotte der Konföderation. Der Riese hatte mehr Zeit seines, beinahe sechzigjährigen, Lebens auf Raumschiffen verbracht, als auf Planeten der Konföderation.

Den Letzten im Bunde bildete Generalleutnant Thore Grenqvist, ein relativ junger, aufstrebender Flaggoffizier, der erst seit Kurzem den Oberbefehl über die Raumlandetruppen der Konföderation übernommen hatte. Sein schulterlanges Haar war fast ebenso hell, wie das von Riekenbrauk, nur nicht weiß, sondern weißblond.

Zuletzt richtete sich Laskarin Caroms Blick wieder auf Flottengeneral Raskallan und der Diktator sagte auffordernd: „General Raskallan, bitte geben Sie uns einen Überblick, in wie weit unsere Kriegsflotte bereit zur Eroberung des Sol-Systems ist.“

Der Angesprochene aktivierte den Holo-Projektor. Eine drei Meter durchmessende Hologramm-Kugel entstand über dem Projektor und zeigte einen Bereich des Weltraums, dessen Durchmesser bei 5000 Lichtjahren lag. Eine Besonderheit dieses Projektor-Systems war, dass alle Beteiligten die gezeigte Szene aus derselben Perspektive sahen.

Im Zentrum des gezeigten Bereichs lag das Sol-System. Anders, als die restlichen terranischen Sternensysteme leuchtete sein Symbol nicht in Gelb, sondern in reinem Weiß, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein Angriffsziel handelte. Raskallan nahm einige schnelle Einstellungen vor und drei Sternensysteme der Konföderation, an der Grenze zum Terranischen Imperium, die rot dargestellt wurden, begannen zu blinken.

Der Chef des Stabes deutete auf die drei blinkenden Symbole und erklärte, mit gewohnt rauer Bass-Stimme: „Die Einheiten der Kriegsflotte befinden sich in voller Gefechtsbereitschaft. Das Gros der Flotte verteilt sich auf drei Bereitstellungs-Sektoren, wobei die Erste, Sechste und Siebente Flotte in der Nähe von Delta-Cephei manövriert. Diese Ballung an Kriegsschiffen hat, soweit der Geheimdienst korrekte Daten geliefert hat, wunschgemäß unsere terranischen Nachbarn nervös gemacht. Die Terraner haben zumindest ihre Präsenz in Richtung des Sektors auffallend erhöht. Es handelt sich, nach Auswertung der neuesten Daten um etwa drei Flotten, also rund dreihundert Kriegsschiffe. Danach wurde die restliche Flotte der Terraner zu weiteren, strategisch wichtigen, Randsektoren des Terranischen Imperiums beordert.“

Flottengeneral Raskallan nahm einige weitere Schaltungen vor und gelbe Symbole, von denen jedes für eine terranischen Flotte stand, leuchteten, mit Entfernungsangaben die besagten, dass sie sich zwischen 600 und knapp 900 Lichtjahren vom Sol-System entfernt, aufhielten. Dabei leuchteten drei gelbe Symbole dicht bei Delta-Cephei auf.

Raskallan deutete auf diese drei Symbole und fuhr fort: „Der terranische Flottenstab reagiert damit wunschgemäß. Ein günstiger Nebeneffekt ist, dass die Farradeen-Allianz zwei Flotten aus den Randsektoren zu den Plejaden zurückbeordert hat. So richtet sich die Aufmerksamkeit der Terraner nicht allein auf uns, denn für die Terraner muss das so aussehen, als habe die Allianz auch etwas vor.“

Raskallan ließ zwei weitere Flottensymbole, diesmal in Blau gehalten, aufleuchten. Dann ließ er eine Kursmarkierung für die drei eigenen Flotten bei Delta-Cephei erscheinen und bewegte sie zu einem Punkt, der um rund dreißig Grad versetzt, auf halbem Weg zwischen den drei Flotten und Deneb lag.

„Sobald unsere Flotten, die bei Delta-Cephei stehen dann zunächst Fahrt in Richtung Hantelnebel aufnehmen, und wir uns somit scheinbar tiefer in unser eigenes Territorium zurückziehen, wird die Allianz von den Terranern umso argwöhnischer beäugt werden. Dass unsere drei Flotten im Hyperraum den Kurs wechseln, und direkt nach Sol vorstoßen werden, das werden die Terraner im günstigsten Fall erst dann mitbekommen, wenn sie bereits tief in deren Territorium eingedrungen sind. Wenn überhaupt. Zwei weitere Kriegsflotten, die Zweite Flotte und die Dritte Flotte, werden sich so in Marsch setzen, dass sie kurz nach diesen drei Flotten bei Sol erscheinen.“

Orson Brent Raskallan deaktivierte den Holo-Projektor und blickte auffordernd zum Chef des Geheimdienstes.

Tarun Al-Misra verstand den Wink und räusperte sich. Er gab sich Mühe seine Stimme ruhig und tief klingen zu lassen. Wie schon so oft misslang der Versuch.

Zu Laskarin Carom gewandt begann er, den kleinen Seitenhieb Raskallans zurückgebend: „Nun, die Berichte meiner Agenten sind absolut korrekt, Erhabener. Der Flottenstab der Terraner rechnet nicht mit einem Angriff auf das Herz ihres Reiches. Im Gegenteil, unsere Agenten haben durch gezielte Desinformation Gerüchte geschürt, wir würden einen Angriff auf die Farradeen-Allianz planen. In wie weit diese Aktion ein Erfolg ist lässt sich aber erst in zwei bis drei Wochen erkennen. Der Leiter der Sektion-Mars hat Kontakt zu einem Offizier der Terranischen Flotte aufgenommen, der von ihm rekrutiert werden konnte. Er wird, zusammen mit zwei weiteren Überläufern, dafür sorgen, dass unser Angriff erfolgreich verläuft.“

„Ich traue keinen Verrätern, die sich für Geld kaufen lassen“, warf Raskallan mit einem giftigen Blick auf den Befehlshaber des Geheimdienstes polternd ein. „In welchem Bereich der Terranischen Flotte sind diese drei Überläufer tätig?“

Al-Misra grinste süffisant, fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel, und erwiderte: „Das wird Ihnen gefallen, Herr Kollege. Alle drei Überläufer sind Offiziere des Terranischen Geheimdienstes. Alle drei Offiziere wollen keine Bezahlung sondern die Zusage, unserem Geheimdienst beitreten zu dürfen, jeweils im Rang eines Majors.“

„Das besagt nichts darüber, ob man ihnen trauen kann“, beharrte Raskallan.

Laskarin Carom beobachtete abwartend, wie Tarun Al-Misra sich im Sessel zurück lehnte und die Hände über dem Bauch verschränkte. Er gewann den Eindruck, als habe der Chef des Geheimdienst die eigentliche Bombe noch nicht platzen lassen, und er sollte nicht enttäuscht werden.

Der Beleibte blickte lächelnd zu Raskallan und gab zurück: „Was würden Sie sagen, wenn uns einer dieser Überläufer bestätigt hätte, was mehrere unserer eigenen Agenten, in den vergangenen Monaten, schon mehrfach andeuteten? Nämlich, dass die Terraner kurz vor der Fertigstellung eines neuen Kreuzer-Prototyps stehen. Dieser Überläufer hat den Kreuzer nicht nur mit eigenen Augen, in einer hoch geheimen Luna-Werft, gesehen, sondern er weiß auch, wo auf dem Erdtrabant die Geheimbasis liegt. Nach letzten Berichten werden die Systeme des Experimental-Kreuzers momentan getestet und der erste Testflug ist, nach mehreren, kleinen Sabotagen an den Schiffssystemen, für den Beginn des neuen Jahres anberaumt worden. Wir sollten von daher möglichst den Angriffstermin zum Jahreswechsel einhalten, damit uns der Kreuzer in die Hände fällt. Wenn möglich, auch seine Entwickler. Falls dieser Überläufer nicht übertrieben hat, so ist die Schlagkraft dieses Prototyps enorm. Sofern wir ihn und die Pläne erbeuten können, wäre das von entscheidender Bedeutung für alle Unternehmen, die wir in Zukunft auszuführen gedenken.“

Für einen langen Moment blieb es still am Tisch, nachdem der Beleibte geendet hatte.

Es war Arne Riekenbrauk, der schließlich das Schweigen durchbrach. Der einschmeichelnd angenehme Klang seiner Stimme war dabei dazu angetan, Uneingeweihten den scharfen Intellekt des Generals zu verschleiern.

„Ich teile General Raskallans Bedenken. Wer sagt Ihnen, dass das Ganze nicht eine Falle ist, die der Terranische Geheimdienst ausgelegt hat?“

Tarun Al-Misras Augenlider verengten sich etwas. Dann antwortete er: „Lassen Sie es mich so sagen: Ich verstehe etwas von meinem Handwerk. Aber zu Ihrer Beruhigung: Mein Sektionsleiter auf dem Mars wird die drei Überläufer auf Herz und Nieren prüfen. Er wird deren Gesinnung definitiv feststellen, und ich versichere Ihnen, alle Drei werden von unseren Leuten ordentlich in die Mangel genommen. Die drei Überläufer haben sich ihrerseits damit einverstanden erklärt. Sollten Zweifel aufkommen, werden sie liquidiert und meine eigenen Agenten übernehmen die Aufgaben der Überläufer. Stellt Sie das zufrieden?“

Arne Riekenbrauk nickte unmerklich und wechselte schnelle Blicke mit General Raskallan und dem Diktator.

Laskarin Carom erwiderte die Blicke seiner beiden höchsten Offiziere und meinte dann bestimmt zum Chef des Geheimdienstes: „Machen Sie es so.“

Generalleutnant Thore Grenqvist, der bisher, so wie General Nor Zul Kurumu auch, geschwiegen hatte, beugte sich etwas im Sessel vor. Die kurze Pause nutzend wandte er sich zu Al-Misra und fragte knapp, wie es seine Art war: „Kennen ihre eigenen Agenten die Anlage, in der besagter Prototyp gebaut wird, genauso gut, wie die Überläufer, und wäre es ihnen, oder besagten Überläufern, möglich, noch vor dem Angriff einen Grundriss der Geheimwerft, inklusive aller gangbaren Zugänge, zu besorgen?“

„Daran habe ich bereits selbst gedacht und sie besorgen lassen. Übrigens von besagten Überläufern. Sie werden diese Unterlagen, im Anschluss an diese Besprechung bekommen, Grenqvist“, versprach der Beleibte.

Thore Grenqvist blickte mit leisem Unglauben zu Al-Misra.

„Haben Sie diese Unterlagen geprüft? Was macht Sie sicher, dass sie echt sind, und keine Falle der Terraner darstellen?“

Tarun Al-Misra beugte sich etwas in seinem Sessel nach vorne und antwortete überlegt: „Die junge Frau, die nach der Meinung unseres Mannes auf dem Mars am wertvollsten für unsere Pläne ist, hat ihn, vor wenigen Wochen, in den Luna-Komplex mitgenommen, als einen ihrer Untergebenen getarnt. Er konnte sich also ein ungefähres Bild des Komplexes machen und er ist sich sicher, dass diese Pläne keine Falle sind.“

Weitgehend überzeugt nickte Grenqvist und stellte eine Frage, die sich auch auf den Gesichtern der übrigen Anwesenden abzeichnete.

„Warum überhaupt ein Risiko mit den Überläufern eingehen?“

„Weil sich die drei Überläufer einerseits besser vor Ort auskennen, und sie effektiver die Abwehr des Sol-Systems sabotieren können, als meine eigenen Agenten. Das Risiko wäre ohne die Überläufer größer, als mit ihnen.“

Nor Zul Kurumu, der die Unterhaltung aufmerksam verfolgt hatte, wandte sich direkt im Anschluss an Grenqvist: „Generalleutnant, ich schlage drei Trupps vor, die auf meinem Flaggschiff und auf zwei meiner Geleitkreuzer stationiert werden. Ihre Teams und die Crews der Schiffe können dann das Landemanöver gemeinsam trainieren und sich so auf einander einspielen, bevor es ernst wird.“

Carom ergriff das Wort und sagte, an die beiden Generale gewandt: „Besprechen Sie bitte die Einzelheiten später, meine Herren.“

Er blickte hinüber zu Riekenbrauk und Raskallan, bevor er hinzufügte: „Ihre grundsätzliche Planung ist genehmigt, meine Herren. Ich werde sie später noch einmal zusammenrufen, sobald auch die Einzelheiten festgelegt sind. Generalmajor Al-Misra, Sie bleiben noch einen Moment lang hier, der Rest von Ihnen, meine Herren, kann wegtreten.“

Tarun Al-Misras Offizierskollegen verstanden den Wink und verließen den kleinen Konferenzraum.

Nachdem sie gegangen waren blickte Laskarin Carom den Chef des Geheimdienstes prüfend an und sinnierte: „Da haben sie Riekenbrauk eben ganz hübsch sarkastisch was vor den Latz geknallt, mein Lieber. Dabei hat der General lediglich das ausgesprochen, was auch ich mich insgeheim gefragt habe. Sie sollten sich einen Mann wie Arne Riekenbrauk nicht zum Feind machen, Al-Misra.“

Die zur Schau gestellte Überraschung des Geheimdienst-Chefs wirkte echt, als er ruhig erwiderte: „Es war absolut ernst gemeint, Erhabener. Ich bin mir vollkommen sicher, dass die offiziellen, terranischen Stellen keine Ahnung von dem haben, was passieren wird.“

Laskarin Carom erhob sich aus seinem Sessel, und der Chef des Geheimdienstes tat es ihm gleich. Langsam näherte sich der Diktator dem Beleibten und legte ihm seine rechte Hand auf die Schulter, wobei er sich etwas vorbeugte und fast flüsternd sagte: „Das hoffe ich für Sie, Generalmajor, denn falls Sie sich irren, wird es Sie den Kopf kosten. Und das meine ich durchaus wörtlich. Wir verstehen uns?“

Al-Misra fröstelte leicht, bei dem kalten Ausdruck in den Augen des Diktators. Er schluckte, nickte leicht und erwiderte mit kratziger Stimme: „Ja, Erhabener.“

„Dann will ich Sie nicht länger von ihren Pflichten abhalten, Generalmajor.“

Tarun Al-Misra salutierte und der Diktator blickte dem Beleibten sinnend hinterher, als dieser sich hastig entfernte. Eine Weile verharrte Carom so, scheinbar abwesend, bis ein leichtes Lächeln seine Lippen überflog und er sich ebenfalls zum Ausgang begab. Wie immer, nach solchen Zusammenkünften war ihm danach, mit Aylana über den Verlauf der Besprechung zu diskutieren, und ihre Meinung dazu zu hören.

 
 

* * *

 

In der ewigen, sternengesprenkelten Schwärze des Weltalls, nur wenige Dutzend Lichtjahre außerhalb des Cephei-Systems, glitt die Armada von annähernd dreihundert Kriegsschiffen der Konföderation Deneb, in weit auseinandergezogener Formation dahin.

Die kleinsten Einheiten der drei Flotten bildeten die schnellen Fregatten, mit einer Länge über Alles von 147 Metern. Neben einem der gewaltigen Schlachtkreuzer, mit einer lichten Länge von 952 Metern die größten Kriegsschiff-Einheiten der fünf Sternenreiche, wirkten sie beinahe verloren, und doch waren sie, in kleinen Gruppen, ein ernst zu nehmender Gegner, selbst für die unbezwingbar erscheinenden Schlachtkreuzer.

Daneben gab es noch drei weitere Schiffsklassen, die Zerstörer, mit einer Länge von insgesamt 254 Metern, die Leichten Kreuzer, ebenso lang, wie ihre Gegenstücke aus den anderen Sternenreichen, und die Schweren Kreuzer, mit einer Gesamtlänge von 648 Metern. Alle Schiffsklassen wiesen, etwas aus der Mitte, nach hinten versetzt, eine leichte Einschnürung auf. Zu dieser Einschnürung hin, die etwa ein Siebtel des gesamten Schiffes ausmachte, und zu beiden Enden der Raumer, wiesen alle diese Kriegsschiffe eine leichte Abschrägung auf.

Im horizontalen Graben, der den gesamten Schiffskörper umlief, waren die lateralen Schildemitter, Torpedo-Abschussröhren, diverse Sensoren und letztlich auch die seitlichen Antriebsaggregate integriert. Vier längliche Antennen-Pods ragten weit nach vorne, wobei die beiden größeren, außen liegenden Pods, die Scannereinheiten zum Flug im Hyperraum beinhalteten, während die Scanner in den kürzeren und weniger durchmessenden Pods dazwischen, für die Navigation im Normalraum gebraucht wurden.

Eine Phalanx von drei Antennen, für Normal- und Hyperfunk, erhob sich aus dem oberen Bereich der Schiffseinschnürung eines jeden Kriegsschiffs.

Sämtliche Einheiten waren mit phasengesteuerten Plasmakanonen und Weltraum-Torpedos, die über ein ausgeklügeltes Zielsuchsystem verfügten, bestückt. Auf einigen der älteren Flotteneinheiten gab es zudem noch einige, mittlerweile veraltete, Railguns, die Explosiv-Projektile mit annähernd Lichtgeschwindigkeit verschossen.

Geschützt wurden die Kriegsschiffe von so genannten Dual-Schilden. Dabei handelte es sich um einen hochgespannten Energieschild mit einer zweifachen Staffelung. Im Normalbetrieb diente der äußere Schild der Abwehr von festen Objekten, wie Torpedos, oder anderweitigen Waffen-Projektilen, während der innere Schild Explosions- und Waffenenergie abwies. Diese Zweifachstaffelung war notwendig, da einfache Energieschilde, selbst die neuester Fertigung, nicht Energiestrahlen und Projektile gleichzeitig abwehren konnten.

Die Dual-Schilde der Schiffe wurden dabei von lateralen Schildemittern erzeugt und so der Form des zu schützenden Objektes angepasst, dass zwischen Raumschiff und Schild nicht mehr als zehn Meter Distanz entstand. Die doppelt gestaffelten Schilde konnten notfalls so umgeschaltet werden, dass beide Schilde nur Energie oder nur feste Objekte abwehren konnten. In Notfällen darum, weil es zwar einerseits den Schutz gegen Waffenenergie oder Projektile verdoppelt, andererseits aber das zu schützende Objekt für eine der beiden Bedrohungen verwundbar machte. Zudem nahm das Zurückschalten in den Normalmodus einige Sekunden in Anspruch, was das zu schützende Objekt in dieser Zeit angreifbar machte.

Schwerkraftgeneratoren, an Bord der Raumschiffe sorgten dabei für eine konstante Gravitation von einem Gravo. Dieses System bestand im Grunde aus zwei getrennten Komponenten. Dem eigentlichen Generator zur Erzeugung, schnell in der Polarität wechselnder, Elektro-Magnet-Felder, und flache, elastische Emitter in Wabengitter-Form.

Die nur wenige Millimeter hohen Wabengitter waren in die Böden der Raumschiffs-Decks eingelassen. Wurden die Emitter aktiviert, so entstand durch die schnell fluktuierenden Magnetfelder, zu den Emitter-Gittern hin, eine künstliche Raumkrümmung, wobei die Wabenstruktur dafür sorgte, dass diese Krümmung gleichmäßig erfolgte, und nicht zu einem einzelnen, bestimmten Punkt des Emitters hin. Eine spezielle Verbundlegierung auf einer Seite der Waben-Emitter sorgte dabei dafür, dass der Raum nur auf einer Seite der Emitter zu ihnen hin gekrümmt wurde, und nicht auf beiden Seiten.

Über die Steuerung des eigentlichen Generators konnte stufenlos ein Gravitationswert zwischen -2,7 Gravos und +2,7 Gravos eingestellt werden.

Zusätzlich wurden die Besatzungen der Raumschiffe durch ein System von Andruck-Neutralisatoren vor den Beharrungskräften bei hohen Beschleunigungen geschützt. Dieses sehr wichtige System war redundant ausgelegt, weshalb es, seit dem Bestehen bewaffneter Raumverbände, ab dem Jahr 2400, noch nie zu tödlichen Unfällen aufgrund zu hoher Beschleunigungskräfte an Bord eines Raumschiffs gekommen war.

Rein äußerlich glichen die Kriegsschiffe der Konföderation weitgehend ihren Pendants der anderen vier Sternenreiche, bis auf die blutroten Hoheitsabzeichen und Einheits-Markierungen auf der Panzerplattierung. Dabei stachen zehn der Kriegsschiffe durch jeweils drei zusätzliche, vertikale Streifenmarkierungen heraus. Bei diesen Kriegsschiffen handelte es sich um die Garde-Flottille, an deren Spitze General Nor Zul Kurumus Flaggschiff stand. Die blutroten Markierungen standen für den Elitestatus ihrer Besatzungen, die als die besten und loyalsten der Konföderation galten, und das nicht zu Unrecht.

Hin und wieder schimmerte der Lichtreflex einer nahen, namenlosen Sonne, in deren Nähe sich die drei Flotten aufhielten, auf den mittelgrauen Oberflächen der Raumschiffe, die aus einer exotischen Stahl-Kunststoff-Legierung bestanden. Ansonsten hoben sich die Kriegsschiffe nur durch das typische, blaue Leuchten der Antriebsaggregate von der Schwärze des Weltalls ab.

Die Besatzungen der drei Flotten warteten – doch nur eine Handvoll von hohen Offizieren an Bord des Flaggschiffs PANDORA wusste worauf. Einerseits, weil das geplante Unternehmen naturgemäß der absoluten Geheimhaltung unterlag, um dem Gegner keine Gelegenheit zu geben etwas darüber herauszufinden. Andererseits, um die eigenen Truppen nicht frühzeitig in eine hysterische Stimmung zu versetzen. Gerüchte gab es ohnehin mehr als genug an Bord der Kriegsschiffe. Jeder der Raumfahrer ahnte, dass eine Großaktion bevorstand. Die meisten von ihnen glaubten jedoch an ein Großmanöver, um bei den terranischen Handelspartnern Vergünstigungen für die Wirtschaft der Konföderation durchzusetzen, was nicht zuletzt daran lag, dass General Kurumu genau dieses Gerücht gezielt hatte streuen lassen.

Die Kommandanten der Kriegsschiffe ließen ihre Bordtechniker beinahe rund um die Uhr an sämtlichen Aggregaten arbeiten, damit sie die volle Leistung bringen konnten, sobald der Einsatz startete. Allein für die Strecke von etwa 1200 Lichtjahren, den Haken, den die Einheiten in Richtung des Hantelnebels schlagen würden, mit eingerechnet, brauchten die Flotten der Konföderation rund 14 Tage, bei etwa 95 Prozent der maximalen Leistung, der Überlichttriebwerke. Die Einheiten mussten also spätestens am 17. Dezember aufbrechen, wollten sie, wie geplant, zum Jahreswechsel das Sol-System erreichen.

Um ganz sicher zu gehen, rechtzeitig vor Ort zu sein, hatte General Kurumu den Starttermin dieser Flotten, auf den 14. Dezember festgesetzt und Generalleutnant Thania Selaris, die Kommandeurin der Ersten Flotte, dahingehend informiert. Momentan erfüllte sie, während Kurumus Abwesenheit, dessen Funktion als Oberkommandierender.

Neben den technischen Arbeiten standen für die Besatzungen des Weiteren Drillübungen, und für die Brückenoffiziere schnelle Formationswechsel, auf dem Programm. Alles sollte am Ende reibungslos funktionieren. So trieben die zuständigen Offiziere und Unteroffiziere ihre Untergebenen immer wieder an und hielten sie auf Trab.

Ein nützlicher Nebeneffekt dieser Schinderei war, nach Ansicht der führenden Köpfe des bevorstehenden Unternehmens, der, dass Niemand die Zeit fand zu viel zu Grübeln, oder Fragen zu stellen. Die Militärdoktrin der Konföderation besagte unter Anderem, dass ein einfacher Soldat weniger zu fragen, als zu funktionieren habe. Natürlich wollte man in der Konföderation keine stupiden Befehlsempfänger, aber andererseits auch nicht zu viel Eigeninitiative. Dies war seit Jahrtausenden die größte Angst diktatorischer Regierungen, und die Regierung der Konföderation Deneb bildete diesbezüglich keine Ausnahme.

Nachdem General Kurumu seine Stellvertreterin, per abhörsicherem Richt-Hyperkom-Spruch, davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Diktator die grundsätzliche Angriffsplanung genehmigte, hatte Thania Selaris die zwei übrigen Flottenkommandeure zu sich auf das Flaggschiff gebeten und hatte mit ihnen, wie von Kurumu während der Hyperkom-Unterredung angeordnet, nochmal sämtliche Details des geplanten Angriffs auf das Sol-System erörtert. Während dieser Zusammenkunft hatte Selaris ihren beiden Kollegen zusätzlich die vorläufigen Angriffsziele der einzelnen Flottenverbände genannt, mit dem Hinweis, dass diese sich noch in den Details geringfügig ändern könnten.

Die letzten Grundsätzlichkeiten waren damit erledigt. Nun konnte man nur noch an den letzten Details arbeiten und darauf warten, dass der Einsatz beginnen würde.

 
 

* * *

 

Auch an einem anderen Punkt des Weltalls, auf Seiten der Farradeen-Allianz, dicht an der Grenze zum Raumgebiet des Terranischen Imperiums, in Richtung des Falkennebels, gab es Raumsoldaten, die warteten.

Einer der Ungeduldigsten unter ihnen war Generalmajor Arolic Traren, Kommandeur der Sonnenwind-Flotte. Bereits kurz nach dem Krieg von 2950 war auf Seiten der Farradeen-Allianz die Durchnummerierung der verschiedenen Raumflottenverbände, zugunsten einer individuellen Namensgebung, aufgegeben worden.

Traren, ein breitschultriger, untersetzter Mann im Alter von vierundfünfzig Jahren, nach Terra-Standard gerechnet, wanderte ruhelos in der Kommandozentrale des Flaggschiffs der Flotte, dem Schlachtkreuzer STELLARIS, auf und ab. Gelegentlich warf er, über die Schulter des Ortungsleit-Offiziers hinweg, einen Blick auf dessen Displays, um seine Wanderung durch das Kommandozentrum des Schlachtkreuzers danach wieder aufzunehmen.

Oberst Chiara Halloran, die eigentliche Kommandantin des Flottenflaggschiffs, die den Generalmajor nun seit fast einer halben Stunde bei seinem Tun beobachtete, erlaubte sich ein feines Schmunzeln. Sowohl optisch, wie auch charakterlich schien sie das genaue Gegenteil des Flottenkommandeurs zu sein. Mit einer Körpergröße von knapp 1,90 Metern überragte sie den Generalmajor um gut eine Handbreit. Ihre Geduld war scheinbar unbegrenzt, ganz im Gegensatz zu Traren, mit dessen Geduld es in den meisten Fällen nicht allzu weit her war.

Trotzdem verstand sich Chiara Halloran mit dem Generalmajor ausgezeichnet. Zehn Jahre jünger als Arolic Traren, wirkte die Kommandantin mitunter abgeklärter, besonders in Phasen wie gerade eben jetzt, wo Traren wirkte, wie ein eingesperrter Tiger.

Langsam erhob sich Chiara Halloran aus ihrem Kommandosessel, fuhr sich mit der linken Hand durch das schulterlange, dunkelbraune Haar und näherte sich Traren.

Der Generalmajor, momentan in einem Zustand, in der er alles sah und hörte, drehte seinen Kopf in Richtung der Kommandantin und warf ihr einen fragenden Blick zu. Seine großen Hände auf den Rücken legend erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme bei ihr: „Was halten Sie von dem massiven Aufmarsch der Konföderierten, Chiara?“

Die schlanke Mittvierzigerin sah dem Generalmajor auch heute seine Marotte nach, alle seine Untergebenen beim Vornamen zu nennen, und erwiderte mit sanfter Stimme: „Ich bin mir immer noch nicht recht im Klaren darüber, was die Flotten der Konföderation-Deneb bei Delta-Cephei wollen, General.“

Die dunklen Augen des Flaggoffiziers, die in eigenartigem Kontrast zu seinen grauen Haaren standen, funkelten wie glühende Kohlen, als er entgegnete: „Was sollen die da wohl wollen, Chiara. Die sind auf dem Sprung zum Falkennebel, und dann weiter, zu uns.“

„Sind wir es denn, die angegriffen werden sollen, falls das Ganze nicht doch nur ein groß angelegtes Manöver ist?“

Traren blickte seinen Oberst an, wie ein Wundertier, bevor er sinnend antwortet: „Eine wirklich hervorragende Frage, Chiara. Sie haben absolut Recht, vielleicht gilt dieser Aufmarsch jemand ganz Anderem. Aber in dem Fall sehe ich keinen Sinn in der Positionierung der konföderierten Flotten. Momentan sieht die Lage leider ganz so aus, als wolle man doch uns an den Kragen. Und darauf müssen wir vorbereitet sein.“

„Eine Reaktion unsererseits, die vielleicht genau so von der Konföderation beabsichtigt ist“, gab Chiara Halloran zu bedenken.

Trarens Miene drückte Zweifel aus. „Das wäre meiner Meinung nach nicht sehr klug. Warum sollten die uns alarmieren? Unvorbereitet wären wir doch ein viel leichteres Opfer.“

Die Schiffskommandantin nickte. „Dieser Widerspruch behagt Ihnen nicht.“

Auf der Stirn des Generalmajors bildete sich eine steile Falte. „Wer hat Ihnen erlaubt in meinen Gedanken zu lesen, Oberst Halloran?“

Die grauen Augen der Kommandantin blitzten vergnügt auf. Sie kannte den Generalmajor lange genug um zu wissen, dass er sie nur mit Titel anredete, wenn er sich einen Scherz erlaubte.

„Sie denken zu laut“, konterte die Frau trocken. Wieder ernster werdend und dabei zufrieden registrierend, dass Traren längst nicht mehr so nervös wirkte, wie noch vor wenigen Minuten, meinte sie dann: „Sie befinden sich nun seit mehr als zehn Stunden in der Zentrale, wie mir bei Dienstbeginn gemeldet wurde, Sir. Sie sollten sich vielleicht etwas ausruhen. Ich werde Sie rechtzeitig informieren lassen, falls sich die strategische Lage ändern sollte.“

Es schien zunächst so, als wolle der Generalmajor widersprechen, doch dann nickte er zustimmend und erklärte: „Sie haben Recht, Chiara. Was nützt ein übermüdeter General, der im Stehen einschläft, falls es ernst werden sollte?“

Eben, Sir!“

Arolic Traren warf der Kommandantin, ob der letzten Bemerkung, einen langen Blick zu und wandte sich schließlich ab.

Nachdem er die Zentrale, durch das Steuerbord-Schott verlassen hatte, marschierte er durch den, von indirekten Lichtquellen, angenehm beleuchteten, weißen Gang, in Richtung Bug. Obwohl es ein System von Lifts an Bord gab, benutzte Traren, knapp zwanzig Meter weiter, eine der, über das gesamte Schiff verteilten, Nottreppen, um zu seinem Quartier zu gelangen, das ein Deck unter dem Hauptdeck lag. Auch das gehörte zu seinen Marotten – um nicht zu träge zu werden, wie er stets sagte.

In seinem Quartier nahm der Generalmajor an seinem Schreibtisch Platz und aktivierte das Taktik-Holo. Er blendete die bekannten Positionen der Konföderierten Flotten ein. Danach die der Allianz. Für eine Weile blickte er vorgebeugt auf die Abbildung und lehnte sich dann im Sessel zurück, ohne das Holo aus den Augen zu lassen. Grübelnd legte er die Fingerspitzen gegeneinander.

Nach Arolic Trarens Meinung fiel der Bund von Harrel als potenzielles Angriffsziel aus, denn in diesem Fall hätte die Konföderation ihre Flotten anders positioniert. Um das Antares Sternenreich anzugreifen würden die Flotten der Konföderation den gesamten Raum des Terranischen Imperiums durchfliegen müssen, doch das würde einer Kriegserklärung gleichkommen, und für derartig wahnsinnig hielt Traren nicht einmal Diktator Carom. Sowohl die Raumsoldaten des Imperiums, als auch deren Kriegsschiffe, galten als die besten aller fünf Sternenreiche. Und das Imperium selbst zu überfallen kam, nach der Meinung von Traren, ebenfalls nicht in Frage. Dazu waren die imperialen Kolonien, insbesondere aber das Sol-System selbst, viel zu gut befestigt. Die planetaren Forts und die orbitalen Verteidigungsplattformen, bestückt mit den modernsten Waffen, würden allein schon ausreichen, um allen eventuellen Angreifern eine sehr nachhaltige Lektion zu verpassen.

Traren atmete tief durch, deaktivierte das Hologramm und schloss für einen Moment die Augen. Chiara Halloran hatte Recht gehabt – Der Widerspruch im Verhalten der Befehlshaber von der Konföderierten Deneb störte ihn. Oder gab es eine Unbekannte in der Gleichung, an die er bislang nicht einmal im Entferntesten gedacht hatte?

Nun, in wenigen Stunden würde die Sternenlicht-Flotte zu ihnen stoßen, um die Grenze, bei einem möglichen Angriff der konföderierten Flotten zusätzlich zu sichern. Alle übrigen Flotten befanden sich momentan in erhöhter Alarmbereitschaft, darauf vorbereitet einzugreifen, falls es zum Angriff kam.

Die Farradeen-Allianz war bereit.

Je mehr Traren darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher schien ihm ein solcher Angriff. Vermutlich hatte Halloran Recht, und es handelte sich bei den Manövern der konföderierten Flotten um nicht mehr, als ein erneutes Säbelrasseln in Richtung der Terraner.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte Arolic Traren noch nicht, wie sehr er sich irren sollte.

VORAHNUNGEN

 In unmittelbarer Nähe zum Raumgebiet, das seit dem Interstellaren Krieg von der Konföderation-Deneb beansprucht wurde, lag das vom Terranischen Imperium kontrollierte Delta-Cephei-System, oft auch einfach nur Cephei-System genannt.

Im Grunde hatte es sich bei dem Interstellaren Krieg um mehrere, mit aller Härte ausgefochtene, Kriege gehandelt, die geschichtlich später jedoch unter dem Begriff Interstellarer Krieg zusammengefasst worden waren, da sie sich direkt aneinander gereiht, oder teilweise sogar zeitlich überschnitten hatten.

Das Cephei-System bestand aus einem Doppelstern, der sich im Sternbild Kepheus befand, und zwölf Planeten, die den Doppelstern umliefen, von denen nur der dritte Planet für die Kolonisation durch Menschen geeignet war.

Auf einem Mond des sechsten Planeten des Systems, einem Gasriesen der etwa 20% größer war, als der solare Jupiter, befand sich die Sektion-Cephei, eine der insgesamt zwölf Zweigstellen der Terranischen Raumflottenakademie.

Der Doppelstern setzte sich aus folgenden beiden Komponenten zusammen: Zum einen aus einem Roten Überriesen - Cephei A - der die Roche-Grenze überschritt, wenn er seinem Partner – Cephei B - einem Blauen Riesen, am nächsten kam. Dann floss Materie von ihm zu seinem blauen Partner. Zum anderen aus besagtem, Blauen Riesenstern der zur Hauptreihe gehört, obwohl er aber bereits deutlich Masse von Cephei A entrissen hatte.

Da das System, nach Forschungsergebnissen terranischer Wissenschaftler, noch für mindestens 50.000 Jahre relativ stabil bleiben würde, und der dritte Planet nicht nur angenehme klimatische Verhältnisse aufwies, sondern auch sehr reich an Bodenschätzen war, wurde im Jahr 2514 beschlossen, in dem System eine Kolonie zu etablieren. Der dritte Planet wurde schließlich von der planetaren Regierung auf den Namen Outpost getauft.

Gegenwärtig gab es auf Outpost mehr als 700 Millionen Kolonisten.

Wegen seiner strategischen Bedeutung und seiner unmittelbaren Nachbarschaft zum Raum der Konföderation-Deneb, wurde Outpost, insbesondere nach dem Interstellaren Krieg, zu einer der stärksten Festungen des Terranischen Imperiums ausgebaut. Neben schweren Abwehr-Forts und, neben den zivilen Raumhäfen, drei großen, rein militärisch genutzten Raumhäfen, befand sich auf Outpost das Hauptquartier der gesamten, neunten Flotte des Imperiums, die permanent bei Cephei stationiert war. Momentan wurde sie durch die Vierte Flotte und die Achte Flotte unterstützt, wobei sich jedoch nur die Neunte Flotte innerhalb der Umlaufbahn von Outpost bewegte. Die beiden übrigen Flotten verteilten sich einige Lichtminuten außerhalb des Systems, in Richtung des Grenzsektors.

Trotz der erhöhten Alarmbereitschaft für die Imperiale Raumflotte ging das Leben auf Outpost gegenwärtig seinen normalen Gang. Auch die Flüge der Frachtraumschiffe, zwischen Outpost und den übrigen Welten des Imperiums, wurden in gewohntem, regelmäßigen Takt weitergeführt, denn die überall auf dem Planeten geförderten Rohstoffe wurden im gesamten Terranischen Imperium dringend benötigt.

Mit dem Eintreffen der Vierten Flotte hatte Generalleutnant Hilaria Inira Mbena, die an Bord des Flaggschiffes her gereist war, das Oberkommando über die gesamten Streitkräfte dieses Sektors übernommen. Die rundliche, dunkelhäutige Frau von Anfang Sechzig galt als einer der besten Flottenkommandanten des Terranischen Imperiums. Darüber hinaus stand sie in dem Ruf eine hervorragende Taktikerin zu sein. Dafür sprach auch ihr Abschluss an der Sektion-Terra, den sie, als eine der Wenigen, mit Auszeichnung absolviert hatte. Zu Beginn ihrer Karriere war sie gelegentlich wegen ihres mütterlich wirkenden Äußeren unterschätzt worden, ein Fehler den jene, die sie näher kennenlernten, garantiert nicht zweimal machten. Hilaria Inira Mbena wusste sehr genau, was sie wollte, und ihr messerscharfer Intellekt half ihr dabei, ihr jeweiliges Ziel, ohne Abstriche, zu erreichen.

Dabei hatte sich Hilaria Mbena erst recht spät, nach einem zivilen Studium als Raumfahrt-Ingenieur, für eine Karriere bei den Streitkräften der Raumflotte entschieden. Erst im Alter von siebenundzwanzig Jahren hatte sie ihren Abschluss an der Akademie gemacht, was der Grund dafür war, dass sie nicht längst den Rang eines Generals inne hatte. Ein paar ihrer Kollegen im Generalstab mutmaßten, dass sie wahrscheinlich mittlerweile Chef des Stabes gewesen wäre, hätte sie ihre Karriere eher begonnen.

Im Moment stand Hilaria Mbena vor der breiten Fensterfront des Quartiers, das sie vor drei Tagen bezogen hatte, und blickte hinaus über die weiten Ebenen zu den fernen, schneebedeckten Bergen. Die heraufziehende Morgendämmerung tauchte die Landschaft in ein unwirklich anmutendes Dämmerlicht.

Generalleutnant Mbena atmete tief durch. Sie gehörte zu jener Art von Menschen, die selbst in Zeiten der modernen Raumfahrt, und als ein Mensch, der bereits unzählige Sterne gesehen hatte, einen heraufziehenden Sonnenaufgang als etwas Erhabenes betrachteten. Dabei war sie nicht bereits, sondern immer noch wach, denn ihr Körper hatte sich noch längst nicht dem planetaren Tag und Nacht Rhythmus angepasst, obwohl sie bereits seit mehr als drei Wochen in diesem System weilte. Zum Ende der dritten Novemberwoche war sie im Delta-Cephei-System angekommen, und auf Terra endete gerade der 13. Dezember.

Vorsichtig führte sie die Tasse in ihrer Hand zum Mund und nahm einen Schluck von dem heißen Tee, den sie sich vor etwa einer halben Stunde selbst, in der Küchennische ihres Quartiers, zubereitet hatte. Sie hielt ohnehin nichts davon, sich permanent von Ordonanzen bedienen zu lassen. In ihren Augen wurde man dadurch nur bequem, und das war ein Zustand, den sie für einen Soldaten im aktiven Dienst als höchst gefährlich ansah. Leider gehörte sie, ihrer Meinung nach, damit zu einer Minderheit im Stab der Flotte.

Draußen glitt ein Schwarm großer, flunderförmiger Tiere über den langsam heller werdenden Himmel und die Augen der dunkelhäutigen Frau wurden groß. Sie hielt sich zum ersten Mal in ihrem Leben auf Outpost auf und ein solches Spektakel am Himmel hatte sie bisher noch nie beobachten können. Mit beinahe angehaltenem Atem beobachtete sie den majestätischen Flug der Tiere, deren Spannweite sie auf mindestens sechzehn bis siebzehn Meter schätzte, bis sie außer Sichtweite gerieten.

„Was für Apparate“, flüsterte sie leise zu sich selbst und nahm einen weiteren Schluck Tee, wobei sie an den Besuch der Sektion-Cephei, am gestrigen Tag, zurückdachte. Sie hatte im Vorfeld darum gebeten, kein Aufheben darum zu machen, aber natürlich hatte der Leiter dieser Akademie-Sektion ein Aufheben darum gemacht. Das brachte ihre momentane Position als Sektoren-Kommandantin eben mit sich.

Mit einem schwachen Seufzen wandte sich Hilaria Mbena schließlich von der Fensterfront ab und schritt in den schwach erleuchteten Wohnraum hinein. Sie trank ihren Tee aus, stellte die Tasse auf dem niedrigen Tisch ab, der von zwei Couchen flankiert wurde, und setzte sich dann auf eine der Couchen. In der Mitte des glänzenden, weißen Tisches hatte sie ihr Schachbrett platziert.

Seit dem Beginn ihrer Karriere hatte sie es zu jedem Ort mitgenommen, an dem sie stationiert gewesen war. Die Felder des Brettes bestanden aus dünnen, weißen und schwarzen, Marmorplättchen, die von Pharran-Holz eingefasst wurden. Auf ihnen standen die Schachfiguren aus Zinn, die französischen und russischen Soldaten der napoleonischen Ära nachempfunden worden waren. Alle Figuren waren liebevoll von Hand bemalt. Ihr Großvater mütterlicherseits hatte diese Figuren, nach alten historischen Aufzeichnungen, selbst angefertigt und sie schließlich koloriert.

Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen erinnerte sich Hilaria Mbena daran, wie oft sie mit ihrem Großvater Schach gespielt hatte. Er war ein ausgezeichneter Spieler gewesen und er hatte ihr so manche Strategie beigebracht, die ein Durchschnittsspieler als höchst unkonventionell bezeichnet hätte. Es gab jedoch Momente, so wie diesen, in denen die Frau ihre Spielfiguren lieber in Ruhe betrachtete, als mit ihnen tatsächlich zu spielen.

Sich entspannend auf der Couch zurück lehnend überlegte Hilaria Mbena, dass die momentane militärische Lage sich gar nicht so sehr von der Ausgangssituation auf dem Schachbrett unterschied. Sie wartete momentan auf den Eröffnungszug ihres Gegners um zu erkennen was er vorhaben mochte. Etwas das ihr gar nicht behagte, denn sie war viel lieber Diejenige bei der die Initiative lag.

Vor zwei Wochen hatte sie die Kommandeure der drei hier zusammengezogenen Flotten, Claudine Poirot, Hu Xin Fo und Stuart Phillips, zu einer Besprechung der strategischen Lage getroffen. Sie kannte besonders Stuart Phillips sehr gut.

Mit Claudine Poirot hatte sie nur selten zu tun gehabt. Was Hilaria Mbena von ihr wusste war, dass sie auf diesem Planeten geboren und aufgewachsen war. Eingedenk dessen, was sie eben durch die Scheibe ihres Quartiers gesehen hatte, beneidete Generalleutnant Mbena ihre Kameradin deswegen ein Wenig.

Hu Xin Fo hatte sie, bis dahin, lediglich einmal kurz, während eines Kommandeurs-Treffens auf dem Mars, im Strategischen Hauptquartier der Flotte, gesehen. Er war bisher die unbekannte Größe für sie gewesen. Bei der Besprechung, vor zwei Wochen, hatte sich der Asiat als ziemlich ruhig erwiesen. Wenn er jedoch etwas sagte, so traf er genau den Kern der Angelegenheit, und so etwas mochte Hilaria Mbena bei ihren Untergebenen.

Nach der Besprechung hatte sie Generalmajor Hu mit seiner Vierten Flotte, und Generalmajor Poirot mit ihrer Achten Flotte in Marsch gesetzt. Sie sicherten momentan die Grenzsektoren, während sie die Neunte Flotte unter Stuart Phillips als Reserve im System zurückbehalten hatte. Danach hatte es geheißen abzuwarten – und sie hasste es abzuwarten.

Hilaria Mbena schloss die Augen und wollte sich gerade körperlich und seelisch fallen lassen, als an ihrem Multifunktions-Armband der Kontaktalarm ertönte.

Das klappt immer, dachte die Oberbefehlshaberin frustriert, bevor sie die Augen öffnete, ihren linken Arm anhob, und die Empfangstaste ganz leicht mit ihrem rechten Zeigefinger berührte. Mit rauer Stimme meldete sie sich: „Hier Mbena, wer spricht?“

„Generalleutnant, hier spricht Oberleutnant Galneran, Offizier vom Dienst in der Funkzentrale“, klang eine tiefe Stimme aus dem kaum sichtbaren Lautsprecher des Armbandgeräts. „Vor wenigen Augenblicken hat sich Generalmajor Hu gemeldet und darum gebeten, Sie zu benachrichtigen, dass er umgehend mit ihnen sprechen muss. Es klang ziemlich wichtig, Sir.“

Sich von der Couch erhebend erwiderte Mbena: „Sagen Sie dem Generalmajor, ich sei bereits unterwegs und in einer Minute da. Mbena, Ende.“

Die mollige Frau deaktivierte ihr Gerät und eilte zum Ausgang ihres Quartiers. Draußen auf dem Gang verfiel sie in einen Schritt, der halb Gehen halb Laufen war. Schon nach wenigen Augenblicken außer Atem wurde Hilaria Mbena langsamer und verwünschte nicht fitter zu sein. Im letzten halben Jahr hatte sie, zu ihrem Leidwesen, wieder ein Pfund zugenommen.

Vielleicht habe ich ja eine Drüsenkrankheit, von der ich nichts weiß, dachte sie, und gab einen Moment später ein spöttisches Schnaufen von sich. In Gedanken fügte sie hinzu: Ja klar, altes Mädchen, wenn eine Frau zunimmt, dann ist sie entweder schwanger, oder Drüsen-krank. Aber mach dir nichts vor, Hilaria, wenn eine Frau deines Alters zu dick ist, dann frisst sie zu viel. So sehen die Tatsachen aus, und nicht anders.

Etwas außer Atem erreichte Hilaria Mbena das Schott der Funkzentrale, blieb einen Moment durchatmend stehen und legte dann ihre Rechte auf den Öffnungssensor, der den Abdruck ihrer Hand identifizierte, und sie als zum Eintritt berechtigt akzeptierte.

Die beiden Schotthälften glitten, leise zischend, zur Seite und gemessenen Schrittes, wie es sich für eine Frau in ihrem Rang gehörte, trat sie in die Funkzentrale ein. Während sie zur Hologramm-Nische des Funkleitstandes schritt erkannte Mbena bereits das lebensgroße Abbild des asiatischen Generalmajors. Das Gesicht des holografischen Mannes wandte sich ihr zu, als sie in den Erfassungsbereich des Holo-Funk-Systems schritt. Der Generalmajor salutierte und begann ohne Umschweife zu erklären: „Generalleutnant Mbena, ich melde dass sich die Kampfverbände der Konföderation Deneb in Marsch gesetzt haben. Aber nicht in Richtung des Falken-Nebels, sondern in Richtung des Hantel-Nebels.“

Auch ohne Sternenkarten zur Hand zu haben wusste Hilaria Mbena, was diese Meldung besagte, und so fragte sie, mit gelinder Verwunderung: „Die drei Flotten der Konföderation ziehen sich tiefer in eigenes Territorium zurück? Was haben die vor?“

Die Qualität des Hologramms war so hervorragend, dass Hilaria Mbena das kaum merkliche Anheben der Augenbrauen von Hu Xin Fo bemerkte, als er erwiderte: „Es klingt beinahe so, als wären Sie enttäuscht, Sir?“

Die Frau schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, das trifft es nicht. Aber ich kann mir auf dieses Manöver absolut keinen Reim machen. Alle Anzeichen haben dafür gesprochen, dass die Konföderation sich auf einen Angriff vorbereitet. Und nun wollen die uns weismachen dass sie nur ein Großmanöver abgehalten haben? Halten Sie mich ruhig für einen unverbesserlichen Pessimisten, Hu, aber das nehme ich den Konföderierten nicht ab.“

„Darum habe ich einen Verband von zehn Einheiten, entlang der Grenze, hinterher geschickt, Sir. Sie sollen die Feindverbände, so lange es geht, per Hyper-Ortung verfolgen.“

Hilaria Mbena nickte nachdenklich. Dann sammelte sie sich und entschied: „Generalmajor, Lassen Sie ihren Verband mit Höchstgeschwindigkeit Fahrt aufnehmen. Sie fliegen einhundert Lichtjahre hinaus und beziehen Stellung an der Grenze, in Richtung, in der die Flotten der Konföderation aufgebrochen sind. Damit erweitere ich unseren Spielraum etwas und wir können unsere drei Flotten notfalls dennoch innerhalb eines halben Tages wieder vereinigen.“

Der Asiat bestätigte knapp und fragte dann: „Sir, darf ich, in Hinsicht auf die letzten bekannten Flottenaktivitäten der Farradeen-Allianz, vorschlagen, die Achte Flotte etwas zurückgesetzt zwischen Delta-Cephei und meiner Flotte zu stationieren? Damit hätten wir auch ein paar Augen in dieser Richtung.“

„Ein guter Vorschlag“, stimmte die Oberbefehlshaberin zu. „Ich werde die Kommandeurin der Achten Flotte im Anschluss unterrichten. Mbena, Ende.“

Hilaria Mbena beobachtete, wie der Generalmajor erneut salutierte. Sie erwiderte den militärischen Gruß und beobachtete, wie das Hologramm sich auflöste, bevor sie sich an den Funkoffizier wandte, um ihn anzuweisen, eine Verbindung zum Flaggschiff der Achten Flotte herzustellen. Dabei horchte sie in sich hinein und sie spürte tief in sich jenes ungute Gefühl, dass ihr bisher stets unangenehme Ereignisse vorausgesagt hatte.

 
 

* * *

 

Etwa zu derselben Stunde trafen sich Dean Corvin und Kimi Korkonnen, auf der Erde, in Madrid mit dem Geschäftsführer der Garrett-Hellmann Incorporated, Cole Hauser. Nachdem ihn Corvin, vor etwa einer Woche, zum ersten Mal, wegen der aktuellen Exportzahlen seiner Firma, kontaktiert hatte, empfing sie der mittelgroße Endvierziger in seinem geräumigen Büro, in der 102. Etage des Hauptfirmensitzes.

Cole Hauser schüttelte den beiden Offizieren der Terranischen Flotte die Hände, deutete dann auf eine gemütlich eingerichtete Sitzgruppe und bot ihnen Platz an.

Überwältigt von dem Ausblick, den man von hier oben hatte, folgten die beiden jungen Offiziere dem elegant gekleideten, dunkelblonden Mann, dessen harte, wasserblaue Augen von einem Leben voller geschäftlicher Anspannung und Verantwortung erzählten. Während sie Platz nahmen, blickte Hauser kurz zu seinem Sekretär, der sich bisher dezent im Hintergrund gehalten hatte und fragte seine beiden Gäste: „Darf ich Ihnen, bevor wir zur Sache kommen, einen Kaffee anbieten, meine Herren?“

Corvin und Korkonnen nickten einmütig und Cole Hauser gab seinem Mitarbeiter einen knappen Wink.

Sie warteten, bis der Sekretär die Getränke gebracht und sich entfernt hatte, bevor Hauser das Wort ergriff und direkt begann: „Meine Herren, ich kann Ihnen versichern, dass die Absatz-Zahlen für unsere Prozessoren, in den vergangenen Monaten, ebenso ein Rätsel für mich sind, wie für Sie beide. Natürlich freue ich mich über den gesteigerten Umsatz, das werden Sie sicherlich verstehen, doch eine solch signifikante Umsatzsteigerung wirft auch Fragen nach dem Warum auf. Was ich mich jedoch frage ist: Warum interessiert sich das Militär dafür? Unsere Prozessoren fallen nicht unter Exportartikel, die einer besonderen Kontrolle bedürfen.“

Dean Corvin räusperte sich und wechselte einen schnellen Blick mit seinem Freund, bevor er zugab: „Nun, im Grunde interessiert sich das Militär auch nicht dafür. Es ist vielmehr so, dass unser vorgesetzter Offizier meinem Drängen nachgab, in dieser Hinsicht ein paar Erkundigungen einzuziehen.“

Die beiden jungen Offiziere bemerkten die steile Falte, die sich auf Hausers Stirn bildete und Corvin fügte erklärend hinzu: „Wir konnten ermitteln, dass der Hauptanteil der exportierten Prozessoren in Richtung der Konföderation Deneb transportiert worden ist. Was uns ebenfalls bekannt ist, Sir, ist die Tatsache, dass es offensichtlich keinen speziellen, militärischen Verwendungszweck für diese Prozessoren gibt. Ich sage bewusst offensichtlich, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass möglicherweise Wissenschaftler der Konföderation doch einen solchen Zweck entdeckt haben könnten. Hauptsächlich darum haben Oberleutnant Korkonnen und ich um das Gespräch mit Ihnen gebeten. Sie kennen die Spezifikationen der Prozessoren bestimmt weitaus besser und könnten uns vielleicht einen Denkanstoß geben.“

Cole Hauser nahm einen Schluck von seinem Kaffee und blickte die beiden Besucher nacheinander an, bevor er sich etwas vorbeugte, die Fingerspitzen gegeneinander legte und erklärte: „Unsere Prozessoren können besonders eins sehr gut, Leutnant Corvin, und das ist die Synchronisation von komplizierten Schaltungen und maschinellen Abläufen. Insbesondere natürlich, wenn mehrere unserer Prozessoren in diesen Aggregaten miteinander vernetzt sind. Aber das können auch Prozessoren anderer Hersteller, nur eben nicht ganz so exakt, wie der Garrett-Hellmann Prozessor. Darum ist einer unserer besten Kunden das Militär, doch nach meinem Wissen werden die GH-Prozessoren in keinem ihrer Waffensysteme verbaut, meine Herren. Soweit mir bekannt ist, nutzt das Militär diese Prozessoren als Komponente für hochwertige Steueranlagen und zur exakten Ausrichtung von Scanner- und Ortung-Phalanxen jedweder Art.“

Dean Corvin wechselte einen ratlosen Blick mit seinem Freund, während Hauser zwei Daten-PADD´s vom Tisch nahm und sie den beiden jungen Männern reichte. Ich habe ihnen die wichtigsten Daten auf diese Padds überspielt. Sie können sie behalten und später die Informationen darauf in aller Ruhe studieren. Ich hoffe, das wird Ihnen weiterhelfen, oder belegen, dass Sie beide sich umsonst Sorgen machen.“

Während Corvin die Daten überflog, wandte sich Kimi Korkonnen an Hauser: „Was würde bei einem Ausfall der Prozessoren passieren, Sir?“

Cole Hauser lächelte ungläubig und seine Haltung entspannte sich etwas. „Sprechen Sie von einem Ausfall aller GH-Prozessoren? Da kann ich Sie in zweifacher Hinsicht beruhigen, Oberleutnant. Einerseits könnte das zwar vorkommen, aber sicherlich nicht bei allen Prozessoren. Andererseits wäre ein Austausch oder eine Überbrückung jederzeit möglich und sehr einfach auch durch nicht speziell geschultes Personal durchzuführen. Aber selbst bei einem Totalausfall würden die betroffenen Aggregate funktionsfähig bleiben, wenn auch mit spürbar weniger Effizienz.“

Hauser trank seinen Kaffee aus und sagte dann nachdenklich: „Der einzige, reale Grund, den ich persönlich mir für den gesteigerten Bedarf an GM-Prozessoren der Konföderation vorstellen kann ist, dass die Konföderierten ihr Militär und sämtliche Anlagen ihrer Stützpunkte in großem Stil modernisiert und ausbaut.“

Corvin wollte etwas darauf erwidern, doch er unterließ es, als Kimi ihn mit dem Fuß unauffällig anstieß.

Korkonnen, der Hausers Haltung zu deuten wusste, sagte schnell: „Mein Kamerad und ich danken Ihnen dafür, dass Sie sich etwas von Ihrer kostbaren Zeit für uns genommen, und uns die Daten-PADD´s überlassen haben, Sir. Wir möchten jetzt nicht noch mehr Ihrer Zeit in Anspruch nehmen.“

Damit erhob sich der Finne und Dean Corvin tat es ihm nach.

Sie reichten sich die Hände. Dabei fiel Dean Corvins Blick auf Hausers goldenen Siegelring mit dem verschlungenen Buchstaben N darauf, dem er bislang keine Beachtung geschenkt hatte. „Ein interessanter Ring, Sir. Was bedeutet das N darauf?“

Hauser lächelte verbindlich. „Es steht für den Namen Nimrod. Ein Familien-Erbstück meines Großvaters. Er bedeutete ihm viel. Ich trage ihn aus sentimentalen Gründen.“

Dean Corvin nickte. „Ich verstehe. Vielen Dank nochmal für Ihren Zeitaufwand.“

Hauser begleitete die beiden Offiziere bis zum zentral gelegenen Aufzug des Geschäftsgebäudes.

Als sie auf dem Weg nach Unten waren, meinte Korkonnen leise: „Vielleicht hat Hauser Recht. Vielleicht steckt wirklich nicht mehr dahinter, als dass unsere Freunde von der Konföderation ihren Laden auf Vordermann bringen.“

Corvin hob seine Augenbrauen. „Auf Vordermann bringen?“

Der Blonde lächelte entschuldigend und erklärte: „Ein Sprichwort, dass ich mal bei Jayden aufgeschnappt habe, in der Zeit, als du um Andrea und ihn einen weiten Bogen gemacht hast.“

Corvin schluckte, bei dem Gedanken an die Freunde, die sie beide jetzt seit zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen hatten. Die letzte Videoverbindung mit ihnen lag ebenfalls bereits einige Wochen zurück.

Erst als die beiden Flottenoffiziere das Gebäude verlassen hatten, und die breite Allee entlang schritten, an der die Hauptniederlassung der Garrett-Hellmann Incorporated lag, ergriff Dean Corvin wieder das Wort. „Vielleicht haben wir das Ganze falsch angefangen.“

Kimi blickte den Freund fragend an. „Wie meinst du das?“

Na ja, wir haben uns bisher nur auf die Prozessoren konzentriert. Vielleicht sind die ja nicht das Einzige, was von den Konföderierten vermehrt importiert wird.“

„Da könntest du Recht haben“, sinnierte der Blonde. „Aber darum können wir uns kümmern, sobald wir wieder auf Titan sind. Zuerst statten wir Don Rodrigo, auf dem Mond, einen Besuch ab. Ich habe ihm unser Kommen angekündigt.“

Dean Corvins Miene hellte sich auf. „Wird Zeit, dass wir ihn endlich mal treffen, nachdem wir uns in den letzten beiden Jahren ständig verpasst haben.“

Kimi Korkonnen grinste breit. „Da sagst du was. Und in drei Tagen erreicht der Zerstörer AURORA das Sonnensystem und nimmt Nachschubgüter und Ersatzteile bei uns auf. Dann werden wir auch Miriam wiedersehen.“

Dean Corvin grinste wissend und fragte scheinheilig: „Darum bist du also seit Tagen so unverschämt gut gelaunt, oder irre ich mich?“

„Als ob du das nicht sehr genau wüsstest“, versetzte Korkonnen ironisch. „Was ist eigentlich mit Dir, mein Freund? Ist Dir in den letzten beiden Jahren, auf Titan, noch keine Frau über den Weg gelaufen die Dein Interesse geweckt hat? Immerhin sind wir an den Wochenenden oft genug unterwegs gewesen.“

Corvin seufzte schwach in der Erinnerung an das kürzliche Gespräch mit Tabea Carrick, und zögerlich meinte er: „Tabea und ich haben uns, letzten Monat, über das Warum und Wieso unterhalten.“

Er bemerkte den verwunderten Blick des Freundes und hob die Hände, als er schnell hinzufügte: „Zwischen mir und Tabea läuft nichts – wir kamen nur auf genau dieses Thema zu sprechen, als sie mir gestand, dass es mit Manu aus sei.“

„Ach so“, machte Kimi, und fragte dann nachdenklich: „Warum versuchst du denn nicht Dein Glück bei Tabea, jetzt, da sie wieder zu haben ist. Ihr versteht euch doch hervorragend, oder nicht?“

Ein Schmunzeln umspielte den Mund des Kanadiers. „Oh, Tabea hat mir recht deutlich zu verstehen gegeben, dass wir den Punkt, an dem wir ein Paar hätten werden können, lange hinter uns gelassen haben – und sie hat Recht damit, Kimi. Diese Freundschaft ist auch mir zu wichtig geworden, als dass ich sie auf´s Spiel setzen möchte. Es würde wohl auch nicht gutgehen, fürchte ich.“

„Tja, du wirst wohl als Junggeselle draufgehen, fürchte ich.“

Sie erreichten den Platz, an dem sie den Raumgleiter abgestellt hatten, mit dem sie von Titan zur Erde geflogen waren. Während sie einstiegen, knurrte Corvin finster: „Du hast eine seltsame Art, einen Freund aufzumuntern. Lass das gefälligst, und fahr uns lieber zum Mond. Da kannst du Don Rodrigo mit solchen Sprüchen traktieren.“

Der Finne gab ein glucksendes Geräusch von sich und setzte sich an die Steuerkonsole des Gleiters. Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck aktivierte er die Systeme des Gleiters und hob ihn vom Boden ab.

 
 

* * *

 

Auf Luna Rodrigo empfing Esteban seine Freunde aus Akademietagen mit großem Hallo, als sie in sein Büro eintraten. Überschwänglich nahm er beide Kameraden in die Arme und klopfte ihnen herzhaft mit der Hand auf den Rücken. Als er seine überbordenden Emotionen wieder unter Kontrolle hatte, blickte er den Freunden abwechselnd in die Augen und erklärte, immer noch etwas gerührt: „Mann, ich kann euch beiden gar nicht sagen, wie sehr ich euch vermisst habe. Schön, dass ihr beide nicht erst zu Silvester hier aufgetaucht seid, sondern dass euch euer Vorgesetzter auch diesen Flug nach Terra gestattet hat.“

Dean Corvin, der ebenso ergriffen war, wie seine beiden Freunde, nickte, sah sich in Rodrigos Büro um, machte schließlich eine umfassende Geste und meinte dann: „Wie ich sehe, hast du es geschafft. Das ist es doch, was du immer haben wolltest, oder sollte ich mich da geirrt haben?“

„Du hast Recht“, stimmte der Spanier zufrieden zu. „Doch damit meine ich weniger dieses Büro, als viel mehr die Aufgabe, die ich hier habe. Ihr wisst ja, dass es zu Akademiezeiten mein größter Wunsch war, an neuen Raumschiffsvarianten mitzuarbeiten. Und hier habe ich nun die Gelegenheit dazu. Es ist fantastisch.“

Dean Corvin und Kimi Korkonnen beobachteten den Freund dabei, wie er eine verschwörerische Miene aufsetzte und dann etwas leiser sagte: „Hört zu, momentan befindet sich hier ein Leichter Kreuzer in der Endphase seiner Fertigung. Ein absolut heißes Stück. An so einem Raumer mitarbeiten zu können ist natürlich ein Traum. Allerdings gab es Probleme, die den Start auf Beginn des nächsten Jahres verschieben werden. Ich hätte mir nichts weiter dabei gedacht, wenn ihr Zwei mir nichts von den seltsamen Prozessor-Lieferungen erzählt hättet. Es war also mehr Zufall, dass ich eine meiner besten Technikerinnen damit vertraut habe, jene technischen Schaltungen zu kontrollieren, die angeblich bereits vor ihrer Lieferung zu dieser Werft kontrolliert und als fehlerfrei funktionierend deklariert worden sind. Feldwebel Onoro fand prompt einige fehlerhafte Schaltmodule.“

„Mit fehlerhaft arbeitenden Garrett-Hellmann Prozessoren“, orakelte Dean Corvin.

„Nein, eben nicht.“ Rodrigo Esteban schüttelte den Kopf. „Trotzdem habe ich da ein sehr komisches Gefühl, Freunde. Denn wenn jemand Sabotage betreiben wollte, so würde es bessere Ansatzpunkte geben. Ein Projekt, wie dieses, das sich über Jahre hin gezogen hat, um lediglich mehrere Wochen zu verzögern ist die Mühe nicht wert. Und genau das irritiert mich im Moment, denn Rian Onoro ist fest der Meinung, dass es sich nicht um Produktionsfehler handelt, sondern dass die Schaltmodule erst im Nachhinein manipuliert wurden.“

„Was, schätzt du, bedeutet das?“, warf Kimi Korkonnen ein.

Rodrigo Esteban seufzte schwach und hob die Schultern. „Das versuche ich noch herauszufinden, Freunde. Jetzt jedoch, da wir die Module durch fehlerfreie ausgetauscht haben, gehen die Arbeiten an der NOVA SOLARIS zügig voran.“

Dean Corvin fragte erwartungsvoll: „Dürfen wir vielleicht mal einen Blick auf diesen neuen Leichten Kreuzer werfen?“

Rodrigo Esteban grinste verschmitzt und beeilte sich zwei Legitimationskarten für Besucher aus einer seiner Schreibtischschubladen zu holen. „Ich dachte mir schon, dass euch der Kreuzer interessieren würde, darum habe ich diese Legitimationen für euch beide bereits gestern besorgt.“

Er heftete den Freunden die handtellergroßen Kunststoffkarten an die Brust und warnte eindringlich: „Bleibt bitte in meiner Nähe und versucht keine Alleingänge, denn ich habe keine Lust auf einen Vollalarm innerhalb der Basis, kapiert? Manche Abteilungen dieser Werft dürft ihr nämlich selbst mit diesen Sonderausweisen nur in Begleitung des Werft-Personals betreten.“

Sie verließen das Büro.

