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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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COUNTDOWN

 Noch drei Stunden bis Mitternacht terranischer Standardzeit.

Rodrigo Esteban machte eine umfassende Geste und fragte seine anwesenden Freunde: „Na, habe ich euch vielleicht zu viel versprochen, als ich von der Silvesterparty des Jahrzehnts gesprochen habe?“

Nayeli García Herández, die in den letzten Stunden kaum von seiner Seite gewichen war, blickte sich in dem beeindruckenden Ballsaal des lunaren Hauptquartiers der Flotte um.

Dieser Komplex war dort errichtet worden, wo vor mehr als 1200 Jahren zum ersten Mal ein Mensch seinen Fuß auf den Erdtrabanten gesetzt hatte. Im Mare Tranquillitatis - dem Meer der Ruhe – wie es immer noch lyrisch genannt wurde. Die oberirdischen Bereiche umschlossen dabei die Statio Tranquillitatis – den exakten Landepunkt, an dem der mehrmals restaurierte, zurückgelassene Teil der damaligen Landefähre immer noch stand. Mittlerweile konserviert und gegen jegliche äußeren Einflüsse geschützt.

„Toll, was die Leute hier auf die Beine gestellt haben“, stimmte die Mexikanerin begeistert zu. „Lass uns tanzen gehen.“

Dean Corvin grinste belustigt, als Nayeli den Spanier an die Hand nahm und ihn einfach mit sich zog. Ihn erinnerte die geschmückte Halle an eine ganz bestimmte Silvesterfeier und ein Schatten überflog sein Gesicht. Doch dann löste er sich von diesem beklemmenden Gefühl. Heute wollte er einfach nur Spaß haben. Kimi hatte ganz Recht – für Sorgen war später noch genug Zeit. Er, Tabea und Kimi standen bei einigen Männern und Frauen, die ihnen Rodrigo Esteban im Laufe des Abends vorgestellt hatte.

Tabea blickte vielsagend zu Kimi, der in eine intensive Diskussion mit drei Technikern von Estebans Kommando verstrickt war und sah dann auffordernd zu Dean. Dabei gelang es ihr kaum, sich ein Grinsen zu verbeißen, als sie fragte: „Wollen wir tanzen?“

„Wie oft hatten wir das jetzt schon, in der letzten Zeit?“, entgegnete Corvin belustigt. Er bot der blonden Frau schmunzelnd seinen Arm an.

Tabea ließ sich von dem Kanadier auf die Tanzfläche führen. „Da du mittlerweile ein wirklich guter Tänzer geworden bist ziemlich oft, würde ich sagen.“

Kimi Korkonnen blickte ihnen nach, als sie in der Menge verschwanden. Er war froh, dass sein bester Freund für diesen Abend offensichtlich seine finsteren Gedanken vergessen zu haben schien. Dann wandte er sich wieder seinen Gesprächspartnern zu. Einer von Ihnen entdeckte ein bekanntes Gesicht und winkte vehement mit seinen Armen.

Der Finne folgte dem Blick des Technikers und erkannte eine hochgewachsene Frau, die unverkennbar die Zielperson zu sein schien, denn sie winkte zurück und näherte sich der Gruppe nun mit raschen Schritten.

Kimi Korkonnen bemerkte, dass die Frau, mit den auffällig kupferroten, schulterlangen Haaren, die Uniform des fliegenden Personals trug. Während sie sich ihnen näherte erkannte der Blonde, dass sie etwa so hochgewachsen sein musste, wie sein bester Freund. Ihre Haut war von ebenmäßiger Blässe und wirkte im Kunstlicht der Halle fast wie lebendig gewordenes Elfenbein. Ihre Augen, von einem durchscheinenden Blau, drückten Intelligenz aus, aber gleichfalls auch eine gewisse Unbekümmertheit und Zielstrebigkeit. Kimi Korkonnen schätzte sie auf ein paar Jahre jünger, als sich. Am Kragen ihrer Uniform trug sie die Abzeichen eines Leutnants der Flotte.

