DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 15: ANGRIFF -------------------  Im Strategischen Hauptquartier der Terranischen Raumflotte, auf dem Mars, lief die erste Meldung über eine Missweisung der Ortungssysteme um 01:47 Uhr ein. Major Urianka Verharran hatte die eingehenden Meldungen der verschiedenen militärischen Basen und Einrichtungen des Sonnensystems gesichtet, die in der vergangenen halben Stunde eingegangen waren. Mehr um sich die Zeit zu vertreiben, als aus ernsthaftem Interesse daran, ihre Untergebenen zu kontrollieren. Sie sah bereits zum dritten Mal innerhalb von zwanzig Minuten auf die Zeitanzeige an ihrer Konsole und kam zu dem Schluss, dass diese Nacht überhaupt kein Ende mehr zu nehmen schien. Die schlanke Marsgeborene schloss das Menü schließlich und fuhr sich müde über die Augen, als sich auf dem Holodisplay ihrer Konsole das Symbol der Raumhafen-Kommandantur auf Titan abbildete und ein Dringlichkeitsspruch ankündigte. Auf dem samtbraunen Stirn von Urianka Verharran bildete sich eine steile Falte. Sollte sich da etwa ein Kollege auf dem Titan einen Neujahrsscherz mit ihr erlauben? Einen Moment später verschwand das Symbol und machte dem dreidimensionalen Abbild eines Hauptmanns der Flotte platz. Etwas nervös wirkend meldete er: „Raumhafen-Kommandantur Titan, Hauptmann Ilias Traves, an Flottenhauptquartier. Ich melde, dass sämtliche Ortungssysteme auf dem Titan und in der Umgebung des Mondes einen Missweisungsfaktor von mehr als zwei Prozent aufweisen. Es handelt sich dabei um kein Einzelproblem, Sir. Die Missweisungen betreffen nämlich nicht nur die Bodenstationen, sondern ebenfalls die Ortungssysteme der an- und abfliegenden Frachter. Es kam bereits zu einer Beinahe-Kollision zweier Frachter, die sich im Anflug auf Titan befunden haben. Dadurch haben wir die Missweisungen überhaupt erst festgestellt.“ Urianka Verharran blickte das holografische Gesicht ungläubig an. „Kann es sich dabei um ein natürliches Phänomen handeln, Hauptmann? Wären Schwankungen im Magnetfeld des Saturn möglich?“ „Das war mein erster Verdacht“, erwiderte der Hauptmann, nun sicherer wirkend. „Meine Leute und ich haben das geprüft – mit negativem Ergebnis. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass eine Veränderung der Umgebung des Titan stattgefunden hat, welche die Missweisungen der Ortungssysteme erklären könnte, Sir.“ Die schlanke Frau nickte knapp. „Danke, Hauptmann Traves. Halten Sie mich auf dem Laufenden und melden Sie, wenn sich an der aktuellen Situation etwas ändern sollte.“ Major Verharran deaktivierte die Verbindung und lehnte sich für einen Moment in ihrem Sessel zurück. Eine Missweisung der Ortungssysteme ohne erkennbare Ursache. So etwas war noch nie vorgekommen, seit sie beim Militär war, noch hatte sie jemals von einem solchen Fall gehört. Die Ortungssysteme waren robust, wartungsarm und galten gemeinhin als Narrensicher und als nicht störanfällig. Diese Meldung klang einerseits ernst, aber es schien Urianka Verharran andererseits nicht ausreichend zu sein, um den Kommandierenden General des Hauptquartiers zu alarmieren. Der würde ihr mächtig die Leviten lesen, sollte sie ihm seine Silvesterparty ruinieren und sich dieses Problem am Ende als vollkommen harmlos erweisen. Deshalb beschloss sie zunächst abzuwarten, wie sich diese Angelegenheit entwickeln würde. Falls sich die Situation verschlechtern sollte konnte sie den General immer noch kontaktieren. Auf diese Weise verging wertvolle Zeit – Zeit, die den Untergang des Terranischen Imperiums endgültig besiegeln sollte.   * * *   Als General Alexander Gagarin um 03:39 Uhr Standard von Major Verharran davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass es im gesamten Sol-System zu Missweisungen sämtlicher Ortungsanlagen kam, und er von ihr erfuhr, dass seit der ersten Unstimmigkeit, von der sie erfahren hatte, fast zwei Stunden vergangen waren, stand der kräftig gebaute, blonde Endfünfziger kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Eisern an sich haltend donnerte er mit vibrierender Stimme in Richtung des Holoabbildes von Major Verharrans Gesicht: „Wollen Sie damit sagen, dass Sie bereits um 01:47 Uhr Kenntnis von den Störungen hatten, und es nicht für nötig erachteten, mich umgehend darüber zu informieren?!“ Die Qualität der dreidimensionalen Abbildung des Generals, der mittlerweile im Hauptquartier des Oberkommandos der Terranischen Raumflotte, in Wellington, weilte war so hervorragend, dass Urianka Verharran, wie versteinert an ihrer Konsole sitzend, das wütende Glitzern seiner strahlend blauen Augen, selbst über die gewaltige Entfernung zwischen Erde und Mars hinweg, genau erkennen konnte. Während sie nach Worten suchte, wetterte der Oberkommandierende der Terranischen Raumflotte bereits weiter. „Sparen sie sich die Antwort, Major. Wir werden uns später darüber eingehend unterhalten. Jetzt werden Sie zunächst einmal Sorge dafür tragen, dass eine allgemeine Warnung an alle Stützpunkte des Sonnensystems und an den Kommandeur der Heimatflotte, Generalmajor Hazrat, ergeht. Des weiteren ordne ich hiermit die bedingte Gefechtsbereitschaft für alle Teile der Terranischen Raumflotte an. Ich will das Strategische Hauptquartier in spätestens einer Stunde in voller Einsatzbereitschaft wissen. Informieren Sie Generalmajor Hazrat darüber, dass sie einen schnellen Kreuzer zur Erde schicken soll, mit dem der Stellvertretende Flottenkommandeur anschließend zum Mars fliegen wird!“ „Verstanden, Sir“, antwortete Urianka Verharran tonlos. Gagarin schien das Gespräch beenden zu wollen, doch dann fragte er mit verändertem Tonfall: „Wie hoch ist der momentane Missweisungsfaktor, Major?“ Die Angesprochene sammelte sich, und las schnell den aktuellen Wert ab. „Im Augenblick liegt der Wert bei zwölf Prozent, Sir – Tendenz steigend.“ Der General machte ein nachdenkliches Gesicht. „Danke, Major. Gagarin, Ende!“ Das Abbild des Oberkommandierenden der Flotte verblasste und Major Verharran wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann machte sie sich eifrig daran, die Befehle des Generals umzusetzen, auch wenn ihr in diesem Moment bewusst war, dass ihre Karriere bei der Flotte einen nicht wieder gutzumachenden Schaden nehmen würde, nachdem der General sich mit ihr, wie angedroht, unterhalten hatte.   * * *   Generalmajor Azadeh Hazrat, die Kommandeurin der Heimatflotte, wie die Erste Flotte zumeist nur genannt wurde, da sie permanent im Sol-System und dessen unmittelbarer, kosmischer Umgebung stationiert war, stand für einen Moment lang ungläubig im Arbeitszimmer ihres Hauses. Erst vor wenigen Minuten war sie von einer rauschenden Silvesterparty, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, Henderson Wayne, hierher zurückgekehrt und im Begriff gewesen, sich, gemeinsam mit ihm, zur Ruhe zu begeben. Nach der Alarmmeldung, die sie soeben entgegengenommen hatte, war für sie daran vorläufig nicht mehr zu denken. Die Flotteneinheiten waren bereits in bedingte Alarmbereitschaft versetzt worden. Sie selbst schritt zur Küche hinüber, orderte über das Menü des Service-Aggregates an der Wand, einen starken Mokka und lehrte die Tasse in kleinen, schnellen Schlucken. So viel Zeit musste man ihr schon lassen, befand die, im Jahr 3167 in Ishtar, der Hauptstadt der Venus, geborene, beinahe hager wirkende, Frau. Außerdem war der angekündigte Dienstgleiter, der sie zu ihrem Flaggschiff bringen würde, noch immer nicht da. Wayne, der ihr langsam in die Küche gefolgt war, warf ihr zwei kleine Päckchen zu. „Hier hast du zwei Sorten von Muntermachern, zur Auswahl.