Draußen auf dem Gang nahm Kimi Korkonnen den Faden wieder auf und fragte: „Don Rodrigo, du kennst dich doch auch einigermaßen mit den Spezifikationen des GM-Prozessors aus. Glaubst du, dass man diese Prozessoren zu einer finsteren Sache missbrauchen könnte?“

Sie bogen in einen Seitengang ein und der Freund erwiderte: „Na ja, es hat schon Leute gegeben, die mit Büchern erschlagen wurden. Missbrauchen kann man fast alles. Aber wenn du auf spezielle Eigenschaften der Prozessoren anspielst, so bin ich geneigt diese Frage zu verneinen. Es handelt sich nicht um Technologie, die speziell zum militärischen Einsatz entwickelt worden ist. Wenn du mich fragst, so halte ich offen gestanden nicht viel von Deans Vermutung, dass die Konföderierten mit dem Ankauf von übermäßig vielen GM-Prozessoren irgendwelche Teufeleien verfolgt. Entschuldige Dean, aber so sehe ich das.“

Dean Corvins Miene war nicht zu entnehmen, was er bei den Worten des Freundes dachte. Neugierig erkundigte er sich: „Was denkst du denn, haben die Brüder mit all diesen Prozessoren vor?“

Rodrigo Esteban antwortete prompt: „Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass die Konföderierten ein umfassendes Modernisierungsprogramm in allen Bereichen ihrer Wirtschaft angekurbelt haben. In den letzten Jahren haben die viele Marktanteile an die Farradeen-Allianz und an den Bund von Harrel verloren. Das werden sie natürlich auch bemerkt haben, und bei ihrem vermutlich horrenden Militärbudget können sie sich das im Grunde nicht leisten.“

Corvin pfiff durch die Zähne und machte ein erstauntes Gesicht. „Seit wann bist du denn unter die Wirtschafts-Experten gegangen?“

„Jayden hat mich während des letzten Jahres an der Akademie darauf gebracht“, erklärte Esteban. „Wie ihr beide wisst besitzen seine Eltern eine der zehn größten Unternehmensgruppen im Bereich Energieregulator-Technik im gesamten Imperium. Er hat zwar, anders als seine beiden Geschwister, nicht das unternehmerische Interesse seiner Eltern geerbt, doch er hat mir dennoch bei einigen Referaten zu diesem Thema, die ich im letzten Jahr an der Akademie geschrieben habe, sehr geholfen. So ganz kann er dann die Abstammung von seinen Unternehmer-Eltern doch nicht verleugnen.“

Kimi Korkonnen wechselte einen vielsagenden Blick mit Dean und erklärte dann zu Rodrigo Esteban gewandt: „Der Besuch bei Cole Hauser, auf der Erde, hat in dieser Hinsicht auch keine weltbewegenden, neuen Erkenntnisse gebracht. Im Übrigen äußerte sich Hauser ganz ähnlich in Bezug auf einen wahrscheinlichen Verwendungszweck der Prozessoren.“

Als sie sich an der nächsten Gangkreuzung nach Rechts wandten und zwanzig Meter weiter erneut nach Links abbogen erkundigte sich Dean Corvin launig bei Esteban: „Wie kommst du hier ohne irgendwelche Navigationshilfsmittel zurecht? Dieses Labyrinth ist ja der reine Wahnwitz.“

„Alles Gewohnheit. Am Anfang habe ich mich einige Male verlaufen.“

Sie lachten und schritten weiter.

Einige Minuten später erreichten sie ein Panzerschott und Rodrigo Esteban hielt seine Legitimationsmarke vor die Lesefläche des Schott-Scanners. Er bedeutete seinen beiden Freunden es ihm gleichzutun. Es dauerte einen Moment, bis sich die beiden schweren Schotthälften auseinander schoben und den Blick in eine gewaltige Hangarsektion freigaben.

Kaum in die riesige Hangarsektion eingetreten blieben Dean Corvin und Kimi Korkonnen einige Meter hinter dem Panzerschott stehen und sahen sich staunend um. Vor ihnen, nicht mehr als zwanzig Meter entfernt, erhob sich die NOVA SOLARIS wie ein Gebirge aus Metall, im grellen Licht der Tiefenstrahler, die in der Hallendecke und den Seitenwänden eingelassen waren. Seitlich ein Stück vor dem Bug des Kreuzers stehend erkannten die beiden Freunde Estebans, dass es neben dem Leichten Kreuzer einen Bereich für ein zweites Raumschiff derselben Klasse gab, der jedoch momentan unbenutzt war. Der brandneue Kreuzer vor ihnen ruhte auf seinen großen Landeschoren, die aus dem mittigen, unteren Einschnitt ausgefahren waren, und ihn so weit über den Hallenboden erhoben, dass die Panzerung der unteren Geschütztürme immer noch gut drei Meter über ihren Köpfen lag. Durch diesen mittleren Einschnitt, der vom Bug bis zum Heck reichte, wirkte das Raumschiff von unten so, als habe es Kufen. Kufen mit Energiegeschützen. Auf den Innenseiten dieser Kufen lagen die Mannschleusen, die über ausfahrbare Rampen erreicht werden konnten. Mittig, zwischen den Landeschoren, lagen die Fracht- und Hangarschleusen in denen die drei kleinen, bewaffneten Beiboote des Leichten Kreuzers starten, landen oder bei Bedarf ihre Ladung löschen konnten.

Kimi Korkonnen blickte an der bläulich-silbernen Panzerhülle hinauf zur Namensplattierung und meinte, seinen Blick nicht von dem Kreuzer lassen könnend, zu seinem besten Freund, Dean: „Der Name des Schiffes gefällt mir. Irgendwann möchte ein solches Schiff kommandieren, Alter.“

Seine Worte hallten in dieser riesigen Sektion seltsam nach.

Dean Corvin, dessen Blicke ebenfalls an dem nagelneuen Kreuzer hafteten und der bei diesem Anblick dasselbe gedacht hatte, ballte seine Hände zu Fäusten und erwiderte gepresst: „Dank einer gewissen Person wird es noch eine Weile Dauern, bis wir überhaupt an Bord eines solchen Raumschiffes gelassen werden.“

Er ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, wie sehr er sich in dieser Hinsicht irren sollte.

Rodrigo Esteban räusperte sich, mit einem verständnisvollen Lächeln auf den Lippen und sagte mit bedauerndem Tonfall: „Leider darf ich euch zwei nicht ins Innere des Kreuzers lassen. Aber außer einigen leichten Modifikationen der Konsolen und dem Maschinenraum gäbe es da ohnehin nicht viel Interessantes zu sehen.“

Die Freunde wandten sich zu ihm um und Kimi antwortete: „Danke für den Versuch uns aufzumuntern, Don Rodrigo. Und danke dafür, dass wir diesen Kreuzer überhaupt sehen durften, das entschädigt etwas für die vergangenen zweieinhalb Jahre.“

Dean Corvin, dessen Aufmerksamkeit sich auf den oberen Bug gerichtet hatte, las die Identifikationsnummer und meinte nachdenklich: XLC-H-01 – der Kreuzer gilt also als Experimental-Raumschiff. Hoffentlich bedeutet das nicht, dass sich die zukünftige Crew der NOVA SOLARIS auf ein Himmelfahrtskommando begibt.“

Rodrigo Esteban lachte erheitert. Aber nicht die Spur. Diese Klassifizierung als Experimentalschiff ist lediglich deshalb erfolgt, weil es einige grundsätzliche Verbesserungen an Bord des Kreuzers gibt, die jedoch noch nie praktisch getestet wurden. Die Systeme als solche sind absolut sicher und werden die Besatzung nicht gefährden. Es geht lediglich darum herauszufinden, ob sie wirklich so leistungsstark sind, wie erhofft.“

„Das wollen wir hoffen“, murmelte Dean Corvin und riss sich endlich vom Anblick des Kreuzers los und sah auf das Chrono-Feld seines Multifunktions-Armbandes. In seinen Augen spiegelte sich Begeisterung und Bedauern gleichzeitig, als er meinte: „Schade, dass wir nicht mehr länger bleiben können.“

Kimi nickte zustimmend und stellte eine letzte Frage, auf die externen Versorgungs- und Datenleitungen deutend. „Wie lange bleiben die denn noch dran?“

Rodrigo Esteban erwiderte: „Am ersten Januar werden wir sie feierlich abkoppeln. Bis dahin werden die letzten Daten extern übertragen und dann ist der Kreuzer auf dem allerneuesten Stand, was seine Programme und Datenbanken betrifft.“

Rodrigo Esteban blickte seine Freunde fragend an und erkundigte sich: „Was haltet ihr von einer Tasse Kaffee in meinem Büro, bevor ihr wieder zum Titan zurückfliegen müsst?“

Dean wechselte einen schnellen Blick mit Kimi. „Den nehmen wir noch mit.“

Auf dem Weg zurück in Rodrigo Estebans Büro erkundigte sich dieser bei seinen Freunden: „Es bleibt aber trotzdem dabei, dass ihr zu Silvester hierher kommt?“

Kimi Korkonnen bestätigte: „Ja, es sei denn, die Crew der NOVA SOLARIS kann auf die letzte Lieferung von Spezialwerkzeugen und Instrumenten verzichten, die wir extra vor ihrem Start vom Titan hierher liefern werden.“

„Der Kommandant würde euch was erzählen“, konterte der Spanier grinsend.

Sie erreichten das Büro und traten ein.

Während sich Rodrigo Esteban darum kümmerte den versprochenen Kaffee zuzubereiten fragte er mit veränderter Stimme: „Wie geht es übrigens Nayeli? Bleibt es dabei, dass ihr sie zu Silvester mitbringt.“

Kimi und Dean, die dem Freund bisher bewusst kein Wort über die Mexikanerin erzählt hatten, blickten sich verschwörerisch an. Dean Corvin überließ es dem Finnen Rodrigo die frohe Nachricht zu verkünden.

Kimi Korkonnen hüstelte unterdrückt und erklärte: „Nun, ich habe mich vor einiger Zeit mit Nayeli darüber unterhalten, ob sie nicht vielleicht einen Versetzungsantrag zu den lunaren Werften stellen möchte. Die schlechte Nachricht ist, dass Dean und ich, mit Beginn des nächsten Jahres, eine nette Kollegin verlieren werden. Die gute Nachricht ist, dass du dafür diese nette Kollegin zur Unterstützung deiner technischen Teams bekommen wirst.“

Rodrigo Esteban ließ den Löffel fallen, den er in die Hand genommen hatte und sah seine beiden Freunde mit ungläubiger Miene an. „Nayeli wird nach Luna versetzt?“

„Gestern Nachmittag erhielt sie den Bescheid, dass ihrem Versetzungsantrag stattgegeben worden ist“, bestätigte Dean Corvin, hob den Löffel auf und reichte ihn dem Freund. „Wir haben sie darum gebeten, nicht mit dir in Kontakt zu treten, damit wir dich heute damit überraschen können.“

„Das ist euch gelungen.“ Der Spanier strahlte über das gesamte Gesicht. „Eine tollere Nachricht hättet ihr mir gar nicht bringen können.“

Dean Corvin konnte sich vorstellen, was der Freund momentan empfand und er hoffte in seinem tiefsten Innern, dass er irgendwann eine Frau kennenlernen würde, die ebensolche Gefühle in ihm hervorrufen würde.

EIN LETZTER MOMENT DER RUHE

 In der Zentrale des Schlachtkreuzers SATURN warteten Oberleutnant Jayden Kerr und Oberleutnant Andrea von Garding darauf, dass der Nachtdienst endlich ein Ende fand.

Die SATURN hatte mit einem Viertel der Ersten Terranischen Flotte, die insgesamt unter dem Oberkommando von Generalmajor Azadeh Hazrat stand, Manöver im Bereich der Hyaden abgehalten. Doch die Kommandeurin der Ersten Flotte weilte momentan auf Terra.

Die SATURN befand sie sich, in der Begleitung des Schlachtkreuzers RHEINGOLD, und fünf kleinerer Einheiten der Flotte, auf dem Rückweg zum Sol-System. Dort würden die Raumschiffe wieder mit dem Gros der Heimatflotte, wie die Erste Flotte auch alternativ tituliert wurde, zusammentreffen.

Gegenwärtig steuerte Andrea von Garding, in ihrer Funktion als Zweite Pilotin, das fast einen Kilometer lange Kriegsschiff durch den Hyperraum. Da sie nur eingreifen musste, falls es zu Schwierigkeiten mit dem vorprogrammierten Kurs kam, saß sie relativ entspannt in ihrem Sitz und wechselte mit ihrem Freund Jayden, dessen Tätigkeit als Zweiter Waffenoffizier sich zur Zeit ebenfalls auf das Beobachten seiner Instrumente beschränkte, gelegentliche Blicke.

Jayden Kerr lächelte dabei jedes mal unbewusst und ein fast melancholischer Ausdruck trat dabei in seine dunklen Augen.

Bei jedem dieser Blicke spürte Andrea von Garding eine tiefe innere Verbundenheit zu Jayden. Mehr denn je liebte sie diesen ruhigen, jungen Mann, seit sie, an der Sektion-Terra, zueinander gefunden hatten, und bei jedem Blick wusste sie ganz genau, dass ihre Entscheidung, die sie vor sechs Tagen, in den ersten Stunden des heiligen Abends, getroffen hatten richtig gewesen war. Ein warmes Lächeln überflog das hübsche Gesicht der Pilotin. Dann bemerkte sie aus den Augenwinkeln den mahnenden Blick des Zweiten Offiziers, Major Saranya Yokida, und sie setzte schnell eine dienstliche Miene auf, was Yokida zum Schmunzeln reizte. Es verlieh deren eurasischem Gesicht wiederum eine verschmitzte Note.

Andrea von Garding kontrollierte schnell ihre Anzeigen und blickte dabei gelegentlich auf den Panorama-Holobildschirm der Zentrale. Auf ihm zeichnete sich der Hyperraum vor dem Schlachtkreuzer in rot, durchzogen von etwas helleren, orangeroten Schlieren, ab. Momentan durchpflügten ihn die SATURN und die sechs begleitenden terranischen Kriegsschiffe mit rund vier Lichtjahren pro Stunde. Das entsprach rund 95 Prozent der maximal möglichen Geschwindigkeit, die im Hyperraum erreicht werden konnte. Besondere Gegebenheiten, wie Gravitationsstrudel und Scherströmungen außer Acht gelassen.

Querab, an Backbord waren einige hellere, gelbe Bereiche zu erkennen, die einem erfahrenen Piloten verrieten, dass sich dort Störquellen, wie Sterne oder andere Gravitationsquellen, befinden mussten. Eine weitere dieser gelblichen Zonen lag direkt in Flugrichtung.

Gegenwärtig befand sich der kleine Verband, zu dem die SATURN gehörte, in einer relativ gefahrlos zu durchfliegenden Gegend des Weltalls. Noch etwas mehr als zweihundert Lichtjahre von der Erde entfernt würde der Pulk gegen Mittag des ersten Januar 3221 innerhalb des Sol-Systems aus dem Hyperraum fallen, sofern die Raumschiffe die momentane Fahrtstufe beibehielt.

Oberleutnant von Garding lächelte schwach, bei diesem Gedanken. Wahrscheinlicher war es, dass der Kommandant der SATURN, Oberst Jason Haehrfoehr, der momentan gleichzeitig als Kommandeur dieses kleinen Verbandes diente, mindestens zwei Unterbrechungen des Überlichtfluges befehlen würde. Er war dafür bekannt, dass er die Aggregate der ihm anvertrauten Kriegsschiffe nicht gerne überstrapazierte.

Nur zu gerne hätte Andrea von Garding Silvester auf der Erde gefeiert, zusammen mit ihren Kameraden Rodrigo, Kimi und Dean, die sie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Doch daraus würde definitiv nichts werden, weshalb sie sich wegen der zu vermutenden Verzögerung des Fluges auch nicht großartig ärgerte.

Zum wiederholten Mal kontrollierte Andrea von Garding den Kurs des Schlachtkreuzers. Die Zeit schien sich zu dehnen, bis ihr Dienst endlich ein Ende fand, und ihre Ablösung in der Zentrale erschien.

Nach einer routinierten, schnellen Übergabe meldete sie sich, gemeinsam mit Jayden Kerr, bei Saranya Yokida ab und verließ mit ihm das Nervenzentrum des Schlachtkreuzers. Dicht bei einander, jedoch auf körperlichen Kontakt verzichtend, da dies an Bord von Kriegsschiffen öffentlich als unschicklich galt, schritten sie durch die hell erleuchteten Gänge zu ihrem gemeinsamen Quartier.

Wenigstens was den privaten Bereich betraf hatte die Flotte schon vor einigen Jahrhunderten ein Einsehen gehabt und erlaubte es Paaren, sich an Bord ein Quartier zu teilen, sofern die Kapazität dies erlaubte. Im Laufe der mehr als acht Jahrhunderte, in denen die Terranische Raumflotte mittlerweile existierte, hatte sich herausgestellt, dass einerseits, bedingt durch den langen Einsatz im All, viele intime Beziehungen an Bord von Flottenschiffen entstanden. Andererseits hatte sich erwiesen, dass Beziehungspartner, die ihren Dienst gemeinsam versahen und an Bord miteinander lebten, ausgeglichener und effektiver ihren Dienst verrichteten, als wenn man sie trennte. Naturgemäß konnte es immer zu Härtefällen kommen, in denen ein solcher, gemeinsamer Dienst nicht machbar war. Doch die Flotte bemühte sich seit langer Zeit schon, solche Fälle zu minimieren.

Also hielten sich Andrea von Garding und Jayden Kerr zurück, bis sie ihr Quartier betreten hatten. Erst nachdem sich die beiden Schotthälften hinter ihnen geschlossen hatten nahmen sie einander in die Arme und küssten sich liebevoll.

Ohne sich von Jayden zu lösen tastete Andrea mit der Linken nach dem Lichtkontakt und fand ihn nach einer Weile. Erst dann öffnete sie langsam ihre Augen, löste sich widerstrebend von ihrem Freund und legte ihre Hände auf seine breiten Schultern. Dabei fiel ihr Blick unbewusst auf den goldenen Ring, den sie nun seit Heiligabend, am Ringfinger ihrer linken Hand trug.

Jayden Kerr, der einen identisch aussehenden Ring trug, bemerkte es und blickte seine Partnerin glücklich an. Dabei sprach er schließlich ein etwas delikates Thema an, das Andrea bisher auffallend vermieden hatte. „Hast du es Dean und Kimi, bei Deiner gestrigen Nachricht via Interstellar-Kom, mitgeteilt?“

Die junge Frau wich seinem Blick nicht aus, als sie entgegnete: „Nein, ich möchte es ihnen selbst sagen, und nicht so unpersönlich als trockene Nachricht zuschicken.“

Sie zögerte einen Moment lang und gab dann offen zu: „Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass der Gedanke daran mir Magenschmerzen bereitet, Jayden. Weniger wegen Kimi. Aber ich erinnere mich noch gut daran, wie Dean war, als ich ihm das mit uns beiden gesagt habe.“

Jayden nickte beruhigend. „Das ist doch Jahre her. Dean hat sich schon längst damit abgefunden. Vielleicht machst du Dir da zu viele Gedanken.“

„Vielleicht machst du Dir ja zu wenig Gedanken“, brauste Andrea auf.

Jayden packte sie an den Schultern und lächelte nachsichtig. „Wer sagt Dir denn, dass er nicht längst eine Freundin gefunden hat? Vielleicht ist er bereits in festen Händen und er hat ebenfalls vor, es uns persönlich zu sagen.“

Andreas Augen verengten sich etwas. „Das ist bestenfalls Wunschdenken, auch wenn ich es ihm von Herzen gönnen würde. Aber Dean ist schon etwas kompliziert, und seine traumatische Erfahrung mit Tae Yeon hat es vermutlich kaum besser gemacht. Die Frau die zu Dean passt müsste schon sehr speziell sein. Die sind rar gesät, sage ich Dir.“

„Aber es gibt sie“, widersprach Jayden unbeirrt und zog seine Freundin wieder etwas fester zu sich heran. „Das wird schon noch.“

Ein Lächeln überflog das Gesicht der rot-blonden Frau und sich eng an ihn schmiegend antwortete sie leise: „Diesen unverwüstlichen Optimismus habe ich schon zu Akademiezeiten an Dir geliebt.“

Andrea gab Jayden einen herzhaften Kuss und fragte dann unvermittelt: „Was hältst du von einem kleinen Snack, bevor wir uns hinlegen?“

Jayden Kerr, der diese Sprunghaftigkeit seiner Freundin mittlerweile gewöhnt war, nickte grinsend.

Nachdem sie sich beide am Nahrungssynthesizer einen kleinen Imbiss zusammengestellt, und sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatten, sagte Jayden um einen Bissen herum: „Wenn ich an die gestrige Nachricht denke, in denen es hieß, dass Verteidigungsministers Jason Urquohard die Absicht hegt, das Budget der Flotte in den nächsten fünf Jahren um zwanzig Prozent zu senken, dann wird mir immer noch ganz anders. Was glaubt der, wie die übrigen Sternenreiche, besonders aber die Konföderation Deneb, darauf reagieren werden? Lebt dieser Mann denn in einer eigenen Welt?“

„Davon gehe ich aus“, knurrte Andrea finster. „Besonders die Konföderierten werden sich die Hände reiben. Ich frage mich ernsthaft, auf welcher Seite dieser verdammte Kerl eigentlich steht.“

Jayden Kerr nahm einen Schluck von seinem Fruchtsaft und sinnierte: „So ganz Unrecht hat er andererseits vielleicht nicht. Unsere Exporte gehen, seit zehn Jahren bereits, kontinuierlich zurück und immerhin herrscht seit über zweihundert Jahren Frieden zwischen den fünf Sternenreichen. Da ist der Gedanke schon nachvollziehbar. Trotzdem glaube ich, dass dadurch ein falsches Signal an die anderen Sternenreiche gesendet wird.“

„Ich fürchte, wir werden es erleben“, vermutete Andrea und verzog die Lippen. „In der zivilen Bevölkerung gibt es eine Menge Befürworter seiner Pläne. Alles Traumtänzer, denen der Blick für die Realität abhanden gekommen ist. Manchmal glaube ich fast, dass unsere Politiker im Imperium zu träge geworden sind.“

„Ich höre förmlich, wie der Stabschef dir zustimmt“, spöttelte Jayden Kerr und zog seine Freundin in seine Arme. „Schluss mit den finsteren Gedanken, es wird keinen Krieg geben, zumindest keinen, den wir noch erleben werden.“

Sie räumten gemeinsam das Geschirr und die Gläser ab.

Nach einer ausgiebigen, gemeinsamen Dusche begaben sie sich zu Bett und kuschelten, zu müde um miteinander zu schlafen, noch eine geraume Weile ausgiebig und sehr zärtlich miteinander.

Später lagen sie, eng umarmt, unter der leichten Bettdecke.

Schläfrig flüsterte Andrea ihrem Freund zu: „Ich freue mich schon darauf, Rodrigo, Kimi und Dean wiederzusehen. Wir alle waren viel zu lange von einander getrennt und ich bin schon ganz kribbelig.“

Jayden raunte leise zurück: „Ja, ich freue mich auch darauf unsere Freunde endlich wiederzusehen.“

Andrea gähnte unterdrückt und flüsterte: „Du hast mit mir noch gar nicht darüber gesprochen, wie Deine Eltern die Nachricht aufgenommen haben, dass du nun verlobt bist.“

Der Jamaikaner lachte leise und antwortete neckend: „Was denkst du denn? Meine Eltern waren bereits enttäuscht, dass ich nicht, wie mein Vater, Geschäftsmann geworden bin, sondern zum Militär wollte. Und nun habe ich mich auch noch mit einer Frau verlobt, die irgendwann ganz sicher General in der Flotte sein wird. Damit habe ich innerhalb meiner Familie nun wohl endgültig und hoch offiziell den Status des Schwarzen Schafs erreicht.“

Ein leichter Ellenbogen-Check war die einzige Antwort der jungen Frau.

Jayden Kerr lauschte den gleichmäßigen Atemzügen seiner Freundin, und nun seit kurzem auch Verlobten, die in seinen Armen einschlief. Er dachte nachdenklich daran, wie heftig sie vorhin reagiert hatte, bei seiner leichtherzigen Bemerkung, dass sich Dean mit ihrem Zusammensein längst abgefunden habe. So emotional hatte er Andrea schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um dieses Verhalten seiner Verlobten und das hielt ihn noch eine ganze Weile wach.

 
 

* * *

 

Auf dem Mars betrat Oberleutnant Kim Tae Yeon, in demselben Moment, eine kleine Bar, in einem der Außenbezirke von Red Sands, der größten Ansiedlung auf dem Mars. Sie lag am Rand einer kleinen, äquatorial gelegenen Wüste, die noch den ursprünglichen roten Farbton aufwies, die den Mars vor dem Terraformen ausgezeichnet hatten. Zur Zeit lebten knapp vier Millionen Menschen in dieser Marsmetropole.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis sich die Augen der Asiatin an das Halbdunkel des Lokals gewöhnt hatten. Nach einer kurzen Orientierungsphase entdeckte sie Larenan Farralen, den Mann, wegen dem sie hierher gekommen war, an einem der hinteren Tische des Etablissements. Von dort aus hatte er einen guten Überblick auf den Eingangsbereich.

Ein unmerkliches Schmunzeln überflog das Gesicht der Frau. Agenten legten beruflich bedingte Angewohnheiten nur schwer ab, und dieser Agent der Konföderation Deneb bildete keine Ausnahme.

Vor etwa einem halben Jahr, kurz nach ihrer Beförderung zum Oberleutnant, war dieser gut aussehende Mann zum ersten Mal an sie herangetreten. Sie hatten einige leidenschaftliche Nächte miteinander verbracht, bevor er ihr überraschend eröffnete, dass er ein Agent der Konföderation Deneb ist. Ihr damals erster Impuls war, ihn den terranischen Behörden zu übergeben. Doch der charismatische Mann konnte sie davon überzeugen, dass das Terranische Imperium sich selbst überlebt hatte und die Konföderation die Zukunft sein würde. Er bot ihr zudem an innerhalb der Konföderation in eine sehr hohe Machtposition aufsteigen zu können, wenn sie mit ihm und der Konföderation paktieren würde. Er hatte sie mit Erfolg da gepackt, wo sie am anfälligsten war – bei ihrem bereits zu Akademiezeiten fast krankhaften Ehrgeiz. Das war Kim Tae Yeon bewusst, doch genau das gefiel ihr an ihm.

Was Kim Tae Yeon fast noch besser gefiel, an dem, was schon sehr bald über das Terranische Imperium hereinbrechen würde, war, dass Dean Corvin in ihr Ränkespiel mit eingebunden war, ohne es zu wissen. Es war ihre Idee gewesen, ihm und seinem besten Freund, über einen bezahlten Frachterpiloten, die Informationen über den auffälligen Ankauf von Garrett-Hellmann-Prozessoren zuzuspielen. Das war bis zu einem gewissen Grad ein Risiko gewesen, denn der verhasste Kanadier hätte vielleicht zufällig darauf kommen können, wozu die Konföderation die Prozessoren wirklich benötigte. Doch offensichtlich war er das nicht, wie ihre Freunde aus Akademietagen, Jeremy James und Jonas Zandvoort, gestern erst bestätigt hatten. Beide gehörten nun beruflich zu ihrem Team.

Kim Tae Yeon erreichte den Tisch von Larenan Farralen. Sie beugte sich kurz zu ihm, hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm zu seiner Rechten Platz. Dabei registrierte sie den kurzen Moment der Enttäuschung bei dem Mann, der seit ihrer ersten Nacht offensichtlich der Meinung war, sie würde ganz und gar in seinem Bann stehen. Dass es genau umgekehrt war, das wusste zwar sie, aber offensichtlich nicht er, und das war gut so, befand die Asiatin.

Ohne sich diese Gedankengänge anmerken zu lassen, legte sie ihre linke Hand auf seinen Unterarm und lächelte ihn gewinnend an, bevor sie leise sagte: „Ich habe Dich vermisst, Larenan.“ Dabei dachte sie: Männer sind nicht nur leicht zu manipulieren, sondern auch sehr empfänglich für Komplimente, selbst wenn sie das nie zugeben würden. Ich habe jedoch nicht vergessen, was du, und deine Kameraden, unter einer Überprüfung verstehen.

Prompt entspannten sich die ausgesprochen männlichen Züge des konföderierten Agenten und er erwiderte, ebenso leise: „Ich hatte gehofft, dass es so ist.“

Er versucht es auf dieselbe Art und Weise.

Kim lächelte lediglich etwas breiter, bevor sie zum eigentlichen Grund ihres Hierseins zu sprechen kam: „Die falsche Fährte, die ich ausgestreut habe, hat funktioniert. Niemand hat bisher herausgefunden, wozu die Konföderation die GM-Prozessoren angekauft hat. Zwei Offiziere des Nachschub-Regiments auf Titan sind, wie erwünscht, nach Terra geflogen und bekamen vom Besitzer der Garrett-Hellmann Incorporated, Cole Hauser, wie erwartet, Auskünfte die besagen dass man mit den GM-Prozessoren nichts Besonderes auf militärischem Gebiet anstellen kann.“

„Abgesehen davon, was die Geräte, an Bord von einigen unserer Handelsschiffe, in die diese Prozessoren in großer Menge eingebaut wurden, damit bewirken können“, erwiderte Larenan Farralen mit zufriedener Miene. „Zumindest dann, wenn es deinen Mitarbeiter und dir tatsächlich gelingt, morgen Nacht unmerklich die Frequenzen aller stationären und mobilen terranischen Ortungsanlagen zu synchronisieren, und dabei auf genau jene Frequenz zu kalibrieren, mit denen unsere kleinen Neuentwicklungen arbeiten.“

Kim nickte zuversichtlich. „Das ist machbar. Jeremy, Jonas und ich haben morgen Nacht einen Überwachungsauftrag im Strategischen Hauptquartier. Wir werden kurz vor Mitternacht terranischer Standardzeit handeln, bevor die routinemäßige Frequenzanpassung der Ortungsanlagen stattfindet, die auch auf den Kriegsschiffen zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Durch das zeitgleich aktivierte, spezielle Überlagerungssignal an Bord der Frachter werden die terranischen Kriegsschiffsfrequenzen ebenfalls beeinflusst, obwohl die Anpassung dort im Grunde autark erfolgt.“

„Nach ein bis zwei Stunden werden die Terraner bemerken, dass mit ihren Geräten etwas nicht stimmt“, orakelte Larenan Farralen düster. „Spätestens dann solltest du aus dem Hauptquartier heraus sein, denn die Terranische Flottenführung wird den Komplex garantiert hermetisch abriegeln.“

Kim Tae Yeon konzentrierte sich für einen Moment auf das Programmfeld der Servo-Automatik des Tisches und wählte für sich einen Fruchtsaft, bevor sie wieder in die grau-blauen Augen ihres Gegenübers sah und meinte: „Das habe ich bedacht. Ich werde eine halbe Stunde nach Ausführung der Sabotage den Komplex verlassen um in Auftrag zu geben, einem Hinweis auf zwei terranische Verräter nachzugehen.“

Sie zwinkerte Larenan Farralen unmerklich zu, als sie hinzufügte: „Danach wirst du dir keine Gedanken mehr um meine beiden Mitarbeiter machen müssen. Man wird, neben Beweisen für die Sabotage, in ihren Unterkünften auch Beweise finden, die sie mit einer Straftat in Verbindung bringt, die zu meiner Akademiezeit an der Sektion-Terra stattfand. Erste Regel bei einer Sabotage: Beseitige die Mitwisser.“

Für einen kurzen Augenblick spiegelte sich in den Augen der hübschen Asiatin eine solche Kälte, dass Larenan Farralen unwillkürlich ein Stück von ihr abrückte. Mit einem warnenden Unterton erwiderte er: „Das solltest du jedoch niemals mir gegenüber versuchen, denn diesen Versuch würde niemand überleben. Auch du nicht, was sehr bedauerlich wäre.“

Kim Tae Yeon blickte den rund acht Jahre älteren Mann gewinnend an und antwortete, mit verführerischem Tonfall: „Das würde ich niemals tun. Du weißt warum.“

Die Gesichtszüge des Mannes, der eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit Dean Corvin aufwies, wie der Asiatin einmal mehr bewusst wurde, entspannten sich wieder etwas.

„Dann werden meine Agenten und ich uns bereithalten. Wie bereits besprochen wirst du mich und meine Agenten im Anschluss mit einem Shuttle nach Luna bringen und dort unauffällig einschleusen. Das muss unbedingt geschehen, bevor die Terraner merken, was Sache ist. Die codierten Identifikationsmarken hast du?“

Kim nickte schmunzelnd.

„Du redest nicht mit einer Stümperin. Alles ist vorbereitet, Larenan.“

Sie nahm einen Schluck von dem Fruchtsaft, den die Servo-Automatik, im Zentrum des Tisches, abgestellt hatte und fuhr mit verändertem Tonfall fort: „Ich möchte dich meinerseits an die Zusage erinnern, einen gewissen Oberleutnant Dean Corvin zu töten, falls er den Angriff auf das Sol-System überleben sollte. Durch die Beweise gegen meine beiden Mitarbeiter wird er nämlich im Gegenzug von einem Verdacht befreit, der sein Fortkommen in der Flotte bisher massiv torpediert hat. Ich würde nur ungern erleben, dass er bei dem, was nach dem Angriff vom Imperium übrig bleiben wird, Karriere macht.“

Der Agent der Konföderation legte die Stirn in Falten und fuhr sich nachdenklich, mit der rechten Hand, durch das kurze, dunkelblonde Haar. „Du hast diesen Namen bereits mehrmals erwähnt. Was hat der Kerl dir angetan?“

Für einen kurzen Moment loderte wilder Zorn in den dunklen Augen der Asiatin auf und sie fauchte heiser: „Das geht dich nichts an! Er ist ein Crétin, der den Tod verdient!“

Larenan Farralen lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch er hielt sich im Zaum. Kim Tae Yeon erkannte in diesem Moment jedoch ganz klar, dass er sich so seine Gedanken dazu machte.

Raunend sagte Farralen dann: „Der Plan steht also. Es bleiben noch einige Stunden. Was hältst du davon, wenn wir sie gemeinsam verbringen?“

Dem Gesicht der Asiatin war nicht mehr zu entnehmen, wie emotional sie vor einem Augenblick noch gewesen war, als sie zustimmend nickte, ihr Glas austrank und dann antwortete: „Dann sollten wir keine Zeit verlieren.“

Niemand achtete darauf, als sie sich erhoben und das Etablissement verließen.

 
 

* * *

 

Auf Titan blickte Dean Corvin zum Fenster seines Büros hinaus auf den Horizont des Mondes, an dem groß, fast bedrohlich wirkend, der Saturn mit seinem Ringsystem voraus aufging. Sehr deutlich waren die Cassinische Teilung und die Encke-Teilung des Ringes zu erkennen. Nach einer Weile wandte er seine Aufmerksamkeit Kimi Korkonnen zu, der die letzten Vorbereitungen traf, bevor sie sich an Bord des Transport-Raumers begeben würden, um mit den letzten Versorgungsgütern für die NOVA SOLARIS zum irdischen Mond aufzubrechen. Auf die Fensterfront deutend meinte er: „Das da draußen ist die einzige wirkliche Entschädigung für die gähnende Langeweile unseres Postens.“

Der Blonde blickte kurz auf und nickte verstehend. Trotzdem lag dabei ein Lächeln auf seinem Gesicht, und Dean Corvin wusste nur zu genau, woran das lag, oder besser, an wem das lag, denn seit zwei Wochen lag die AURORA auf dem Landefeld des Raumhafens. Mit diesem Zerstörer war, wie erwartet, Miriam Rosenbaum auf Titan angekommen.

Kimi Korkonnen hatte sich seitdem an jedem Abend, nach Dienstschluss, mit ihr getroffen. Am ersten Abend hatten Dean, Tabea und Nayeli die beiden dabei begleitet. Danach waren sie dazu übergegangen, Kimi und Miriam allein ausgehen zu lassen, nachdem Dean Corvin den beiden befreundeten Technikerinnen einen dezenten Hinweis darauf gegeben hatte, was Kimi für Miriam empfand.

Sowohl Kimi als auch Miriam waren ihnen dafür sehr dankbar gewesen. Man merkte beiden deutlich an wie es um sie stand.

Dean Corvin, der den Finnen kannte wie sonst nur wenige Menschen, hatte sofort die besondere Veränderung bemerkt, die sich vor drei Tagen mit dem Freund vollzogen hatte. Jedoch hatte er sich davor gehütet irgendeine Bemerkung dazu von sich zu geben, da er wusste, wie sein Freund darauf reagiert hätte. So freute er sich für ihn und wartete ab, bis sein Freund von sich aus erzählen würde was sich ereignet hatte.

Prüfend blickte Kimi Korkonnen seinen Freund an, gerade so, als habe er dessen Gedanken gelesen, und meinte ironisch: „Ich wundere mich darüber, dass du in letzter Zeit deine Neugier verloren zu haben scheinst.“

Dean, der sofort wusste worauf Kimi anspielte, grinste lausbubenhaft. „Die kocht seit Tagen über, um nicht zu sagen, sie schüttelt mich. Aber ich weiß was sich gehört.“

„Du wirst mir doch nicht etwa erwachsen?“

Dean Corvin warf dem Freund einen spöttischen Blick zu. „Keine Chance. Und jetzt heraus mit der Sprache, bevor ich platze.“

Kimi lachte amüsiert. „Also schön, ich hatte ohnehin nicht vor ein ewiges Geheimnis darum zu machen. Also, es ist passiert. Es war toll. Wir sind offiziell ein Paar.“

Für einen Moment blickte Dean Corvin den Freund etwas ungläubig an, bevor er herausplatzte: „Wie, ist das etwa alles was du dazu zu sagen hast?“

Kimis Grinsen wuchs permanent in die Breite. „Was hattest du denn erwartet? Einen Bericht mit allen pikanten Details? Das kannst du vergessen.“

Der Freund erwiderte Kimis neugierigen Blick. „Nun… Nein, das nicht gerade. Ich hätte nur vermutet, dass es dazu mehr zu sagen gäbe.“

„Würde ich Deine lyrische Ader besitzen ganz bestimmt“, konterte der Finne ironisch. „Aber so bin ich eben nicht.“

Dean ging auf den scherzhaften Tonfall des Freundes ein, ihn übertrieben melancholisch ansehend. „Du verschließt Dich immer mehr vor mir – Deinem besten Freund. Das trifft mich bis ins Mark, mein Lieber.“

Der Kanadier duckte sich lachend, als Kimi eine zerknüllte Kunststofffolie nach ihm warf. Dann fügte er immer noch feixend hinzu: „Du wirst von Monat zu Monat mundfauler, das ist es. Eine Entwicklung, die mir gar nicht gefällt.“

„Das ändert sich vielleicht, sobald Miriams Kurzurlaub endet. Ab morgen Mittag hat sie wieder Dienst auf der AURORA, die in drei Tagen aufbricht. Danach werden wir uns wohl wieder einige Monate nicht sehen, fürchte ich. Ich hoffe, dass ich mich dann bei Dir ausjammern darf.“

„Wozu sind Freunde denn sonst da“, grinste Dean und wurde übergangslos ernst. Achtlos die zerknüllte Kunststofffolie vom Boden klaubend und auf seinen Schreibtisch werfend meinte er: „Eine solche Fernbeziehung könnte sich als ziemlich hart erweisen. Tabea kann ein Lied davon singen.“

Kimi nickte. „Ich weiß, Dean. Miriam und ich haben darüber gestern noch ziemlich lange gesprochen. Wir wollen trotzdem zusammen sein.“

„Dann wünsche ich euch beiden das Allerbeste.“

Kimi Korkonnen beließ es bei einem dankbaren Kopfnicken. Das Thema wechselnd fragte er: „Was wirst du heute Abend noch unternehmen? Ich fühle mich fast etwas schuldig, weil Miriam und ich uns in den letzten beiden Wochen so rar gemacht haben.“

„Hey, das verstehe ich gut. Du wirst im neuen Jahr reichlich Gelegenheit haben, das wieder gut zu machen, schätze ich. Genießt eure vorerst letzte Nacht.“

Kimi verzog etwas das Gesicht bei dem anzüglichen Augenzwinkern des Freundes. Er überlegte einen Moment lang, ob er erwähnen sollte, was er vor zwei Tagen von einem Kameraden seiner Freundin erfahren hatte, bevor er sich erhob und zum Fenster des Büros schritt. Schließlich sagte er, über die Schulter gewandt: „Ich habe gehört, dass Kim Tae Yeon, nach der Akademiezeit, beim Geheimdienst der Flotte angenommen wurde. Miriam hat das von einem Schiffskameraden erfahren, dessen Frau im Strategischen Hauptquartier der Flotte, auf dem Mars, ihren Dienst versieht. Die beiden Frauen haben die ersten beiden Jahre ihrer Ausbildung an der Sektion-Mars zugebracht, von daher kennen sie sich. Tae Yeon hält sich offensichtlich regelmäßig dort auf.“

Dean Corvins Reaktion auf seine Worte fiel in etwa so aus, wie Kimi es sich zuvor vorgestellt hatte.

„Vielleicht sollte ich mal einen Abstecher zum Mars machen, sobald ich Urlaub habe“, knurrte Dean finster und ballte die Hände zu Fäusten. „Apropos abstechen...“

„Vergiss das ganz schnell!“, mahnte Kimi warnend. „Schließe dieses Kapitel einfach. Ich habe das erwähnt, damit du einen möglichst weiten Bogen um den Mars machst, nicht damit du eine Dummheit begehst, klar?“

„Kristallklar.“ Dean Corvin machte bei dem forschenden Blick seines Freundes eine beschwichtigende Geste. „Während du also die letzte Nacht mit Deiner Freundin verbringst, werde ich mich mit Tabea, Nayeli und einigen Kameraden, auf einen Drink treffen.“

„Das nächste Mal bin ich wieder mit dabei“, versprach Kimi und warf einen Blick auf das Chrono-Feld seines Multifunktions-Armbands. „Komm, wir haben längst Dienstschluss.“

Sie schritten zum Schott, wobei Dean die zerknüllte Folie auf seinem Schreibtisch mit einem kurzen Seitenblick streifte. Er mochte keine Unordnung und war versucht nochmal zurück zu gehen, um die Folie zu entsorgen. Doch dann entschied er, dass das durchaus Zeit bis morgigen Dienstantritt haben würde.

 
 

* * *

 

Als Kimi Korkonnen am frühen Morgen in seinem Quartier erwachte war Miriams friedlich aussehendes Gesicht das Erste, was er bewusst wahrnahm. Er betrachtete interessiert die Linien ihres Mundes, ihrer Nase und ihrer Augenbrauen. Dabei überkam ihn ein Gefühl, dass ihn in der Entscheidung, mit ihr eine feste Bindung einzugehen, bestätigte. Vorsichtig beugte er sich vor und küsste die junge Frau sanft auf die Wange.

Die leichte Bewegung reichte aus, um Miriam ebenfalls erwachen zu lassen. Etwas verschlafen aber glücklich blinzelte sie Kimi an und raunte: „Hallo, schöner Mann.“

Kimi streichelte ihre Wange. „Guten Morgen, mein Herzblatt.“

Miriam Rosenbaum schmiegte sich enger an ihren Freund und seufzte leise: „Zu schade, dass mein Urlaub heute Mittag vorbei ist. Die letzten beiden Wochen waren die schönsten meines Lebens.“

„Meine auch“, erwiderte der Blonde. Er zeichnete unter der leichten Bettdecke die Linie ihrer nackten Hüfte nach. „Das hätten wir viel früher machen sollen.“

Miriam küsste Kimi und erwiderte, nachdem sie sich widerstrebend von ihm löste: „Ich habe ja zu Akademiezeiten darauf gewartet, dass du irgendwann mal den ersten Schritt machen wirst. Doch was das betrifft sind Männer ja bekanntlich nicht die hellsten.“

Kimi kniff sacht in den Po seiner Freundin und lachte leise. „Du hättest ja auch den ersten Schritt machen können.“

„Na, habe ich doch.“

„Ja, aber erst einige Jahre später.“

Miriam drückte Kimi, mit sanfter Gewalt auf das Lager und beugte sich über ihn. Sie biss ihn scherzhaft in die Nasenspitze und meinte dann: „Sei froh, dass ich überhaupt den ersten Schritt gemacht habe, sonst wären wir nicht zusammengekommen, bevor wir unseren fünfzigsten Geburtstag erlebt hätten.“

Kimi Korkonnen lachte trocken. „Dean hat sich, kurz vor unserem Abschluss an der Sektion-Terra, mal ganz ähnlich geäußert.“

Miriam rollte mit den Augen. „Ihr Kerle seid schlimmer, als eine Versammlung alter Kaffeetanten, was das Tratschen angeht. Schön, dass ihr zwei das Thema bereits schon so früh breitgetreten habt.“

Kimi streichelte ihre Wange. „Dean ist mein bester Freund. Eigentlich mehr als das. Mit wem hätte ich denn sonst darüber reden sollen?“

Die schlanke Frau gab ihm einen schnellen Kuss und erwiderte lächelnd: „Ist schon in Ordnung. Ich bin nicht sauer deswegen, ich weiß ja, dass ihr zwei wie Brüder seid.“

Kimi zog Miriam wieder enger zu sich heran und suchte ihren Blick. „Ich erinnere mich noch daran, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich mit Dean zum Eisangeln wollte, als wir gerade mal zwölf Jahre alt waren. Ende März war es Daheim zwar noch bitterkalt, doch das Eis des Sees war nicht mehr allzu dick. Aber ich hatte mir diese Sache in den Kopf gesetzt. Also ist Dean, trotz einiger Bedenken, mit mir raus auf das Eis gegangen. Nun ja, die Sache ging natürlich schief. Ich war damals schon um einiges größer und schwerer, als Dean, und als wir den Angelplatz, der mir vorschwebte, fast erreicht hatten, da brach ich ins Eis ein. Ich dachte mein Herz bleibt stehen, vor Schmerzen, weil das Wasser so eisig war. Es fühlte sich an, als würden unzählige Messer in meinen Körper eindringen. Im Nu hatte ich die Orientierung verloren und trieb unter die Eisdecke. Ich konnte mich vor Kälte und Schmerz kaum bewegen und ich war mir sicher, es würde das Ende sein, als mir schwarz vor Augen wurde, und das wäre es auch gewesen, ohne Dean. Der verrückte Hund ist, wie ich später herausfand, ohne zu zögern hinter mir her und hat mich aus dem verdammten See gezogen. Aber nicht nur das – er hat mich anschließend auch noch vom Eis des Sees gezerrt, mich über die Schultern genommen und mehr als einen Kilometer, bis nach Hause getragen. Ich frage mich bis heute, woher er damals die Kraft dazu genommen hat.“

Miriam, die mit wachsender Verwunderung zugehört hatte, hob ihre Augenbrauen. „Was geschah anschließend?“

„Wir waren beide ziemlich unterkühlt. Erst einige Tage später sagte mir der behandelnde Arzt, dass ich ohne das schnelle und beherzte Eingreifen von Dean nicht überlebt hätte, und wie nah er selbst dem Tod dabei gewesen ist. Ob das ein Bruder getan hätte kann ich nicht sagen, aber ich weiß, dass Dean es getan hat. Ohne zu Überlegen.“

Miriam nickte verstehend. „Ich beginne zu ahnen, was euch zwei verbindet, und wie tief diese Verbindung sein muss. Klar, dass du mit ihm über uns geredet hast.“

„Schluss damit“, raunte Kimi und küsste seine Freundin erneut sehr lang und sehr sanft. „Wir zwei sind endlich zusammen, das zählt.“

Sie kuschelten eine geraume Weile miteinander, bis Kimi seufzend erklärte: „Wir müssen aufstehen, sonst komme ich zu spät zum Dienst, und Dir entgeht die Gelegenheit, Dich von Dean zu verabschieden.“

„Was wir nicht möchte.“

Sie duschten gemeinsam.

Nachdem sie sich angekleidet hatten, frühstückten sie miteinander und als Miriam die zweite Tasse Kaffee trank, fragte sie: „Hast du übrigens mit Dean bezüglich der Informationen über Tae Yeon gesprochen?“

Kimi biss in seinen Toast und nickte dabei. Nach einem Moment erwiderte er: „Dean war nicht gerade begeistert von der Nachricht. Ich erinnere mich daran, dass er das Wort Abstechen benutzte.“

Miriam grinste breit. „Das kann ich mir gut vorstellen. Glaubst du, er wird irgendeine Dummheit machen, jetzt, wo er weiß, dass sie sich öfter auf dem Mars aufhält.“

Kimi schüttelte überzeugt den Kopf und nahm trank seinen Kaffee aus. „Nein, das glaube ich nicht. Außerdem passe ich ja auf ihn auf.“

Sie frühstückten zu Ende, verließen Kimi Korkonnens Quartier und flogen mit einem Dienstgleiter der Versorgungseinheit zum Verwaltungsgebäudes des Nachschubdepots. Bevor sie es betraten bat Kimi seine Freundin: „Bitte erwähne Tae Yeon nicht, wenn du Dich von Dean verabschiedest. Ich bin froh, dass er das Thema gestern recht schnell hat ruhen lassen.“

„Keine Sorge, so unsensibel bin ich nicht.“

Sie betraten das Gebäude. Als sie das Büro betraten, dass Kimi und Dean benutzten, entdeckten sie Dean Corvin, der gerade die gestern zerknüllte Kunststofffolie von seinem Schreibtisch nahm, sie glattstrich und einen Blick darauf warf.

Als Miriam und Kimi den Freund erreichten umarmte Miriam den Kanadier. „Ich habe mich gefreut Dich wiederzusehen. Hoffentlich dauert es bis zum nächsten Mal nicht wieder ein paar Jahre.“

Dean nickte, nachdem er sich von Miriam gelöst hatte. „Ja, das hoffe ich auch. Wohin wird die Reise der AURORA gehen, wenn sie fertig ausgerüstet ist?“

Der Kreuzer wird sich, nach unserem kleinen Ausflug zur Wega, wieder der Sechsten Flotte, im Sigma-Librae-System, anschließen.“

„Dreihundert Lichtjahre weit draußen“, stellte Corvin fest und wedelte in Gedanken mit der Folie herum.

Miriam Rosenbaum blickte flüchtig auf die Folie. „Ihr benutzt immer noch solche antiquierten Folien, hier auf Titan?“

„Nur wenn ich verhindern will dass Daten von Jedermann abgerufen werden können“, erklärte Kimi ihr. „Diese Liste ist eine Zusammenstellung meinerseits, bei der ich nach gewissen Übereinstimmungen gesucht hatte.“

Miriam blickte ihn fragend an und meinte: „Hey, da stehen aber eine Menge Frachter der Nimrod-Handelsgesellschaft auf Deiner Liste?“

Dean Corvin blickte die Kameradin neugierig an und warf seinerseits einen Blick auf die zerknitterte Folie. Dort entdeckte er nirgendwo das Wort Nimrod. Lediglich ein Dutzend Einträge mit dem Kürzel: KD-N. Etwas verwirrt blickte er Miriam an, deutete dabei auf eines dieser Kürzel und fragte: „Meinst du etwa das hier?“

Die junge Frau lächelte entsagungsvoll. „Man merkt, dass ihr zwei euch nie wirklich für das Handelssystem der fünf Splitterreiche interessiert habt. Ladelisten des Militärs haben wir doch bereits im zweiten Jahr auf der Akademie durchgekaut. Dieses Kürzel besagt nichts anderes, als dass es sich um einen Raumfrachter der Konföderation Deneb handelt, und das große N wird von der ältesten und größten Handelsgesellschaft der Konföderation Deneb genutzt. Der Nimrod-Handelsgesellschaft. Hervorgegangen ist diese Gesellschaft übrigens aus dem NIMROD-CLUB, einer ehemaligen Geheimvereinigung von Milliardären, die im dreißigsten Jahrhundert tatkräftig auf die Zersplitterung des ehemaligen Terranischen Reiches hingearbeitet hat. Ein Gerücht besagt, dass jedes Gründungsmitglied dieses Clubs einen Siegelring mit diesem Buchstaben getragen haben soll. Ihre Legitimation für ihr Handeln war, dass sie sich nicht der Regierung verpflichtet sahen, sondern dem Wohl der Menschen.“

Dean Corvin stand, bei Miriams letzten Worten, wie vom Donner gerührt da und wechselte dabei vielsagende Blicke mit seinem besten Freund, dessen Miene ein einziges Fragezeichen war.

Von Dean zu ihrem Freund blickend fragte Miriam, etwas verwirrt wegen dieser Reaktion: „Habe ich etwas verpasst. Was habt ihr beide denn plötzlich?“

Die beiden Freunde berichteten Miriam abwechselnd von ihrem Besuch bei Cole Hauser, auf der Erde. Nachdem Dean zum Ende hin von Hausers Ring berichtete, machte die junge Frau ein nachdenkliches Gesicht. „Das besagt nicht viel. Hausers Ring könnte eine Nachahmung dieser NIMROD-Siegelringe sein. Es ist ja nicht einmal sicher, ob diese Ringe nicht ein Produkt der Fantasie sind oder ob die Gerüchte stimmen.“

Dean Corvin wechselte einen eindringlichen Blick mit seinem Freund Kimi. „Gerücht oder nicht, wir müssen mit dieser neuen Info, am besten heute noch, zu Hauptmann Ranon. Vielleicht sollte unser Geheimdienst mal einen Blick auf die genaue Herkunft und auf den Lebenslauf eines gewissen Cole Hauser werfen.“

Kimi Korkonnen wiegte zweifelnd den Kopf sagte aber nichts. Statt dessen blickte er den Freund auffordernd an.

Dean verstand seinen Freund, schmunzelte unterdrückt, und meinte: „Ich gehe schon mal vor, ihr Zwei.“ Damit schritt er rasch aus dem Büro.

Miriam und Kimi blickten ihm nach.

„Er ist wirklich ein guter Freund“, grinste die junge Frau und schloss Kimi in ihre Arme, bevor sie ihn küsste.

Als sie sich widerstrebend voneinander lösten sahen sie sich in die Augen und der Finne raunte mit rauer Stimme: „Ja, das ist er. Und du pass bitte gut auf dich auf, wenn du wieder mit der AURORA unterwegs bist.“

„Das werde ich – versprochen.“

Gemeinsam verließen sie das Büro und trafen auf dem Gang wieder auf Dean, der einen leicht ungeduldigen Eindruck erweckte. Der Besuch bei Hauptmann Tekai Ranon schien ihm auf den Nägeln zu brennen.

Gemeinsam fuhren sie mit dem Lift nach unten. Im Foyer des Gebäudes angekommen wartete der Moment des endgültigen Abschieds. Da hier permanent Flottenangehörige ein und aus gingen beließ Miriam es dabei ihren Freund kurz zu Umarmen und flüchtig auf die Wange zu küssen. Danach umarmte sie Dean ebenfalls kurz und bat ihn: „Pass bitte gut auf diesen blonden Lulatsch auf, klar?“

„Versteht sich von selbst“, erwiderte Dean aufmunternd lächelnd.

„Wir sehen uns.“ Damit wandte sich die junge Frau abrupt ab und schritt eilig zum Ausgang des Foyers.

Drinnen blickte Dean zu seinem Freund, der Miriam mit seinen Blicken folgte bis sie das, zur Hälfte transparente, Schott hinter sich gelassen hatte, und Dean stieß den Freund schließlich an. „Komm, zu Hauptmann Ranons Büro geht es dort entlang.“

 
 

* * *

 

Hauptmann Tekai Ranon konnte man mit Fug und Recht als einen typischen Flottenoffizier des Terranischen Imperiums bezeichnen: Er besaß jene Art von Überheblichkeit, die dem Glauben daran entsprang, er wäre einer der besten und fähigsten Offiziere des Imperiums; und jene Art von Arroganz, die aus dem Glauben daran geboren wurde, dass das Imperium, genau wegen solcher Offiziere, unbesiegbar war.

Tekai Ranon besaß neben diesen Angewohnheiten unbestreitbar eine besondere Gabe, die darin bestand, immer ganz genau das zu sagen und zu tun, was seine Vorgesetzten erwarteten und guthießen. Sein einziges, wirklich herausragendes, Talent.

Wie viele Offiziere seines Schlages achtete Ranon übertrieben auf Äußerlichkeiten, wie zum Beispiel den perfekten Sitz seiner Uniform oder dass sein rabenschwarzes, kurzes Haar nicht auf dem Kragen seiner Uniform auflag. Er hasste solche Unzulänglichkeiten. So war es kein Wunder, dass er im Sanitärbereich seiner Büroflucht einen mannshohen Spiegel aufgestellt hatte, in dem er während des Dienstes immer wieder sein Abbild studierte. Niemand wusste davon, und Ranon achtete peinlich darauf, dass es niemand erfuhr.

Vor zwei Wochen hatte er seinen Vorgänger abgelöst, dessen Versetzungsantrag nach Wega-XIII bewilligt worden war. Nach Ranons Ansicht hatte der diese Abteilung viel zu sehr schleifen lassen. Unter seinem Kommando würde dieses Nachschubdepot wieder zu dem besten und effizientesten werden, im gesamten Imperium.

Tekai Ranon kam gerade von einer dieser Betrachtungen in sein geräumiges, helles Büro zurück, als ein melodisches, akustisches Signal Besuch ankündigte. Er aktivierte das Bildübertragungssystem seines Schreibtisches und erkannte zwei junge Offiziere, die offensichtlich bei ihm vorsprechen wollten.

Ranon aktivierte die entsprechende Sensortaste, die den Befehl zum Öffnen des Schotts gab. Mit einem kaum hörbaren Zischen fuhren die beiden Schotthälften in die Wand und gaben den Weg zu seinem Arbeitsraum frei.

Tekai Ranon stand auf, beobachtete kritisch den Sitz der Uniformen beider Offiziere, und erwiderte den militärischen Gruß beider Männer. Mit leicht gereiztem Tonfall fragte der Hauptmann endlich: „Was verschafft mir die Ehre ihres Besuchs, meine Herren? Warum haben Sie sich nicht zuvor angekündigt und um einen Termin gebeten, wie es gute Offiziere tun würden?“

Kimi Korkonnen blickte Ranon etwas irritiert an, während es sein bester Freund übernahm zu antworten. „Es blieb dafür keine Zeit, Sir, denn es könnte sich um ein Vorkommnis von immenser Wichtigkeit, wegen dem wir hier sind.“

Ranon grinste spöttisch. „Ein Vorkommnis von immenser Wichtigkeit? Hier auf Titan? Das halte ich für ausgeschlossen.“

Kimi Korkonnen bemerkte, wie es in seinem Freund zu brodeln begann, und darum übernahm er es, dem Hauptmann zu erklären, worum es sich handelte. Dabei registrierte er nebenbei, wie sich der Hauptmann gemächlich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch niederließ, ohne ihnen beiden einen Platz anzubieten.

Während der Freund dem Hauptmann berichtete beobachtete Dean Corvin mit einem wachsenden, unguten Gefühl, dass sich der Blick ihres neuen Vorgesetzten mehr und mehr verfinsterte, bei der Meldung, die sie ihm machten. Offensichtlich waren die Gerüchte, die ihnen in den letzten Tagen über ihren neuen Vorgesetzten zu Ohren gekommen waren, noch eher untertrieben, als übertrieben.

Kaum dass der Finne mit seinem Bericht geendet hatte fuhr Hauptmann Tekai Ranon aus seinem Sessel und blickte die beiden Oberleutnants strafend an. „Nach meiner Meinung, meine Herren, haben Sie beide, in den letzten Wochen, in schon beschämender Weise Ressourcen dieser Abteilung vergeudet, um einem Hirngespinst nachzujagen. Ein Angriff auf das Imperium? Sabotage in einer unserer bestbewachten Werften? Hören Sie sich eigentlich selbst zu? Und dann verhören Sie auch noch einen der mächtigsten Geschäftsleute des gesamten Imperiums!“

Dean Corvin wollte etwas erwidern, doch Tekai Ranon kam ihm zuvor. „Ich will nichts von Ihnen beiden hören, Oberleutnant. Nach ihrem Flug zur Luna-Werft jedoch werden Sie beide sich bei mir melden und für Ihr Handeln der vergangenen Wochen verantworten, das versichere ich Ihnen! Sie dürfen wegtreten, meine Herren!“

Ein wildes Feuer loderte in Dean Corvins Augen, doch er beherrschte sich eisern, blickte in die dunklen Augen des Hauptmanns und salutierte, so wie sein Freund auch. Zackig, und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch stapfte er an der Seite Kimis aus dem Büro ihres Vorgesetzten.

Draußen auf dem Gang wollte er seiner Unmut Luft machen, doch Kimi schüttelte warnend den Kopf. Es war gut möglich, dass ein Mann, wie dieser aufgeblasene Hauptmann Ranon, hier Überwachungsanlagen installiert hatte.

„Dieser aufgeblasene Sack ist doch nicht mehr ganz bei Trost“, wetterte der Kanadier, als sie endlich das Gebäude verlassen hatten, und gemeinsam über das Landefeld zum Liegeplatz ihres Frachters schritten, der mittlerweile fertig beladen sein sollte. „Ich sag Dir was, Kimi, zweieinhalb Jahre mit diesem Mistkerl als Vorgesetzten überlebe ich nicht. Oder aber er überlebt es nicht, denn er hat allerbeste Chancen von mir umgebracht zu werden!“

Kimi Korkonnen packte den Freund fest am Oberarm. „He, bleib auf dem Boden, Alter. Mit diesem Kerl müssen wir uns in der nächsten Zeit zwangsläufig arrangieren. Er ist neu im Kommando und macht einen ziemlichen Wirbel, aber das legt sich. Wir machen hier gute Arbeit und er wird schwerlich Offiziere finden, die den Job besser erledigen werden. Das wird ihm schon noch klar werden. Ein Wegversetzen von unserem Posten wäre eine Belohnung. Das ist auch diesem Blödmann klar. Also – was will er machen?“

„Du meinst, er macht dieses Theater lediglich, um sich zu profilieren?“

Kimi blickte hinüber zu ihrem 187 Meter langen Frachter, der KIROV. „Genau das. Aber selbst so ein Heißsporn wird hier auf Titan irgendwann ruhiger, nicht wahr?“

Dean rempelte den Freund an, bei seinen letzten Worten. „Danke, den Wink habe ich verstanden, mein Freund.“

Schweigend marschierten sie weiter.

Als die Freunde noch hundert Meter von dem Frachter entfernt waren beobachteten sie einen Gleiter, der in seiner Nähe landete. Dean Corvins finstere Miene hellte sich sichtlich auf, als er Tabea und Nayeli erkannte. Kaum, dass die beiden Technikerinnen die Maschine verlassen hatten, startete der Gleiter wieder.

„Sieh an, die Damen Unteroffiziere lassen sich fliegen, und wir zwei marschieren zu Fuß zum Frachter“, spottete der Kanadier. „Da stimmt doch was nicht.“

„Die mussten heute Morgen bestimmt auch noch keinen Anschiss kassieren, und sich durch körperliche Betätigung wieder abreagieren“, hielt ihm Kimi ironisch entgegen.

Bei diesen Worten stieg der Frust wieder in Dean Corvin auf und wütend fragte er: „Was ist, wenn ich doch Recht habe und etwas nicht stimmt? Die Anzahl von Frachtschiffen der Konföderation könnte bedeuten...“

„Hör auf damit“, unterbrach der Blonde bestimmt. „Weißt du: In einem Punkt hatte der Hauptmann vielleicht Recht, Alter. Es wäre tatsächlich absoluter Wahnsinn, das Imperium anzugreifen. Besonders hier, im am besten geschützten Sternensystem überhaupt.“

Dean Corvin atmete tief durch. „Vielleicht hast du Recht.“

Kimi nickte knapp und deutete dann nach vorne. „Freue Dich lieber auf einen angenehmen Flug zum Mond und auf das Wiedersehen mit Don Rodrigo. Für ein paar Tage hier weg zu kommen tut uns ganz gut. Bis dahin hat sich ganz bestimmt auch dieser komische Hauptmann Ranon wieder abgeregt. Außerdem werden wir in einigen Tagen Andrea und Jayden wiedersehen.“

Dean Corvin beobachtete wie Nayeli und Tabea ihnen zu winkten, und ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Du hast Recht. Vergessen wir für ein paar Tage diese finsteren Gedanken. Vielleicht bringt uns das neue Jahr ja mehr Glück, als die vergangenen.“

COUNTDOWN

 Noch drei Stunden bis Mitternacht terranischer Standardzeit.

Rodrigo Esteban machte eine umfassende Geste und fragte seine anwesenden Freunde: „Na, habe ich euch vielleicht zu viel versprochen, als ich von der Silvesterparty des Jahrzehnts gesprochen habe?“

Nayeli García Herández, die in den letzten Stunden kaum von seiner Seite gewichen war, blickte sich in dem beeindruckenden Ballsaal des lunaren Hauptquartiers der Flotte um.

Dieser Komplex war dort errichtet worden, wo vor mehr als 1200 Jahren zum ersten Mal ein Mensch seinen Fuß auf den Erdtrabanten gesetzt hatte. Im Mare Tranquillitatis - dem Meer der Ruhe – wie es immer noch lyrisch genannt wurde. Die oberirdischen Bereiche umschlossen dabei die Statio Tranquillitatis – den exakten Landepunkt, an dem der mehrmals restaurierte, zurückgelassene Teil der damaligen Landefähre immer noch stand. Mittlerweile konserviert und gegen jegliche äußeren Einflüsse geschützt.

„Toll, was die Leute hier auf die Beine gestellt haben“, stimmte die Mexikanerin begeistert zu. „Lass uns tanzen gehen.“

Dean Corvin grinste belustigt, als Nayeli den Spanier an die Hand nahm und ihn einfach mit sich zog. Ihn erinnerte die geschmückte Halle an eine ganz bestimmte Silvesterfeier und ein Schatten überflog sein Gesicht. Doch dann löste er sich von diesem beklemmenden Gefühl. Heute wollte er einfach nur Spaß haben. Kimi hatte ganz Recht – für Sorgen war später noch genug Zeit. Er, Tabea und Kimi standen bei einigen Männern und Frauen, die ihnen Rodrigo Esteban im Laufe des Abends vorgestellt hatte.

Tabea blickte vielsagend zu Kimi, der in eine intensive Diskussion mit drei Technikern von Estebans Kommando verstrickt war und sah dann auffordernd zu Dean. Dabei gelang es ihr kaum, sich ein Grinsen zu verbeißen, als sie fragte: „Wollen wir tanzen?“

„Wie oft hatten wir das jetzt schon, in der letzten Zeit?“, entgegnete Corvin belustigt. Er bot der blonden Frau schmunzelnd seinen Arm an.

Tabea ließ sich von dem Kanadier auf die Tanzfläche führen. „Da du mittlerweile ein wirklich guter Tänzer geworden bist ziemlich oft, würde ich sagen.“

Kimi Korkonnen blickte ihnen nach, als sie in der Menge verschwanden. Er war froh, dass sein bester Freund für diesen Abend offensichtlich seine finsteren Gedanken vergessen zu haben schien. Dann wandte er sich wieder seinen Gesprächspartnern zu. Einer von Ihnen entdeckte ein bekanntes Gesicht und winkte vehement mit seinen Armen.

Der Finne folgte dem Blick des Technikers und erkannte eine hochgewachsene Frau, die unverkennbar die Zielperson zu sein schien, denn sie winkte zurück und näherte sich der Gruppe nun mit raschen Schritten.

Kimi Korkonnen bemerkte, dass die Frau, mit den auffällig kupferroten, schulterlangen Haaren, die Uniform des fliegenden Personals trug. Während sie sich ihnen näherte erkannte der Blonde, dass sie etwa so hochgewachsen sein musste, wie sein bester Freund. Ihre Haut war von ebenmäßiger Blässe und wirkte im Kunstlicht der Halle fast wie lebendig gewordenes Elfenbein. Ihre Augen, von einem durchscheinenden Blau, drückten Intelligenz aus, aber gleichfalls auch eine gewisse Unbekümmertheit und Zielstrebigkeit. Kimi Korkonnen schätzte sie auf ein paar Jahre jünger, als sich. Am Kragen ihrer Uniform trug sie die Abzeichen eines Leutnants der Flotte.

Sie erreichte die Gruppe und grüßte mit klarer, weicher Stimme in die Runde.

Es war der Techniker, der sie hergewunken hatte, der sich es übernahm ihr Kimi vorzustellen und sie dann ihm wiederum als Irina Hayes vorstellte, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass sie zur Besatzung der NOVA SOLARIS gehörte.

„Sehr angenehm, Leutnant Hayes“, eröffnete Korkonnen das Gespräch mit Irina Hayes. „Sie werden also das Vergnügen haben, den neuen Kreuzer eingehend zu testen.“

Das Gesicht der rothaarigen Frau drückte mit einem Mal Anspannung aus. „Ja, das ist richtig, Oberleutnant Korkonnen. Sagen Sie, kann es sein, dass Sie Ihren Abschluss an der Sektion-Terra gemacht haben? Ich hörte dort von einem gewissen Absolventen mit diesem Namen, oder besser, von dem, was er und sein Freund getan haben sollen. Ich war deswegen seinerzeit, gelinde gesagt, sehr betroffen.“

„Es stimmt, dass ich an der Sektion-Terra meinen Abschluss gemacht habe“, bestätigte Korkonnen. „Was Sie nun auch immer dort gehört haben mögen...“

Irina Hayes machte mit finsterer Miene auf dem Absatz kehrt, schritt davon und ließ den Finnen einfach stehen.