Sie erreichte die Gruppe und grüßte mit klarer, weicher Stimme in die Runde.

Es war der Techniker, der sie hergewunken hatte, der sich es übernahm ihr Kimi vorzustellen und sie dann ihm wiederum als Irina Hayes vorstellte, wobei er nicht unerwähnt ließ, dass sie zur Besatzung der NOVA SOLARIS gehörte.

„Sehr angenehm, Leutnant Hayes“, eröffnete Korkonnen das Gespräch mit Irina Hayes. „Sie werden also das Vergnügen haben, den neuen Kreuzer eingehend zu testen.“

Das Gesicht der rothaarigen Frau drückte mit einem Mal Anspannung aus. „Ja, das ist richtig, Oberleutnant Korkonnen. Sagen Sie, kann es sein, dass Sie Ihren Abschluss an der Sektion-Terra gemacht haben? Ich hörte dort von einem gewissen Absolventen mit diesem Namen, oder besser, von dem, was er und sein Freund getan haben sollen. Ich war deswegen seinerzeit, gelinde gesagt, sehr betroffen.“

„Es stimmt, dass ich an der Sektion-Terra meinen Abschluss gemacht habe“, bestätigte Korkonnen. „Was Sie nun auch immer dort gehört haben mögen...“

Irina Hayes machte mit finsterer Miene auf dem Absatz kehrt, schritt davon und ließ den Finnen einfach stehen.

Kimi Korkonnen ignorierte die teils fragenden, teils verwunderten Mienen der Anderen, entschuldigte sich hastig, und eilte der rothaarigen Frau nach. Als er sie eingeholt hatte stellte er sich ihr in den Weg und sagte mit fester Stimme: „Möglicherweise möchten Sie sich ja zuerst meine Version der Geschichte anhören, bevor Sie mich und meinen Freund, aufgrund von irgendwelchen wilden Gerüchten, vorverurteilen.“

Irina Hayes machte den Eindruck als wolle sie zunächst einfach weitergehen. Doch Korkonnen blickte die junge Frau so eindringlich an, dass sie sich schließlich, etwas gereizt dreinblickend, bereiterklärte: „Na schön, dann erzählen Sie mal Ihre Geschichte.“

Kimi Korkonnen überging den schnippischen Tonfall der jungen Frau und atmete mehrmals tief durch, um sich zu beruhigen. „Miss Hayes, ich weiß, dass die Ereignisse, so wie sie sich tatsächlich zugetragen haben, reichlich abenteuerlich klingen werden. Aber sie sind nichts desto weniger wahr. Im Grunde war die Falle, die meinem Freund und mir von einer Kommilitonin unseres Jahrgangs gestellt worden ist, lediglich für meinen Freund bestimmt. Doch ich war leider zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, und so geriet ich mit in die Ränkespiele dieser gewissenlosen Kadettin.“

Irina Hayes zog die Stirn in Falten und Korkonnen erkundigte sich unsicher: „Hat es Sinn weiterzureden, oder soll ich besser aufhören, und wir gehen unserer Wege?“

„Nein, jetzt möchte ich auch den Rest erfahren.“

Kimi Korkonnen nickte. Er berichtete Irina Hayes detailliert davon, was sich an der Sektion-Terra ereignet hatte.

Nachdem er verstummte, musterte Irina Hayes ihn prüfend und antwortete schließlich nachdenklich: „Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass Sie gelogen haben, Oberleutnant. Allerdings, und das haben Sie ja bereits zugegeben, hört sich diese Geschichte wirklich ziemlich abenteuerlich an.“

„Genau das ist das Perfide an den Vorkommnissen“, knurrte Korkonnen. „Es fällt schwer, es zu glauben, und noch schwerer es zu verstehen. Ich würde an Ihrer Stelle selbst Zweifel hegen, wenn ich so etwas zu hören bekäme.“

„Wenn du was zu hören bekommen würdest?“

Kimi wandte sich um. Dean Corvin war, zusammen mit Tabea Carrick unbemerkt hinter ihm erschienen und hatte den letzten Satz des Freundes mit angehört.

