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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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IN LETZTER MINUTE

 Knapp elf Tage später fiel die NOVA SOLARIS, zusammen mit ihren beiden begleitenden Schweren Kreuzern, innerhalb des Delta-Cephei-Systems, aus dem Hyperraum.

Als das Führungsschiff, der Schwere Kreuzer Kreuzer NEREIDE, Kontakt zum Hauptquartier der Neunten Flotte auf Outpost aufnahm, meldete sich Hilaria Mbena persönlich und beglückwünschte die drei Crews dazu, heil das System erreicht zu haben. Zum Ende hin wandte sie sich persönlich an den jungen Mann, der die NOVA SOLARIS herbrachte, und beorderte ihn und Korkonnen umgehend zum Rapport.

Nachdem Mbena die Verbindung zur NOVA SOLARIS unterbrochen hatte wandte sie sich an Brigadier Guido Camparelli, der neben ihr stand. „Selten war ich auf einen Menschen so neugierig, wie auf diesen jungen Oberleutnant. Dieser Junge hat es fertiggebracht unsere vielleicht wichtigste kriegstechnische Errungenschaft dem Zugriff eines übermächtigen Feindes zu entziehen.“

„Vermutlich hatte er nur Glück, Sir“, gab Camparelli zu bedenken.

Die Sektoren-Kommandeurin blickte nachdenklich als sie erwiderte: „Vermutlich, aber das Glück ist nur mit den Tüchtigen, Brigadier. Ich habe mich in den letzten Tagen eingehend mit der Dienstakte dieses Dean Everett Corvin beschäftigt. Diese merkwürdige Anklage zu Akademiezeiten passt nicht zum Rest, und auch nicht zu den jüngsten Taten dieses jungen Mannes. Und wenn das, was Corvin Oberst Haehrfoehr berichtet hat, stimmt, so bin ich geneigt zu sagen, dass dieser Oberleutnant wirklich von dieser Kim Tae Yeon hereingelegt worden ist und über zwei Jahre lang unschuldig auf dem Titan versauerte. Bezeichnender Weise haben er, und sein Kamerad, Kimi Korkonnen, dort sehr gute Arbeit geleistet. Das sagt mir etwas über die innere Einstellung dieser beiden Offiziere, Camparelli.“

„Vielleicht sollten wir noch mit der Lobeshymne warten bis nach dem Gespräch, Generalleutnant. Der persönliche Eindruck könnte ein anderer sein.“

Hilaria Mbena schenkte dem Brigadier einen spöttischen Blick. „Vielen Dank für Ihre aufmunternden Worte, Brigadier. Wenn ich mal so richtig deprimiert sein sollte, dann wende ich mich ganz bestimmt zuerst an Sie.“

Hilaria Mbena zwinkerte Camparelli zu als er sie fragend ansah und nahm damit ihren vorherigen Worten die Spitze. „Bitte informieren Sie mich wenn die NOVA SOLARIS auf Outpost gelandet ist, und lassen Sie Corvin und Korkonnen dann direkt zu meinen Arbeitsräumen bringen. Ich hätte es übrigens gerne, dass Sie bei dem Gespräch zugegen sind, Camparelli. Sozusagen als des Teufels Advokat der die beiden Offiziere für mich im Auge behält. Was sagen Sie dazu?“

Guido Camparelli wirkte sichtlich erleichtert. Seine Vorgesetzte hatte offensichtlich nicht vor sich blenden zu lassen, wie er zuerst befürchtet hatte. „Nur zu gerne, Sir.“

Wieder zwinkerte Hilaria Mbena dem Brigadegeneral zu, diesmal wissend. Sie legte die Hände auf den Rücken und verließ das Kommandozentrum des Flottenhauptquartiers um ihre privaten Räume aufzusuchen. Natürlich würde sie, im Gegensatz zu den anfänglichen, geheimen Befürchtungen ihres Untergebenen, die beiden Offiziere gründlich unter die Lupe nehmen. Doch in fast vierzig Jahren, die sie nun bereits dem terranischen Militär angehörte, ihre Kadettenzeit mit eingerechnet, hatte sie gelernt Dinge aus Dienstakten herauszulesen. Natürlich hatte Brigadegeneral Camparelli recht damit, dass der persönliche Eindruck sehr viel aussagekräftiger war als Dienstakteneinträge. Doch sie war bereits jetzt bereit zu schwören, dass es sich bei diesen beiden Männern nicht um schlechte Menschen handelte.

In ihrem Quartier angekommen ließ sie sich in den nächsten Sessel fallen und schloss für einen Moment ihre Augen. Sie rief sich ins Gedächtnis, was sie über Dean Corvin und Kimi Korkonnen den Computerdateien entnommen hatte. Dabei schweiften ihre Gedanken ab, zu den Ereignissen der letzten elf Tage.

Schon einen Tag nach dem Angriff auf das Sonnensystem hatte festgestanden, dass sie, nach dem Angriff der Konföderation Deneb auf des Sonnensystem, die ranghöchste, militärische Person des Terranischen Imperiums war. Sie hatte per Hyperfunk eine flammende Rede an die ihr Untergebenen gehalten, in der Absicht, ihnen Hoffnung zu geben. Dabei hatte sie gleichzeitig den Kriegszustand erklärt. Nicht zuletzt deswegen, um das Kriegsrecht auszurufen, was ihr als Oberkommandierende des Militärs die Macht gab, den Planetaren Gouverneuren die Weisung zu geben, ihre Territorien, wegen des Ausfalls der Terranischen Zentralregierung, nun direkt zu verwalten. In wie weit dieses Ziel erreicht worden war, würde man in naher Zukunft sehen. In Momenten, wie diesem, spürte sie die Last der Verantwortung besonders stark, die nun auf ihren Schultern ruhte, und in den vergangenen Tagen hatte sie sich des öfteren gefragt, ob sie in der Lage sein würde, ihr dauerhaft standzuhalten. Diese Momente der Schwäche vergingen ebenso schnell, wie sie kamen, und Hilaria Mbena beachtete sie darum nicht weiter. In ihren Überlegungen warf sie einen schnellen Blick hinüber zur Couch, wo ihre alte Uniform, mit den gelben Streifen, lag. Nun, da sie den Oberbefehl inne hatte, trug sie standesgemäß eine neue Uniform, die über die roten Streifen verfügte, wie sie vom Chef des Stabes an der Uniform getragen wurden. Daran hatte sie sich noch nicht ganz gewöhnt.

Hilaria Mbena seufzte leise und ihre Gedanken begannen erneut damit Karussell zu fahren. Kaum dass festgestanden hatte, dass sie nun die Oberkommandierende der Flotte war, hatte sie sich mit dem Gouverneur dieses Systems getroffen und gemeinsam mit ihm über die Zukunft des Imperiums gesprochen. Nach dem Bericht, den Dean Corvin Oberst Haehrfoehr gegeben hatte, war die Regierung auf Terra brutal zerschlagen worden. Der Präsident, sowie die meisten Mitglieder des Senats, waren tot. Die wenigen Politiker, die das Massaker überlebt hatten, waren entweder untergetaucht oder aber gefangengenommen worden.