Kimi Korkonnen ignorierte die teils fragenden, teils verwunderten Mienen der Anderen, entschuldigte sich hastig, und eilte der rothaarigen Frau nach. Als er sie eingeholt hatte stellte er sich ihr in den Weg und sagte mit fester Stimme: „Möglicherweise möchten Sie sich ja zuerst meine Version der Geschichte anhören, bevor Sie mich und meinen Freund, aufgrund von irgendwelchen wilden Gerüchten, vorverurteilen.“

Irina Hayes machte den Eindruck als wolle sie zunächst einfach weitergehen. Doch Korkonnen blickte die junge Frau so eindringlich an, dass sie sich schließlich, etwas gereizt dreinblickend, bereiterklärte: „Na schön, dann erzählen Sie mal Ihre Geschichte.“

Kimi Korkonnen überging den schnippischen Tonfall der jungen Frau und atmete mehrmals tief durch, um sich zu beruhigen. „Miss Hayes, ich weiß, dass die Ereignisse, so wie sie sich tatsächlich zugetragen haben, reichlich abenteuerlich klingen werden. Aber sie sind nichts desto weniger wahr. Im Grunde war die Falle, die meinem Freund und mir von einer Kommilitonin unseres Jahrgangs gestellt worden ist, lediglich für meinen Freund bestimmt. Doch ich war leider zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, und so geriet ich mit in die Ränkespiele dieser gewissenlosen Kadettin.“

Irina Hayes zog die Stirn in Falten und Korkonnen erkundigte sich unsicher: „Hat es Sinn weiterzureden, oder soll ich besser aufhören, und wir gehen unserer Wege?“

„Nein, jetzt möchte ich auch den Rest erfahren.“

Kimi Korkonnen nickte. Er berichtete Irina Hayes detailliert davon, was sich an der Sektion-Terra ereignet hatte.

Nachdem er verstummte, musterte Irina Hayes ihn prüfend und antwortete schließlich nachdenklich: „Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass Sie gelogen haben, Oberleutnant. Allerdings, und das haben Sie ja bereits zugegeben, hört sich diese Geschichte wirklich ziemlich abenteuerlich an.“

„Genau das ist das Perfide an den Vorkommnissen“, knurrte Korkonnen. „Es fällt schwer, es zu glauben, und noch schwerer es zu verstehen. Ich würde an Ihrer Stelle selbst Zweifel hegen, wenn ich so etwas zu hören bekäme.“

„Wenn du was zu hören bekommen würdest?“

Kimi wandte sich um. Dean Corvin war, zusammen mit Tabea Carrick unbemerkt hinter ihm erschienen und hatte den letzten Satz des Freundes mit angehört.

Kimi blickte von dem Freund zu Irina Hayes und stellte ihr Tabea und Dean vor, bevor er den beiden Neuankömmlingen Leutnant Hayes vorstellte.

Kimi Korkonnen bemerkte dabei den kurzen, fragenden Blick von Irina Hayes, als diese von ihm zu Tabea Carrick blickte, und er erklärte: „Tabea weiß um die Ereignisse, von denen ich Ihnen eben erzählt habe. Nicht, weil sie zufällig davon gehört hat, sondern weil wir es ihr freiwillig erzählt haben.“

Irina Hayes verstand die Spitze. Sie verkniff sich eine Erwiderung darauf und wandte sich stattdessen an Tabea. „Seit wann sind Sie drei befreundet?“

„Seit mehr als zwei Jahren. In dieser Zeit habe ich eins begriffen, Leutnant Hayes, nämlich, dass diese beiden Männer ehrlich und anständig sind. Was ihnen an der Sektion-Terra auch immer vorgeworfen worden sein mag, ich würde das nie und nimmer glauben.“

Das Gesicht der rothaarigen Frau entspannte sich zusehends. Ihr Blick schweifte in die Runde und verweilte schließlich bei Kimi Korkonnen. „Ich fürchte, ich muss mich für mein vorheriges, schlechtes Benehmen bei Ihnen entschuldigen, Oberleutnant Korkonnen. Vielleicht war ich ein wenig zu voreilig in meiner Beurteilung.“

Der Finne schenkte der jungen Frau die Andeutung eines Lächelns. „Vielleicht?“

Irina Hayes wich dem forschenden Blick des Blonden, unangenehm berührt, aus.

„Nennen Sie mich Kimi“, überging er diesen etwas peinlichen Moment und gab Irina Hayes damit gleichzeitig zu verstehen, dass für ihn die Angelegenheit erledigt war.

„Gerne… Kimi.“

Tabea und Dean boten Irina Hayes ebenfalls an, sie beim Vornamen zu nennen, und der Kanadier erkundigte sich, mit einem kurzen Seitenblick zu seiner blonden Begleiterin: „Möchten Sie vielleicht tanzen, Irina?“

Irina Hayes stimmte freundlich zu und sie verschwand, gemeinsam mit Dean Corvin, in der Menge.

Tabea Carrick blickte ihnen kopfschüttelnd nach und erkundigte sich dann launig bei Kimi: „War Dean schon immer so?“

„Hast du eine Ahnung“, seufzte Kimi übertrieben und zwinkerte Tabea zu. „Komm, lass uns zu unseren Freunden gehen, und etwas trinken, sonst geraten wir, was das angeht, hoffnungslos ins Hintertreffen.“

 
 

* * *

 

Noch zwei Stunden bis Mitternacht terranischer Standardzeit.

Als Oberfeldwebel Ixion Zertrec aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, drängte die Erinnerung daran, was sich ereignet hatte, nur zäh wieder in seine Denkprozesse. Er hatte noch mitbekommen, dass Raumalarm ausgelöst worden war, und er dabei gewesen war, seine Gefechtsstation aufzusuchen. Als er, zusammen mit mehreren Kameraden, durch die Gänge des Kreuzers gehastet war, hatte ein fürchterlicher Schlag das Raumschiff erschüttert. Zertrec wusste noch, dass es ihn von den Füßen gehoben hatte, und er, sich überschlagend, durch den Gang geschleudert worden war. Dabei war sein Kopf mit etwas Hartem kollidiert und er hatte offensichtlich das Bewusstsein verloren.

Zertrecs Kopf fühlte sich an wie nach einem wüsten Saufgelage, als er versuchte sich vom Boden aufzurappeln. Der rasende Schmerz ließ ihn zunächst auf den Boden zurücksinken. Er atmete tief durch, wobei er einen ziehenden Schmerz an seinen rechten Rippen verspürte. Mit der Linken tastete er sich zu einer Stelle seiner Stirn vor, die höllisch brannte. Er ertastete etwas warmes, und klebriges, und er vermutete dass es Blut war. Die Augen noch immer geschlossen lauschte er dem Knacksen und Knistern im Hintergrund. Erst jetzt nahm er den beißenden Geruch von Rauch wahr. Das ließ ihn endgültig munter werden.

Ixion Zertrec zwang sich, trotz der damit verbundenen Schmerzen, seine Muskeln anzuspannen, sich halb aufzurichten und die Augen zu öffnen.

Soweit der Feldwebel es erkennen konnte, herrschte ein heilloses Chaos an Bord des Schweren Kreuzers SILBERFALKE, einem Kriegsschiff der Farradeen-Allianz. Als Teil der Mondschatten-Flotte war seine Aufgabe gewesen, zusammen mit neun kleineren Einheiten, an der Grenze zum Terranischen Imperium zu patrouillieren.

Zertrec fragte sich, was passiert sein mochte. Hatte sich Oberstleutnant Harrenfor, der für seinen Tatendrang berüchtigt war, zu weit in terranisches Hoheitsgebiet gewagt? Oder hatte es einen Unfall gegeben?

Der kräftig gebaute Mann gab ein ächzendes Stöhnen von sich, als er sich herumdrehte und schließlich auf allen Vieren im Gang kniete um sich endgültig aufzurichten. Für einen Augenblick wurde ihm dabei schwarz vor Augen, doch er blieb bei Bewusstsein. Das sah Zertrec als ein gutes Zeichen an und setzte neue Kräfte bei ihm frei. Nach einer Weile klärte sich auch der bisher verschleierte Blick.

Ixion Zertrec blickte sich blinzelnd um. Schweiß lief ihm in die Augen und verursachte dort ein unangenehmes Brennen. Schwankend stand er in dem teilweise arg zugerichteten Korridor der zum Maschinenraum der SILBERFALKE führte. Der Gang lag in gespenstischem Zwielicht. Die normale Beleuchtung schien ausgefallen zu sein. Einige Notbeleuchtungskörper flackerten unstet, und an manchen Stellen waren sie gänzlich ausgefallen. Der akustische Alarm war inzwischen verstummt doch die Alarmpaneele leuchteten weiterhin in einem beunruhigenden Rot. Brandspuren überzogen einen Teil der Wände, der Decke und des Gangbodens. Deckenplatten und abgeplatzte Elemente der Wandverkleidung lagen auf dem Boden herum. Irgendwo in einem Gangabschnitt hinter ihm war eine Kühlmittelleitung geplatzt. Weißlicher Rauch quoll aus ihr hervor und hüllte einen Bereich des Ganges wie eine Nebelwand ein.

Zertrec taumelte darauf zu und strauchelte mehr hindurch als dass er ging, wobei er husten musste und er wäre beinahe über ein größeres Objekt gestolpert. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass es ein menschlicher Körper war.

Ein weiblicher Offizier in der blau abgesetzten Uniform einer Technikerin. Ihre Augen blickten seltsam starr. Ihre Haut, dort wo sie nicht verkohlt war, war mit hässlichen Brandblasen übersät.

Ixion Zertrec erkannte sofort, dass die Frau tot war, und er würgte, wobei er spürte, wie sein Magen zu rebellieren begann. Erst jetzt nahm er zudem den beißenden Geruch verbrannten Fleisches wahr. Taumelnd bewegte er sich, von Grauen geschüttelt, weiter, bevor er sich an der Wand abstützte und übergab. Ein krächzendes Husten folgte, bevor er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er so drastisch mit dem Tod konfrontiert wurde.

Das darf nicht wahr sein, dachte er, sich fieberhaft fragend, was zu diesem Chaos an Bord geführt hatte. Jetzt, da er sich dessen voll bewusst wurde, dass er allein war, überkam ihn für einen kurzen Augenblick ein Gefühl wilder Panik. Ihm grauste bei dem Gedanken daran, wie viele Opfer es noch gegeben haben mochte.

Das darf doch einfach nicht wahr sein.

Vor weniger als einer halben Stunde war seine Welt noch in Ordnung gewesen, und nun fand er sich mitten in diesem schrecklichen und traumatisierenden Chaos wieder.

Weiter, peitschte sich der Oberfeldwebel selbst nach vorn. Er ballte die Hände und kniff die Augen zusammen, als der Dunst dünner wurde und sich eine verschwommen erkennbare Gestalt herausschälte, die auf sie zu kam. Erst als sie nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, erkannte Zertrec, dass es sich um einen jungen Gefreiten handelte. Der Feldwebel wankte auf ihn zu.

„Hallo!“, rief Zertrec erleichtert aus. „Ich dachte schon, ich wäre als Einziger an Bord am Leben geblieben.“

„Oberfeldwebel Zertrec?“, fragte der Gefreite mit brüchiger Stimme.

Zertrec, der zuvor den Gefreiten, wegen seines, vom Rauch geschwärzten Gesichtes, nicht erkannt hatte, krächzte: „Ja, Gefreiter Karazan. Was ist geschehen?“

„Ich weiß nicht! Der Maschinenraum brannte, und ich habe zusammen mit einigen Anderen zunächst das Feuer bekämpft. Danach haben wir uns auf den Weg gemacht, um nach Überlebenden zu suchen, Oberfeldwebel.“

„Gut so“, krächzte Zertrec hustend. „Sie müssen mich stützen und zur Krankenstation bringen, Gefreiter. Ich fürchte, ich habe mir ein paar Rippen gebrochen und wer weiß was noch alles.“

Der Gefreite bestätigte, legte sich den linken Arm, den der Feldwebel angehoben hatte, um die Schulter und legte den rechten Arm vorsichtig um seinen Vorgesetzten.

Mehr schlecht als recht schritten sie durch die Gänge des Kreuzers und sie mussten dabei zweimal einen Umweg machen, weil Trümmerteile den Gang, den sie benutzten, blockierten. Beide atmeten erleichtert auf, als sie feststellten, dass die Medizinische Station in einem der weniger zerstörten Bereiche des Kreuzers lag.

Als sie die Station erreichten, bot sich ihnen auch dort ein erschreckendes Bild.

Die noch unzerstörten Liegen reichten nicht aus, um all die leicht und schwer Verletzten Crewmitglieder aufzunehmen, und so lagen diese, dicht an Dicht, auf dem Boden der Station, wo sie von mehreren Medizinern und Pflegern behandelt und betreut wurden. Ein unangenehm süßlicher Geruch hing in der Luft.

Ein Assistenzarzt kam auf Zertrec und seinen Begleiter zu. „Sie können noch aufrecht stehen, das ist gut. Setzen Sie sich dort vorne zu Hauptmann Sangrin, ich komme dann gleich zu Ihnen beiden.“

Etwas verblüfft erklärte Zertrec: „Ich habe mir vermutlich mehrere Rippen geb...“

„Sehen Sie nicht was los ist?“, schnitt der Arzt dem Oberfeldwebel das Wort ab. „Der Kommandant wird froh sein, für alle Männer und Frauen, die in irgendeiner Form gehen, humpeln oder kriechen können! Irgendwer muss uns aus diesem Schlamassel bringen, und Sie gehören nun einmal mit dazu, denn immerhin leben Sie noch, und das ist mehr, als viele andere Crewmitglieder dieses Kreuzers von sich behaupten können! Also stehen Sie hier nicht länger sinnlos herum!“

Während Ixion Zertrec noch verdattert den Assistenzarzt ansah, wandte der sich bereits zu Karazan. „Und Sie haben ganz bestimmt etwas besseres zu tun, als auf der Krankenstation herumzulungern!“

Zertrec blickte Karazan hinterher, der fluchtartig hinaus eilte, bevor er sich, wie ihm geheißen, zu Hauptmann Serina Sangrin begab.

„Hoffentlich hat den keiner zum Essen eingeladen“, knurrte er finster, als er die schlaksige, dunkelblonde Frau erreicht hatte und setzte sich, mit einem angemessenen Abstand, zu ihr auf die Medo-Liege. Er wartete einen Moment lang, bevor seine Neugier die Oberhand gewann und er den Zweiten Offizier des Kreuzers direkt ansprach. „Wissen Sie vielleicht was geschehen ist, Hauptmann?“

Die Frau, die um ein paar Jahre älter war als Zertrec, blickte ihn an und erwiderte: „Auf die Schnelle, Oberfeldwebel: Als der Verband den Hyperraum verließ fand er sich mitten in einem Raumschiffspulk unbekannter Herkunft wieder. Eine Fregatte kollidierte mit einem Schweren Kreuzer dieses fremden Flottenverbandes und wurde dabei vollkommen zerstört. Bevor wir Verbindung zum Kommandeur dieses Verbandes aufnehmen konnten, eröffneten mehrere von deren Kriegsschiffen ohne Vorwarnung das Feuer auf unsere Einheiten. Die SILBERFALKE wurde dabei schwer getroffen, bevor sie sich kurzzeitig in den schützenden Hyperraum retten konnte. Was aus den übrigen Raumschiffen unserer Patrouille wurde wissen wir nicht.“

„Aber warum greifen uns die Terraner an?“

Hauptmann Sangrin warf dem Kräftigen einen langen Blick zu. „Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich Terraner waren. Ich vermute viel mehr, dass wir für Terraner gehalten wurden, denn Oberstleutnant Targorin hatte unseren Verband um einige Lichtjahre in terranisches Territorium einfliegen lassen, da unsere Langstreckensensoren schwache Unregelmäßigkeiten dicht an der Grenze zu unserem Territorium aufgefangen hatten. Nun, ich schätze jetzt wissen wir, was es war.“

Der Feldwebel schluckte. „Aber wer...“

„Später, Oberfeldwebel. Da kommt der Mann, der uns notdürftig zusammenflicken wird, damit wir ihn und die anderen Überlebenden, wie sagte er so treffend, aus dem Schlamassel bringen können.“ Beinahe flüsternd fügte sie hinzu: „Ich möchte nur einmal wissen, woher dieser grimmige Knochenflicker diesen antiquierten Ausdruck hat. So redet doch seit Jahrhunderten kein Mensch mehr.“

Trotz der wieder zunehmenden Schmerzen, als er sein Gewicht etwas verlagerte, erlaubte sich Zertrec ein unterdrücktes Schmunzeln.

Im nächsten Moment hatte der Assistenzarzt sie erreicht. Er scannte zuerst Serina Sangrins rechten Arm und aktivierte ein etwa handgroßes Gerät um bei ihr einen gebrochenen Unterarmknochen zusammenzuführen und zu verschweißen, was nur wenige Minuten in Anspruch nahm, bevor er sie aus seiner Obhut entließ und sich Zertrec zuwandte.

Serina Sangrin bewegte vorsichtig die Finger ihrer rechten Hand und bewegte dann ihren Arm einige Male in alle Richtungen. Zufrieden mit dem Ergebnis erhob sie sich von der Medo-Liege und blickte zu Zertrec. „Viel Glück, Oberfeldwebel.“

Serina Sangrin bekam noch mit, wie er den Wunsch erwiderte, bevor sie eilig die Krankenstation verließ um wieder zu ihrer Station, die Zentrale des Kreuzers, zu eilen.

Kaum dort angekommen sprach sie der Kommandant des Kreuzers, der zufällig in ihre Richtung blickte, sofort an. „Wie geht es Ihrem Arm, Hauptmann?“

„Ist wieder in Ordnung, Sir.“ Sie blickte in dem Chaos aus Trümmern und fieberhaft arbeitenden Crewmitgliedern zum leeren Sessel des Ersten Offiziers. „Wie geht es...“

„Der Erste Offizier ist tot“, erklärte Oberstleutnant Jovan Targorin, der ahnte, was die Frau hatte fragen wollen. „Sie werden für ihn übernehmen müssen, Hauptmann. Wie sieht es in den übrigen Abteilungen des Kreuzers aus?“

Serina Sangrin machte eine wiegende Handbewegung und ihre grün-grauen Augen verfinsterten sich. „Nicht gut, Sir. Ich schätze es hat uns übel erwischt. Wissen wir mittlerweile, wer der unbekannte Angreifer gewesen ist?“

Der Kommandant nickte bedeutungsschwer. „Ja, aus den Scannerprotokollen, die nicht zerstört wurden, konnten wir ermitteln, dass es sich um Einheiten der Konföderation Deneb gehandelt hat – was den Angriff auf uns plausibel macht, falls sie in dem Glauben handelten, wir seien Terraner.“

„Aber… Sir, das würde...“

Wieder nickte Jovan Targorin und fuhr sich mit der linken Hand durch das dichte, schwarze Haar, wobei ein ebenso von Sorgen belasteter, wie trauriger, Ausdruck in seine blauen Augen lag. „Es scheint so, als würden mehr als zweihundert Jahre des Friedens zu Ende gehen, Hauptmann Sangrin.“

 
 

* * *

 

Noch eine Stunde bis Mitternacht terranischer Standardzeit.

Auch auf dem Mars fanden an diesem Abend unzählige Silvesterfeiern statt. Es gab jedoch eine Reihe von Menschen, die nicht an diesen Festivitäten teilnahmen. Einer von ihnen hieß Kim Tae Yeon.

Nach einem Schäferstündchen mit ihrem neuen Liebhaber, Larenan Farralen, der vor etwa einer halben Stunde gegangen war, stand sie, in voller Dienstuniform, in ihrem Quartier vor dem Feldspiegel und überprüfte den Sitz ihrer Frisur. Sie strich mit der Hand eine Strähne aus ihrem Gesicht. Dann zuckte sie die Schultern.

„Wer sich in Gefahr begibt“, murmelte sie, diabolisch lächelnd, „darf sich am Ende nicht wundern, wenn ihm, oder ihr, ein paar Haare gekrümmt werden.“

Die Asiatin warf einen Blick auf das Chrono-Feld ihres Multifunktions-Armbandes bevor sie das Licht löschte und ihr Quartier eilig verließ.

Vor dem Gebäude begab sie sich zu ihrem Dienstgleiter. Kim warf sich geschmeidig auf den Vordersitz und der Gleiter schaukelte unmerklich. Sie schnallte sich an und schaltete das Triebwerk ein. Mit einem hellen, singenden Geräusch fauchten die hoch erhitzten und komprimierten Luftmassen aus den beiden Vortriebsfelddüsen. Die Asiatin ergriff das Steuer. Sie lenkte ihren Bodengleiter fast immer selbst, obwohl hinter der Steuerkonsole auch eine hochwertiger Automatiksteuerung installiert war.

Das schnittige Fahrzeug fegte über die Abfahrt zur öffentlichen Gleiter-Trasse.

Verächtlich blickte Kim Tae Yeon, während der Fahrt, auf die Silhouette der Stadt Red Sands, eine Stadt die immer noch wuchs. Die Turmbauten reckten sich gleich Riesenfingern aus Metall, Kunststoffen und Glassit in den Himmel - Monumente menschlicher Stärke und Schwäche. Es war, im Grunde genommen, unpraktisch, so hoch zu bauen, aber der Mensch hatte eben das Bedürfnis, der permanenten Herausforderung durch das Universum mit Taten und stolzen Gesten zu begegnen. Ein Ausdruck menschlichen Stolzes und Selbstbewusstseins waren diese himmelstürmenden Riesenbauten.

Die Angehörige des Militärischen Geheimdienstes verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das Naheliegende. Sie hatte es einrichten können, an diesem Abend, ab 23:30 Terra Standardzeit, im Strategischen Hauptquartier der Flotte einige Systemprüfungen vorzunehmen. Reine Routine offiziell.

Dabei war ihr wirkliches Vorhaben höchst inoffiziell.

Der Bodengleiter jagte mit fünfhundert Stundenkilometern dahin. Niemand, außer ihr, schien momentan unterwegs zu sein, was Kim nicht verwunderte. Alle wollten das bald neu anbrechende Jahr 3221 feiern.

Wenn die wüssten...

Kim Tae Yeon verzögerte, als in wenigen Kilometern Entfernung die erleuchteten Rohrmündungen des Schiparelli-Tunnels auftauchten. Die Luftströme der Atmosphäre erzeugten an diesen Ein- und Ausfahrten unablässig starke Turbulenzen, die sich in einem Donnern und Tosen wie von einer starken Brandung äußerten.

Der Gleiter der jungen Frau wurde von einer imaginären Faust gepackt und spürbar durchgeschüttelt, als er in die obligatorischen Luftwirbel stieß. Dann war er hindurch.

Fünf Minuten lang schoss das Fahrzeug durch den Tunnel, verließ ihn wieder und Kim lenkte den Gleiter schließlich nach rechts, als sie die Außenbezirke von Red Sands fast erreicht hatte. Sie kam schließlich zu der überwachten Abzweigung, die zum Hauptquartier führte und einige Augenblicke später passierte sie das automatisch arbeitende, äußere Überwachungsportal. Kam es hier zu Unregelmäßigkeiten, so wurde ein möglicher, unautorisierter Eindringling am inneren Portal gestoppt – notfalls mit Waffengewalt.

All das war Kim Tae Yeon bekannt. Da sie angemeldet war gab es für sie keinerlei Probleme. Sie würde sich lediglich nochmal am Eingang des Gebäudekomplexes beim Befehlshaber der Wache identifizieren müssen. Gemäß ihrer Weisung würden ihre beiden Verbündeten aus Akademietagen, Jonas Zandvoort und Jeremy James, bereits im Foyer des Hauptquartiers auf sie warten.

Die beiden bewaffneten Wachen salutierten, als sie das Taktische Hauptquartier der Terranischen Raumflotte, durch das Hauptportal, betrat. Freundlich lächelnd erwiderte sie den Gruß der beiden Uniformierten und betrat das Foyer des gewaltigen Gebäudes.

Mit federnden Schritten begab sie sich zum Empfang, wo ihre beiden Kameraden, wie geplant, bereits auf sie warteten. Sie legitimierte sich dem Befehlshaber der Wache gegenüber, mit Hilfe ihrer Dienst-ID-Karte, gab Zandvoort und James einen Wink ihr zu folgen und schritt dann, gemeinsam mit den beiden Männern, zu einem der zehn Lifts hinüber. Sie war schon so oft hier gewesen, dass sie dabei das marmorne Logo der Terranischen Raumflotte, auf dem Boden der Halle, nicht weiter beachtete.

Während sie zu dritt auf den Lift warteten überlegte Kim, dass von dem eigentlichen Gebäude, das im Jahr 2400, in einem feierlichen Festakt, in Betrieb genommen worden war, nicht mehr viel existierte. Mit den folgenden Jahrhunderten war es permanent erweitert, modernisiert und vergrößert worden. Von hier aus wurden alle militärischen Operationen der Terranischen Raumflotte geleitet. Ganz in der Nähe lag die Sektion-Mars, der Terranischen Raumflotten-Akademie, an der sie ihre ersten beiden Ausbildungsjahre verbracht hatte.

Eine ähnlich aufgebaute Anlage, wie dieses Strategische Hauptquartier, gab es für den eigentlichen Flottenstab auch auf Terra.

Dieser Gebäudekomplex, auf dem Mars, war am Rand von Red Sands errichtet worden, und er war eine, im Notfall autark funktionierende, Einrichtung, die im Verteidigungsfall hermetisch abgeriegelt werden konnte. Grundsätzlich gab es zwei große Bereiche in die der Komplex unterteilt war: Den allgemein zugänglichen Bereich und den geschützten Bereich. Zu dem ersten hatten Militärs und zivile Angestellte der Flotte Zutritt – er beherbergte nebenbei ein Informationsbüro für Vertreter der Regierung.

Zu dem geschützten Bereich hatten nur militärische Vertreter des Raumflotten-Stabes, der Verteidigungsminister und der Präsident des Terranischen Imperiums Zutritt. Und Angehörige des Militärischen Geheimdienstes, so wie sie.

Besonders autorisierten Personen, in der Regel hochrangigen Offizieren des Stabes, war es möglich, innerhalb des Komplexes Sonderschaltungen vorzunehmen, beispielsweise die verschiedenen Kommandozentralen separat abzuriegeln, oder besondere Alarmstufen für das gesamte Militär auszulösen.

In den oberirdisch gelegenen Gebäuden wurde das allgemeine Tagesgeschäft erledigt. Ein weit größerer Teil der Anlage lag jedoch unterirdisch. Dort gab es insgesamt fünf Tiefetagen. Der Zugang zu den unterirdischen Anlagen erfolgt über speziell gesicherte Lifts.

Der Komplex besaß eigene Kraftwerke und Sender-Empfänger-Anlagen, sowie Anlagen zur Nahrungs- und Trinkwasser-Herstellung. Des weiteren befand sich dort ein hochwertiges Lufterneuerungs-System und die zentrale Klimasteuerung.

Kim hatte davon gehört, dass es in den Tiefen-Etagen einige moderne Kliniken und alles, was bei einem erzwungenen längeren Aufenthalt der dort arbeitenden und lebenden Menschen erforderlich war, gab. Durch diese Vorkehrungen und hervorragenden Sicherheitsanlagen und Defensivsysteme sollte die volle Handlungsfreiheit der Terranischen Regierung auch in Notstandssituationen gewährleistet werden. Gegenwärtig konnte der Komplex, in einer Notsituation, insgesamt bis zu 50.000 Menschen aufnehmen und langfristig versorgen. Nun, daran konnten ihre Machenschaften, und die, ihrer beiden Mitverschwörer leider nicht viel ändern.

Die Abwehranlagen bestanden aus umliegenden Geschützstellungen und Torpedowerfern, deren Feuerkraft der von etwa zehn Schlachtkreuzern entsprach. Zahlreiche weitere Verteidigungsanlagen, die überall auf dem Mars verteilt waren, konnten im Notfall von dort aus zentral gesteuert werden.

An deren Treffsicherheit wird sich in den nächsten Stunden definitiv etwas ändern, überlegte die Asiatin düster, als sich das Schott des Lifts für sie öffnete, und sie dessen Kabine betrat.

„Siebenundvierzigstes Obergeschoss“, gab die junge Frau das Stimmenkommando, und die Liftkabine setzte sich unmerklich in Bewegung. Schon seit vielen Jahrhunderten besaßen solche Liftkabinen Schwerkraft-Absorber, um ihre Gäste, mit nahezu unglaublichen Geschwindigkeiten, zu ihrem jeweiligen Ziel bringen zu können.

Niemand stieg unterwegs zu, und so erreichten Kim Tae Yeon und ihre beiden Begleiter nur wenige Sekunden später die von ihr angegebene Zieletage. Sie verließen den Lift und Kim wandte sich, nachdem bisher kein Wort zwischen ihnen gefallen war, an die beiden Männer: „Sie beide überprüfen die Ortungsfrequenzen, meine Herren.“

Zandvoort und James wussten, dass es im gesamten Gebäude Überwachungsanlagen gab, die jeden ihrer Schritte, und jedes gesprochene Wort, aufzeichneten, weshalb sie den Befehl knapp bestätigten, und sich dann auf dem, durch indirekte Lichtquellen angenehm beleuchteten, hell-beigen, Korridor nach links wandten.

Kim sah ihnen kurz nach, lächelte unmerklich und wandte sich selbst dann nach rechts. Nach nur wenigen Schritten erreichte sie das Schott zum Kommunikations-Zentrum. Sie legte ihre rechte Handfläche auf die Scannerplatte des Individualtasters und wartete einen Augenblick, bevor sich die beiden Hälften des Panzerschotts vor ihr teilten. Die Automatik hatte sie identifiziert und als Zutrittsberechtigte eingestuft.

Als Kim zum ersten Mal hier gewesen war, hatte sie dieser zehn mal fünfzehn Meter große Raum enttäuscht. Sie hatte damals mit einer gewaltigeren Anlage für das wichtigste militärische Kommunikationszentrum des Terranischen Imperiums gerechnet. Mittlerweile war sie an die Dimensionen dieses Raumes gewöhnt.

Zu normaler Dienstzeit taten hauptsächlich Offiziere Dienst an den Konsolen und die Leitung oblag in der Regel mindestens einem Hauptmann der Flotte. Momentan erkannte Kim hauptsächlich Feldwebel-Dienstgrade an den Konsolen und ein junger, weiblicher Oberleutnant, unterstützt von einem Leutnant der den Eindruck erweckte als habe er eben erst die Akademie abgeschlossen, saß hinter der Hauptkonsole. Mit ein Zeichen dafür, wie gering man offensichtlich die Gefahr einer äußeren Bedrohung einschätzte.

Larenan hat ganz Recht, wenn er behauptet, das Imperium habe sich selbst überlebt, überlegte Kim Tae Yeon. Noch vor zweihundert Jahren wäre eine solche Schluderei undenkbar gewesen. Das imperiale Militär ist selbstgefällig geworden – höchste Zeit für einen radikalen und nachhaltigen Machtwechsel im Gefüge der fünf Sternenreiche.

Während Kim zur Kommandokonsole schritt überlegte sie, dass es sich bei dem weiblichen Oberleutnant um eine Frau von Wega-VIII handeln musste. Ihre blass-blaue Hautfärbung, der kräftige Körperbau und die dichten, dunkelroten Haare, mit einem metallisch wirkenden Schimmer, waren unübersehbare Anzeichen dafür. Ebenso, wie die tiefliegenden, dunklen Augen unter den dichten Brauen.

Die Weganerin erhob sich, als sie das Eintreten des Geheimdienstoffiziers bemerkt hatte, und schritt Kim entgegen. Drei Schritt vor der Asiatin salutierte die blauhäutige Frau und meldete: „Ich bin Oberleutnant Farana Starrin. Wir haben Sie bereits erwartet, Oberleutnant. Meine Kontrollkonsole steht zu ihrer Verfügung.“

Kim nickte freundlich. „Danke, Oberleutnant Starrin.“

Die Asiatin beobachtete die Weganerin dabei, wie sie zu einer Kontrollrunde ansetzte und zu einem der Feldwebel an den Nebenkonsolen schritt, während sie selbst sich zu der erhöhten Empore mit der Hauptkonsole begab. Beflissen wirkend nahm sie neben dem jungen Leutnant platz, ohne ihn zu beachten und aktivierte die Holokontrollen. In schneller Folge rief sie Kommunikations-Frequenzen und Verbindungspläne auf. Als sie die neugierigen Seitenblicke des Leutnants registrierte, unterbrach sie ihre Beschäftigung, blickte ihn direkt an und hob wortlos ihre Augenbrauen.

Der stechende Blick der Asiatin zeitigte die gewünschte Wirkung. Der Leutnant lief rot an und stammelte eine kaum verständliche Entschuldigung.

Kim Tae Yeon beschloss, sich dieses allzu neugierigen Offiziers für eine Weile zu entledigen, indem sie meinte: „Leutnant, bitte besorgen Sie mir doch einen Kaffee.“ Sie blickte bei ihren Worten zu Farana Starrin und fügte hinzu: „Mit Ihrer Erlaubnis.“

Die Weganerin nickte dem Leutnant zu, der froh war, aus Kims Nähe zu kommen.

Nachdem er fort war, begann Kim mit ihrem eigentlichen Vorhaben. Sie schätzte, dass der Leutnant mindestens zwei bis drei Minuten weg sein würde – mehr als genug Zeit dafür, ihr Vorhaben unbemerkt durchzuführen. Trotzdem arbeitete sie zielstrebig und effizient.

Schneller, als Kim gehofft hatte, war der Leutnant wieder bei ihr. Offensichtlich wollte er sich ihr Wohlwollen dadurch zurückgewinnen, dass er sie nicht allzu lange auf ihren Kaffee warten ließ. Hastig nahm sie die letzten Änderungen an den Übermittlungsfrequenzen vor, als der junge Mann bereits zu ihr auf die Empore kam, und speicherte sie. Noch bevor der Leutnant ihr den Kaffee reichen konnte hatte sie ihr Werk vollendet, das Menü geschlossen und blickte dann zu dem übereifrigen Offizier auf.

„Vielen Dank, Leutnant“, sagte Kim mit rauchiger Stimme und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, während sie dem Mann die Tasse aus der Hand nahm. „Ich bin Ihnen sehr verbunden für den Gefallen.“

Kim nahm einen Schluck, wobei sie den jungen Offizier über den Rand der Tasse hinweg ansah, was ihn erneut dazu veranlasste, zu erröten. Offenbar war dieser junge Mann noch nicht sehr erfahren, was das weibliche Geschlecht betraf, überlegte die Asiatin belustigt, bevor sie die halb ausgetrunkene Tasse an den Mann zurück reichte. Sie erhob sich geschmeidig und schritt zu Farana Starrin.

„Oberleutnant, ich bedanke mich für das freundliche Entgegenkommen.“

„Gerne geschehen, Sir.“ Die Weganerin salutierte und Kim erwiderte den militärischen Gruß, dem Protokoll gemäß. Schnell wandte sie sich danach um und verließ schwungvoll den Kontrollraum.

Drinnen hielt ein junger Leutnant eine halbleere Kaffeetasse und überlegte, ob er das, was er bei Kims anfänglichen Eingaben zu sehen geglaubt hatte an seine Vorgesetzte melden sollte. Für eine Weile war er unentschlossen, bevor er zu dem Schluss kam, dass er sich vielleicht geirrt haben könnte, und dass es sich nicht gut in seiner Dienstakte machen würde, wenn er einen Verweis bekam, wegen einer ungerechtfertigten Verdächtigung, ob eines Dienstvergehens eines Geheimdienstoffiziers. Nein, das würde wenig Sinn ergeben.

Doch in diesem Punkt irrte der junge Offizier. Es hätte sehr wohl Sinn gehabt.

 
 

* * *

 

Fast Mitternacht terranischer Standardzeit.

Auf dem Frachter UTIKAL blickte der Handelskapitän, Harin Geralon auf die Zeitanzeige seiner Instrumente. Dass der vierschrötige Mann alles andere war, als ein Zivilist, wusste nur seine Besatzung, im Terranischen Imperium galt er, seit Jahrzehnten, als Handelsraumschiff-Kommandant.

Vor wenigen Minuten erst war der Frachter, außerhalb der Saturn-Bahn, aus dem Hyperraum gefallen. Er hatte eigentlich bereits vor einer guten Stunde über dem Saturnmondes Titan ankommen, und auf dem zivilen Raumhafen landen sollen. Doch es hatte unerwartete, technische Probleme gegeben.

Geralon straffte sich nach einem Moment und blickte, in der mäßig beleuchteten Zentrale des Frachters, zum Kommunikationsoffizier des Raumers, der bereits das Kennungssignal für die terranische Raumüberwachung abgestrahlt hatte. Momentan war er dabei Kontakt zu den Behörden auf Titan herzustellen.

Der Erste Offizier des Frachters, eine mollige, harmlos wirkende Frau mittleren Alters, trat zu Harin Geralon und erkundigte sich: „Wie sieht es aus? Werden wir rechtzeitig über Titan ankommen, Kapitän?“

Geralon blickte seine Stellvertreterin, Nira Krinn, von der Seite an. „Die Verzögerung macht mir keine Sorgen, wir werden noch innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters landen. Was mir allerdings große Sorgen bereitet ist der Ausfall des Code-Empfängers an unserem Spezialgerät. Ich habe, vor knapp einer Stunde, bereits unsere Techniker darauf angesetzt ein Provisorium als Ersatz zu konstruieren und an der Außenhaut des Schiffes zu installieren. Ich hoffe nur, die bauen uns keinen Kasten von drei Metern Kantenlänge. Das würde auffallen.“

„Soll ich unseren Technikern vielleicht mal etwas einheizen?“

Geralon grinste humorlos. „Die kommen auch ohne Ihre Anfeuerungen bestimmt schon genug ins Schwitzen. Unsere Leute werden rechtzeitig fertig werden. Hauptsache der neue Empfänger versagt nicht im entscheidenden Augenblick.“

Nira Krinn nickte zustimmend. „Das würde unsere Einheiten, die gegen Titan und seine Abwehrstellungen vorgehen sollen, in eine unangenehme Lage bringen. Übrigens, haben Sie nochmal über meinen Vorschlag nachgedacht, mich das Kommandounternehmen gegen das Kommunikationszentrum auf Titan führen zu lassen? Ich finde immer noch, dass Sie selbst an Bord bleiben, und unsere anschließende Flucht decken sollten.“

Geralon schüttelte den Kopf. „Es bleibt bei der abgesprochenen Vorgehensweise, Nira. Sie werden die UTIKAL für einen Notstart bereithalten, solange ich mit meinem Team unterwegs bin. Ich war bereits einige Male in dem Gebäudekomplex auf Titan und kenne die örtlichen Gegebenheiten.“

Nira Krinn nahm die Ablehnung gleichmütig hin.

Der Kommunikationsoffizier hatte inzwischen erfolgreich Kontakt zur Zentrale des Raumhafens auf Titan hergestellt. Er gab Informationen zur angeblichen Fracht der UTIKAL und beantwortete die obligatorischen Code-Anfragen.

Als der Saturn sich bereits Fußball groß auf dem Hauptbildschirm der Zentrale abzeichnete kam endlich die Bestätigung der Techniker, dass der provisorische Empfänger installiert war und einwandfrei funktionierte.

Geralon und Krinn blickten sich mit einer Mischung aus Erleichterung und Anspannung an.

In einer halben Stunde würde die UTIKAL auf dem Titan landen – und erst dann begann der schwierige Teil dieses Unternehmens.

 
 

* * *

 

Eine Stunde nach Mitternacht terranischer Standardzeit.

Außer Kim Tae Yeon und Larenan Farralen hielten sich zehn Agenten der Konföderation Deneb in dem Shuttle auf, das die Kennung des Militärischen Geheimdienstes der Terranischen Flotte trug. Farralen und Kim saßen neben einander in der abgeteilten Pilotenkanzel, wobei zwischen ihnen beiden bisher kaum ein Wort gefallen war.

Nachdenklich blickte Farralen zu der Asiatin, die das Shuttle steuerte, an und fragte schließlich geradeheraus: „Wie hast du es angestellt, dass dir deine beiden Getreuen, die du vor einer knappen halben Stunde erst so eiskalt verraten hast, derart bereitwillig aus der Hand gefressen haben?“

„Muss ich dir das wirklich in allen schmutzigen Einzelheiten erläutern?“, erwiderte Kim spöttische, ohne den Blick von den Kontrollen des Shuttles zu nehmen.

Der Agent der Konföderation Deneb verzog die Mundwinkel. „Nein, wirklich nicht. Ich denke, ich kann es mir in etwa vorstellen. Ich war nur neugierig.“

Kim Tae Yeon, die ahnte, warum der Mann wirklich gefragt hatte, blickte ihn von der Seite an und fügte mit samtweicher Stimme hinzu: „Ich würde das niemals mit dir machen, denn für dich empfinde ich wirklich etwas. Wenn wir diese Fährnisse heil überstehen sollten dann werden wir in aller Ruhe, bei einem Abendessen, darüber reden. Jetzt müssen wir uns leider auf andere Dinge konzentrieren.“

Der Agent nickte stumm. Er schien sich mit der Antwort zu begnügen.

Wieder wurde es für eine ganze Weile still zwischen ihnen. Erst als der irdische Mond erbsengroß durch die Frontscheiben des Shuttles erkennbar wurde ergriff Larenan Farralen wieder das Wort.

„Ja, auf Denebarran werden wir uns intensiv über einige Dinge aus deiner Vergangenheit unterhalten müssen. Jetzt haben wir andere Probleme.“

Die Asiatin lächelte unmerklich und nickte.

Als das Shuttle nur noch einhunderttausend Kilometer von Luna entfernt war aktivierte Kim das Funksegment an der Konsole, nahm Verbindung mit der Raumkontrolle auf Luna auf und bat darum, wegen eines angeblichen Maschinenschadens zu einem Reparaturhangar geleitet zu werden. Während sie auf eine Bestätigung wartete, beantwortete sie korrekt die Code-Anfrage der Stationszentrale.

Nach einer Weile, die den beiden Verschwörern endlos vorkam, erhielt das Shuttle die Landefreigabe für Reparaturhangar 9-III-ROT.

Erleichtert atmete Larenan Farralen auf. Er erhob sich um seinem Agenten-Team Bescheid zu geben, dass die Landung auf Luna unmittelbar bevorstand.

Kim Tae Yeon, die angespannt die Instrumente im Auge behielt, konnte sich insgeheim eines unguten Gefühls nicht erwehren, welches seinen Höhepunkt erreichte, als sie in den Reparaturhangar einflogen und sich die gewaltigen Hangarschotts über dem Shuttle schlossen. Mit einer eventuellen schnellen Flucht war es damit vorbei. Nun konnten sie nur hoffen, dass ihre Machenschaften erfolgreich sein würden und die Flottenverbände der Konföderation Deneb bald erscheinen und handeln würden.

ANGRIFF

 Im Strategischen Hauptquartier der Terranischen Raumflotte, auf dem Mars, lief die erste Meldung über eine Missweisung der Ortungssysteme um 01:47 Uhr ein.

Major Urianka Verharran hatte die eingehenden Meldungen der verschiedenen militärischen Basen und Einrichtungen des Sonnensystems gesichtet, die in der vergangenen halben Stunde eingegangen waren. Mehr um sich die Zeit zu vertreiben, als aus ernsthaftem Interesse daran, ihre Untergebenen zu kontrollieren. Sie sah bereits zum dritten Mal innerhalb von zwanzig Minuten auf die Zeitanzeige an ihrer Konsole und kam zu dem Schluss, dass diese Nacht überhaupt kein Ende mehr zu nehmen schien.

Die schlanke Marsgeborene schloss das Menü schließlich und fuhr sich müde über die Augen, als sich auf dem Holodisplay ihrer Konsole das Symbol der Raumhafen-Kommandantur auf Titan abbildete und ein Dringlichkeitsspruch ankündigte.

Auf dem samtbraunen Stirn von Urianka Verharran bildete sich eine steile Falte. Sollte sich da etwa ein Kollege auf dem Titan einen Neujahrsscherz mit ihr erlauben?

Einen Moment später verschwand das Symbol und machte dem dreidimensionalen Abbild eines Hauptmanns der Flotte platz. Etwas nervös wirkend meldete er: „Raumhafen-Kommandantur Titan, Hauptmann Ilias Traves, an Flottenhauptquartier. Ich melde, dass sämtliche Ortungssysteme auf dem Titan und in der Umgebung des Mondes einen Missweisungsfaktor von mehr als zwei Prozent aufweisen. Es handelt sich dabei um kein Einzelproblem, Sir. Die Missweisungen betreffen nämlich nicht nur die Bodenstationen, sondern ebenfalls die Ortungssysteme der an- und abfliegenden Frachter. Es kam bereits zu einer Beinahe-Kollision zweier Frachter, die sich im Anflug auf Titan befunden haben. Dadurch haben wir die Missweisungen überhaupt erst festgestellt.“

Urianka Verharran blickte das holografische Gesicht ungläubig an. „Kann es sich dabei um ein natürliches Phänomen handeln, Hauptmann? Wären Schwankungen im Magnetfeld des Saturn möglich?“

„Das war mein erster Verdacht“, erwiderte der Hauptmann, nun sicherer wirkend. „Meine Leute und ich haben das geprüft – mit negativem Ergebnis. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass eine Veränderung der Umgebung des Titan stattgefunden hat, welche die Missweisungen der Ortungssysteme erklären könnte, Sir.“

Die schlanke Frau nickte knapp. „Danke, Hauptmann Traves. Halten Sie mich auf dem Laufenden und melden Sie, wenn sich an der aktuellen Situation etwas ändern sollte.“

Major Verharran deaktivierte die Verbindung und lehnte sich für einen Moment in ihrem Sessel zurück. Eine Missweisung der Ortungssysteme ohne erkennbare Ursache. So etwas war noch nie vorgekommen, seit sie beim Militär war, noch hatte sie jemals von einem solchen Fall gehört. Die Ortungssysteme waren robust, wartungsarm und galten gemeinhin als Narrensicher und als nicht störanfällig.

Diese Meldung klang einerseits ernst, aber es schien Urianka Verharran andererseits nicht ausreichend zu sein, um den Kommandierenden General des Hauptquartiers zu alarmieren. Der würde ihr mächtig die Leviten lesen, sollte sie ihm seine Silvesterparty ruinieren und sich dieses Problem am Ende als vollkommen harmlos erweisen. Deshalb beschloss sie zunächst abzuwarten, wie sich diese Angelegenheit entwickeln würde. Falls sich die Situation verschlechtern sollte konnte sie den General immer noch kontaktieren.

Auf diese Weise verging wertvolle Zeit – Zeit, die den Untergang des Terranischen Imperiums endgültig besiegeln sollte.

 
 

* * *

 

Als General Alexander Gagarin um 03:39 Uhr Standard von Major Verharran davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass es im gesamten Sol-System zu Missweisungen sämtlicher Ortungsanlagen kam, und er von ihr erfuhr, dass seit der ersten Unstimmigkeit, von der sie erfahren hatte, fast zwei Stunden vergangen waren, stand der kräftig gebaute, blonde Endfünfziger kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Eisern an sich haltend donnerte er mit vibrierender Stimme in Richtung des Holoabbildes von Major Verharrans Gesicht: „Wollen Sie damit sagen, dass Sie bereits um 01:47 Uhr Kenntnis von den Störungen hatten, und es nicht für nötig erachteten, mich umgehend darüber zu informieren?!“

Die Qualität der dreidimensionalen Abbildung des Generals, der mittlerweile im Hauptquartier des Oberkommandos der Terranischen Raumflotte, in Wellington, weilte war so hervorragend, dass Urianka Verharran, wie versteinert an ihrer Konsole sitzend, das wütende Glitzern seiner strahlend blauen Augen, selbst über die gewaltige Entfernung zwischen Erde und Mars hinweg, genau erkennen konnte.

Während sie nach Worten suchte, wetterte der Oberkommandierende der Terranischen Raumflotte bereits weiter. „Sparen sie sich die Antwort, Major. Wir werden uns später darüber eingehend unterhalten. Jetzt werden Sie zunächst einmal Sorge dafür tragen, dass eine allgemeine Warnung an alle Stützpunkte des Sonnensystems und an den Kommandeur der Heimatflotte, Generalmajor Hazrat, ergeht. Des weiteren ordne ich hiermit die bedingte Gefechtsbereitschaft für alle Teile der Terranischen Raumflotte an. Ich will das Strategische Hauptquartier in spätestens einer Stunde in voller Einsatzbereitschaft wissen. Informieren Sie Generalmajor Hazrat darüber, dass sie einen schnellen Kreuzer zur Erde schicken soll, mit dem der Stellvertretende Flottenkommandeur anschließend zum Mars fliegen wird!“

„Verstanden, Sir“, antwortete Urianka Verharran tonlos.

Gagarin schien das Gespräch beenden zu wollen, doch dann fragte er mit verändertem Tonfall: „Wie hoch ist der momentane Missweisungsfaktor, Major?“

Die Angesprochene sammelte sich, und las schnell den aktuellen Wert ab. „Im Augenblick liegt der Wert bei zwölf Prozent, Sir – Tendenz steigend.“

Der General machte ein nachdenkliches Gesicht. „Danke, Major. Gagarin, Ende!“

Das Abbild des Oberkommandierenden der Flotte verblasste und Major Verharran wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann machte sie sich eifrig daran, die Befehle des Generals umzusetzen, auch wenn ihr in diesem Moment bewusst war, dass ihre Karriere bei der Flotte einen nicht wieder gutzumachenden Schaden nehmen würde, nachdem der General sich mit ihr, wie angedroht, unterhalten hatte.

 
 

* * *

 

Generalmajor Azadeh Hazrat, die Kommandeurin der Heimatflotte, wie die Erste Flotte zumeist nur genannt wurde, da sie permanent im Sol-System und dessen unmittelbarer, kosmischer Umgebung stationiert war, stand für einen Moment lang ungläubig im Arbeitszimmer ihres Hauses. Erst vor wenigen Minuten war sie von einer rauschenden Silvesterparty, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, Henderson Wayne, hierher zurückgekehrt und im Begriff gewesen, sich, gemeinsam mit ihm, zur Ruhe zu begeben. Nach der Alarmmeldung, die sie soeben entgegengenommen hatte, war für sie daran vorläufig nicht mehr zu denken.

Die Flotteneinheiten waren bereits in bedingte Alarmbereitschaft versetzt worden. Sie selbst schritt zur Küche hinüber, orderte über das Menü des Service-Aggregates an der Wand, einen starken Mokka und lehrte die Tasse in kleinen, schnellen Schlucken. So viel Zeit musste man ihr schon lassen, befand die, im Jahr 3167 in Ishtar, der Hauptstadt der Venus, geborene, beinahe hager wirkende, Frau. Außerdem war der angekündigte Dienstgleiter, der sie zu ihrem Flaggschiff bringen würde, noch immer nicht da.

Wayne, der ihr langsam in die Küche gefolgt war, warf ihr zwei kleine Päckchen zu. „Hier hast du zwei Sorten von Muntermachern, zur Auswahl.“

Er blickte sie fragend an, während er beobachtete, wie seine Lebensgefährtin aus beiden Schachteln jeweils eine der Kapseln nahm. Unentschlossen rollte sie die blaue und die rote Kapsel in ihrer linken Handfläche, bevor sie schulterzuckend beide in den Mund nahm und sie mit dem Rest ihres Mokkas herunterspülte.

Währenddessen fragte der dunkelblonde Mann kopfschüttelnd: „Was, zur Hölle, ist den bei Deiner Raumflotte nun schon wieder los? Können die Dir denn nicht einmal einen Jahreswechsel gönnen, ohne Dir auf die Nerven zu gehen? Ich hatte mich auf die paar freien Tage mit Dir wirklich gefreut.“

Azadeh Hazrat fuhr sich mit der Linken durch das dichte, schwarze Haar. Ihre dunklen Augen drückten Sorge aus. „Ich weiß es nicht, Hen. Die Meldung, die ich bekommen habe, klang beunruhigend. Noch nie ist es, innerhalb der letzten fünfhundert Jahre, zu einem solch umfassenden Systemversagen gekommen. Das Ganze klingt ziemlich mysteriös.“

„Und deshalb wird die gesamte Heimatflotte alarmiert?“

Die hagere Frau lächelte beruhigend. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Falls Frachter in Schwierigkeiten geraten sollten kann die Flotte helfen.“

Sie hörten draußen den Luftgleiter landen, der die Kommandeurin der Ersten Flotte abholen sollte. Schnell verabschiedete sich die Frau von ihrem Lebensgefährten, indem sie ihn umarmte und einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte.

„Gib den Kindern einen Kuss von mir und sag ihnen, dass sie sich keine Sorgen machen sollen.“

Im nächsten Moment war sie bereits zur Tür hinaus.

Bereits während Azadeh Hazrat zum Gleiter schritt änderten sich ihre Gesichtszüge signifikant. Nun war sie ganz Soldatin und in Gedanken bereits bei den Problemen, die vor ihr lagen, und denen es auf die Spur zu kommen galt.

Der Gleiterpilot war ausgestiegen und salutierte, als er Generalmajor Hazrat näherkommen sah.

Die Kommandeurin erwiderte den Gruß des Piloten. „Wir starten umgehend zur NIBELUNGEN, Leutnant. Bitte beeilen Sie sich.“

Der junge Offizier bestätigte und bestieg umgehend wieder die Maschine. Er beeilte sich, den Gleiter vom Boden abheben zu lassen und nahm Kurs in Richtung des militärischen Raumhafens bei Wellington.

Während des Fluges stellte Azadeh Hazrat jene Überlegungen an, die sie vor Henderson nicht hatte aussprechen wollen, um ihn nicht zu beunruhigen. Ihrer Meinung nach konnte ein so umfassendes Systemversagen, wie in der Meldung beschrieben, unmöglich einen natürlichen Ursprung haben. Die logische Konsequenz daraus war, dass Irgendwer daran gedreht hatte. Aber wer, und warum? Und vor allen Dingen: Wie?

Darauf fand Azadeh Hazrat vorläufig keine Antwort, und so stellte sie diese Fragen vorerst hinten an. Zunächst galt es, die Flotte in den Raum zu bekommen und dort zu positionieren, was angesichts der momentanen Ortungsschwierigkeiten zu einem Problem werden konnte.

Die Kommandeurin der Heimatflotte wurde in ihren Überlegungen unterbrochen, als der junge Leutnant meldete: „Sir, wir erreichen den Raumhafen Wellington. In wenigen Augenblicken setze ich zur Landung an.“

Azadeh Hazrat bedankte sich. Gleich darauf setzte der Gleiter so sanft auf, dass im Innern davon so gut wie nichts bemerkbar war.

Als die Kommandeurin behände aus dem Gleiter stieg bemerkte sie, dass der Pilot sie, etwas seitlich versetzt, dicht vor ihrem Flaggschiff abgesetzt hatte. Der Schlachtkreuzer wuchs vor ihr auf, wie ein stählernes Gebirge, als sie, mit langen, schnellen Schritten, zwischen den Kufen des Kriegsschiffes, die vorderen Landeschoren zu schritt. Sie eilte auf das rechte Personenschott, auf der Innenseite der rechten Kufe zu und stürmte die ausgefahrene Rampe hinauf. Unwillkürlich fiel ihr Blick dabei auf den beeindruckenden Waffenturm, der links unter ihr zurückblieb, als sie sich dem oberen Ende der Rampe, und somit der hell erleuchteten Mannschleuse näherte. Die NIBELUNGEN besaß insgesamt zwanzig dieser Waffentürme, mit jeweils zwei phasengesteuerten Plasmageschützen bestückt.

In der Schleusenkammer erwartete sie bereits die obligatorische Ehrengarde, bestehend aus zehn Offizieren und Unteroffizieren der Besatzung. Nachdem der dienstälteste Unteroffizier des Raumschiffs, auf einer antiquierten Bootsmannspfeife, Seite gepfiffen hatte, wurde Azadeh Hazrat von Oberst Jen Sriskandarajah, dem Kommandanten dieses Raumschiffs, persönlich empfangen.

Ihr oblag lediglich das Kommando über die Erste Flotte, während das eigentliche Kommando über dieses Raumschiff bei dem schlaksigen Oberst lag. Azadeh Hazrat hatte keinerlei Probleme mit dieser Kommandoteilung – im Gegenteil, sie war froh, sich nicht mit den Schiffsinterna herumschlagen zu müssen, während sie den Kopf frei haben musste um schnell und sicher taktische Entscheidungen treffen zu können. Ihre Aufgabe als Verbandsleiterin war es, die Gesamtsituation permanent im Auge zu behalten, nicht darin, ein einzelnes Raumschiff zu kommandieren. Anfangs, nachdem sie, zu Beginn des Jahres 3215, vom Oberst zum Brigadegeneral befördert worden war und den Posten des Stellvertretenden Flottenkommandeurs übernommen hatte, da war ihr diese Umstellung etwas schwer gefallen. Doch es hatte nicht einmal ein Jahr gedauert, bis sie die Umstellung auf ihre neuerliche Verantwortung verinnerlicht hatte. So gut verinnerlicht, dass die Dreiundfünfzigjährige, im Sommer des letzten Jahres, ein Jahr vor dem durchschnittlichen Beförderungstakt, zum Generalmajor befördert worden war, nachdem der Kommandeur der Ersten Flotte, kurz zuvor, in den Stab berufen wurde. Das Oberkommando der Flotte hatte ihr im Zuge dieser Entwicklung das Kommando über die Heimatflotte anvertraut, und bisher hatte sie diesen Posten vorbildlich ausgefüllt.

Azadeh Hazrat blickte in das zerfurchte, braune Gesicht des Obristen, das von den fast schwarzen, intelligenten Augen beherrscht wurde. Die unzähligen Falten und Fältchen, unterstützt durch sein früh ergrautes Haar, ließen den Oberst älter aussehen, als er war.

„Bitte um Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen“, sagte sie das uralte Prozedere auf und erwiderte dabei den Gruß des Schiffskommandanten.

Der an der Ostküste von Sri Lanka, in Trincomalee, geborene Mann erwiderte, ebenfalls dem Protokoll entsprechend: „Erlaubnis erteilt, Sir. Willkommen an Bord.“

„Danke Oberst.“

Sriskandarajah bedeutete der Ehrenwache abzutreten, bevor er, an der Seite seiner Vorgesetzten, das vordere, geöffnete Schott der inneren Schleusenkammer passierend, zum rückwärtigen Schott der inneren Schleusenkammer schritt.

Sie wandten sich nach rechts und schritten den Gang hinunter, bis zum Einstieg des nächsten Lifts.

Unterwegs hing jeder der beiden hohen Offiziere seinen eigenen Gedanken nach. Erst, nachdem sie das Kommandozentrum des Schlachtkreuzers erreichten, richtete Azadeh Hazrat das Wort an ihren Begleiter. „Lassen die momentanen Bedingungen einen Simultanstart der hier befindlichen Flotteneinheiten zu, Oberst?“

„Stark eingeschränkt und nicht zu empfehlen“, antwortete Jen Sriskandarajah offen. „Ich empfehle einen Reihenstart im Abstand von jeweils zwanzig Sekunden.“

Azadeh Hazrat nickte zustimmend und der Oberst gab den Befehl: „Kommunikation: Geben Sie den Befehl an den Rest des Verbandes, dass die kleinsten Einheiten zuerst, den Registriernummern gemäß aufsteigend, starten sollen. Zeitabstand zwanzig Sekunden. Sollte ein Manövrieren mit den Instrumenten undurchführbar werden, so sollen die Piloten auf direkte Sicht fliegen.“

„Das wird alles andere, als einfach werden“, prophezeite Generalmajor Hazrat düster. „Wie viele Einheiten der Heimatflotte haben wir insgesamt im Sonnensystem, Oberst?“

Der Angesprochene kratzte sich am Kinn. „Insgesamt siebenundachtzig unserer hundertfünfundzwanzig Schiffe, Generalmajor. „Die IKARUS und die ISKENDERUN befinden sich in den lunaren Reparaturwerften, fünf Leichte Kreuzer verteilen sich im Umkreis von fünf bis zehn Lichtjahren, auf Nahpatrouille. Ich habe bereits ein Prioritätssignal an diese Kriegsschiffe entsandt, das sie zum Sol-System zurückbeordert. Die ersten werden in etwa einer Stunde eintreffen. Ferner habe ich den Verband kontaktiert, der von den Hyaden zum Sol-System unterwegs ist. Sieben Einheiten, darunter die beiden Schlachtkreuzer SATURN und RHEINGOLD. Aber die sind noch acht Stunden entfernt.“

Azadeh Hazrat verzog die Lippen zur Andeutung eines Lächelns und lauschte unterbewusst auf das dumpfe brummen der hochfahrenden Schiffssysteme. „Das ist doch schon mal etwas. Weilen sonstige Kriegsschiffe im System?“

„Der Zerstörer AURORA befindet sich momentan noch auf dem Saturnmond Titan, Sir. Zusammen mit einigen weiteren kleineren Kriegsschiffen der übrigen Flotten.“

Generalmajor Hazrat setzte eine entschlossene Miene auf. „Nachricht an diese Einheiten, Oberst. Die Schiffe werden kassiert und vorerst in die Heimatflotte integriert. Ich will diese Einheiten, in spätestens einer Stunde gefechtsbereit im Raum wissen.“

„Verstanden, Sir.“

Oberst Sriskandarajah gab auch diese Anweisung an den Kommunikationsoffizier der NIBELUNGEN weiter.

Dann war der Zeitpunkt auch für das Flaggschiff gekommen, zu starten. Bereits beim Aufstieg in den Raum stellte sich heraus, dass die Schwierigkeiten, bedingt durch die Ortungs-Missweisungen nicht zu unterschätzen waren. Weit über der NIBELUNGEN kam es zweimal fast zu Kollisionen der vor ihnen gestarteten Raumschiffe und Azadeh Hazrat gab Order, die Abstände zu vergrößern. Zwischen Erde und Mond ließ sie den gestarteten Verband stoppen und wandte sich an Jen Sriskandarajah. „Ein großartiges Manövrieren ist bei den momentanen Problemen unserer Systeme nicht drin, Oberst. Wir werden uns auf eine reine Punktverteidigung von Mars, Terra und Luna einrichten. Informieren Sie unsere Flotte.“

Sriskandarajah gab auch diesen Befehl weiter und machte eine düstere Miene, als ihm gemeldet wurde, dass die Missweisungen mittlerweile 30 Prozent überschritten hatten.

Beinahe in demselben Augenblick rief der Kommunikationsoffizier erregt aus: „Ich empfange eine Dringlichkeitsmeldung von unserer Ortungsstation auf Titan und Mars, Generalmajor. Eine Flotte nicht identifizierter Raumschiffe, etwa einhundert Einheiten stark, ist zwischen den Umlaufbahnen von Saturn und Uranus aus dem Hyperraum gefallen. Zwei weitere Flotten derselben Größe, sind beinahe zeitgleich innerhalb der Marsumlaufbahn erschienen und halten Kurs auf die Planeten Mars und Terra. Sie reagieren nicht auf die Aufforderung sich zu identifizieren. Insgesamt handelt es sich um über dreihundert Einheiten, Sir. Keine Kennung-Signale bisher. Unsere Kriegsschiffe sind das nicht.“

Es wurde so still im Kommandozentrum des Schlachtkreuzers, dass man das leise Summen der Aggregate hören konnte.

In diese Stille hinein sagte Generalmajor Hazrat, mit beinahe unnatürlicher Ruhe: „Es scheint so, als würde die Konföderation Deneb die Maske fallen lassen. Denn wenn das nicht die von der Konföderation sein sollten, will ich nicht mehr Azadeh Hazrat heißen.“

Die Frau hob ihre Stimme etwas an und wandte sich an die gesamte Besatzung der Zentrale: „Meine Damen und Herren, sie wissen, was eine Übermacht von drei zu eins bedeutet. Aber ich weiß gleichfalls, dass ich auf Sie alle, und auf jeden einzelnen Soldaten des Imperiums zählen kann. Die Raumfahrer der Terranischen Raumflotte sind die besten aller fünf Sternenreiche. Wir können und werden den Angreifer, gemeinsam mit den planetaren Abwehrstellungen, und unseren Weltraum-Forts, in die Schranken weisen, davon bin ich fest überzeugt.“

Danach wandte sie sich zu Sriskandarajah und in ihrem Blick lag längst nicht jene Sicherheit, die sie eben noch vorgegeben hatte. „Oberst, geben Sie Gefechtsalarm. Feuerfreigabe durch mich abwarten.“

„Und was dann, Generalmajor?“

Azadeh Hazrat atmete tief durch. „Dann ziehen wir in den Krieg, Oberst.“

 
 

* * *

 

Auf Luna schlug die Nachricht vom Überfall auf das Sol-System, bei den Angehörigen der Flotte, wie eine Bombe ein. Über die Kom-Einheiten im MFA ihrer jeweiligen Träger waren alle Flottenangehörigen, vor gut einer halben Stunde, in Alarmbereitschaft versetzt und zu ihren Standorten einberufen worden.

Dean Corvin und Kimi Korkonnen hatten Rodrigo Esteban und seinem Team angeboten, sie mit ihrem Frachter auf ihrer Basis abzusetzen, bevor sie zum Titan aufbrechen würden. Ihm und seinem Team hatte sich eine Gruppe von Technikern, und auch Irina Hayes, sowie einige ihrer Kollegen angeschlossen, die ebenfalls in der Nähe der lunaren Geheimwerft, in welcher die NOVA SOLARIS ruhte, stationiert waren.

Noch bevor sie beim Frachter ankamen, erreichte sie per MFA die Nachricht vom Überfall auf das Sonnensystem und Dean Corvin warf seinem besten Freund einen bezeichnenden Blick zu. „Ich höre also das Gras wachsen – ja klar.“

Kimi, der an seiner Seite den Hangar betrat verzog die Mundwinkel. „Habe ich Dir eigentlich schon einmal gesagt, dass du jedes Mal unausstehlich wirst wenn du Recht hast?“

Corvin ging nicht auf diese Bemerkung ein. Am Frachter angekommen öffnete er die Schleusen des Passagierabteils und stieg als Erster ein, dicht gefolgt von Kimi, der als Co-Pilot fungierte. Noch während die beiden Freunde sich an den Kontrollen niederließen kam aus dem angrenzenden Passagier-Bereich von Irina Hayes, die den Abschluss gebildet hatte, die Rückmeldung, dass alle Leute eingestiegen waren und sie das Schott geschlossen hatte.

„Verstanden!“, rief der Kanadier nach hinten. Er erbat Startgenehmigung beim Hangarleiter und bekam nach einer geschlagenen Minute erst Bescheid, dass die Starterlaubnis erteilt war und sich die Hangartore jederzeit für sie öffnen würden.

Kimi Korkonnen überprüfte die Navigationsanzeigen. „Nach den letzten Messungen und Meldungen unserer Außenbasen kommt es zu Missweisungen der Ortungssysteme innerhalb des Sonnensystems, von momentan mehr als dreißig Prozent, Alter. Vielleicht wirst du, nach guter Urahnen-Sitte, auf Sicht fliegen müssen. Ich werde aber trotzdem versuchen, aus den Systemen herauszuholen was ich kann. Vielleicht lassen sich diese merkwürdigen Abweichungen der Ortungsergebnisse kompensieren.“

„Wird schon werden.“ Dean Corvin blickte nicht von den Anzeigen, während er fragte: „Was glaubst du, Kimi. Kann es die Heimatflotte mit über dreihundert Kriegsschiffen der Konföderation aufnehmen und sie aufhalten, bis Unterstützung eintrifft?“

Kimi seufzte langgezogen. „Schwer zu sagen. Unter normalen Umständen würde ich sagen, inklusive der massiven Unterstützung durch unsere Raumforts und der planetaren Abwehrstellungen, ja. Aber mir machen diese seltsamen Missweisungen der Ortungssysteme sorgen. Ich befürchte, dass sich diese Störungen auch auf unsere Zielscanner auswirkt.“

Diesen Punkt hatte Corvin bisher nicht bedacht, und bestürzt blickte er seinen Freund an. „Wenn das stimmen würde, dann wäre es eine Katastrophe, Kimi. Bei den aktuellen Missweisungswerten würden unsere Einheiten, selbst bei Kernschussweite, vermutlich nicht mal einen verdammten Planeten treffen.“

Aus dem Passagierabteil hörten die Freunde, wie Irina Hayes, über ihr MFA, einige hastige Gespräche führte und anschließend herzhaft fluchte.