“ Er blickte sie fragend an, während er beobachtete, wie seine Lebensgefährtin aus beiden Schachteln jeweils eine der Kapseln nahm. Unentschlossen rollte sie die blaue und die rote Kapsel in ihrer linken Handfläche, bevor sie schulterzuckend beide in den Mund nahm und sie mit dem Rest ihres Mokkas herunterspülte. Währenddessen fragte der dunkelblonde Mann kopfschüttelnd: „Was, zur Hölle, ist den bei Deiner Raumflotte nun schon wieder los? Können die Dir denn nicht einmal einen Jahreswechsel gönnen, ohne Dir auf die Nerven zu gehen? Ich hatte mich auf die paar freien Tage mit Dir wirklich gefreut.“ Azadeh Hazrat fuhr sich mit der Linken durch das dichte, schwarze Haar. Ihre dunklen Augen drückten Sorge aus. „Ich weiß es nicht, Hen. Die Meldung, die ich bekommen habe, klang beunruhigend. Noch nie ist es, innerhalb der letzten fünfhundert Jahre, zu einem solch umfassenden Systemversagen gekommen. Das Ganze klingt ziemlich mysteriös.“ „Und deshalb wird die gesamte Heimatflotte alarmiert?“ Die hagere Frau lächelte beruhigend. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Falls Frachter in Schwierigkeiten geraten sollten kann die Flotte helfen.“ Sie hörten draußen den Luftgleiter landen, der die Kommandeurin der Ersten Flotte abholen sollte. Schnell verabschiedete sich die Frau von ihrem Lebensgefährten, indem sie ihn umarmte und einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte. „Gib den Kindern einen Kuss von mir und sag ihnen, dass sie sich keine Sorgen machen sollen.“ Im nächsten Moment war sie bereits zur Tür hinaus. Bereits während Azadeh Hazrat zum Gleiter schritt änderten sich ihre Gesichtszüge signifikant. Nun war sie ganz Soldatin und in Gedanken bereits bei den Problemen, die vor ihr lagen, und denen es auf die Spur zu kommen galt. Der Gleiterpilot war ausgestiegen und salutierte, als er Generalmajor Hazrat näherkommen sah. Die Kommandeurin erwiderte den Gruß des Piloten. „Wir starten umgehend zur NIBELUNGEN, Leutnant. Bitte beeilen Sie sich.“ Der junge Offizier bestätigte und bestieg umgehend wieder die Maschine. Er beeilte sich, den Gleiter vom Boden abheben zu lassen und nahm Kurs in Richtung des militärischen Raumhafens bei Wellington. Während des Fluges stellte Azadeh Hazrat jene Überlegungen an, die sie vor Henderson nicht hatte aussprechen wollen, um ihn nicht zu beunruhigen. Ihrer Meinung nach konnte ein so umfassendes Systemversagen, wie in der Meldung beschrieben, unmöglich einen natürlichen Ursprung haben. Die logische Konsequenz daraus war, dass Irgendwer daran gedreht hatte. Aber wer, und warum? Und vor allen Dingen: Wie? Darauf fand Azadeh Hazrat vorläufig keine Antwort, und so stellte sie diese Fragen vorerst hinten an. Zunächst galt es, die Flotte in den Raum zu bekommen und dort zu positionieren, was angesichts der momentanen Ortungsschwierigkeiten zu einem Problem werden konnte. Die Kommandeurin der Heimatflotte wurde in ihren Überlegungen unterbrochen, als der junge Leutnant meldete: „Sir, wir erreichen den Raumhafen Wellington. In wenigen Augenblicken setze ich zur Landung an.“ Azadeh Hazrat bedankte sich. Gleich darauf setzte der Gleiter so sanft auf, dass im Innern davon so gut wie nichts bemerkbar war. Als die Kommandeurin behände aus dem Gleiter stieg bemerkte sie, dass der Pilot sie, etwas seitlich versetzt, dicht vor ihrem Flaggschiff abgesetzt hatte. Der Schlachtkreuzer wuchs vor ihr auf, wie ein stählernes Gebirge, als sie, mit langen, schnellen Schritten, zwischen den Kufen des Kriegsschiffes, die vorderen Landeschoren zu schritt. Sie eilte auf das rechte Personenschott, auf der Innenseite der rechten Kufe zu und stürmte die ausgefahrene Rampe hinauf. Unwillkürlich fiel ihr Blick dabei auf den beeindruckenden Waffenturm, der links unter ihr zurückblieb, als sie sich dem oberen Ende der Rampe, und somit der hell erleuchteten Mannschleuse näherte. Die NIBELUNGEN besaß insgesamt zwanzig dieser Waffentürme, mit jeweils zwei phasengesteuerten Plasmageschützen bestückt. In der Schleusenkammer erwartete sie bereits die obligatorische Ehrengarde, bestehend aus zehn Offizieren und Unteroffizieren der Besatzung. Nachdem der dienstälteste Unteroffizier des Raumschiffs, auf einer antiquierten Bootsmannspfeife, Seite gepfiffen hatte, wurde Azadeh Hazrat von Oberst Jen Sriskandarajah, dem Kommandanten dieses Raumschiffs, persönlich empfangen. Ihr oblag lediglich das Kommando über die Erste Flotte, während das eigentliche Kommando über dieses Raumschiff bei dem schlaksigen Oberst lag. Azadeh Hazrat hatte keinerlei Probleme mit dieser Kommandoteilung – im Gegenteil, sie war froh, sich nicht mit den Schiffsinterna herumschlagen zu müssen, während sie den Kopf frei haben musste um schnell und sicher taktische Entscheidungen treffen zu können. Ihre Aufgabe als Verbandsleiterin war es, die Gesamtsituation permanent im Auge zu behalten, nicht darin, ein einzelnes Raumschiff zu kommandieren. Anfangs, nachdem sie, zu Beginn des Jahres 3215, vom Oberst zum Brigadegeneral befördert worden war und den Posten des Stellvertretenden Flottenkommandeurs übernommen hatte, da war ihr diese Umstellung etwas schwer gefallen. Doch es hatte nicht einmal ein Jahr gedauert, bis sie die Umstellung auf ihre neuerliche Verantwortung verinnerlicht hatte. So gut verinnerlicht, dass die Dreiundfünfzigjährige, im Sommer des letzten Jahres, ein Jahr vor dem durchschnittlichen Beförderungstakt, zum Generalmajor befördert worden war, nachdem der Kommandeur der Ersten Flotte, kurz zuvor, in den Stab berufen wurde. Das Oberkommando der Flotte hatte ihr im Zuge dieser Entwicklung das Kommando über die Heimatflotte anvertraut, und bisher hatte sie diesen Posten vorbildlich ausgefüllt. Azadeh Hazrat blickte in das zerfurchte, braune Gesicht des Obristen, das von den fast schwarzen, intelligenten Augen beherrscht wurde. Die unzähligen Falten und Fältchen, unterstützt durch sein früh ergrautes Haar, ließen den Oberst älter aussehen, als er war. „Bitte um Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen“, sagte sie das uralte Prozedere auf und erwiderte dabei den Gruß des Schiffskommandanten. Der an der Ostküste von Sri Lanka, in Trincomalee, geborene Mann erwiderte, ebenfalls dem Protokoll entsprechend: „Erlaubnis erteilt, Sir. Willkommen an Bord.“ „Danke Oberst.