Knapp zwanzig Stunden nach den ersten Angriffen waren bereits mehrere Hundert Truppentransporter der Konföderation Deneb im Sol-System erschienen und hatten einige Millionen Soldaten auf Terra, Luna und Mars abgesetzt, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sich die Truppen der Konföderation auch in Richtung Venus und Titan wenden würden.

Wie es sich Hilaria Mbena zuvor ausgerechnet hatte, waren drei Flotten der Konföderation Deneb, eine Woche später, aus dem Sonnensystem abgezogen worden, und sie konnte sich sehr genau vorstellen, wohin sich diese drei Flotten in Marsch gesetzt hatten. Besonders nach ihrer Rede an die Flottenreste, in der sie angekündigt hatte, dass sie das Sol-System umgehend zurückzuerobern gedachte.

Natürlich war dieser Teil ihrer Rede reine Polemik gewesen, denn solange die Konföderation ihr Störsystem im System stationiert, und das Imperium keine Gegenmaßnahmen gefunden hatte, war an eine Rückeroberung des Sol-Systems überhaupt nicht zu denken. Doch es konnte nie schaden Furcht und Schrecken in die Herzen der Feinde zu sähen. Und Fehlinformationen, wie diese.

Doch dafür hatte Hilaria Mbena in den letzten Tagen einen anderen Plan ausarbeiten lassen – einen Plan, der verwegene Offiziere erforderte. Und wenn sie sich nicht gründlich irrte, dann war ein gewisser Dean Everett Corvin genau die Art von Offizier, den sie für ein solches Kommando-Unternehmen benötigen würde. Doch das blieb abzuwarten, wie Guido Camparelli ganz richtig eingewandt hatte.

Aufgrund des Datums, an dem die drei Feindflotten aufgebrochen waren, wusste Mbena, dass ihr noch minimal eine Woche Zeit blieb, um sich und die ihr untergebenen Streitkräfte auf einen Schlag des Feindes vorzubereiten.

Vor acht Tagen bereits hatte sie, nach Absprache mit dem Gouverneur, dessen Stellvertreter, an Bord ihres schnellsten Kriegsschiffs, nach Farradeen entsandt. Er sollte auf bei der Regierung der Farradeen-Allianz offiziell um ein Waffenbündnis gegen die Konföderation Deneb ersuchen. Es war jedoch fraglich, ob sich die Verantwortlichen auf Farradeen auf ein solches Abenteuer einlassen würde.

Des Weiteren hatte sie sämtliche Kadetten des vierten Jahrgangs an der hiesigen Akademie-Sektion vorzeitig in den aktiven Dienst befördert, und Freiwillige einberufen, um für den äußersten Notfall zusätzliche Soldaten auf dem Planet Outpost stationieren zu können. Gegenwärtig wurden diese Freiwilligen, in eilig organisierten Camps die sich über die gesamte Oberfläche von Outpost verteilten, ausgebildet.

Die Maßnahmen von Verzweifelten schoss es Hilaria Mbena durch die Gedanken. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Nein, die Lage war schlecht, aber noch lange nicht aussichtslos.

Die Sektoren-Kommandeurin wurde aus ihrer trüben Stimmung gerissen, als sich der diensthabende Offizier, aus dem Kommandozentrum, bei ihr meldete und von der erfolgten Landung der NOVA SOLARIS berichtete.

Im Nu war Hilaria Inira Mbena wieder munter. Sie kontaktierte ihren Ordonanz-Offizier und wies ihn an, verschiedene Getränke und etwas Gebäck auf dem Tisch der Sitzecke, in ihrem Arbeitsraum, bereitzustellen. Wer wusste schon, wann die Mannschaft der NOVA SOLARIS zuletzt etwas Gescheites gegessen hatte. Außerdem ließ sie Brigadier Guido Camparelli zu sich rufen.

Die Oberkommandierende schüttelte grinsend den Kopf, als sie diese mütterlichen Gefühle überkamen. In Friedenszeiten sah sie so junge Angehörige der Flotte, wie Corvin oder Korkonnen, gerne als ihre Kinder an. Im Krieg war für solche Sentimentalitäten kein Platz. Doch sie ließen sich andererseits auch schlecht unterdrücken.

In solchen Momenten bedauerte es Hilaria Mbena, dass sie nie eigene Kinder gehabt hatte. Bereits in ihrer Jugendzeit hatte sie, in Sachen intime Beziehungen, Männern nicht besonders viel abgewinnen können. In den letzten zwanzig Jahren hatte sich dann ihr sexuelles Interesse immer stärker Frauen zugewandt. So war sie kinderlos geblieben und momentan führte sie auch keine feste Beziehung, was sie gelegentlich bedauerte.

Diese Gedankengänge hatte Hilaria Inira Mbena zur Seite geschoben, als die Ordonanz sich, eine halbe Stunde später, bei ihr meldete. Die beiden zu ihr beorderten Offiziere der NOVA SOLARIS und Guido Camparelli waren eingetroffen und warteten nun im Vorraum darauf dass man sie herein bat.

Mbena gab Anweisung, sie umgehend zu ihr zu schicken und blickte, mitten in dem geräumigen Büro stehend, gespannt auf das sich Augenblicke später öffnende Schott.

Dean Corvin und Kimi Korkonnen schritten, hinter dem Brigadier, herein und nahmen Haltung an. Vorbildlich grüßend warteten beide die Meldung von Camparelli an Mbena ab.“

Hilaria Mbena erwiderte den Gruß und antwortete: „Bitte stehen Sie bequem.“

Sich direkt an die beiden Oberleutnants wendend erkundigte sie sich: „Kam es auf dem Flug hierher zu besonderen Ereignissen?“

Es war Corvin, der antwortete. „Nein, Generalleutnant.“

Hilaria Mbena musterte die beiden jungen Männer für einen Augenblick, sah kurz zu Camparelli und deutete dann zur Sitzecke hinüber. „Bitte nehmen Sie Platz, meine Herren. Und bedienen Sie sich bitte.“

Während sie Platz nahmen blickte Hilaria Mbena zu den beiden jungen Männern. „Ich könnte mir denken, dass gerade Ihre Verpflegung der letzten Tage, spartanisch war.“

„Danke, Sir, sie war ausreichend“, antwortete Korkonnen.

Nachdem er, wie sein Freund, auf einer der Couchen, neben Corvin, Platz genommen hatte, griff er jedoch ebenso begeistert zu, wie sein Freund, und Hilaria Mbena verkniff sich ein Grinsen. So waren diese jungen Offiziere. Brav antwortend und bloß nichts zugebend. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Camparelli, der nun neben ihr saß und die beiden Männer, ihm gegenüber, scharf ins Auge fasste.