„Gute Laune, wohin man hört“, spottete der Finne mit Galgenhumor, während sich über dem Frachter endlich die Tore des unterirdischen Hangars öffneten.

„Wir heben ab!“, rief Corvin und fuhr den Antrieb des Frachters hoch. „Verdammt, Kimi, das hier sollte mindestens ein Schwerer Kreuzer sein, und kein klappriger Frachter. Irgendwann werde ich Tae Yeon dafür zur Verantwortung ziehen.“

„Viel Erfolg dabei, du Optimist! Zuerst einmal müssen wir das hier überleben.“

Es war Rodrigo Esteban, der von hinten meldete: „Zweihundert weitere Kriegsschiffe sind zwischen Luna und Terra aufgetaucht. Das macht nun rund fünfhundert Feindschiffe, insgesamt. Die Heimatflotte steht unter schwerem Beschuss. Ein Teilverband von fünfzig schweren Kriegsschiffen hält Kurs auf Luna. Ich fürchte, es sieht nicht gut aus, Kameraden.“

Kimi aktivierte die Kom-Einheit des Frachters und ließ den Frequenzpeiler laufen. Nachdem er die zahlreichen Notrufe im Klartext herausgefiltert hatte, bekam er eine Meldung des Strategischen Hauptquartiers herein. In ihr wurde gemeldet, dass es sich bei dem Angreifer zweifelsfrei um mindestens fünf Flotten der Konföderation Deneb handelte.

„Ich habe diesem Mistkerl von Diktator nie getraut!“, wetterte Corvin, nachdem auch er den Inhalt des Funkspruches realisiert hatte. Dass die ausgerechnet jetzt zuschlagen kann kein Zufall sein. Aber wie, zur Hölle, haben die dran gedreht, dass es bei uns zu derart fatalen Missweisungen der Ortungssysteme kommt?“

„Ich wollte, ich wüsste es, Alter.“ Er warf einen Blick auf die Instrumente, verglich die Positionsangaben mit dem, was er durch die Scheiben des Cockpits erkennen konnte und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wie ich es befürchtet hatte – die Werte sind fatal ungenau. Am besten wird es sein, wenn du den Frachter, so nah wie irgend möglich, über der lunaren Oberfläche hältst, während wir Kurs auf die Geheimbasis nehmen.“

„Ich kann einen gewissen Mindestabstand nicht unterschreiten, sonst krachen wir gegen die Felswand eines Kraterwalls. Verflucht nochmal.“

„Wie lange werden wir brauchen, bis zum Leibnitz-Gebirge?“

Dean Corvin überschlug die Entfernung des lunaren Hauptquartiers bis zum Nordpol des Mondes und antwortete vage: „Etwa zehn Minuten, falls nichts dazwischen kommt.“

Unter dem Frachter zog die zerklüftete, von Kratern übersäte Felslandschaft vorbei. Vor ihm wuchsen die Felsformationen höher auf.

Corvin deutete nach vorne. „Spätestens dort werden wir ein ganzes Stück aufsteigen müssen. Hoffen wir nur, dass die von der Konföderation Deneb Wichtigeres zu tun haben, als auf unseren Frachter zu achten.“

 
 

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An Bord des Schlachtkreuzers HADES rieb sich General Nor Zul Kurumu die riesigen Hände und blickte triumphierend zu Generalleutnant Thore Grenqvist, als die Meldungen über die ersten Feindkontakte eintrafen.

„Es scheint so, als würden die Stör-Aggregate auf unseren Frachtschiffen einwandfrei arbeiten, Thore. Die Raumhäfen von Titan und Mars stehen unter schwerem Beschuss unserer Flotten. Die Heimatflotte der Terraner wehrt sich zwar verzweifelt, aber ihre Geschütze verfehlen unsere Kriegsschiffe. Unsere Erste und Sechste Flotte, geführt von Generalleutnant Thania Selaris auf der PANDORA, greift die Einheiten der Terraner an, die sich zwischen Terra und Luna positioniert haben. Die HADES hält momentan, flankiert von unseren schweren Kreuzern KRIEGSSCHREI und KAMPFESWILLE, Kurs auf das lunare Leibnitz-Gebirge. Momentan läuft alles nach Plan. Wollen Sie immer noch persönlich den Angriff auf die Geheimwerft führen?“

Der hochgewachsene, blonde Generalleutnant der Konföderation Deneb, der bereits einen schweren Raumanzug, inklusive des breiten Waffengürtels, trug, nickte. „Ja, Nor Zul. Es war stets mein Bestreben, meinen Leuten ein Vorbild zu sein. Ich weiß, dass es grundsätzlich die primäre Funktion eines Generals ist, zu kommandieren, aber gelegentlich sollte er sich daran erinnern, wie es ist zu führen.“

Der Dunkelhäutige lächelte schwach. „Ich verstehe nicht, warum unser Diktator Ihnen solche Marotten durchgehen lässt, Thore. Irgendwann werden Sie vermutlich, bei einem dieser halsbrecherischen Einsätze, umkommen.“

Der Kommandeur der Bodenverbände grinste beinahe jungenhaft. „Vermutlich, aber nicht heute.“ Er wandte sich an den Offizier der Navigation. „Wie lange bis zum Ziel?“

„Knapp fünf Minuten, Generalleutnant.“

Thore Grenqvist dankte und wandte sich wieder Nor Zul Kurumu zu. „Ich werde mich jetzt zum Truppführer des ersten Angriffstrupps begeben. Unterrichten Sie mich eine halbe Minute bevor wir landen, von dem bevorstehenden Manöver.“

„Sie können sich darauf verlassen. Viel Glück.“

„Glück hat damit nichts zu tun“, konterte Grenqvist trocken und verließ, nicht ohne ein belustigtes Augenzwinkern in Richtung Kurumus, das Kommandozentrum des Schlachtkreuzers.

Der Oberbefehlshaber der Armada von Deneb blickte ihm sinnend nach und murmelte dabei: „Sie sind und bleiben ein verrückter, wilder Hund, Thore.“

General Kurumu wurde abgelenkt, als der Navigationsoffizier meldete: „Sir, ich orte ein Raumschiff der Terraner auf sieben Grad Rot. Es fliegt tief über der Oberfläche. Sein Ziel ist offenbar dasselbe, wie das unsere, General. Der Energiesignatur nach handelt es sich vermutlich um einen Frachter.“

Kurumu überlegte ob es den Aufwand wert war, sich um ihn zu kümmern. Dann entschied er, sich an den Kommunikationsoffizier wendend: „Geben Sie folgenden Befehl an die KRIEGSSCHREI weiter: Der Frachter soll abgeschossen werden, aber ohne dabei den Zeitplan zu gefährden.“

„Verstanden, General.“

Nor Zul Kurumu trat hinter den Platz des Ortungsoffiziers. Auf dessen Holoschirmen erkannte er, wie einer ihrer flankierenden Schweren Kreuzer nach links ausscherte. Auf der taktischen Anzeige näherte sich das Symbol für die KRIEGSSCHREI dem Symbol des unbekannten Frachtschiffes. Nur wenige Augenblicke später verschwand das Frachtersymbol von der Anzeige und die KRIEGSSCHREI schloss wieder auf. Zufrieden verschränkte der General die Arme vor der Brust. Ein Feindschiff weniger.

 
 

* * *

 

Innerhalb weniger Augenblicke brach das Unglück über die KIROV herein.

Kimi Korkonnen hatte wenige Sekunden zuvor erst seinen besten Freund informiert, dass sich ein Raumschiff von der Größe eines Schweren Kreuzers ihrer Position näherte, und nun jagten die ersten grell-violetten Plasma-Strahlen an Steuerbord, nur wenige dutzend Meter vor dem Frachter, vorbei.

„Nach unten!“, schrie Kimi und brüllte dann über die Schulter, den Kameraden im Passagierraum zu: „Festhalten da hinten! Wir werden beschossen!“

Dean Corvin hatte nicht einmal genug Zeit um nach Rechts oder Links zu sehen. Er ließ den Frachter durchsacken, während er gleichzeitig versuchte das schwerfällige Raumschiff, einem kleinen Shuttle gleich, in einen Zick-Zack-Kurs zu zwingen, der für die Zielscanner des Angreifers schwer vorhersehbar war.

Zwei weitere Plasmaschüsse des Angreifers gingen dicht am Frachter vorbei, bevor der erste Treffer das Raumschiff erschütterte. Gleich darauf erfolgte der zweite und dritte Treffer und der Frachter machte einen wilden Satz nach vorne, bei dem mehrere Gravos durchkamen und die Insassen wild durchschüttelte.

Korkonnens Kopf machte dabei unliebsame Bekanntschaft mit der Navigations-Konsole des Frachters. Von hinten drangen Schreie und nachfolgend Stimmengewirr zu ihm und Dean nach vorne.

Die Beleuchtung innerhalb des Frachters fiel aus. Nur einen Wimpernschlag später aktivierte sich die Notbeleuchtung, welche die Szenerie in ein gespenstisch wirkendes, düsteres Blau hüllte.

Corvin ließ seine Finger hastig über die Holotasten der Steuerung huschen, wobei er verzweifelt ausrief: „Die müssen den Antrieb erwischt haben – wir stürzen ab!“

Ein weiterer Treffer bedeutete des endgültige Ende des Frachters. Er schnitt den Frachter, nur wenige Meter hinter dem Frachtabteil, in zwei Hälften. Der vordere Teil wurde dabei in Richtung eines mehr als hundert Meter durchmessenden Kraters geschleudert.

Vor den Augen Dean Corvins und seines Freundes Kimi begann das Weltall sich, das sie durch die Sichtscheiben der KIROV erkennen konnten, um alle drei Achsen zu kreisen, und Corvin spürte, wie sein Magen zu rebellieren begann. Er sah, in einem abwechselnden Stakkato aus tiefschwarzem Weltall und sonnenbeschienener Mondoberfläche, wie sie auf die Felsen des Kraterringwalls zu jagten. Instinktiv zog er die Beine an und legte seine Hände schützend über den Kopf. Fluchend rief er aus: „Oh, Scheiße…!“

Ein fürchterlicher Krachen malträtierte die Ohren, als der Frachter auf der Mondoberfläche aufschlug. Dean Corvin wurde aus seinem Sitz geschleudert und krachte in der Luft gegen Kimi Korkonnen. Er spürte noch, wie ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde, während ein nervenzerfetzendes Kreischen von überbeanspruchtem Metall seine Ohren quälte. Nicht wissend wo oben und unten war spürte er einen weiteren Schlag, der ihn für einige Momente fast besinnungslos machte. Er bekam unterbewusst mit, dass er mehrmals durch die Kabine des Frachters rollte, bevor sein geschundener Körper endgültig zur Ruhe kam, im Verbund mit einer beinahe unnatürlichen Stille im Schiff.

Für einen Augenblick blieb Dean Corvin einfach auf dem Rücken liegen entspannte die geschundenen Gliedmaßen und horchte in sich hinein, um herauszufinden, ob er noch an einem Stück war. Dann bewegte er vorsichtig Arme und Beine, rollte sich etwas zur Seite und stöhnte leicht auf, als ein stechender Schmerz seinen Rücken hinauf jagte. Offensichtlich hatte er sich den Steiß geprellt. Aber er konnte sich immerhin bewegen, was er als ein gutes Zeichen nahm. Prüfend sog er die Luft ein. Es roch intensiv und stechend nach Ozon.

Neben ihm gab Kimi einige unartikulierte Laute von sich. Dann packte etwas seinen linken Unterarm.

„Lebst du noch, Alter?“

„Ich bin mir noch nicht ganz sicher“, gab Corvin knurrig zurück und registrierte dabei, dass die Notbeleuchtung unstet zu flackern begonnen hatte. „Und nenn mich heute noch einmal Alter, dann garantiere ich für gar nichts mehr.“

„Offenbar ist dir nichts passiert“, ächzte Kimi und rappelte sich mühsam auf. „Komm, wir sehen nach den Anderen.“

Korkonnen half Dean dabei aufzustehen, was etwas mühsam war, da dieser Teil des Frachter schräg auf dem Rücken lag. Dabei erkundigte er sich zur Sicherheit: „Alles klar?“

Dean Corvin funkelte den Freund wild an: „Nein, ich bin stocksauer!“

„Kann ich verstehen“, gab Kimi zurück und half dem Freund dabei den Durchgang zu überwinden. Klirrend polterte dabei ein losgerissenes Aggregat von einer Ecke in die andere. „Ich frage mich, warum die uns nicht den Rest gegeben haben.“

„Ach!“, machte Corvin, ironisch grinsend, was seinen Zügen, in der düsterblauen, flackernden Beleuchtung, etwas beinahe dämonisches verlieh. „Reicht dir die Tatsache an sich nicht? Wenn du den Eindruck hast betrogen worden zu sein, dann kannst du denen ja folgen und dich bei ihnen deswegen beschweren.“

„Hör auf in Ironie zu machen und hilf mir lieber“, konterte Korkonnen unwillig.

Im Passagier-Abteil angekommen bot sich den beiden Freunden ein Bild der Verwüstung. Die Sitze waren zum Teil aus ihren Verankerungen gerissen worden und hatten einige der Anwesenden unter sich begraben. Abgeplatzte Kunststoffteile der inneren Wandverkleidungen verteilten sich ebenfalls in dem Abteil. Manche der Sitze lagen wirr über- und nebeneinander. Glücklicherweise hatte die Außenhülle des Frachters sich als stabil erwiesen und keine Brüche davongetragen, oder sie wären bereits allesamt erstickt.

Dicht vor den beiden Freunden schob jemand einen der herausgerissenen Sitze zur Seite und blickte zu ihnen auf. Die beiden Männer erkannten eine dunkelhäutige junge Frau mit kurz geschorenen Haaren. Die blauen Streifen auf ihrer Uniform, und die Rangabzeichen am Kragen wiesen sie als Feldwebel der Technik aus.

„Sind sie in Ordnung?“, erkundigte sich Kimi Korkonnen, während sich Dean, an ihr vorbei, einen Weg in den hinteren Teil des Abteils bahnte. „Können Sie aufstehen?“

„Ja, ich bin offenbar nur leicht verletzt“, gab die Frau krächzend Auskunft, während der Kanadier bereits weiter hinten im Frachter rumorte. „Ein paar blaue Flecke, mehr nicht, wie es scheint, Sir.“

Kimi Korkonnen packte zu und half der Frau auf die Beine.

„Danke, ich bin...“

„Später, Feldwebel“, unterbrach der Blonde die sportliche, junge Frau. Jetzt ist es wichtiger zuerst einmal unseren Kameraden zu helfen.“

Inzwischen hatte Dean Corvin erleichtert festgestellt, dass Rodrigo und Nayeli nichts Schlimmeres passiert war. Die Mexikanerin hatte sich lediglich das linke Handgelenk verstaucht, während die Stirn des Freundes aus Akademietagen einen heftig blutenden Riss aufwies, der jedoch nicht tief ging.

Weiter links beugte sich Irina Hayes, die durch einen Metallsplitter in der rechte Schulter verletzt worden war, über eine Person, die Dean Corvin aus seiner Position nicht erkennen konnte. Als er von Rodrigo zu ihr sah, bemerkte er den schmerzlichen Ausdruck in den Augen der rothaarigen Frau.

Dean Corvin spürte einen eisigen Knoten im Magen, als er langsam zu ihr schritt.

„Sie hat sich das Genick gebrochen, als sie gegen diese Kante geschleudert wurde, wie es scheint“, erklärte Irina Hayes tonlos.

In demselben Augenblick erkannte Dean Corvin, dass es Tabea Carrick war, deren gebrochene Augen durch ihn hindurch zu starren schienen.

Der Kanadier glaubte in einen bodenlosen Schlund zu stürzen, bei diesem Anblick. Mit einem hastigen Satz war er bei Irina Hayes und schob sie von der Freundin weg. Das Gesicht der Toten in seine Hände nehmend stammelte er: „Nein… Das kann nicht… das… darf nicht sein. Nicht Tabea… Doch nicht Tabea!“

Irina Hayes fühlte sich hilflos, im Moment nicht wissend, was sie sagen oder tun sollte. Sie beobachtete Corvin dabei, wie er den Oberkörper der toten Freundin an sich presste. Im nächsten Moment schrie Corvin seinen gesamten Schmerz hinaus.

„Diese Mörder…! Diese verdammten Mörder…!“

Irina Hayes ließ es zu, dass Corvin für einen langen Moment seinem Schmerz nachgab. Dann packte sie ihn fest bei der Schulter und zwang ihn sie anzusehen.

„Wir können nicht hierbleiben, Sir. Die Angreifer dürfen die NOVA SOLARIS nicht in die Hände bekommen, wenn wir überhaupt irgendwann zurückschlagen wollen.“

Dean Corvin bedachte die Rothaarige mit einem wütenden, beinahe schon irren Blick, so als könne er nicht begreifen, dass es in diesem Moment etwas Wichtigeres geben konnte, als um die tote Freundin zu trauern. Ihm lag bereits eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch im letzten Moment meldete sich, im hintersten Winkel seines Bewusstseins, eine leise Stimme der Vernunft, die ihm eindringlich sagte, dass Irina Hayes Recht hatte.

Die Überlebenden des Absturzes, soweit bei Bewusstsein, waren durch den Schrei des Kanadiers darauf aufmerksam geworden, was passiert war. Nayeli hatte sich abgewandt und klammerte sich schluchzend an Rodrigo fest, der unbeholfen versuchte, sie zu trösten.

„Zwei Männer aus Rodrigos Team wurden ebenfalls bei dem Absturz getötet“, klang Kimi Korkonnens Stimme auf. „Eine Technikerin hat sich den linken Arm gebrochen. Der Rest ist nur leicht verletzt.“

Dean Corvin fragte sich für einen kurzen Augenblick, woher der Freund die Kraft nahm, so ruhig zu sprechen. Dann nahm er den festen Druck von Irina Hayes´ Hand wahr und er umklammerte ihr Handgelenk. Mit Tränen in den Augen sagte er leise zu ihr: „Die Raumanzüge für Notfälle befinden sich im rückwärtigen Bereich des Abteils. Ich brauche nur einen kurzen Moment, um von Tabea Abschied zu nehmen, dann werde ich Ihnen helfen, die Anzüge zu verteilen.“

Die rothaarige Frau nickte stumm – erleichtert darüber, dass Corvin anscheinend wieder zu sich gefunden zu haben schien.

Dean Corvin ließ das Handgelenk der Frau los und blickte auf das, im Licht der Notbeleuchtung, wächsern wirkende Gesicht von Tabea Carrick. Mit einer unendlich zärtlichen Geste ihre Augen schließend ließ er ihren Körper zu Boden sinken. Er legte sacht seine linke Hand auf ihre Wange, bevor er sich gewaltsam vom Anblick der Toten losriss und sich einen Weg zu Irina Hayes bahnte, die mittlerweile bereits die ersten Raumanzüge aus ihren Halterungen genommen hatte.

Corvin wischte sich über die Augen, nahm dann zwei der Anzüge und reichte sie an die Dunkelhäutige weiter, die Kimi und er zuerst in der Passagierkabine angetroffen hatten. Sie war wortlos hinter ihm aufgetaucht, nahm ihm die Anzüge ab und reichte sie an einen Techniker ihres Teams weiter.

Während Corvin die nächsten beiden Anzüge an den Feldwebel der Technik weiterreichte, murmelte er so leise, dass nur Irina Hayes seine Worte verstehen konnte: „Auf eine gewisse Weise habe ich Tabea geliebt. So wie eine Schwester – nehme ich an. Ich hatte keine Geschwister. Na ja, wenn man von Kimi absieht, der mir nahe steht wie ein Bruder.“

Corvin hatte für eine Weile inne gehalten.

„Vielleicht sollte der Herr Oberleutnant die Trauerrede später halten und dafür lieber seinen Hintern bewegen, wenn´s gefällt“, zischte der weibliche Feldwebel dicht hinter Corvin. Ungeduldig auf die nächsten Anzüge war sie dichter an ihn heran getreten und hatte so seine letzten Worte mitbekommen. „Vielleicht tauchen in dieser Gegend bald noch mehr Feindraumschiffe auf, und ich wäre dann gerne hier verschwunden, bevor die eventuell auf die Idee kommen, das angefangene Vernichtungswerk zu vollenden. Sir!“

Corvin machte den Eindruck, als wolle er sich auf die dunkelhäutige Frau stürzen, als er förmlich zu ihr herum wirbelte. Doch dann presste er lediglich seine Lippen fest aufeinander, drückte ihr die beiden Raumanzüge, die er hielt, in ihre Hände und knurrte fast heiser: „Hier, Feldwebel...“

„Rian Onoro... Sir.“

Corvin passte es ganz und gar nicht, wie diese Frau mit ihm sprach. Und auch nicht, wie sie zum zweiten Mal das Wort Sir betont hatte. Doch momentan war nicht die Zeit um weiter darauf einzugehen, darum wandte er sich, nach einem letzten, finsteren Blick, wortlos wieder zu Irina Hayes um, die nächsten Anzüge in Empfang zu nehmen.

Nachdem er insgesamt fünfzehn Raumanzüge weitergereicht hatte, sagte er zu Irina Hayes: „Das reicht. Jetzt brauchen wir nur noch welche für uns Zwei. Ich fürchte nur, dass wir zu spät die Geheimbasis erreichen werden, denn die Hüpferei über die Mondoberfläche wird uns Zeit kosten.“

Irina Hayes blickte Dean Corvin erschrocken an. „Dann glauben Sie nicht, dass die Angreifer rein zufällig in der Gegend waren?“

Dean schüttelte heftig den Kopf, während er damit begann, umständlich den Raumanzug überzustreifen. „Ich fürchte nicht, Leutnant. Nach dem geschätzten Kurs der drei Kriegsschiffe, die meine Instrumente anzeigten, auch wenn die Werte verfälscht waren, würde ich sagen, dass sie dasselbe Ziel gehabt haben, wie wir.“

Die Rothaarige blickte finster über Corvins Schulter hinweg, bevor sie, etwas leiser meinte: „Aber woher sollten die von der Geheimbasis wissen, wenn nicht durch Verrat?“

Corvins langer Blick sprach Bände und Irina Hayes stieß einen herzhaften Fluch aus. Wieder blickte sie über Corvins Schulter hinweg zu den anderen Überlebenden und murmelnd fragte sie: „Glauben Sie, dass möglicherweise einer an Bord dieses...“

„Nein!“, unterbrach Corvin die Frau.

„Denn wer immer dieses Komplott geschmiedet hat, er hat es nicht von einer Party auf Luna aus durchgeführt. Nein, Leutnant Hayes, wenn es einen Verrat gab, so befindet sich der, oder die, Verantwortliche sicherlich entweder auf Terra, oder aber auf dem Mars, da bin ich mir ziemlich sicher.“ Sein Blick schweifte bei dem letzten Gedanken etwas in die Ferne. Dann schüttelte er den flüchtigen Gedanken ab, der ihm durch den Kopf geschossen war, und beeilte sich damit, seinen Raumanzug zu schließen. Nachdem er seinen Helm übergestreift, und die Systeme des Anzugs aktiviert hatte, stellte er fest, dass er und Irina Hayes als Letzte fertig geworden waren.

Kimi Korkonnen, der im Moment das Kommando übernommen zu haben schien, erklärte über Helmfunk: „In Ordnung, wir verlassen jetzt das Wrack. Leutnant Hayes, sie werden mich dabei unterstützen herauszufinden, wo wir exakt sind und in welche Richtung wir uns zu wenden haben.“

Irina Hayes bestätigte und schritt dann, gemeinsam mit Dean Corvin zur Schleusenkammer des Wracks. Dabei hoffte sie inständig, die Basis rechtzeitig vor dem Feind erreichen zu können, oder auch ihre letzte Hoffnung würde verloren sein.

 
 

* * *

 

Auf Titan hatte Harin Geralon, dreißig Minuten zuvor, zusammen mit neun Besatzungsmitgliedern der UTIKAL, den angeblichen Frachter verlassen und machte sich auf den Weg zum Kommunikationszentrum der Flotte auf diesem Mond.

Währenddessen wanderte Nira Krinn unablässig durch die Zentrale der UTIKAL. Das Nerven zermürbende Warten auf Ereignisse, die man nicht selbst beeinflussen konnte hatte begonnen. Nira Krinn hasste solche Momente, die bei dem, was sie tat leider viel zu oft vorkamen, abgrundtief. Die Tatsache, dass die Dinge sehr bald schon vollkommen anders aussehen würden konnten sie auch nicht darüber hinwegtrösten.

„Das ist wieder einer diese verdammten Einsätze, bei denen sich die Zeit endlos zu dehnen scheint“, murrte sie und blickte dabei in Richtung des Piloten der UTIKAL.

Minute um Minute verstrich quälend langsam und Nira Krinn versuchte sich vorzustellen, wie sich die Ereignisse außerhalb des Frachters momentan entwickeln mochten.

Der Erste Offizier wurde aus diesen Gedankengängen gerissen, als die erregte Stimme des Leitenden Ingenieurs aus den Feldempfängern krachte. „Maschinenraum an Zentrale: Wir haben ein Problem. Das provisorische Störaggregat hat eben seinen Dienst eingestellt. Wir haben bereits eine Schnelldiagnose durchgeführt, aber der Schaden liegt in dem Provisorium selbst, und wir kommen von Bord aus nicht an die Fehlerquelle heran.“

„Verdammt!“, fluchte Krinn erbittert. Sie wusste, dass es viel zu auffällig gewesen wäre, wenn ein Besatzungsmitglied der UTIKAL das Schiff verlassen würde und auf der Außenhülle des Frachters herumkrabbelte, um den Fehler zu suchen und zu eliminieren. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt und erkundigte sich beim Leitenden Ingenieur des angeblichen Raumfrachters: „Wie lange noch, bis sich die Ortungswerte für diesen Sektor dadurch wieder normalisieren?“

„Schwer zu sagen. Ich schätze es wird recht schnell gehen, innerhalb von zehn bis fünfzehn Minuten, würde ich meinen.“

Nira Krinn ging in Gedanken fieberhaft ihre Optionen durch. „Wir können also den Schaden auffällig reparieren, oder wir lassen es darauf ankommen und hoffen das Beste.“

Die Stimme des Leitenden wurde etwas leiser, als er erwiderte: „So ist es.“

„Danke, Leitender.“ Nira Krinn bemerkte die fragenden Blicke der Crew und erklärte: „Eine Reparatur wäre viel zu auffällig. Wir lassen es drauf ankommen. Antrieb bleibt in Notstart-Bereitschaft. Vielleicht haben wir...“

„Die UTIKAL wird aktiv von einem startenden Zerstörer der Terranischen Flotte gescannt!“, rief der Ortungs-Leitoffizier dazwischen. „Die werden ganz bestimmt feststellen, dass unsere Aggregate sich im vollen Bereitschaftsmodus befinden. Das fällt ganz sicher auf, wir müssen umgehend starten um nicht als Zielscheibe zu dienen!“

„Schweigen Sie, Mann!“, schrie die Frau den Offizier erbost an. „Ich lasse den Kommandanten und unsere neun Kameraden nicht auf diesem elenden Mond zurück. Wir bleiben hier und warten, bis sie wieder an Bord sind, Sie Feigling! Noch steht gar nicht fest, ob es sich nicht um eine reine Routinemaßnahme handelt!“

Nira Krinn blickte in die Runde und ballte die Hände zu Fäusten, bevor sie etwas beherrschter erklärte: „Wenn Sie erwartet haben, den morgigen Tag zu erleben, dann befinden Sie alle sich auf dem falschen Raumschiff. Wir lassen unsere Leute nicht im Stich!“

 
 

* * *

 

Vor wenigen Augenblicken hatte Miriam Rosenbaum, auf dem Zerstörer AURORA, eine seltsame Strahlung angemessen. Sie wurde offensichtlich von einem der Frachter ausgesandt, die auf dem zivilen Teil des Raumhafens niedergegangen waren.

Im Grunde hatte sie die Frequenzpeiler eher aus einem Gefühl der Langeweile heraus aktiviert – um sich von der Routine des bevorstehenden Starts, für den bereits alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, abzulenken. Neben ihrer Funktion als Erster Ortungsoffizier des Zerstörers, der eine Länge über Alles von 254 Metern besaß, diente sie, seit zwei Monaten nun schon, auch als Zweiter Offizier der AURORA.

Miriam Rosenbaum war stolz darauf, denn nur wenige Offiziere erreichten eine solche Stellung an Bord eines Kriegsschiffes der Terranischen Flotte, innerhalb einer so kurzen Dienstzeit. Auch wenn es sich bei der AURORA lediglich um einen Zerstörer handelte, so würde dieser Posten einen spürbaren Schub für ihre zukünftige Karriere bedeuten.

Eher gelangweilt hatte sie bisher auf die Holoanzeigen der Frequenzpeiler gestarrt, als ihr eine Spitze im oberen Frequenzband auffiel. Stirnrunzelnd straffte sich ihre gelassene Haltung und mit wenigen Schaltungen hatte sie ermittelt, woher diese seltsame Ausstrahlung kam. Sie wurde definitiv von einem der zivilen Frachter ausgesandt, eine Tatsache, die Miriam Rosenbaum wachsam werden ließ, denn der Frachter war, wie sie anhand einer schnellen Überprüfung der Datenbanken feststellte, in der Konföderation Deneb registriert. Als ihr angezeigt wurde, dass er außerdem für die Nimrod-Handelsgesellschaft flog wurde die schlanke Frau endgültig munter, und gleichzeitig misstrauisch. Besonders angesichts der Tatsache, dass es seit Stunden zu unerklärlichen Missweisungen der Ortungssysteme kam.

Miriam Rosenbaum beschloss, Hauptmann Geran Karalov zu informieren. In wenigen Sätzen unterrichtete sie ihn, was sie beobachtet hatte und holte sich von ihm die Genehmigung ein, die bedingte Gefechtsbereitschaft für den Zerstörer anzuordnen. Gleichzeitig richtete sie die Aktiv-Scanner des Zerstörers auf den Frachter aus.

Nur eine Minute später tauchte der Kommandant des Zerstörers neben ihrem Platz auf, und blickte über ihre Schulter auf die Holoanzeigen. Dabei sagte er nachdenklich: „Geben Sie mir eine knappe Übersicht, Oberleutnant Rosenbaum. Was könnte diese seltsame Strahlung, Ihrer Meinung nach, bewirken?“

Miriam Rosenbaum blickte in die dunklen Augen des untersetzten, kräftigen Mannes und unterrichtete ihn, in knapper Form, davon, was sie vor wenigen Tagen erst, von Kimi Korkonnen, in Bezug auf die Garrett-Hellmann-Prozessoren erfahren hatte. Zudem klärte sie ihn über den Verdacht von Dean Corvin, in Bezug auf diese Prozessoren auf, und was sie in diesem Zusammenhang über die Nimrod-Handelsgesellschaft wusste. Danach erklärte sie ernsthaft: „Sir, die Tatsache, dass dieser Frachter als zur Nimrod-Handelsgesellschaft gehörend, in der Konföderation registriert ist, und die Missweisungen unserer Ortungssysteme nicht von Ungefähr kommen können, legt bei mir die Vermutung nahe, dass dieser Frachter, und was immer er an Bord haben mag, etwas damit zu tun haben könnte.“

Karalov blickte seinen Zweiten Offizier ernst an und erkundigte sich dann nachdenklich: „Und das alles haben Sie sich, nur aufgrund dieser Indizien, selbst zusammengereimt, Oberleutnant?“

Im Blick der Frau erkannte Hauptmann Geran Karalov eine Mischung aus Trotz und Überzeugung. Schnell fügte er seinen vorherigen Worten hinzu: „Ich habe das nicht abwertend gemeint, Oberleutnant Rosenbaum. Ich glaube Ihnen. Ich habe mich nur gewundert, wie folgerichtig Sie die einzelnen Punkte miteinander verknüpft haben.“

Miriam Rosenbaums Gesichtszüge entspannten sich. „Danke, Sir. Auch dafür, dass Sie mich nicht für vollkommen überspannt halten.“

Bevor der Hauptmann wieder das Wort ergreifen konnte klang der Gefechtsalarm auf, und der Kommunikationsoffizier rief dazwischen: „Unbekannte Flottenverbände sind innerhalb des Sonnensystems aus dem Hyperraum gefallen. Mindestens dreihundert Einheiten. Sie antworten nicht auf Anrufe und strahlen keine Kennung-Signale aus.“

„Wir starten umgehend!“, entschied der Hauptmann prompt. „Aufsteigen auf fünfhundert Meter! Kommunikation: Rufen Sie diesen Frachter an und erkundigen Sie sich, was, bei allen Heiligen, bei denen vorgeht.“

Die Bestätigungen des Piloten und des Kommunikations-Offiziers erfolgten umgehend. Die Aggregate des Zerstörers fuhren hoch und nur kurze Zeit später hob der Zerstörer ab. Dabei gab Karalov bereits seine nächsten Befehle: „Feuerleit-Offizier: Lassen Sie alle Geschütztürme bemannen und von den Crews, über die optischen Visier-Systeme, auf diesen verdächtigen Frachter ausrichten. Auf diese kurze Distanz werden wir ein unbewegliches Ziel selbst auf diese altmodische Art treffen, sollte es sich als nötig erweisen.“

Die Befehle des Kommandanten wurden per Schiffs-Kom-System weitergegeben.

Während das Kriegsschiff Position bezog, meldete der Kommunikationsoffizier hektisch: „Sir, keine Antwort vom Frachter der Konföderation. Unsere optischen Systeme erkennen eine Gruppe von zehn Leuten, die auf das besagte Raumschiff zu halten. Die Kommunikation zur Raumhafen-Kommandantur ist abgerissen.“

Hauptmann Karalov nahm die Meldung beinahe stoisch zur Kenntnis. In Richtung der Kommunikation nickend fragte er grimmig: „Feuerleitleit-Offizier: Sind die unteren Geschütze ausgerichtet?“

„Bestätigung läuft soeben ein, Sir.“

Karalov ballte seine kräftigen Hände zu Fäusten. „Sehr gut. Warten Sie auf meine Feuerfreigabe. Wenn sie erfolgt eröffnen Sie ohne Warnung das Feuer auf diesen Frachter.“

Geran Karalov verließ seine Position hinter Miriam Rosenbaum und schritt zur Konsole des Taktischen Offiziers hinüber. Dessen optische Systeme funktionierten nach wie vor einwandfrei. Karalov wartete, bis die Gruppe von Menschen, die über das Landefeld des Raumhafens auf den Frachter der Konföderation zu hastete, ihn erreicht hatte. Mit kratziger Stimme befahl er: „Feuer frei!“

Die unteren Geschütze des Zerstörers begannen mit ihrem tödlichen Werk.

In den Geschütztürmen der phasengesteuerten Plasmakanonen gab es einen bestimmten Vorrat an Deuterium. In den Reaktionskammern der Geschütze wurde für jeden Schuss ein geringer Teil dieses Deuteriums zu einem ultraheißen Plasma verdichtet welches die Waffe in Form eines hochenergetischen, im Lauf phasengerichteten, Plasmaaustoßes abgab. Da dieses Plasma mehrere Millionen Grad heiß war schmolz sich ein gerichteter Plasmastrahlschuss durch jedes bekannte Material.

Jede Plasmakanone selbst konnte nur begrenzte Mengen Plasma speichern, bevor sie es abgeben musste, was zur Folge hatte, dass nur relativ kurze Schüsse von maximal einer halben Sekunde Dauer abgegeben werden konnten, die jedoch bei ungeschützten Zielen einen verheerenden Schaden anrichten konnten.

Bedingt durch die phasengesteuerte, elektromagnetische Gleichrichtung der Plasmaimpulse nahm das, in der Reaktionskammer noch grellweiß leuchtende Plasma, eine, für diese Waffengattung typische, deutlich violette Färbung an, wenn es den Lauf verließ.

Abhängig von der eingegebenen Impulsdauer der einzelnen Plasmastrahlen konnte ein solches Geschütz auf einen schnelleren oder langsameren Feuertakt geschaltet werden, wobei relativ kurze Impulse mit hoher Feuerrate eher für kleinere und wendige Ziele, und Impulse mit niedrigerer Feuerrate und Maximallänge für große Ziele, gedacht waren.

Die grell-violetten, mit maximaler Länge abgestrahlten Plasma-Impulse trafen den anvisierten Frachter mit voller Wucht. Bereits wenige Sekunden nach der Feuereröffnung des Zerstörers wurde das Frachtschiff der Konföderation von mehreren Folgeexplosionen, die so stark waren, dass Trümmerteile gegen den aktivierten Dual-Schild der AURORA prallten, bevor sie zur Mondoberfläche zurück stürzten, in Stücke gerissen.

Der Überfall auf das Sonnensystem hatte seine ersten Opfer gefordert.

„Die Strahlung hat aufgehört!“, meldete Miriam Rosenbaum direkt nach der Vernichtung des Frachters.

Fast gleichzeitig kam die Meldung von der Ortung: „Missweisungen sinken langsam ab. Der momentane Wert in diesem Raumsektor ist bereits um zwei Prozent gefallen.“

Geran Karalov hob die geballte Faust. „Sehr gut! Kommunikation: Geben Sie an alle Stellen, die Sie erreichen können, weiter, was hier passiert ist. Ich vermute, dass es noch andere Raumschiffe gibt, die diese seltsame Strahlung aussenden. Wenn wir die eliminieren, dann sind wir vermutlich die Missweisungen der Ortungssysteme los.“

Einen Augenblick später meldete der Offizier an der Kommunikation mit vibrierender Stimme: „Ich bekomme keinen Kontakt, Sir. Die angekommenen Flottenverbände überlagern sämtliche Frequenzen mit Störsignalen. Bevor das passierte konnte ich gerade noch eine Nachricht des Flaggschiffes der Heimatflotte empfangen. Alle terranischen Kriegsschiffe, die sich momentan im Sonnensystem aufhalten, werden darin dazu aufgefordert, sich der Ersten Flotte zu unterstellen.“

Karalov blickte verzweifelt seine Offiziere an. Sie hatten herausgefunden, wie die Missweisungen beseitigt werden konnten, doch sie konnten dieses Wissen nicht weitergeben. Möglicherweise gab es jedoch einen anderen Weg aus der Misere. Mit entschlossener Miene verkündete Geran Karalov: „Wir fliegen zum Mars!“

WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT

 Larenan Farralen hielt sich dicht neben Kim Tae Yeon, als sie, mit dem Rest von seinem Agententeam in die Anlage eindrangen, in der momentan ein neuartiger Kreuzer fertiggestellt wurde. Die Hangarhalle dieses Kreuzers war das Ziel ihrer Unternehmung.

Sie hatten, in den Wirren des Gefechtsalarms, und in Uniformen des Imperiums als zugehörige des Imperialen Geheimdienstes getarnt, unbehelligt den Reparaturhangar verlassen können. Nun schritten sie, so unauffällig wie möglich, durch einen breiten, hell erleuchteten Gang, der sich scheinbar endlos vor ihnen erstreckte. Zu Farralens Erleichterung lag er vollkommen verlassen. Sporadisch warf er Kim Tae Yeon, die den Trupp, nach etwas mehr als einem Kilometer, nach links, in einen der zahlreichen kleineren Seitengänge führte, prüfende Blicke zu.

Der Trupp marschierte zunächst weiter geradeaus. Nach etwa fünfhundert Metern entdeckten wechselten Sie in einen parallel verlaufenden, engeren Gang. Immer tiefer drangen sie ins Innere der Geheimbasis ein. An der fünften, großen Kreuzung verließen sie den Gang und Larenan Farralen beriet sich mit Kim, welchen Weg sie nun weiter einzuschlagen gedachte.

„Wenn ich die Entfernungen korrekt in Erinnerung behalten habe, dann befindet sich die Hauptebene der fraglichen Hangarhalle etwa fünfhundert Meter unter uns und etwa drei Kilometer weiter rechts. Wir müssen jedoch von hier aus zunächst nach links abbiegen, wenn wir das Nottreppensystem benutzen wollen. Die leicht zu kontrollierenden Lifts sollten wir, unter allen Umständen, meiden. Trotz der falschen Uniformen und Legitimationsmarken könnten wir enttarnt werden.“

Einige der näher stehenden Agenten murrten leise, und auch Farralen war alles andere als erbaut davon fünfhundert Meter Höhenunterschied per Treppen hinab zu steigen, aber es war der einzige Weg der so gut wie narrensicher sicher war.

Entsagungsvoll nickte er Kim Tae Yeon zu und sie führte das Agententeam der Konföderation Deneb in den linken Gang. Ein paar hundert Meter weiter erreichten sie den Zugang zu einer der zahlreichen, über die gesamte Basis verteilten, Nottreppen. Kim betätigte den Impulsgeber des Schotts und betrat als Erste den, nur spärlich beleuchteten Treppenabgang.

Sie beeilten sich den Gang unauffällig zu verlassen. Nach nur wenigen Augenblicken schloss sich das Schott hinter ihnen, und Farralen atmete erleichtert auf weil es bislang keinerlei Anzeichen für einen internen Alarm gab. Kim Tae Yeon zu seiner Linken, begann er mit dem mühsamen Abstieg, gefolgt vom Rest des Trupps.

Trotz der widrigen Sichtverhältnisse war zu erkennen, dass dieses Treppensystem vermutlich noch niemals benutzt worden war, denn eine dicke Staubschicht lag auf den Stufen. Larenan Farralen rümpfte die Nase und murmelte leise: „Eine Seite des Terranischen Imperiums, die der normale Tourist nie zu sehen bekommt.“

Kim Tae Yeon, die seine Worte gehört hatte, blickte ihn von der Seite an und schmunzelte unterdrückt. Der Humor des Mannes gefiel ihr, trotz dieser gefährlichen Situation. Er entsprach, bis zu einem gewissen Grad, ihrem eigenen.

Schweigend setzten sie ihren Marsch, immer weiter die Treppen hinab, fort. Nach vierzig Minuten, die Farralen ewig lang vorkamen, wandte er sich schwer atmend an Kim Tae Yeon: „Wie viel Etagen haben wir noch vor uns?“

Die Asiatin spähte in der nächsten Kehre auf das Hinweisschild und meinte aufmunternd: „Einhundertundsieben Etagen haben wir bereits geschafft.“

Sag mir Bescheid, wenn es einhundertundzehn sind“, verlangte Larenan Farralen düster. „Dann werde ich mich übergeben.“

„In Ordnung“, antwortete die Terranerin knapp und amüsierte sich über das verblüffte Gesicht des Agenten der Konföderation.

Ihr Gegenüber begann immer breiter zu grinsen und sagte leise: „Vergessen wir das. Wenn wir unten sind rasten wir eine Minute bevor wir weiter vorrücken.“

Die letzten Reserven mobilisierend legte der Trupp die verbleibenden Stockwerke zurück und die zwölf Männer und Frauen waren erleichtert, als sie sich, schwer atmend, auf der letzten Treppe niederlassen konnten, um wieder etwas zu Atem zu kommen.

Nachdem sie sich eine Minute ausgeruht hatten, setzten sie ihren Weg fort.

Farralen öffnete das Schott des Notausstieges und spähte hinaus auf den breiten, hell erleuchteten, Gang. Sie hatten Glück. Niemand war zu sehen, während der Kommandotrupp auf den Gang hinaus trat und den Weg zur Hangarhalle einschlug.

Larenan Farralen, der wusste, dass selbst ihre gefälschten Legitimationen nicht ausreichten, um den Sicherheitsbereich, zu dem die Hangarhalle gehörte, betreten zu dürfen, fragte Kim dabei flüsternd: „Was machen wir, wenn wir uns dem Sicherheitsbereich nähern. Der wird doch sicherlich gut abgeschirmt sein.“

„Wir werden Gewalt anwenden müssen. Aber das hatte ich Dir bereits vorher erklärt.“

Farralen nickte düster. „Ja, verdammt, aber ich hatte gehofft, dass Dir in Bezug auf dieses Problem unterwegs etwas eingefallen wäre.“

„Ich bin Geheimdienstoffizier und keine verdammte Hexenmeisterin“, zischte Kim und funkelte den Agenten dabei herausfordernd an. „Ich dachte, Dein Team würde aus Elitesoldaten bestehen die damit klarkommen.“

„Das werden sie auch“, zischte Farralen zurück.

In demselben Moment setzten die akustischen Alarmgeber ein und gaben Eindringlingsalarm.

„Verdammt, das hat uns gerade noch gefehlt!“, fluchte Kim Tae Yeon erbittert. „Offensichtlich konnten es die Streitkräfte der Konföderation nicht abwarten, bis wir den Kreuzer gesichert haben, denn uns gilt dieser Alarm sicherlich nicht. Der Kommandotrupp der Armada muss sich oberirdisch Zutritt verschafft haben. Mistbande, verfluchte!“

Larenan Farralen runzelte die Stirn, denn das stand im krassen Widerspruch zum Plan, zur Einnahme des Hangars. „Das glaube ich nicht!“, widersprach er. „Ich fürchte, da gibt es eine Unbekannte in der Rechnung.“

Als sie das nächste Schott geschlossen und verriegelt vorfanden, wussten Kim Tae Yeon und Larenan Farralen, dass etwas Unvorhergesehenes passiert sein musste. Kim rief sich die alte Militärweisheit ins Gedächtnis, dass kein Plan den ersten Feindkontakt unbeschadet überstand. Offensichtlich war an dieser Weisheit durchaus etwas dran.

Auf Farralens fragenden Blick hin erklärte Kim Tae Yeon säuerlich: „Irgendwer hat offensichtlich den Verschlusszustand der Basis autorisiert – meine Kommando-Codes sind nämlich plötzlich nicht mehr gültig. Ich wüsste nur zu gerne, wer das war, denn alle Offiziere, die dafür in Frage kommen, sollten momentan nicht hier sein.“

„Als hätten wir keine anderen Probleme“, knurrte Larenan Farralen sarkastisch. Er wandte sich an seinen Stellvertreter und beorderte ihn, und zwei weitere seiner Leute, zurück. Sie sollten Kontakt zu den Kommandotruppen der Konföderation aufnehmen, und sie schnellstens hierher führen.

„Wir werden Thermit-Ladungen benötigen“, erklärte Farralen der Asiatin, nachdem die drei Agenten davon gehastet waren. „Leider haben wir selbst keinen solchen Sprengstoff dabei, und mit etwas anderem kommen wir nicht durch diesen Panzerstahl.“

Kim Tae Yeon eilte in Gedanken den Ereignissen voraus, während sie hier untätig ausharren musste. Dabei stieß sie unterdrückt einige heftige Flüche aus und schlug mit der Faust gegen die Wand. Hätte sie geahnt, dass Larenan Farralen mit seiner Vermutung recht hatte, und welche Person diese Unbekannte verkörperte – sie hätte noch ganz anders geflucht.

 
 

* * *

 

Nachdem die Überlebenden der KIROV das Wrack des Frachters verlassen hatten, übernahm Leutnant Irina Hayes die Führung der Gruppe, die in der überwältigenden Leere und Einsamkeit der zerklüfteten, lunaren Nordpolregion stand.

Zu ihrer linken Hand erstreckte sich eine weite Ebene, die in der Ferne in eine enge Schlucht der Ausläufer des Leibnitz-Gebirges mündete. Dorthin führte sie die Gruppe nun. In weiten, kraftsparenden Sprüngen begannen sie, die etwa sieben Kilometer bis zu einem getarnten Noteingang, von dem sie den Übrigen berichtet hatte, zurückzulegen.

Sie hatten, bevor sie das Wrack verließen, Funkstille vereinbart, um eventuellen Feindschiffen nicht unfreiwillig als Ziele für Schießübungen zu dienen. Dean Corvin hatte mit Kimi vereinbart, die Nachhut zu bilden. Zu seinem Verdruss hatte sich ausgerechnet Feldwebel Rian Onoro zu ihm gesellt, um ihn dabei zu unterstützen. Er hatte ihre harschen, unsensiblen Worte im Wrack noch nicht vergessen. Ab und zu warf er ihr einen kurzen Blick zu, während sie, Seite an Seite, über die karge Felslandschaft hüpften, und jedes Mal sah er dabei das leblose Gesicht von Tabea vor seinem inneren Auge. Das machte ihn zusätzlich wütend auf die junge Frau neben ihm, auch wenn ihm bewusst war, wie irrational diese Wut war. Doch es gelang ihm momentan nicht, sie zu unterdrücken.

So in Gedanken versunken, bemerkte der Kanadier, der sich automatisch dem Tempo von Rian Onoro angepasst hatte, erst nach einer geraumen Weile, dass sie hinter den Anderen zurückfielen. Sicherlich so spät auch dadurch bedingt, dass man die Entfernungen auf dem Mond, wegen der fehlenden Lufthülle, nicht richtig einschätzen konnte.

Er näherte sich dem Feldwebel mit den nächsten Sprüngen an und ergriff sie vor dem nächsten Sprung, fest am Oberarm, als er sie erreichte. Ihren Helm packend und gegen seinen legend, damit die Schallwellen übertragen werden konnten, sagte er grimmig, sich noch gut in ihre Worte von vorhin erinnernd: „Vielleicht sollte die Frau Feldwebel sich den Schongang für Später aufheben und dafür lieber ihren Hintern bewegen!“ Sich die süffisante Note nicht verkneifen könnend, fügte er mit besonderer Betonung hinzu: „Wenn´s gefällt…!“

Die dunklen Augen der Frau funkelten Dean Corvin beinahe mörderisch an, als er sie bereits wieder los ließ. Ihre Haltung straffend setzte sie sich wieder in Bewegung, und Corvin, hinter der Helmscheibe grimmig lächelnd, musste sich beeilen um den Anschluss halten zu können.

Schnell hatten sie die Gruppe wieder eingeholt, die nichts von diesem Vorfall mitbekommen hatte, und diesmal ließen sie den Kontakt nicht wieder abreißen.

Die Springerei über diese trostlose Geröllebene schien kein Ende nehmen zu wollen und nach einer Weile wurden die Sprünge der siebzehn Überlebenden unmerklich immer kürzer und die Bewegungen strengten, trotz der geringen Schwerkraft, immer mehr an.

Als Dean Corvin beinahe nicht mehr damit gerechnet hatte, deutete Irina Hayes, zwanzig Meter vor ihm und Rian Onoro, heftig winkend auf eine kleine Felsformation in halbrechter Position.

Es dauerte knapp zwei weitere Minuten, bis sie die Formation erreicht hatten.

Corvin erkannte erst im letzten Moment eine seltsam regelmäßige Struktur in den Felsen, und als Irina Hayes ihre behandschuhte Hand auf einen bestimmten Bereich eines der Felsen legte, da öffnete sich ein getarntes Bedienfeld gleich daneben. Mit sicheren Bewegungen gab Irina Hayes eine Codefolge ein, die nur wenigen Menschen im Imperium bekannt waren, und gleich darauf schoben sich die getarnten Schotthälften dieses Geheimeingangs zur Seite und gaben den Zugang zu einer Liftkabine frei.

Die siebzehn Personen mussten sich eng aneinander quetschen, damit sie alle auf einmal nach unten fahren konnten und es trug sich zu, dass Rian Onoro dabei immer wieder gegen Corvins Brust gedrängt wurde.

Beide fühlen sich nicht sehr wohl dabei und sie blickten sich, durch die Scheiben ihrer Helme hindurch, immer wieder giftig an, während die überfüllte und nur mäßig erleuchtete Liftkabine in die Tiefe fuhr.

Nach einer halben Minute hielt die Kabine endlich an und Corvin wunderte sich darüber, dass Irina Hayes und ein Unteroffizier ihrer Mannschaft, die direkt am Ausgang standen, nicht einfach auf den Gang hinausfielen, als das Kabinenschott sich öffnete.

Unterwegs nach unten war unmerklich der Druckausgleich in der Liftkabine erfolgt, und nachdem sie die enge Kabine verlassen hatten, konnten die siebzehn Terraner endlich ihre Helme öffnen. Auch war hier unten die gewohnte Erdschwere wieder zu spüren, da ein Schwerkraftgenerator dafür sorgte, dass innerhalb dieser Basis genau ein Gravo herrschte, was exakt dem Wert auf Terra entsprach.

„Dieser Gang führt zu einem kleinen Kontrollraum“, erklärte Irina Hayes, „von dem aus wir kontrollieren können, ob in der letzten Zeit jemand die Basis betreten hat, der nicht zur normalen Crew gehört. Er wurde bewusst für einen solchen Fall, wie diesen hier, gebaut falls es zu einer Infiltration der Basis gekommen sein sollte. Von dort aus sind es immer noch rund zwei Kilometer bis zur Hangarhalle des Kreuzers. Unser Vorteil ist, dass sich der oberirdische Eingang zur Geheimbasis fast genauso weit von der Hangarhalle der NOVA SOLARIS entfernt befindet, wie dieser hier. Außerdem müssen die Truppen der Konföderation erst einmal die automatischen Sicherheitsvorkehrungen überwinden.“

„Dann haben wir eine reelle Chance“, warf Rodrigo Esteban ein. „Also vorwärts.“

Sie setzten sich in Bewegung, wobei erneut Dean Corvin und Rian Onoro den Abschluss bildeten. Während sich die Übrigen murmelnd unterhielten stapften sie beide schweigend nebeneinander her und warfen sich gelegentlich finstere Blicke zu.

Schließlich war es die Frau, die das unangenehme Schweigen nicht länger aushielt und unterdrückt zu Corvin sagte: „Ich war an Bord des Wracks etwas unsensibel, Sir.“

„Ja“, erwiderte der Kanadier einsilbig, was Rian Onoro sofort wieder auf die Barrikaden steigen ließ. „Ja? Ist das Alles, was Sie dazu zu sagen haben? Einfach nur - JA?“

Dean Corvin sah die Frau an seiner Seite unwillig an. „Eine gute Freundin von mir ist eben gestorben. Erwarten Sie etwa, dass ich momentan in der Lage bin, mit Ihnen groß und breit über diese leidige Angelegenheit zu tratschen? Es ist passiert, vergessen wir´s also.“

„Und was ist mit Ihnen?“

Es kostete Dean Corvin Überwindung zuzugeben: „Okay, ich habe mich vorhin vielleicht auch nicht gerade angemessen verhalten. Damit wären wir dann quitt, oder?“

Rian Onoro presste die Lippen auf einander. Dann zischte sie: „Schön.“

„Prima.“

Sie setzen ihren Weg schweigend fort, wobei Corvin vor sich hin brütete. Diese Frau neben ihm hatte irgendwie recht, seine Retourkutsche war wirklich nicht die feine Art gewesen. Nach einer Weile sah er sie wieder an und erklärte: „Also schön, es tut mir leid wie ich Sie draußen angefahren habe. Es war nicht in Ordnung.“

Etwas verwundert sah Rian Onoro zu Corvin. Damit hatte sie nicht gerechnet und sie wusste nicht was sie erwidern sollte.

Corvin, der ihren Zustand erahnte, lächelte schwach: „Das passiert Ihnen wohl nicht oft, dass Sie jemanden nicht sofort in eine bestimmte Schublade stecken können, oder?“

Rian Onoros Augen glitzerten sofort wieder auf. „Fangen Sie schon wieder an, Sir?“

Corvin hob beschwichtigend seine Hände. „Halten wir Frieden, Feldwebel.“

Rian Onoro lächelte fein und gab sich Mühe den Kanadier nicht triumphierend anzusehen, als sie murmelnd nachlegte: „Na, bitte. Geht doch.“

Dean Corvin seinerseits erweckte den Anschein, als habe er die letzten Worte der Frau nicht gehört, doch er konnte nicht verhindern, dass sich seine Hände kurzzeitig zu Fäusten ballten. Den Schritt etwas beschleunigend dachte er: So ein hitzköpfiger Teufelsbraten.

Als sie den Kontrollraum erreichten hatte Dean Corvin diesen Vorfall bereits gedanklich zu den Akten gelegt. Er begab sich zu Kimi Korkonnen der hinter Irina Hayes stand, als sie die Kontrollkonsolen aktivierte.

Nach einem kurzen Moment wandte sie sich zu Rodrigo Esteban um und sagte: „Oberleutnant, verteilen Sie bitte ihre Leute an die freien Konsolen und lassen Sie sie die Überwachungsprotokolle starten.“

Der Spanier, der sich bisher weitgehend an der Seite seiner Freundin Nayeli gehalten hatte kam der Aufforderung nach, wobei er seinen beiden Freunden aus Akademietagen einen Blick zuwarf, den sie sofort verstanden.

Nayeli Herández stand, wegen des Todes ihrer besten Freundin, Tabea, immer noch unter Schock. Dankbar blickte sie zu Dean und Kimi auf, als sie sich zu ihr gesellten. Dean Corvin legte schweigend seine Hand auf ihre Schulter und die Mexikanerin, dankbar dafür, dass er nichts weiter sagte, legte ihre Hand auf seine und blickte ihn traurig, mit Tränen in den Augen, an.

Dean Corvin, dem es bei diesem Anblick das Herz zerriss, wischte sich, nach einem kurzen Moment gleichfalls über die Augen, und er bewunderte Kimi dafür, dass er sich bisher so eisern zusammengerissen hatte. Aber für große emotionale Ausbrüche waren der Freund noch nie bekannt gewesen. Doch Dean wusste, dass sein bester Freund nicht geringer um die Freundin trauerte, als Nayeli oder er. Er ging nur anders mit seiner Trauer um.

Rian Onoro, die momentan ebenfalls ohne Beschäftigung war und sich Corvin wieder genähert hatte, blickte dezent zur Seite. Sie wollte ihn nicht beschämen indem sie ihn sehen ließ, dass sie ihn weinen sah. Zudem war die Technikerin überrascht, diese Seite an Corvin zu entdecken, denn nachdem sie zunächst so heftig zusammen gerasselt waren, hatte sie diesen weichen und sensiblen Kern bei ihm nicht unbedingt erwartet. Es schien ihr grotesk, als sie sich ausgerechnet in diesem Moment wieder an jenen Abend erinnern musste, an dem sie Corvin in Casablanca über den Weg gelaufen war, ihn aber nicht kennengelernt hatte. Damals hatte sie es bedauert, und sie stellte nun überrascht fest, dass sie es im Moment wieder bedauerte, trotz ihres kleinen Streits von vorhin. Sie war drauf und dran tröstend seine Hand zu drücken, doch im letzten Moment wurde sie daran gehindert, durch den alarmierten Zwischenruf eines Mitgliedes aus Rodrigo Estebans Team.

„Ich habe eine Gruppe von Geheimdienstoffizieren, auf dem Weg zur Hangarhalle der NOVA SOLARIS ausgemacht! Die gehören, laut Dienstplan, aber gar nicht hierher!“

Vergrößern Sie und legen Sie das Bild auf meinen Holoschirm“, entgegnete Esteban.

Wie auch Dean Corvin beobachtete Rian Onoro, dass Esteban seinen Holoschirm auf Maximalgröße expandierte. Eine Gruppe von zehn Männern und Frauen, alle mit den violetten Streifen des Geheimdienstes auf ihren grauen Uniformen, wurden auf dem Holoschirm erkennbar.

Dean Corvin erstarrte förmlich an Rian Onoros Seite und er deutete auf eine dunkelhaarige Frau an der Spitze der Gruppe, die auch ihr nicht unbekannt war. „Was, zur Hölle, macht Kim Tae Yeon denn hier? Ich dachte, die wäre auf dem Mars!“

Rian Onoro blickte Corvin fragend an. „Sagen Sie nur, Sie kennen diese impertinente Person dort? Die blöde Kuh hat mich, während meiner Sicherheitsüberprüfung, nachdem ich hierher versetzt wurde, so sehr schikaniert, dass ich sie am liebsten in den Hintern getreten hätte - aber mit Anlauf.“

Corvin sah zu Rian Onoro und nickte, mit finsterer Miene. „Kennen ist gar kein Ausdruck. Dieser Frau habe ich es zu verdanken, dass ich seit über zwei Jahren auf dem Titan versauere, statt an Bord eines imperialen Kreuzers zu dienen.“

Der Feldwebel bemerkte, dass das nicht Alles war, und schnell hakte sie ein: „Aber da ist auch noch ein sehr persönlicher Grund, der Sie diese Frau hassen lässt, scheint mir.“

„Darüber möchte ich wirklich nicht mit Ihnen reden“, blockte Corvin schnell ab, doch Rian Onoro erkannte in diesem Moment, dass sie bei ihrem Gegenüber eine Saite berührt hatte. Noch dazu eine klingende.

Sie wurden beide wieder abgelenkt, als eine Frau aus Estebans Team bestätigte: „Die Gruppe dort gehört definitiv nicht zur Basis-Crew.“

„Dann werde ich Ihnen die Suppe mal gründlich versalzen!“, wetterte Irina Hayes und ließ ihre, immer noch behandschuhten, Finger flink über die Holotasten der Konsole huschen. Nur wenige Augenblicke später gellte der Eindringlingsalarm durch die Basis und die rothaarige Frau erklärte finster lächelnd: „Der Alarm, den ich eben ausgelöst habe, zieht den Verschlusszustand der gesamten Basis nach sich. Nur wenige Leute auf dieser Basis wissen, wie man ihn umgehen kann. Zum Glück gehöre ich zu diesen wenigen Leuten. Trotzdem sollten wir uns beeilen, denn gegen rohe Waffengewalt wird auch der Verschlusszustand nicht viel nützen, fürchte ich.“

„Wir brechen auf!“, entschied Dean Corvin, der zur gelinden Überraschung der Übrigen nun an Korkonnens Stelle, das Kommando übernahm. Er wechselte einen schnellen Blick mit Kimi Korkonnen, der ihm kurz zunickte.

Irina Hayes begab sich schnell zu einem kaum als solchen erkennbaren Wandschrank und gab auch hier einen Code ein, nachdem sie das verborgene Tastaturpaneel geöffnet hatte. Sie griff schnell ins Innere des Schranks und förderte, zur Überraschung der restlichen Überlebenden, Plasma-Gewehre und ein paar klobige, etwas leichtere Handstrahler, zutage.

Nachdem Leutnant Hayes ihre Begleiter, bis auf die Frau mit dem gebrochenen Arm, die keine solche Waffe halten konnte, mit Waffen versorgt hatte, setzte sich Corvin an die Spitze der Gruppe, flankiert von Irina Hayes, die sich hier am besten auskannte, und Rian Onoro, die ihm nicht von der Seite weichen wollte. Alle drei hatten sich einen der Handstrahler in eine ihrer Beintaschen gestopft und hielten ihr Gewehr fest in den Händen.

Die Gruppe verfiel, trotz der vorangegangenen Anstrengungen, und diverser Verletzungen, in einen leichten Trab. Entgegen der optimistischen Einschätzung von Irina Hayes wurde Corvin das drängende Gefühl nicht los, sich beeilen zu müssen.

 
 

* * *

 

Anders, als Kim Tae Yeon, hatte sich Generalleutnant Thore Grenqvist bereits vor diesem Einsatz damit abgefunden, dass nicht alles so perfekt laufen würde, wie geplant. Er wusste aus Erfahrung nur zu genau, dass es immer Eigendynamiken bei Kampfeinsätzen gab, die unkalkulierbar waren.

Im Endanflug schlug den drei Kriegsschiffen der Konföderation Deneb ein wütendes Abwehrfeuer entgegen, doch keiner der Plasmastrahlen fand sein Ziel.

Grenqvist, der zusammen mit seinem Trupp von Elitesoldaten in einer der zehn unteren Schleusenkammern stand, hielt sich am Rand des bereits geöffneten Schotts fest und blickte, durch das Material des transparenten Helmes seines Raum-Kampfanzuges, hinunter auf die vorbeiziehende Mondlandschaft.

Das Material seines perlnachtblauen Anzuges, der aus einem mehrschichtigen Leichtmetall-Synthetikstoff-Netz, mit einem doppelschichtigen Überzug aus einer Verbundschicht hochwertiger, und dabei äußerst widerstandsfähiger Polymere, bestand. Diese Mischung machte ihn einerseits sehr leicht und andererseits trotzdem auch unter Extrembelastungen reißfest und vakuumdicht. Außerdem war die Oberfläche des Raumanzuges schmutzabweisend. Durch die, in den Handschuhen eingearbeiteten, Rezeptor-Zellen konnte der Generalleutnant die Oberfläche des Schottrahmens beinahe so gut ertasten, als würde er direkt seine Handflächen darauf legen.

Bis vor zwei Minuten hatte dabei der Helm noch, wie eine Kapuze, in einem dünnen Nackenwulst, oberhalb des flachen Flugaggregats, geruht. Die besondere Eigenschaft des flexiblen Panzer-Glassits dieses Helms war, dass in einer seiner transparenten Zwischenschichten ein feines Netz von Flüssigkristallen eingewebt war, das ihn seine starre Eigenschaft verlieren ließ. Wurde er geschlossen, so nahm der Helm, ausgelöst durch den sogenannten Memory-Effekt der Kristalle, sofort wieder seine starre Kugelgestalt an. Ein weiterer nützlicher Nebeneffekt dieser Kristalle war der, dass sich der Helm, durch die fotochemischen Reaktionen der Flüssigkristalle, automatisch abdunkelte, falls die Gefahr einer Blendung bestand.

Das Flugaggregat war bei näherer Betrachtung nichts anderes, als ein Gravo-Magnet-Antrieb in Mikrobauweise, denn er funktionierte nach demselben Prinzip. Natürlich besaß er nicht dieselben Beschleunigungseigenschaften doch immerhin konnten diese Anzüge, im Vakuum des Weltalls, bis zu 700 Kilometern pro Stunde zurücklegen.

Grenqvist bedauerte in diesem Moment, dass es bisher noch keinem Ingenieur gelungen war, auch Dual-Schutzschirme in Mikrobauweise zu konstruieren. Zwar konnte die Außenschicht des Anzuges Streifschüssen aus Handwaffen widerstehen, aber gegen Volltreffer waren auch diese hochwertigen Schutzanzüge machtlos. Hier musste der Mensch dann doch die momentanen Grenzen der Technik akzeptieren.

Der Generalleutnant spürte ein leichtes Zittern unter seinen dicken, elastischen Stiefelsohlen, und er wusste, was es zu bedeuten hatte. Die unteren Zwillings-Geschütze des Schlachtkreuzers hatten das Plasma-Feuer auf die beeindruckenden Abwehrstellungen, rund um die Geheimbasis eröffnet.

Unter normalen Umständen wäre dies ein ungleicher Kampf gewesen, zugunsten der Terraner, aber dank der technischen Cleverness einiger findiger Ingenieure der Konföderation Deneb waren direkte Treffer der Abwehrgeschütze reine Glückssache. Die letzten Messungen an Bord hatten eine Missweisung der terranischen Ortungssysteme von bis zu 50 Prozent vorhergesagt. Ein Zusatzaggregat an Bord aller Raumschiffe der Konföderation hingegen sorgte dafür, dass die Ortung an Bord dieser Raumschiffe, anders als bei den terranischen, weiterhin einwandfrei funktionierte.

Im Rahmen des gegenüber liegenden Kufenschotts glaubte Grenqvist das Gesicht seiner Stellvertreterin, bei diesem Unternehmen, zu erkennen. Sie war für ihren Einsatzwillen und ihre Zähigkeit bekannt, und der General war froh, eine unerschrockene Kämpferin wie sie an seiner Seite zu wissen.