Kimi blickte von dem Freund zu Irina Hayes und stellte ihr Tabea und Dean vor, bevor er den beiden Neuankömmlingen Leutnant Hayes vorstellte.

Kimi Korkonnen bemerkte dabei den kurzen, fragenden Blick von Irina Hayes, als diese von ihm zu Tabea Carrick blickte, und er erklärte: „Tabea weiß um die Ereignisse, von denen ich Ihnen eben erzählt habe. Nicht, weil sie zufällig davon gehört hat, sondern weil wir es ihr freiwillig erzählt haben.“

Irina Hayes verstand die Spitze. Sie verkniff sich eine Erwiderung darauf und wandte sich stattdessen an Tabea. „Seit wann sind Sie drei befreundet?“

„Seit mehr als zwei Jahren. In dieser Zeit habe ich eins begriffen, Leutnant Hayes, nämlich, dass diese beiden Männer ehrlich und anständig sind. Was ihnen an der Sektion-Terra auch immer vorgeworfen worden sein mag, ich würde das nie und nimmer glauben.“

Das Gesicht der rothaarigen Frau entspannte sich zusehends. Ihr Blick schweifte in die Runde und verweilte schließlich bei Kimi Korkonnen. „Ich fürchte, ich muss mich für mein vorheriges, schlechtes Benehmen bei Ihnen entschuldigen, Oberleutnant Korkonnen. Vielleicht war ich ein wenig zu voreilig in meiner Beurteilung.“

Der Finne schenkte der jungen Frau die Andeutung eines Lächelns. „Vielleicht?“

Irina Hayes wich dem forschenden Blick des Blonden, unangenehm berührt, aus.

„Nennen Sie mich Kimi“, überging er diesen etwas peinlichen Moment und gab Irina Hayes damit gleichzeitig zu verstehen, dass für ihn die Angelegenheit erledigt war.

„Gerne… Kimi.“

Tabea und Dean boten Irina Hayes ebenfalls an, sie beim Vornamen zu nennen, und der Kanadier erkundigte sich, mit einem kurzen Seitenblick zu seiner blonden Begleiterin: „Möchten Sie vielleicht tanzen, Irina?“

Irina Hayes stimmte freundlich zu und sie verschwand, gemeinsam mit Dean Corvin, in der Menge.

Tabea Carrick blickte ihnen kopfschüttelnd nach und erkundigte sich dann launig bei Kimi: „War Dean schon immer so?“

„Hast du eine Ahnung“, seufzte Kimi übertrieben und zwinkerte Tabea zu. „Komm, lass uns zu unseren Freunden gehen, und etwas trinken, sonst geraten wir, was das angeht, hoffnungslos ins Hintertreffen.“

 
 

* * *

 

Noch zwei Stunden bis Mitternacht terranischer Standardzeit.

Als Oberfeldwebel Ixion Zertrec aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, drängte die Erinnerung daran, was sich ereignet hatte, nur zäh wieder in seine Denkprozesse. Er hatte noch mitbekommen, dass Raumalarm ausgelöst worden war, und er dabei gewesen war, seine Gefechtsstation aufzusuchen. Als er, zusammen mit mehreren Kameraden, durch die Gänge des Kreuzers gehastet war, hatte ein fürchterlicher Schlag das Raumschiff erschüttert. Zertrec wusste noch, dass es ihn von den Füßen gehoben hatte, und er, sich überschlagend, durch den Gang geschleudert worden war. Dabei war sein Kopf mit etwas Hartem kollidiert und er hatte offensichtlich das Bewusstsein verloren.

Zertrecs Kopf fühlte sich an wie nach einem wüsten Saufgelage, als er versuchte sich vom Boden aufzurappeln. Der rasende Schmerz ließ ihn zunächst auf den Boden zurücksinken. Er atmete tief durch, wobei er einen ziehenden Schmerz an seinen rechten Rippen verspürte. Mit der Linken tastete er sich zu einer Stelle seiner Stirn vor, die höllisch brannte. Er ertastete etwas warmes, und klebriges, und er vermutete dass es Blut war. Die Augen noch immer geschlossen lauschte er dem Knacksen und Knistern im Hintergrund. Erst jetzt nahm er den beißenden Geruch von Rauch wahr. Das ließ ihn endgültig munter werden.