“ Sriskandarajah bedeutete der Ehrenwache abzutreten, bevor er, an der Seite seiner Vorgesetzten, das vordere, geöffnete Schott der inneren Schleusenkammer passierend, zum rückwärtigen Schott der inneren Schleusenkammer schritt. Sie wandten sich nach rechts und schritten den Gang hinunter, bis zum Einstieg des nächsten Lifts. Unterwegs hing jeder der beiden hohen Offiziere seinen eigenen Gedanken nach. Erst, nachdem sie das Kommandozentrum des Schlachtkreuzers erreichten, richtete Azadeh Hazrat das Wort an ihren Begleiter. „Lassen die momentanen Bedingungen einen Simultanstart der hier befindlichen Flotteneinheiten zu, Oberst?“ „Stark eingeschränkt und nicht zu empfehlen“, antwortete Jen Sriskandarajah offen. „Ich empfehle einen Reihenstart im Abstand von jeweils zwanzig Sekunden.“ Azadeh Hazrat nickte zustimmend und der Oberst gab den Befehl: „Kommunikation: Geben Sie den Befehl an den Rest des Verbandes, dass die kleinsten Einheiten zuerst, den Registriernummern gemäß aufsteigend, starten sollen. Zeitabstand zwanzig Sekunden. Sollte ein Manövrieren mit den Instrumenten undurchführbar werden, so sollen die Piloten auf direkte Sicht fliegen.“ „Das wird alles andere, als einfach werden“, prophezeite Generalmajor Hazrat düster. „Wie viele Einheiten der Heimatflotte haben wir insgesamt im Sonnensystem, Oberst?“ Der Angesprochene kratzte sich am Kinn. „Insgesamt siebenundachtzig unserer hundertfünfundzwanzig Schiffe, Generalmajor. „Die IKARUS und die ISKENDERUN befinden sich in den lunaren Reparaturwerften, fünf Leichte Kreuzer verteilen sich im Umkreis von fünf bis zehn Lichtjahren, auf Nahpatrouille. Ich habe bereits ein Prioritätssignal an diese Kriegsschiffe entsandt, das sie zum Sol-System zurückbeordert. Die ersten werden in etwa einer Stunde eintreffen. Ferner habe ich den Verband kontaktiert, der von den Hyaden zum Sol-System unterwegs ist. Sieben Einheiten, darunter die beiden Schlachtkreuzer SATURN und RHEINGOLD. Aber die sind noch acht Stunden entfernt.“ Azadeh Hazrat verzog die Lippen zur Andeutung eines Lächelns und lauschte unterbewusst auf das dumpfe brummen der hochfahrenden Schiffssysteme. „Das ist doch schon mal etwas. Weilen sonstige Kriegsschiffe im System?“ „Der Zerstörer AURORA befindet sich momentan noch auf dem Saturnmond Titan, Sir. Zusammen mit einigen weiteren kleineren Kriegsschiffen der übrigen Flotten.“ Generalmajor Hazrat setzte eine entschlossene Miene auf. „Nachricht an diese Einheiten, Oberst. Die Schiffe werden kassiert und vorerst in die Heimatflotte integriert. Ich will diese Einheiten, in spätestens einer Stunde gefechtsbereit im Raum wissen.“ „Verstanden, Sir.“ Oberst Sriskandarajah gab auch diese Anweisung an den Kommunikationsoffizier der NIBELUNGEN weiter. Dann war der Zeitpunkt auch für das Flaggschiff gekommen, zu starten. Bereits beim Aufstieg in den Raum stellte sich heraus, dass die Schwierigkeiten, bedingt durch die Ortungs-Missweisungen nicht zu unterschätzen waren. Weit über der NIBELUNGEN kam es zweimal fast zu Kollisionen der vor ihnen gestarteten Raumschiffe und Azadeh Hazrat gab Order, die Abstände zu vergrößern. Zwischen Erde und Mond ließ sie den gestarteten Verband stoppen und wandte sich an Jen Sriskandarajah. „Ein großartiges Manövrieren ist bei den momentanen Problemen unserer Systeme nicht drin, Oberst. Wir werden uns auf eine reine Punktverteidigung von Mars, Terra und Luna einrichten. Informieren Sie unsere Flotte.“ Sriskandarajah gab auch diesen Befehl weiter und machte eine düstere Miene, als ihm gemeldet wurde, dass die Missweisungen mittlerweile 30 Prozent überschritten hatten. Beinahe in demselben Augenblick rief der Kommunikationsoffizier erregt aus: „Ich empfange eine Dringlichkeitsmeldung von unserer Ortungsstation auf Titan und Mars, Generalmajor. Eine Flotte nicht identifizierter Raumschiffe, etwa einhundert Einheiten stark, ist zwischen den Umlaufbahnen von Saturn und Uranus aus dem Hyperraum gefallen. Zwei weitere Flotten derselben Größe, sind beinahe zeitgleich innerhalb der Marsumlaufbahn erschienen und halten Kurs auf die Planeten Mars und Terra. Sie reagieren nicht auf die Aufforderung sich zu identifizieren. Insgesamt handelt es sich um über dreihundert Einheiten, Sir. Keine Kennung-Signale bisher. Unsere Kriegsschiffe sind das nicht.“ Es wurde so still im Kommandozentrum des Schlachtkreuzers, dass man das leise Summen der Aggregate hören konnte. In diese Stille hinein sagte Generalmajor Hazrat, mit beinahe unnatürlicher Ruhe: „Es scheint so, als würde die Konföderation Deneb die Maske fallen lassen. Denn wenn das nicht die von der Konföderation sein sollten, will ich nicht mehr Azadeh Hazrat heißen.“ Die Frau hob ihre Stimme etwas an und wandte sich an die gesamte Besatzung der Zentrale: „Meine Damen und Herren, sie wissen, was eine Übermacht von drei zu eins bedeutet. Aber ich weiß gleichfalls, dass ich auf Sie alle, und auf jeden einzelnen Soldaten des Imperiums zählen kann. Die Raumfahrer der Terranischen Raumflotte sind die besten aller fünf Sternenreiche. Wir können und werden den Angreifer, gemeinsam mit den planetaren Abwehrstellungen, und unseren Weltraum-Forts, in die Schranken weisen, davon bin ich fest überzeugt.“ Danach wandte sie sich zu Sriskandarajah und in ihrem Blick lag längst nicht jene Sicherheit, die sie eben noch vorgegeben hatte. „Oberst, geben Sie Gefechtsalarm. Feuerfreigabe durch mich abwarten.“ „Und was dann, Generalmajor?“ Azadeh Hazrat atmete tief durch. „Dann ziehen wir in den Krieg, Oberst.“   * * *   Auf Luna schlug die Nachricht vom Überfall auf das Sol-System, bei den Angehörigen der Flotte, wie eine Bombe ein. Über die Kom-Einheiten im MFA ihrer jeweiligen Träger waren alle Flottenangehörigen, vor gut einer halben Stunde, in Alarmbereitschaft versetzt und zu ihren Standorten einberufen worden. Dean Corvin und Kimi Korkonnen hatten Rodrigo Esteban und seinem Team angeboten, sie mit ihrem Frachter auf ihrer Basis abzusetzen, bevor sie zum Titan aufbrechen würden. Ihm und seinem Team hatte sich eine Gruppe von Technikern, und auch Irina Hayes, sowie einige ihrer Kollegen angeschlossen, die ebenfalls in der Nähe der lunaren Geheimwerft, in welcher die NOVA SOLARIS ruhte, stationiert waren. Noch bevor sie beim Frachter ankamen, erreichte sie per MFA die Nachricht vom Überfall auf das Sonnensystem und Dean Corvin warf seinem besten Freund einen bezeichnenden Blick zu. „Ich höre also das Gras wachsen – ja klar.“ Kimi, der an seiner Seite den Hangar betrat verzog die Mundwinkel. „Habe ich Dir eigentlich schon einmal gesagt, dass du jedes Mal unausstehlich wirst wenn du Recht hast?“ Corvin ging nicht auf diese Bemerkung ein. Am Frachter angekommen öffnete er die Schleusen des Passagierabteils und stieg als Erster ein, dicht gefolgt von Kimi, der als Co-Pilot fungierte. Noch während die beiden Freunde sich an den Kontrollen niederließen kam aus dem angrenzenden Passagier-Bereich von Irina Hayes, die den Abschluss gebildet hatte, die Rückmeldung, dass alle Leute eingestiegen waren und sie das Schott geschlossen hatte. „Verstanden!