Der Generalleutnant konzentrierte sich wieder ganz auf die Gegenwart, als sich General Nor Zul Kurumu, über Helmfunk, meldete. „Noch zehn Sekunden, und wir sind direkt über dem Ziel, Generalleutnant Grenqvist. Viel Glück!“

Typisch Kurumu, überlegte der hochgewachsene Skandinavier, wobei er seinen Männern und Frauen gleichzeitig bedeutete sich bereit zu halten. Dieser Schwarze Riese hat noch nie viel Worte gemacht.

Ein optisches Signal über dem Schottrahmen verriet Grenqvist, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Ohne zu zögern aktivierte er das Flugaggregat seines Kampfanzuges und sprang, dabei seinen Plasma-Karabiner fest umklammernd, ins Bodenlose.

Ohne sich umzublicken wusste Grenqvist, dass ihm seine Soldaten augenblicklich folgten. Für einen Moment lang überfiel ihn ein grässliches Gefühl des Fallens, doch er musste sich dennoch nicht großartig darauf konzentrieren nicht die Arme auszustrecken, oder die Beine an den Körper zu ziehen. Beides taten nur blutige Anfänger, und das war Grenqvist nun beileibe nicht.

Grenqvist aktivierte durch ein Stimmenkommando die Sprachsteuerung des Flugaggregates seines Kampfanzuges. Schnell und sicher überwand er die zweihundert Meter bis zur Mondoberfläche. Als der dem, von einer dicken Staubschicht bedeckten, Boden immer näher kam, bremste er seine Fahrt soweit ab, dass er bei der Landung nur leicht in den Knien nachfedern musste.

Um ihn herum landeten die Männer und Frauen seines Kommandotrupps. Zeitgleich erreichte ihn ein Funksignal des bereits in der Geheimbasis befindlichen Agententeams, dass ihn über den Verschlusszustand der Basis informierte. Damit erübrigte es sich, mit dem gewaltsamen Eindringen in die Geheimbasis zu warten.

Thore Grenqvist, der beobachtet hatte, wo seine Stellvertreterin mit ihrem Angriffstrupp gelandet war, hielt mit seinen Leuten auf ihre Position zu, da sie etwas näher an ihrem Ziel gelandet waren.

Als beide Trupps schließlich beisammen waren, hatten die Pioniere des anderen Teams bereits einige ihrer Thermit-Ladungen an einem der Basiszugänge gelegt, dessen genaue Position ihnen von einer terranischen Überläuferin verraten worden war.

Die Helme der Konföderationssoldaten dunkelten automatisch ab, als die Ladung mit einem sonnenhellen Leuchten zündete. Mit rund zehntausend Grad Hitze im Kernbereich schmolz sich das Thermit in Sekundenschnelle durch das Panzerschott des Zugangs.

Die Trupps der Konföderation Deneb warteten einige Augenblicke, damit sich die Schmelzränder, in der Kälte des umgebenden Weltalls abkühlen konnten, bevor sie ins Innere der terranischen Geheimbasis eindrangen.

Gleich hinter der Spitze seines Kommandotrupps schritt Thore Grenqvist, flankiert von zwei seiner besten Kommando-Offiziere, durch die verlassen wirkenden Gänge. Thore Grenqvist hatte, noch an Bord der PANDORA, seine Leute angewiesen, auch nach dem Eindringen in die terranische Basis, aus Gründen der Sicherheit, die Helme geschlossen zu halten. Als sich weitere Alarmsignale zu den bereits zuvor lärmenden Tönen gesellten, die durch die Basis schrillten, verzog er kaum eine Miene, sondern er umfasste nur unmerklich etwas fester sein Plasma-Gewehr und wechselte lediglich einige bedeutsame Blicke mit seiner Stellvertreterin, Oberst Mila Da Veela, die sich nun an seiner Seite hielt. Verdrießlich knurrte der General: „Jetzt wird es wohl gleich richtig gemütlich werden.“

Die Enddreißigerin an seiner Seite erlaubte sich ein Schmunzeln. Mit den kurzen, braunen Haaren und den verwegenen Gesichtszügen wirkte sie mitunter etwas burschikos. Die dunklen Sommersprossen, die sich über ihr gesamtes Gesicht verteilten, unterstrichen diesen Eindruck noch. Die flapsige, manchmal sogar etwas respektlose, Art dieser Frau, ihrem Vorgesetzten gegenüber, passte irgend zu dieser Erscheinung. Ihre eisgrauen Augen schienen amüsiert zu funkeln, als sie launig erwiderte: „Spaß muss sein, und wenn es auf der eigenen Beerdigung ist, Sir.“

Thore Grenqvist grinste verschmitzt, trotz der Tatsache, dass es schon sehr bald zu ersten Kampfhandlungen kommen würde. „Ich weiß, was Sie unter Spaß verstehen, Oberst. Ich weiß ganz genau, was Sie unter Spaß verstehen. Sich mit zehn Männern den Platz im Sarg zu teilen, von denen Sie jeder zuerst beglücken möchte, habe ich Recht?“

Die Frau lachte auf und schüttelte dann vorwurfsvoll den Kopf. „Dass ich aber auch immer zu Unrecht verleumdet werden muss. Sie haben lediglich eine viel zu schmutzige Fantasie, Sir. Das ist Alles.“

„Da habe ich Gegenteiliges gehört“, stichelte der General weiter.

Statt zu antworten versetzte die Frau dem General unerwartet einen heftigen Stoß, der ihn unsanft gegen die Gangwand beförderte. Im nächsten Moment hatte sie bereits ihren Karabiner angehoben und feuerte zwischen den beiden Nahsicherern, vor ihr, hindurch.

Erst einen Herzschlag später realisierte Grenqvist, dass ihn ein Plasmastrahl nur um Haaresbreite verfehlt, und den hinter ihm gehenden Soldaten getötet hatte. Er brachte seine eigene Waffe in Anschlag, doch es gab bereits keinen handlungsfähigen Gegner mehr. Oberst Da Veela und die beiden Soldaten vor ihr hatten ganze Arbeit geleistet, und die vier Terraner, die überraschend vor ihnen im Gang aufgetaucht waren, erledigt.

Offenbar gehörten die so plötzlich aufgetauchten Terraner nicht zu einer Kampfeinheit konstatierte Grenqvist, sonst wäre der Schuss, den einer der Terraner auf ihn abgegeben hatte, nicht der Einzige geblieben. Er nickte seiner Stellvertreterin zu. „Danke, Oberst. Ohne Sie hätte es nicht gut für mich ausgesehen.“

„Darum bin ich ja bei Ihnen.“

Thore Grenqvist gab ein Schnauben von sich. „Sie hören sich beinahe so an, wie meine Mutter, Oberst Da Veela. Und falls Sie es möglicherweise nicht bemerkt haben sollten, das war kein Kompliment.“

„Sie sprühen heute vor Freundlichkeit“, versetzte Mila Da Veela trocken und gab gleich darauf ihren Leuten Order weiter vorzurücken und stärker nach vorne abzusichern. Sie wollte nicht nochmal auf diese Weise überrascht werden.

Gleich darauf schaltete sich der Generalleutnant ein und befahl: „Die Unterlagen der Basis, die von der Überläuferin geliefert wurden, auf der Helm-Innenseite einblenden. Ich lasse von der Recheneinheit meines Anzuges den kürzesten Weg zum Hangar des Kreuzers, wegen dem wir hergekommen sind, berechnen und überspiele die Daten.“

Der General war kaum fertig damit, als ihm vom Vorauskommando über Helmfunk gemeldet wurde: „General, wir sind auf drei unserer Agenten gestoßen. Sie melden, dass von einem der Feinde der Verschlusszustand der Basis angeordnet wurde. Sie stehen vor einem der Knotenpunkte der Basis und benötigen Thermit, um durch das Panzerschott weiter vorrücken zu können.“

„Sie sollen uns dorthin führen“, entschied der Generalleutnant innerhalb eines Herzschlages und stieß damit seinen eben gegebenen Befehl um. Dieses Verhalten war ein Punkt, der Grenqvist so schnell in den Reihen der Armada von Deneb hatte aufsteigen lassen. Die Fähigkeit innerhalb kürzester Zeit zu improvisieren, wenn es geraten war, und dann schnell folgerichtige Entscheidungen zu fällen.

„Hoffentlich werden wir den Hangar rechtzeitig einnehmen können, Sir“, bemerkte Oberst Da Veela, nun ganz und gar auf ihr vorheriges Gehabe verzichtend.

Wie zur Bestätigung ihrer Befürchtungen kam von der PANDORA die Meldung, dass die beiden anderen Angriffstrupps auf heftigen Widerstand gestoßen waren. Die Terraner begannen mit der ersten organisierten Verteidigung im Innern der Basis. Ihr Vorteil dabei war, dass sie die lokalen Gegebenheiten besser kannten, als Grenqvist und seine Truppen.

„In Ordnung“, erwiderte der Generalleutnant ernst. „Beeilen wir uns besser.“

 
 

* * *

 

„Ich habe da ein ganz mieses Gefühl“, unkte Kimi Korkonnen, der neben Corvin, Irina Hayes und Rian Onoro durch das sinnverwirrende Labyrinth der Gänge eilte. Obwohl sie bisher auf keine Gegner gestoßen waren konnte er sich eines ganz und gar unguten Gefühls nicht erwehren, seit sie die Ebene erreicht hatten, die, nach Irina Hayes´ Angaben direkt zum Kontrollzentrum des Hangars führte, in dem die NOVA SOLARIS auf ihren Jungfernflug wartete. Die Frage war jetzt nur, ob terranische oder konföderierte Soldaten den Kreuzer auf diesem Flug bemannen würden.

„Das habe ich schon einmal von dir gehört“, konterte Corvin trocken.

„Und ich hatte Recht damit!“

Dean Corvin seufzte schwach und bog als Erster in den Nebengang ein, der laut Leutnant Hayes direkt zum Kontrollraum führen sollte. Von dort aus konnte die Rothaarige Frau ihre Kommando-Codes eingeben, der den Zugang zum Kreuzer freigab und die Sperren der gewaltigen Hangarschotts deaktivierte.

„Wenn du mir jetzt noch sagst, dass du stolz darauf bist, in dieser Hinsicht Recht gehabt zu haben, dann drehe ich durch“, murrte Corvin. „Verdammt noch mal, hatten wir je die Chance, das Alles zu verhindern, Kimi?“

Der Finne erwiderte den brennenden Blick des Freundes und machte eine vage Geste. „Falls ja, dann haben wir sie verpasst, oder aber leichtfertig vertan. Dean, und dieser Gedanke quält mich genauso, wie Dich. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal auf das Naheliegende konzentrieren, oder meinst du nicht?“

„Ist ja gut!“, grollte Corvin und atmete tief durch, bevor er entschuldigend zu seinem besten Freund sah. „Tut mir leid, Kimi. Du hast natürlich Recht. Was mich nur besonders aufregt ist, dass Kim anscheinend in diesem ganzen Drama eine Rolle spielt. Diese Natter paktiert mit der Konföderation, ist dir das klar, mein Freund?“

Die versteinerte Miene des Blonden sprach Bände.

Unangefochten erreichten die siebzehn Terraner wenig später das Schott zum Kontrollraum und Irina Hayes machte sich an den Schottkontrollen daran, ihren Kommando-Code einzugeben.

„Bis hierher ging es gut“, bemerkte Rian Onoro, der Dean Corvins Zustand nicht entgangen war, bewusst zweckoptimistisch. Sie blickte in die Runde und brachte dann ein Thema zur Sprache, das bisher nicht aufgekommen war. „Wer in dieser Runde kann eigentlich alles einen Leichten Kreuzer steuern? Ich meine mit Aussicht auf Erfolg darauf, einer angreifenden Flotte von Kriegsschiffen zu entkommen.“

Die Techniker fielen logischerweise aus und blickten, so wie die Offiziere, unwillkürlich zu Dean Corvin und Kimi Korkonnen. Letzterer sah gleichfalls zu seinem Freund und erklärte: „Dean war an der Akademie der begabteste Pilot in den Simulationen.“

Abgesehen vom Totalverlust der RUBICON, dachte Corvin ironisch und sah dabei fragend zu Irina Hayes.

Die Rothaarige hob ihre Hände, während sich das Schott vor ihnen teilte und den Zugang zum Kontrollraum freigab. „Sehen Sie nicht mich an, Sir, ich bin Taktischer Offizier. Sie werden uns da schon herausbringen.“

„Na, dann kann uns ja gar nichts mehr passieren“, meinte Dean Corvin mit triefendem Sarkasmus. „Dieser Tag entwickelt sich mal so richtig gut.“

Sie eilten in den Kontrollbereich, und Rodrigo Esteban deutete auf einen Lift zu ihrer Rechten. „Dort geht es, von hier aus, hinunter in den Hangar, Freunde.“

Sich zu Irina Hayes wendend sagte er: „Führen Sie die Leute zur NOVA SOLARIS und machen Sie den Kreuzer startklar, Leutnant Hayes. Die Daten- Service- und Versorgungsleitungen müssen von unseren Technikern ebenfalls noch abgekoppelt werden. Ich werde von hier oben die nötigen Kommando-Codes eingeben, um die Hebeplattform des Hangars für eine automatische Hebesequenz programmieren zu können.“

„Verstanden, Sir.“

Nur Dean Corvin, Kimi Korkonnen und Rian Onoro, die Esteban bei den Eingaben zur Hand zu gehen gedachte, blieben im Kontrollraum, durch dessen Panoramascheiben der Kreuzer im Hangar, der noch in totaler Dunkelheit lag, nur zu erahnen war.

Kimi Korkonnen nutzte die Gelegenheit, um Dean am Oberarm etwas zur Seite zu ziehen und ihm eindringlich zu sagen: „Hör zu, jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt um an deinen Fähigkeiten als Pilot zu zweifeln. Du bist zwar etwas aus der Übung, was das Steuern von Kriegsschiffen betrifft, aber das findet sich bestimmt, sobald du erst einmal hinter den Kontrollen der NOVA SOLARIS sitzt. Also hör gefälligst damit auf hier herum zu jammern und gib den Anderen ein besseres, sprich: optimistisches Vorbild. Gib ihnen die Hoffnung, dass dieses Unternehmen klappen wird, klar?“

„So klar, wie nur irgend etwas“, gab Dean Corvin mürrisch zurück. Er wusste, dass der Freund Recht hatte, aber er mochte es nicht, wenn Kimi so mit ihm redete.

Bevor der Kanadier diesen Gedanken fortführen konnte, gab es eine gewaltige Erschütterung unter ihren Füßen. Ganz in der Nähe musste es eine Explosion gegeben haben.

„Dreimal Hurra, die Konföderation ist da!“, fluchte Rodrigo Esteban und schlug mit den Fäusten wütend auf seine Konsole ein, als die Holotastatur unter seinen Fingern übergangslos verschwand. Auch alle Anzeigen waren erloschen. „Diese verdammten Brüder müssen die Energieerzeuger für diesen Raum vernichtet haben. Hier können wir nichts mehr tun, meine Freunde.“

Gleich darauf war die normale Beleuchtung des Raumes erloschen und die Notbeleuchtung flammte auf.

Dean Corvin sah den Kameraden ahnungsvoll fragend an. „Und das heißt was?“

Es war Rian Onoro, die anstelle des Spaniers antwortete. „Wir müssen zum Ausweich-Kontrollraum, nach unten in den Hangar. Leider auch noch über die Nottreppen, wie es aussieht, was ein ziemlich mühsamer Abstieg werden wird, von hier oben. Der Haken dabei ist, dass sich von dort unten aus keine automatische Sequenz eingeben lässt.“

Sie eilten, geführt von der Technikerin zum Schott, die zum Treppenhaus führte. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hasteten sie den langen, beengten Weg nach unten.

Unterwegs nahm Dean Corvin, der gemeinsam mit Rian Onoro ein Stück vorauseilte, keuchend den Faden wieder auf. „Und wie, bei allen Sternenteufeln, bekommen wir dann den Kreuzer in die obere Schleusenkammer, Feldwebel?“

„Einer von uns muss die Plattform nach oben fahren, sobald alle anderen Überlebenden an Bord sind, Sir. Sie selbst werden zur Steuerung gebraucht, Oberleutnant Esteban ist ebenfalls ungeeignet hier zu bleiben, da Sie ihn nach Ihrem Zwischenstopp auf dem Merkur noch brauchen werden, und Ihr Freund Kimi wird fraglos im Kommandozentrum des Kreuzers gebraucht werden.“

Dean Corvin blickte die Frau an seiner Seite irritiert an. „Merkur? Zwischenstopp?“

Erklärend keuchte Rian Onoro: „Die NOVA SOLARIS ist noch nicht vollkommen, Sir. Zwei wichtige Aggregate, die diesen Kreuzer überhaupt erst zu dem machen, was er ist, weilen noch in einem Forschungslabor auf Merkur. Sie sind erst vor zwei Wochen fertiggestellt worden, und sie sollten erst am nächsten Dienstag geliefert und eingebaut werden. Für den Jungfernflug wären sie nicht benötigt worden, aber nun müssen sie unbedingt abgeholt werden, Sir. Tut mir leid.“

Etwas anderes beschäftigte Corvin im Moment viel mehr. „Sie glauben aber doch nicht, dass wir Sie hier auf dem Mond zurücklassen werden. Die Konföderierten werden diese Basis zweifellos irgendwann überrennen, Feldwebel.“

Die dunkelhäutige Frau erwiderte verzweifelt auflachend: „Glauben Sie etwa, ich wüsste das nicht, Sir? Aber die NOVA SOLARIS muss unbedingt entkommen, und es gibt nun einmal keine Alternative, damit ist klar, dass ich es bin, die hier bleiben muss.“

Esteban und Kimi holten sie ein und gemeinsam erreichten sie endlich die untere Ebene des Hangars. Zum Durchgang in den eigentlichen Hangarbereich mussten sie durch den Notkontrollraum, und als Rian Onoro sich an die Konsole setzte und sie aktivierte blieb Dean Corvin hinter ihrem Sitz stehen. Dabei registrierte er nur unterbewusst, dass der Hangar inzwischen im grellen Licht der Tiefenstrahler lag. Offensichtlich wurden sie nicht aus der eben zerstörten Energiequelle gespeist.

Er gab seinen beiden Freunden ein Zeichen vorauszueilen und wartete, bis er mit Rian alleine im Raum war. Der Frau dabei zusehend, wie sie ihre Finger über die Holotastatur huschen ließ, fragte er mit rauer Stimme: „Gibt es denn wirklich keine andere Möglichkeit, als Sie hier zurück zu lassen?“

Rian Onoro, die rasch das benötigte Schaltbild aufgerufen hatte, wandte sich zu Dean um und erhob sich aus ihrem Sitz. Sie schluckte und antwortete heiser: „Nein, Sir.“

Dann straffte sie sich und fuhr ihn übertrieben grob an: „Verdammt, schwingen Sie endlich Ihren Hintern hier raus und bringen Sie die NOVA SOLARIS in Sicherheit, wenn´s gefällt, Leutnant Corvin!“

Dean Corvin war als habe er einen faustgroßen Eiswürfel im Magen. Er dachte nicht mehr an ihren anfänglichen Zwist, sondern legte seine Hand auf ihren linken Oberarm. Dann fischte er den klobigen Handstrahler aus seiner Beintasche und reichte ihn ihr. „Ich werde wiederkommen und Sie abholen, wenn es nur irgendwie geht. Das ist ein Versprechen.“

„Sie müssen gehen, Sir!“

Mit Tränen in den Augen löste Rian Onoro seine Hand von ihrem Arm. Tapfer bekundete sie: „Ich kenne mich auf der Basis gut aus, Sir. Sobald sie weg sind werde ich eines der Vorratslager plündern und untertauchen. Die finden mich nie.“

Dean Corvin nickte stumm. Er wollte noch etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus. Abrupt wandte er sich ab und rannte durch die Öffnung hinaus in den hell beleuchteten Hangar, in dem die NOVA SOLARIS auf ihren mächtigen Landeschoren ruhte. Blind, die Füße mechanisch bewegend, wie ein Tier rannte.

Während er auf eines der vorderen Schotts des Kreuzers zu hastete verschwamm die Umgebung vor seinen Augen und er musste sich mit der Linken über die Augen wischen. Diese hoch emotionale Reaktion, wegen des ungewissen Schicksals einer Frau die er kaum kannte, überraschte ihn, waren sie doch wie Hund und Katze gewesen, in der kurzen Zeit, die sie sich kannten.

Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ ihn zu Seite blicken. Eines der fernen, seitlichen Schotts, die in diesen Hangar führten war von einer Explosion förmlich zerrissen worden und Trümmerteile davon krachten in der Halle zu Boden. Ein Trupp Schwerbewaffneter ergoss sich in die Halle und erste Plasmaschüsse jagten über ihn hinweg. Heftig fluchend beschleunigte Corvin das Tempo und erreichte, vollkommen außer Atem, die Rampe der rechten, vorderen Schleuse.

In der Schleusenkammer traf er auf Kimi, der ihm mit angespannter Miene entgegen sah. „Da bist du ja endlich.“

Korkonnen zog den Freund ins Innere der Schleusenkammer. „Los, beeil Dich, du wirst dringend im Kommandozentrum gebraucht.“

Deprimiert erwiderte Corvin: „Ja, lass uns hier verschwinden.“

Sie beeilten sich, zur Zentrale des Leichten Kreuzers zu gelangen. Als Dean Corvin Irina Hayes an den Kontrollen der Waffensteuerung erblickte schritt er zu ihr und sagte drängend: „Die Waffensteuerung über Zielscanner dürfte bei der horrenden Missweisung der Systeme nicht allzu viel bringen, Leutnant. Außerdem brauche ich Sie auf dem Kommandosessel. Da ich selbst diesen Kreuzer fliegen muss und Kimi an der Navigation benötige werden Sie die notwendigen Kommandos an die Crew erteilen und mir als Pilot die taktischen Analysen geben.“

Irina Hayes blickte den Kanadier ungläubig an. „Aber das habe ich noch nie gemacht, Sir, und ich glaube nicht...“

Dean Corvin, der mit Irina Hayes zum Kommandosessel gegangen war, drückte sie, mit sanfter Gewalt, an den Schultern in den Sessel und sah ihr eindringlich in die Augen. „Sie schaffen das. Ein Leutnant der an der Sektion-Terra promoviert hat ist mindestens so viel wert, wie ein Hauptmann, der an einer der übrigen Sektionen seinen Abschluss gemacht hat, so viel ist mal sicher. Ich brauche Sie auf dem Kommandosessel, oder wir haben keine Chance das Ding heil über die Runden zu bringen. Und wir müssen uns ein wenig beeilen, denn die Truppen der Konföderation stürmen momentan den Hangar.“

Corvin hatte ganz bewusst etwas dicker aufgetragen und hoffte, dass er die rothaarige Frau damit auf Linie bringen würde. Dabei spürte er ihre innere Unruhe und fügte hinzu: „Ich bin auch nervös, Leutnant Hayes, aber gemeinsam werden wir diese Situation meistern. Dazu wurden wir schließlich ausgebildet, oder nicht?“

Die betont langsam und eindringlich gesprochenen Worte erzielten ihre Wirkung. Bereits etwas ruhiger, als zuvor nickte Irina Hayes tapfer. „In Ordnung, Sir, ich werde mein Bestes geben.“

Dean Corvin lächelte gezwungen aufmunternd. „Genau das wollte ich hören. Bitte geben Sie den Öffnungs-Code für das äußere Panzerschott ein, sobald er sich in der äußeren Hangarkammer befindet und die Hebeplattform die innere Kammer luftdicht verschlossen hat. Zum Absaugen der Atmosphäre werden wir uns keine Zeit nehmen, Sie müssen also die Sicherheitssperre zuvor ausschalten.“

„Verstanden, Sir. Das Innenschott öffnet sich und die Hebeplattform ist bereits auf dem Weg nach oben.“

Dean Corvin nahm die Meldung mit halbem Ohr zur Kenntnis und schickte in Gedanken ein Stoßgebet zu Rian Onoro, sie möge lange genug durchhalten. Dann wandte er sich an Rodrigo Esteban, der sich an die Konsole der Maschinensteuerung saß. Auf die Techniker blickend, die, mehr oder weniger, untätig in der Zentrale herumstanden, wies er ihn an: „Rodrigo, bitte verteile deine acht Leute auf vier der oberen und vier der unteren Waffentürme. Die Ortungssysteme versagen zwar, aber vielleicht können wir uns, mit Hilfe der optischen Visiereinrichtungen, im Notfall eventuelle Angreifer vom Hals halten. Dich selbst möchte ich an den Maschinenkontrollen haben und Nayeli an der Ortung.“

Rodrigo Esteban kümmerte sich um die Ausführung dieser Idee und Nayeli Herández begab sich zur Konsole des Ortungs-Leitoffiziers, während Irina Hayes, als die Hebeplattform ihre Endposition erreichte, über ihre Kontrolleinrichtungen den Öffnungsimpuls für die gewaltigen, über dem Kreuzer befindlichen, Panzerschotts sendete.

Wie das Maul eines riesigen Raubtieres öffnete sich das Panzerschott, wobei rote Warnleuchten an den Innenrändern der beiden Schotthälften aufleuchteten, weil die Atmosphäre zuvor nicht abgesaugt worden war und nun zischend in den Weltraum entwich.

Als auf Dean Corvins Holobildschirm die sternengesprenkelte Schwärze des Weltall sichtbar wurde, überkam ihn ein heftiger Sturm aus verschiedensten Emotionen. Ihn gewaltsam nieder ringend wartete er ungeduldig, bis die Panzerschotts ganz zur Seite gefahren waren, bevor er, mit klopfendem Herzen den Leichten Kreuzer langsam aber konstant aufsteigen ließ. Schnell sicherer werdend steuerte er die NOVA SOLARIS in den freien Raum über dem irdischen Mond und beschleunigte den Kreuzer mit Notwerten. Dabei wandte er sich an Irina Hayes und fragte: „Auf welchen Flugkoordinaten kommen wir am schnellsten zum Merkur?“

Es dauerte nur einen Moment, bevor sie erwiderte: „Kurs: 079,021, Sir.“

„Danke, Leutnant.“

Corvin blickte kurz zu Kimi Korkonnen und flüsterte fast unhörbar: „Ich wollte, es wäre bereits eine Stunde später.“

DER LETZTE WIDERSTAND

 Nachdem sich die Gesamtstärke der Kampfverbände der Konföderation Deneb im Sonnensystem auf mehr als fünfhundert Einheiten belief, wurde auch dem letzten Terraner innerhalb der Terranischen Raumflotte klar, dass das Terranische Imperium mit dem Rücken zur Wand stand.

Jetzt, knapp zwei Stunden nach dem Erscheinen der ersten Feindverbände, lagen die Flottenbasen auf Titan, Mars, Luna und Terra unter schwerstem Beschuss. Den beiden inneren solaren Planeten hatte der Feind bislang hingegen keinerlei Beachtung geschenkt.

Die Heimatflotte hatte versucht sich tapfer gegen die angreifenden Einheiten der Konföderation Deneb zu stemmen, doch die massiven Probleme mit den Ortungssystemen brachte sie hoffnungslos ins Hintertreffen. Die Zielsysteme der terranischen Kriegsschiffe versagten in erschreckender Weise, ebenso wie die Navigationsortung. Bereits mehrmals, während der letzten zwei Stunden, war es zu Kollisionen terranischer Kriegsschiffe gekommen und eine Fregatte war versehentlich von einem eigenen Kreuzer beschossen und schwer beschädigt worden.

Einzig um Titan herum hatten sich einzelne, versprengte Kriegsschiffe für eine Weile halten, und den Kriegsschiffen der Konföderation gegenüber erfolgreich Widerstand leisten können. Aber auch das war in dem Moment vorbei, als mehr als einhundert Einheiten der zuletzt angekommenen Angreifer Kurs auf den Saturn-Sektor nahmen.

Momentan zogen sich die um Titan kämpfenden terranischen Einheiten mehr und mehr in Richtung des Mondes zurück, unter ihnen auch die AURORA, deren Durchbruch zum Mars gescheitert war. Zwar organisiert und verzweifelt das heftige Angriffsfeuer der überlegenen Feindverbände erwidernd, aber zweifellos auf der Flucht vor der immer erdrückender werdenden Übermacht der Gegner.

Viele terranischen Kriegsschiffe dieses Sektors wiesen mittlerweile mehr oder weniger starke Gefechtsschäden auf. Die AURORA hatte mehrere Treffer hinnehmen müssen. Bei einem Torpedoeinschlag waren mehrere Gravos durchgekommen. Ein Teil der Besatzung war bei diesem Einschlag getötet worden, darunter der Kommandant der Fregatte, und der Erste Offizier, Oberleutnant Wei Wei Hu, hatte die Führung des angeschlagenen Raumschiffes übernommen.

Über dem Mars kämpften die mittlerweile spärlichen Reste der verteidigenden terranischen Ersten Raumflotte auf verlorenem Posten. Immer wieder hatten, in den letzten beiden Stunden, verheerende Explosionen das Ende eines Kriegsschiffs der Terranischen Raumflotte bekundet, doch auch der Feind hatte Verluste.

Vor wenigen Minuten war ein starker Feindverband zum Mars durchgebrochen und hatte, in konzentriertem Beschuss mit Fusions-Torpedos, das Taktische Hauptquartier der Terranischen Raumflotte dem Erdboden gleich gemacht. Dabei waren auch mehrere Bezirke der Stadt Red Sands der fast völligen Vernichtung anheim gefallen und mehrere hunderttausend Zivilisten getötet worden.

Auf der NIBELUNGEN stand Generalmajor Azadeh Hazrat wie versteinert im Kommandozentrum des Flaggschiffs. Sie war zwischenzeitlich auf dieselbe Idee gekommen, wie Dean Corvin. Auch sie hatte die Geschütztürme der ihr unterstellten Kriegsschiffe bemannen lassen, und setzte auf ein visuelles Anvisieren der Feindschiffe. Ein Volltreffer blieb immer zwar immer noch ein Glücksfall, aber man erzielte wenigstens dann und wann einen Abschuss.

Doch im Moment war das Ende des ungleichen Kampfes bereits abzusehen, denn die Heimatflotte bestand, inklusive der Kriegsschiffe, die anderen Flottenteilen angehörten, aus insgesamt noch 67 Einheiten, während der Feind lediglich neunzehn Raumschiffe verloren hatte. Zwei Dutzend weitere Kriegsschiffe der Angreifer hatten sich mit mehr oder weniger starken Beschädigungen aus der Frontlinie zurückgezogen und leisteten Unterstützung in den rückwärtigen Sektoren der unvermindert angreifende Armada von Deneb.

Oberst Jen Sriskandarajah warf seiner Kommandeurin einen verzweifelten Blick zu, während er alles daran setzte, mit der NIBELUNGEN und 31 weiteren einsatzfähigen Kriegsschiffen der Heimatflotte, einer Gruppe von 60 durchgebrochenen, feindlichen Kriegsschiffen nachzusetzen, die auf den Kontinent Australien zu hielten. Er hatte soeben, von einem der über Mars befindlichen Kriegsschiffe, die Meldung vom Schicksal des dortigen Hauptquartiers erhalten, und er konnte sich nur allzu gut vorstellen, was dem wichtigsten Kommandozentrum der Flotte, auf Terra, bald blühte.

Als sich ein Teilverband von 20 Feindschiffen löste und auf einen Kurs einschwenkte, der sie über den afrikanischen Kontinent bringen würde, wechselte Azadeh Hazrat verzweifelte Blicke mit Jen Sriskandarajah. Nur fünf Kreuzer der Terraner waren in günstiger Abfangposition für diesen Teilverband und die Kommandeurin der Heimatflotte fluchte erbittert: „Verdammt, wir haben nicht genug Einheiten um beide Feindverbände zu stellen!“

Sie rang einen Moment lang mit sich und entschied dann: „Wir folgen dem Hauptverband! Wenn diese Verbrecher den Komplex des Oberkommandos der Flotte, in Wellington, vernichten, und mit ihm den gesamten Flottenstab, dann können wir endgültig einpacken!“

Oberst Jen Sriskandarajah war versucht etwas darauf zu erwidern, doch ihm war klar, dass pessimistische Betrachtungen in ihrer momentanen Lage nicht sehr hilfreich gewesen wären, auch wenn sie noch so angebracht erschienen.

Sriskandarajah war alles andere, als ein Feigling, doch er war andererseits auch Realist genug um beim aktuellen Stand der Gefechte um das Sonnensystem zu wissen, dass der Kampf im Grunde schon verloren war. Die Übermacht des Feindes wurde immer erdrückender, je länger die Schlacht tobte. Verstärkung durch die übrigen Flottenverbände konnte nicht rechtzeitig eintreffen – auch das wusste der Oberst. Dennoch war ihm bisher nicht der Gedanke gekommen, Generalmajor Hazrat einen strategischen Rückzug vorzuschlagen. Doch bis zu diesem Moment war es nur noch eine Frage der Zeit. Irgendwann würde er nicht umhin können, seiner Vorgesetzten den Vorschlag zu unterbreiten, die Reste der Flotte, für einen späteren Gegenschlag, in Sicherheit zu bringen. Bevor es nichts mehr gab, was in Sicherheit gebracht werden konnte.

Jen Sriskandarajah konzentrierte sich wieder auf das Gefecht.

Als die Angreifer in den Wirkungsbereich der gewaltigen Abwehrgeschütze auf Terra kam, schlug ihnen ein mörderisches, wenn auch durch die Ortungs-Missweisungen ungezieltes Abwehrfeuer entgegen. Auch Torpedos wurden in großer Zahl von Terra aus auf den Feind abgefeuert. Trotz des Handicaps auf Seiten der Terraner trafen mehrere der übermächtigen Plasmaschüsse ihr Ziel und vernichteten fünf der angreifenden Kreuzer, was den Feind zu einer Änderung der Angriffsformation veranlasste.

Das gab den Verfolgern die Chance aufzuholen. Als die Einheiten der Heimatflotte in Feuerdistanz kamen, befahl Azadeh Hazrat: „Wir nehmen die großen Einheiten zuerst unter Feuer. Möglicherweise bricht der Verband den Angriff ab, wenn wir mehrere ihrer stärksten Einheiten vernichten können.“

Jen Sriskandarajah beobachtete seine Vorgesetzte dabei, wie sie ihre Miene verzog, bevor sie sich ruckartig zum Waffenleit-Offizier umwandte und ihm zu rief: „Die Zielsysteme aller Torpedo-Gefechtsköpfe deaktivieren und sie auf Annäherungszündung einstellen. Wir zielen mit dem gesamten Schiff und schießen sie ungelenkt auf die Feindschiffe ab. Navigation, so dicht wie möglich an die Feindschiffe herangehen, ohne dass wir selbst dabei in den Wirkungsbereich der Explosionen geraten.“

Der Waffenleitoffizier hatte kaum bestätigt, als sich Azadeh Hazrat bereits an den Kommunikations-Offizier wandte. „Geben Sie diesen Befehl an alle Flotteneinheiten weiter.“

Sich zu Oberst Sriskandarajah wendend fragte sie erbittert: „Verdammt, warum habe ich daran nicht eher gedacht. Einen ungelenkten Torpedo kann man nicht durch Ortungs-Missweisungen auf einen falschen Kurs bringen.“

Der Inder hatte bereits reagiert und ließ das Flaggschiff näher an die Gegner heranrücken, die sich auf dieses Manöver zunächst keinen Reim machen konnten. Als die vorderen terranischen Einheiten nur noch einhundert Kilometer entfernt waren gab er das Kommando zum Abfeuern der vorderen Torpedos.

Aus den vorderen vier Torpedorohren der Kriegsschiffe jagten die Geschosse auf die feindlichen Raumschiffe, die unbeirrbar ihren Kurs hielten, zu. Offensichtlich nahmen die Kommandanten der Konföderation Deneb den Angriff der Terraner nicht ernst. Sie hielten es nicht einmal für nötig auf die terranischen Einheiten zu feuern.

Fast wütend werdend ballte Azadeh Hazrat auf der NIBELUNGEN ihre Hände und zischte grimmig: „Na, wartet nur.“

Einige Augenblicke später explodierten die abgefeuerten Torpedos in den Reihen der Gegner und vernichteten auf einen Schlag sieben Raumschiffe. Zwei weitere Feindkreuzer drehten mit deutlich erkennbaren Schäden ab. Bevor die restlichen Einheiten der Konföderation Deneb reagieren konnten schlug die nächste Welle von Torpedos ein und riss weitere Breschen in die Reihen der Gegner.

Unterdrückter Jubel brandete in der Zentrale der NIBELUNGEN auf, und Azadeh Hazrat nutzte den Moment um mit tragender Stimme zu sagen: „Geben wir es Ihnen. Lang und schmutzig.“

Neuer Optimismus keimte in den Crews der terranischen Kriegsschiffe auf und selbst Oberst Sriskandarajah hegte die vage Hoffnung, die drohende Niederlage möglicherweise doch noch irgendwie abwenden zu können. Sie alle ahnten nicht, dass in diesem Moment, über dem afrikanischen Kontinent, eine andere, tragische Entwicklung ihren Lauf nahm.

 
 

* * *

 

Auf dem Schweren Kreuzer KARNAK hatte Oberstleutnant Akira Yamagushi den Befehl des Flaggschiffs, in Bezug auf die Zielsysteme der Torpedos, empfangen. Rasch gab er die Anweisungen an den Waffenleitoffizier weiter, wobei er die unkonventionelle Denkweise der Kommandeurin mit einem grimmigen Lächeln quittierte. Dabei dachte er kurzzeitig an seine Frau und seine beiden Töchter, die auf der Erde weilten, und die er zu schützen gedachte. Bis zum Letzten, wenn es sein musste. Bei diesem Gedanken dachte er selbstironisch: Bis zum LETZTEN! Bis zum letzten WAS? Bis zum letzten Raumschiff? Bis zum letzten Plasma-Schuss? Bis zum letzten Atemzug? Er grinste schief und fügte gedanklich hinzu: Wirklich, Akira? Übungen in Rhetorik? Jetzt?

Im nächsten Augenblick war er wieder ganz bei der Sache. Er ließ die zwei Schweren und drei Leichten Kreuzer, über die er momentan das Kommando führte, so vor den anfliegenden Feindschiffen Stellung beziehen, dass sie dem Feind ihre Breitseiten zeigten. Normalerweise war das keine gute Taktik, doch in ihrer augenblicklichen Lage war Feuerkraft wichtig, und in dieser Position konnten die Kreuzer rund dreißig Prozent mehr Torpedos gleichzeitig abfeuern.

Akira Yamagushi besaß dabei die Kaltblütigkeit zu warten, bis der Feind die ersten Schüsse auf sie abfeuerte, bevor er den Befehl gab, mit allem auf den anfliegenden Feindverband zu feuern, was sie hatten.

Grell violette Plasmaschüsse und die bläulich weißen Antriebsstrahlen der Torpedos erfüllten die Schwärze des Weltalls, zweitausend Kilometer über der Erde. Zwei Schlachtkreuzer der Armada von Deneb wurden mit dem ersten Feuerschlag der terranischen Kriegsschiffe schwer getroffen, und brachen, in einer Energieorgie multipler Explosionen auseinander. Ein Zerstörer des Feindes kollidierte dabei mit einem großen Trümmerteil und wurde ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Die übrigen siebzehn Kriegsschiffe der Konföderation erwiderten das heftige Abwehrfeuer der fünf Erdenschiffe, wobei sie immer näher kamen.

Wir werden nicht wanken, und nicht weichen, schwor Akira Yamagushi in Gedanken seine Crews ein. Ihr teuflischen Kriegstreiber müsst schon durch uns hindurch fliegen.

Genau das schien der Verband des Feindes vorzuhaben, denn die Invasoren hielten ihrerseits unerbittlich Kurs. Drei weitere Raumer der Armada vergingen, bevor die ersten zwei Leichten Kreuzer der Terraner explodierten. Doch die drei verbliebenen Terranischen Raumschiffe feuerten was die Kanonen und die Torpedorohre hergaben.

Dann wurde die KARNAK von den grellen Waffenstrahlen gleich mehrerer konföderierter Schlachtkreuzer getroffen. Die Dualschilde des Schweren Kreuzers brach zusammen und mehrere Plasmastrahlen fraßen sich mittig, genau auf Höhe des Kommandozentrums durch die Panzerung des terranischen Kreuzers.

Die Besatzung der Zentrale starb auf der Stelle, ohne es überhaupt zu bemerken. Sie wurde einfach, durch die Hitze der Waffenstrahlen, innerhalb eines Herzschlages vaporisiert.

Drei Torpedotreffer zerrissen den angeschlagenen Kreuzer endgültig, fast in demselben Moment, als auch die beiden verbliebenen terranischen Kreuzer vernichtet wurden. Dabei wollte es das Schicksal, dass ein Trümmerteil der KARNAK, das annähernd so groß war wie ein Viertel des gesamten Schiffes, in Richtung Mitteleuropa, auf die Oberfläche der Erde zu raste.

 
 

* * *

 

Das Ende der fünf terranischen Kreuzer wurde auf dem Flaggschiff der Terranischen Ersten Raumflotte beinahe nebenbei registriert. Im Augenblick hatte die Besatzung des Schlachtkreuzers NIBELUNGEN auch wichtigere Dinge zu tun. Zum Beispiel heil aus diesem ganzen Schlamassel zu entkommen.

Hatten die 32 terranischen Kriegsschiffe den Feind zunächst überraschen können, fiel dem Feind nun ein Kriegsschiff nach dem anderen zum Opfer. Nur noch 21 terranische Raumschiffe waren von dem ursprünglichen Verband, der den durchgebrochenen Einheiten der Konföderierten gefolgt waren, übrig geblieben. Trotz aller Anstrengungen der terranischen Flottenschiffe hatten es schließlich fünf schwere Einheiten der Armada von Deneb geschafft, sich über der Stadt Wellington zu positionieren. Gnadenlos eröffneten ihre Geschütze, unterstützt von einem Schwarm Torpedos, das Feuer auf den Komplex des Oberkommandos der Terranischen Flotte.

Hilflos und zornbebend erlebte die Zentrale-Crew der NIBELUNGEN, wie fürchterliche Explosionen in schneller Folge den gesamten Komplex, und weite Teile der Stadt Wellington selbst, zerstörten.

Mit Tränen in den Augen wandte sich Oberst Jen Sriskandarajah von dem Geschehen auf dem Hauptbildschirm der Zentrale ab und packte Azadeh Hazrat, die wie paralysiert wirkte, fest am Oberarm. „Generalmajor, es ist zu spät. Jetzt müssen wir versuchen zu retten was noch zu retten ist, wenn es eine Aussicht auf eine spätere Revanche geben soll.“

Ein wildes Aufbegehren lag im Blick der angesprochenen Frau. Sie konnte nicht umhin an ihren Freund zu denken, und an ihre beiden Töchter. Sie im Stich zu lassen erschien ihr ungeheuerlich, und im ersten Moment fehlte nicht viel und sie hätte den Oberst, ob seiner vorangegangenen Worte, geohrfeigt. Doch in demselben Moment passierte das, was sie letztlich zu einer hervorragenden Flottenkommandeurin hatte werden lassen. Die Ratio gewann drängend die Oberhand. Azadeh Hazrat musste, wenn auch mit ohnmächtiger Hilflosigkeit, zugeben, dass der Oberst Recht hatte.

Der Zorn wich aus dem Blick der Frau und tief durchatmend legte sie ihre Hand auf die des Obristen. „Ich weiß, Jen. Aber meine Familie lebt dort unten, und alles in mir sträubt sich dagegen, sie im Stich zu lassen.“

„Das tun Sie nicht, Sir. Im Gegenteil, Sie werden dafür sorgen, sie irgendwann vom Joch der Invasoren zu befreien. Das können Sie hingegen nicht, wenn Sie auch die Reste der Flotte sinnlos opfern und wenn Sie selbst dabei umkommen.“

Die Augen der Kommandeurin schimmerten feucht, als sie sich straffte und mit kratziger Stimme befahl: „Kommunikationsoffizier: Geben Sie meinen Befehl zum Rückzug an den Rest der Flotte weiter. Sie sollen sich vom Feind absetzen und den Aufmarschsektor Götterdämmerung ansteuern, soweit sie dazu in der Lage sind. Raumschiffe, die dazu technisch nicht in der Lage sind, sollen sich zum Ausweichsektor Abendrot durchschlagen. Von dort aus setzen wir uns zum Wega-System ab.“

Azadeh Hazrat schluckte nach diesen Worten und biss die Zähne fest aufeinander um das wehe Gefühl in ihrem Innern nicht aufsteigen zu lassen. Verzweifelt wechselte sie einen schnellen Blick mit Jen Sriskandarajah, der ihr zunickte. Sie fand schließlich wieder zu sich selbst und befahl mit gewohnt fester Stimme: „Oberst, die Schlachtkreuzer und die Schweren Kreuzer werden den kleineren Flotteneinheiten Deckung geben, wenn sie sich zurückziehen. Die NIBELUNGEN wird dabei so lange wie nur irgend möglich die Stellung halten. Ich will wenigstens als eine der Letzten das Schlachtfeld räumen.“

„Verstanden, Generalmajor.“

Der Oberst kümmerte sich darum, die entsprechenden Anweisungen an die Crew der Zentrale zu erteilen, während Azadeh Hazrat dadurch die Gelegenheit bekam, ihr emotionales Chaos endgültig wieder in den Griff zu bekommen.

Fast eine Dreiviertelstunde lang dauerte es, bis sich die letzten Einheiten der Heimatflotte aus dem Sol-System zurückgezogen hatten. Nur noch das Flaggschiff und neun Geleitschiffe, die sich ein Rückzugsgefecht mit einigen schweren Feindschiffen lieferte, die ihnen bei ihrer Flucht hart auf den Fersen waren, befanden sich noch vor Ort. Und ein Leichter Experimentalkreuzer, den weder das Terranische Imperium, noch die Konföderation Deneb, auf ihrer Rechnung hatte.

VOLLES RISIKO

 Im Kommandozentrum der NOVA SOLARIS saß Oberleutnant Dean Corvin wie in Trance in seinem Sessel und steuerte den Experimentalkreuzer, von Freund und Feind scheinbar unbeachtet, tiefer ins Innere des Sonnensystems hinein. Der Kreuzer hatte die Umlaufbahn der Venus bereits hinter sich gelassen und hielt mit maximaler Unterlichtfahrt auf den innersten Planeten zu.

Der Merkur.

Sein mittlerer Sonnenabstand betrug rund 58 Millionen Kilometer. Mit nur 4880 Kilometern Durchmesser war der Merkur einer der kleinsten Planeten des Sol-Systems. Die maximale Temperatur auf dem Merkur betrug plus 430 Grad Celsius, die minimale Temperatur etwa minus 170 Grad Celsius. Auf ihm herrschten somit die größten Temperaturschwankungen aller Planeten des Sol-Systems.

Die Kruste, mit einer Dicke von 45 Kilometern, wies keinerlei Plattentektonik auf, weshalb sie sich besonders zum Anlegen unterirdischer Anlagenkomplexe eignete.

Auch gegenwärtig befand sich die, mit Kratern übersäte, Oberfläche des Planeten in einem so gut wie unberührten Zustand. An Bauwerken existierte dort lediglich die hoch geheime, unterirdische Laboreinrichtung, die der Experimentalkreuzer momentan ansteuerte. Dass es außerdem eine weitere geheime Anlage, nämlich eine Ausweich-Zentrale des Oberkommandos der Terranischen Raumflotte gab, war nur einer Handvoll von Menschen im Flottenstab und der permanenten Besatzung dieser Anlage bekannt. Nicht einmal die Spitzen des terranischen Geheimdienstes wussten davon oder kannten gar deren genaue Position.

Von all diesen Dingen nur einen Bruchteil wissend steuerte Dean Corvin die NOVA SOLARIS dem Merkur, und damit auch dem gewaltigen Glutball der Sonne, entgegen.

Zuerst hatte Corvin eine innere Unsicherheit verspürt, denn sein letzter Simulator-Unterricht, war vor mehr als zweieinhalb Jahren, an der Sektion-Terra gewesen. Darüber hinaus war es ein Unterschied zu wissen, dass er nun einen real existierenden Kreuzer in einem tatsächlich stattfindenden Krieg steuerte, in dem dieses Raumschiff tatsächlich zerstört werden konnte, statt im Simulator. Falls hierbei etwas nicht klappte, so würde es keinen zweiten Versuch geben. Kein Ausbilder würde Übungsunterbrechung rufen, falls er diesmal versagte. Der Oberleutnant hatte zu seiner Überraschung feststellen müssen, wie unangenehm schwer die Verantwortung für das Leben von Menschen auf dem Gemüt lasten konnte. Besonders, nach dem Verlust eines geliebten Menschen, wie Tabea Carrick.

Dean Corvin musste sich zwingen, sich ausschließlich auf das zu konzentrieren, was vor ihm, und seinen Begleitern lag, und nicht seinem Schmerz, der aus seinem tiefsten Innern aufzusteigen drohte, zu erliegen. Er atmete tief durch, blickte zu Kimi Korkonnen und wollte ihn fragen, wie er mit dem Verlust fertig wurde, doch dann ließ er es. Dieses Gespräch würde nicht dazu beitragen, dass sie sich auf die Dinge, die vor ihnen lagen, fokussieren würden. Statt dessen starrte er auf den Haupt-Holoschirm, auf dem der Glutball der Sonne bereits fast den gesamten Platz einnahm. Seit einer halben Minute zeichnete sich der Merkur als ein dunkler, etwa Golfball großer, Punkt vor der Sonne ab.

Nach der letzten Berechnung von Kimi würden sie den inneren Planet in ein paar Minuten erreicht haben. Bereits jetzt begann Corvin damit, den Kreuzer zu verzögern, wobei er ein sanftes Vibrieren zu spüren glaubte. Vielleicht bildete er sich dies aber auch nur ein.

Dean Corvin wäre beinahe erschrocken, als hinter ihm die Stimme von Irina Hayes erklang. „In zehn Sekunden auf vollen Gegenschub gehen. Fünf… Vier… Drei… Zwei… Eins… Jetzt...“

„Ich verzögere mit vollem Gegenschub“, bestätigte Dean Corvin mit rauer Stimme und räusperte sich. Etwas verständlicher sagte er danach: „Erbitte Statusbericht der Ortung.“

Nayeli Herández die für einige Momente etwas abwesend gewesen war, blickte bei diesen Worten schnell auf ihre Holodisplays und erschrak. Da waren drei Symbole auf der Taktischen Anzeige, die sie zuvor nicht bemerkt hatte.

Hastig nahm die Mexikanerin einige Schaltungen vor und antwortete, als Dean Corvin bereits fragend in ihre Richtung sah: „Drei Schlachtkreuzer der Konföderation Deneb haben Kurs auf den Merkur genommen, Dean. Offensichtlich ist unsere Flucht doch nicht unbemerkt geblieben. Sie haben aber die Venusbahn noch nicht überschritten, so dass wir ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten Vorsprung haben. Genauer kann ich das, wegen der Ortungs-Missweisungen leider nicht ermitteln.“

Dean Corvin blickte düster, über die Schulter, zu Irina Hayes, bei dieser Meldung, und fragte grimmig: „Was denken Sie, Leutnant Hayes – reichen minimal fünfzehn Minuten um zu landen, die Aggregate aus der Basis zu schaffen und wieder zu starten, ohne von unseren Verfolgern gestellt zu werden?“

Bereits die Blicke der rothaarigen Frau sprachen Bände. „Das glaube ich nicht. Selbst wenn ich mit den verbliebenen Technikern im Sprintertempo die Aggregate herschaffe, so werden wir denen vermutlich direkt in die Arme laufen. Oder besser formuliert: Direkt in die Arme fliegen, Sir.“

„Das wird unsere Flucht aus dem Sol-System auf gar keinen Fall langweiliger machen“, konterte Dean Corvin trocken und verzog das Gesicht. „Ist doch auch was wert.“

Die NOVA SOLARIS brauchte nicht lange, bis sie sich im direkten Landeanflug auf die Geheimbasis befand. Zwei Minuten vor der berechneten Zeit des Aufsetzens bekam Irina Hayes von Dean Corvin ein Zeichen, sich mit den drei verbliebenen Crewmitgliedern in Bewegung zu setzen um rechtzeitig in der Schleuse zu sein, sobald es soweit war.

Irina Hayes und ihre drei Begleiter, einer davon die Frau mit dem gebrochenen Arm, erreichten eine halbe Minute vor der Landung die linke, hintere Schleuse, die auf dem Weg von der Zentrale näher lag, als eine der beiden vorderen. Dean Corvin hatte mit ihr abgesprochen, dass er den Kreuzer dem entsprechend aufsetzen würde. Möglicherweise ging es, bei dem was sie vorhatten, um Sekunden. Bevor sie die Helme ihrer Raumanzüge schlossen vergatterte Irina Hayes die Frau dazu, an der Verriegelung des Schleusen-Schotts auf die Rückkehr von ihr und ihren beiden Begleitern zu warten. Nach ihrer Rückkehr sollte sie umgehend das Schleusen-Schott zufahren und es wieder verriegeln.

Als die Schotthälften zur Seite fuhren war der Kreuzer beinahe unten, und die Raumfahrer blickten auf die Kraterlandschaft, die beinahe jener Mondlandschaft glich, die sie vor einer halben Stunde erst hinter sich gelassen hatten. Irina erkannte eine markante Felsformation wieder und atmete erleichtert auf. Sie waren beinahe über der Geheimbasis. Sie verwünschte im Moment nur die Tatsache, dass die Raumanzüge, die sie aus dem Frachter KIROV hatten, über keine Flugaggregate verfügten. Das hätte ihr Vorhaben sehr vereinfacht. Aber damit musste sie im Moment leben, also nahm sie es hin.

Sie gab den beiden Männern neben sich ein Zeichen, als der Kreuzer, mit einem deutlichen Ruck, auf seinen Landeschoren aufsetzte, und die Schleusenrampe ausfuhr. „Los geht es, Männer!“

Sie stürmten die Rampe hinunter und einer von Leutnant Hayes´ Begleitern meinte amüsiert: „Der Oberleutnant hat den Kreuzer ziemlich hart aufgesetzt. Der hat offensichtlich nicht vor länger als unbedingt nötig hier zu sein.“

„Sie etwa?“, erkundigte sich die rothaarige Frau ironisch. „Still jetzt, da vorne ist der oberirdische Eingang.“

Die beiden männlichen Raumfahrer erkannten den Stahlbau, der unter einem Felsüberhang hervorragend gegen eine zufällige Entdeckung von oben geschützt war, erst als sie noch etwa fünfzig Meter von ihm entfernt waren.

So schnell es bei der geringen Schwerkraft des Merkur möglich war überwanden sie die Entfernung und betraten den Geheimkomplex, nachdem Irina Hayes rasch den Code an der Eingangskonsole eingegeben hatte. Über eine breite Rampe rannten sie hinunter zu einer Front aus Panzerglassit, die den eigentlichen Komplex von der Rampe abgrenzte.

Durch ein zweigeteiltes Schott desselben, transparenten Materials betraten sie den eigentlichen Laborbereich.

Die Lichtleisten an den Wänden und unter der Decke aktivierten sich selbsttätig, als sie eintraten. Verwundert bemerkte Irina Hayes: „Wo ist denn die Besatzung der Basis hin? Hier sollten mindestens einhundert Wissenschaftler und Techniker stationiert sein.“

Die Frau konnte sich auf dieses Rätsel keinen Reim machen und führte ihre beiden Begleiter, darüber grübelnd, in den hinteren Bereich der Halle wobei sie erklärte: „Wir müssen eine Etage tiefer. Es gibt einen Lift, mit dem wir die Aggregate, auf Flugschlitten, hochbringen und zum Kreuzer bringen können.“

„Ein Glück“, erwiderte der Mann, der bisher geschwiegen hatte erleichtert. „Ich hatte schon angenommen, wir würden die Aggregate schleppen müssen.“

Schweigend betraten sie den offenen Lastenaufzug und fuhren nach unten.

Unten angekommen aktivierten sich, so wie zuvor oben, selbsttätig die Lichtleisten an den Wänden und unter der Decke der Halle. Es dauerte eine Weile, bis Irina Hayes sich zurechtgefunden, und die beiden fraglichen Aggregate gefunden hatte.

„Glück muss man haben!“, rief sie zufrieden aus, als sie erkannte, dass die beiden Aggregate, von jeweils etwa einem Kubikmeter Volumen bereits auf einem Flugschlitten platziert worden waren.

Einer der beiden Männer begab sich zur Steuerung des Schlittens, während Irina Hayes das Funkmodul des Multifunktions-Armbandes an ihrem Raumanzug aktivierte, und Kontakt mit Dean Corvin aufnahm. Die Holokugel baute sich auf und gab wenige Augenblicke später das Gesicht des Oberleutnants wieder. „Hier Irina Hayes. Wir sind in der Basis und haben die beiden Aggregate. Allerdings haben wir die Basis verlassen vorgefunden, Sir. Irgendwie merkwürdig, wenn Sie mich fragen.“

Der Oberleutnant auf der NOVA SOLARIS runzelte die Stirn. „Unsere Scanner zeigen in Ihrem Bereich einen langsamen aber stetigen Energieanstieg an. Haben Sie eben zusätzliche Aggregate der Basis hochgefahren?“

„Nein, Sir.“ Das Gesicht der Frau drückte Verwirrung aus. Dann kam ihr ein fürchterlicher Gedanke und sie antwortete hastig: „Moment mal, Sir...“

Sie wandte sich an ihre beiden Begleiter. „Scannen Sie die beiden Aggregate nach Energieemissionen, schnell!“

Es dauerte nur Sekunden bevor einer ihrer Begleiter sagte: „Die beiden Aggregate scheinen ein Energiefeld aufzubauen. Soll das so sein, Leutnant?“

Statt auf die Frage zu antworten schrie sie alarmiert: „Raus hier, Leute! Das sind nicht die Aggregate für den Kreuzer, sondern irgendwelche anderen Höllenmaschinen!“ Sie stürmte in Richtung Aufzug und zerrte dabei einen der Männer, der zögerlich auf die beiden Aggregate blickte, dabei einfach mit sich.

Während sie die obere Halle durchquerten meldete sich Dean Corvin erneut und unterrichtete die drei Raumfahrer davon, dass der Energieanstieg stetig zunahm.

Die Rampe nach oben hastend meldete Irina Hayes über Helmfunk: „Wir kommen mit V-max zur NOVA SOLARIS zurück, Sir! Das da in der Basis sind nicht die Aggregate für unseren Kreuzer sondern vielmehr irgendwelche Replikate, die vermutlich zu einem hinterlistigen Zweck dort unten deponiert wurden. Offensichtlich rechneten die Konföderierten damit, dass wir, falls die NOVA SOLARIS, entgegen der Wahrscheinlichkeit, doch entkommen sollte, damit, dass wir versuchen würden, die beiden Aggregate auf jeden Fall zu bergen und auf den Kreuzer zu schaffen. Ich vermute, dass das Terranische Militär bereits seit längerer Zeit vom Geheimdienst der Konföderation unterwandert wird.“

„Toll!“, quittierte Corvin den knappen Bericht. „Beeilen Sie sich an Bord zu kommen, wir müssen dringend hier weg!“

„Was glauben Sie denn, was wir gerade machen, Sir!“

Ein unterdrücktes Schnauben war die Antwort, bevor Corvin die Verbindung unterbrach. Die beiden Männer hatten einen kleinen Vorsprung und Irina Hayes beeilte sich, sie wieder einzuholen. Kurzatmig erreichte sie zwei Meter hinter ihren Begleitern die Rampe und stürmte hinter ihnen die Rampe zur Schleuse hinauf.

Die zurückgebliebene Frau schloss das Schott und nahm den Druckausgleich vor. Fragend warf sie Irina Hayes einige Blicke zu und die Rothaarige erklärte von sich aus, noch bevor sich das Innenschott öffnete: „Das war eine verdammte Falle, die richtigen Aggregate wurden vermutlich weggeschafft, zusammen mit der Basisbesatzung.“

Kaum, dass sich die beiden Hälften des Innenschotts vor ihnen teilten hasteten Irina Hayes bereits los, gefolgt von den drei übrigen Besatzungsmitgliedern. Sie wusste, dass Dean Corvin sie dringend im Kommandosessel benötigen würde, angesichts der Tatsache, dass drei Feindraumschiffe hierher unterwegs waren. Das dicke Ende kam erst noch.

Bereits unterwegs bemerkte Irina Hayes an einem leichten Anrucken, dass Corvin den Leichten Kreuzer bereits wieder abgehoben hatte. Vermutlich beschleunigte er den Kreuzer bereits wieder mit Maximalwerten.

Sie erreichte das Kommandozentrum und ließ sich, etwas außer Atem, in den Kommandosessel fallen, wobei sie einen kurzen Blick auf die Taktische Anzeige warf, die Corvin auf dem Haupt-Holoschirm eingeblendet hatte.

Die drei Schlachtkreuzer der Konföderation Deneb waren offensichtlich eher fünfzehn als zwanzig Minuten hinter ihnen gewesen, denn sie näherten sich bereits aus drei verschiedenen Vektoren der NOVA SOLARIS. Sie konnten dem Feind nur seitlich ausweichen, denn hinter ihnen lag der Merkur und zwischen den drei Schlachtkreuzern hindurch zu fliegen kam von Vornherein nicht in Frage.

Nur am Rande bekam Irina Hayes mit, wie Nayeli Herández meldete, dass es auf dem Merkur zu einer heftigen Explosion gekommen war. Vermutlich war dabei die gesamte Geheimbasis zerstört worden. Fragend blickte sie zu Corvin. „Wie gedenken Sie diesen drei Schlachtkreuzern zu entkommen, Sir?“

Unterbewusst nahm Dean Corvin die Blicke seines besten Freundes wahr, der zu seiner Linken saß und nicht weniger angespannt wirkte, als er selbst. Corvins grau-blaue Augen fingen kurz den Anblick seines Freundes ein und für einen kurzen Augenblick lang überkam ihn ein merkwürdiges Déjà-vu Gefühl.

„Mit einem Manöver, dass die uns niemals zutrauen würden“, antwortete der Kanadier vage, ohne sich dabei umzuwenden.

Im nächsten Moment hatte er bereits wieder alle Hände voll damit zu tun, den Kreuzer aus der Schusslinie des Gegners zu halten, wobei er das modernste Kriegsschiff des Terranischen Imperiums genau zwischen den drei gegnerischen Schlachtkreuzern hindurch zu manövrieren gedachte.

Kimi Korkonnen, dem dieses Manöver, während ihrer Ausbildung auf der Venus, nur zu gut im Gedächtnis geblieben war, wusste, dass es dieses Mal keine Alternative gab: „Das, was du da offensichtlich vorhast, ist keine gute Taktik, Dean, aber das hat dir ja bereits Andrea, vor Jahren auf der Venus, gesagt.“

„Wir werden weg sein bevor die bemerken was ich vorhabe“, gab Corvin, beinahe in demselben Wortlaut, wie damals, zurück. Heute jedoch war er dabei nicht so übermütig unterwegs, wie seinerzeit im Simulator-Raum, an der Sektion-Venus.

Diesmal war es eine Frau namens Irina Hayes, die ihn mit fassungsloser Miene anblickte und erklärte: „Sie wollen zwischen den drei Feindschiffen hindurch? Das ist doch der helle Wahnsinn, Sir!“

„Ich brauche Ihre Statusmeldungen!“, versetzte Corvin ruhig. „Nennen Sie mir den günstigsten Kurs, nachdem wir durchgebrochen sind, um erst einmal außer Waffenreichweite zu gelangen. Am besten werden wir auf die Sonne zu beschleunigen, auf einem tangentialen Kurs um sie herum beschleunigen und dabei den Katapult-Effekt nutzen, um unseren Verfolgern zu entkommen.“

Die Ruhe des Mannes verwunderte Irina Hayes, wobei sie fragend zu Kimi Korkonnen sah, als dieser über die Schulter zu ihr blickte.

„Das macht er nicht zum ersten Mal?“

Kimi Korkonnen grinste schief. „An der Akademie sprechen die Ausbilder der Sektion-Venus vermutlich heute noch von diesem Manöver.“

„Und…?“

Kimi Korkonnen deutete mit dem Daumen nach unten, und wandte sich ab.

Fassungslos sah Irina Hayes auf die Rücken der beiden Männer, wobei ihr der Gedanke kam, mit vollkommen Verrückten unterwegs zu sein. Doch sie konzentrierte sich und gab Corvin laufend die Entfernungen der drei Schlachtkreuzer, und die Flugvektoren durch. Dabei verspürte sie ein Gefühl in ihrer Magengegend, das sie normalerweise dazu veranlasst hätte, mit Volldampf zur Toilette zu rennen.

Schnell blickte sie in die Runde. Anscheinend stellte sonst niemand die Entscheidung des momentanen Kommandanten des Kreuzers in Frage.

Mitten in ihre Gedankengänge hinein bemerkte Corvin: „Das Manöver wird funktionieren, Leutnant Hayes. Es hätte auch damals im Simulator funktioniert, wenn diese seelenlosen Automaten den menschlichen Faktor hätten erfassen können.“

Es war soweit.

Von drei Seiten wurde der Leichte Kreuzer unter Feindfeuer genommen und Dean Corvin nahm schnell und sicher die notwendigen Schaltungen vor, um den Kreuzer auf einen Kurs zu zwingen, den die Zielscanner der drei feindlichen Kriegsschiff nur schwer vorausberechnen konnten.

Acht einsame Raumfahrer in acht Geschütztürmen der NOVA SOLARIS gaben ihr Bestes, um das Feindfeuer zu erwidern, doch ihr Feuer lag bestenfalls ungenau.

Nayeli Herández beobachtete den Anstieg des Energieverbrauchs der Dual-Schilde und meldete: „Schilde sind bei fünfzigprozentiger Belastung.“

„Verstanden, Nayeli.“

Dean Corvin wandte sich an Rodrigo Esteban, ohne ihn direkt anzusehen. „Rodrigo, bereite unsere Backbordtorpedos zum Abschuss vor. Sobald sie draußen sind rotiere ich den Kreuzer um die Längsachse und du machst die Steuerbordtorpedos klar. Achtung – noch Drei… Zwei… Eins… Feuer!“

Ein leichtes Zittern durchlief das Raumschiff und Corvin führte das angekündigte Manöver aus. Wieder zählte er einen Drei-Sekunden-Countdown herunter, und Rodrigo Esteban feuerte erneut eine Breitseite Torpedos, mit abgeschalteten Suchköpfen.

Auf der Taktischen Anzeige wurde erkennbar, dass Dean Corvin mit dem Schiff hervorragend gezielt hatte, denn jeweils zwei der abgefeuerten Torpedos lagen im Ziel.

In den vier gewaltigen Explosionen wurden zwei der drei Schlachtkreuzer schwer beschädigt. Einer von ihnen wurde kurz darauf, im hinteren Bereich, von mehreren Plasma-Strahlen getroffen und Trümmerteile wirbelten aus diesem Bereich davon. Der getroffene Schlachtkreuzer begann unmittelbar danach zu trudeln und verlor Fahrt.

Unterdrückter Jubel brandete in der Zentrale der NOVA SOLARIS auf. Dean Corvin hatte dabei nicht einmal genug Zeit um zur Seite zu blicken. Er bekam von Irina Hayes umgehend den günstigsten Fluchtvektor und steuerte den Kreuzer weg von dem verbleibenden unbeschädigten Schlachtkreuzer.

Innerlich über das fantastische Beschleunigungsmoment des Experimentalkreuzers jubelnd konnte Corvin einen Vorsprung herausholen, der ihn aus dem Feuerbereich des Feindes brachte. Schnell rief er Irina Hayes zu: „Wir sind durch. Ich brauche jetzt die Koordinaten für einen Kurs, der uns in Richtung Hyaden bringt, sobald wir die Sonne hinter uns lassen. Die SATURN befindet sich zur Stunde im direkten Anflug auf das Sonnensystem. Wir müssen sie, und ihre Geleitschiffe, abfangen damit sie nicht in eine Falle fliegen.“

„Sofort, Kommandant!“

Die übrigen anwesenden Überlebenden horchten auf, bei den Worten der rothaarigen Frau. Bisher hatte sie Corvin stets mit seinem Rang oder mit Sir angesprochen. Das gerade hinter ihnen liegende Manöver hatte etwas an Bord verändert, und nichts hätte das besser zum Ausdruck bringen können, als diese zwei einfachen Worte von Irina Hayes.

