DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 18: VOLLES RISIKO -------------------------  Im Kommandozentrum der NOVA SOLARIS saß Oberleutnant Dean Corvin wie in Trance in seinem Sessel und steuerte den Experimentalkreuzer, von Freund und Feind scheinbar unbeachtet, tiefer ins Innere des Sonnensystems hinein. Der Kreuzer hatte die Umlaufbahn der Venus bereits hinter sich gelassen und hielt mit maximaler Unterlichtfahrt auf den innersten Planeten zu. Der Merkur. Sein mittlerer Sonnenabstand betrug rund 58 Millionen Kilometer. Mit nur 4880 Kilometern Durchmesser war der Merkur einer der kleinsten Planeten des Sol-Systems. Die maximale Temperatur auf dem Merkur betrug plus 430 Grad Celsius, die minimale Temperatur etwa minus 170 Grad Celsius. Auf ihm herrschten somit die größten Temperaturschwankungen aller Planeten des Sol-Systems. Die Kruste, mit einer Dicke von 45 Kilometern, wies keinerlei Plattentektonik auf, weshalb sie sich besonders zum Anlegen unterirdischer Anlagenkomplexe eignete. Auch gegenwärtig befand sich die, mit Kratern übersäte, Oberfläche des Planeten in einem so gut wie unberührten Zustand. An Bauwerken existierte dort lediglich die hoch geheime, unterirdische Laboreinrichtung, die der Experimentalkreuzer momentan ansteuerte. Dass es außerdem eine weitere geheime Anlage, nämlich eine Ausweich-Zentrale des Oberkommandos der Terranischen Raumflotte gab, war nur einer Handvoll von Menschen im Flottenstab und der permanenten Besatzung dieser Anlage bekannt. Nicht einmal die Spitzen des terranischen Geheimdienstes wussten davon oder kannten gar deren genaue Position. Von all diesen Dingen nur einen Bruchteil wissend steuerte Dean Corvin die NOVA SOLARIS dem Merkur, und damit auch dem gewaltigen Glutball der Sonne, entgegen. Zuerst hatte Corvin eine innere Unsicherheit verspürt, denn sein letzter Simulator-Unterricht, war vor mehr als zweieinhalb Jahren, an der Sektion-Terra gewesen. Darüber hinaus war es ein Unterschied zu wissen, dass er nun einen real existierenden Kreuzer in einem tatsächlich stattfindenden Krieg steuerte, in dem dieses Raumschiff tatsächlich zerstört werden konnte, statt im Simulator. Falls hierbei etwas nicht klappte, so würde es keinen zweiten Versuch geben. Kein Ausbilder würde Übungsunterbrechung rufen, falls er diesmal versagte. Der Oberleutnant hatte zu seiner Überraschung feststellen müssen, wie unangenehm schwer die Verantwortung für das Leben von Menschen auf dem Gemüt lasten konnte. Besonders, nach dem Verlust eines geliebten Menschen, wie Tabea Carrick. Dean Corvin musste sich zwingen, sich ausschließlich auf das zu konzentrieren, was vor ihm, und seinen Begleitern lag, und nicht seinem Schmerz, der aus seinem tiefsten Innern aufzusteigen drohte, zu erliegen. Er atmete tief durch, blickte zu Kimi Korkonnen und wollte ihn fragen, wie er mit dem Verlust fertig wurde, doch dann ließ er es. Dieses Gespräch würde nicht dazu beitragen, dass sie sich auf die Dinge, die vor ihnen lagen, fokussieren würden. Statt dessen starrte er auf den Haupt-Holoschirm, auf dem der Glutball der Sonne bereits fast den gesamten Platz einnahm. Seit einer halben Minute zeichnete sich der Merkur als ein dunkler, etwa Golfball großer, Punkt vor der Sonne ab. Nach der letzten Berechnung von Kimi würden sie den inneren Planet in ein paar Minuten erreicht haben. Bereits jetzt begann Corvin damit, den Kreuzer zu verzögern, wobei er ein sanftes Vibrieren zu spüren glaubte. Vielleicht bildete er sich dies aber auch nur ein. Dean Corvin wäre beinahe erschrocken, als hinter ihm die Stimme von Irina Hayes erklang. „In zehn Sekunden auf vollen Gegenschub gehen. Fünf… Vier… Drei… Zwei… Eins… Jetzt...