“, rief der Kanadier nach hinten. Er erbat Startgenehmigung beim Hangarleiter und bekam nach einer geschlagenen Minute erst Bescheid, dass die Starterlaubnis erteilt war und sich die Hangartore jederzeit für sie öffnen würden. Kimi Korkonnen überprüfte die Navigationsanzeigen. „Nach den letzten Messungen und Meldungen unserer Außenbasen kommt es zu Missweisungen der Ortungssysteme innerhalb des Sonnensystems, von momentan mehr als dreißig Prozent, Alter. Vielleicht wirst du, nach guter Urahnen-Sitte, auf Sicht fliegen müssen. Ich werde aber trotzdem versuchen, aus den Systemen herauszuholen was ich kann. Vielleicht lassen sich diese merkwürdigen Abweichungen der Ortungsergebnisse kompensieren.“ „Wird schon werden.“ Dean Corvin blickte nicht von den Anzeigen, während er fragte: „Was glaubst du, Kimi. Kann es die Heimatflotte mit über dreihundert Kriegsschiffen der Konföderation aufnehmen und sie aufhalten, bis Unterstützung eintrifft?“ Kimi seufzte langgezogen. „Schwer zu sagen. Unter normalen Umständen würde ich sagen, inklusive der massiven Unterstützung durch unsere Raumforts und der planetaren Abwehrstellungen, ja. Aber mir machen diese seltsamen Missweisungen der Ortungssysteme sorgen. Ich befürchte, dass sich diese Störungen auch auf unsere Zielscanner auswirkt.“ Diesen Punkt hatte Corvin bisher nicht bedacht, und bestürzt blickte er seinen Freund an. „Wenn das stimmen würde, dann wäre es eine Katastrophe, Kimi. Bei den aktuellen Missweisungswerten würden unsere Einheiten, selbst bei Kernschussweite, vermutlich nicht mal einen verdammten Planeten treffen.“ Aus dem Passagierabteil hörten die Freunde, wie Irina Hayes, über ihr MFA, einige hastige Gespräche führte und anschließend herzhaft fluchte. „Gute Laune, wohin man hört“, spottete der Finne mit Galgenhumor, während sich über dem Frachter endlich die Tore des unterirdischen Hangars öffneten. „Wir heben ab!“, rief Corvin und fuhr den Antrieb des Frachters hoch. „Verdammt, Kimi, das hier sollte mindestens ein Schwerer Kreuzer sein, und kein klappriger Frachter. Irgendwann werde ich Tae Yeon dafür zur Verantwortung ziehen.“ „Viel Erfolg dabei, du Optimist! Zuerst einmal müssen wir das hier überleben.“ Es war Rodrigo Esteban, der von hinten meldete: „Zweihundert weitere Kriegsschiffe sind zwischen Luna und Terra aufgetaucht. Das macht nun rund fünfhundert Feindschiffe, insgesamt. Die Heimatflotte steht unter schwerem Beschuss. Ein Teilverband von fünfzig schweren Kriegsschiffen hält Kurs auf Luna. Ich fürchte, es sieht nicht gut aus, Kameraden.“ Kimi aktivierte die Kom-Einheit des Frachters und ließ den Frequenzpeiler laufen. Nachdem er die zahlreichen Notrufe im Klartext herausgefiltert hatte, bekam er eine Meldung des Strategischen Hauptquartiers herein. In ihr wurde gemeldet, dass es sich bei dem Angreifer zweifelsfrei um mindestens fünf Flotten der Konföderation Deneb handelte. „Ich habe diesem Mistkerl von Diktator nie getraut!“, wetterte Corvin, nachdem auch er den Inhalt des Funkspruches realisiert hatte. Dass die ausgerechnet jetzt zuschlagen kann kein Zufall sein. Aber wie, zur Hölle, haben die dran gedreht, dass es bei uns zu derart fatalen Missweisungen der Ortungssysteme kommt?“ „Ich wollte, ich wüsste es, Alter.“ Er warf einen Blick auf die Instrumente, verglich die Positionsangaben mit dem, was er durch die Scheiben des Cockpits erkennen konnte und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wie ich es befürchtet hatte – die Werte sind fatal ungenau. Am besten wird es sein, wenn du den Frachter, so nah wie irgend möglich, über der lunaren Oberfläche hältst, während wir Kurs auf die Geheimbasis nehmen.“ „Ich kann einen gewissen Mindestabstand nicht unterschreiten, sonst krachen wir gegen die Felswand eines Kraterwalls. Verflucht nochmal.“ „Wie lange werden wir brauchen, bis zum Leibnitz-Gebirge?“ Dean Corvin überschlug die Entfernung des lunaren Hauptquartiers bis zum Nordpol des Mondes und antwortete vage: „Etwa zehn Minuten, falls nichts dazwischen kommt.“ Unter dem Frachter zog die zerklüftete, von Kratern übersäte Felslandschaft vorbei. Vor ihm wuchsen die Felsformationen höher auf. Corvin deutete nach vorne. „Spätestens dort werden wir ein ganzes Stück aufsteigen müssen. Hoffen wir nur, dass die von der Konföderation Deneb Wichtigeres zu tun haben, als auf unseren Frachter zu achten.“   * * *   An Bord des Schlachtkreuzers HADES rieb sich General Nor Zul Kurumu die riesigen Hände und blickte triumphierend zu Generalleutnant Thore Grenqvist, als die Meldungen über die ersten Feindkontakte eintrafen. „Es scheint so, als würden die Stör-Aggregate auf unseren Frachtschiffen einwandfrei arbeiten, Thore. Die Raumhäfen von Titan und Mars stehen unter schwerem Beschuss unserer Flotten. Die Heimatflotte der Terraner wehrt sich zwar verzweifelt, aber ihre Geschütze verfehlen unsere Kriegsschiffe. Unsere Erste und Sechste Flotte, geführt von Generalleutnant Thania Selaris auf der PANDORA, greift die Einheiten der Terraner an, die sich zwischen Terra und Luna positioniert haben. Die HADES hält momentan, flankiert von unseren schweren Kreuzern KRIEGSSCHREI und KAMPFESWILLE, Kurs auf das lunare Leibnitz-Gebirge. Momentan läuft alles nach Plan. Wollen Sie immer noch persönlich den Angriff auf die Geheimwerft führen?“ Der hochgewachsene, blonde Generalleutnant der Konföderation Deneb, der bereits einen schweren Raumanzug, inklusive des breiten Waffengürtels, trug, nickte. „Ja, Nor Zul. Es war stets mein Bestreben, meinen Leuten ein Vorbild zu sein. Ich weiß, dass es grundsätzlich die primäre Funktion eines Generals ist, zu kommandieren, aber gelegentlich sollte er sich daran erinnern, wie es ist zu führen.“ Der Dunkelhäutige lächelte schwach. „Ich verstehe nicht, warum unser Diktator Ihnen solche Marotten durchgehen lässt, Thore. Irgendwann werden Sie vermutlich, bei einem dieser halsbrecherischen Einsätze, umkommen.“ Der Kommandeur der Bodenverbände grinste beinahe jungenhaft. „Vermutlich, aber nicht heute.“ Er wandte sich an den Offizier der Navigation. „Wie lange bis zum Ziel?“ „Knapp fünf Minuten, Generalleutnant.“ Thore Grenqvist dankte und wandte sich wieder Nor Zul Kurumu zu. „Ich werde mich jetzt zum Truppführer des ersten Angriffstrupps begeben. Unterrichten Sie mich eine halbe Minute bevor wir landen, von dem bevorstehenden Manöver.“ „Sie können sich darauf verlassen. Viel Glück.“ „Glück hat damit nichts zu tun“, konterte Grenqvist trocken und verließ, nicht ohne ein belustigtes Augenzwinkern in Richtung Kurumus, das Kommandozentrum des Schlachtkreuzers. Der Oberbefehlshaber der Armada von Deneb blickte ihm sinnend nach und murmelte dabei: „Sie sind und bleiben ein verrückter, wilder Hund, Thore.“ General Kurumu wurde abgelenkt, als der Navigationsoffizier meldete: „Sir, ich orte ein Raumschiff der Terraner auf sieben Grad Rot. Es fliegt tief über der Oberfläche. Sein Ziel ist offenbar dasselbe, wie das unsere, General. Der Energiesignatur nach handelt es sich vermutlich um einen Frachter.