Hilaria Mbena befand, dass Corvin und Korkonnen die Ereignisse der letzten Tage ins Gesicht geschrieben stand. Die Bilddateien der beiden Offiziere zeigten unbekümmerte junge Menschen. Diese Unbekümmertheit schien beiden Männern abhanden gekommen zu sein, während der jüngsten Ereignisse. Etwas das Hilaria Mbena sehr bedauerte und erneut meldeten sich ihre Emotionen von vorhin.

Sie blickte die beiden Männer abwechselnd an und fragte geradeheraus: „Ist die Lage im Sol-System wirklich so schlimm, wie es mir Oberst Jason Haehrfoehr, per Hyper-Richtfunk von Wega-VIII aus, berichtete?“

Dean Corvin, auf dem ihr Blick hängen blieb, schluckte hastig ein Stück seines Gebäcks hinunter und antwortete: „Ich fürchte ja, Sir. Die Heimatflotte hat aufopfernd und tapfer dagegen gehalten – trotz der Widrigkeiten. Aber sie hatte keine Chance. Selbst einfache Manöver gerieten zu einer riskanten Aktion. Ich selbst hatte Mühe mein Frachtschiff über der Mondoberfläche zu halten, als wir die lunare Geheimbasis anflogen damit der Experimental-Kreuzer nicht in Feindeshand fällt. Offensichtlich wurden die Kriegsschiffe der Konföderation Deneb nicht von den seltsamen Ortungsstörungen heimgesucht, was unsere Raumschiffe und Weltraum-Forts zur leichten Beute werden ließ.“

Hilaria Mbena nickte wissend.

„In dieser Hinsicht sehen wir, durch einen Gefechtsbericht, der aus dem Wega-System eintraf, mittlerweile etwas klarer. Ein gewisser Oberleutnant Rosenberg, vom Zerstörer AURORA, hatte kurz vor dem Angriff auf einem Frachtraumschiff der Konföderation merkwürdige Energie-Emissionen angemessen, welche vermutlich von einem der Stör-Systeme ausgesandt wurden, die für die fatalen Ortungs-Missweisungen im Sonnensystem verantwortlich gewesen sind. Leider ließen sich, trotz der Aufzeichnungen die dieser Oberleutnant machte, keinerlei Rückschlüsse auf mögliche Gegenmaßnahmen ziehen. Tragisch ist, dass die Crew der AURORA diese Informationen während der Schlacht nicht weitergeben konnte, wegen der Störfrequenzen mit denen die eintreffenden Flotten der Konföderation, während des eigentlichen Angriffs, den Funkverkehr unterbunden haben.“

Hilaria Mbena hatte bei beiden Männern die Erleichterung in den Mienen gesehen, als sie den Namen Rosenberg aussprach, und sie ahnte warum, denn natürlich hatte sie nachgehakt mit wem zusammen diese beiden Männer ihren Abschluss an der Akademie gemacht hatten. „Sie und Miriam Rosenbaum sind Freunde?“

Kimi Korkonnen nickte. „Ja, Sir. Wir lernten uns an der Sektion-Venus kennen und promovierten gemeinsam an der Sektion-Terra.“

Wieder wanderte der Blick der Zweiundsechzigjährigen zwischen den beiden Männern hin und her. Sie blickte kurz zu Camparelli, der sich bisher bedeckt gehalten hatte, bevor sie sich sinnend bei Corvin erkundigte: „Ich habe mir den Notendurchschnitt Ihrer Abschlussprüfungen angesehen, meine Herren. Ohne diese Anklage in ihren Dienstakten hätten ihnen seinerzeit Posten in allen denkbaren Bereichen der Flotte offengestanden. Ich würde nun gerne von Ihnen persönlich erfahren, ob diese Anklage berechtigt war, oder nicht.“

Hilaria Mbena beobachtete beide Offiziere sehr genau, nachdem sie die Frage gestellt hatte und auch Camparelli wurde jetzt besonders aufmerksam.

Beide Oberleutnants reagierten gleich, und sie offen ansehend war es erneut Dean Corvin, der auf diese Frage antwortete.

„Sie war unberechtigt, Generalleutnant Mbena. Ich kann es nicht beweisen, aber ich bin mir sicher, dass die Verräterin, Kim Tae Yeon, dahinter steckte. Zusammen mit zwei Kommilitonen, namens Jeremy James und Jonas Zandvoort. Falls meine Vermutung stimmen sollte, so hat sie indirekt auch das Leben einer Kadettin, namens Claudine Gilbert, auf dem Gewissen, die zu dieser Zeit mit uns an der Sektion-Terra ausgebildet wurde.“

Zufrieden mit dieser Antwort entspannte sich Hilaria Mbenas Haltung unmerklich. Camparelli nickte ihr unmerklich zu und die Sektoren-Kommandeurin lehnte sich auf der Couch zurück. Sie eröffnete nun den beiden Männern: „Nach den letzten Daten, die aus dem Hauptquartier auf dem Mars, vor dem Angriff, übermittelt wurden, gab es eine Stunde nach Mitternacht zwei Verhaftungen. Sie betraf jene beiden Männer, die von Ihnen erwähnt wurden. Man fand in ihren Quartieren Beweise dafür, dass sie tatsächlich mit jenen Ereignissen an der Sektion-Terra, die zu der Anklage gegen Sie beide führte, in Verbindung gestanden haben. Entschuldigen Sie, dass ich diese Information zurückhielt, doch ich wollte zuerst, im Beisein des Brigadegenerals, die Bestätigung durch Sie hören. Immerhin kenne ich Sie beide erst seit wenigen Augenblicken und ich war zugegebenermaßen neugierig auf Ihre Reaktionen, wenn ich Sie mit meiner Frage konfrontiere. Aber ich weiß nun, was ich wissen muss, und ich denke, dass Brigadier Camparelli mir Recht geben wird.“

Der Mann an Mbenas Seite nickte zustimmend. Auf Mbenas unmerkliche Geste hin erhob er sich und verließ das Büro.

Die Reaktion der beiden jungen Männer, auf Mbenas letzte Worte, fiel verschieden aus, doch im Grunde ähnlich. Es war Kimi Korkonnen der mit ungläubigem Tonfall fragte, nachdem der Brigadier gegangen war: „Dann ist es nun tatsächlich offiziell, das wir beide unschuldig sind, Sir?“

Ein warmes Lächeln überflog das Gesicht der Oberkommandierenden. „Ja, das ist es. Ich habe bereits einen entsprechenden Eintrag in ihre Akten vorbereiten lassen. Nach diesem Gespräch werde ich Sie beide voll rehabilitieren. Was mich sofort zum nächsten Punkt bringt, über den ich mit Ihnen beiden reden möchte: Und zwar über Ihr zukünftiges Kommando in der Terranischen Raumflotte. Oberst Jason Haehrfoehr schlug in seinem Rapport vor, sie zum fliegenden Personal zu versetzen. Ich habe vor diesem Vorschlag zu entsprechen, nachdem er mir von dem famosen Manöver erzählte, bei dem sie drei Schlachtkreuzern des Feindes entkommen sind. Ich vermute, Ihr Taktischer Ausbilder an der Akademie wäre begeistert über dieses Manöver gewesen.“

Kimi Korkonnen verschluckte sich an seinem Fruchtsaft und Dean Corvin hielt sich hustend die Hand vor den Mund um nicht unfreiwillig den Keks auszuspucken, von dem er eben abgebissen hatte.