“ „Ich verzögere mit vollem Gegenschub“, bestätigte Dean Corvin mit rauer Stimme und räusperte sich. Etwas verständlicher sagte er danach: „Erbitte Statusbericht der Ortung.“ Nayeli Herández die für einige Momente etwas abwesend gewesen war, blickte bei diesen Worten schnell auf ihre Holodisplays und erschrak. Da waren drei Symbole auf der Taktischen Anzeige, die sie zuvor nicht bemerkt hatte. Hastig nahm die Mexikanerin einige Schaltungen vor und antwortete, als Dean Corvin bereits fragend in ihre Richtung sah: „Drei Schlachtkreuzer der Konföderation Deneb haben Kurs auf den Merkur genommen, Dean. Offensichtlich ist unsere Flucht doch nicht unbemerkt geblieben. Sie haben aber die Venusbahn noch nicht überschritten, so dass wir ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten Vorsprung haben. Genauer kann ich das, wegen der Ortungs-Missweisungen leider nicht ermitteln.“ Dean Corvin blickte düster, über die Schulter, zu Irina Hayes, bei dieser Meldung, und fragte grimmig: „Was denken Sie, Leutnant Hayes – reichen minimal fünfzehn Minuten um zu landen, die Aggregate aus der Basis zu schaffen und wieder zu starten, ohne von unseren Verfolgern gestellt zu werden?“ Bereits die Blicke der rothaarigen Frau sprachen Bände. „Das glaube ich nicht. Selbst wenn ich mit den verbliebenen Technikern im Sprintertempo die Aggregate herschaffe, so werden wir denen vermutlich direkt in die Arme laufen. Oder besser formuliert: Direkt in die Arme fliegen, Sir.“ „Das wird unsere Flucht aus dem Sol-System auf gar keinen Fall langweiliger machen“, konterte Dean Corvin trocken und verzog das Gesicht. „Ist doch auch was wert.“ Die NOVA SOLARIS brauchte nicht lange, bis sie sich im direkten Landeanflug auf die Geheimbasis befand. Zwei Minuten vor der berechneten Zeit des Aufsetzens bekam Irina Hayes von Dean Corvin ein Zeichen, sich mit den drei verbliebenen Crewmitgliedern in Bewegung zu setzen um rechtzeitig in der Schleuse zu sein, sobald es soweit war. Irina Hayes und ihre drei Begleiter, einer davon die Frau mit dem gebrochenen Arm, erreichten eine halbe Minute vor der Landung die linke, hintere Schleuse, die auf dem Weg von der Zentrale näher lag, als eine der beiden vorderen. Dean Corvin hatte mit ihr abgesprochen, dass er den Kreuzer dem entsprechend aufsetzen würde. Möglicherweise ging es, bei dem was sie vorhatten, um Sekunden. Bevor sie die Helme ihrer Raumanzüge schlossen vergatterte Irina Hayes die Frau dazu, an der Verriegelung des Schleusen-Schotts auf die Rückkehr von ihr und ihren beiden Begleitern zu warten. Nach ihrer Rückkehr sollte sie umgehend das Schleusen-Schott zufahren und es wieder verriegeln. Als die Schotthälften zur Seite fuhren war der Kreuzer beinahe unten, und die Raumfahrer blickten auf die Kraterlandschaft, die beinahe jener Mondlandschaft glich, die sie vor einer halben Stunde erst hinter sich gelassen hatten. Irina erkannte eine markante Felsformation wieder und atmete erleichtert auf. Sie waren beinahe über der Geheimbasis. Sie verwünschte im Moment nur die Tatsache, dass die Raumanzüge, die sie aus dem Frachter KIROV hatten, über keine Flugaggregate verfügten. Das hätte ihr Vorhaben sehr vereinfacht. Aber damit musste sie im Moment leben, also nahm sie es hin. Sie gab den beiden Männern neben sich ein Zeichen, als der Kreuzer, mit einem deutlichen Ruck, auf seinen Landeschoren aufsetzte, und die Schleusenrampe ausfuhr. „Los geht es, Männer!