Ixion Zertrec zwang sich, trotz der damit verbundenen Schmerzen, seine Muskeln anzuspannen, sich halb aufzurichten und die Augen zu öffnen.

Soweit der Feldwebel es erkennen konnte, herrschte ein heilloses Chaos an Bord des Schweren Kreuzers SILBERFALKE, einem Kriegsschiff der Farradeen-Allianz. Als Teil der Mondschatten-Flotte war seine Aufgabe gewesen, zusammen mit neun kleineren Einheiten, an der Grenze zum Terranischen Imperium zu patrouillieren.

Zertrec fragte sich, was passiert sein mochte. Hatte sich Oberstleutnant Harrenfor, der für seinen Tatendrang berüchtigt war, zu weit in terranisches Hoheitsgebiet gewagt? Oder hatte es einen Unfall gegeben?

Der kräftig gebaute Mann gab ein ächzendes Stöhnen von sich, als er sich herumdrehte und schließlich auf allen Vieren im Gang kniete um sich endgültig aufzurichten. Für einen Augenblick wurde ihm dabei schwarz vor Augen, doch er blieb bei Bewusstsein. Das sah Zertrec als ein gutes Zeichen an und setzte neue Kräfte bei ihm frei. Nach einer Weile klärte sich auch der bisher verschleierte Blick.

Ixion Zertrec blickte sich blinzelnd um. Schweiß lief ihm in die Augen und verursachte dort ein unangenehmes Brennen. Schwankend stand er in dem teilweise arg zugerichteten Korridor der zum Maschinenraum der SILBERFALKE führte. Der Gang lag in gespenstischem Zwielicht. Die normale Beleuchtung schien ausgefallen zu sein. Einige Notbeleuchtungskörper flackerten unstet, und an manchen Stellen waren sie gänzlich ausgefallen. Der akustische Alarm war inzwischen verstummt doch die Alarmpaneele leuchteten weiterhin in einem beunruhigenden Rot. Brandspuren überzogen einen Teil der Wände, der Decke und des Gangbodens. Deckenplatten und abgeplatzte Elemente der Wandverkleidung lagen auf dem Boden herum. Irgendwo in einem Gangabschnitt hinter ihm war eine Kühlmittelleitung geplatzt. Weißlicher Rauch quoll aus ihr hervor und hüllte einen Bereich des Ganges wie eine Nebelwand ein.

Zertrec taumelte darauf zu und strauchelte mehr hindurch als dass er ging, wobei er husten musste und er wäre beinahe über ein größeres Objekt gestolpert. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass es ein menschlicher Körper war.

Ein weiblicher Offizier in der blau abgesetzten Uniform einer Technikerin. Ihre Augen blickten seltsam starr. Ihre Haut, dort wo sie nicht verkohlt war, war mit hässlichen Brandblasen übersät.

Ixion Zertrec erkannte sofort, dass die Frau tot war, und er würgte, wobei er spürte, wie sein Magen zu rebellieren begann. Erst jetzt nahm er zudem den beißenden Geruch verbrannten Fleisches wahr. Taumelnd bewegte er sich, von Grauen geschüttelt, weiter, bevor er sich an der Wand abstützte und übergab. Ein krächzendes Husten folgte, bevor er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er so drastisch mit dem Tod konfrontiert wurde.

Das darf nicht wahr sein, dachte er, sich fieberhaft fragend, was zu diesem Chaos an Bord geführt hatte. Jetzt, da er sich dessen voll bewusst wurde, dass er allein war, überkam ihn für einen kurzen Augenblick ein Gefühl wilder Panik. Ihm grauste bei dem Gedanken daran, wie viele Opfer es noch gegeben haben mochte.