Auf die angehobenen Augenbrauen von Hilaria Mbena hin, erklärte Dean Corvin schließlich, mit etwas kratziger Stimme: „Dasselbe Manöver habe ich im RUBICON-Simulator, an der Sektion-Venus, geflogen, Generalleutnant Mbena. Aber die Begeisterung meines Vorgesetzten hielt sich damals ziemlich in Grenzen. Genauer gesagt: Es gab beim anschließenden Verriss einen Schuss vor den Bug.“

Die Oberkommandierende lachte amüsiert. „Theorie und Praxis.“

Dean Corvin wechselte einen schnellen Blick mit seinem Freund und erkundigte sich neugierig: „Auf welches Raumschiff werden wir abkommandiert?“

Hilaria Mbena schmunzelte fein. „Gefällt Ihnen die NOVA SOLARIS nicht? Ich möchte, dass Sie weiterhin auf diesem Kreuzer dienen, denn Sie scheinen mir genau der richtige Offizier dafür zu sein, um den Kreuzer einzufliegen und zu erproben.“

„Leider kamen wir zu spät zum Merkur“, fiel Korkonnen in das Gespräch ein. „Es fehlen zwei Aggregate, die, nach Aussage einer Technikerin der Luna-Werften, die am Bau und an den Testläufen beteiligt war, den Kreuzer erst komplettieren sollten.“

Hilaria Mbena nickte vergnügt. „Diese beiden Aggregate kamen bereits vor Tagen hier an. Die Chefin des Geheimdienstes hielt es für geraten sie herzubringen.“

Die Begeisterung in den Blicken der beiden Männer war unverkennbar, als sie einander ansahen.

Es war Korkonnen, der fragte: „Wen werden wir als Kommandanten bekommen, Sir? Ein Leichter Kreuzer wird in der Regel von einem Major kommandiert.“

Hilaria Mbena wurde wieder ganz sachlich. „Sie, Oberleutnant Korkonnen, werden nicht an Bord der NOVA SOLARIS bleiben können, denn ich brauche Sie dringend an Bord eines anderen Raumschiffes, dass vor einigen Tagen erst die planetare Flottenwerft auf Outpost verlassen hat.“

Bevor sich Korkonnen und sein Freund von dieser überraschenden Eröffnung erholt hatten, fügte sie hinzu: „Leider habe ich ohnehin schon zu wenig Personal, um dieses Raumschiff zu bemannen, weil das eingeplante Offizierskontingent für dieses Schiff, wegen des Überfalls, nicht mehr den Weg vom Sol-System hierher gefunden hat. Darum kann ich auch keinen Major als Kommandanten für den Experimentalkreuzer abstellen. Aus diesem Grund werde ich Sie, Dean Everett Corvin, vorzeitig in den Rang eines Hauptmanns befördern und Ihnen darüber hinaus den ZBV-Status verleihen.“

Die Reaktion der beiden Offiziere, insbesondere die von Dean Corvin, fiel in etwa so aus, wie es sich Hilaria Mbena zuvor ausgemalt hatte.

Der Status eines Offiziers-ZBV stammte aus der Zeit, weit vor dem Interstellaren Krieg. Er wurde seit dem Friedensschluss von 2987 jedoch kaum noch angewandt. Das Kürzel ZBV bedeutete: Zur besonderen Verwendung und stellte ein Anheben eines Offiziers um einen Rang dar, wenn der betreffende Offizier noch nicht das notwendige Dienstalter erreicht hatte um in den betreffenden Rang aufzusteigen, oder die Beförderung in den betreffenden Rang zu abrupt nach der letzten Beförderung erfolgen würde, der Offizier jedoch die Voraussetzungen für den in Frage kommenden Rang, nach Ansicht seiner Vorgesetzten, erfüllen würde. In seiner Funktion nahm ein ZBV-Offizier de facto einen Rang ein, der eine Rangstufe über seinem eigentlichen Rang lag. Als sichtbares Merkmal trug ein Offizier mit ZBV-Status diese drei Buchstaben als Großbuchstaben, in Gold, neben dem regulären Rangabzeichen.

Im Fall von Dean Corvin bedeutete dieser Status, das er die Funktion eines Majors erfüllen durfte. Was seinen reinen Rang betraf so würde er hingegen, als Hauptmann-ZBV, zwischen dem Rang eines regulären Hauptmanns und dem eines Majors rangieren. Er war damit regulären Hauptleuten gegenüber weisungsbefugt.

Bevor sich die beiden Männer von ihrer Überraschung erholt hatten, holte Hilaria Mbena zur vorläufig letzten Überraschung aus und wandte sich an den Finnen.

„Sie, Oberleutnant Korkonnen, werden ebenfalls von mir in den Rang eines Hauptmanns befördert werden, allerdings ohne ZBV-Status. Ich habe zwar einen Major für den neuen Leichten Kreuzer VESTERGAARD auftreiben können, aber keinen Hauptmann. Sie werden an Bord der VESTERGAARD die Funktion des Ersten Offiziers übernehmen. Ich weiß, dass ich Ihnen und besonders Ihrem Freund Corvin damit einiges abverlange, aber ich glaube an Ihre Fähigkeiten, meine Herren. Immerhin haben Sie beide an der Sektion-Terra abgeschlossen, und da darf man schon etwas mehr verlangen, nicht wahr?“

Hilaria Mbena, die nicht ahnen konnte, dass Dean Corvin vor elf Tagen fast identische Worte an Irina Hayes gerichtet hatte, bemerkte die Blickwechsel zwischen den beiden Männern und neugierig erkundigte sie sich: „Verpasse ich da gerade etwas?“

Dean Corvin grinste schief. „Einem Leutnant, an Bord der NOVA SOLARIS, gegenüber, habe ich beinahe dieselben Worte benutzt, kurz vor unserer Flucht von Luna, Sir.“

„Dann muss es wohl stimmen.“

Hilaria Mbena weidete sich einen Moment lang am Mienenspiel beider Männer, bevor sie in dienstlichem Tonfall fortfuhr: „Sie werden zunächst vierundzwanzig Stunden dienstfrei haben, damit Sie sich etwas von den Strapazen der letzten Tage erholen können. Mit anderen Worten: Sie, werden morgen, um exakt 02:30 Terra-Standard, Ihren Dienst auf der VESTERGAARD beziehungsweise auf der NOVA SOLARIS antreten.“