“ Sie stürmten die Rampe hinunter und einer von Leutnant Hayes´ Begleitern meinte amüsiert: „Der Oberleutnant hat den Kreuzer ziemlich hart aufgesetzt. Der hat offensichtlich nicht vor länger als unbedingt nötig hier zu sein.“ „Sie etwa?“, erkundigte sich die rothaarige Frau ironisch. „Still jetzt, da vorne ist der oberirdische Eingang.“ Die beiden männlichen Raumfahrer erkannten den Stahlbau, der unter einem Felsüberhang hervorragend gegen eine zufällige Entdeckung von oben geschützt war, erst als sie noch etwa fünfzig Meter von ihm entfernt waren. So schnell es bei der geringen Schwerkraft des Merkur möglich war überwanden sie die Entfernung und betraten den Geheimkomplex, nachdem Irina Hayes rasch den Code an der Eingangskonsole eingegeben hatte. Über eine breite Rampe rannten sie hinunter zu einer Front aus Panzerglassit, die den eigentlichen Komplex von der Rampe abgrenzte. Durch ein zweigeteiltes Schott desselben, transparenten Materials betraten sie den eigentlichen Laborbereich. Die Lichtleisten an den Wänden und unter der Decke aktivierten sich selbsttätig, als sie eintraten. Verwundert bemerkte Irina Hayes: „Wo ist denn die Besatzung der Basis hin? Hier sollten mindestens einhundert Wissenschaftler und Techniker stationiert sein.“ Die Frau konnte sich auf dieses Rätsel keinen Reim machen und führte ihre beiden Begleiter, darüber grübelnd, in den hinteren Bereich der Halle wobei sie erklärte: „Wir müssen eine Etage tiefer. Es gibt einen Lift, mit dem wir die Aggregate, auf Flugschlitten, hochbringen und zum Kreuzer bringen können.“ „Ein Glück“, erwiderte der Mann, der bisher geschwiegen hatte erleichtert. „Ich hatte schon angenommen, wir würden die Aggregate schleppen müssen.“ Schweigend betraten sie den offenen Lastenaufzug und fuhren nach unten. Unten angekommen aktivierten sich, so wie zuvor oben, selbsttätig die Lichtleisten an den Wänden und unter der Decke der Halle. Es dauerte eine Weile, bis Irina Hayes sich zurechtgefunden, und die beiden fraglichen Aggregate gefunden hatte. „Glück muss man haben!“, rief sie zufrieden aus, als sie erkannte, dass die beiden Aggregate, von jeweils etwa einem Kubikmeter Volumen bereits auf einem Flugschlitten platziert worden waren. Einer der beiden Männer begab sich zur Steuerung des Schlittens, während Irina Hayes das Funkmodul des Multifunktions-Armbandes an ihrem Raumanzug aktivierte, und Kontakt mit Dean Corvin aufnahm. Die Holokugel baute sich auf und gab wenige Augenblicke später das Gesicht des Oberleutnants wieder. „Hier Irina Hayes. Wir sind in der Basis und haben die beiden Aggregate. Allerdings haben wir die Basis verlassen vorgefunden, Sir. Irgendwie merkwürdig, wenn Sie mich fragen.“ Der Oberleutnant auf der NOVA SOLARIS runzelte die Stirn. „Unsere Scanner zeigen in Ihrem Bereich einen langsamen aber stetigen Energieanstieg an. Haben Sie eben zusätzliche Aggregate der Basis hochgefahren?“ „Nein, Sir.“ Das Gesicht der Frau drückte Verwirrung aus. Dann kam ihr ein fürchterlicher Gedanke und sie antwortete hastig: „Moment mal, Sir...“ Sie wandte sich an ihre beiden Begleiter. „Scannen Sie die beiden Aggregate nach Energieemissionen, schnell!“ Es dauerte nur Sekunden bevor einer ihrer Begleiter sagte: „Die beiden Aggregate scheinen ein Energiefeld aufzubauen. Soll das so sein, Leutnant?“ Statt auf die Frage zu antworten schrie sie alarmiert: „Raus hier, Leute! Das sind nicht die Aggregate für den Kreuzer, sondern irgendwelche anderen Höllenmaschinen!