“ Kurumu überlegte ob es den Aufwand wert war, sich um ihn zu kümmern. Dann entschied er, sich an den Kommunikationsoffizier wendend: „Geben Sie folgenden Befehl an die KRIEGSSCHREI weiter: Der Frachter soll abgeschossen werden, aber ohne dabei den Zeitplan zu gefährden.“ „Verstanden, General.“ Nor Zul Kurumu trat hinter den Platz des Ortungsoffiziers. Auf dessen Holoschirmen erkannte er, wie einer ihrer flankierenden Schweren Kreuzer nach links ausscherte. Auf der taktischen Anzeige näherte sich das Symbol für die KRIEGSSCHREI dem Symbol des unbekannten Frachtschiffes. Nur wenige Augenblicke später verschwand das Frachtersymbol von der Anzeige und die KRIEGSSCHREI schloss wieder auf. Zufrieden verschränkte der General die Arme vor der Brust. Ein Feindschiff weniger.   * * *   Innerhalb weniger Augenblicke brach das Unglück über die KIROV herein. Kimi Korkonnen hatte wenige Sekunden zuvor erst seinen besten Freund informiert, dass sich ein Raumschiff von der Größe eines Schweren Kreuzers ihrer Position näherte, und nun jagten die ersten grell-violetten Plasma-Strahlen an Steuerbord, nur wenige dutzend Meter vor dem Frachter, vorbei. „Nach unten!“, schrie Kimi und brüllte dann über die Schulter, den Kameraden im Passagierraum zu: „Festhalten da hinten! Wir werden beschossen!“ Dean Corvin hatte nicht einmal genug Zeit um nach Rechts oder Links zu sehen. Er ließ den Frachter durchsacken, während er gleichzeitig versuchte das schwerfällige Raumschiff, einem kleinen Shuttle gleich, in einen Zick-Zack-Kurs zu zwingen, der für die Zielscanner des Angreifers schwer vorhersehbar war. Zwei weitere Plasmaschüsse des Angreifers gingen dicht am Frachter vorbei, bevor der erste Treffer das Raumschiff erschütterte. Gleich darauf erfolgte der zweite und dritte Treffer und der Frachter machte einen wilden Satz nach vorne, bei dem mehrere Gravos durchkamen und die Insassen wild durchschüttelte. Korkonnens Kopf machte dabei unliebsame Bekanntschaft mit der Navigations-Konsole des Frachters. Von hinten drangen Schreie und nachfolgend Stimmengewirr zu ihm und Dean nach vorne. Die Beleuchtung innerhalb des Frachters fiel aus. Nur einen Wimpernschlag später aktivierte sich die Notbeleuchtung, welche die Szenerie in ein gespenstisch wirkendes, düsteres Blau hüllte. Corvin ließ seine Finger hastig über die Holotasten der Steuerung huschen, wobei er verzweifelt ausrief: „Die müssen den Antrieb erwischt haben – wir stürzen ab!“ Ein weiterer Treffer bedeutete des endgültige Ende des Frachters. Er schnitt den Frachter, nur wenige Meter hinter dem Frachtabteil, in zwei Hälften. Der vordere Teil wurde dabei in Richtung eines mehr als hundert Meter durchmessenden Kraters geschleudert. Vor den Augen Dean Corvins und seines Freundes Kimi begann das Weltall sich, das sie durch die Sichtscheiben der KIROV erkennen konnten, um alle drei Achsen zu kreisen, und Corvin spürte, wie sein Magen zu rebellieren begann. Er sah, in einem abwechselnden Stakkato aus tiefschwarzem Weltall und sonnenbeschienener Mondoberfläche, wie sie auf die Felsen des Kraterringwalls zu jagten. Instinktiv zog er die Beine an und legte seine Hände schützend über den Kopf. Fluchend rief er aus: „Oh, Scheiße…!“ Ein fürchterlicher Krachen malträtierte die Ohren, als der Frachter auf der Mondoberfläche aufschlug. Dean Corvin wurde aus seinem Sitz geschleudert und krachte in der Luft gegen Kimi Korkonnen. Er spürte noch, wie ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde, während ein nervenzerfetzendes Kreischen von überbeanspruchtem Metall seine Ohren quälte. Nicht wissend wo oben und unten war spürte er einen weiteren Schlag, der ihn für einige Momente fast besinnungslos machte. Er bekam unterbewusst mit, dass er mehrmals durch die Kabine des Frachters rollte, bevor sein geschundener Körper endgültig zur Ruhe kam, im Verbund mit einer beinahe unnatürlichen Stille im Schiff. Für einen Augenblick blieb Dean Corvin einfach auf dem Rücken liegen entspannte die geschundenen Gliedmaßen und horchte in sich hinein, um herauszufinden, ob er noch an einem Stück war. Dann bewegte er vorsichtig Arme und Beine, rollte sich etwas zur Seite und stöhnte leicht auf, als ein stechender Schmerz seinen Rücken hinauf jagte. Offensichtlich hatte er sich den Steiß geprellt. Aber er konnte sich immerhin bewegen, was er als ein gutes Zeichen nahm. Prüfend sog er die Luft ein. Es roch intensiv und stechend nach Ozon. Neben ihm gab Kimi einige unartikulierte Laute von sich. Dann packte etwas seinen linken Unterarm. „Lebst du noch, Alter?“ „Ich bin mir noch nicht ganz sicher“, gab Corvin knurrig zurück und registrierte dabei, dass die Notbeleuchtung unstet zu flackern begonnen hatte. „Und nenn mich heute noch einmal Alter, dann garantiere ich für gar nichts mehr.“ „Offenbar ist dir nichts passiert“, ächzte Kimi und rappelte sich mühsam auf. „Komm, wir sehen nach den Anderen.“ Korkonnen half Dean dabei aufzustehen, was etwas mühsam war, da dieser Teil des Frachter schräg auf dem Rücken lag. Dabei erkundigte er sich zur Sicherheit: „Alles klar?“ Dean Corvin funkelte den Freund wild an: „Nein, ich bin stocksauer!“ „Kann ich verstehen“, gab Kimi zurück und half dem Freund dabei den Durchgang zu überwinden. Klirrend polterte dabei ein losgerissenes Aggregat von einer Ecke in die andere. „Ich frage mich, warum die uns nicht den Rest gegeben haben.“ „Ach!“, machte Corvin, ironisch grinsend, was seinen Zügen, in der düsterblauen, flackernden Beleuchtung, etwas beinahe dämonisches verlieh. „Reicht dir die Tatsache an sich nicht? Wenn du den Eindruck hast betrogen worden zu sein, dann kannst du denen ja folgen und dich bei ihnen deswegen beschweren.“ „Hör auf in Ironie zu machen und hilf mir lieber“, konterte Korkonnen unwillig. Im Passagier-Abteil angekommen bot sich den beiden Freunden ein Bild der Verwüstung. Die Sitze waren zum Teil aus ihren Verankerungen gerissen worden und hatten einige der Anwesenden unter sich begraben. Abgeplatzte Kunststoffteile der inneren Wandverkleidungen verteilten sich ebenfalls in dem Abteil. Manche der Sitze lagen wirr über- und nebeneinander. Glücklicherweise hatte die Außenhülle des Frachters sich als stabil erwiesen und keine Brüche davongetragen, oder sie wären bereits allesamt erstickt. Dicht vor den beiden Freunden schob jemand einen der herausgerissenen Sitze zur Seite und blickte zu ihnen auf. Die beiden Männer erkannten eine dunkelhäutige junge Frau mit kurz geschorenen Haaren. Die blauen Streifen auf ihrer Uniform, und die Rangabzeichen am Kragen wiesen sie als Feldwebel der Technik aus. „Sind sie in Ordnung?“, erkundigte sich Kimi Korkonnen, während sich Dean, an ihr vorbei, einen Weg in den hinteren Teil des Abteils bahnte. „Können Sie aufstehen?“ „Ja, ich bin offenbar nur leicht verletzt“, gab die Frau krächzend Auskunft, während der Kanadier bereits weiter hinten im Frachter rumorte. „Ein paar blaue Flecke, mehr nicht, wie es scheint, Sir.