Speziell zu Corvin gewandt führte sie weiter aus: „Ich habe bereits vor Ihrer Ankunft Order erteilt, dass die beiden noch fehlenden Aggregate umgehend an Bord des Experimentalkreuzers gebracht und installiert werden. Bis auf Oberleutnant Esteban und sein Team werden Sie die momentane Besatzung der NOVA SOLARIS in die finale Crew integrieren. Dabei steht es Ihnen frei, die Posten nach den Fähigkeiten der einzelnen Crewmitglieder zu besetzen. Sehen Sie es als erste Herausforderung an, um das Vertrauen, das ich in sie setze, zu rechtfertigen, Hauptmann Corvin.“

„Vielen Dank, Generalleutnant.“

Die Oberkommandierende wiegelte schnell ab: „Danken Sie mir nicht zu früh, denn Sie werden nicht viel Zeit haben um den Kreuzer einsatzbereit zu bekommen. Ich erwarte, innerhalb der nächsten ein bis zwei Wochen einen schweren Angriff der Konföderation auf dieses strategisch wichtige Sternensystem. Rechnen Sie aber lieber mit nur einer Woche.“

„Toll!“, entfuhr es Dean Corvin, bevor er sich beeilte zu erklären: „Ich meinte, wir werden es schaffen, Sir.“

„Nun, das wird sich wohl, in der ein oder anderen Weise, bald herausstellen, würde ich meinen.“

Hilaria Mbena nestelte dabei an ihrer linken Beintasche herum und förderte zwei flache Kunststoff-Kästchen zutage. Sie vor die beiden Offiziere auf die Tischplatte legend erklärte sie: „Da ich keine Zeit finden werde, Sie beide mit Pauken und Trompeten, vor versammelter Mannschaft zu befördern überreiche ich Ihnen beiden die neuen Rangabzeichen hier, in kleiner Runde.“

Sie legte ein kleineres Kästchen auf das von Corvin, und der frischgebackene Hauptmann schien zu ahnen, dass sich darin die ZBV-Abzeichen befanden. „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Beförderung, meine Herren. Meine Ordonanz wird Ihnen ein Quartier zuweisen. Ihre Crew wird inzwischen bereits ebenfalls untergebracht worden sein.“

Die beiden Freunde verstanden den Wink. Sie erhoben sich, nicht ohne dass Kimi Korkonnen sich, mit der Linken, noch schnell ein Stück Kuchen sicherte. Salutierend meldeten sie sich ab.

Während die beiden so ungleich wirkenden Männer ihr Büro verließen, blickte ihnen Hilaria Mbena sinnend nach, wobei sie inbrünstig hoffte, beide Offiziere mögen länger etwas von ihrer Beförderung haben, als eine nur eine Woche.

 
 

* * *

 

Die nächste Woche bestand aus einer Menge Arbeit für alle Militärangehörigen im Delta-Cephei-System. Auf allen Raumschiffen, und dabei bildete die NOVA SOLARIS keine Ausnahme, wurde fieberhaft daran gearbeitet, die Aggregate, aber auch die Besatzungen selbst, bestmöglich auf den erwarteten Großangriff vorzubereiten.

Momentan lag der Leichte Kreuzer, annähernd startklar, in einem der Reparatur-Hangars, auf Outpost. Es hatte sich herausgestellt, dass die NOVA SOLARIS einige Schäden, bei ihrer Flucht aus dem Sonnensystem, davongetragen hatte. Doch auch im Kreuzer selbst wurde an den, bei der zurückliegenden Flucht überbeanspruchten, Maschinen gearbeitet. Sie waren längst noch nicht eingefahren und so waren die Beanspruchungen für einige der Aggregate zu viel gewesen.

Hilaria Mbena hatte den Kreuzer offiziell in die Neunte Flotte eingegliedert. Somit unterstanden die NOVA SOLARIS und deren Crew nun dem direkten Kommando von Generalmajor Stuart Phillips.

In den vergangenen acht Tagen war der Werftleiter, Oberstleutnant Peekan Tolkaron, dabei zum Schrecken seiner Reparatur-Teams geworden. Überall und zu den unmöglichsten Zeiten tauchte er an Stellen auf, an denen man ihn nicht vermutete, mahnte zur Eile und fasste auch selbst mit an, wenn Not am Mann war. Erst, nachdem er zweimal über sechsunddreißig Stunden im Einsatz gewesen war, mit nur sieben Stunden Schlaf dazwischen, hatte er eine längere Pause eingelegt, und das auch erst, nachdem ihm General Mbena persönlich Bettruhe verordnet hatte.

Anekdoten über diesen persönlichen Einsatz von Tolkaron hatte auch auf dem Leichten Kreuzer NOVA SOLARIS die Runde gemacht.

Als Dean Corvin, seit nunmehr gut einer Woche Hauptmann-ZBV, gemeinsam mit Irina Hayes, die von Hilaria Mbena, auf Corvins Vorschlag hin, zum Oberleutnant-ZBV befördert worden war, die verschiedenen Abteilungen seines Kreuzers inspizierte, fiel ihm eine Bemerkung seines besten Freundes wieder ein, die er am Vorabend gemacht hatte, und zum ersten Mal, seit Tagen, lag dabei für einen Moment lang, ein Lächeln auf seinen Lippen.

Irina Hayes bemerkte es. „Habe ich etwas gesagt, oder getan, was Dich so amüsiert?“

Dean Corvin fuhr aus seinen Gedanken und blickte seine Begleiterin an. Sie duzten sich seit etwa drei Tagen, sofern sie unter sich waren. Irgendwie hatte sich das so ergeben, ohne dass sie großartig darüber gesprochen hätten. Es verstand sich dabei für Irina Hayes von selbst, dass sie Corvin siezte, sobald andere Crewmitglieder in der Nähe waren. Letzteres traf auch auf Moana Adamina zu.

„Äh, nein. Ich musste nur daran denken, was Kimi gestern gesagt hat. Er meinte: Stell dir vor, wir rackern uns hier ab, und die von der Konföderation kommen gar nicht?

Die rotblonde Frau kicherte unterdrückt. „Das scheint typisch für Kimi zu sein. Was glaubst du; ob er wirklich enttäuscht sein wird, falls die wegbleiben?“

Der Kanadier schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Außerdem schätze ich selbst die strategische Lage ebenso ein, wie General Mbena. Die werden kommen. Was sagst du übrigens dazu, dass sich unsere Oberkommandierende selbst befördern musste, weil kein ranghöherer Offizier zur Hand war, ihr der Rang des Generals, da er mit der Funktion des Oberkommandierenden der Flotte gekoppelt ist, aber rechtmäßig zustand?“

„Ich glaube, das ist bisher einmalig in der Historie der Flotte. Und damit meine ich, seit der Gründung der ursprünglichen Terranischen Flotte, im Jahr 2400.“

Corvin nickte zustimmend und bog mit seiner Begleiterin zum Maschinenraum-I ab, in dem er auf den Leitenden Ingenieur des Kreuzers zu treffen hoffte. Ein etwas beleibter Oberleutnant, der auf den Namen Fatul Mahmalad hörte.