“ Sie stürmte in Richtung Aufzug und zerrte dabei einen der Männer, der zögerlich auf die beiden Aggregate blickte, dabei einfach mit sich. Während sie die obere Halle durchquerten meldete sich Dean Corvin erneut und unterrichtete die drei Raumfahrer davon, dass der Energieanstieg stetig zunahm. Die Rampe nach oben hastend meldete Irina Hayes über Helmfunk: „Wir kommen mit V-max zur NOVA SOLARIS zurück, Sir! Das da in der Basis sind nicht die Aggregate für unseren Kreuzer sondern vielmehr irgendwelche Replikate, die vermutlich zu einem hinterlistigen Zweck dort unten deponiert wurden. Offensichtlich rechneten die Konföderierten damit, dass wir, falls die NOVA SOLARIS, entgegen der Wahrscheinlichkeit, doch entkommen sollte, damit, dass wir versuchen würden, die beiden Aggregate auf jeden Fall zu bergen und auf den Kreuzer zu schaffen. Ich vermute, dass das Terranische Militär bereits seit längerer Zeit vom Geheimdienst der Konföderation unterwandert wird.“ „Toll!“, quittierte Corvin den knappen Bericht. „Beeilen Sie sich an Bord zu kommen, wir müssen dringend hier weg!“ „Was glauben Sie denn, was wir gerade machen, Sir!“ Ein unterdrücktes Schnauben war die Antwort, bevor Corvin die Verbindung unterbrach. Die beiden Männer hatten einen kleinen Vorsprung und Irina Hayes beeilte sich, sie wieder einzuholen. Kurzatmig erreichte sie zwei Meter hinter ihren Begleitern die Rampe und stürmte hinter ihnen die Rampe zur Schleuse hinauf. Die zurückgebliebene Frau schloss das Schott und nahm den Druckausgleich vor. Fragend warf sie Irina Hayes einige Blicke zu und die Rothaarige erklärte von sich aus, noch bevor sich das Innenschott öffnete: „Das war eine verdammte Falle, die richtigen Aggregate wurden vermutlich weggeschafft, zusammen mit der Basisbesatzung.“ Kaum, dass sich die beiden Hälften des Innenschotts vor ihnen teilten hasteten Irina Hayes bereits los, gefolgt von den drei übrigen Besatzungsmitgliedern. Sie wusste, dass Dean Corvin sie dringend im Kommandosessel benötigen würde, angesichts der Tatsache, dass drei Feindraumschiffe hierher unterwegs waren. Das dicke Ende kam erst noch. Bereits unterwegs bemerkte Irina Hayes an einem leichten Anrucken, dass Corvin den Leichten Kreuzer bereits wieder abgehoben hatte. Vermutlich beschleunigte er den Kreuzer bereits wieder mit Maximalwerten. Sie erreichte das Kommandozentrum und ließ sich, etwas außer Atem, in den Kommandosessel fallen, wobei sie einen kurzen Blick auf die Taktische Anzeige warf, die Corvin auf dem Haupt-Holoschirm eingeblendet hatte. Die drei Schlachtkreuzer der Konföderation Deneb waren offensichtlich eher fünfzehn als zwanzig Minuten hinter ihnen gewesen, denn sie näherten sich bereits aus drei verschiedenen Vektoren der NOVA SOLARIS. Sie konnten dem Feind nur seitlich ausweichen, denn hinter ihnen lag der Merkur und zwischen den drei Schlachtkreuzern hindurch zu fliegen kam von Vornherein nicht in Frage. Nur am Rande bekam Irina Hayes mit, wie Nayeli Herández meldete, dass es auf dem Merkur zu einer heftigen Explosion gekommen war. Vermutlich war dabei die gesamte Geheimbasis zerstört worden. Fragend blickte sie zu Corvin. „Wie gedenken Sie diesen drei Schlachtkreuzern zu entkommen, Sir?