Alle Anwesenden in der Zentrale wurden von einem Gefühl der Zuversicht erfasst, zum ersten Mal seit dem Angriff der Armada von Deneb.

Es war Kimi Korkonnen, der diese Stimmung trübte, indem er meldete: „Die Heimatflotte hat sich zurückgezogen. Gerade verlassen die letzten zehn Einheiten das Sol-System. In Richtung Wega-System, wenn ich raten müsste.“

„Der Katapult-Effekt hat bereits eingesetzt“, lenkte Corvin ab. „Der schwerfällige Schlachtkreuzer bleibt weiter zurück.“

„Ich würde nicht zu früh jubeln“, mahnte Irina Hayes. „Die haben sicherlich bereits einen Funkruf abgesetzt, mit der Bitte um Verstärkung.“

Dean Corvin sah über die Schulter zu Irina Hayes. „Ganz bestimmt, aber deren Einheiten können innerhalb der Erdbahn ebenso wenig in den Hyperraum springen, wie wir. Bitte geben Sie mir einen Fluchtvektor, der uns zu einem Punkt im Raum bringt, von dem aus wir auf Überlichtgeschwindigkeit gehen können, bevor die uns erreichen können.“

Irina Hayes bestätigte und wertete die Daten aus, die Kimi Korkonnen auf das Holodisplay ihrer hufeisenförmigen Konsole übertrug. Innerhalb einer Minute hatte sie einen Kurs ermittelt, auf dem die NOVA SOLARIS gute Aussichten auf ein Entkommen hatte. Der Schlachtkreuzer der Konföderation war weit zurückgeblieben.

Es ergab sich eher zufällig, dass der Leichte Kreuzer, bei seiner Flucht aus dem System heraus, die Erde in Ortungsreichweite passierte.

Rodrigo Esteban war es, der von den Kontrollen der Ortung einen gequälten Laut von sich gab und erschüttert meldete: „Mehr als zweihundert Kriegsschiffe der Konföderation haben die Erde eingekreist. Ich empfange deutliche Energieemissionen, die auf Waffenfeuer schließen lassen. Mehrere Dutzend Energieausbrüche auf der Oberfläche Terras. Einer davon besonders stark dort, wo die Hauptstadt liegt, ein anderer, ebenfalls stärker als alle anderen, in der Gegen von Zentraleuropa.“

Tonlos fragte Dean Corvin: „Sind wir nahe genug für eine taktische Anzeige?“

Es dauerte einen Moment, bevor der Spanier antwortete: „Positiv, aber wir sind nur noch eine halbe Minute in Reichweite.“

„Anzeigen und Aufzeichnen.“

Auf dem Hauptschirm zeichnete sich ein dreidimensionales Bild der Erde ab. Die Taktische Anzeige zeigte dabei zwei gewaltige Explosionsorte und mehrere geringfügiger verwüstete Sektoren, in leuchtend roter Farbe, an. Ein weiterer schien auf der anderen Seite des Planeten zu liegen.

Dean Corvin studierte aufmerksam die Anzeigen und blickte dann erschrocken zu Kimi Korkonnen, der im selben Moment wie sein Freund erkannte, was sich auf dem Holoschirm abzeichnete. Nach Analyse durch den Schiffscomputer waren weite Teile jener Region, aus der Andrea von Garding stammte, vollkommen vernichtet worden. Laut Auswertung des Rechengehirns nicht durch Waffeneinsatz, sondern durch ein abgestürztes Wrack eines terranischen Kriegsschiffes, dessen Energiesysteme und Torpedo-Gefechtsköpfe, nach dem Einschlag, ein katastrophales Inferno heraufbeschworen hatten.

Anders hingegen sah es auf dem nordafrikanischen Kontinent aus. Dort war die Hauptstadt Casablanca, durch massiven Waffeneinsatz, vernichtet worden. Ebenso schien es dem Hauptquartier des Flottenstabes, der Sektion-Terra, und weiten Bereichen der Stadt Wellington ergangen zu sein.

Nach etwas mehr als dreißig Sekunden begann die Abbildung sich allmählich zu verzerren. Schließlich riss der Ortungskontakt ganz ab und Dean Corvin zögerte nicht länger, den Kreuzer endlich in den Hyperraum zu versetzen.

Der Übergang erfolgte ohne irgendeinen sichtbaren, oder sonst wie spürbaren Effekt. Lediglich auf dem Haupt-Holoschirm verschwand die von Sternen gesprenkelte Schwärze des normalen Weltalls und machte einer rot-orangenen, von gelegentlichen gelben Wirbeln und Schlieren durchzogenen, unwirklichen Umgebung platz – dem Hyperraum.

Weit voraus und oberhalb ihres Fluchtkurses erkannte Irina Hayes einen kleinen, verwaschenen Fleck von grünlicher Färbung. Dort stand momentan der Jupiter, dessen Gravitation diese deutlich erkennbare Anomalie im Hyperraum hervorrief. Die junge Frau sah Rodrigo Esteban dabei zu, wie er die Frau mit dem gebrochenen Arm, von den beiden beschäftigungslosen Technikern zur Krankenstation bringen ließ. Beide waren zwar keine Ärzte konnten aber eine notdürftige Erstversorgung in die Wege leiten.

Sie spürte dabei ihre eigene Müdigkeit doch etwas ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte zuvor die Betroffenheit von Corvin und seinem Freund bemerkt. Jetzt da Zeit dafür war, wandte sie sich an Dean Corvin und Kimi Korkonnen und fragte vorsichtig: „Haben Sie beide Familienangehörige in einer der betroffenen Gegenden gehabt?“

Es war Kimi Korkonnen, der antwortete. „Nein, aber wir haben eine Kameradin, deren gesamte Familie in dem Bereich von Europa gelebt hat, der vernichtet wurde. Sie ist auf einem der Kriegsschiffe, mit denen wir in Kontakt treten wollen.“

Dean Corvin, der seinem Freund dankbar dafür war, dass er Irina Hayes geantwortet hatte, ballte in ohnmächtigem Zorn seine Hände zu Fäusten. Dabei tauchten abwechselnd die Gesichter dreier Frauen vor seinem geistigen Auge auf. Nach dem von Andrea das von Kim Tae Yeon, die offensichtlich mit dem Feind paktierte. In seinen Augen trug sie damit einen Gutteil der Schuld an dem, was passiert war. Zuletzt sah er das Abbild jener Technikerin vor sich, die er auf Luna hatte zurücklassen müssen und leise murmelte er: „Ich komme wieder.“

PLANSPIELE UND TAKTIKEN

 Rund 900 Lichtjahre vom Sol-System entfernt wanderte Generalleutnant Hilaria Inira Mbena, wie eine gefangene Löwin, unruhig in ihrem Dienstbüro herum. Bei ihr waren die drei Kommandeure der Vierten, Achten und Neunten Flotte. Zusätzlich hatte sie die drei Flaggschiff-Kommandanten, Oberst Nurcan Sen, Oberst Pjotr Nikita Komarov, und Oberst Nestor García Díaz sowie den Befehlshaber der Planeten-Basen und Abwehrforts des Delta-Cephei Sternensystems, Brigadegeneral Guido Camparelli, zu dieser äußerst dringenden und kurzfristig einberufenen Lagebesprechung eingeladen.

Auch in diesem Raumsektor war der Jahreswechsel, nach terranischer Standardzeit, ausgiebig gefeiert worden, und dem entsprechend übermüdet wirkten alle Anwesenden, jetzt um 08:30 Uhr terranischer Standardzeit.

Hilaria Mbena hatte bereits eine Ordonanz damit beauftragt ein paar Kannen mit schwarzem Kaffee zu besorgen, denn auch im Anschluss an diese Besprechung würde keiner von Ihnen zunächst Ruhe finden können. Momentan war sie, als einzige Person in diesem Büro, von den Vorgängen im Sol-System unterrichtet, da die Reichweiten der Hyperfunk-Geräte auf Raumschiffen viel zu beschränkt waren, um ungerichtete Funksprüche aus einem so weit entfernten System, wie dem Sol-System, zu empfangen. Die zwei gerichteten Funksprüche, von denen der letzte vor etwa einer halben Stunde auf Outpost empfangen worden war, hatten hingegen eine so enge Bündelung besessen, dass sie nur im Bereich der planetaren Polstationen, und etwa eine Lichtsekunde darüber hinaus, hatten empfangen werden können.

Die Sektoren-Kommandeurin blickte mit flackerndem Blick aus einem der drei hohen Fenster, hinter ihrem Schreibtisch, hinaus – mit einem unguten Gefühl in der Magengrube, weil sie ahnte, dass das, was sie den Anwesenden jetzt mitteilen musste nicht gefallen würde. Die Blicke, die auf sie gerichtet waren, fast körperlich in ihrem Rücken spürend, drehte sie sich gefasst um, sah in die Runde. Mit fester Stimme erklärte sie: „Meine Damen und Herren, ich habe Sie hier einberufen, weil die polaren Hyperfunkstationen von Outpost einen offenen und einen zweiten, verschlüsselten Notruf aus dem Sol-System empfangen haben. Der erste enthielt einen zusammenfassenden, offensichtlich überhastet abgesetzten Bericht, der gegen Ende plötzlich abriss. Jegliche Versuche unsererseits, Kontakt zum Flottenhauptquartier herzustellen scheiterten. Der zweite Spruch lief erst vor einer halben Stunde ein.“

Mbena beobachtete die Reaktion bevor sie weiter ausholte. „Aus dem, was wir empfangen konnten, geht zweifelsfrei hervor, dass die Konföderation Deneb das Sol-System, mit einer Gesamtstärke von mindestens fünf Flotten, überfallen, und die solaren Verteidigungsstellungen unter Beschuss genommen hat. Gleichfalls wurden die Einheiten der Heimatflotte angegriffen.“

„Wann fliegen wir los, und mit welchen Flottenteilen?“, preschte Claudine Poirot vor, als sie die Worte der Kommandeurin verdaut hatte.

Damit war der Moment, den Hilaria Mbena gerne noch hinausgezögert hätte, schneller gekommen, als gedacht. Sich innerlich vor der Reaktion wappnend, die fraglos kommen würde, antwortete sie ernst: „Wir bleiben, wo wir sind, Generalmajor Poirot.“

Die Kommandeurin der Achten Terranischen Raumflotte reagierte in etwa so, wie es sich Generalleutnant Mbena zuvor ausgemalt hatte.

Claudine Poirot bedachte ihre Vorgesetzte mit ihrem Sind-Sie-noch-zu-retten-Blick. Den Mund langsam, beinahe wie in Zeitlupe, öffnend, sagte sie endlich heiser: „Ist das wirklich Ihr Ernst, Sir?“

Die Reaktion der übrigen Anwesenden fiel zwar verschieden aus, im Grunde jedoch ähnlich, wie die von Claudine Poirot.

Hilaria Mbena, die sich nur zu gut in die Lage ihrer Untergebenen hineinversetzen konnte, denn auch in Ihr selbst tobte das Verlangen, sofort einen Gegenschlag zu starten, presste die Lippen fest auf einander. Dann erwiderte sie: „Ja, Generalmajor. Glauben Sie mir, ich selbst würde nichts lieber tun, als sofort in Richtung Sol zu starten, und zwar mit allen Kriegsschiffen die wir hier haben, um mächtig dazwischen zu schlagen. Doch da ist noch mehr, fürchte ich.“

Hilaria Mbena blickte erneut in die Runde. Als niemand Anstalten machte Zwischenfragen zu stellen fuhr sie fort: „Zum Ende des Funkspruches hin wurde von hohen Verlusten an Kriegsschiffen und Weltraum-Forts gesprochen. Gegen Ende erwähnte der Funker seltsame Missweisungen bei sämtlichen Ortungssystemen, innerhalb des Systems, von denen auch die Zielscanner aller Plasma-Geschütze, und die Gefechtsköpfe der Torpedos, in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Leider riss der Kontakt zum Strategischen Hauptquartier, auf dem Mars, genau zu dem Zeitpunkt ab, an dem der Kommunikationsoffizier vom Dienst auf die genaueren Umstände dieser Missweisungen eingehen wollte. Aus dem, was er jedoch zuvor übermitteln konnte geht hervor, dass diese Missweisungen nicht natürlichen Ursprungs sein können, und falls das wirklich den Tatsachen entspricht, dann hätten unsere Flotten ein Riesenproblem, sobald sie im Sol-System aus dem Hyperraum fallen. Für diese Annahme spricht, dass von hohen Verlusten die Rede war, denn unter normalen Umständen würde sich der Angreifer, auch wenn er fünf Flotten zum Einsatz bringt, selbst eine blutige Nase holen.“

Bevor Hilaria Mbena die schlimmste Information, die der Funkspruch beinhaltet hatte, weitergab, ließ sie sich von der Ordonanz, die inzwischen den Kaffee hereingebracht hatte, eine Tasse bringen. Sie nahm einen Schluck und schloss kurz die Augen. Tief durchatmend blickte sie endlich wieder ihre Untergebenen an. „Was durch einen sehr kurzen, zweiten Funkspruch, der nicht vom Mars abgestrahlt wurde, noch deutlich wurde ist dies: Die Kommandeurin der Heimatflotte hat, als die Lage unhaltbar wurde, nach der Vernichtung des Flottenhauptquartiers auf Terra, den strategischen Rückzug aller Flottenteile aus dem Sol-System, in Richtung Wega-System, angeordnet.“

Einige Augenblicke herrschte Schweigen nach diesen Worten. Dann sprachen alle Anwesenden gleichzeitig und Hilaria Mbena musste ihre Stimme angeben, um einen drohenden Tumult zu unterbinden. „Ich bitte um Ruhe, meine Damen und Herren! Wir müssen als gegeben annehmen, dass ein Großteil des Flottenstabes bei der Vernichtung des Hauptquartiers getötet wurde, da die meisten führenden Generale bereits dort eingetroffen waren, als der vernichtende Schlag geführt wurde. Wir müssen ebenfalls annehmen, dass das System in diesem Moment bereits unter der Kontrolle der Streitkräfte der Konföderation Deneb steht. Ich habe, in meiner Eigenschaft als Sektoren-Kommandantin bereits die Mobilmachung des mir unterstellten Sektors angeordnet. Des weiteren habe ich, via Hyperfunk, um eine Rückmeldung sämtlicher Flaggoffiziere gebeten, um festzustellen, welcher General momentan der Ranghöchste und dienstälteste ist und somit den Oberbefehl über die Terranischen Streitkräfte inne hat. Falls die Dinge im Sol-System in etwa so stehen, wie ich es vermute, so gehe ich mit der Kommandeurin der Ersten Flotte konform, den Rückzug ins Wega-System zu befehlen. Das Wega-System ist, nach dem Sol-System, die stärkste Festung des Imperiums, und ich gehe davon aus, dass die dortigen Streitkräfte sich bereits gegen einen eventuellen Überfall formieren.“

Wieder blieb es für einen langen Moment still. Diesmal jedoch nutzte die Sektoren-Kommandeurin die Gelegenheit mit ihrer offenen Hand auffordernd zum Kommandeur der Neunten Flotte zu deuten.

Generalmajor Stuart Phillips nickte ihr zu und erhob sich langsam aus seinem Sessel. Er wirkte auf Hilaria Mbena noch am gefassten.

Mit sonorer Stimme bekundete Phillips: „Ich kenne Generalmajor Azadeh Hazrat seit nunmehr drei Jahren, und ich bin mir völlig sicher, dass sie das Sol-System weder kampflos, noch leichtfertig, dem Feind überlassen hat. Wer dennoch an ihren Motiven für einen Rückzug zweifelt, dem sei gesagt, dass sie auf der Erde zwei Kinder und einen Freund hat. Sie würde niemals ihre Familie im Stich lassen, wenn es nicht zwingend, in ihrer Funktion als Flottenkommandantin, sein müsste. Die Lage, vor Ort, scheint also mehr als ernst zu sein.“

Der vierundfünfzigjährige Kommandeur der Neunten Flotte, dessen dunkles Haar an den Schläfen bereits erste graue Strähnen aufwies, setzte sich wieder, und Hilaria Mbena blickte auffordernd zu Hu Xin Fo.

Der schmächtig gebaute Asiat blieb, im Gegensatz zu Stuart Phillips, der von seinen Kollegen zumeist nur kurz Stu genannt wurde, sitzen.

„Die vordringliche Frage, die sich uns nun stellt ist: Was werden wir tun? Ich würde nicht empfehlen, ohne weitere Informationen, aufs Geratewohl das Sol-System anzusteuern. Bis wir dort wären, hätten die Streitkräfte der Konföderation genug Zeit, das System militärisch unter ihre Kontrolle zu bringen und zu befestigen. Wir sollten zunächst einmal, per Hyper-Richtfunk, mit dem Oberkommandierenden im Bereich Wega in Kontakt treten. Abgesehen davon halte ich es für notwendig dieses Sternensystem abzuriegeln und sämtliche militärischen Basen und unsere drei Flotten in volle Alarmbereitschaft zu versetzen. Immerhin ist dieses System von einigem strategischen Wert, falls es die Konföderation nicht beim Überfall auf das Sol-System belassen will.“

Claudine Poirot, die ahnte, worauf der Asiat anspielte, machte eine erstaunte Miene. „Die werden doch nicht so verrückt sein, und auch noch die Farradeen-Allianz zu überfallen. Das kann doch unmöglich ihr Ernst sein?“

Hu Xin Fo lächelte verbindlich und verneigte sich dabei leicht in Richtung der dunkelblonden Frau. „Ich rede nicht von einem Angriff auf die Zentralwelten der Allianz. Ihre Lage im Zentrum der Plejaden schützt sie weitgehend vor einem Überraschungsangriff. Nein, ich rede davon, dass die Außenposten zwischen dem Falken-Nebel und den Plejaden lohnende Ziele darstellen würden, wenn die Konföderation Deneb gegen Delta-Cephei, und unseren Außenposten im Falken-Nebel, loszuschlagen gedenkt.“

„Beides halte ich für sehr wahrscheinlich“, mischte sich Guido Camparelli ein, der ohnehin die gesamte Zeit über, wie auf glühenden Kohlen gesessen hatte. „Ein Krieg mit uns wird die Konföderation Ressourcen kosten und die gibt es in diesem System reichlich. Diese Tatsache eingedenk fällt es schwer, Delta-Cephei zu übersehen, wenn man nach dem vermutlich nächsten Angriffsziel der Konföderation sucht. Bereits im Interstellaren Krieg wurde dieses Sternensystem von uns und den Konföderierten, nicht nur aus diesem einen Grund, heiß umkämpft, wie Sie alle wissen.“

Die dunklen Augen des Südländers suchten in den Gesichtern seiner Kameraden nach Zustimmung. Als sein Blick bei Hilaria Mbena verharrte, nickte die Oberkommandierende und machte eine zustimmende Geste.

„Ihre Ausführungen sind stichhaltig, Brigadier Camparelli. Das ist ein weiterer Grund, unsere drei Flotten hier zu behalten. Ich gedenke jedoch, den Konföderierten eine kleine Überraschung zu bereiten, wenn sie hier auftauchen. Das wird jedoch sicherlich noch einige Wochen dauern, denn der Diktator von Deneb ist zwar ziemlich lästig, aber auch ziemlich fähig, was militärische Strategien betrifft. Er wird sicherlich nicht so dumm sein und seinen Machtbereich von weiteren Einheiten entblößen, solange sich die Hälfte seiner Flotten tief in feindlichem Territorium befinden. Nein, zuerst werden die Verbände im Sol-System dabei unterstützend wirken, die Macht dort zu festigen. Erst dann kann die Konföderation in Erwägung ziehen, einige der Flotten von dort abzuziehen und durch eine, maximal zwei, weitere Flotten, die der Diktator bisher zurückbehalten hat, zu unterstützen. Minimalzeit nach meiner Einschätzung: Eine Woche. Für den Flug in diesen Sektor, und für eine Vereinigung mit weiteren Flotten brauchen sie weitere zehn Tage. Ich schlage vor, die Minimalzeit bis zu einem massiven Angriff auf dieses System mit nur vierzehn Tagen anzusetzen, damit sind wir auf der sicheren Seite. Wir werden also in den nächsten vierzehn Tagen alles daransetzen, den Konföderierten einen warmen Empfang zu bereiten, wenn sie kommen. Jedoch werden wir es so aussehen lassen, als würden wir genau das tun, was man sich auf Denebarran erhofft. Nämlich dass wir unsere Kräfte aufteilen um nach Terra zu eilen, mit allem was wir haben.“

Die Sektoren-Kommandeurin fixierte an diesem Punkt ihrer Ausführungen Claudine Poirot mit ihrem Blick.

„Sie, Claudine, und ihr Kollege Hu Xin Fo werden mit der Vierten- und Achten Flotte in Richtung Terra aufbrechen. Nachdem sie in den Hyperraum eingedrungen sind, werden Sie jeweils drei ihrer Kreuzer weiter Kurs halten lassen, die regelmäßig Funkkontakt zu Outpost halten werden, während sie mit ihren Flotten die, drei Lichtjahre von hier entfernte, Zirkon-Sternenballung anfliegen. Die dort sehr dicht zusammenstehenden Sterne werden die Reststrahlung ihrer Raumschiffsaggregate überlagern, und ihre Flotte vor einer Ortung durch Einheiten der Konföderation schützen. Von dort aus können Sie uns innerhalb von fünfundvierzig Minuten zu Hilfe eilen. So lange kann ich diese Festung auch mit nur einer Flotte, den Geschützen der planetaren Basen, und denen der Weltraum-Forts halten. Und dann werden wir den Konföderierten etwas beibringen, was Militärs früherer Jahrhunderte mitunter gerne als in die Zange nehmen bezeichnet haben. Die weiter auf Terra zu haltenden Kreuzer sollen der Konföderation vorgaukeln, Ihre beiden Flotten würden sich auf das Sol-System zu bewegen. Eine Woche von hier sollen sie, Funkstille haltend, umkehren, damit sie, vor einem eventuellen Angriff der Konföderation rechtzeitig wieder hier sind.“

Hilaria Mbena trank ihren Kaffee aus und blickte danach zu den drei Flaggschiff-Kommandanten, die sich bisher zurückgehalten hatten. Oberst García Díaz direkt ansehend sagte sie, den drei Raumschiffskommandanten zugewandt: „Ich würde gerne auch Ihre Meinung zu der momentanen Lage hören.“

Die drei Obristen wechselten kurze Blicke untereinander und in stillschweigender Übereinkunft begann Nestor García Díaz als Erster seine Meinung darzulegen.

„Sir, ich schätze die Lage, in den Grundzügen, ebenso ein, wie Sie. Zusätzlich schlage ich vor, alle Raumschiffe der Konföderation, die sich auf unseren Territorien befinden, auch die zivilen, zu beschlagnahmen. Wer sich weigert sein Schiff zu übergeben wird einmalig gewarnt und gegebenenfalls anschließend unter Feuer genommen, sollte er, oder sie, sich nicht einsichtig zeigen.“

Nurcan Sen nickte.

„Ich stimme mit Oberst García Díaz überein. Schon im letzten Krieg haben die Konföderierten nicht davor Halt gemacht, zivile, oder als zivil getarnte, Raumschiffe für Spezialoperationen einzusetzen.“

Pjotr Komarov, der es nicht mochte allzu sehr im Vordergrund zu stehen, konzentrierte sich darauf, Generalleutnant Mbena anzusehen, als er mit markanter Bassstimme erklärte: „Worüber wir uns ebenfalls Gedanken machen müssen ist, eine neue Nachschubkette für jene Waren zu etablieren, die dieses System bisher von den Welten des Sol-Systems bezogen hat. Die Versorgung aus Richtung Sol-System dürfte vorerst ausfallen.“

Hilaria Mbena machte eine zustimmende Geste. „Vollkommen richtig, Oberst García Díaz. Darüber werde ich, in einigen Stunden, mit dem Gouverneur von Outpost sprechen.“

Als niemand der Anwesenden weitere Punkte vorbrachte, bat Hilaria Mbena die Anwesenden, ihr ins Lagezentrum zu folgen, wo sie am Holo-Kartentisch taktische und strategische Situationsanalysen trafen.

Erst kurz vor Mittag, nach Terra-Standard, trennten sie sich, und Hilaria Mbena nutzte die Gelegenheit sich zurückzuziehen um noch etwas Ruhe zu finden. Bereits am frühen Abend würde sie sich mit dem Gouverneur treffen und dieses Meeting würde ich zweifellos ebenfalls einige Stunden dahinziehen.

Nach einer heißen Dusche machte sich im Körper der Kommandeurin eine bleierne Schwere breit, was nur zum Teil daran lag, dass sie mittlerweile mehr als sechsunddreißig Stunden lang auf den Beinen gewesen war. Es war gleichfalls die seelische Belastung, der sie ausgesetzt war.

Sie war dabei ihr dünnes, halb transparentes, Nachthemd überzustreifen, als der Interkom auf dem ausladenden Schreibtisch ihres Dienstbüros ein aufdringliches Summen von sich gab.

„Das funktioniert wirklich immer“, seufzte die Frau, warf sich schnell ihren Morgenmantel über und eilte barfuß nach Nebenan. Sich in den bequemen Sessel fallen lassend drückte sie die Sensortaste für den Empfang und wartete, bis sich das Holobild aufgebaut hatte und das Abbild des diensthabenden Funkleitoffiziers zeigte.

Der Offizier ignorierte den Aufzug seiner Vorgesetzten mit unbeteiligter Miene und meldete: „Generalleutnant Mbena, es kommt eine gerichteter Dringlichkeitsspruch aus dem Gebiet des Falken-Nebels herein.“

Hilaria Mbena nickte müde. „Stellen Sie bitte durch.“

Der Funkoffizier bestätigte. Bereits im nächsten Moment verschwand sein Abbild vom Holoschirm und machte dem Konterfei eines Mannes platz, der ihr bekannt war. Sein sympathisch wirkendes Gesicht ließ nicht erkennen was momentan in ihm vorging. Die Rangabzeichen am Kragen seiner Uniform, und die gelben Schulter- und Ärmelstreifen wiesen ihn als Kommandierenden Generalmajor der Terranischen Raumflotte aus. Ganz im Gegensatz zu ihr selbst wirkte der Mann geradezu unverschämt ausgeruht, auch wenn ihm die mentale Anspannung ins Gesicht geschrieben stand.

Hilaria Mbena kannte diesen Mann, denn er hatte für einige Monate unter ihrem direkten Kommando gestanden. Ihm unterstand seit dieser Zeit die Siebte Terranische Raumflotte. Das war zuvor ihr Kommando gewesen, bevor sie in den Rang eines Generalleutnants befördert worden war.

Einige Monate waren eine nicht sehr lange Zeit, doch lange genug um sich ein Bild von diesem Mann zu machen. Sie hatte Jonathan Joseph Montana in der kurzen Zeit als einen Mann kennengelernt, der sehr genau wusste, was er wollte, und wo seine Vorteile lagen. Joe Montana, wie alle Leute, die ihn näher kannten, nannten, hatte es als junger Kadett rigoros abgelehnt, die Akademie-Sektion auf seinem Heimatplaneten, Capella IV zu besuchen. Er hatte gewusst, dass viele der damals besten Raumschiffskommandanten an der Sektion-Venus ausgebildet worden waren, und so hatte er sich in den Kopf gesetzt gleichfalls dort seine Ausbildung zu beginnen, weit weg von Zuhause.

„Guten Morgen, Generalmajor Montana“, begann Hilaria Mbena das Gespräch und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Dann blickte sie an sich herab und zog schnell die offenen Hälften ihres Morgenrocks vor der Brust zusammen. „Was bitte treiben Sie im Falken-Nebel, und was ist der Grund ihres unverhofften Anrufes?“

Für einen Moment zuckten die Mundwinkel des Generalmajors verdächtig, bevor er eine dienstliche Miene aufsetzte und erklärte: „Um den ersten Teil Ihrer Frage zuerst zu beantworten, Generalleutnant: Ich wurde vor einem Monat, unter sehr mysteriösen Andeutungen, von Generalleutnant Melanie MacPherson kontaktiert. Sie kennen die Chefin des Militärischen Geheimdienstes?“

Hilaria Mbena runzelte die Stirn und wurde gleichzeitig hellhörig. „Flüchtig.“

„Nun, sie selbst hat mich Mitte Dezember, mit der Hälfte meiner Flotte, hierher beordert. Um mich mal umzusehen, wie sie es nannte. Dabei wurde einer meiner Schweren Kreuzer von MacPherson zum Merkur beordert. Als er sich meinem Teilverband wieder angeschlossen hatte, war dessen Besatzung um gut einhundert Wissenschaftler und Ingenieure, und um die Chefin des Geheimdienstes, angewachsen. In einem der Laderäume des besagten Kreuzers ruhen seitdem außerdem zwei Aggregate, von deren Funktion oder Bedeutung ich nicht die geringste Ahnung habe.“

Hilaria Mbena machte ein überraschtes Gesicht. „Sie haben Macky… Entschuldigung, ich meinte, Sie haben Generalleutnant MacPherson dabei? Was, zur Hölle, hatte die denn auf dem Merkur zu suchen?“

Generalmajor Montana grinste breit. „Offiziell hat sie Urlaub auf der Venus gemacht. Doch es gab beunruhigende Verdachtsmomente bezüglich eines Maulwurfs im Strategischen Hauptquartier der Flotte, auf dem Mars. Darum hatte sie persönlich ein paar Vorbereitungen getroffen und war, ohne Absprache mit General Gagarin, zum Merkur weitergeflogen. Dort hat sie vor zwei Wochen ein Geheimlabor, einschließlich der beiden schon genannten Aggregate, evakuieren lassen. Mehr weiß ich leider auch nicht. Außer, dass MacPherson Sie offenbar dringend persönlich sprechen möchte.“

„Hm“, machte die Sektoren-Kommandeurin. „Was denken Sie, Generalmajor? Wusste MacPherson von einem bevorstehenden Angriff auf das Sol-System?“

Montana rieb sich seine markante Nase und meinte nachdenklich: „Schwer zu sagen, Sir. Zumindest scheint sie befürchtet zu haben, dass so etwas geschehen könnte, sonst hätte sie nicht diese Maßnahmen ergriffen.“

Hilaria Mbena nickte in Gedanken. „Sie haben noch nichts zum zweiten Teil meiner Frage gesagt, Generalmajor.“

„Na, ja“, wand sich Montana und wurde um eine Spur ernster.

„Nun, es wird Ihnen vermutlich nicht sonderlich gefallen, Sir, aber ich habe die unangenehme Pflicht ihnen zu melden, dass sämtliche Stabschefs und ihre Untergebenen beim Angriff auf Terra getötet worden sind. Diese Nachricht traf, vor wenigen Minuten erst, per Richtspruch, aus dem Wega-System ein und sie ist bestätigt. Nach der Auswertung der bisherigen Verlustmeldungen aus dem Sol-System sind Sie der ranghöchste und gleichzeitig auch dienstälteste Kommandierende Flaggoffizier der Terranischen Flotte.“

„Und damit zweifellos auch ein vorrangiges Angriffsziel für die Konföderation Deneb“, murmelte Hilaria Mbena düster.

Sie hielt für einen Moment lang inne, bevor sie entschlossen zu Montana sagte: „Schicken Sie mir den Schweren Kreuzer mit den beiden seltsamen Aggregaten, zusammen mit Generalleutnant MacPherson hierher. Sie selbst bleiben im Falken-Nebel und halten die Augen offen. Sowohl in Richtung der Farradeen-Allianz, als such in unsere Richtung. Es kann sein, dass Sie uns schon bald zu Hilfe eilen müssen. Ach ja, Generalmajor. Ignorieren Sie alle Statusmeldungen der Vierten- und Achten Flotte, die Sie möglicherweise in der nächsten Woche empfangen werden, haben Sie mich verstanden?“

Generalmajor Joe Montanas Miene bildete ein einziges Fragezeichen, doch Hilaria Mbena war nicht gewillt ihm im Moment mehr zu verraten. Sie beendete das Gespräch mit den Worten: „Wahren Sie Funkstille, bis Sie wieder von mir hören, oder sich bei Ihnen einschneidende Neuigkeiten ergeben, Generalmajor Montana. Mbena, Ende.“

Die Sektoren-Kommandeurin deaktivierte die Verbindung, lehnte sich dann in ihrem Sessel zurück und fuhr sich mit den Fingern über die geschlossenen Augen.

Ich werde nicht darum herum kommen, eine Rede über Hyperfunk zu halten, und somit der Flotte Präsenz zu zeigen, überlegte sie dabei. Aber nicht übermüdet, und schon gar nicht in diesem Aufzug. Was für einen Eindruck würde das machen?

Bei diesem Gedanken öffnete sie mit spitzen Fingern den Morgenmantel und blickte prüfend auf ihre üppigen Brüste, die sich mit ihren großen, dunklen Spitzen deutlich durch den Stoff ihres Nachthemdes abzeichneten. Sie schloss, in der Erinnerung an vorhin, entsagungsvoll ihre Augen und seufzte leise: „Na, ganz toll, Hilaria, altes Mädchen. Das wird dem hiesigen Funkleitoffizier dieser Basis und Generalmajor Montana hoffentlich keinen allzu großen Schock versetzt haben.“

Dann begannen sich ihre Gedanken wieder um das zu drehen, was nun vor ihr lag. Nach ein paar Minuten erhob sie sich und schlurfte hinüber in den Schlafraum ihres Quartiers. Sie benötigte dringend etwas Ruhe, bevor sie die Probleme angehen konnte.

 
 

* * *

 

Zur selben Zeit stand Arolic Traren neben Chiara Halloran im Kommandozentrum der STELLARIS und brütete vor sich hin. Ein Flottenverband der Konföderation Deneb hatte offensichtlich auf zehn Einheiten der Mondschatten-Flotte gefeuert und sie, bis auf den Schweren Kreuzer SILBERFALKE, vernichtet. Das kam quasi einer Kriegserklärung gleich. Doch es war nicht unwahrscheinlich, nach allem, was Traren seitdem erfahren hatte, dass diese Attacke überhaupt nicht der Allianz gegolten hatte. Nach Auswertung aller erhältlichen Fakten stand für Traren nun vielmehr fest, dass die Einheiten der Allianz schlicht für Terraner gehalten, und deshalb angegriffen worden waren.

Doch das machte die Lage nicht besser, denn ein längerer Krieg zwischen der Konföderation Deneb und dem Terranischen Imperium würde zweifellos auch Konsequenzen für die Welten der Allianz zeitigen.

Erst vor einer halben Stunde hatte er ein ausgiebiges Gespräch mit dem Stabschef der vereinigten Raumflotten der Farradeen-Allianz geführt und ihm dabei ausführlich geschildert, was sich nach der Aussage des Kommandanten der SILBERFALKE zugetragen hatte. Dabei hatte er vom Flottenchef das Oberkommando über die Sonnenwind-Flotte, die Sternenlicht-Flotte, und die Mondschatten-Flotte, die sich auf dem Weg zu diesem Punkt, dicht an der Grenze zum Terranischen Imperium, befand erhalten. Seine Aufgabe würde es sein, an der Grenze zum Imperium zu patrouillieren und alle eventuellen Angreifer davon abzuhalten, in das Gebiet der Farradeen-Allianz einzufliegen.

Arolic Traren hatte vor, die drei Flotten so im Raum zu verteilen, dass sie, einige Lichtjahre außerhalb der Grenzen des offenen Sternenhaufens Plejaden, ein Dreieck bildeten dessen Spitze in Richtung Sol zeigte, denn dort gab es momentan die größte Flottenkonzentration der Konföderation Deneb. Aus diesem Grund sollte auch seine eigene Flotte diese Spitze bilden. Falls es wirklich zum Äußersten kommen sollte, so wollte er im Zentrum des Geschehens sein.

Vor wenigen Minuten erst hatte er vom Kommandanten des Aufklärungszerstörers KOMET, den er zum Ort des Überfalls auf die Allianzschiffe entsandt hatte, die Bestätigung erhalten, dass es keine weiteren Überlebenden gegeben hatte. Neun Crews der Flotte hatten dort draußen ihr eisiges Grab gefunden.

Beim Gedanken an die Hinterbliebenen der Opfer überkam den Generalmajor ein heiliger Zorn. Irrtum hin oder her, eine solche Tat durfte, seiner Meinung nach, nicht ohne Konsequenzen bleiben. Oder man würde den Aggressoren Tür und Tor öffnen.

Vom General der Raumflotten von Farradeen hatte Traren gleichfalls vom Überfall auf das Sol-System erfahren. Was sich zunächst für ihn nach einer Wahnsinnstat angehört hatte, schien sich mehr und mehr als eine meisterhafte Strategie zu entpuppen, denn die Terraner schienen den Kampf um das Sol-System verloren zu haben. Noch waren die Meldungen nicht bestätigt, und Arolic Traren zerbrach sich seitdem den Kopf, wie es die Konföderation Deneb es angestellt haben mochte, die Truppen des wohl am besten befestigte Sternensystem des bekannten Universums zu überrumpeln. Falls die Meldungen jedoch nicht maßlos übertrieben waren, so würde das bedeuten, dass die Konföderation Deneb quasi jedes Sternensystem einnehmen konnte, und ein leiser Schauer rann Traren bei diesem Gedanken über den Rücken. Denn das würde bedeuten, dass sämtliche Militärs der Allianz die militärische Stärke der Konföderation bisher eklatant unterschätzt hatten.

Arolic Traren hatte im Anschluss Chiara Halloran über die neuesten Meldungen in Kenntnis gesetzt. Auch sie hatte sich verwundert und erschrocken gezeigt, als er auf die angeblich hohen Verluste auf Seiten der Terraner zu sprechen gekommen war.

Oberst Halloran schien im Moment dieselben Überlegungen anzustellen, wie er selbst, denn mitten in seine trüben Gedanken hinein fragte sie: „Wenn die Meldungen wirklich auf Tatsachen beruhen, Sir, wie mag sich die Niederlage der Terraner zugetragen haben? Bereits während des Interstellaren Krieges von 2950 galt das Sol-System als uneinnehmbar.“

„Ich bin mir sicher, dass es da noch einige Unbekannten in der Gleichung gibt, von denen wir weder wissen, noch etwas ahnen, Chiara“, beruhigte der Generalmajor sie. „Fest steht, dass wir einige der Unbekannten sehr schnell enträtseln müssen, damit uns nicht irgendwann dasselbe Schicksal droht, wie den Terranern.“

„Sie denken also, wir sollten uns auf gar keinen Fall aus diesem Konflikt heraushalten, Sir? Das würde einen neuen, umfassenden Krieg heraufbeschwören.“

„Dieser Krieg spielt sich doch bereits direkt vor unserer Tür ab“, hielt Traren ihr entgegen. „Was passieren wird, wenn wir bei diesem Konflikt stillhalten, und die Konföderation ihn gewinnen sollte, das können Sie sich doch wohl denken, Chiara. Wir werden in diesem Fall die Nächsten sein, trotz der geschützten Lage unserer Zentralsysteme. Denn glauben Sie mir, dieser machtgierige Diktator auf Denebarran wird sich nicht mit dem Terranischen Imperium zufriedengeben, sofern es ihm gelingen sollte es zu kontrollieren.“

Chiara Halloran hob fragend die Augenbrauen. „Was macht Sie so sicher, dass sich die Konföderation Deneb nicht zunächst einem der anderen beiden Sternenreiche zuwenden wird, Generalmajor?“

Traren grinste schief.

„Das Antares Sternenreich fällt nach meiner Meinung schon einmal kategorisch aus, denn beide Sternenreiche paktieren seit dem Ende des Interstellaren Krieges miteinander. Das ist ein offenes Geheimnis, wenn Sie mich fragen, Chiara. Den Bund von Harrel wiederum anzugreifen wäre unlogisch, da dieser Machtbereich zu weit außerhalb der strategisch wirklich wichtigen Sternensysteme liegt. Nein, die Plejaden bilden ein Machtzentrum, das der Diktator von Denebarran nicht in seinem Rücken dulden wird. Denn eins ist klar: Würde die Konföderation Deneb auch den Bund von Harrel angreifen, so wäre eine Waffenallianz zwischen uns und den Terranern die zwingende Folge davon. Darum wird sich die Armada von Deneb zuerst gegen uns wenden, sollte das Imperium fallen.“

Bevor die Kommandantin der STELLARIS etwas auf Trarens Worte erwidern konnte, meldete der Kommunikationsoffizier: „General, eine Meldung des Stabschefs kommt herein.“

„Auf den Haupt-Holoschirm legen, und den Bord-Interkom zuschalten!“

Arolic Traren hatte während seiner Militärzeit die Erfahrung gemacht, dass es manchmal von Vorteil war, die Besatzung direkt über wichtige Entscheidungen der obersten militärischen Ebene zu informieren.

Auf dem Holoschirm wurde das Abbild des Flottenchefs, General Faora Ty-Verrin sichtbar. Das markante, energische Gesicht der Endfünfzigerin verriet noch nichts von dem, was sie mitzuteilen hatte.

Arolic Traren trat einen halben Schritt vor und erkundigte sich: „Was kann ich für Sie tun, General?“

Die grünen Augen des Stabschefs der Flotten von Farradeen drückten sowohl Sorge, wie auch Entschlossenheit aus, als sie mit heller Stimme antwortete: „Generalmajor Arolic, ich gebe Ihnen hiermit Order, vorerst allen Kriegsschiffen des Terranischen Imperiums uneingeschränkte Hilfe zu gewähren, sollte dies sich als notwendig erweisen. Als Stabschef habe ich die Autorität, solche Order auch ohne eine offizielle Entscheidung des Rates zu erlassen. Der Allianzrat tagt momentan in einer Krisensitzung und berät über mögliche politische wie militärische Konsequenzen des hinterhältigen Überfalls der Armada von Deneb auf das Terranische Imperium. Ich gehe davon aus, dass der Rat den Überfall scharf verurteilen, und von der Regierung auf Denebarran den sofortigen Rückzug aus dem terranischen Territorium fordern wird. Für den Fall, dass die Konföderation das Sol-System hingegen tatsächlich annektiert, so habe ich vom Verteidigungsminister erfahren, wird der Ratspräsident im Senat für ein Beistandsabkommen mit dem Imperium plädieren. Sie wissen, was das bedeuten würde, bereiten Sie sich also entsprechend darauf vor.“

Arolic Traren nickte ernst. „Haben Sie weitere Befehle für mich, General?“

„Ja, Traren. Sie werden vorläufig die Funktion des Kommandeurs über die drei zusammengezogenen Flotten behalten. Den Oberkommandierenden der Flotten und seinen Stellvertreter benötige ich momentan dringender auf Farradeen. Sie erhalten von mir, in Bezug auf meine vorangegangenen Anweisungen, die volle Entscheidungsgewalt. Trotzdem ersuche ich Sie darum, eine offene Entfaltung militärischer Gewalt zu vermeiden, solange Ihre Einheiten nicht angegriffen werden. Ich werde Sie wieder kontaktieren, sobald der Rat eine erste Entscheidung zu den aktuellen Ereignissen getroffen hat. General Ty-Verrin, Ende.“

„Verstanden, General. Traren, Ende.“

Nachdem die Verbindung unterbrochen war, wandte sich Traren wieder der Schiffs-Kommandantin zu. „Lassen Sie die Kommandeure der beiden anderen Flotten informieren. Weisen Sie sie außerdem an, ab sofort permanent Alarmübungen der Crews durchführen zu lassen. Ich will, dass die Mannschaften in Höchstform sind, falls man uns wirklich an den Kragen will, Chiara.“

„Ihre Sprache ist wie immer sehr blumig“, flüsterte die Kommandantin amüsiert, bevor sie lauter den Befehl bestätigte und der Crew entsprechende Anweisungen erteilte.

DER KURIER DES VIERTEN REITERS

 Als die NOVA SOLARIS, nach etwas mehr als fünf Stunden, rund zwanzig Lichtjahre außerhalb der Bahn des solaren Planeten Eris, aus dem Hyperraum fiel, war der kleine Verband, zu dem die SATURN gehörte, dabei zur letzten Hyperflug-Etappe anzusetzen, die sie direkt bis ins Sol-System bringen sollte.

Dean Corvin atmete erleichtert auf, als Nayeli Herández meldete, dass sie eine Verbindung zu dem Schlachtkreuzer hergestellt hatte.

Corvin wies sie an, den Kanal zur SATURN freizugeben. Er selbst, jetzt im Sessel des Kommandanten sitzend, wartete darauf, dass sich der Haupt-Holoschirm aufbaute. Die Steuerung des Kreuzers hatte, vor einer Stunde, Kimi Korkonnen übernommen, nachdem feststand, dass die NOVA SOLARIS von den Kriegsschiffen der Konföderation Deneb nicht verfolgt worden war. Offenbar hatte man ihre Spur im Hyperraum verloren.

Ansonsten hielten sich im Kommandozentrum des Kreuzers nur Irina Hayes auf, und eine Frau, im Rang eines Unteroffiziers, aus der Testcrew des Schiffes. Sie kümmerte sich jetzt um die Navigation des Experimentalkreuzers. Der Rest der Mannschaft ruhte sich aus.

Als die Verbindung zustande kam, erhob sich Dean Corvin unwillkürlich aus dem Sessel und wollte bereits salutieren, als ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, dass an Bord von Kriegsschiffen, aus Gründen der Effektivität einer Besatzung, darauf verzichtet wurde. So legte er seine Hände hinter den Rücken und meldete dem Oberst, dessen Oberkörper auf dem Holoschirm sichtbar wurde: „Ich bin Oberleutnant Dean Corvin, provisorischer Kommandant des Leichten Kreuzers NOVA SOLARIS, und ich bitte dringend um ein Gespräch mit ihnen, Sir, um Ihnen die Details der Vorgänge im Sol-System mitzuteilen. Im Moment nur so viel: Die Konföderation Deneb ist, in Stärke von mindestens fünf Flotten, ins Sonnensystem eingefallen und hat sowohl das Hauptquartier der Flotte, in Wellington, als auch das Strategische Hauptquartier auf dem Mars und die Hauptstadt der Erde, vernichtet. Zuvor kam es zu eklatanten Missweisungen der Ortungssysteme im System. Die Heimatflotte hat sich, mit allen verbliebenen Kriegsschiffen, aus dem System, in Richtung Wega, zurückgezogen.“

Das Gesicht auf dem Holoschirm drückte Unglauben aus. Endlich räusperte sich der Oberst, mit den graumelierten, kurz geschorenen Haaren, und erwiderte: „Ich erwarte Sie, in zwanzig Minuten, an Bord der SATURN zum Rapport. Haben Sie ein Shuttle an Bord?“

„Ja, Sir.“

Der Oberst nickte knapp. „Dann in zwanzig Minuten. Oberst Haehrfoehr, Ende.“

Corvin bestätigte, bevor er die Verbindung unterbrechen ließ und erhob sich aus seinem Sessel. Zu Irina Hayes blickend meinte er: „Leutnant, Sie übernehmen.“ Er schritt zu seinem Freund Kimi und sagte etwas leiser: „Halte du bitte das Schiff, exakt neben der SATURN, auf Kurs. Ich will mich nicht beim Oberst blamieren.“

„Verschwinde schon“, knurrte der Finne augenzwinkernd. „Ach ja, und falls du Andrea und Jayden sehen solltest, dann grüß sie gefälligst von mir, okay?“

„Sicher. Ich gebe Bescheid, wenn ihr das Hangarschott öffnen könnt.“

Damit machte sich Corvin auf den Weg zum nächstliegenden der unteren Hangars, der sich auf Höhe der Einschnürung befand.

Nur fünfzehn Minuten nach dem Gespräch mit dem Kommandanten der SATURN befand sich Corvin bereits im Hangar des Schlachtkreuzers. Von einem Unteroffizier wurde der Kanadier zum Quartier des Obristen gebracht. Vor dem Schott meldete ihm der Mann: „Sie können sofort eintreten, Sir.“

Dean Corvin dankte, legte seine Hand auf den Öffnungskontakt des Schotts und trat ohne zu zögern ein, als sich die beiden Schotthälften vor ihm teilten. Er durchschritt einen kleinen Vorraum und betrat den eigentlichen Arbeitsraum des Quartiers.

Hinter einem Standardschreibtisch saß Oberst Haehrfoehr und deutete auf einen der beiden Sessel vor dem Schreibtisch. „Nehmen Sie Platz, Oberleutnant Corvin.“

„Danke, Sir.“

Corvin ließ sich in dem rechten der beiden Sessel nieder. Dabei bemerkte er zu seiner Linken ein weiteres Schott. Er vermutete, dass dies zu den Privaträumen des Quartiers führte. Sich wieder auf das konzentrierend, was er zu melden hatte, räusperte Corvin sich und begann, nach auffordernder Geste des Obristen, zu berichten, was sich in den letzten Stunden im Sonnensystem ereignet hatte. Er verschwieg dabei auch nicht die Beteiligung von Kim Tae Yeon an den Geschehnissen.

Als Corvin schließlich auf die Flucht des Kreuzers vom Merkur zu sprechen kam, blickte ihn Jason Haehrfoehr etwas ungläubig an. „Sie sind mit einem Leichten Kreuzer drei Schlachtkreuzern entkommen? Lediglich mit einer Notmannschaft an Bord?“

„Das ist korrekt, Sir.“

Der Oberst erhob sich hinter seinem Schreibtisch, besorgte zwei Tassen und goss für sie beide einen aromatisch duftenden Kaffee ein. „Ich denke, Sie werden nicht nein sagen, zu einer Tasse starken Kaffees, Oberleutnant?“

Dankbar blickte Corvin zu dem Kommandanten der SATURN auf. „Nein, ganz bestimmt nicht, Sir.“

Der Oberst reichte Corvin die Tasse über die Platte des Schreibtisches hinweg. Dabei meinte er: „An Ihren Uniformstreifen erkenne ich, dass Sie nicht zum fliegenden Personal der Flotte gehören. Sie werden verstehen, dass das ein paar zusätzliche Fragen aufwirft.“

„Die bereits erwähnte Verräterin hat damit zu tun, Sir.“

Dean Corvin berichtete davon, was sich zu seiner Akademiezeit zugetragen hatte, wobei sich in Haehrfoehrs Gesicht ein beeindruckendes Wechselspiel verfolgen ließ.

Vorsichtig von seinem heißen Getränk nippend, nachdem er damit geendet hatte, warum er, zusammen mit Kimi Korkonnen zum Nachschub auf Titan versetzt worden war, beobachtete Dean Corvin, wie sich der Oberst wieder hinter seinen Schreibtisch setzte. Der Oberst setzte eine strenge Miene auf. Seinen Kaffee zunächst auf der Tischplatte absetzend erklärte Haehrfoehr: „Sie wissen, was Sie getan haben, als sie den Kreuzer NOVA SOLARIS, auf Luna, bemannt und aus dem Hangar geflogen haben, Oberleutnant Corvin?“

Der Kanadier bemerkte, dass er plötzlich ein ziemlich flaues Gefühl im Magen spürte. Irritiert fragte er: „Sir?“

Die braunen Augen des Stabsoffiziers ruhten unverwandt auf Dean Corvin, als er fortfuhr: „Nun ja, Oberleutnant. Niemand hat Sie, oder einen ihrer Begleiter, dazu aufgefordert den Experimentalkreuzer aus dem Hangar zu entfernen. Sie alle haben sich, genau genommen, illegal an Bord begeben, und Eigentum der terranischen Steuerzahler entwendet. Es stehen somit zwei ungeklärte Punkte im Raum. Zum einen schwerer Diebstahl, und zum anderen ein Akt der Piraterie, Oberleutnant.“

Der Oberst nickte ernsthaft, bis ihn das völlig verblüffte Gesicht seines Gegenübers zum Lachen reizte.

Es dauerte dennoch einen Augenblick, bis Corvin realisierte, dass sich der Oberst einen Scherz mit ihm erlaubt hatte. Erst einen langen Moment später atmete er erleichtert auf und sagte: „Ihr Humor ist lebensgefährlich, Sir. Mir wäre beinahe das Herz stehengeblieben.“

Der Oberst beruhigte sich schnell und erwiderte belustigt: „Tut mir leid, Corvin, aber im Grunde stimmen diese Anschuldigungen. Sie werden lediglich nicht dafür belangt werden, weil Sie in bestem Sinne der Raumflotte gehandelt, und verhindert haben, dass dieser unersetzliche Kreuzer dem Feind in die Hände fällt.“

Wieder schmunzelte der Oberst, bevor er schnell ernst wurde. „Es sieht also, nachdem ich ihren Bericht gehört habe, ganz so aus, als hätte die Konföderation Deneb ein geheimes Störsystem entwickelt und es im Sonnensystem zur Anwendung gebracht. Vermutlich nicht zuletzt durch Verrat. Eine Geschichte, die mir gar nicht gefällt.“

Dean Corvin trank einen Schluck seines Kaffees und fragte dann: „Wir werden uns also zunächst zum Wega-System begeben, Sir? Für einen solchen Flug werde ich aber noch einige zusätzliche Crewmitglieder benötigen.“

Der Oberst schüttelte den Kopf. „Die NOVA SOLARIS wird den Flug zur Wega nicht mitmachen, Oberleutnant.“

Haehrfoehr unterband den aufkommenden Einwand des Oberleutnants mit einer herrischen Geste und erklärte: „Der Experimentalkreuzer NOVA SOLARIS ist zu wichtig, als ihn in Zugriffsreichweite von fünf Feindflotten zu belassen. Während sich mein Verband den Einheiten im Wega-Sektor anschließt, werden Sie den Leichten Kreuzer zum Delta-Cephei-System fliegen. Dort führt momentan Generalleutnant Hilaria Mbena das Oberkommando. Eine sehr gute Kommandeurin, wie es heißt. Dort wird der Kreuzer sicherer sein, als im Wega-System. Mbena wird wissen, wie mit der NOVA SOLARIS weiter zu verfahren ist.“

Dean Corvin schluckte und nickte zögernd. „Und was ist mit einer Aufstockung der Crew, Sir? Ich habe außerdem eine Verletzte an Bord. Zudem brauchen wir Verpflegung.“

Jason Haehrfoehr überlegte angestrengt. Endlich sagte er: Die Verpflegung ist kein Problem, aber ich kann Ihnen nicht allzu viele Leute überlassen, Corvin. Zwanzig Männer und Frauen aus der Mannschaft und vielleicht eine Handvoll Unteroffiziere. Dazu eine junge Frau, die momentan in der Brig der SATURN sitzt, ein Leutnant, im Sommer frisch von der Sektion-Venus an Bord gekommen. Vielleicht passt die ganz gut zu Ihrer rebellischen Piratentruppe. Ach und noch etwas, Oberleutnant. Sobald mein Verband im Wega-System eintrifft, werde ich Generalleutnant Mbena kontaktieren lassen, Ihre geschätzte Ankunftszeit melden, und ihr empfehlen, Sie und Korkonnen zum fliegenden Personal zu versetzen.“

Corvin freute sich über diese Worte und gleichfalls über die signifikante, wenn auch nicht gerade üppige, Aufstockung seiner momentanen Rumpfcrew.

„Danke, Sir.“

Der Oberst machte eine abwehrende Geste. „Ein Shuttle wird Mannschaft und Verpflegung innerhalb einer Stunde an Bord des Kreuzers bringen, und die Verletzte auf dem Rückflug zur SATURN mitnehmen. Der Leutnant fliegt zusammen mit Ihnen zurück.“

Dean Corvin leerte seine Tasse und stellte sie auf die Platte des Schreibtisches. Er druckste etwas herum, bevor er bat: „Sir, an Bord der SATURN befinden sich zwei Offiziere, die ich gerne kurz sprechen würde. Oberleutnant Jayden Kerr und Oberleutnant Andrea von Garding. Die Vernichtung des Teils von Europa, von dem ich berichtet habe – nun ja, Andrea von Gardings Familie hat dort gelebt, Oberst. Sie sollte es von einem Freund erfahren, auch wenn ich es hasse, ein Kurier des Todes zu sein.“

Der Oberst nickte mit versteinerter Miene. „Ich weiß, dass man so etwas nicht schonend beibringen kann, Corvin. Versuchen Sie es dennoch, bitte. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie meinen Verband davon abgehalten haben, in seinen sicheren Untergang zu fliegen. Ich werde die beiden Offiziere in die hintere Offiziersmesse beordern, dort werden Sie drei ungestört sein, Oberleutnant Corvin.“

Dean Corvin, der den Wink verstand, erhob sich und verließ das Quartier des Kommandanten. Draußen auf dem Gang wartete noch immer der Unteroffizier. Offensichtlich hatte er von Haehrfoehr explizite Anweisungen erhalten.

Dean Corvin sprach ihn an: „Führen Sie mich bitte zur hinteren Offiziersmesse.“

„Sofort, Sir.“

Schweigend schritten sie durch die hellen Gänge des Schlachtkreuzers, wobei Corvin sich in Gedanken auszumalen versuchte, wie er Andrea die schreckliche Nachricht aus dem Heimatsystem so schonend wie nur irgend möglich, beibringen konnte. Zu keinem klaren Ergebnis kommend erreichte Dean Corvin mit seinem Begleiter einige Minuten später die Messe und der Unteroffizier schnarrte: „Ich warte vor dem Schott, Sir.“

Dean Corvin nickte nur, zögerte einen Moment lang und betrat dann die Messe.

An Bord eines Schlachtkreuzers, wie der SATURN, gab es drei dieser Offiziersmessen, von denen jede für 24 Personen ausgelegt war. Obwohl es an Bord eines Schlachtkreuzers lediglich 60 Offiziere gab. Vier Sessel gruppierten sich jeweils um einen der insgesamt sechs Tische. Im Hintergrund gab es eine breite Bar.

Dean Corvin entdeckte seine beiden Freunde aus Akademietagen im Zentrum des Raumes, wo zwei breite Couchen Rückenlehne an Rückenlehne standen.

Andrea erkannte ihn zuerst. Überrascht und erfreut zugleich stieß sie Jayden heftig in die Seite und sprang einen Moment später förmlich von der Couch auf. Ohne auf die Reaktion ihres Verlobten zu warten rannte sie auf Dean zu und flog ihm um den Hals.

„Dean, Mensch, Dean, das ist vielleicht eine Überraschung! Was, im Himmel, machst denn du an Bord der SATURN? Ist Kimi etwa auch da?“

Andrea küsste ihn herzhaft auf beide Wangen. Im nächsten Moment gab sie den Freund wieder frei und blickte ihn aus leuchtenden Augen an. „Du musst mir alles haarklein erzählen, Dean. Hat man Dich etwa auf die SATURN versetzt? Und was machen Rodrigo und Miriam. Aber warte, als allererstes sollst du von mir persönlich erfahren...“

„Andrea, da ist etwas ganz Anderes, über das wir zu reden haben“, unterbrach Corvin den Redeschwall der jungen Frau. Über die Schulter der Freundin hinweg sah er dabei zu Jayden Kerr und dann, mit brennendem Blick, bedeutungsvoll auf das Eingangsschott.

Der Jamaikaner verstand die unausgesprochene Aufforderung des Freundes. Mit fragender Miene, und voller düsterer Vorahnungen, zog er sich unauffällig zurück und ließ Dean und Andrea allein in der Messe.

Andrea, die den stillen Abgang ihres Verlobten mitbekommen hatte, blickte verwirrt in Deans ernste Miene und fragte: „He, was ist denn los, Dean. So finster gestimmt kenne ich Dich ja gar nicht?“

Instinktiv den Moment hinauszögernd, in dem er Andrea den Tod ihrer Familie beichten musste, erklärte der Kanadier: „Die Konföderation Deneb hat das Sonnensystem angegriffen und hält es momentan besetzt. Die Heimatflotte hat schwere Verluste erlitten und zieht sich in Richtung Wega zurück. Das ist auch der Grund, warum ich hier draußen bin.“

Andrea von Garding rückte von dem Freund ab und funkelte ihn wütend an. „Der Scherz ist nicht komisch, Dean. Das Sonnensystem ist eine uneinnehmbare Festung. Jeder, der ernsthaft einen Angriff versucht, wird das bitter bereuen.“

Dean Corvin verstand diese Reaktion. Er packte Andrea fest bei den Oberarmen. „Hör mir endlich zu, Andrea. Einen so schlechten Scherz würde ich niemals machen. Verdammt, ich wollte es wäre einer.“

Er blickte verzweifelt gegen die Decke. Der Moment, vor dem es ihm bereits im Vorfeld gegraust hatte, war da.

Andrea wieder in die Augen sehend sagte er merkwürdig ruhig und mit veränderter Stimme: „Die Konföderierten haben ein neues, uns unbekanntes, Störsystem eingesetzt, das zu fatalen Missweisungen unserer Ortungssysteme führte. Selbst einfache Kursmanöver unserer Kriegsschiffe wurden dadurch zu einem hoch riskanten Unternehmen. Diese Störungen wirkten sich ebenfalls auf die Zielscanner der planetaren Abwehrgeschütze, und auch auf die der Geschütze aller Weltraum-Forts und Raumschiffe der Heimatflotte aus. Bei unserer riskanten Flucht aus dem Sonnensystem mussten wir miterleben, wie das Hauptquartier des Flottenstabes und das Regierungsviertel in Casablanca angegriffen und vernichtet wurden. Bei der verzweifelten Abwehrschlacht über der Erde stürzte außerdem das Wrack eines unserer Kriegsschiffe ab und schlug in Mitteleuropa ein. Genau dort, wo Deine Familie lebt, Andrea. Die noch aktiven Waffensysteme an Bord eines der Wrackteile verursachten dabei mehrere verheerende Nuklear-Explosionen, die weite Landstriche völlig verwüstet haben.“

Andrea von Garding hatte dem Freund mit wachsendem Unglauben zugehört. Sie wollte nicht begreifen, was Dean ihr da gesagt hatte. Immer noch suchte sie im Blick des Mannes nach einer Möglichkeit, dass das alles nicht stimmen konnte.

Dean Corvin hatte Mühe dem Blick der Kameradin standzuhalten. Er spürte beinahe körperlich den Moment, in dem Andrea die volle Konsequenz dessen begriff, was er ihr soeben gesagt hatte.

Gellend ihren seelischen Schmerz heraus schreiend begann sie, sich wie toll zu gebärden und nach ihm zu schlagen, so als wäre er persönlich für die schrecklichen Geschehnisse verantwortlich, die er ihr geschildert hatte.

Zwei heftige Schläge ins Gesicht einsteckend zog Dean Corvin die Freundin schnell zu sich heran. Es gelang ihm, nach einem kurzen Handgemenge, seine Arme um sie zu schlingen und sie fest an sich zu pressen, so dass sie ihn nicht länger verletzen konnte. Und auch nicht sich selbst. Kalter Schweiß brach ihm aus und seine Knie zitterten spürbar, während die beinahe unmenschlichen Schreie der Freundin sein Gehör marterten. Doch er hielt sie unerbittlich in seinen Armen fest, bis ihr die Stimme versagte und sie sich heftig schluchzend an ihn schmiegte.

Mit einer beschützenden Geste legte Dean Corvin seine Hand über ihren Kopf und bettete ihn an seine Schulter, den anderen Arm um ihre zuckenden Schultern gelegt. Wortlos hielt er sie fest und ließ sie einfach gewähren.

Eine halbe Ewigkeit schien vergangen zu sein, als Dean Corvin aufblickte und Jayden Kerr, mit schockiertem Gesichtsausdruck, im Eingang der Messe stehen sah. Vermutlich hatte er die wilden Schreie aus der Messe gehört und nachgesehen, was geschehen war. Offenbar wissend, dass er im Moment kaum mehr tun konnte, als Dean, blieb der Jamaikaner dort stehen und versuchte herauszufinden, was passiert sein mochte.

Als die rohen, erstickten Töne, die von seiner Schulter zu ihm drangen, langsam abebbten, räusperte sich Dean unterdrückt und sagte leise, mit rau klingender Stimme: „Ich habe meine Familie verloren, als ich noch sehr klein war, aber ich weiß noch, was ich damals fühlte, Andrea. Ich fühlte mich hilflos und verloren. Aber dann fand ich, in meinem Onkel, meiner Tante und in Kimi eine neue Familie. Während der Akademiezeit kamen dann Jayden, Miriam, Rodrigo und auch du dazu. Ihr wurdet meine Familie, und jetzt werden wir Deine Familie werden. Das ist im Moment kein Trost für Dich, aber du sollst trotzdem wissen, dass wir von jetzt an, als Deine Familie, für Dich da sein werden.“

Die leisen, beruhigenden Worte schienen ihre Wirkung zu tun, denn das Schluchzen wurde leiser und leiser.

Mittlerweile hatte Jayden Kerr in groben Zügen erfasst, was der Freund Andrea mitgeteilt zu haben schien. Erschrocken blickte er zu Dean, der die aufkeimende Erkenntnis im Blick des Jamaikaners erkannte und unmerklich nickte. Dabei traten Tränen in Dean Corvins Augen. Der Kummer der Frau in seinen Armen zerriss ihn innerlich beinahe.

Corvin gab seinem Freund schließlich ein unauffälliges Zeichen, und Jayden kam langsam heran. Vorsichtig Andrea aus seinen Armen windend, raunte er dem Freund zu: „Ich kann nicht länger hier bleiben, Jayden. Ich hatte gehofft, wir würden uns unter weniger tragischen Umständen wiedersehen.“

Als Corvin dem Freund Andrea behutsam in die Arme gab fiel sein Blick auf den goldenen Ring am Finger der jungen Frau. Plötzliche Erkenntnis spiegelte sich in den Augen des Kanadiers, als er suchend zur Hand des Freundes sah und dort einen identisch aussehenden Ring entdeckte.

„Das war es, was Andrea dir vorhin unbedingt persönlich sagen wollte, als du herein kamst“, erklärte Jayden Kerr leise. „Wir haben uns am Heiligen Abend verlobt. Sie wollte dir das nicht kalt, als bloße Nachricht via Interstellar-Kom, zukommen lassen.“

Dean Corvin schluckte bevor er rau antwortete: „Auch wenn die augenblicklichen Umstände eher deprimierend sind wünsche ich euch beiden alles Glück dieses Universums und dass ihr zwei miteinander glücklich werdet.“

Jayden, der nun Andrea tröstend in seinen Armen hielt, nickte unmerklich. Leise sagte er dann: „Pass auf deinen Hintern auf, klar?“

Corvin nickte. „Dasselbe gilt auch für euch zwei. Damit ihr euch keine Sorgen machen müsst möchte ich euch noch sagen, dass es Kimi und Rodrigo gut geht. Beide sind an Bord des Kreuzers, mit dem wir aus dem Sonnensystem entkommen sind. Von der AURORA weiß ich, dass sie den Rückzug der Heimatflotte mitgemacht hat, und nach meinem Wissen war Miriam an Bord des Zerstörers, als es losging.“

„Danke, Dean. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis wir uns wiedersehen, aber ich hoffe, dass es bald sein wird, und wir dann in Ruhe reden können. Hoffentlich dann unter angenehmeren Umständen.“

Dean Corvin machte ein zustimmendes Gesicht. „Das hoffe ich auch. Kümmere dich gut um Andrea, oder ich werde dir beim nächsten Treffen was erzählen.“

„Was denkst du denn?“

Corvin umarmte Jayden kameradschaftlich mit dem linken, und Andrea mit dem rechten Arm. Dabei gab er der Freundin einen sanften Kuss auf die Stirn. „Bis bald.“

Abrupt ließ Dean Corvin, innerlich zutiefst aufgewühlt, die beiden Kameraden los und schritt zum Ausgang der Messe.