“ Kimi Korkonnen packte zu und half der Frau auf die Beine. „Danke, ich bin...“ „Später, Feldwebel“, unterbrach der Blonde die sportliche, junge Frau. Jetzt ist es wichtiger zuerst einmal unseren Kameraden zu helfen.“ Inzwischen hatte Dean Corvin erleichtert festgestellt, dass Rodrigo und Nayeli nichts Schlimmeres passiert war. Die Mexikanerin hatte sich lediglich das linke Handgelenk verstaucht, während die Stirn des Freundes aus Akademietagen einen heftig blutenden Riss aufwies, der jedoch nicht tief ging. Weiter links beugte sich Irina Hayes, die durch einen Metallsplitter in der rechte Schulter verletzt worden war, über eine Person, die Dean Corvin aus seiner Position nicht erkennen konnte. Als er von Rodrigo zu ihr sah, bemerkte er den schmerzlichen Ausdruck in den Augen der rothaarigen Frau. Dean Corvin spürte einen eisigen Knoten im Magen, als er langsam zu ihr schritt. „Sie hat sich das Genick gebrochen, als sie gegen diese Kante geschleudert wurde, wie es scheint“, erklärte Irina Hayes tonlos. In demselben Augenblick erkannte Dean Corvin, dass es Tabea Carrick war, deren gebrochene Augen durch ihn hindurch zu starren schienen. Der Kanadier glaubte in einen bodenlosen Schlund zu stürzen, bei diesem Anblick. Mit einem hastigen Satz war er bei Irina Hayes und schob sie von der Freundin weg. Das Gesicht der Toten in seine Hände nehmend stammelte er: „Nein… Das kann nicht… das… darf nicht sein. Nicht Tabea… Doch nicht Tabea!“ Irina Hayes fühlte sich hilflos, im Moment nicht wissend, was sie sagen oder tun sollte. Sie beobachtete Corvin dabei, wie er den Oberkörper der toten Freundin an sich presste. Im nächsten Moment schrie Corvin seinen gesamten Schmerz hinaus. „Diese Mörder…! Diese verdammten Mörder…!“ Irina Hayes ließ es zu, dass Corvin für einen langen Moment seinem Schmerz nachgab. Dann packte sie ihn fest bei der Schulter und zwang ihn sie anzusehen. „Wir können nicht hierbleiben, Sir. Die Angreifer dürfen die NOVA SOLARIS nicht in die Hände bekommen, wenn wir überhaupt irgendwann zurückschlagen wollen.“ Dean Corvin bedachte die Rothaarige mit einem wütenden, beinahe schon irren Blick, so als könne er nicht begreifen, dass es in diesem Moment etwas Wichtigeres geben konnte, als um die tote Freundin zu trauern. Ihm lag bereits eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch im letzten Moment meldete sich, im hintersten Winkel seines Bewusstseins, eine leise Stimme der Vernunft, die ihm eindringlich sagte, dass Irina Hayes Recht hatte. Die Überlebenden des Absturzes, soweit bei Bewusstsein, waren durch den Schrei des Kanadiers darauf aufmerksam geworden, was passiert war. Nayeli hatte sich abgewandt und klammerte sich schluchzend an Rodrigo fest, der unbeholfen versuchte, sie zu trösten. „Zwei Männer aus Rodrigos Team wurden ebenfalls bei dem Absturz getötet“, klang Kimi Korkonnens Stimme auf. „Eine Technikerin hat sich den linken Arm gebrochen. Der Rest ist nur leicht verletzt.“ Dean Corvin fragte sich für einen kurzen Augenblick, woher der Freund die Kraft nahm, so ruhig zu sprechen. Dann nahm er den festen Druck von Irina Hayes´ Hand wahr und er umklammerte ihr Handgelenk. Mit Tränen in den Augen sagte er leise zu ihr: „Die Raumanzüge für Notfälle befinden sich im rückwärtigen Bereich des Abteils. Ich brauche nur einen kurzen Moment, um von Tabea Abschied zu nehmen, dann werde ich Ihnen helfen, die Anzüge zu verteilen.“ Die rothaarige Frau nickte stumm – erleichtert darüber, dass Corvin anscheinend wieder zu sich gefunden zu haben schien. Dean Corvin ließ das Handgelenk der Frau los und blickte auf das, im Licht der Notbeleuchtung, wächsern wirkende Gesicht von Tabea Carrick. Mit einer unendlich zärtlichen Geste ihre Augen schließend ließ er ihren Körper zu Boden sinken. Er legte sacht seine linke Hand auf ihre Wange, bevor er sich gewaltsam vom Anblick der Toten losriss und sich einen Weg zu Irina Hayes bahnte, die mittlerweile bereits die ersten Raumanzüge aus ihren Halterungen genommen hatte. Corvin wischte sich über die Augen, nahm dann zwei der Anzüge und reichte sie an die Dunkelhäutige weiter, die Kimi und er zuerst in der Passagierkabine angetroffen hatten. Sie war wortlos hinter ihm aufgetaucht, nahm ihm die Anzüge ab und reichte sie an einen Techniker ihres Teams weiter. Während Corvin die nächsten beiden Anzüge an den Feldwebel der Technik weiterreichte, murmelte er so leise, dass nur Irina Hayes seine Worte verstehen konnte: „Auf eine gewisse Weise habe ich Tabea geliebt. So wie eine Schwester – nehme ich an. Ich hatte keine Geschwister. Na ja, wenn man von Kimi absieht, der mir nahe steht wie ein Bruder.“ Corvin hatte für eine Weile inne gehalten. „Vielleicht sollte der Herr Oberleutnant die Trauerrede später halten und dafür lieber seinen Hintern bewegen, wenn´s gefällt“, zischte der weibliche Feldwebel dicht hinter Corvin. Ungeduldig auf die nächsten Anzüge war sie dichter an ihn heran getreten und hatte so seine letzten Worte mitbekommen. „Vielleicht tauchen in dieser Gegend bald noch mehr Feindraumschiffe auf, und ich wäre dann gerne hier verschwunden, bevor die eventuell auf die Idee kommen, das angefangene Vernichtungswerk zu vollenden. Sir!“ Corvin machte den Eindruck, als wolle er sich auf die dunkelhäutige Frau stürzen, als er förmlich zu ihr herum wirbelte. Doch dann presste er lediglich seine Lippen fest aufeinander, drückte ihr die beiden Raumanzüge, die er hielt, in ihre Hände und knurrte fast heiser: „Hier, Feldwebel...“ „Rian Onoro... Sir.“ Corvin passte es ganz und gar nicht, wie diese Frau mit ihm sprach. Und auch nicht, wie sie zum zweiten Mal das Wort Sir betont hatte. Doch momentan war nicht die Zeit um weiter darauf einzugehen, darum wandte er sich, nach einem letzten, finsteren Blick, wortlos wieder zu Irina Hayes um, die nächsten Anzüge in Empfang zu nehmen. Nachdem er insgesamt fünfzehn Raumanzüge weitergereicht hatte, sagte er zu Irina Hayes: „Das reicht. Jetzt brauchen wir nur noch welche für uns Zwei. Ich fürchte nur, dass wir zu spät die Geheimbasis erreichen werden, denn die Hüpferei über die Mondoberfläche wird uns Zeit kosten.“ Irina Hayes blickte Dean Corvin erschrocken an. „Dann glauben Sie nicht, dass die Angreifer rein zufällig in der Gegend waren?“ Dean schüttelte heftig den Kopf, während er damit begann, umständlich den Raumanzug überzustreifen. „Ich fürchte nicht, Leutnant. Nach dem geschätzten Kurs der drei Kriegsschiffe, die meine Instrumente anzeigten, auch wenn die Werte verfälscht waren, würde ich sagen, dass sie dasselbe Ziel gehabt haben, wie wir.“ Die Rothaarige blickte finster über Corvins Schulter hinweg, bevor sie, etwas leiser meinte: „Aber woher sollten die von der Geheimbasis wissen, wenn nicht durch Verrat?“ Corvins langer Blick sprach Bände und Irina Hayes stieß einen herzhaften Fluch aus. Wieder blickte sie über Corvins Schulter hinweg zu den anderen Überlebenden und murmelnd fragte sie: „Glauben Sie, dass möglicherweise einer an Bord dieses...