Mahmalad gehörte zu jener Art von Technikern, die oft undiszipliniert, um nicht zu sagen lasch, wirkten, aber einen Defekt förmlich riechen konnten, noch bevor er entstand. Und so einen Ingenieur an Bord zu haben war grundsätzlich nie verkehrt, befand Corvin.

Als die beiden führenden Offiziere des Kreuzers den Maschinenraum betraten, hallte ihnen die tragende Stimme des Leitenden Ingenieurs der NOVA SOLARIS bereits entgegen, die alle Arbeitsgeräusche in der Halle überlagerte.

„Mahmalad ist wieder mal in Weltuntergangsstimmung, wie es scheint“, bemerkte Irina Hayes belustigt. „Ich habe ihn ja stark im Verdacht, dass er es gewesen ist, der den Beinamen für dich, der momentan auf dem Kreuzer die Runde macht, in Umlauf brachte.“

Corvin runzelte die Stirn. „Von welchem Beinamen redest du da?“

Sich gemeinsam mit Corvin auf der breiten, den Maschinenraum umlaufenden, Galerie nach rechts wendend, grinste die Rothaarige verschmitzt. „Irgendwie muss der Kommandant der SATURN, bei seinem Rapport an Mbena, den Begriff rebellische Piratentruppe, für unsere damalige Crew, benutzt haben, und irgendwer auf diesem Schiff hat daraus dann für Deine Person der Rebell von Terra gemacht. Jetzt macht dieser Begriff für Dich, seit etwa drei Tagen, die Runde auf der NOVA SOLARIS.

Dean Corvin stöhnte ahnungsvoll auf. „Ich erinnere mich, dass der Befehlshaber der SATURN uns, mehr oder weniger offen, als rebellische Piraten bezeichnete. Ob der wohl ahnt, was er mit dieser leichtfertigen Bezeichnung angerichtet hat?“

Sie stiegen auf eine offene Lift-Plattform und fuhren hinunter zur untersten Ebene des Maschinenraums, der die Backbord-Aggregate des Hauptantriebs beherbergte. Hier unten wimmelten mehrere Dutzend Techniker herum und nahmen letzte Wartungs- und Reparaturarbeiten vor. Zwischen zwei großen Maschinenblöcken hindurch bahnten sich die beiden Führungsoffiziere der NOVA SOLARIS den Weg zu Oberleutnant Mahmalad, den sie schon von Weitem an seiner heftigen Art zu Gestikulieren erkannten.

„Oberleutnant Mahmalad, wie ich sehe sind Sie ganz in Ihrem Element!“, rief Corvin dem etwas Beleibten zu, noch bevor er und Hayes ihn erreicht hatten.

Der Ingenieur fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und musterte die beiden Neuankömmlinge mit stechendem Blick. „Haben Sie beide nichts Besseres zu tun, als harmlosen, hart arbeitenden, Leuten auf die Nerven zu gehen, Sir? Wir bekommen die Maschinen, auch ohne, dass Sie beide uns über die Schultern schauen, ans Laufen.“

„Etwas mehr Höflichkeit, der Herr Oberleutnant, wenn´s gefällt.“

Dean Corvin horchte dem Klang seiner Stimme nach, bei diesen Worten. Er fragte sich, wann dieser ironische Zusatz, den Rian Onoro ihm gegenüber, auf Luna, benutzt hatte, in seinen Sprachgebrauch eingeflossen war, ohne dass er das bewusst mitbekommen hatte. Er fand es in diesem Augenblick erstaunlich, wie schnell sich solche Marotten einschlichen. Bei dieser Überlegung spürte er einen kleinen Stich in der Herzgegend und schnell konzentrierte er sich wieder auf das, was gegenwärtig anstand.

Fatul Mahmalad konnte seine arabische Abstammung nicht verleugnen. Sein schulterlanges, schwarzes Haar wurde von einem Band hinter dem Kopf zusammengehalten. Wie kaum ein Anderer verkörperte gerade er den Begriff Pirat. Seine beinahe schwarzen Augen und seine große, kühn geschwungene Nase verliehen ihm, trotz seines Übergewichtes, ein abenteuerliches, beinahe schon verwegenes, Aussehen.

Irina Hayes ließ sich von der Art des Ingenieurs nicht beeindrucken. Sachlich erkundigte sie sich: „Wann ist die NOVA SOLARIS einsatzbereit, Oberleutnant?“

„Peekan Tolkaron, oder vielmehr seine Truppe, ist soweit fertig am Schiff. Meine Teams hingegen brauchen noch mindestens zwei Stunden. Dieses faule Gesindel ist nicht...“

Der Gefechtsalarm, der durch das Schiff gellte, übertönte selbst die Stimme des Leitenden Ingenieurs.

Dean Corvin schrie über den Lärm hinweg: „Wie lange, Oberleutnant?!“

„In zwei Minuten kann das Schiff abheben, Sir!“

Corvin und Hayes warfen sich bezeichnende Blicke zu, und der Kanadier rief über den Lärm des Alarms hinweg: „In Ordnung, Oberleutnant. Ich verlasse mich darauf, dass Sie den Laden hier unten zusammenhalten!“

Damit wandte er sich ab und rannte gemeinsam mit seiner Begleiterin zurück zur Lift-Plattform.

Nur knapp zwei Minuten später erreichten beide Offiziere das Kommandozentrum des Kreuzers, in dem bereits alle notwendigen Crewmitglieder ihre Plätze eingenommen hatten. Mit ihnen befanden sich nun sieben, von insgesamt 110, Crewmitgliedern der NOVA SOLARIS hier im Nervenzentrum des Experimentalkreuzers.

„Der Befehl zum Notstart ist bereits eingegangen, Sir!“, meldete Moana Adamina, die von Corvin auf den Posten des Kommunikationsoffiziers berufen worden war. Ihre heiß geliebten, grünen Uniformstreifen hatte sie, aus diesem Grund, mit den gelben, für das fliegende Personal, tauschen müssen. „Fünf Flotten der Konföderation Deneb sind, eine Millionen Kilometer außerhalb der Umlaufbahn von Outpost, aus dem Hyperraum gefallen und halten direkten Kurs auf ihn. Der Werftleiter hat seine Klarmeldung durchgegeben; der Kreuzer ist bereit das Reparatur-Dock zu verlassen.“

„Danke, Leutnant.“

Während Irina Hayes zu ihrer Taktischen Konsole eilte, wandte sich Corvin an den Piloten des Kreuzers, dessen Haare ein noch intensiveres Rot besaßen, als das seines Ersten Offiziers. Er war einer von zwei erfahrenen Leutnants, die Hilaria Mbena dem Kommandeur der Neunten Flotte für diesen Kreuzer, in zäher Verhandlung, mühsam abgerungen hatte. Laut seiner Dienstakte sollte er als Pilot überdurchschnittlich gut, und sehr begabt obendrein, sein.