“ Unterbewusst nahm Dean Corvin die Blicke seines besten Freundes wahr, der zu seiner Linken saß und nicht weniger angespannt wirkte, als er selbst. Corvins grau-blaue Augen fingen kurz den Anblick seines Freundes ein und für einen kurzen Augenblick lang überkam ihn ein merkwürdiges Déjà-vu Gefühl. „Mit einem Manöver, dass die uns niemals zutrauen würden“, antwortete der Kanadier vage, ohne sich dabei umzuwenden. Im nächsten Moment hatte er bereits wieder alle Hände voll damit zu tun, den Kreuzer aus der Schusslinie des Gegners zu halten, wobei er das modernste Kriegsschiff des Terranischen Imperiums genau zwischen den drei gegnerischen Schlachtkreuzern hindurch zu manövrieren gedachte. Kimi Korkonnen, dem dieses Manöver, während ihrer Ausbildung auf der Venus, nur zu gut im Gedächtnis geblieben war, wusste, dass es dieses Mal keine Alternative gab: „Das, was du da offensichtlich vorhast, ist keine gute Taktik, Dean, aber das hat dir ja bereits Andrea, vor Jahren auf der Venus, gesagt.“ „Wir werden weg sein bevor die bemerken was ich vorhabe“, gab Corvin, beinahe in demselben Wortlaut, wie damals, zurück. Heute jedoch war er dabei nicht so übermütig unterwegs, wie seinerzeit im Simulator-Raum, an der Sektion-Venus. Diesmal war es eine Frau namens Irina Hayes, die ihn mit fassungsloser Miene anblickte und erklärte: „Sie wollen zwischen den drei Feindschiffen hindurch? Das ist doch der helle Wahnsinn, Sir!“ „Ich brauche Ihre Statusmeldungen!“, versetzte Corvin ruhig. „Nennen Sie mir den günstigsten Kurs, nachdem wir durchgebrochen sind, um erst einmal außer Waffenreichweite zu gelangen. Am besten werden wir auf die Sonne zu beschleunigen, auf einem tangentialen Kurs um sie herum beschleunigen und dabei den Katapult-Effekt nutzen, um unseren Verfolgern zu entkommen.“ Die Ruhe des Mannes verwunderte Irina Hayes, wobei sie fragend zu Kimi Korkonnen sah, als dieser über die Schulter zu ihr blickte. „Das macht er nicht zum ersten Mal?“ Kimi Korkonnen grinste schief. „An der Akademie sprechen die Ausbilder der Sektion-Venus vermutlich heute noch von diesem Manöver.“ „Und…?“ Kimi Korkonnen deutete mit dem Daumen nach unten, und wandte sich ab. Fassungslos sah Irina Hayes auf die Rücken der beiden Männer, wobei ihr der Gedanke kam, mit vollkommen Verrückten unterwegs zu sein. Doch sie konzentrierte sich und gab Corvin laufend die Entfernungen der drei Schlachtkreuzer, und die Flugvektoren durch. Dabei verspürte sie ein Gefühl in ihrer Magengegend, das sie normalerweise dazu veranlasst hätte, mit Volldampf zur Toilette zu rennen. Schnell blickte sie in die Runde. Anscheinend stellte sonst niemand die Entscheidung des momentanen Kommandanten des Kreuzers in Frage. Mitten in ihre Gedankengänge hinein bemerkte Corvin: „Das Manöver wird funktionieren, Leutnant Hayes. Es hätte auch damals im Simulator funktioniert, wenn diese seelenlosen Automaten den menschlichen Faktor hätten erfassen können.“ Es war soweit. Von drei Seiten wurde der Leichte Kreuzer unter Feindfeuer genommen und Dean Corvin nahm schnell und sicher die notwendigen Schaltungen vor, um den Kreuzer auf einen Kurs zu zwingen, den die Zielscanner der drei feindlichen Kriegsschiff nur schwer vorausberechnen konnten. Acht einsame Raumfahrer in acht Geschütztürmen der NOVA SOLARIS gaben ihr Bestes, um das Feindfeuer zu erwidern, doch ihr Feuer lag bestenfalls ungenau. Nayeli Herández beobachtete den Anstieg des Energieverbrauchs der Dual-Schilde und meldete: „Schilde sind bei fünfzigprozentiger Belastung.“ „Verstanden, Nayeli.“ Dean Corvin wandte sich an Rodrigo Esteban, ohne ihn direkt anzusehen. „Rodrigo, bereite unsere Backbordtorpedos zum Abschuss vor. Sobald sie draußen sind rotiere ich den Kreuzer um die Längsachse und du machst die Steuerbordtorpedos klar. Achtung – noch Drei… Zwei… Eins… Feuer!