“ „Nein!“, unterbrach Corvin die Frau. „Denn wer immer dieses Komplott geschmiedet hat, er hat es nicht von einer Party auf Luna aus durchgeführt. Nein, Leutnant Hayes, wenn es einen Verrat gab, so befindet sich der, oder die, Verantwortliche sicherlich entweder auf Terra, oder aber auf dem Mars, da bin ich mir ziemlich sicher.“ Sein Blick schweifte bei dem letzten Gedanken etwas in die Ferne. Dann schüttelte er den flüchtigen Gedanken ab, der ihm durch den Kopf geschossen war, und beeilte sich damit, seinen Raumanzug zu schließen. Nachdem er seinen Helm übergestreift, und die Systeme des Anzugs aktiviert hatte, stellte er fest, dass er und Irina Hayes als Letzte fertig geworden waren. Kimi Korkonnen, der im Moment das Kommando übernommen zu haben schien, erklärte über Helmfunk: „In Ordnung, wir verlassen jetzt das Wrack. Leutnant Hayes, sie werden mich dabei unterstützen herauszufinden, wo wir exakt sind und in welche Richtung wir uns zu wenden haben.“ Irina Hayes bestätigte und schritt dann, gemeinsam mit Dean Corvin zur Schleusenkammer des Wracks. Dabei hoffte sie inständig, die Basis rechtzeitig vor dem Feind erreichen zu können, oder auch ihre letzte Hoffnung würde verloren sein.   * * *   Auf Titan hatte Harin Geralon, dreißig Minuten zuvor, zusammen mit neun Besatzungsmitgliedern der UTIKAL, den angeblichen Frachter verlassen und machte sich auf den Weg zum Kommunikationszentrum der Flotte auf diesem Mond. Währenddessen wanderte Nira Krinn unablässig durch die Zentrale der UTIKAL. Das Nerven zermürbende Warten auf Ereignisse, die man nicht selbst beeinflussen konnte hatte begonnen. Nira Krinn hasste solche Momente, die bei dem, was sie tat leider viel zu oft vorkamen, abgrundtief. Die Tatsache, dass die Dinge sehr bald schon vollkommen anders aussehen würden konnten sie auch nicht darüber hinwegtrösten. „Das ist wieder einer diese verdammten Einsätze, bei denen sich die Zeit endlos zu dehnen scheint“, murrte sie und blickte dabei in Richtung des Piloten der UTIKAL. Minute um Minute verstrich quälend langsam und Nira Krinn versuchte sich vorzustellen, wie sich die Ereignisse außerhalb des Frachters momentan entwickeln mochten. Der Erste Offizier wurde aus diesen Gedankengängen gerissen, als die erregte Stimme des Leitenden Ingenieurs aus den Feldempfängern krachte. „Maschinenraum an Zentrale: Wir haben ein Problem. Das provisorische Störaggregat hat eben seinen Dienst eingestellt. Wir haben bereits eine Schnelldiagnose durchgeführt, aber der Schaden liegt in dem Provisorium selbst, und wir kommen von Bord aus nicht an die Fehlerquelle heran.“ „Verdammt!“, fluchte Krinn erbittert. Sie wusste, dass es viel zu auffällig gewesen wäre, wenn ein Besatzungsmitglied der UTIKAL das Schiff verlassen würde und auf der Außenhülle des Frachters herumkrabbelte, um den Fehler zu suchen und zu eliminieren. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt und erkundigte sich beim Leitenden Ingenieur des angeblichen Raumfrachters: „Wie lange noch, bis sich die Ortungswerte für diesen Sektor dadurch wieder normalisieren?“ „Schwer zu sagen. Ich schätze es wird recht schnell gehen, innerhalb von zehn bis fünfzehn Minuten, würde ich meinen.“ Nira Krinn ging in Gedanken fieberhaft ihre Optionen durch. „Wir können also den Schaden auffällig reparieren, oder wir lassen es darauf ankommen und hoffen das Beste.“ Die Stimme des Leitenden wurde etwas leiser, als er erwiderte: „So ist es.“ „Danke, Leitender.“ Nira Krinn bemerkte die fragenden Blicke der Crew und erklärte: „Eine Reparatur wäre viel zu auffällig. Wir lassen es drauf ankommen. Antrieb bleibt in Notstart-Bereitschaft. Vielleicht haben wir...“ „Die UTIKAL wird aktiv von einem startenden Zerstörer der Terranischen Flotte gescannt!“, rief der Ortungs-Leitoffizier dazwischen. „Die werden ganz bestimmt feststellen, dass unsere Aggregate sich im vollen Bereitschaftsmodus befinden. Das fällt ganz sicher auf, wir müssen umgehend starten um nicht als Zielscheibe zu dienen!“ „Schweigen Sie, Mann!“, schrie die Frau den Offizier erbost an. „Ich lasse den Kommandanten und unsere neun Kameraden nicht auf diesem elenden Mond zurück. Wir bleiben hier und warten, bis sie wieder an Bord sind, Sie Feigling! Noch steht gar nicht fest, ob es sich nicht um eine reine Routinemaßnahme handelt!“ Nira Krinn blickte in die Runde und ballte die Hände zu Fäusten, bevor sie etwas beherrschter erklärte: „Wenn Sie erwartet haben, den morgigen Tag zu erleben, dann befinden Sie alle sich auf dem falschen Raumschiff. Wir lassen unsere Leute nicht im Stich!“   * * *   Vor wenigen Augenblicken hatte Miriam Rosenbaum, auf dem Zerstörer AURORA, eine seltsame Strahlung angemessen. Sie wurde offensichtlich von einem der Frachter ausgesandt, die auf dem zivilen Teil des Raumhafens niedergegangen waren. Im Grunde hatte sie die Frequenzpeiler eher aus einem Gefühl der Langeweile heraus aktiviert – um sich von der Routine des bevorstehenden Starts, für den bereits alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, abzulenken. Neben ihrer Funktion als Erster Ortungsoffizier des Zerstörers, der eine Länge über Alles von 254 Metern besaß, diente sie, seit zwei Monaten nun schon, auch als Zweiter Offizier der AURORA. Miriam Rosenbaum war stolz darauf, denn nur wenige Offiziere erreichten eine solche Stellung an Bord eines Kriegsschiffes der Terranischen Flotte, innerhalb einer so kurzen Dienstzeit. Auch wenn es sich bei der AURORA lediglich um einen Zerstörer handelte, so würde dieser Posten einen spürbaren Schub für ihre zukünftige Karriere bedeuten. Eher gelangweilt hatte sie bisher auf die Holoanzeigen der Frequenzpeiler gestarrt, als ihr eine Spitze im oberen Frequenzband auffiel. Stirnrunzelnd straffte sich ihre gelassene Haltung und mit wenigen Schaltungen hatte sie ermittelt, woher diese seltsame Ausstrahlung kam. Sie wurde definitiv von einem der zivilen Frachter ausgesandt, eine Tatsache, die Miriam Rosenbaum wachsam werden ließ, denn der Frachter war, wie sie anhand einer schnellen Überprüfung der Datenbanken feststellte, in der Konföderation Deneb registriert. Als ihr angezeigt wurde, dass er außerdem für die Nimrod-Handelsgesellschaft flog wurde die schlanke Frau endgültig munter, und gleichzeitig misstrauisch. Besonders angesichts der Tatsache, dass es seit Stunden zu unerklärlichen Missweisungen der Ortungssysteme kam. Miriam Rosenbaum beschloss, Hauptmann Geran Karalov zu informieren. In wenigen Sätzen unterrichtete sie ihn, was sie beobachtet hatte und holte sich von ihm die Genehmigung ein, die bedingte Gefechtsbereitschaft für den Zerstörer anzuordnen. Gleichzeitig richtete sie die Aktiv-Scanner des Zerstörers auf den Frachter aus. Nur eine Minute später tauchte der Kommandant des Zerstörers neben ihrem Platz auf, und blickte über ihre Schulter auf die Holoanzeigen. Dabei sagte er nachdenklich: „Geben Sie mir eine knappe Übersicht, Oberleutnant Rosenbaum. Was könnte diese seltsame Strahlung, Ihrer Meinung nach, bewirken?