„Leutnant Newton, bringen Sie uns raus.“

Curtis Newton, auf Wega-IX geboren, bestätigte knapp und ließ seine Finger über die Form-Holo-Tastatur seiner Konsole huschen.

Das schwache Summen der Aggregate steigerte sich um eine halbe Oktave, als die Maschinenanlagen des Experimentalkreuzers heraufgefahren wurden.

Über der Werftanlage der Terranischen Raumflotte ging soeben erst die Sonne des Systems auf und sandte ihre roten Strahlen über die Landschaft, als der Leichte Kreuzer aus dem Bodenhangar schwebte und, immer schneller werdend, dem Weltall entgegen strebte.

Auf der Taktischen Anzeige des Haupt-Holobildschirms beobachtete Dean Corvin, wie die NOVA SOLARIS, wenige Minuten später bereits, ihre Position an der linken Flanke der Abwehr-Formation, gebildet aus etwas mehr als einhundert Einheiten, einnahm. Der Terraner wusste, dass bereits in diesem Moment, die Vierte und die Achte Flotte den Hyperraum durcheilten, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Taktisch klug hielt Stuart Phillips die Flotte am Rand des äußersten Schussbereichs der Weltraum-Forts, die Outpost umgaben und durch ihre schwere Bewaffnung schützen sollten. Hier im Delta-Cephei-System würden die Kriegsschiffe der Konföderation nicht so leichtes Spiel haben, wie im Sol-System. Dennoch, das war Corvin klar, standen sie einer deutlichen Übermacht gegenüber. Seine Oberkommandierende hatte mit nur maximal vierhundert Kriegsschiffen gerechnet, doch der Diktator von Denebarran spielte mit sehr hohem Risiko. Und er würde vermutlich auch Erfolg damit haben, falls kein Wunder geschah.

Dean Corvins Hände ballten sich zu Fäusten. Es würde schwer werden das System zu halten, bei dieser Übermacht, das war ihm klar. Selbst wenn es den beiden zu Hilfe eilenden Flotten gelang, die Angreifer kurzzeitig zu überraschen und in die Zange zu nehmen.

In der letzten Woche waren die beiden noch fehlenden Aggregate in die Systeme der NOVA SOLARIS integriert worden, und der Kreuzer hatte dadurch eine signifikante Steigerung seiner Leistung erfahren. Dabei war Rodrigo Esteban gelegentlich an Bord gewesen, und hatte sich dabei mit seinen Freunden austauschen können. Nach seiner Aussage waren die Datenträger, die Generalleutnant MacPherson von der Geheimbasis auf Merkur gerettet hatte, unversehrt geblieben und so würden er, und sein Team, sollte dieser Angriff irgendwie doch abgewehrt werden können, die übrigen Schiffe der Flotten bald in ihrem Kampfwert steigern können. Alles, was dafür gebraucht wurde, war eine längere Phase der Ruhe, vor der Konföderation Deneb.

Es war wenig Zeit geblieben, um die Leistungswerte des neuen Experimentalkreuzers herauszufinden, doch Dean Corvin erinnerte sich an einen der Leitsätze, die man ihm an der Akademie beigebracht hatte.

Der einzig wahre Test für ein Kampfraumschiff ist der Raumkampf.

„Dann wollen wir unseren Kreuzer doch mal auf Herz und Nieren prüfen“, flüsterte Dean Corvin lautlos.

Schneller, als gedacht, waren die vorderen Einheiten der Konföderation Deneb auf Schussweite der Fort-Batterien heran und die sechseckigen Plattformen, mit einer Kantenlänge von jeweils knapp einem Kilometer eröffneten ein vernichtendes Abwehrfeuer. Anders, als vor knapp zwei Wochen im Sol-System lagen die Salven zu einem hohen Anteil im Ziel. Gleich darauf eröffneten auch die Kriegsschiffe der Neunten Flotte das Feuer.

Mehrere Feindkreuzer vergingen bei diesem Feuerschlag der Terranischen Flotte in grellen Explosionen und Trümmerteile wirbelten in sämtliche Richtungen davon. Doch das Gros der Feindflotte rückte nach und erwiderte das Energiefeuer.

Erste Atomsonnen, jede von ihnen das Ende eines terranischen Kriegsschiffes anzeigend, gingen in den Reihen der Verteidiger auf.

Schnell wurde ersichtlich, dass die Flotten der Konföderation Deneb die Einheiten der Neunten Flotte auseinanderreißen, und von den Forts weglocken wollten, doch Stuart Phillips hatte strickte Order erteilt, diesen taktischen Vorteil nicht zu verschenken. Nur vereinzelt machten einzelne kleine Verbände immer wieder schnelle Ausfälle in Richtung der Angreifer, nur um sich gleich darauf wieder in den Feuerschutz eines der Forts zurückzuziehen.

Doch das war auf Dauer kein Allheilmittel gegen die erdrückende Übermacht des Feindes wie sich herausstellte, als eines der Forts von mehreren gewaltigen Atomexplosionen regelrecht zerrissen wurde und drei kleinere terranische Kreuzer mit sich ins Verderben riss.

Dean Corvin, dessen Kreuzer im Verband mit einem Schlachtkreuzer, zwei Schweren- und fünf Leichten Kreuzern, sowie einer Gruppe kleinerer Einheiten, flog, deckte das Verbandsleitschiff geschickt gegen die Attacken mehrerer Zerstörer und Fregatten des Feindes, wobei die NOVA SOLARIS zwei der Kriegsschiffe vernichtete und ein weiteres stark beschädigte.

Irina Hayes, an den Kontrollen des Waffenleitstandes, wirkte hoch konzentriert, beinahe wie in Trance, und Corvin spürte für einen kurzen Augenblick eine Welle von Stolz auf sie, und die übrige Zentrale-Crew in sich aufsteigen. Sie alle, er nicht ausgeschlossen, waren noch sehr jung, doch sie schlugen sich wacker in ihrem ersten realen Raumgefecht. Corvin grinste angedeutet, als er sich vor Augen hielt, dass es sein und Irina Hayes´ zweites Gefecht war. Doch das machte einen nur geringen Unterschied befand er.

In einer kurzen Atempause verschaffte sich Corvin einen schnellen Überblick über die taktische Situation und beorderte die NOVA SOLARIS weiter in den Rot-Sektor, aus dem sich drei Leichte Kreuzer näherten. An ihrer linken Flanke machte der Zerstörer PILGRIM das Manöver mit.