“ Ein leichtes Zittern durchlief das Raumschiff und Corvin führte das angekündigte Manöver aus. Wieder zählte er einen Drei-Sekunden-Countdown herunter, und Rodrigo Esteban feuerte erneut eine Breitseite Torpedos, mit abgeschalteten Suchköpfen. Auf der Taktischen Anzeige wurde erkennbar, dass Dean Corvin mit dem Schiff hervorragend gezielt hatte, denn jeweils zwei der abgefeuerten Torpedos lagen im Ziel. In den vier gewaltigen Explosionen wurden zwei der drei Schlachtkreuzer schwer beschädigt. Einer von ihnen wurde kurz darauf, im hinteren Bereich, von mehreren Plasma-Strahlen getroffen und Trümmerteile wirbelten aus diesem Bereich davon. Der getroffene Schlachtkreuzer begann unmittelbar danach zu trudeln und verlor Fahrt. Unterdrückter Jubel brandete in der Zentrale der NOVA SOLARIS auf. Dean Corvin hatte dabei nicht einmal genug Zeit um zur Seite zu blicken. Er bekam von Irina Hayes umgehend den günstigsten Fluchtvektor und steuerte den Kreuzer weg von dem verbleibenden unbeschädigten Schlachtkreuzer. Innerlich über das fantastische Beschleunigungsmoment des Experimentalkreuzers jubelnd konnte Corvin einen Vorsprung herausholen, der ihn aus dem Feuerbereich des Feindes brachte. Schnell rief er Irina Hayes zu: „Wir sind durch. Ich brauche jetzt die Koordinaten für einen Kurs, der uns in Richtung Hyaden bringt, sobald wir die Sonne hinter uns lassen. Die SATURN befindet sich zur Stunde im direkten Anflug auf das Sonnensystem. Wir müssen sie, und ihre Geleitschiffe, abfangen damit sie nicht in eine Falle fliegen.“ „Sofort, Kommandant!“ Die übrigen anwesenden Überlebenden horchten auf, bei den Worten der rothaarigen Frau. Bisher hatte sie Corvin stets mit seinem Rang oder mit Sir angesprochen. Das gerade hinter ihnen liegende Manöver hatte etwas an Bord verändert, und nichts hätte das besser zum Ausdruck bringen können, als diese zwei einfachen Worte von Irina Hayes. Alle Anwesenden in der Zentrale wurden von einem Gefühl der Zuversicht erfasst, zum ersten Mal seit dem Angriff der Armada von Deneb. Es war Kimi Korkonnen, der diese Stimmung trübte, indem er meldete: „Die Heimatflotte hat sich zurückgezogen. Gerade verlassen die letzten zehn Einheiten das Sol-System. In Richtung Wega-System, wenn ich raten müsste.“ „Der Katapult-Effekt hat bereits eingesetzt“, lenkte Corvin ab. „Der schwerfällige Schlachtkreuzer bleibt weiter zurück.“ „Ich würde nicht zu früh jubeln“, mahnte Irina Hayes. „Die haben sicherlich bereits einen Funkruf abgesetzt, mit der Bitte um Verstärkung.“ Dean Corvin sah über die Schulter zu Irina Hayes. „Ganz bestimmt, aber deren Einheiten können innerhalb der Erdbahn ebenso wenig in den Hyperraum springen, wie wir. Bitte geben Sie mir einen Fluchtvektor, der uns zu einem Punkt im Raum bringt, von dem aus wir auf Überlichtgeschwindigkeit gehen können, bevor die uns erreichen können.“ Irina Hayes bestätigte und wertete die Daten aus, die Kimi Korkonnen auf das Holodisplay ihrer hufeisenförmigen Konsole übertrug. Innerhalb einer Minute hatte sie einen Kurs ermittelt, auf dem die NOVA SOLARIS gute Aussichten auf ein Entkommen hatte. Der Schlachtkreuzer der Konföderation war weit zurückgeblieben. Es ergab sich eher zufällig, dass der Leichte Kreuzer, bei seiner Flucht aus dem System heraus, die Erde in Ortungsreichweite passierte. Rodrigo Esteban war es, der von den Kontrollen der Ortung einen gequälten Laut von sich gab und erschüttert meldete: „Mehr als zweihundert Kriegsschiffe der Konföderation haben die Erde eingekreist. Ich empfange deutliche Energieemissionen, die auf Waffenfeuer schließen lassen. Mehrere Dutzend Energieausbrüche auf der Oberfläche Terras. Einer davon besonders stark dort, wo die Hauptstadt liegt, ein anderer, ebenfalls stärker als alle anderen, in der Gegen von Zentraleuropa.