Der dort immer noch wartende Unteroffizier nahm ihn in Empfang und erkundigte sich bei ihm: „Zum Hangar, Sir?“

„Ja, bitte.“

Auf dem Weg in den unteren Bereich des Schlachtkreuzers gingen Corvin tausend Dinge auf einmal durch den Kopf. Zudem spürte immer noch den Schmerz, den der Kummer der Freundin in ihm ausgelöst hatte. Außerdem marterte er sich selbst mit der Frage, ob er das Alles vielleicht hätte abwenden können, wenn er vor Jahren anders mit einer Frau namens Kim Tae Yeon umgegangen wäre. Aber da war auch noch etwas anderes, das ihm keine Ruhe ließ, seit er sich eben von Jayden und Andrea verabschiedet hatte. Etwas, das er zweieinhalb Jahre lang verdrängt und fast vergessen hatte. Erst eben war ihm ein Punkt wieder bewusst geworden und es zu ignorieren funktionierte nicht länger. Er liebte Andrea immer noch.

 
 

* * *

 

Im Hangar der SATURN erwartete Dean Corvin die letzte Überraschung des Tages. In Gedanken versunken hatte er nur kurz genickt, als sich der Unteroffizier an seiner Seite, mit dem Hinweis, dass sein Passagier zur NOVA SOLARIS bereits auf ihn wartete, entfernte.

Erst als er das kleine Shuttle des Leichten Kreuzers fast erreicht hatte hob er den Kopf und blickte in ein süffisant grinsendes Gesicht.

Dean Corvin wusste nicht warum, aber ein ungewisses Gefühl sagte ihm, dass diese junge Frau seine Zukunft um einiges lebhafter gestalten würde, als er persönlich es für notwendig erachtete. Für einen Moment fragte er sich, warum ausgerechnet er sich immer mit den schwierigen Fällen herumschlagen musste.

Erst als Corvin fragend seine Augenbrauen anhob bequemte sich die junge Frau dazu so etwas wie Haltung anzunehmen. „Leutnant Moana Adamina zu Ihrer Verfügung.“

Dean Corvin erwiderte ihren aufreizend lässigen Gruß und nahm die durchtrainiert wirkende, junge Frau, deren samt-braune Haut beinahe wie flüssige Bronze wirkte, genauer in Augenschein.

Sie erweckte den Eindruck aus dem Pazifikraum der Erde zu stammen. Dichte, blau-schwarz glänzende, Locken umrahmte ihr ovales Gesicht, das von großen, dunkelbraunen Augen beherrscht wurde, und fiel bis auf ihre Schultern. Eine gerade, leicht gebogene Nase, die nach dem allgemeinen Schönheitsideal der modernen Menschen vielleicht etwas zu breit war, teilte es.

Die geschwungenen, vollen Lippen leicht geschürzt, erkundigte sich die Frau, die nur unwesentlich kleiner war, als Corvin: „Fällt die Musterung zu Ihrer Zufriedenheit aus, Sir?“

Dean Corvin, der momentan nicht die Kraft hatte, sich mit diesem aufmüpfigen Leutnant anzulegen, seufzte lediglich und wies auf das Shuttle. Steigen Sie bitte ein, Leutnant Adamina, wir haben es nämlich etwas eilig hier weg zu kommen.“

Als die Frau keine Anstalten machte seinem Befehl zu folgen, stürmte Corvin einfach an ihr vorbei, zum Shuttle. Dabei rief er ihr über die Schulter zu: „Oder bleiben Sie einfach hier und lassen sich anschließend von Oberst..., wie immer er nun auch heißen mag, wieder in die Brig werfen, Leutnant. Ihre Entscheidung.“

„He, Moment mal, Sir“, hörte Corvin sie hinter sich her rufen. Noch während er in die kleine Schleuse des Shuttles kletterte hatte sie bereits zu ihm aufgeschlossen. „Sie wollen mich doch nicht wirklich hier lassen?“

Nur das Funkeln in Corvins Augen verriet, wie es um ihn stand. Seine Hand über den Kopf haltend zischte er: „Hören Sie zu, Leutnant: Mir steht es gerade bis hier her. Also ab an Bord - oder zum Teufel mit Ihnen!“

Damit wandte er sich bereits wieder ab und kletterte in das Cockpit des Raumfahrzeuges, das für nicht mehr als vier Personen ausgelegt war. Noch während er sich im Pilotensessel zurechtsetzte tauchte Moana Adamina neben ihm auf und warf sich in den Sitz des Co-Piloten. Schweigend aktivierte Corvin die Aggregate und schloss das Schleusenschott des Shuttles. Dabei bemerkte er aus den Augenwinkeln ihre beleidigte Miene, was ihm eine gewisse Genugtuung bereitete. Er schien genau den Ton getroffen zu haben, mit dem man solchen schrägen Typen, wie diesem Leutnant, beikam. Er überwand sich innerlich und sagte neutral: „Übernehmen Sie die Kommunikation, Leutnant Adamina.“

„Aye, Sir.“

Während Moana Adamina die Startfreigabe des Hangarleiters der SATURN entgegen nahm sah Corvin sie von der Seite an. Erst jetzt fielen ihm die grünen Streifen an ihrer Uniform auf. Als die Startfreigabe erfolgte, erkundigte er sich neugierig: „Gehören Sie zu den Raumlandetruppen, oder den Kommando-Einheiten, Leutnant Adamina?“

Moana Adamina erwiderte seinen Blick. „Kommando-Einheiten.“

Dean Corvin gab sich mit dieser knappen Auskunft zufrieden. Zu viele andere Dinge gingen ihm augenblicklich durch den Kopf. Er hob das Shuttle vom Boden des Hangars ab und steuerte es hinaus ins Weltall.

„Dem Kasten weine ich keine Träne nach, Sir.“

Corvin gab, ganz in Gedanken versunken, lediglich ein undefinierbares Brummen von sich, sagte jedoch nichts.

Erneut klang die Stimme der Frau auf. „Wollen Sie denn gar nicht wissen, warum ich in der Brig gesessen habe, Sir.“

„Ja.“

Moana Adamina wollte schon beginnen zu berichten, als ihr klar wurde, dass, aufgrund ihrer verneinenden Fragestellung, sein Ja eine Verneinung ihrer Frage war. Sie presste die Lippen aufeinander und platzte schließlich heraus: „Tja, Ihr Pech. Vielleicht wäre es ja aufschlussreich für Sie, zu wissen, dass ich meinen Vorgesetzten in den Hintern getreten habe und deshalb eingefahren bin.“

Corvins Kopf ruckte zu der Frau an seiner Seite herum. Im nächsten Moment lachte er schallend, bis ihm die Tränen kamen, und er bedauerte, dass Moana Adamina nicht ermessen konnte, wie dankbar er ihr dafür war. Sie hatte es mit ihrer frech-penetranten Art geschafft, die Mauer aus Niedergeschlagenheit zu durchbrechen, die ihn umgeben hatte.

Als sich Corvin wieder beruhigte krächzte er, fast heiser: „Sie sind goldrichtig, Leutnant, denn Sie gehen den Leuten mal richtig auf die Nerven. Entweder bringen Sie es damit bis in den Generalstab oder sie fliegen im hohen Bogen aus dem Militärdienst.“

Dean Corvin wurde schnell wieder ernst: „In wie weit sind Sie über den Stand der Dinge informiert, Leutnant. Wissen Sie bereits vom Überfall auf das Sol-System?“

Ja, aber nicht sehr viel. Steht es dort wirklich so schlimm, wie zu hören war?“

Corvin nickte grimmig. „Schlimmer, befürchte ich. Ich komme gerade von dort. Die Heimatflotte befindet sich auf dem Rückzug zum Wega-System. Bei der Flucht vor den Truppen der Konföderation starb eine gute Freundin von mir. Eine andere Kameradin musste ich auf Luna zurücklassen. Ohne sie wäre es niemals gelungen, den Experimentalkreuzer NOVA SOLARIS vor dem Zugriff des Feindes in Sicherheit zu bringen. Wir haben Befehl das Delta-Cephei-System anzufliegen, und uns dem Oberbefehl einer gewissen Sektoren-Kommandeurin namens Hilaria Mbena zu unterstellen. Nun? Bedauern Sie es schon, nicht doch auf der SATURN geblieben zu sein?“

Für eine Weile schwieg Moana Adamina und verdaute erst einmal das, was Corvin ihr eben eröffnet hatte. Seltsam ruhig antwortete sie schließlich: „Ihr Verlust tut mir leid, Sir. Um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich bedaure es nicht.“

„Gut. Und nennen Sie mich Dean, Moana. Wir werden wohl eine Weile zusammen dienen, und ich mag keine zu steifen Umgangsformen unter Kollegen.“

Sie flogen bereits unter den Schiffskörper der NOVA SOLARIS, als die Frau lächelnd erwiderte: „Sehr gerne, Dean.“

Dann sah Moana Adamina hinaus zur Hülle des Leichten Kreuzers, und sie hätte bestimmt nicht schlecht gestaunt, wenn sie gewusst hätte, dass auch Corvin in diesem Augenblick der Begriff Neuanfang durch den Sinn schoss.

IN LETZTER MINUTE

 Knapp elf Tage später fiel die NOVA SOLARIS, zusammen mit ihren beiden begleitenden Schweren Kreuzern, innerhalb des Delta-Cephei-Systems, aus dem Hyperraum.

Als das Führungsschiff, der Schwere Kreuzer Kreuzer NEREIDE, Kontakt zum Hauptquartier der Neunten Flotte auf Outpost aufnahm, meldete sich Hilaria Mbena persönlich und beglückwünschte die drei Crews dazu, heil das System erreicht zu haben. Zum Ende hin wandte sie sich persönlich an den jungen Mann, der die NOVA SOLARIS herbrachte, und beorderte ihn und Korkonnen umgehend zum Rapport.

Nachdem Mbena die Verbindung zur NOVA SOLARIS unterbrochen hatte wandte sie sich an Brigadier Guido Camparelli, der neben ihr stand. „Selten war ich auf einen Menschen so neugierig, wie auf diesen jungen Oberleutnant. Dieser Junge hat es fertiggebracht unsere vielleicht wichtigste kriegstechnische Errungenschaft dem Zugriff eines übermächtigen Feindes zu entziehen.“

„Vermutlich hatte er nur Glück, Sir“, gab Camparelli zu bedenken.

Die Sektoren-Kommandeurin blickte nachdenklich als sie erwiderte: „Vermutlich, aber das Glück ist nur mit den Tüchtigen, Brigadier. Ich habe mich in den letzten Tagen eingehend mit der Dienstakte dieses Dean Everett Corvin beschäftigt. Diese merkwürdige Anklage zu Akademiezeiten passt nicht zum Rest, und auch nicht zu den jüngsten Taten dieses jungen Mannes. Und wenn das, was Corvin Oberst Haehrfoehr berichtet hat, stimmt, so bin ich geneigt zu sagen, dass dieser Oberleutnant wirklich von dieser Kim Tae Yeon hereingelegt worden ist und über zwei Jahre lang unschuldig auf dem Titan versauerte. Bezeichnender Weise haben er, und sein Kamerad, Kimi Korkonnen, dort sehr gute Arbeit geleistet. Das sagt mir etwas über die innere Einstellung dieser beiden Offiziere, Camparelli.“

„Vielleicht sollten wir noch mit der Lobeshymne warten bis nach dem Gespräch, Generalleutnant. Der persönliche Eindruck könnte ein anderer sein.“

Hilaria Mbena schenkte dem Brigadier einen spöttischen Blick. „Vielen Dank für Ihre aufmunternden Worte, Brigadier. Wenn ich mal so richtig deprimiert sein sollte, dann wende ich mich ganz bestimmt zuerst an Sie.“

Hilaria Mbena zwinkerte Camparelli zu als er sie fragend ansah und nahm damit ihren vorherigen Worten die Spitze. „Bitte informieren Sie mich wenn die NOVA SOLARIS auf Outpost gelandet ist, und lassen Sie Corvin und Korkonnen dann direkt zu meinen Arbeitsräumen bringen. Ich hätte es übrigens gerne, dass Sie bei dem Gespräch zugegen sind, Camparelli. Sozusagen als des Teufels Advokat der die beiden Offiziere für mich im Auge behält. Was sagen Sie dazu?“

Guido Camparelli wirkte sichtlich erleichtert. Seine Vorgesetzte hatte offensichtlich nicht vor sich blenden zu lassen, wie er zuerst befürchtet hatte. „Nur zu gerne, Sir.“

Wieder zwinkerte Hilaria Mbena dem Brigadegeneral zu, diesmal wissend. Sie legte die Hände auf den Rücken und verließ das Kommandozentrum des Flottenhauptquartiers um ihre privaten Räume aufzusuchen. Natürlich würde sie, im Gegensatz zu den anfänglichen, geheimen Befürchtungen ihres Untergebenen, die beiden Offiziere gründlich unter die Lupe nehmen. Doch in fast vierzig Jahren, die sie nun bereits dem terranischen Militär angehörte, ihre Kadettenzeit mit eingerechnet, hatte sie gelernt Dinge aus Dienstakten herauszulesen. Natürlich hatte Brigadegeneral Camparelli recht damit, dass der persönliche Eindruck sehr viel aussagekräftiger war als Dienstakteneinträge. Doch sie war bereits jetzt bereit zu schwören, dass es sich bei diesen beiden Männern nicht um schlechte Menschen handelte.

In ihrem Quartier angekommen ließ sie sich in den nächsten Sessel fallen und schloss für einen Moment ihre Augen. Sie rief sich ins Gedächtnis, was sie über Dean Corvin und Kimi Korkonnen den Computerdateien entnommen hatte. Dabei schweiften ihre Gedanken ab, zu den Ereignissen der letzten elf Tage.

Schon einen Tag nach dem Angriff auf das Sonnensystem hatte festgestanden, dass sie, nach dem Angriff der Konföderation Deneb auf des Sonnensystem, die ranghöchste, militärische Person des Terranischen Imperiums war. Sie hatte per Hyperfunk eine flammende Rede an die ihr Untergebenen gehalten, in der Absicht, ihnen Hoffnung zu geben. Dabei hatte sie gleichzeitig den Kriegszustand erklärt. Nicht zuletzt deswegen, um das Kriegsrecht auszurufen, was ihr als Oberkommandierende des Militärs die Macht gab, den Planetaren Gouverneuren die Weisung zu geben, ihre Territorien, wegen des Ausfalls der Terranischen Zentralregierung, nun direkt zu verwalten. In wie weit dieses Ziel erreicht worden war, würde man in naher Zukunft sehen. In Momenten, wie diesem, spürte sie die Last der Verantwortung besonders stark, die nun auf ihren Schultern ruhte, und in den vergangenen Tagen hatte sie sich des öfteren gefragt, ob sie in der Lage sein würde, ihr dauerhaft standzuhalten. Diese Momente der Schwäche vergingen ebenso schnell, wie sie kamen, und Hilaria Mbena beachtete sie darum nicht weiter. In ihren Überlegungen warf sie einen schnellen Blick hinüber zur Couch, wo ihre alte Uniform, mit den gelben Streifen, lag. Nun, da sie den Oberbefehl inne hatte, trug sie standesgemäß eine neue Uniform, die über die roten Streifen verfügte, wie sie vom Chef des Stabes an der Uniform getragen wurden. Daran hatte sie sich noch nicht ganz gewöhnt.

Hilaria Mbena seufzte leise und ihre Gedanken begannen erneut damit Karussell zu fahren. Kaum dass festgestanden hatte, dass sie nun die Oberkommandierende der Flotte war, hatte sie sich mit dem Gouverneur dieses Systems getroffen und gemeinsam mit ihm über die Zukunft des Imperiums gesprochen. Nach dem Bericht, den Dean Corvin Oberst Haehrfoehr gegeben hatte, war die Regierung auf Terra brutal zerschlagen worden. Der Präsident, sowie die meisten Mitglieder des Senats, waren tot. Die wenigen Politiker, die das Massaker überlebt hatten, waren entweder untergetaucht oder aber gefangengenommen worden.

Knapp zwanzig Stunden nach den ersten Angriffen waren bereits mehrere Hundert Truppentransporter der Konföderation Deneb im Sol-System erschienen und hatten einige Millionen Soldaten auf Terra, Luna und Mars abgesetzt, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sich die Truppen der Konföderation auch in Richtung Venus und Titan wenden würden.

Wie es sich Hilaria Mbena zuvor ausgerechnet hatte, waren drei Flotten der Konföderation Deneb, eine Woche später, aus dem Sonnensystem abgezogen worden, und sie konnte sich sehr genau vorstellen, wohin sich diese drei Flotten in Marsch gesetzt hatten. Besonders nach ihrer Rede an die Flottenreste, in der sie angekündigt hatte, dass sie das Sol-System umgehend zurückzuerobern gedachte.

Natürlich war dieser Teil ihrer Rede reine Polemik gewesen, denn solange die Konföderation ihr Störsystem im System stationiert, und das Imperium keine Gegenmaßnahmen gefunden hatte, war an eine Rückeroberung des Sol-Systems überhaupt nicht zu denken. Doch es konnte nie schaden Furcht und Schrecken in die Herzen der Feinde zu sähen. Und Fehlinformationen, wie diese.

Doch dafür hatte Hilaria Mbena in den letzten Tagen einen anderen Plan ausarbeiten lassen – einen Plan, der verwegene Offiziere erforderte. Und wenn sie sich nicht gründlich irrte, dann war ein gewisser Dean Everett Corvin genau die Art von Offizier, den sie für ein solches Kommando-Unternehmen benötigen würde. Doch das blieb abzuwarten, wie Guido Camparelli ganz richtig eingewandt hatte.

Aufgrund des Datums, an dem die drei Feindflotten aufgebrochen waren, wusste Mbena, dass ihr noch minimal eine Woche Zeit blieb, um sich und die ihr untergebenen Streitkräfte auf einen Schlag des Feindes vorzubereiten.

Vor acht Tagen bereits hatte sie, nach Absprache mit dem Gouverneur, dessen Stellvertreter, an Bord ihres schnellsten Kriegsschiffs, nach Farradeen entsandt. Er sollte auf bei der Regierung der Farradeen-Allianz offiziell um ein Waffenbündnis gegen die Konföderation Deneb ersuchen. Es war jedoch fraglich, ob sich die Verantwortlichen auf Farradeen auf ein solches Abenteuer einlassen würde.

Des Weiteren hatte sie sämtliche Kadetten des vierten Jahrgangs an der hiesigen Akademie-Sektion vorzeitig in den aktiven Dienst befördert, und Freiwillige einberufen, um für den äußersten Notfall zusätzliche Soldaten auf dem Planet Outpost stationieren zu können. Gegenwärtig wurden diese Freiwilligen, in eilig organisierten Camps die sich über die gesamte Oberfläche von Outpost verteilten, ausgebildet.

Die Maßnahmen von Verzweifelten schoss es Hilaria Mbena durch die Gedanken. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Nein, die Lage war schlecht, aber noch lange nicht aussichtslos.

Die Sektoren-Kommandeurin wurde aus ihrer trüben Stimmung gerissen, als sich der diensthabende Offizier, aus dem Kommandozentrum, bei ihr meldete und von der erfolgten Landung der NOVA SOLARIS berichtete.

Im Nu war Hilaria Inira Mbena wieder munter. Sie kontaktierte ihren Ordonanz-Offizier und wies ihn an, verschiedene Getränke und etwas Gebäck auf dem Tisch der Sitzecke, in ihrem Arbeitsraum, bereitzustellen. Wer wusste schon, wann die Mannschaft der NOVA SOLARIS zuletzt etwas Gescheites gegessen hatte. Außerdem ließ sie Brigadier Guido Camparelli zu sich rufen.

Die Oberkommandierende schüttelte grinsend den Kopf, als sie diese mütterlichen Gefühle überkamen. In Friedenszeiten sah sie so junge Angehörige der Flotte, wie Corvin oder Korkonnen, gerne als ihre Kinder an. Im Krieg war für solche Sentimentalitäten kein Platz. Doch sie ließen sich andererseits auch schlecht unterdrücken.

In solchen Momenten bedauerte es Hilaria Mbena, dass sie nie eigene Kinder gehabt hatte. Bereits in ihrer Jugendzeit hatte sie, in Sachen intime Beziehungen, Männern nicht besonders viel abgewinnen können. In den letzten zwanzig Jahren hatte sich dann ihr sexuelles Interesse immer stärker Frauen zugewandt. So war sie kinderlos geblieben und momentan führte sie auch keine feste Beziehung, was sie gelegentlich bedauerte.

Diese Gedankengänge hatte Hilaria Inira Mbena zur Seite geschoben, als die Ordonanz sich, eine halbe Stunde später, bei ihr meldete. Die beiden zu ihr beorderten Offiziere der NOVA SOLARIS und Guido Camparelli waren eingetroffen und warteten nun im Vorraum darauf dass man sie herein bat.

Mbena gab Anweisung, sie umgehend zu ihr zu schicken und blickte, mitten in dem geräumigen Büro stehend, gespannt auf das sich Augenblicke später öffnende Schott.

Dean Corvin und Kimi Korkonnen schritten, hinter dem Brigadier, herein und nahmen Haltung an. Vorbildlich grüßend warteten beide die Meldung von Camparelli an Mbena ab.“

Hilaria Mbena erwiderte den Gruß und antwortete: „Bitte stehen Sie bequem.“

Sich direkt an die beiden Oberleutnants wendend erkundigte sie sich: „Kam es auf dem Flug hierher zu besonderen Ereignissen?“

Es war Corvin, der antwortete. „Nein, Generalleutnant.“

Hilaria Mbena musterte die beiden jungen Männer für einen Augenblick, sah kurz zu Camparelli und deutete dann zur Sitzecke hinüber. „Bitte nehmen Sie Platz, meine Herren. Und bedienen Sie sich bitte.“

Während sie Platz nahmen blickte Hilaria Mbena zu den beiden jungen Männern. „Ich könnte mir denken, dass gerade Ihre Verpflegung der letzten Tage, spartanisch war.“

„Danke, Sir, sie war ausreichend“, antwortete Korkonnen.

Nachdem er, wie sein Freund, auf einer der Couchen, neben Corvin, Platz genommen hatte, griff er jedoch ebenso begeistert zu, wie sein Freund, und Hilaria Mbena verkniff sich ein Grinsen. So waren diese jungen Offiziere. Brav antwortend und bloß nichts zugebend. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Camparelli, der nun neben ihr saß und die beiden Männer, ihm gegenüber, scharf ins Auge fasste.

Hilaria Mbena befand, dass Corvin und Korkonnen die Ereignisse der letzten Tage ins Gesicht geschrieben stand. Die Bilddateien der beiden Offiziere zeigten unbekümmerte junge Menschen. Diese Unbekümmertheit schien beiden Männern abhanden gekommen zu sein, während der jüngsten Ereignisse. Etwas das Hilaria Mbena sehr bedauerte und erneut meldeten sich ihre Emotionen von vorhin.

Sie blickte die beiden Männer abwechselnd an und fragte geradeheraus: „Ist die Lage im Sol-System wirklich so schlimm, wie es mir Oberst Jason Haehrfoehr, per Hyper-Richtfunk von Wega-VIII aus, berichtete?“

Dean Corvin, auf dem ihr Blick hängen blieb, schluckte hastig ein Stück seines Gebäcks hinunter und antwortete: „Ich fürchte ja, Sir. Die Heimatflotte hat aufopfernd und tapfer dagegen gehalten – trotz der Widrigkeiten. Aber sie hatte keine Chance. Selbst einfache Manöver gerieten zu einer riskanten Aktion. Ich selbst hatte Mühe mein Frachtschiff über der Mondoberfläche zu halten, als wir die lunare Geheimbasis anflogen damit der Experimental-Kreuzer nicht in Feindeshand fällt. Offensichtlich wurden die Kriegsschiffe der Konföderation Deneb nicht von den seltsamen Ortungsstörungen heimgesucht, was unsere Raumschiffe und Weltraum-Forts zur leichten Beute werden ließ.“

Hilaria Mbena nickte wissend.

„In dieser Hinsicht sehen wir, durch einen Gefechtsbericht, der aus dem Wega-System eintraf, mittlerweile etwas klarer. Ein gewisser Oberleutnant Rosenberg, vom Zerstörer AURORA, hatte kurz vor dem Angriff auf einem Frachtraumschiff der Konföderation merkwürdige Energie-Emissionen angemessen, welche vermutlich von einem der Stör-Systeme ausgesandt wurden, die für die fatalen Ortungs-Missweisungen im Sonnensystem verantwortlich gewesen sind. Leider ließen sich, trotz der Aufzeichnungen die dieser Oberleutnant machte, keinerlei Rückschlüsse auf mögliche Gegenmaßnahmen ziehen. Tragisch ist, dass die Crew der AURORA diese Informationen während der Schlacht nicht weitergeben konnte, wegen der Störfrequenzen mit denen die eintreffenden Flotten der Konföderation, während des eigentlichen Angriffs, den Funkverkehr unterbunden haben.“

Hilaria Mbena hatte bei beiden Männern die Erleichterung in den Mienen gesehen, als sie den Namen Rosenberg aussprach, und sie ahnte warum, denn natürlich hatte sie nachgehakt mit wem zusammen diese beiden Männer ihren Abschluss an der Akademie gemacht hatten. „Sie und Miriam Rosenbaum sind Freunde?“

Kimi Korkonnen nickte. „Ja, Sir. Wir lernten uns an der Sektion-Venus kennen und promovierten gemeinsam an der Sektion-Terra.“

Wieder wanderte der Blick der Zweiundsechzigjährigen zwischen den beiden Männern hin und her. Sie blickte kurz zu Camparelli, der sich bisher bedeckt gehalten hatte, bevor sie sich sinnend bei Corvin erkundigte: „Ich habe mir den Notendurchschnitt Ihrer Abschlussprüfungen angesehen, meine Herren. Ohne diese Anklage in ihren Dienstakten hätten ihnen seinerzeit Posten in allen denkbaren Bereichen der Flotte offengestanden. Ich würde nun gerne von Ihnen persönlich erfahren, ob diese Anklage berechtigt war, oder nicht.“

Hilaria Mbena beobachtete beide Offiziere sehr genau, nachdem sie die Frage gestellt hatte und auch Camparelli wurde jetzt besonders aufmerksam.

Beide Oberleutnants reagierten gleich, und sie offen ansehend war es erneut Dean Corvin, der auf diese Frage antwortete.

„Sie war unberechtigt, Generalleutnant Mbena. Ich kann es nicht beweisen, aber ich bin mir sicher, dass die Verräterin, Kim Tae Yeon, dahinter steckte. Zusammen mit zwei Kommilitonen, namens Jeremy James und Jonas Zandvoort. Falls meine Vermutung stimmen sollte, so hat sie indirekt auch das Leben einer Kadettin, namens Claudine Gilbert, auf dem Gewissen, die zu dieser Zeit mit uns an der Sektion-Terra ausgebildet wurde.“

Zufrieden mit dieser Antwort entspannte sich Hilaria Mbenas Haltung unmerklich. Camparelli nickte ihr unmerklich zu und die Sektoren-Kommandeurin lehnte sich auf der Couch zurück. Sie eröffnete nun den beiden Männern: „Nach den letzten Daten, die aus dem Hauptquartier auf dem Mars, vor dem Angriff, übermittelt wurden, gab es eine Stunde nach Mitternacht zwei Verhaftungen. Sie betraf jene beiden Männer, die von Ihnen erwähnt wurden. Man fand in ihren Quartieren Beweise dafür, dass sie tatsächlich mit jenen Ereignissen an der Sektion-Terra, die zu der Anklage gegen Sie beide führte, in Verbindung gestanden haben. Entschuldigen Sie, dass ich diese Information zurückhielt, doch ich wollte zuerst, im Beisein des Brigadegenerals, die Bestätigung durch Sie hören. Immerhin kenne ich Sie beide erst seit wenigen Augenblicken und ich war zugegebenermaßen neugierig auf Ihre Reaktionen, wenn ich Sie mit meiner Frage konfrontiere. Aber ich weiß nun, was ich wissen muss, und ich denke, dass Brigadier Camparelli mir Recht geben wird.“

Der Mann an Mbenas Seite nickte zustimmend. Auf Mbenas unmerkliche Geste hin erhob er sich und verließ das Büro.

Die Reaktion der beiden jungen Männer, auf Mbenas letzte Worte, fiel verschieden aus, doch im Grunde ähnlich. Es war Kimi Korkonnen der mit ungläubigem Tonfall fragte, nachdem der Brigadier gegangen war: „Dann ist es nun tatsächlich offiziell, das wir beide unschuldig sind, Sir?“

Ein warmes Lächeln überflog das Gesicht der Oberkommandierenden. „Ja, das ist es. Ich habe bereits einen entsprechenden Eintrag in ihre Akten vorbereiten lassen. Nach diesem Gespräch werde ich Sie beide voll rehabilitieren. Was mich sofort zum nächsten Punkt bringt, über den ich mit Ihnen beiden reden möchte: Und zwar über Ihr zukünftiges Kommando in der Terranischen Raumflotte. Oberst Jason Haehrfoehr schlug in seinem Rapport vor, sie zum fliegenden Personal zu versetzen. Ich habe vor diesem Vorschlag zu entsprechen, nachdem er mir von dem famosen Manöver erzählte, bei dem sie drei Schlachtkreuzern des Feindes entkommen sind. Ich vermute, Ihr Taktischer Ausbilder an der Akademie wäre begeistert über dieses Manöver gewesen.“

Kimi Korkonnen verschluckte sich an seinem Fruchtsaft und Dean Corvin hielt sich hustend die Hand vor den Mund um nicht unfreiwillig den Keks auszuspucken, von dem er eben abgebissen hatte.

Auf die angehobenen Augenbrauen von Hilaria Mbena hin, erklärte Dean Corvin schließlich, mit etwas kratziger Stimme: „Dasselbe Manöver habe ich im RUBICON-Simulator, an der Sektion-Venus, geflogen, Generalleutnant Mbena. Aber die Begeisterung meines Vorgesetzten hielt sich damals ziemlich in Grenzen. Genauer gesagt: Es gab beim anschließenden Verriss einen Schuss vor den Bug.“

Die Oberkommandierende lachte amüsiert. „Theorie und Praxis.“

Dean Corvin wechselte einen schnellen Blick mit seinem Freund und erkundigte sich neugierig: „Auf welches Raumschiff werden wir abkommandiert?“

Hilaria Mbena schmunzelte fein. „Gefällt Ihnen die NOVA SOLARIS nicht? Ich möchte, dass Sie weiterhin auf diesem Kreuzer dienen, denn Sie scheinen mir genau der richtige Offizier dafür zu sein, um den Kreuzer einzufliegen und zu erproben.“

„Leider kamen wir zu spät zum Merkur“, fiel Korkonnen in das Gespräch ein. „Es fehlen zwei Aggregate, die, nach Aussage einer Technikerin der Luna-Werften, die am Bau und an den Testläufen beteiligt war, den Kreuzer erst komplettieren sollten.“

Hilaria Mbena nickte vergnügt. „Diese beiden Aggregate kamen bereits vor Tagen hier an. Die Chefin des Geheimdienstes hielt es für geraten sie herzubringen.“

Die Begeisterung in den Blicken der beiden Männer war unverkennbar, als sie einander ansahen.

Es war Korkonnen, der fragte: „Wen werden wir als Kommandanten bekommen, Sir? Ein Leichter Kreuzer wird in der Regel von einem Major kommandiert.“

Hilaria Mbena wurde wieder ganz sachlich. „Sie, Oberleutnant Korkonnen, werden nicht an Bord der NOVA SOLARIS bleiben können, denn ich brauche Sie dringend an Bord eines anderen Raumschiffes, dass vor einigen Tagen erst die planetare Flottenwerft auf Outpost verlassen hat.“

Bevor sich Korkonnen und sein Freund von dieser überraschenden Eröffnung erholt hatten, fügte sie hinzu: „Leider habe ich ohnehin schon zu wenig Personal, um dieses Raumschiff zu bemannen, weil das eingeplante Offizierskontingent für dieses Schiff, wegen des Überfalls, nicht mehr den Weg vom Sol-System hierher gefunden hat. Darum kann ich auch keinen Major als Kommandanten für den Experimentalkreuzer abstellen. Aus diesem Grund werde ich Sie, Dean Everett Corvin, vorzeitig in den Rang eines Hauptmanns befördern und Ihnen darüber hinaus den ZBV-Status verleihen.“

Die Reaktion der beiden Offiziere, insbesondere die von Dean Corvin, fiel in etwa so aus, wie es sich Hilaria Mbena zuvor ausgemalt hatte.

Der Status eines Offiziers-ZBV stammte aus der Zeit, weit vor dem Interstellaren Krieg. Er wurde seit dem Friedensschluss von 2987 jedoch kaum noch angewandt. Das Kürzel ZBV bedeutete: Zur besonderen Verwendung und stellte ein Anheben eines Offiziers um einen Rang dar, wenn der betreffende Offizier noch nicht das notwendige Dienstalter erreicht hatte um in den betreffenden Rang aufzusteigen, oder die Beförderung in den betreffenden Rang zu abrupt nach der letzten Beförderung erfolgen würde, der Offizier jedoch die Voraussetzungen für den in Frage kommenden Rang, nach Ansicht seiner Vorgesetzten, erfüllen würde. In seiner Funktion nahm ein ZBV-Offizier de facto einen Rang ein, der eine Rangstufe über seinem eigentlichen Rang lag. Als sichtbares Merkmal trug ein Offizier mit ZBV-Status diese drei Buchstaben als Großbuchstaben, in Gold, neben dem regulären Rangabzeichen.

Im Fall von Dean Corvin bedeutete dieser Status, das er die Funktion eines Majors erfüllen durfte. Was seinen reinen Rang betraf so würde er hingegen, als Hauptmann-ZBV, zwischen dem Rang eines regulären Hauptmanns und dem eines Majors rangieren. Er war damit regulären Hauptleuten gegenüber weisungsbefugt.

Bevor sich die beiden Männer von ihrer Überraschung erholt hatten, holte Hilaria Mbena zur vorläufig letzten Überraschung aus und wandte sich an den Finnen.

„Sie, Oberleutnant Korkonnen, werden ebenfalls von mir in den Rang eines Hauptmanns befördert werden, allerdings ohne ZBV-Status. Ich habe zwar einen Major für den neuen Leichten Kreuzer VESTERGAARD auftreiben können, aber keinen Hauptmann. Sie werden an Bord der VESTERGAARD die Funktion des Ersten Offiziers übernehmen. Ich weiß, dass ich Ihnen und besonders Ihrem Freund Corvin damit einiges abverlange, aber ich glaube an Ihre Fähigkeiten, meine Herren. Immerhin haben Sie beide an der Sektion-Terra abgeschlossen, und da darf man schon etwas mehr verlangen, nicht wahr?“

Hilaria Mbena, die nicht ahnen konnte, dass Dean Corvin vor elf Tagen fast identische Worte an Irina Hayes gerichtet hatte, bemerkte die Blickwechsel zwischen den beiden Männern und neugierig erkundigte sie sich: „Verpasse ich da gerade etwas?“

Dean Corvin grinste schief. „Einem Leutnant, an Bord der NOVA SOLARIS, gegenüber, habe ich beinahe dieselben Worte benutzt, kurz vor unserer Flucht von Luna, Sir.“

„Dann muss es wohl stimmen.“

Hilaria Mbena weidete sich einen Moment lang am Mienenspiel beider Männer, bevor sie in dienstlichem Tonfall fortfuhr: „Sie werden zunächst vierundzwanzig Stunden dienstfrei haben, damit Sie sich etwas von den Strapazen der letzten Tage erholen können. Mit anderen Worten: Sie, werden morgen, um exakt 02:30 Terra-Standard, Ihren Dienst auf der VESTERGAARD beziehungsweise auf der NOVA SOLARIS antreten.“

Speziell zu Corvin gewandt führte sie weiter aus: „Ich habe bereits vor Ihrer Ankunft Order erteilt, dass die beiden noch fehlenden Aggregate umgehend an Bord des Experimentalkreuzers gebracht und installiert werden. Bis auf Oberleutnant Esteban und sein Team werden Sie die momentane Besatzung der NOVA SOLARIS in die finale Crew integrieren. Dabei steht es Ihnen frei, die Posten nach den Fähigkeiten der einzelnen Crewmitglieder zu besetzen. Sehen Sie es als erste Herausforderung an, um das Vertrauen, das ich in sie setze, zu rechtfertigen, Hauptmann Corvin.“

„Vielen Dank, Generalleutnant.“

Die Oberkommandierende wiegelte schnell ab: „Danken Sie mir nicht zu früh, denn Sie werden nicht viel Zeit haben um den Kreuzer einsatzbereit zu bekommen. Ich erwarte, innerhalb der nächsten ein bis zwei Wochen einen schweren Angriff der Konföderation auf dieses strategisch wichtige Sternensystem. Rechnen Sie aber lieber mit nur einer Woche.“

„Toll!“, entfuhr es Dean Corvin, bevor er sich beeilte zu erklären: „Ich meinte, wir werden es schaffen, Sir.“

„Nun, das wird sich wohl, in der ein oder anderen Weise, bald herausstellen, würde ich meinen.“

Hilaria Mbena nestelte dabei an ihrer linken Beintasche herum und förderte zwei flache Kunststoff-Kästchen zutage. Sie vor die beiden Offiziere auf die Tischplatte legend erklärte sie: „Da ich keine Zeit finden werde, Sie beide mit Pauken und Trompeten, vor versammelter Mannschaft zu befördern überreiche ich Ihnen beiden die neuen Rangabzeichen hier, in kleiner Runde.“

Sie legte ein kleineres Kästchen auf das von Corvin, und der frischgebackene Hauptmann schien zu ahnen, dass sich darin die ZBV-Abzeichen befanden. „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Beförderung, meine Herren. Meine Ordonanz wird Ihnen ein Quartier zuweisen. Ihre Crew wird inzwischen bereits ebenfalls untergebracht worden sein.“

Die beiden Freunde verstanden den Wink. Sie erhoben sich, nicht ohne dass Kimi Korkonnen sich, mit der Linken, noch schnell ein Stück Kuchen sicherte. Salutierend meldeten sie sich ab.

Während die beiden so ungleich wirkenden Männer ihr Büro verließen, blickte ihnen Hilaria Mbena sinnend nach, wobei sie inbrünstig hoffte, beide Offiziere mögen länger etwas von ihrer Beförderung haben, als eine nur eine Woche.

 
 

* * *

 

Die nächste Woche bestand aus einer Menge Arbeit für alle Militärangehörigen im Delta-Cephei-System. Auf allen Raumschiffen, und dabei bildete die NOVA SOLARIS keine Ausnahme, wurde fieberhaft daran gearbeitet, die Aggregate, aber auch die Besatzungen selbst, bestmöglich auf den erwarteten Großangriff vorzubereiten.

Momentan lag der Leichte Kreuzer, annähernd startklar, in einem der Reparatur-Hangars, auf Outpost. Es hatte sich herausgestellt, dass die NOVA SOLARIS einige Schäden, bei ihrer Flucht aus dem Sonnensystem, davongetragen hatte. Doch auch im Kreuzer selbst wurde an den, bei der zurückliegenden Flucht überbeanspruchten, Maschinen gearbeitet. Sie waren längst noch nicht eingefahren und so waren die Beanspruchungen für einige der Aggregate zu viel gewesen.

Hilaria Mbena hatte den Kreuzer offiziell in die Neunte Flotte eingegliedert. Somit unterstanden die NOVA SOLARIS und deren Crew nun dem direkten Kommando von Generalmajor Stuart Phillips.

In den vergangenen acht Tagen war der Werftleiter, Oberstleutnant Peekan Tolkaron, dabei zum Schrecken seiner Reparatur-Teams geworden. Überall und zu den unmöglichsten Zeiten tauchte er an Stellen auf, an denen man ihn nicht vermutete, mahnte zur Eile und fasste auch selbst mit an, wenn Not am Mann war. Erst, nachdem er zweimal über sechsunddreißig Stunden im Einsatz gewesen war, mit nur sieben Stunden Schlaf dazwischen, hatte er eine längere Pause eingelegt, und das auch erst, nachdem ihm General Mbena persönlich Bettruhe verordnet hatte.

Anekdoten über diesen persönlichen Einsatz von Tolkaron hatte auch auf dem Leichten Kreuzer NOVA SOLARIS die Runde gemacht.

Als Dean Corvin, seit nunmehr gut einer Woche Hauptmann-ZBV, gemeinsam mit Irina Hayes, die von Hilaria Mbena, auf Corvins Vorschlag hin, zum Oberleutnant-ZBV befördert worden war, die verschiedenen Abteilungen seines Kreuzers inspizierte, fiel ihm eine Bemerkung seines besten Freundes wieder ein, die er am Vorabend gemacht hatte, und zum ersten Mal, seit Tagen, lag dabei für einen Moment lang, ein Lächeln auf seinen Lippen.

Irina Hayes bemerkte es. „Habe ich etwas gesagt, oder getan, was Dich so amüsiert?“

Dean Corvin fuhr aus seinen Gedanken und blickte seine Begleiterin an. Sie duzten sich seit etwa drei Tagen, sofern sie unter sich waren. Irgendwie hatte sich das so ergeben, ohne dass sie großartig darüber gesprochen hätten. Es verstand sich dabei für Irina Hayes von selbst, dass sie Corvin siezte, sobald andere Crewmitglieder in der Nähe waren. Letzteres traf auch auf Moana Adamina zu.

„Äh, nein. Ich musste nur daran denken, was Kimi gestern gesagt hat. Er meinte: Stell dir vor, wir rackern uns hier ab, und die von der Konföderation kommen gar nicht?

Die rotblonde Frau kicherte unterdrückt. „Das scheint typisch für Kimi zu sein. Was glaubst du; ob er wirklich enttäuscht sein wird, falls die wegbleiben?“

Der Kanadier schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Außerdem schätze ich selbst die strategische Lage ebenso ein, wie General Mbena. Die werden kommen. Was sagst du übrigens dazu, dass sich unsere Oberkommandierende selbst befördern musste, weil kein ranghöherer Offizier zur Hand war, ihr der Rang des Generals, da er mit der Funktion des Oberkommandierenden der Flotte gekoppelt ist, aber rechtmäßig zustand?“

„Ich glaube, das ist bisher einmalig in der Historie der Flotte. Und damit meine ich, seit der Gründung der ursprünglichen Terranischen Flotte, im Jahr 2400.“

Corvin nickte zustimmend und bog mit seiner Begleiterin zum Maschinenraum-I ab, in dem er auf den Leitenden Ingenieur des Kreuzers zu treffen hoffte. Ein etwas beleibter Oberleutnant, der auf den Namen Fatul Mahmalad hörte.

Mahmalad gehörte zu jener Art von Technikern, die oft undiszipliniert, um nicht zu sagen lasch, wirkten, aber einen Defekt förmlich riechen konnten, noch bevor er entstand. Und so einen Ingenieur an Bord zu haben war grundsätzlich nie verkehrt, befand Corvin.

Als die beiden führenden Offiziere des Kreuzers den Maschinenraum betraten, hallte ihnen die tragende Stimme des Leitenden Ingenieurs der NOVA SOLARIS bereits entgegen, die alle Arbeitsgeräusche in der Halle überlagerte.

„Mahmalad ist wieder mal in Weltuntergangsstimmung, wie es scheint“, bemerkte Irina Hayes belustigt. „Ich habe ihn ja stark im Verdacht, dass er es gewesen ist, der den Beinamen für dich, der momentan auf dem Kreuzer die Runde macht, in Umlauf brachte.“

Corvin runzelte die Stirn. „Von welchem Beinamen redest du da?“

Sich gemeinsam mit Corvin auf der breiten, den Maschinenraum umlaufenden, Galerie nach rechts wendend, grinste die Rothaarige verschmitzt. „Irgendwie muss der Kommandant der SATURN, bei seinem Rapport an Mbena, den Begriff rebellische Piratentruppe, für unsere damalige Crew, benutzt haben, und irgendwer auf diesem Schiff hat daraus dann für Deine Person der Rebell von Terra gemacht. Jetzt macht dieser Begriff für Dich, seit etwa drei Tagen, die Runde auf der NOVA SOLARIS.

Dean Corvin stöhnte ahnungsvoll auf. „Ich erinnere mich, dass der Befehlshaber der SATURN uns, mehr oder weniger offen, als rebellische Piraten bezeichnete. Ob der wohl ahnt, was er mit dieser leichtfertigen Bezeichnung angerichtet hat?“

Sie stiegen auf eine offene Lift-Plattform und fuhren hinunter zur untersten Ebene des Maschinenraums, der die Backbord-Aggregate des Hauptantriebs beherbergte. Hier unten wimmelten mehrere Dutzend Techniker herum und nahmen letzte Wartungs- und Reparaturarbeiten vor. Zwischen zwei großen Maschinenblöcken hindurch bahnten sich die beiden Führungsoffiziere der NOVA SOLARIS den Weg zu Oberleutnant Mahmalad, den sie schon von Weitem an seiner heftigen Art zu Gestikulieren erkannten.

„Oberleutnant Mahmalad, wie ich sehe sind Sie ganz in Ihrem Element!“, rief Corvin dem etwas Beleibten zu, noch bevor er und Hayes ihn erreicht hatten.

Der Ingenieur fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und musterte die beiden Neuankömmlinge mit stechendem Blick. „Haben Sie beide nichts Besseres zu tun, als harmlosen, hart arbeitenden, Leuten auf die Nerven zu gehen, Sir? Wir bekommen die Maschinen, auch ohne, dass Sie beide uns über die Schultern schauen, ans Laufen.“

„Etwas mehr Höflichkeit, der Herr Oberleutnant, wenn´s gefällt.“

Dean Corvin horchte dem Klang seiner Stimme nach, bei diesen Worten. Er fragte sich, wann dieser ironische Zusatz, den Rian Onoro ihm gegenüber, auf Luna, benutzt hatte, in seinen Sprachgebrauch eingeflossen war, ohne dass er das bewusst mitbekommen hatte. Er fand es in diesem Augenblick erstaunlich, wie schnell sich solche Marotten einschlichen. Bei dieser Überlegung spürte er einen kleinen Stich in der Herzgegend und schnell konzentrierte er sich wieder auf das, was gegenwärtig anstand.

Fatul Mahmalad konnte seine arabische Abstammung nicht verleugnen. Sein schulterlanges, schwarzes Haar wurde von einem Band hinter dem Kopf zusammengehalten. Wie kaum ein Anderer verkörperte gerade er den Begriff Pirat. Seine beinahe schwarzen Augen und seine große, kühn geschwungene Nase verliehen ihm, trotz seines Übergewichtes, ein abenteuerliches, beinahe schon verwegenes, Aussehen.

Irina Hayes ließ sich von der Art des Ingenieurs nicht beeindrucken. Sachlich erkundigte sie sich: „Wann ist die NOVA SOLARIS einsatzbereit, Oberleutnant?“

„Peekan Tolkaron, oder vielmehr seine Truppe, ist soweit fertig am Schiff. Meine Teams hingegen brauchen noch mindestens zwei Stunden. Dieses faule Gesindel ist nicht...“

Der Gefechtsalarm, der durch das Schiff gellte, übertönte selbst die Stimme des Leitenden Ingenieurs.

Dean Corvin schrie über den Lärm hinweg: „Wie lange, Oberleutnant?!“

„In zwei Minuten kann das Schiff abheben, Sir!“

Corvin und Hayes warfen sich bezeichnende Blicke zu, und der Kanadier rief über den Lärm des Alarms hinweg: „In Ordnung, Oberleutnant. Ich verlasse mich darauf, dass Sie den Laden hier unten zusammenhalten!“

Damit wandte er sich ab und rannte gemeinsam mit seiner Begleiterin zurück zur Lift-Plattform.

Nur knapp zwei Minuten später erreichten beide Offiziere das Kommandozentrum des Kreuzers, in dem bereits alle notwendigen Crewmitglieder ihre Plätze eingenommen hatten. Mit ihnen befanden sich nun sieben, von insgesamt 110, Crewmitgliedern der NOVA SOLARIS hier im Nervenzentrum des Experimentalkreuzers.

„Der Befehl zum Notstart ist bereits eingegangen, Sir!“, meldete Moana Adamina, die von Corvin auf den Posten des Kommunikationsoffiziers berufen worden war. Ihre heiß geliebten, grünen Uniformstreifen hatte sie, aus diesem Grund, mit den gelben, für das fliegende Personal, tauschen müssen. „Fünf Flotten der Konföderation Deneb sind, eine Millionen Kilometer außerhalb der Umlaufbahn von Outpost, aus dem Hyperraum gefallen und halten direkten Kurs auf ihn. Der Werftleiter hat seine Klarmeldung durchgegeben; der Kreuzer ist bereit das Reparatur-Dock zu verlassen.“

„Danke, Leutnant.“

Während Irina Hayes zu ihrer Taktischen Konsole eilte, wandte sich Corvin an den Piloten des Kreuzers, dessen Haare ein noch intensiveres Rot besaßen, als das seines Ersten Offiziers. Er war einer von zwei erfahrenen Leutnants, die Hilaria Mbena dem Kommandeur der Neunten Flotte für diesen Kreuzer, in zäher Verhandlung, mühsam abgerungen hatte. Laut seiner Dienstakte sollte er als Pilot überdurchschnittlich gut, und sehr begabt obendrein, sein.

„Leutnant Newton, bringen Sie uns raus.“

Curtis Newton, auf Wega-IX geboren, bestätigte knapp und ließ seine Finger über die Form-Holo-Tastatur seiner Konsole huschen.

Das schwache Summen der Aggregate steigerte sich um eine halbe Oktave, als die Maschinenanlagen des Experimentalkreuzers heraufgefahren wurden.

Über der Werftanlage der Terranischen Raumflotte ging soeben erst die Sonne des Systems auf und sandte ihre roten Strahlen über die Landschaft, als der Leichte Kreuzer aus dem Bodenhangar schwebte und, immer schneller werdend, dem Weltall entgegen strebte.

Auf der Taktischen Anzeige des Haupt-Holobildschirms beobachtete Dean Corvin, wie die NOVA SOLARIS, wenige Minuten später bereits, ihre Position an der linken Flanke der Abwehr-Formation, gebildet aus etwas mehr als einhundert Einheiten, einnahm. Der Terraner wusste, dass bereits in diesem Moment, die Vierte und die Achte Flotte den Hyperraum durcheilten, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Taktisch klug hielt Stuart Phillips die Flotte am Rand des äußersten Schussbereichs der Weltraum-Forts, die Outpost umgaben und durch ihre schwere Bewaffnung schützen sollten. Hier im Delta-Cephei-System würden die Kriegsschiffe der Konföderation nicht so leichtes Spiel haben, wie im Sol-System. Dennoch, das war Corvin klar, standen sie einer deutlichen Übermacht gegenüber. Seine Oberkommandierende hatte mit nur maximal vierhundert Kriegsschiffen gerechnet, doch der Diktator von Denebarran spielte mit sehr hohem Risiko. Und er würde vermutlich auch Erfolg damit haben, falls kein Wunder geschah.

Dean Corvins Hände ballten sich zu Fäusten. Es würde schwer werden das System zu halten, bei dieser Übermacht, das war ihm klar. Selbst wenn es den beiden zu Hilfe eilenden Flotten gelang, die Angreifer kurzzeitig zu überraschen und in die Zange zu nehmen.

In der letzten Woche waren die beiden noch fehlenden Aggregate in die Systeme der NOVA SOLARIS integriert worden, und der Kreuzer hatte dadurch eine signifikante Steigerung seiner Leistung erfahren. Dabei war Rodrigo Esteban gelegentlich an Bord gewesen, und hatte sich dabei mit seinen Freunden austauschen können. Nach seiner Aussage waren die Datenträger, die Generalleutnant MacPherson von der Geheimbasis auf Merkur gerettet hatte, unversehrt geblieben und so würden er, und sein Team, sollte dieser Angriff irgendwie doch abgewehrt werden können, die übrigen Schiffe der Flotten bald in ihrem Kampfwert steigern können. Alles, was dafür gebraucht wurde, war eine längere Phase der Ruhe, vor der Konföderation Deneb.

Es war wenig Zeit geblieben, um die Leistungswerte des neuen Experimentalkreuzers herauszufinden, doch Dean Corvin erinnerte sich an einen der Leitsätze, die man ihm an der Akademie beigebracht hatte.

Der einzig wahre Test für ein Kampfraumschiff ist der Raumkampf.

„Dann wollen wir unseren Kreuzer doch mal auf Herz und Nieren prüfen“, flüsterte Dean Corvin lautlos.

Schneller, als gedacht, waren die vorderen Einheiten der Konföderation Deneb auf Schussweite der Fort-Batterien heran und die sechseckigen Plattformen, mit einer Kantenlänge von jeweils knapp einem Kilometer eröffneten ein vernichtendes Abwehrfeuer. Anders, als vor knapp zwei Wochen im Sol-System lagen die Salven zu einem hohen Anteil im Ziel. Gleich darauf eröffneten auch die Kriegsschiffe der Neunten Flotte das Feuer.

Mehrere Feindkreuzer vergingen bei diesem Feuerschlag der Terranischen Flotte in grellen Explosionen und Trümmerteile wirbelten in sämtliche Richtungen davon. Doch das Gros der Feindflotte rückte nach und erwiderte das Energiefeuer.

Erste Atomsonnen, jede von ihnen das Ende eines terranischen Kriegsschiffes anzeigend, gingen in den Reihen der Verteidiger auf.

Schnell wurde ersichtlich, dass die Flotten der Konföderation Deneb die Einheiten der Neunten Flotte auseinanderreißen, und von den Forts weglocken wollten, doch Stuart Phillips hatte strickte Order erteilt, diesen taktischen Vorteil nicht zu verschenken. Nur vereinzelt machten einzelne kleine Verbände immer wieder schnelle Ausfälle in Richtung der Angreifer, nur um sich gleich darauf wieder in den Feuerschutz eines der Forts zurückzuziehen.

Doch das war auf Dauer kein Allheilmittel gegen die erdrückende Übermacht des Feindes wie sich herausstellte, als eines der Forts von mehreren gewaltigen Atomexplosionen regelrecht zerrissen wurde und drei kleinere terranische Kreuzer mit sich ins Verderben riss.

Dean Corvin, dessen Kreuzer im Verband mit einem Schlachtkreuzer, zwei Schweren- und fünf Leichten Kreuzern, sowie einer Gruppe kleinerer Einheiten, flog, deckte das Verbandsleitschiff geschickt gegen die Attacken mehrerer Zerstörer und Fregatten des Feindes, wobei die NOVA SOLARIS zwei der Kriegsschiffe vernichtete und ein weiteres stark beschädigte.

Irina Hayes, an den Kontrollen des Waffenleitstandes, wirkte hoch konzentriert, beinahe wie in Trance, und Corvin spürte für einen kurzen Augenblick eine Welle von Stolz auf sie, und die übrige Zentrale-Crew in sich aufsteigen. Sie alle, er nicht ausgeschlossen, waren noch sehr jung, doch sie schlugen sich wacker in ihrem ersten realen Raumgefecht. Corvin grinste angedeutet, als er sich vor Augen hielt, dass es sein und Irina Hayes´ zweites Gefecht war. Doch das machte einen nur geringen Unterschied befand er.

In einer kurzen Atempause verschaffte sich Corvin einen schnellen Überblick über die taktische Situation und beorderte die NOVA SOLARIS weiter in den Rot-Sektor, aus dem sich drei Leichte Kreuzer näherten. An ihrer linken Flanke machte der Zerstörer PILGRIM das Manöver mit.

Irina Hayes feuerte aus maximaler Distanz mehrere Torpedos auf die Feindschiffe ab, bevor sie auch die Plasmakanonen mit einsetzte.

Einer der Kreuzer wurde beschädigt und blieb zurück, doch die beiden anderen Feind-Kreuzer erwiderten das Feuer auf die NOVA SOLARIS.

Der Leichte Kreuzer wurde von mehreren Treffern auf die Dualschilde erschüttert. Die Schilde wurden dabei bis an die Grenzen belastet, hielten jedoch stand, was der PILGRIM die notwendige Zeit verschaffte, ihrerseits einen Torpedoangriff auf die beiden feindlichen Kreuzer zu starten.

Ein weiterer Kreuzer der Konföderation Deneb fiel schwer beschädigt aus, während die Waffen der NOVA SOLARIS dem letzten der drei Kreuzer den Rest gab.

Dean Corvin ballte seine Rechte. Doch ein Blick auf die Taktische Anzeige und immer zahlreicher werdende Notrufe der eigenen Raumschiffe zeigten ihm an, dass es an anderen Frontabschnitten weit weniger gut stand. Die Neunte Flotte wurde, langsam aber sicher, immer weiter in Richtung Outpost zurückgedrängt.

In einen erneuten Vorstoß der Feindflotten fiel ein Ausruf von Moana Adamina. „Sir, unsere Vierte- und Achte Flotte sind soeben angekommen und greifen den Feind aus den rückwärtigen Sektoren an.

Dean Corvin sah in demselben Moment auf der Taktischen Anzeige des Hauptschirms, was sich im Delta-Cephei-System abspielte.

Für eine Weile schien der Feind verwirrt zu sein, weil er offensichtlich nicht mit dem Erscheinen zweier weiterer terranischer Flotten gerechnet hatte.

Die Flotten der Konföderation Deneb gruppierten sich um, um auf die neuerliche Bedrohung, die so unverhofft in ihrem Rücken aufgetaucht war, reagieren zu können. Das gab den terranischen Einheiten wiederum Gelegenheit, sich neu zu formieren. Doch schon wenige Stunden später stellte sich heraus, dass auch die Macht der drei Flotten zusammen nicht ausreichte um sich erfolgreich gegen fünf Feindflotten zur Wehr zu setzen. Immer öfter wurden Totalverluste auf den Holo-Displays angezeigt.

Auch die NOVA SOLARIS hatte bereits mehrere leichte Treffer einstecken müssen, und es war mehr als einmal dem fliegerischen Können von Curtis Newton zu verdanken gewesen, dass es nicht längst zu Schlimmerem gekommen war.

Als sich Dean Corvin bereits zu fragen begann, wie lange sie noch erfolgreich Widerstand würden leisten können, riss ihn eine aufgeregte Meldung von Moana Adamina aus seiner verzweifelten Stimmung.

„Kommandant, es erscheinen weitere Raumschiffe im System – mittlere Entfernung etwa zwei Millionen Kilometer! Mindestens dreihundert Einheiten, eher noch mehr!“

„Verdammt!“, entfuhr es Dean Corvin bitter. Der Diktator setzt alles auf eine Karte und zieht die Schlinge um unseren Hals zu. Ich hatte gehofft...“

„Sir, das sind keine Flotten der Konföderation!“, unterbrach ihn die Samoanerin mit zitternder Stimme. „Der Kommandeur hat soeben Kontakt zum Flaggschiff hergestellt, und sich als Generalmajor Arolic Traren identifiziert. Es sind drei Flotten der Farradeen-Allianz.“

Dean Corvin hatte, in den letzten Tagen, nur flüchtig mitbekommen, dass der Stellvertretende Gouverneur des Delta-Cephei-Systems, auf Generalleutnant Mbenas Geheiß hin, nach Farradeen gereist war. Er vermied es jedoch irgendwelche wilden Vermutungen anzustellen, denn noch war nicht klar, was das Militär von Farradeen wirklich hier wollte. Vielleicht wollten sie nur, wie die Geier, etwas vom Kuchen abhaben.

Doch schon einen Moment später jubelte Moana Adamina, ziemlich undiszipliniert: „Der Generalmajor von Farradeen hat soeben seine Flotten dem Oberkommando von Mbena unterstellt, Kommandant! Sie wollen uns beistehen!“

Einen Moment später sah Dean Corvin, auf dem Haupt-Bildschirm, was er trotz der begeisterten Meldung zunächst nicht hatte glauben wollen. Die Einheiten der Farradeen-Allianz gruppierten sich, fächerten auf eröffneten kompromisslos das Feuer auf die überraschten Einheiten der Konföderation Deneb. Schnell und hart zerschlugen die neu angekommenen Flotten der Allianz die hintere Front des Feindes.

Gleichzeitig ließen Stuart Phillips, Claudine Poirot und Hu Xin Fo ihre Flotten wieder vorrücken und angreifen.

Die Kommandanten der Konföderation Deneb schienen nicht zu wissen, wie sie auf die Entwicklung reagieren sollten. Eine Art Schockstarre schien sie ergriffen zu haben und die kombinierten Streitkräfte der Allianz und der Terraner nutzten diesen Zustand.

Zahlreiche Einheiten der Konföderation vergingen in gewaltigen Atomexplosionen, und die Invasionsflotten schrumpften auf weniger als dreihundert Kriegsschiff, bevor eine neue Entwicklung erkennbar wurde: Überall setzten sich die Kriegsschiffe der Konföderation Deneb vom Gegner ab, stellte die Kämpfe ein und flohen mit Maximalbeschleunigung aus dem Delta-Cephei-System.

Zehn Minuten später gab es kein manövrierfähiges Kriegsschiff der Konföderation Deneb mehr in diesem Sternensystem.

Auf der NOVA SOLARIS konnte Dean Corvin noch nicht richtig fassen, was sich ereignet hatte. Erst nach einem langen Moment atmete er befreit aus und sagte in die seltsam anmutende Stille des Kommandozentrums hinein. „Sieht aus, als wäre es erst einmal vorbei.“

Die Haltung des Kanadiers entspannte sich jedoch nur langsam. Er gab Anweisung, den Status der einzelnen Abteilungen abzufragen und lauschte den Meldungen der einzelnen Abteilungs-Chefs. Und während er das tat schweiften seine Gedanken ab, zum heimatlichen Sonnensystem und einer jungen Frau, die er dort hatte zurücklassen müssen. In den letzten nervenaufreibenden Tagen hatte er kaum Gelegenheit dazu gehabt, doch jetzt überfiel ihn wieder die Erinnerung an Rian Onoro. Verbittert fragte er sich, wie es ihr ergangen sein mochte und ob sie überhaupt noch lebte.

IN DER FALLE

 Seit nunmehr fast sieben Tagen war Feldwebel Rian Onoro auf der Flucht vor den Truppen der Konföderation Deneb, die mittlerweile die Geheimbasis längst vollständig unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Nur um Haaresbreite war sie, nach der Flucht der NOVA SOLARIS, den heranrückenden Truppen von Generalleutnant Grenqvist entkommen.

Nach den ersten drei Tagen, die sie sich erfolgreich in den abgelegenen Bereichen der Basis hatte verbergen können, hatte die Technikerin gehofft, die Spürtrupps der Konföderation würden irgendwann aufhören, die Basis zu durchstreifen. Doch zu ihrem Verdruss war das nicht geschehen. Noch immer durchsuchten schwer bewaffnete Patrouillen alle Bereiche dieser Basis nach versprengten Terranern, und ihre einzige Chance war es gewesen, immer in Bewegung zu bleiben, und keine Spuren dabei zu hinterlassen.

Gerade im Moment war sie dabei, einen seit zwei Tagen geplanten Sabotageakt gegen die internen Überwachungssysteme durchzuführen. In einem abgelegenen Frachtraum der Basis, ganz in der Nähe der Hauptenergieleitungen, über welche die internen Scanner und optischen Überwachungsanlagen mit Energie versorgt wurden, hatte sie mühsam einige Kunststoff-Kisten so übereinander gestapelt, dass sie sich Zutritt zur Zwischendecke hatte verschaffen können. Flach auf dem Bauch kriechend, über ihrem Kopf nur eine Handbreit Raum, bewegte sie sich zielstrebig ihrem Ziel entgegen. Ihre Waffen hatte sie zwischen mehreren Kisten im Lagerraum zurückgelassen.

Einige der Aggregate hier oben, zwischen denen hindurch sie sich schlängeln musste, strahlten eine enorme Wärme aus, und bereits nach wenigen Minuten schwitzte sie aus allen Poren. Bereits vor einigen Tagen hatte sie, da sie sich nun seit einer Woche nicht mehr hatte waschen können, einen unangenehmen Körpergeruch an sich selbst festgestellt. Und dieser erneute Schweißausbruch würde es nicht zum Besseren verändern.

Irgendwann werden die mich auch ohne Scanner finden, dachte Rian Onoro ironisch. Sie brauchen einfach nur die Witterung aufzunehmen.

Immer weiter kriechend erreichte sie nach rund zwanzig Minuten schließlich ihr Ziel. Kurz verschnaufend nahm sie, in der beengten Umgebung, den Deckel des Energieverteilers ab, den sie sich für ihre Sabotage ausersehen hatte. Nachdem sie kurz die Schaltkristalle angesehen hatte, entfernte sie zielsicher vier der flachen, transparenten Elemente und steckte sie verkehrt herum wieder ein. Diese Modifikation sorgte dafür, dass die Energieversorgung der Systeme, die sie nicht zu sabotieren gedachte, weiterhin gewährleistet war und dass man ihre Manipulation des Energiestroms nicht ohne weiteres aufspüren konnte. Nicht, ohne die internen Scanner, die sie eben, neben dem Kamerasystem, vom Netz getrennt hatte.

Fraglos würden die Techniker der Konföderation irgendwann den Fehler finden, und beides wieder in Gang setzen können, doch das würde ihrer Schätzung nach vermutlich mindestens eine Woche dauern. Bis dahin musste ihr etwas Neues einfallen.

Bereits während sie umkehrte und zu der Deckenöffnung des Frachtraumes zurück kroch, verspürte sie einen Druck in der Magengegend. Sie musste, und das bereits seit Stunden, ein dringendes Bedürfnis verrichten. Doch anders, als bisher, gab es in diesem Bereich der Basis, in der sie momentan weilte, keine Sanitärräume. Bisher waren diese Momente ihr größtes Problem gewesen, denn es war gar nicht so leicht, eine Toilette aufzusuchen, ohne dabei gleichzeitig einer Patrouille in die Arme zu laufen. Bisher hatte sie zwar Glück gehabt, doch sie musste vorsichtig bleiben.

Als sie endlich aus der Zwischendecke heraus kletterte und kurz darauf wieder glücklich auf dem Boden des Frachtraumes stand, da wurde der Druck bereits unerträglich. Fieberhaft sah sie sich nach einem Notbehelf um und entdeckte ihn. In der hinteren Ecke des Raumes fand sie einen Kunststoffeimer, der offensichtlich bereits längere Zeit hier verrottete. Eine Zeitlang stand sie unschlüssig da, bevor sie den Eimer nahm und ihn zwischen zwei der größeren Kisten auf den Boden stellte. Allein schon bei dem Gedanken daran, was nun folgen würde, ein angewidertes Gesicht machend, ließ sie die Hosen herunter, kniete sich, mit dem Rücken an eine der Kisten angelehnt, ab und versicherte sich, dass der Eimer wirklich mittig unter ihr stand. Erst dann entspannte sie sich.

Sich breitbeinig, etwas ungeschickt, erhebend, suchte sie fieberhaft in einer der Hosentaschen nach etwas Toilettenpapier, das sie am Vortag eingesteckt hatte. Erleichtert, als ihre Finger es ertasteten, zog sie es aus der Tasche und säuberte sich damit, so gut es eben ging und ließ es anschließend mit in den Eimer fallen. Rasch zog sie sich wieder an und dachte dabei: Bloß weg damit.

Den nächsten Schacht zur Recycling-Anlage machte sie schnell ausfindig, und mit Ekel im Blick ließ sie den Eimer mit ihrer Notdurft durch die große Klappe verschwinden. Sie war sicher, dass ihr dieser beinahe entwürdigende Moment länger im Gedächtnis bleiben würde, als ihr lieb war.

Fast gleichzeitig fingerte ihre Linke an ihrer Beintasche, dort, wo sie noch einen der letzten Konzentrat-Riegel aufbewahrte, die sie vor drei Tagen aus einem der kleineren Depots gestohlen hatte. Sie entschied sich jedoch spontan, dass sie noch nicht wieder Hunger hatte. Stattdessen beließ sie es dabei, eine Wassertablette zu schlucken, um ihr Verlangen nach Flüssigkeit zu stillen.

Bereits zweimal hatte sie sich mit Lebensmitteln versorgen müssen, da sie naturgemäß immer nur einen begrenzten Vorrat in ihren Taschen mitnehmen konnte. Es war bald an der Zeit, ihren Vorrat wieder aufzufüllen. Spontan entschloss sich Rian Onoro dazu, das sofort zu erledigen. Was sie hatte, das hatte sie.