Irina Hayes feuerte aus maximaler Distanz mehrere Torpedos auf die Feindschiffe ab, bevor sie auch die Plasmakanonen mit einsetzte.

Einer der Kreuzer wurde beschädigt und blieb zurück, doch die beiden anderen Feind-Kreuzer erwiderten das Feuer auf die NOVA SOLARIS.

Der Leichte Kreuzer wurde von mehreren Treffern auf die Dualschilde erschüttert. Die Schilde wurden dabei bis an die Grenzen belastet, hielten jedoch stand, was der PILGRIM die notwendige Zeit verschaffte, ihrerseits einen Torpedoangriff auf die beiden feindlichen Kreuzer zu starten.

Ein weiterer Kreuzer der Konföderation Deneb fiel schwer beschädigt aus, während die Waffen der NOVA SOLARIS dem letzten der drei Kreuzer den Rest gab.

Dean Corvin ballte seine Rechte. Doch ein Blick auf die Taktische Anzeige und immer zahlreicher werdende Notrufe der eigenen Raumschiffe zeigten ihm an, dass es an anderen Frontabschnitten weit weniger gut stand. Die Neunte Flotte wurde, langsam aber sicher, immer weiter in Richtung Outpost zurückgedrängt.

In einen erneuten Vorstoß der Feindflotten fiel ein Ausruf von Moana Adamina. „Sir, unsere Vierte- und Achte Flotte sind soeben angekommen und greifen den Feind aus den rückwärtigen Sektoren an.

Dean Corvin sah in demselben Moment auf der Taktischen Anzeige des Hauptschirms, was sich im Delta-Cephei-System abspielte.

Für eine Weile schien der Feind verwirrt zu sein, weil er offensichtlich nicht mit dem Erscheinen zweier weiterer terranischer Flotten gerechnet hatte.

Die Flotten der Konföderation Deneb gruppierten sich um, um auf die neuerliche Bedrohung, die so unverhofft in ihrem Rücken aufgetaucht war, reagieren zu können. Das gab den terranischen Einheiten wiederum Gelegenheit, sich neu zu formieren. Doch schon wenige Stunden später stellte sich heraus, dass auch die Macht der drei Flotten zusammen nicht ausreichte um sich erfolgreich gegen fünf Feindflotten zur Wehr zu setzen. Immer öfter wurden Totalverluste auf den Holo-Displays angezeigt.

Auch die NOVA SOLARIS hatte bereits mehrere leichte Treffer einstecken müssen, und es war mehr als einmal dem fliegerischen Können von Curtis Newton zu verdanken gewesen, dass es nicht längst zu Schlimmerem gekommen war.

Als sich Dean Corvin bereits zu fragen begann, wie lange sie noch erfolgreich Widerstand würden leisten können, riss ihn eine aufgeregte Meldung von Moana Adamina aus seiner verzweifelten Stimmung.

„Kommandant, es erscheinen weitere Raumschiffe im System – mittlere Entfernung etwa zwei Millionen Kilometer! Mindestens dreihundert Einheiten, eher noch mehr!“

„Verdammt!“, entfuhr es Dean Corvin bitter. Der Diktator setzt alles auf eine Karte und zieht die Schlinge um unseren Hals zu. Ich hatte gehofft...“

„Sir, das sind keine Flotten der Konföderation!“, unterbrach ihn die Samoanerin mit zitternder Stimme. „Der Kommandeur hat soeben Kontakt zum Flaggschiff hergestellt, und sich als Generalmajor Arolic Traren identifiziert. Es sind drei Flotten der Farradeen-Allianz.“

Dean Corvin hatte, in den letzten Tagen, nur flüchtig mitbekommen, dass der Stellvertretende Gouverneur des Delta-Cephei-Systems, auf Generalleutnant Mbenas Geheiß hin, nach Farradeen gereist war. Er vermied es jedoch irgendwelche wilden Vermutungen anzustellen, denn noch war nicht klar, was das Militär von Farradeen wirklich hier wollte. Vielleicht wollten sie nur, wie die Geier, etwas vom Kuchen abhaben.

Doch schon einen Moment später jubelte Moana Adamina, ziemlich undiszipliniert: „Der Generalmajor von Farradeen hat soeben seine Flotten dem Oberkommando von Mbena unterstellt, Kommandant! Sie wollen uns beistehen!“

Einen Moment später sah Dean Corvin, auf dem Haupt-Bildschirm, was er trotz der begeisterten Meldung zunächst nicht hatte glauben wollen. Die Einheiten der Farradeen-Allianz gruppierten sich, fächerten auf eröffneten kompromisslos das Feuer auf die überraschten Einheiten der Konföderation Deneb. Schnell und hart zerschlugen die neu angekommenen Flotten der Allianz die hintere Front des Feindes.

Gleichzeitig ließen Stuart Phillips, Claudine Poirot und Hu Xin Fo ihre Flotten wieder vorrücken und angreifen.

Die Kommandanten der Konföderation Deneb schienen nicht zu wissen, wie sie auf die Entwicklung reagieren sollten. Eine Art Schockstarre schien sie ergriffen zu haben und die kombinierten Streitkräfte der Allianz und der Terraner nutzten diesen Zustand.

Zahlreiche Einheiten der Konföderation vergingen in gewaltigen Atomexplosionen, und die Invasionsflotten schrumpften auf weniger als dreihundert Kriegsschiff, bevor eine neue Entwicklung erkennbar wurde: Überall setzten sich die Kriegsschiffe der Konföderation Deneb vom Gegner ab, stellte die Kämpfe ein und flohen mit Maximalbeschleunigung aus dem Delta-Cephei-System.

Zehn Minuten später gab es kein manövrierfähiges Kriegsschiff der Konföderation Deneb mehr in diesem Sternensystem.

Auf der NOVA SOLARIS konnte Dean Corvin noch nicht richtig fassen, was sich ereignet hatte. Erst nach einem langen Moment atmete er befreit aus und sagte in die seltsam anmutende Stille des Kommandozentrums hinein. „Sieht aus, als wäre es erst einmal vorbei.“

Die Haltung des Kanadiers entspannte sich jedoch nur langsam. Er gab Anweisung, den Status der einzelnen Abteilungen abzufragen und lauschte den Meldungen der einzelnen Abteilungs-Chefs. Und während er das tat schweiften seine Gedanken ab, zum heimatlichen Sonnensystem und einer jungen Frau, die er dort hatte zurücklassen müssen. In den letzten nervenaufreibenden Tagen hatte er kaum Gelegenheit dazu gehabt, doch jetzt überfiel ihn wieder die Erinnerung an Rian Onoro. Verbittert fragte er sich, wie es ihr ergangen sein mochte und ob sie überhaupt noch lebte.



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