“ Tonlos fragte Dean Corvin: „Sind wir nahe genug für eine taktische Anzeige?“ Es dauerte einen Moment, bevor der Spanier antwortete: „Positiv, aber wir sind nur noch eine halbe Minute in Reichweite.“ „Anzeigen und Aufzeichnen.“ Auf dem Hauptschirm zeichnete sich ein dreidimensionales Bild der Erde ab. Die Taktische Anzeige zeigte dabei zwei gewaltige Explosionsorte und mehrere geringfügiger verwüstete Sektoren, in leuchtend roter Farbe, an. Ein weiterer schien auf der anderen Seite des Planeten zu liegen. Dean Corvin studierte aufmerksam die Anzeigen und blickte dann erschrocken zu Kimi Korkonnen, der im selben Moment wie sein Freund erkannte, was sich auf dem Holoschirm abzeichnete. Nach Analyse durch den Schiffscomputer waren weite Teile jener Region, aus der Andrea von Garding stammte, vollkommen vernichtet worden. Laut Auswertung des Rechengehirns nicht durch Waffeneinsatz, sondern durch ein abgestürztes Wrack eines terranischen Kriegsschiffes, dessen Energiesysteme und Torpedo-Gefechtsköpfe, nach dem Einschlag, ein katastrophales Inferno heraufbeschworen hatten. Anders hingegen sah es auf dem nordafrikanischen Kontinent aus. Dort war die Hauptstadt Casablanca, durch massiven Waffeneinsatz, vernichtet worden. Ebenso schien es dem Hauptquartier des Flottenstabes, der Sektion-Terra, und weiten Bereichen der Stadt Wellington ergangen zu sein. Nach etwas mehr als dreißig Sekunden begann die Abbildung sich allmählich zu verzerren. Schließlich riss der Ortungskontakt ganz ab und Dean Corvin zögerte nicht länger, den Kreuzer endlich in den Hyperraum zu versetzen. Der Übergang erfolgte ohne irgendeinen sichtbaren, oder sonst wie spürbaren Effekt. Lediglich auf dem Haupt-Holoschirm verschwand die von Sternen gesprenkelte Schwärze des normalen Weltalls und machte einer rot-orangenen, von gelegentlichen gelben Wirbeln und Schlieren durchzogenen, unwirklichen Umgebung platz – dem Hyperraum. Weit voraus und oberhalb ihres Fluchtkurses erkannte Irina Hayes einen kleinen, verwaschenen Fleck von grünlicher Färbung. Dort stand momentan der Jupiter, dessen Gravitation diese deutlich erkennbare Anomalie im Hyperraum hervorrief. Die junge Frau sah Rodrigo Esteban dabei zu, wie er die Frau mit dem gebrochenen Arm, von den beiden beschäftigungslosen Technikern zur Krankenstation bringen ließ. Beide waren zwar keine Ärzte konnten aber eine notdürftige Erstversorgung in die Wege leiten. Sie spürte dabei ihre eigene Müdigkeit doch etwas ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte zuvor die Betroffenheit von Corvin und seinem Freund bemerkt. Jetzt da Zeit dafür war, wandte sie sich an Dean Corvin und Kimi Korkonnen und fragte vorsichtig: „Haben Sie beide Familienangehörige in einer der betroffenen Gegenden gehabt?“ Es war Kimi Korkonnen, der antwortete. „Nein, aber wir haben eine Kameradin, deren gesamte Familie in dem Bereich von Europa gelebt hat, der vernichtet wurde. Sie ist auf einem der Kriegsschiffe, mit denen wir in Kontakt treten wollen.“ Dean Corvin, der seinem Freund dankbar dafür war, dass er Irina Hayes geantwortet hatte, ballte in ohnmächtigem Zorn seine Hände zu Fäusten. Dabei tauchten abwechselnd die Gesichter dreier Frauen vor seinem geistigen Auge auf. Nach dem von Andrea das von Kim Tae Yeon, die offensichtlich mit dem Feind paktierte. In seinen Augen trug sie damit einen Gutteil der Schuld an dem, was passiert war. Zuletzt sah er das Abbild jener Technikerin vor sich, die er auf Luna hatte zurücklassen müssen und leise murmelte er: „Ich komme wieder.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)