Ihre beiden Handwaffen zurück in die Hosentaschen stopfend nahm sie zuletzt wieder ihr Plasma-Gewehr an sich. Das Schott des Frachtraumes öffnend spähte sie vorsichtig auf den Gang hinaus. Niemand war zu hören oder zu sehen. Schnell verließ sie den Frachtraum und rannte geschmeidig den Gang hinunter, zu einem Schott, hinter dem eine der Nottreppen lag. Ohne besondere Vorsicht dabei an den Tag zu legen eilte sie durch die entstandene Öffnung, nachdem sie das Schott geöffnet hatte.

Sie prallte direkt gegen einen Soldaten der Konföderation Deneb. Der Raumsoldat hatte routinemäßig dieses Treppenhaus abgeschritten und war offensichtlich gerade dabei gewesen, es auf dieser Ebene zu verlassen.

Ebenso erschrocken, wie Rian Onoro selbst, starrte der junge Mann, der kaum älter sein konnte, als die Technikerin, sie ungläubig an.

Bevor die Frau einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sie bereits auf ihn angelegt und drückte ab.

Die Energie des Plasma-Schusses schleuderte den Mann nach hinten. Polternd stürzte er die Treppe hinunter und blieb auf dem nächsten Absatz reglos liegen.

Entsetzt über das, was sie im Affekt getan hatte starrte sie mit weit aufgerissenen Augen zu dem Toten hinunter. Daran, dass er tot war, zweifelte Rian Onoro keinen Moment lang, denn seine Augen, in denen immer noch ein ungläubiger Zug zu liegen schien, starrten weit aufgerissen mit gebrochenem Blick ins Leere. Ihre Beine begannen unterhalb der Knie jämmerlich zu zittern und ihr Herz raste wie wild während sie ihn noch immer unter Schock stehend anstarrte. Kalter Schweiß brach ihr aus. Sie spürte, dass ihr schwindelig wurde und vorsichtig setzte sie sich auf die oberste Stufe, bis sie das erste Grauen überwunden hatte, und sich ihr Puls langsam zu normalisieren begann. Erst dann stand sie wieder auf und schritt, beinahe mechanisch, die Stufen zu dem toten Soldaten hinunter.

Dabei wurde ihr bewusst, dass sie einen Menschen getötet hatte, und dass sie mit dieser Schuld würde leben müssen.

Es kostete sie Überwindung, den Toten nach seiner eisernen Ration zu untersuchen, doch vielleicht würde sie das, zumindest heute, davor bewahren, noch einen Menschen töten zu müssen. Obwohl sie sich immer wieder einredete, dass es nicht ihre Schuld war, sondern die Schuld derer, die sie überfallen hatten, schwand das Ziehen in ihrem Magen nicht.

Mit zittrigen Fingern nahm sie die Nahrung, die der Soldat mit sich führte, an sich und verließ eilig diesen Ort des Grauens. Dabei standen Tränen in ihren Augen.

Sie spürte, dass sie in den nächsten Stunden nichts konstruktives zustande bringen würde. Außerdem fühlte sie sich entsetzlich ausgebrannt und so beschloss sie, ein adäquates Versteck für sich zu finden und sich etwas Ruhe und auch geistige Erholung zu gönnen.

Als sie sich endlich, hinter einer Wandverkleidung in einer kleinen Nische, zusammengerollt hatte und die Augen schloss, da dauerte es eine ganze Weile, bis sie das erschrockene Gesicht des jungen Soldaten nicht mehr vor ihrem geistigen Auge sah, und sie endlich, am gesamten Leib zitternd, in einen unruhigen Schlaf fiel.

 
 

* * *

 

Nach nur fünf Stunden erwachte Rian Onoro schweißgebadet. Sie fühlte sich immer noch zerschlagen, doch mit jedem Atemzug spürte sie auch, dass der Schlaf ihr gutgetan hatte. Jetzt, mit etwas Abstand zu dem traumatischen Ereignis von vorhin, gelang es ihr, sich endlich wieder einigermaßen zu beruhigen. Sie verspürte weder Hunger noch Durst. Stattdessen wirbelten ihre Gedanken wild durcheinander. Sie musste weg von dieser Basis, wenn möglich sogar weg von Luna. Vielleicht konnte sie eine Möglichkeit finden unbemerkt nach Terra zu gelangen, oder zum Mars.

Sie hatte vor zwei Tagen, bei einem ihrer Ausflüge in den Zwischendecken der Basis, zufällig zwei Offiziere belauschen können. Sie hatten sich über Transportschiffe unterhalten, die auf Luna erwartet wurden.

Nach und nach reifte in Rian Onoro ein kühner Plan heran. Ein verzweifelter Plan, fraglos, doch immerhin gab es, wenn auch eine nur sehr geringe, Hoffnung darauf, von hier fliehen zu können.

Rian Onoro schätzte ihre Chance, mit etwas Glück, einen dieser Frachter, bevor er nach seinem Entladen wieder startete, unauffällig betreten zu können, und dann später zu kapern, sobald er sich im Weltraum befand, als realistisch genug ein, um sie zu ergreifen. Doch dazu würde sie noch einige Informationen benötigen, wie beispielsweise die aktuellen Flugpläne. Doch die würde sie kaum in den imperialen Datenbanken finden. Es musste ihr irgendwie gelingen, die Daten eines herrenlosen Daten-PADD´s abzugreifen. Doch dazu musste sie sich dem Feind unangenehm annähern, was die Gefahr einer Entdeckung heraufbeschwor. Rian Onoro war jedoch andererseits klar, dass sie damit anfangen musste gewisse Risiken einzugehen, wollte sie von hier wegkommen.

Die Technikerin brütete eine Weile darüber, wo sie diese Daten am besten auftreiben konnte und sie kam zu zwei Ergebnissen. Erstens würde wohl ganz bestimmt der Führer der Bodentruppen über diese Informationen verfügen, doch der schien ihr zu gut abgeschirmt zu sein. Die zweite Lösung gefiel ihr auch nicht besser. Denn ihr war bewusst, dass die zweite Lösung Kim Tae Yeon hieß. Sie hatte beim Belauschen der beiden Offiziere mitbekommen, dass sie gegenwärtig alle Zu- und Abgänge der Basis kontrollierte. Also brauchte sie auch die aktuellen An- und Abflugzeiten sämtlicher Raumschiffe und Shuttles, die in dieser Basis anlegten oder wieder abflogen.

Da es dazu, sich die benötigten Daten im Büro dieser Verräterin zu besorgen, kaum eine brauchbare Alternative zu geben schien, entschied sich Rian Onoro dazu. Doch dazu musste sie zunächst herausfinden, wo genau sich das Büro dieser falschen Schlange befand.

Erst als sie bereits wieder auf dem Weg war, wurde Rian Onoro bewusst, dass bisher kein Alarm ausgelöst worden war, seit sie den Soldaten der Konföderation getötet hatte. Vielleicht hatte sie ja Glück und es dauerte noch eine Weile, bis man ihn vermissen würde.

Sie war noch keine zehn Decks höher gestiegen, wobei sie zweimal nur knapp weiteren Patrouillen ausweichen konnte, als sie erneut Stimmengewirr aus einem Seitengang vernahm. Eine beunruhigende Aktivität hatte sich hier in den letzten Stunden offensichtlich entwickelt, und es dauerte einen Augenblick, bis die Technikerin verstand warum.

Verdammt, natürlich binden die mir nicht auf die Nase, dass sie längst über den Toten gestolpert sind, und sich bereits in Alarmbereitschaft befinden.

Rian Onoro wurde klar, dass sie ihr Vorhaben zunächst einmal zurückstellen, und mindestens einen Tag abwarten und sich musste, bis sie es wagen konnte, ihre Nase wieder vorzustrecken und nach den Flugplänen zu forschen.

In einen unbelebten Seitengang ausweichend schaffte sie es unbemerkt in einen kleinen Abstellraum zu verschwinden, und von dort aus, einmal mehr, durch eine wilde Kletteraktion in eine Zwischendecke zu kriechen. Dort legte sie ihr Gewehr vor sich ab, streckte sich und blieb auf dem Bauch liegen. Mit geschlossenen Augen grübelte sie darüber, wie sie am besten ungesehen an Bord eines Frachters der Konföderation gelangen konnte. Darüber schlief sie erneut ein, diesmal tief und traumlos.

 
 

* * *

 

Dreißig Stunden später hatte Rian Onoro endlich die Daten gefunden, die sie benötigte um einen erfolgreichen Fluchtversuch zu wagen.

Durch einen Luftkanal war sie in das ehemalige Büro von Rodrigo Esteban eingedrungen, das jetzt von Kim Tae Yeon genutzt wurde. Sie kannte sich auf dieser Ebene der Geheimbasis sehr gut aus, und so war es ihr nicht schwergefallen sich Zugang zu den Lüftungskanälen zu verschaffen. Sie hatte Glück gehabt – auf dem Schreibtisch des Arbeitszimmers hatte sie zwei PADD´s gefunden, und nach kurzer Suche war sie bei einem dabei auf genau die Daten gestoßen, die sie dringend für ihre Flucht benötigte.

Der günstigste Moment zur Flucht war bereits in einer Stunde. Genau dann nämlich sollte, laut der Liste auf dem PADD ein Frachter in Richtung Terra starten. Es würde knapp werden, aber es war zu schaffen, sagte sie sich selbst aufmunternd.

Es gab zwar keine direkte Verbindung zu dem besagten Hangar, über den sie unbemerkt hinein gelangen konnte, aber Rian Onoro traute sich zu, durch einen der engen Luftschächte zu einer der Mannschaftsmessen zu kriechen und von dort aus weiter, durch abgelegene Nebengänge, einen der kleineren Kontrollräume des Hangars zu erreichen. Dort konnte sie abwarten, bis der Frachter bereit zum Start war.

Sie schätzte, dass sie mindestens zehn Minuten vor dem Start den Hangar erreichen würde, wenn sie jetzt gleich aufbrach. Erst danach würden die eigentlichen Probleme beginnen, die darin gipfeln würden, ungesehen an Bord zu kommen.

Rian Onoro hatte kurz überlegt sich von ihrem Plasma-Gewehr zu trennen. Doch dann hatte sie es sich entschlossen vor die Brust gehängt, wo es sie, während sie durch den engen Schacht kroch, am wenigsten behindern würde. Ihre Handwaffe, und jene, die ihr Dean Corvin überlassen hatte, schob sie tiefer in die Taschen, um sie nicht zu verlieren. Beide behinderten sie nur wenig, bei dem, was sie nun vor hatte.

Mühsam kroch sie, aus der Sicherheit eines engen Wartungsraumes in dem sie sich aufhielt, in den engen Schacht und befestigte notdürftig die Klappe hinter sich, wozu sie in dem engen Schacht eine geradezu artistische Einlage hinlegen musste.

Danach kroch sie, so schnell es ihr mit ihrer Ausrüstung möglich war, vorwärts. Ihr wurde, einmal mehr, unangenehm warm, und allmählich kam ihr zu Bewusstsein, dass sie sich zu einem wahren Himmelfahrtunternehmen aufmachte.

In der Enge des Ganges fragte sich Rian Onoro, wie es Dean Corvin und seinen Mitstreitern wohl ergangen war. Waren sie der Konföderation entkommen, oder befanden sie sich vielleicht längst in Gefangenschaft, und die NOVA SOLARIS im Besitz des Feindes? Sie schüttelte diese fruchtlosen Überlegungen ab. Den Kanadier abwechselnd verfluchend und sich um ihn Sorgen machend, kroch sie unermüdlich weiter, bis endlich das Ende des Schachtes in Sicht kam.

Rian Onoro nahm eine ihrer Handwaffen, die keine Plasmaschüsse, sondern Miniraketen mit Explosivwirkung verschoss, und legte auf die Lüftungsklappe an, die von der anderen Seite fest verriegelt war. Dies war der schwierigste Teil ihres Plans, denn die erhitzte Luft würde sich nach dem Schuss, im Schacht zurück stauen, und sie lief Gefahr dabei, dass sie verletzt wurde. Außerdem konnte sie zufällig bemerkt werden. Doch ihr Vorhaben ließ an keiner Stelle Alternativen zu, und so schoss sie ohne zu zögern.

Die Wirkung der Waffe übertraf noch Rian Onoros Erwartungen, und sie ein ganzes Stück in den Schacht zurückgeschleudert, wo sie für einen Moment benommen liegen blieb. Leise aufstöhnend erhob sie sich endlich wieder und kroch nach vorne, bis sie das zerstörte Ende des Schachtes erreicht hatte.

Der Luftschacht endete fast unter der hohen Decke der momentan unbenutzten Mannschaftsmesse und die sportliche Frau machte sich daran, über verbogene Metallträger und zerschmolzene Metall- und Kunststoffteile der Wand, zum Boden des Raumes hinunter zu klettern. Die letzten zwei Meter ließ er sich einfach fallen.

Rian Onoro löste das Gewehr vor ihrer Brust, nahm es zur Hand und blickte sich kampfbereit um. Sie rechnete nicht damit, dass kein Feind in der Nähe war, sondern lieber mit dem Schlimmsten. Eilig lief sie zum Schott des großen Raumes, öffnete es und spähte vorsichtig auf den Gang hinaus. Alles war ruhig und kein Feind war zu sehen.

Schnell rannte Rian Onoro den Gang hinunter und bog dann nach Rechts ab, wobei sie an einem Lift vorbeikam. Sie hatte jedoch nicht vor, einen dieser leicht zu kontrollierenden Wege zu nehmen um den Hangar zu erreichen, der sich drei Hauptdecks unter ihr befand, sondern sie gedachte ihr Ziel über eine der Nottreppen zu erreichen.

Durch zwei dicht hintereinander angeordnete Schotts betrat er eins der vier Forschungslabors. Bisher war ihr niemand begegnet.

Rian Onoro war fast schon ein bisschen sorglos, als auf der gegenüberliegenden Seite drei Bewaffnete auftauchten und in ihre Richtung sahen.

Sie fluchte erbittert und schoss, trotz ihrer nachlassenden Anspannung, zuerst. Ein Teil der Laboreinrichtung wurde regelrecht zerschmolzen und sofort verwandelte sich der Raum in ein Chaos aus Flammen und Rauch, so dass die Frau nicht feststellen konnte, ob sie auch getroffen hatte. Daran jedoch, dass ihr Feuer erwidert wurde stellte sie fest, dass zumindest einer ihrer Gegner noch handlungsfähig war.

Schnell rannte sie, durch den Qualm, auf den nächsten Nottreppeneingang zu, dessen Position sie sich gemerkt hatte, und flüchtete hinein.

Mit rasendem Herzen rannte sie nach unten. In dieser Situation konnte das Treppenhaus zu einer tödlichen Falle für sie werden. Schon eine einzige hinunter geworfene Granate konnte ihren schnellen Tod bewirken. Doch Rian Onoro erreichte das nächst tiefer gelegene Hauptdeck, ohne dass etwas derartiges geschah. Getreu ihrer Überzeugung, dass es falsch war, das Glück weiter herauszufordern, verließ sie das Treppenhaus, um ein anderes aufzusuchen, obwohl dieses sie bis zum Deck des fraglichen Hangar gebracht hätte.

Während Rian Onoro durch den Gang hetzte, zerbarst das Schott des Treppenhauses, das sie eben verlassen hatte, in einer dumpfen Explosion und bewies damit die Richtigkeit ihrer Theorie.

Rian Onoro lachte wild auf. Sie hatte einen Teil ihrer Angst verloren und war nur noch von dem glühenden Gedanken beseelt, ihr Ziel zu erreichen. Ihr Vorteil dabei war, dass die Soldaten der Konföderation Deneb nicht genau wussten, wo ihr eigentliches Ziel lag.

Rian Onoro erreichte ein anderes Nottreppensystem, überprüfte es eilig und rannte erneut die Treppen hinunter. Diesmal verließ sie das Treppenhaus nicht ein Hauptdeck tiefer sondern rannte weiter hinunter, bis zum Zieldeck. Sie war dem Frachter-Hangar jetzt so nahe, dass der Gedanke daran, noch zu scheitern, sie unbewusst aufstöhnen ließ. Außerdem wusste sie nicht, wie lange die Ladungen ihrer Waffen reichen würde, falls sie sich erneut den Weg würde frei schießen müssen. Den ursprünglichen Plan, unbemerkt an Bord des Frachters zu gelangen, hatte sie mittlerweile begraben. Man war ihr auf den Fersen, und sie musste zu extremeren Maßnahmen greifen.

Weit hinter sich hörte sie gerufene Befehle, als sie endlich das Hangarschott erreichte und es mit zitternden Fingern öffnete. Sie stürmte durch das sich öffnende Schott, doch nur einige Schritte weit, bevor sie deprimiert abstoppte und ihre Waffe sinken ließ.

Rian Onoro blickte in ein gutes Dutzend Waffenmündungen, die auf sie gerichtet waren und erkannte, nach einigen Sekunden, ein ganz bestimmtes Gesicht wieder. Es gehörte Kim Tae Yeon. Nur trug sie nun die perlnachtblaue Uniform der Konföderation Deneb, mit den Rangabzeichen eines Majors am Uniformkragen. Für einen Moment verspürte Rian Onoro das unbändige Verlangen, ihre Waffe doch wieder hoch zu reißen und ein letztes, gutes Werk für die Menschheit zu tun, indem sie diese Verräterin erschoss, wo sie stand. Doch dieser Moment verstrich und resignierend ließ sie das Plasma-Gewehr zu Boden fallen, wo es polternd aufschlug. Die beiden Handwaffen folgten. Sie ließ es sich jedoch nicht nehmen, der Asiatin ein Wort ins Gesicht zu schreien:

„Verräterin!“

Mit mehreren, schnellen Schritten war Kim bei ihr und schlug ihr ins Gesicht.

„Jeder Besiegte nennt den Sieger Verräter – und das Imperium ist besiegt“, konterte die Verräterin verächtlich. „Die Konföderation ist die Zukunft.“

Kim Tae Yeon gab zwei der ihr unterstellten Soldaten ein Zeichen, sie zu ergreifen.

Rian Onoro funkelte ihre Widersacherin wütend an. Wenigstens wollte sie von dieser Natter etwas in Erfahrung bringen, und so riskierte sie einen Schuss ins Blaue, indem sie verächtlich sagte: „Sie haben mich, aber nicht die NOVA SOLARIS, das ist die Hauptsache.“

„Auch die werden wir eines Tages...“ Sie brach ab und presste die Lippen zusammen, als sie das erleichterte Lächeln auf dem Gesicht der Dunkelhäutigen bemerkte. Leiser zischte sie dann: „Diese Hinterhältigkeit werden Sie mir büßen, Feldwebel.“

Die Asiatin gab Befehl, sie wegzubringen, und Rian Onoro stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass die beiden kräftigen Soldaten sie direkt zu dem Frachter schleiften.

„Sie wären so oder so auf diesem Gefangenentransporter gelandet!“, höhnte die Asiatin hinter ihr, und Rian Onoro wand sich wild im Griff ihrer Bewacher, ohne ihnen entkommen zu können. Ihr wurde klar, dass diese gemeine Verräterin ihr eine Falle gestellt hatte, und sie war prompt hinein getappt. Aber noch war sie am leben, und somit bestand die Chance auf Revanche, wenn auch nur eine äußerst vage, wie sie zugeben musste.

Als man sie schließlich die Rampe zum Frachter hinauf zerrte fielen ihr die letzten Worte, die ein Mann namens Dean Everett Corvin an sie gerichtet hatte, wieder ein. Er hatte gesagt, er würde zurückkehren wenn er die Gelegenheit erhalten würde, und an diese vage Hoffnung klammerte sie sich.

EIN NEUER ANFANG

 Drei Tage war es nun her, seit die vereinten Flotten von Terra und Farradeen der Armada von Deneb eine Niederlage im Delta-Cephei-System beigebracht hatten. Seitdem hatte Hilaria Inira Mbena nur wenige Stunden geschlafen. Seit drei Tagen verhandelte sie mit Generalmajor Arolic Traren, der von seiner Regierung mit umfassenden Sondervollmachten ausgestattet, hierher geflogen war.

Zwischenzeitlich hatte sich auch der Stellvertretende Gouverneur, per gesicherter Hyper-Richtfunk-Verbindung von Farradeen aus gemeldet und dem Gouverneur von den Fortschritten seiner Verhandlungen mit dem Ratspräsidenten der Allianz berichtet.

Im Wesentlichen hatte sich die Regierung, neben einer Militärallianz mit den Terranern, dazu entschlossen, auch weitergehende Verhandlungen zu führen, sobald die Gouverneure der freien terranischen Systeme einen neuen Präsidenten gewählt hatten. Doch das würde eine geraume Weile dauern, das wusste Hilaria Mbena. Aufgrund der Notartikel der Kriegsgesetze würde die Macht über alle terranischen Systeme bis dahin auch weiterhin in ihrer Hand liegen.

Für heute war noch eine letzte, abschließende Verhandlungsrunde anberaumt. Eine, zu der sie einen jungen Hauptmann-ZBV herbestellt hatte. Nicht zuletzt um seine Person, um seine aktuelle Schiffsmannschaft, und um die NOVA SOLARIS war in den letzten Tagen, bei den Verhandlungen, zäh gerungen worden.

Hilaria Mbena gefiel es dabei ganz und gar nicht, dass dieser junge, aufstrebende Terraner dabei zum Spielball militärischer und politischer Notwendigkeiten wurde. Doch es war unumgänglich, um sein Leben, und das seiner Crew zu schützen, bei dem, was in absehbarer Zeit vor ihnen lag.

Vor zwei Tagen hatte der Diktator der Konföderation Deneb eine allgemeine Hyperfunk-Nachricht über alle Großsender ausgestrahlt. Er hatte darin sämtliche terranischen Streitkräfte dazu aufgefordert, die Waffen niederzulegen und bedingungslos zu kapitulieren. Dabei hatte er sich auf die Verfassung berufen und erklärt, dass das Imperium, dadurch dass die Regierungswelt nun unter der Kontrolle der Konföderation stand, quasi aufgehört hatte zu existieren. Womit dieser teuflische Verbrecher recht hatte, wie Mbena in ohnmächtigem Zorn hatte zugeben müssen, denn es gab tatsächlich den Passus in der Verfassung, dass der Regierungssitz des Terranische Imperium nicht ohne Mandat des regierenden Präsidenten außerhalb des Sol-Systems liegen durfte. Und ein solches Mandat gab es nicht.

Aufgrund dieser Tatsache, so hatte der Diktator in seiner Rede weiter ausgeführt, waren die Kriegsgesetzte auf alle terranischen Streitkräfte nicht mehr länger anwendbar. Sie wurden von ihm als Aufständische angesehen, als Nicht-Kombattanten die nicht zu Kriegshandlungen berechtigt seien. Eine Farce zweifellos, doch eine diabolische.

Aufgrund dieser Erklärung fielen alle terranischen Militärs, die fortan in Kriegsgefangenschaft fielen, nicht unter den Schutz der Kriegsgesetze, sondern sie galten als Partisanen. Der Diktator hatte des Weiteren angekündigt, jeden Partisanen, der in die Hände seiner Truppen fiel, standrechtlich erschießen zu lassen. Das war Mord in Mbenas Augen, doch momentan ließ sich die Rechtlichkeit seiner Aussagen nicht einwandfrei widerlegen.

Hilaria Mbena aber hatte nicht vor, das Sol-System kampflos aufzugeben, noch würde sie die Waffen strecken und sich einem verbrecherisch veranlagten Diktator beugen. Sie benötigte einerseits Informationen vor Ort. Andererseits hatte sie sich zum Ziel gesetzt, auf Biegen oder Brechen, an einen der Störsender zu gelangen. Dieser Störsender sollte später untersucht werden, um ein System entwickeln zu können, das diese Sender neutralisierte. Und das musste rasch geschehen, denn vor nicht ganz einer Stunde hatte sie die Meldung erreicht, dass das, dem Sol-System nahe gelegene und relativ ungeschützte Sirius-System, 8,9 Lichtjahre von Terra entfernt, sich den Truppen der Konföderation ergeben hatte. Die Konföderation festigte ihre Macht im Sol-Sektor, was jede zukünftige Aktion in dieser Raumgegend um so schwerer werden lassen würde.

Als Hilaria Mbena, pünktlich um 14:00 Uhr Terra-Standard Konferenzraum-II des Hauptquartiers auf Outpost betrat, erwarteten sie dort, neben Generalmajor Arolic Traren und Generalmajor Stuart Phillips lediglich Hauptmann-ZBV Dean Corvin, der sich, flankiert von diesen beiden Flaggoffizieren, sichtlich unwohl fühlte.

Die Oberkommandierende wies mit der Rechten auf die Sitzgelegenheiten und sagte freundlich: „Bitte nehmen Sie Platz, meine Herren.“

Stuart Phillips nahm, dem militärischen Protokoll entsprechend, zur Rechten seiner Oberbefehlshaberin, an dem leicht ovalen Tisch Platz. Generalmajor Traren zu ihrer Linken. Hilaria Mbena gegenüber ließ sich Dean Corvin am anderen Ende des Tisches nieder.

General Mbena kam ohne Umschweife auf den Punkt. Den erst kürzlich beförderten Hauptmann-ZBV ansehend eröffnete sie ihm: „Hauptmann Corvin, ich habe Sie zu dieser Besprechung geladen, weil es um ihre militärische Zukunft geht. Wie Sie durch das gestern von mir veröffentliche Memo erfahren haben, erkennt der Diktator den Kombattanten-Status der Terranischen Flotte nicht länger an. Ich habe jedoch vor, einen Vorstoß ins Sol-System anzuordnen, aber ich möchte auf keinen Fall das Leben der Beteiligten in unzumutbarer Weise gefährden. Generalmajor Arolic Traren, vom Militär der Farradeen-Allianz, hat mir einen Ausweg aus diesem Dilemma angeboten, dem ich, wenn auch nicht leichten Herzens, zugestimmt habe, Hauptmann. Doch das soll der Generalmajor selbst ausführen.“

Der Flaggoffizier, den Corvin hier und heute das erste Mal sah, musterte den Terraner, wobei seine dunkel-braunen Augen nicht verrieten, was er dachte. Erst nach einem langen Moment lehnte sich der breitschultrige Mann im Sessel zurück und erklärte, mit sonorer Stimme: „Hauptmann, Ihre Oberkommandierende und ich sind überein gekommen, dass eine der momentan dringendsten, militärischen Notwendigkeiten darin besteht, einen der Störsender, oder aber dessen Baupläne, in die Hände zu bekommen, wobei Letzteres ein wahrhaftig unwahrscheinliches Szenario ist. Ihr General ist der Meinung, dass Sie sich für einen solchen Vorstoß hervorragend eignen würden, da Sie sich vor Ort auskennen. Besser, als meine Truppen zumindest. General Mbena erwähnte bereits die Problematik, falls Sie, als Angehöriger der Terranischen Flotte, in Gefangenschaft geraten sollten, darum habe ich ihr angeboten, Sie und Ihre Mannschaft in den Dienst der Raumflotten von Farradeen zu übernehmen, in ihren jetzigen Rängen. Da unser Militär jedoch keinen ZBV-Status oder anderweitige, militärische Zwischenränge kennt, wir Sie aber auch nicht degradieren können, werden Sie, Hauptmann Corvin, als Major unserer Flotte beitreten. Ihr Erster Offizier, Oberleutnant Hayes, dem entsprechend, als Hauptmann. Ich bin mir im Klaren darüber, dass Sie beide diese Ränge damit weit vor der normalen Zeit erlangen, darum, das werden Sie beide verstehen, gehen diese neuerlichen Beförderungen einher mit einem Beförderungsstopp für mindestens sieben Jahre. Was sagen Sie?“

Dean Corvin, der mit steigendem Erstaunen zugehört hatte, blickte Hilaria Mbena an und erkundigte sich vorsichtig: „Ich werde nach diesem Einsatz nicht wieder in den Dienst der Terranischen Flotte zurückkehren?“

General Hilaria Mbena schüttelte den Kopf. „Nein, Hauptmann Corvin. Dieser Punkt war eine klare Forderung unserer Verbündeten. Dasselbe gilt für die gesamte Mannschaft der NOVA SOLARIS, sowie für den Kreuzer selbst. Ihre Überstellung zu den Flotten der Farradeen-Allianz wird eine endgültige sein. Sie sieht eine Mindesteinsatzzeit von sieben Jahren, für die NOVA SOLARIS, vor – erst danach ist es den Ingenieuren von Farradeen gestattet, den Kreuzer zu zerlegen, und seine Technik zu studieren. Der Ratspräsident bestand für diese Zusage darauf, dass das Wissen, das Sie in Bezug auf die Leistungen dieses Kreuzers machen werden, für Farradeen nicht verloren gehen darf. Darum der Passus im Vertrag, dass Sie, und die Mannschaft des Kreuzers, sich auf Lebenszeit dem Militär von Farradeen verpflichten, bis sie in Pension gehen. Damit einher geht, dass Sie alle die terranische Staatsbürgerschaft aufgeben, und die der Farradeen-Allianz annehmen.“

Hilaria Mbena beobachtete ihren Untergebenen sehr genau. Sie fragte sich, wie ihre Worte bei Corvin ankommen würden. Zweifellos war das, was sie ihm eben eröffnet hatte nicht leicht abzuwägen, doch sie konnte ihm keine lange Bedenkzeit einräumen. Das Abwägen, hinter der Stirn des jungen Offiziers, war förmlich zu erahnen.

Als Dean Corvin Hilaria Mbena wieder offen ansah wirkte er mit einem Mal härter, entschlossener, und männlicher auf sie, als noch einen Moment zuvor. Fraglos hatte er eine Entscheidung getroffen.

Der Terraner bestätigte die Überlegungen seiner momentan noch Vorgesetzten. „Ich stimme zu, General, da ich die Notwendigkeit einsehe. Auch wenn es mir sicherlich schwerfallen wird, Terra den Rücken zu kehren.“

Arolic Traren wandte sich wieder an Corvin. „Sie müssen ihrer Heimat nicht den Rücken kehren, Dean. Nicht innerlich. Niemand wird etwas dagegen haben, dass Sie, und alle anderen einhundertundneun Mannschaftsmitglieder der NOVA SOLARIS, in ihren Herzen, Terra treu bleiben. Aber ich hoffe dennoch, dass es dort irgendwann auch einen Platz für Ihre neue Heimat, Farradeen, geben wird.“

Etwas befremdet darüber, dass ihn der Generalmajor beim Vornamen genannt hatte, erwiderte Dean Corvin: „Danke, Sir. Wie wird es nun weitergehen?“

Traren wechselte einen schnellen Blick mit Mbena und Stuart Phillips.

„Die Flotten der Farradeen-Allianz werden bereits in wenigen Stunden zu den Plejaden aufbrechen. Der genaue Zeitpunkt ist 17:00 Uhr ihrer Zeitrechnung, was exakt 26:17 Uhr Farradeen-Standard entspricht. Sie werden sich schnell an den 27-Stunden-Rhythmus ihrer neuen Heimat gewöhnen, denke ich. Vorerst wird die NOVA SOLARIS dabei weiter der Sonnenwind-Flotte unterstellt sein. Sie haben es somit auch weiterhin mit meiner Person, als Ihr Kommandeur, zu tun.“

Dean Corvin bemerkte das kurze Zwinkern des Generalmajors, als er von der Gewöhnung an die neue Zeitrechnung sprach, und er verzog die Mundwinkel zur Andeutung eines Lächelns.

Traren fuhr amüsiert fort: „Sobald wir Farradeen erreicht haben wird Ihr Kreuzer, in einer unserer Wartungs-Werften, die Markierungen der Kriegsflotte von Farradeen erhalten. Danach steht das Training für den Einsatz an, den General Mbena andeutete. Abhängig von den Leistungen Ihrer Crew wird der geplante Kommandoeinsatz dann in etwa zwei Monaten, von heute an gerechnet, beginnen. Alles Weitere klären wir vor Ort. Generalmajor Phillips wird sie nun offiziell, als ihr momentaner Kommandeur, aus dem Dienst der Terranischen Flotte entlassen.“

Arolic Traren erhob sich, und alle anderen Anwesenden folgten seinem Beispiel.

Stuart Phillips trat zu Dean Corvin. „Hauptmann Corvin, ich entlasse Sie ehrenvoll aus dem Dienst der Terranischen Flotte, und ich wünsche ihnen auf ihrem weiteren Weg alles Gute. Sie haben der Terranischen Flotte Ehre gemacht.“

Sie salutierten, und der Generalmajor reichte Corvin die Hand. „Nebenan liegt etwas, das Generalmajor Traren mitbrachte. Ich denke, Sie werden es künftig brauchen. Beeilen Sie sich aber bitte.“

Dean Corvin schüttelte die Hand des Flaggoffiziers und blickte neugierig. Doch Phillips verriet nichts weiter und so musste der Kanadier, wohl oder übel nach Nebenan gehen, um zu erfahren, was es mit den letzten Worten des Generalmajors auf sich hatte.

Nach zwei Minuten betrat er wieder den eigentlichen Konferenzraum, diesmal in der schwarzen Uniform der Farradeen-Allianz und mit den Insignien eines Majors am Kragen.

Diesmal trat Arolic Traren vor. Der Grauhaarige blickte in Corvins Augen und sagte feierlich: „Ich heiße Sie, im Dienst der Kriegsflotte von Farradeen, herzlich willkommen, Major Dean Corvin. Bitte instruieren Sie nun ihre Besatzung und bereiten Sie alles zum baldigen Start vor.“

Corvin salutierte und Traren erwiderte den Gruß. „Aye, Sir.“

Hilaria Mbena fing den etwas unsicheren Blick des jungen Mannes auf und hob ihre Hände. „Ich habe Ihnen, nichts mehr zu befehlen, Corvin. Sie haben Ihren Kommandeur gehört, möchte ich meinen.“

Dean Corvin errötete leicht und erwiderte: „Ja, General.“

Die drei Flaggoffiziere blickten ihm nach, als er sich auf den Weg machte, und nachdem er gegangen war, bat Hilaria Mbena inständig: „Bitte geben Sie auf ihn und seine Besatzung gut acht, Generalmajor Traren. Wenn mich mein Instinkt nicht trügt, so dürfen wir noch Einiges von Ihrem Neuzugang erwarten.“

Traren nickte. „Das werde ich. Sie haben mein Wort, General.“

 
 

* * *

 

Auf der NOVA SOLARIS hatte Dean Corvins Rückkehr zunächst für einiges Aufsehen gesorgt. Der Terraner ignorierte jedoch die fragenden Blicke der Besatzung, als er, gekleidet in der Uniform der Farradeen-Allianz, durch die Gänge des Leichten Kreuzers zu seinem Quartier schritt.

Über den Interkom seines Arbeitsraumes bestellte er Irina Hayes zu sich.

Die Reaktion der Frau, als sie Corvins Quartier betrat, ähnelte der, aller anderen Personen, denen Corvin unterwegs begegnet war, seit er die neue Uniform trug. Er deutete auf einen der beiden Sessel vor seinem Schreibtisch und fragte zunächst, ohne auf die sicherlich bei der Frau vorhandenen Fragen einzugehen: „Wie gefällt Dir mein neues Aussehen, Irina?“

„Ganz nett“, gab die Rothaarige zurück. „Aber was soll dieser Aufzug? Und noch dazu mit den Insignien eines Majors. Ist auf Outpost gerade Karneval?“

Dean Corvin grinste jungenhaft. „Gewöhne Dich besser an diese neue Farbe, denn sehr bald schon wirst du sie auch tragen, so wie der Rest dieser Besatzung. Und zwar mit den Insignien eines Hauptmanns am Kragen.“

Zuerst dachte Irina Hayes an einen schlechten Witz des Kameraden, doch der Ausdruck seiner blau-grauen Augen belehrte sie eines Besseren. „Was soll denn das jetzt heißen, Dean?“

Der Kanadier erzählte Irina Hayes, warum man ihn zu der Besprechung ins Hauptquartier einbestellt hatte und was Gegenstand der Besprechung gewesen war.

Nachdem er geendet hatte hielt es die Frau nicht mehr länger in ihrem Sessel aus. Sie sprang auf, wanderte in dem Arbeitsraum auf und ab und beugte sich schließlich über die Schreibtischplatte, die Hände auf der Tischplatte abgestützt. „Aber das ist doch nicht Dein Ernst, Dean? Wir sollen Terra vergessen und zur Allianz überlaufen?“

Corvin erhob sich ebenfalls und blickte die Frau, die ihm gegenüber stand inständig an. „Niemand spricht von vergessen, Irina. General Mbena will uns lediglich schützen.“

Der Kommandant der NOVA SOLARIS sah den Widerspruch in den dunklen Augen der Kameradin. „Verdammt, Irina, ich kann diesen Kreuzer nicht ohne Dich führen, und das weißt du! Ich brauche Dich! Unbedingt!“

Irina Hayes atmete mehrmals tief durch, und Corvin bemerkte, wie sie mit sich rang, so wie er vorhin auch. Endlich fragte sie: „Was ist dieser Generalmajor Arolic Traren für ein Mensch, Dean? Hast du das Gefühl, dass man ihm trauen kann?“

„Ja!“, erwiderte Corvin, ohne zu zögern. „Ich halte ihn für einen sehr direkten und aufrichtigen Mann. Ja, ich traue ihm.“

„Dann werde ich ihm auch trauen.“

Für einen Moment kehrte Stille ein und beide nahmen wieder in ihren Sesseln platz. Sich noch immer etwas überfahren fühlend fragte Irina Hayes: „Hauptmann Hayes also?“

Dean Corvin grinste erleichtert. „Ja, mit einem garantierten Beförderungsstopp für die nächsten sieben Jahre.“

„Herrlich, die Geschichte wird immer besser“, spöttelte die Frau ironisch. „Ist General Mbena doch sicherlich nicht leicht gefallen, die NOVA SOLARIS aus der Hand zu geben, oder irre ich mich da?“

„Weder die NOVA SOLARIS, noch ihre Besatzung, würde ich vermuten. Sie machte vorhin ein wenig den Eindruck einer Mutter auf mich, die ihre Kinder ziehen lassen muss. Für einen kurzen Moment war ich versucht, sie zum Abschied zu umarmen.“

Irina Hayes deutete mit dem Zeigefinger auf ihn und lachte: „Das wäre unzweifelhaft in die Annalen der Raumflotte eingegangen.“

Befreit aufatmend, weil diese Hürde genommen war, erwiderte Corvin. „Bestimmt. Bitte bestelle die Crew für 15:00 Uhr Terra-Standard in die vordere Mannschaftsmesse ein. Denen steht der ganze Schrecken noch bevor. Ich hoffe nur, dass die Mannschaft die neue Nachricht, wo sie zukünftig dienen wird, ebenso gefasst aufnimmt, wie du.“

„Ich stehe quasi noch unter Schock. Wenn ich mich davon erholt habe, dann kannst du etwas erleben, das garantiere ich Dir.“

Corvin ging auf den Scherz ein. „Zum Glück ist die Brig dieses Kreuzers nicht nur ausbruchsicher, sondern auch absolut schalldicht, wie ich mir sagen lassen habe.“

Das Thema nicht weiter ausweitend meinte Irina Hayes augenzwinkernd: „Ich werde den Rest der Piratentruppe zusammenrufen, damit der Rebell von Terra ihnen die frohe Botschaft übermitteln kann.“

„Den Spitznamen habe ich weg, oder?“

Irina Hayes grinste schadenfroh. „Der wird Dich verfolgen, bis du im Grab liegst. Und vielleicht selbst dann noch.“

Corvins Miene wurde ernst. „Walten Sie Ihres Ranges, Hauptmann Hayes, sonst muss ich Generalmajor Traren empfehlen, sich das mit dem Hauptmann nochmal zu überlegen. Die offizielle Beförderung steht ja noch aus.“

Übertrieben zackig grüßend zwinkerte Irina Hayes ihm zu, bevor sie das Quartier verließ, und Corvin rief sich in Erinnerung, was er aus dem Geschichtsunterricht, an der Akademie, über Piraten früherer Jahrhunderte gelernt hatte. Düster murmelte er dann zu sich selbst: „Na, hoffentlich knüpft mich die Besatzung nur nicht an der nächsten Deckenstrebe des Kreuzers auf.“

HEIMKEHR

 Nach dem Erreichen der Plejaden hatte es nochmal einen ganzen Tag lang gedauert, bis der Verband von zwanzig Raumern der Sonnenwind-Flotte, der die NOVA SOLARIS eskortierte, gemeinsam mit ihr das Zentrum des offenen Sternenhaufens erreichte. Denn der Durchflug dieses Gebietes im Hyperraum, war alles andere, als ein Kinderspiel, was hauptsächlich an den hyperphysikalischen Gegebenheiten dieses Sektors, wegen der hohen Sternenkonzentration auf ein relativ eng begrenztes Raumgebiet, lag.

Die Plejaden bildeten beinahe die Grenze zum Raumgebiet des Terranischen Imperiums. Da von dort aus, während des Interstellaren Krieges, nie Angriffe gegen das Terranische Imperium erfolgten, wurde im Gegenzug vom Terranischen Imperium nie der Versuch unternommen, mit einer Kriegsflotte in dieses Gebiet einzudringen, was ganz sicher zum Großteil auch an den schnell wechselnden Bedingungen des Hyperraums in dieser Region lag. So gehörten die Plejaden zu den am wenigsten umkämpften Gebieten des gesamten Krieges - obwohl nur 444 Lichtjahre von Terra entfernt.

Bereits die erste planetare Regierung von Farradeen hatte, schon kurz nach der Kolonisierung dieses Raumsektors, schnell den strategischen Wert der Plejaden erkannt. Während des Krieges, aber auch danach, entstanden zahlreiche Stützpunkte in den dort befindlichen Sternensystemen. Gleichzeitig verlegte man einen Großteil der Flottenwerften in dieses nur schwer zugängliche Gebiet, durch das es zwar einigermaßen sichere Routen gab, die aber nur wenigen, loyalen Navigatoren der Kriegsflotte von Farradeen bekannt waren.

Gegenwärtig umfasste die Farradeen-Allianz 37 kolonisierte Sternensysteme, von denen allein 9 in den Plejaden lagen, und 53 Flottenbasen und befestigte Außenposten auf nicht kolonisierten Planeten.

Als der Verband, vorläufig zum letzten Mal aus dem Hyperraum fiel, sah die Zentrale-Besatzung gespannt auf die Bilder, die der Haupt-Holoschirm wiedergab.

Nur 500.000 Kilometer befanden sich die 21 Raumschiffe nach diesem Manöver von Farradeen entfernt. Im Zentrum des Bildschirms zeichnete sich das gestochen scharfe Abbild eines grün-blau schimmernden Planeten ab, der eine große Ähnlichkeit mit Terra aufwies. Weite Flächen der erkennbaren Landmassen schienen von dichten Wäldern bewachsen zu sein. Zwischen den Kontinenten schimmerten die tiefblauen Meere. Auf den ersten Blick war Farradeen eine wunderschöne Welt, und Dean Corvin, ebenso wie die meisten anderen Anwesenden, hoffte, dass sich dieser Eindruck auch nach der Landung bestätigen würde.

Die Besatzung des Leichten Kreuzers hatte seine Ansprache, vor gut elf Tagen, besser aufgenommen, als er befürchtet hatte. Nur wenige kritische Fragen waren aufgekommen, aber auch diese vernünftig und sachlich, was Corvin zeigte, dass Hilaria Mbena Generalmajor Stuart Phillips eine sehr gute Crew für die NOVA SOLARIS abgerungen hatte, und in Gedanken sandte eine Dankesbotschaft in Richtung Delta-Cephei-System.

Bisher bedauerte Dean Corvin lediglich, dass Kimi Korkonnen nicht dabei war. Zum ersten Mal, seit Jahren, hatten sie voneinander Abschied nehmen müssen, und der Kanadier spürte seit Tagen, wie sehr er den Freund vermisste. Ein gewisser Trost war ihm in diesen Momenten, dass er sich mittlerweile so hervorragend mit Irina Hayes verstand. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass hier eine sehr gute, platonische Freundschaft heranreifte. Ähnlich der, die ihn und Tabea Carrick verbunden hatte. Gelegentlich verfiel er bei dem Gedanken an die verstorbene Freundin in eine düstere Stimmung, die jedoch weniger lang anhielt, als unmittelbar nach den traumatischen Ereignissen auf Luna. Manchmal gewann Dean Corvin in letzter Zeit den Eindruck, dass diese Geschehnisse schon Jahre zurücklagen.

Inzwischen war bei der Regierung auf Farradeen die offizielle Kriegserklärung der Konföderation Deneb eingegangen. Der Diktator auf Denebarran hatte darin nochmals eindeutig klargestellt, dass er die Flotten des Verbündeten nicht den Kombattanten-Status einräumte, und dem entsprechend mit ihnen zu verfahren gedachte.

Der Rat von Farradeen hatte auf diesen Zusatz nicht reagiert, und Dean Corvin musste sich nicht darum kümmern, da er und seine Mannschaft nun Teil der Farradeen-Allianz waren. Doch er machte sich natürlich Sorgen um seine Freunde bei der Terranischen Flotte, und gelegentlich loderte wilder Hass auf den Diktator der Konföderation in ihm auf.

Die Lage im Sol-Sektor, und im Aldebaran-System war momentan ungewöhnlich ruhig, doch es war nur eine Frage der Zeit, wann sich das änderte. Hilaria Mbena und ihre Verbündeten gedachten dem zuvor zu kommen und hofften, vor einer signifikanten Lageänderung, das geplante Kommandounternehmen durchführen zu können.

Dean Corvin seinerseits hoffte dasselbe, wenn auch aus etwas anderen Beweggründen heraus. Denn er hoffte inständig, bei der bevorstehenden Aktion, etwas über das Schicksal einer jungen Frau zu erfahren, die vermutlich noch immer auf dem Mond der Erde festsaß. Falls man sie nicht entdeckt und gefangengenommen hatte. Dabei war ihm klar, wie gering die Aussichten waren, Rian Onoro jemals lebend wiederzusehen. Doch er war nicht bereit, die Hoffnung daran aufzugeben.

Der Kommandant der NOVA SOLARIS kehrte aus diesen Überlegungen in die Gegenwart zurück, als er von Moana Adamina angesprochen wurde. „Kommandant, wir haben Landefreigabe für Landefeld 027-XII auf dem Raumhafen der Stadt Xorolan.“

„Bestätigen Sie, Leutnant.“

Dean Corvin beobachtete die Samoanerin und schmunzelte bei dem Gedanken an ihre erste Begegnung, und der versteckten Drohung, ihm in den Hintern zu treten. Bisher hatte sie dieses Vorhaben nicht umgesetzt, auch wenn es gelegentlich immer noch kleinere Reibereien zwischen ihnen gab. Sie war zugegebenermaßen ein schwieriger Typ. Aber sie erfüllte ihren Dienst an Bord bislang vorbildlich, und das zählte für den Kanadier.

Ein krasser Kontrast zu Moana Adamina war Curtis Newton, dessen Ruhe beinahe sprichwörtlich war. Nichts und Niemand schien den Pilot aus der Ruhe bringen zu können.

Die neben ihm sitzende Weganerin, ebenfalls im Rang eines Leutnants, Linaris Terrek, schien von ähnlichem Gemüt zu sein, wie der Pilot. Doch nur oberflächlich, denn Corvin war aufgefallen, dass sie einen Hang dazu hatte, gerne ihre Mitmenschen zu necken. Ihre Vorfahren mussten relativ früh nach Wega-VIII ausgewandert sein, denn ihre Haut wies einen sehr deutlichen Blauschimmer auf. Für ihre Herkunft typisch war sie von sehr kräftiger Statur und ihr Haar besaß die typische, dunkelrote Färbung.

An der Konsole der Langstrecken-Ortung saß Stabsfeldwebel Stefanie Dornarran. Die auf Venus geborene Frau wirkte, im Vergleich zu der Weganerin, geradezu zerbrechlich, wegen ihrer zierlichen Statur. Die helle Haut der Frau bildete zu ihren dunkel-braunen Haaren einen interessanten Kontrast.

Den Letzten im Bunde, in der Zentrale des Kreuzers, bildete Oberfeldwebel Akira Takeda, der, mit über 1,90 Metern Körpergröße von ungewöhnlich hochgewachsener Statur war, für einen Mann asiatischer Abstammung. War Curtis Newton ruhig, so konnte man den Mann an den Maschinenkontrollen als geradezu wortkarg bezeichnen.

Dean Corvin blickte diese Offiziere und Unteroffiziere nacheinander an, während die NOVA SOLARIS in die oberen Schichten der planetaren Atmosphäre eindrang. Dies war seine Führungscrew, zu der auch noch Fatul Mahmalad, im Maschinenraum, gehörte. So unterschiedlich sie in ihrem Äußeren waren, so individuell waren sie auch in Geisteshaltung und Gemüt. Sie ließen sich in kein Schema pressen, und das war gut so. Dennoch würde er, Dean Corvin, aus ihnen eine Einheit formen, eine Schiffsbesatzung, die an einem Strang zog, und die sich demselben Ziel verschrieb. Das schwor er sich in diesem Moment.

Bereits während des Fluges zu diesem Planeten hatte er sich mit jedem von ihnen mindestens einmal etwas länger unterhalten, und dabei hatte er in den Gesichtern dieser Menschen etwas entdeckt, was ihm vor der Abwehrschlacht im Delta-Cephei-System noch nicht so eindringlich aufgefallen war.

Vertrauen.

Sie vertrauten ihm, einem jungen Raumschiffskommandanten – ein Absolvent der Sektion-Terra – der weit vor der Zeit in den Rang eines Majors aufgestiegen war. Damit schoben sie ihm gleichzeitig alle Verantwortung zu, doch sie erdrückte ihn nicht. Im Gegenteil, sie gab ihm eine Sicht auf die Dinge, die ihm bisher verschlossen gewesen war.

Tiefer und tiefer sank die NOVA SOLARIS, der Oberfläche des Planeten Farradeen entgegen. Es sprach für das Können von Leutnant Curtis Newton, dass er den Kreuzer mittig auf der ausgefahrenen Plattform eines unterirdischen Werft-Hangars aufsetzte, ohne dass man in der Zentrale etwas davon spüren konnte.

Noch bevor Dean Corvin den Befehl dazu gab, die Schiffssysteme herunterzufahren, wurde die Plattform abgesenkt und der Leichte Kreuzer sank unter das Niveau des Landefeldes ab. Das Letzte, was die Zentrale-Besatzung auf dem Hauptschirm zu sehen bekam war, dass sich über dem Raumschiff gewaltige Panzerpforten, ähnlich jenen der Geheimbasis auf Luna, schlossen.

Dean Corvin aktivierte den Schiffs-Interkom an seiner Konsole, so dass seine Stimme im gesamten Schiff gehört werden konnte, und sagte ruhig: „Hier spricht der Kommandant. Die NOVA SOLARIS ist gelandet. Bitte fahren Sie alle Systeme herunter, verlassen den Kreuzer und treten bitte vor der NOVA SOLARIS an. Ende.“

Corvin erhob sich und sagte: „Sie haben es gehört. Wir verlassen das Raumschiff.“

Als die Führungsoffiziere die Rampe hinunter schritten war die Besatzung des Leichten Kreuzers bereits vollständig vor dem Schiff angetreten. Gemeinsam mit Irina Hayes trat Dean Corvin vor die, in Dreierreihe angetretene, Mannschaft, während sich die übrigen Mitglieder der Zentrale-Besatzung einreihten.

Drei Offiziere, die durch ein breites Schott diesen inneren Hangarbereich betreten hatten, schritten auf sie zu. Drei Schritte vor ihnen blieben sie stehen, und der Ranghöchste der drei Offiziere, ein weiblicher Oberstleutnant, salutierte.

„Major Corvin, ich bin Oberstleutnant Vara Kiryn, die Kommandantin dieses Werftkomplexes. Ich begrüße Sie und Ihre Besatzung herzlich auf Farradeen. Bitte geben Sie Befehl, dass ihre Mannschaft meinen beiden Ordonanzen folgt. Sie werden sich darum kümmern, dass ihre Leute zunächst neu eingekleidet werden, und man ihnen danach ihre Unterkünfte in der Stadt zuweist, die sie bei der Landung sicherlich bemerkt haben werden. Sie selbst begleiten bitte mich, Major. Der Stabschef möchte sie kurz sprechen, bevor ich Ihnen im Anschluss ihre Unterkunft zeigen werde.“

Dean Corvin gab Irina Hayes einen kurzen Wink.

Die beiden begleitenden Offiziere führten die Besatzung der NOVA SOLARIS in Richtung des breiten Schotts davon, während sich Oberstleutnant Vara Kiryn wieder Corvin zuwandte. „Bitte begleiten Sie mich.“

Sie wandte sich nach Rechts und Dean Corvin schritt an ihrer Seite auf eines von mehreren kleinen Seitenschotts der Hangarhalle zu. Auf dem Weg aus der Halle musterte Corvin seine Begleiterin.

Sie trug ihr schwarzes Haar recht kurz, was zu ihrem Typ passte. Ihre grau-grünen Augen strahlten gleichzeitig Intelligenz und Willensstärke aus. Aber auch eine gewisse Wärme. Die etwas zu groß geratene, leicht gebogene, Nase verliehen ihrem Gesicht dabei eine gewisse Pfiffigkeit, wie Corvin fand. Er schätzte die Frau an seiner Seite, die nur unwesentlich kleiner gewachsen war, als er selbst, auf Mitte Dreißig, nach terranischer Zeitrechnung. Dabei spürte er instinktiv ihr Selbstvertrauen, und ihm wurde in diesem Moment nur allzu deutlich bewusst, wie sehr er sich von dieser Frau unterschied, obwohl er nur einen Rang unter ihr stand. Gleichzeitig bekam er eine leichte Ahnung davon, wie schwer es für ihn werden würde, den Rang, den er nun bekleidete, gut auszufüllen, und die dumpfe Ahnung, dass man ihm mit der rasanten Beförderung ganz bestimmt keinen Gefallen getan hatte, machte sich in ihm breit.

„Jetzt wünschen Sie sich bestimmt gerade, Sie wären noch Oberleutnant, ohne die Verantwortung für einhundertundneun Leben zu tragen, nicht wahr?“, drang die etwas raue Stimme der Frau an seiner Seite in Corvins Gedanken.

Verwundert blickte Corvin seine Begleiterin an.

Oberstleutnant Kiryn lachte wissend. „Entschuldigen Sie, Major, aber ihr Gesicht eben hat Bände gesprochen. Ich kann mir ganz gut vorstellen, wie Sie sich gerade fühlen. Sie sind ein junger, vielleicht talentierte, aber dennoch unerfahrener, Offizier, für den Posten eines Kreuzer-Kommandanten. Sie werden auf die harte Tour lernen müssen ein guter Befehlshaber zu werden, fürchte ich.“

Dean Corvin schluckte bei diesen recht offenen Worten, von denen er ahnte, dass jedes genau den Tatsachen entsprach. Für eine Weile grübelnd, antwortete er endlich: „Ich hoffe nur, dass ich nicht dabei versagen werde, Oberstleutnant.“

Die Frau sah ihn sinnend an. „Dass Sie an sich zweifeln ist ein gutes Zeichen. Nur schlechte Offiziere denken, mit jeder Situation fertig werden zu können. Nun, immerhin glaubt die Oberkommandierende der Terranischen Raumflotte an Sie, also tun Sie das am besten auch, Major Corvin.“

Sie erreichten das Schott. Während sie hindurch schritten, und eine hell erleuchteter, weißer Gang sie aufnahm, erwiderte der Terraner: „Ich danke Ihnen, für Ihre offenen Worte.“

Ein wohlwollendes Lächeln überflog die breiten Lippen der Frau für einen kurzen Moment, bevor sie das Thema wechselte. „Ich denke, dass Ihr Kreuzer bereits übermorgen mit den neuen Markierungen der Farradeen-Allianz aufwarten kann, Major. Wir werden uns dabei bemühen, keine Kratzer in der Panzerung zu hinterlassen. Keine allzu auffälligen Kratzer zumindest.“

Die Augen der Frau funkelten amüsiert, als Corvin ein leises Seufzen von sich gab.

Beide Offiziere erwiderten den Gruß einer Gruppe von Technikern, die ihnen im Gang entgegen kam, und bogen dann, nach Links, in einen Seitengang ab.

Endlich hielt Oberstleutnant Kiryn an. Sie legte ihre Hand auf den Öffnungskontakt des Schotts vor dem sie standen, und sie betraten einen Vorraum, dem sich ein Büroraum anzuschließen schien. Zumindest ließ das Schott auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, und die Einrichtung darauf schließen. Die schwarzhaarige Frau wandte sich an Dean Corvin. „Treten Sie ein, der Stabschef erwartet Sie in meinem Büro. Ich werde hier draußen, im Vorzimmer, warten. General Ty-Verrin will Sie unter vier Augen sprechen.“

„Ich danke Ihnen.“

Dean Corvin trat ein und machte einige Schritte auf die energisch wirkende Frau zu, die in der Mitte des Raumes stand. Corvin schätzte die Körpergröße der Endfünfzigerin auf nicht ganz 1,70 Meter. Dennoch hatte er das unbestimmte Gefühl zu dieser Frau aufzusehen, als er vorschriftsmäßig grüßte und sagte: „Major Dean Corvin, melde mich wie befohlen.“

Die grünen Augen des Generals musterten Corvin durchdringend, während er den Gruß erwiderte. Erst nach einem endlos scheinenden Moment erwiderte sie mit klarer Stimme: „Stehen Sie bequem, Major. Ich bin General Faora Ty-Verrin. Ich will Ihnen hier und jetzt keine detaillierten Fragen stellen, dafür wird im Laufe der nächsten Wochen noch Zeit sein. Mir geht es im Augenblick nur darum, mir ein persönliches Bild von Ihnen zu verschaffen, denn offensichtlich hält meine Kollegin vom Imperium große Stücke auf Sie, weil Sie den Experimentalkreuzer vor dem Zugriff der Konföderation in Sicherheit bringen konnten. Aber das betrifft General Mbena, und nicht mich. Bei mir beginnen Sie bei Null, das muss Ihnen klar sein, Major Corvin.“

„Aye, Sir.“

Wieder schienen die Augen des Generals ihn zu sezieren, und Dean Corvin spürte dabei ein Kribbeln in der Magengegend. Erst, als sich auf dem Gesicht der blonden Frau die Andeutung eines Lächelns zeigte, entspannte sich Corvin innerlich etwas.

„Major, ich will Sie dann nicht länger aufhalten, die Ereignisse der letzten Wochen waren bestimmt alles andere, als angenehm für Sie. Oberstleutnant Kiryn wird Sie im Anschluss zu ihrer Unterkunft begleiten und Ihnen dabei den Dienstplan der nächsten Tage, für Ihre Besatzung und Sie, aushändigen. Morgen jedoch erwarte ich von Ihnen einen ausführlichen Bericht, bezüglich des Überfalls auf das Sol-System und aller relevanten Ereignisse danach. Bereiten Sie sich darauf vor.“

„Verstanden, Sir.“

Dean Corvin zögerte etwas und die Endfünfzigerin hob neugierig ihre Augenbrauen. „Ist noch etwas, Major Corvin?“

Der Terraner nickte. „Ja, Sir. Ich habe mich gefragt, warum sich ein so hoher Offizier, wie Oberstleutnant Kiryn, persönlich um mich kümmert.“

Eine Spur von Anerkennung spiegelte sich in den Augen des Generals. „Vara Kiryn kümmert sich um Sie, weil sie nicht nur eine hervorragende Werft-Kommandantin ist, sondern weil sie auch Psychologie studiert hat, Major. Abseits davon werden Sie beide, in der nächsten Zeit, eng zusammenarbeiten, und ich hielt es für eine gute Idee, dass Sie sich so früh wie möglich kennenlernen. Haben Sie sonstige Fragen?“

„Nein, General.“

„Dann dürfen Sie nun wegtreten.“

Sie salutierten erneut und Dean Corvin wandte sich ab. Bevor er das Büro verließ, holte ihn die helle Stimme des Generals ein. „Major Corvin?“

Der Terraner verhielt den Schritt und wandte sich um. „Sir?“

„Willkommen auf Farradeen.“

„Danke, General.“

Im Vorraum angekommen hielt Vara Kiryn bereits einen Daten-PADD in ihren Händen. Dean Corvin ahnte, dass es sich um jene Unterlagen handelte, von denen der General gesprochen hatte. Dienstpläne für ihn und seine Besatzung.

„Ich lasse Ihnen weitere Daten später auf das Terminal ihrer Unterkunft überspielen“, erklärte Vara Kiryn, noch bevor Corvin eine entsprechende Frage stellen konnte. „Sobald Ihre Individualmuster in der planetaren Datenbank gespeichert sind benötigen wir so etwas hier nicht mehr.“ Bei den letzten Worten winkte sie vielsagend mit dem PADD.

Dean Corvin nahm es von ihr entgegen.

Gemeinsam verließen sie das Büro der Frau. Als sie, eine Viertelstunde später, nebeneinander über den Belag des Landefeldes zu einem wartenden Bodengleiter schritten, ging gerade die Sonne des Systems hinter der fernen Hügelkette unter.

„Farradeen hat auf den ersten Blick sehr viel mit Terra gemeinsam“, sagte Corvin nachdenklich. „Es ist sehr schön hier.“

„Sie vermissen Ihre Heimatwelt?“

Eingedenk dessen, was Dean Corvin von General Ty-Verrin über den Oberstleutnant erfahren hatte, antwortete er wahrheitsgemäß: „Etwas, Oberstleutnant. Andererseits hat es mich, seit ich zurückdenken kann, immer zu den Sternen gezogen. Ich würde sagen, dass sich bei mir Heimweh und Fernweh die Waage halten. Was ich gegenwärtig wirklich sehr vermisse, das sind meine Freunde, die sich nun da draußen im Weltraum verstreut, auf verschiedenen Planeten und Raumschiffen aufhalten.“

Oberstleutnant Vara Kiryn blickte Dean Corvin prüfend an. Er hatte einen Punkt nicht ausgesprochen, und diese Frau schien das bemerkt zu haben. Ihre nächsten Worte bestätigten diese Vermutung des Terraners.

„Aber da ist noch etwas Anderes, habe ich den Eindruck.“

Dean Corvin überlegte einen Moment lang. Erst als sie den Gleiter erreicht hatten und im Fond eingestiegen waren, antwortete er auf diese Vermutung.

„Ja, Oberstleutnant. Bei der Flucht von Luna musste ich eine Kameradin, die ich während des Angriffs kennengelernt habe, zurücklassen, und das belastet mich seitdem.“

„Möchten Sie darüber reden, Major?“

Dean Corvin sah die Frau an seiner Seite offen an, während der Gleiter abhob und Fahrt aufnahm. „Grundsätzlich ja, Oberstleutnant. Aber nicht mehr heute. Können wir vielleicht morgen darüber reden?“

Die Frau nickte. „Das ist kein Problem, Major Corvin. Ich werde Sie morgen Abend, nach Dienstschluss, aufsuchen und dann erzählen Sie mir davon.“

Dean Corvin verspürte eine deutliche, innere Erleichterung. Ja, es verlangte ihn danach, mit einer neutralen Person über diesen Punkt zu sprechen. Tief durchatmend erwiderte er: „Das wäre toll, Oberstleutnant Kiryn.“

Schneller als gedacht hielt der Gleiter vor einem Bungalow, der zum Randbezirk der Stadt gehörte. Nachdem Corvin und Vara Kiryn ausgestiegen waren deutete die Frau auf das Gebäude und meinte: „Das wird ihr zukünftiges Zuhause sein, Major. Ihr Erster Offizier wohnt links neben Ihnen, ihre Kameraden in den anderen, umliegenden Bungalows. Die Einrichtung ist momentan noch etwas spartanisch, aber da werden Sie wohl selbst, im Laufe der Zeit, Abhilfe schaffen, schätze ich. Zumindest aber wartet, dort in der Garage, bereits ein eigener Dienstgleiter auf Sie.“

Dean Corvin sah Vara Kiryn in die Augen und Dankbarkeit lag in seinem Blick. „Dieser freundliche Empfang tut gut, Oberstleutnant. Ich freue mich bereits auf das morgige Gespräch mit Ihnen.“

Die Frau lächelte verstehend. „Wir sehen uns morgen, Major Corvin.“

Sie stieg in den Gleiter, und der Terraner blickte ihm nach, bis er in der Ferne seinen Blicken entschwand. Für eine Weile blieb er einfach im Vorgarten seines neuen Zuhauses stehen und sah sich aufmerksam um. Dabei lauschte er den Geräuschen einiger unbekannter Tiere, die aus dem fernen Wald an seine Ohren drangen. Er schloss seine Augen und atmete tief die würzige Luft ein, die so fremde und gleichzeitig auch vertraute Gerüche mit sich trug. Erst nach einer ganzen Weile öffnete er die Augen wieder und ging in die Hocke. Gedankenverloren, mit beiden Handflächen über das Gras des Rasens streichend, blickte er zu der Hügelkette hinüber, hinter der die Sonne dieses Systems eben erst untergegangen war, und zum ersten Mal, seit vielen Tagen, verspürte er eine innere Ruhe in sich, die er sehnsüchtig vermisst hatte.

Erst nach einer geraumen Weile erhob sich der Terraner wieder und dachte dabei: Noch bist du eine fremde Welt für mich, Farradeen, aber vielleicht wirst du eines Tages das werden, was ich als Heimat bezeichnen kann. Dann wandte sich Dean Everett Corvin um und betrat das Innere seines neuen Zuhauses.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hiermit endet der erste Roman des geplanten Mehrteilers.

Die grundsätzliche Planung für den Folgeband steht bereits, es wird aber sicherlich etwas dauern, bis ich ihn schreibe, da solche umfangreichen Geschichten doch Substanz kosten. Schreiben werde ich die Fortsetzungen aber in jedem Fall. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Rina2017
2017-08-04T07:26:38+00:00 04.08.2017 09:26
Mach bitte bald weiter:)
Antwort von:  ulimann644
04.08.2017 14:11
Den zweiten Band werde ich nächstes Jahr schreiben und veröffentlichen.

Da die Episoden mit rund 500 Buchseiten Umfang schon ziemliche Klopper sind, und ich das ja lediglich in meiner Freizeit verfolge, bitte ich um Verständnis, dass ich solche Wälzer nicht jedes Jahr raushauen kann, sondern - neben meinen anderen Projekten - "nur" alle zwei Jahre. :)

Die Skripts für die nächsten beiden Episoden stehen bereits, der Zweite Band wird also ganz bestimmt im ersten Halbjahr 2018 erscheinen.
Antwort von:  Rina2017
05.08.2017 05:15
Das machst du bestimmt gut..... freue mich schon jetzt:)
Antwort von:  ulimann644
05.08.2017 20:44
Vielen Dank für das Vertrauen. :)
Von:  Sanguisdeci
2016-11-01T17:02:03+00:00 01.11.2016 18:02
Ein interessanter erster Teil. Ich bin sehr gespannt, wie die Serie um diese Gruppe von Protagonisten weiter gehen wird. Wie schon in deinen letzten Werken hast du auch hier weder an Details gespart, noch dich in selbigen verloren. Eine sehr angenehme Mischung, die mir beim Lesen eine gute Vorstellung der Geschehnisse bisher vermittelt. Mach weiter so =)
Antwort von:  ulimann644
02.11.2016 03:33
Vielen Dank für das positive Feedback.
Was mich besonders freut ist, dass diese Original-Fiction doch ganz gut angenommen wird. Auch auf diversen anderen Seiten. Wenn man ein eigenes Werk schreibt ist das nochmal eine Spur toller, als bei FF, wo man ja auf ein vorgeformtes Universum und bestehende Technik zurückgreift.

Ich werde mir Mühe geben mich auch weiterhin konstant zu verbessern, da geht bestimmt noch was.


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