“ Miriam Rosenbaum blickte in die dunklen Augen des untersetzten, kräftigen Mannes und unterrichtete ihn, in knapper Form, davon, was sie vor wenigen Tagen erst, von Kimi Korkonnen, in Bezug auf die Garrett-Hellmann-Prozessoren erfahren hatte. Zudem klärte sie ihn über den Verdacht von Dean Corvin, in Bezug auf diese Prozessoren auf, und was sie in diesem Zusammenhang über die Nimrod-Handelsgesellschaft wusste. Danach erklärte sie ernsthaft: „Sir, die Tatsache, dass dieser Frachter als zur Nimrod-Handelsgesellschaft gehörend, in der Konföderation registriert ist, und die Missweisungen unserer Ortungssysteme nicht von Ungefähr kommen können, legt bei mir die Vermutung nahe, dass dieser Frachter, und was immer er an Bord haben mag, etwas damit zu tun haben könnte.“ Karalov blickte seinen Zweiten Offizier ernst an und erkundigte sich dann nachdenklich: „Und das alles haben Sie sich, nur aufgrund dieser Indizien, selbst zusammengereimt, Oberleutnant?“ Im Blick der Frau erkannte Hauptmann Geran Karalov eine Mischung aus Trotz und Überzeugung. Schnell fügte er seinen vorherigen Worten hinzu: „Ich habe das nicht abwertend gemeint, Oberleutnant Rosenbaum. Ich glaube Ihnen. Ich habe mich nur gewundert, wie folgerichtig Sie die einzelnen Punkte miteinander verknüpft haben.“ Miriam Rosenbaums Gesichtszüge entspannten sich. „Danke, Sir. Auch dafür, dass Sie mich nicht für vollkommen überspannt halten.“ Bevor der Hauptmann wieder das Wort ergreifen konnte klang der Gefechtsalarm auf, und der Kommunikationsoffizier rief dazwischen: „Unbekannte Flottenverbände sind innerhalb des Sonnensystems aus dem Hyperraum gefallen. Mindestens dreihundert Einheiten. Sie antworten nicht auf Anrufe und strahlen keine Kennung-Signale aus.“ „Wir starten umgehend!“, entschied der Hauptmann prompt. „Aufsteigen auf fünfhundert Meter! Kommunikation: Rufen Sie diesen Frachter an und erkundigen Sie sich, was, bei allen Heiligen, bei denen vorgeht.“ Die Bestätigungen des Piloten und des Kommunikations-Offiziers erfolgten umgehend. Die Aggregate des Zerstörers fuhren hoch und nur kurze Zeit später hob der Zerstörer ab. Dabei gab Karalov bereits seine nächsten Befehle: „Feuerleit-Offizier: Lassen Sie alle Geschütztürme bemannen und von den Crews, über die optischen Visier-Systeme, auf diesen verdächtigen Frachter ausrichten. Auf diese kurze Distanz werden wir ein unbewegliches Ziel selbst auf diese altmodische Art treffen, sollte es sich als nötig erweisen.“ Die Befehle des Kommandanten wurden per Schiffs-Kom-System weitergegeben. Während das Kriegsschiff Position bezog, meldete der Kommunikationsoffizier hektisch: „Sir, keine Antwort vom Frachter der Konföderation. Unsere optischen Systeme erkennen eine Gruppe von zehn Leuten, die auf das besagte Raumschiff zu halten. Die Kommunikation zur Raumhafen-Kommandantur ist abgerissen.“ Hauptmann Karalov nahm die Meldung beinahe stoisch zur Kenntnis. In Richtung der Kommunikation nickend fragte er grimmig: „Feuerleitleit-Offizier: Sind die unteren Geschütze ausgerichtet?“ „Bestätigung läuft soeben ein, Sir.“ Karalov ballte seine kräftigen Hände zu Fäusten. „Sehr gut. Warten Sie auf meine Feuerfreigabe. Wenn sie erfolgt eröffnen Sie ohne Warnung das Feuer auf diesen Frachter.“ Geran Karalov verließ seine Position hinter Miriam Rosenbaum und schritt zur Konsole des Taktischen Offiziers hinüber. Dessen optische Systeme funktionierten nach wie vor einwandfrei. Karalov wartete, bis die Gruppe von Menschen, die über das Landefeld des Raumhafens auf den Frachter der Konföderation zu hastete, ihn erreicht hatte. Mit kratziger Stimme befahl er: „Feuer frei!“ Die unteren Geschütze des Zerstörers begannen mit ihrem tödlichen Werk. In den Geschütztürmen der phasengesteuerten Plasmakanonen gab es einen bestimmten Vorrat an Deuterium. In den Reaktionskammern der Geschütze wurde für jeden Schuss ein geringer Teil dieses Deuteriums zu einem ultraheißen Plasma verdichtet welches die Waffe in Form eines hochenergetischen, im Lauf phasengerichteten, Plasmaaustoßes abgab. Da dieses Plasma mehrere Millionen Grad heiß war schmolz sich ein gerichteter Plasmastrahlschuss durch jedes bekannte Material. Jede Plasmakanone selbst konnte nur begrenzte Mengen Plasma speichern, bevor sie es abgeben musste, was zur Folge hatte, dass nur relativ kurze Schüsse von maximal einer halben Sekunde Dauer abgegeben werden konnten, die jedoch bei ungeschützten Zielen einen verheerenden Schaden anrichten konnten. Bedingt durch die phasengesteuerte, elektromagnetische Gleichrichtung der Plasmaimpulse nahm das, in der Reaktionskammer noch grellweiß leuchtende Plasma, eine, für diese Waffengattung typische, deutlich violette Färbung an, wenn es den Lauf verließ. Abhängig von der eingegebenen Impulsdauer der einzelnen Plasmastrahlen konnte ein solches Geschütz auf einen schnelleren oder langsameren Feuertakt geschaltet werden, wobei relativ kurze Impulse mit hoher Feuerrate eher für kleinere und wendige Ziele, und Impulse mit niedrigerer Feuerrate und Maximallänge für große Ziele, gedacht waren. Die grell-violetten, mit maximaler Länge abgestrahlten Plasma-Impulse trafen den anvisierten Frachter mit voller Wucht. Bereits wenige Sekunden nach der Feuereröffnung des Zerstörers wurde das Frachtschiff der Konföderation von mehreren Folgeexplosionen, die so stark waren, dass Trümmerteile gegen den aktivierten Dual-Schild der AURORA prallten, bevor sie zur Mondoberfläche zurück stürzten, in Stücke gerissen. Der Überfall auf das Sonnensystem hatte seine ersten Opfer gefordert. „Die Strahlung hat aufgehört!“, meldete Miriam Rosenbaum direkt nach der Vernichtung des Frachters. Fast gleichzeitig kam die Meldung von der Ortung: „Missweisungen sinken langsam ab. Der momentane Wert in diesem Raumsektor ist bereits um zwei Prozent gefallen.“ Geran Karalov hob die geballte Faust. „Sehr gut! Kommunikation: Geben Sie an alle Stellen, die Sie erreichen können, weiter, was hier passiert ist. Ich vermute, dass es noch andere Raumschiffe gibt, die diese seltsame Strahlung aussenden. Wenn wir die eliminieren, dann sind wir vermutlich die Missweisungen der Ortungssysteme los.“ Einen Augenblick später meldete der Offizier an der Kommunikation mit vibrierender Stimme: „Ich bekomme keinen Kontakt, Sir. Die angekommenen Flottenverbände überlagern sämtliche Frequenzen mit Störsignalen. Bevor das passierte konnte ich gerade noch eine Nachricht des Flaggschiffes der Heimatflotte empfangen. Alle terranischen Kriegsschiffe, die sich momentan im Sonnensystem aufhalten, werden darin dazu aufgefordert, sich der Ersten Flotte zu unterstellen.“ Karalov blickte verzweifelt seine Offiziere an. Sie hatten herausgefunden, wie die Missweisungen beseitigt werden konnten, doch sie konnten dieses Wissen nicht weitergeben. Möglicherweise gab es jedoch einen anderen Weg aus der Misere. Mit entschlossener Miene verkündete Geran Karalov: „Wir fliegen zum Mars!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)