Das darf doch einfach nicht wahr sein.

Vor weniger als einer halben Stunde war seine Welt noch in Ordnung gewesen, und nun fand er sich mitten in diesem schrecklichen und traumatisierenden Chaos wieder.

Weiter, peitschte sich der Oberfeldwebel selbst nach vorn. Er ballte die Hände und kniff die Augen zusammen, als der Dunst dünner wurde und sich eine verschwommen erkennbare Gestalt herausschälte, die auf sie zu kam. Erst als sie nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, erkannte Zertrec, dass es sich um einen jungen Gefreiten handelte. Der Feldwebel wankte auf ihn zu.

„Hallo!“, rief Zertrec erleichtert aus. „Ich dachte schon, ich wäre als Einziger an Bord am Leben geblieben.“

„Oberfeldwebel Zertrec?“, fragte der Gefreite mit brüchiger Stimme.

Zertrec, der zuvor den Gefreiten, wegen seines, vom Rauch geschwärzten Gesichtes, nicht erkannt hatte, krächzte: „Ja, Gefreiter Karazan. Was ist geschehen?“

„Ich weiß nicht! Der Maschinenraum brannte, und ich habe zusammen mit einigen Anderen zunächst das Feuer bekämpft. Danach haben wir uns auf den Weg gemacht, um nach Überlebenden zu suchen, Oberfeldwebel.“

„Gut so“, krächzte Zertrec hustend. „Sie müssen mich stützen und zur Krankenstation bringen, Gefreiter. Ich fürchte, ich habe mir ein paar Rippen gebrochen und wer weiß was noch alles.“

Der Gefreite bestätigte, legte sich den linken Arm, den der Feldwebel angehoben hatte, um die Schulter und legte den rechten Arm vorsichtig um seinen Vorgesetzten.

Mehr schlecht als recht schritten sie durch die Gänge des Kreuzers und sie mussten dabei zweimal einen Umweg machen, weil Trümmerteile den Gang, den sie benutzten, blockierten. Beide atmeten erleichtert auf, als sie feststellten, dass die Medizinische Station in einem der weniger zerstörten Bereiche des Kreuzers lag.

Als sie die Station erreichten, bot sich ihnen auch dort ein erschreckendes Bild.

Die noch unzerstörten Liegen reichten nicht aus, um all die leicht und schwer Verletzten Crewmitglieder aufzunehmen, und so lagen diese, dicht an Dicht, auf dem Boden der Station, wo sie von mehreren Medizinern und Pflegern behandelt und betreut wurden. Ein unangenehm süßlicher Geruch hing in der Luft.

Ein Assistenzarzt kam auf Zertrec und seinen Begleiter zu. „Sie können noch aufrecht stehen, das ist gut. Setzen Sie sich dort vorne zu Hauptmann Sangrin, ich komme dann gleich zu Ihnen beiden.“

Etwas verblüfft erklärte Zertrec: „Ich habe mir vermutlich mehrere Rippen geb...“

„Sehen Sie nicht was los ist?“, schnitt der Arzt dem Oberfeldwebel das Wort ab. „Der Kommandant wird froh sein, für alle Männer und Frauen, die in irgendeiner Form gehen, humpeln oder kriechen können! Irgendwer muss uns aus diesem Schlamassel bringen, und Sie gehören nun einmal mit dazu, denn immerhin leben Sie noch, und das ist mehr, als viele andere Crewmitglieder dieses Kreuzers von sich behaupten können! Also stehen Sie hier nicht länger sinnlos herum!“

Während Ixion Zertrec noch verdattert den Assistenzarzt ansah, wandte der sich bereits zu Karazan. „Und Sie haben ganz bestimmt etwas besseres zu tun, als auf der Krankenstation herumzulungern!“

Zertrec blickte Karazan hinterher, der fluchtartig hinaus eilte, bevor er sich, wie ihm geheißen, zu Hauptmann Serina Sangrin begab.

„Hoffentlich hat den keiner zum Essen eingeladen“, knurrte er finster, als er die schlaksige, dunkelblonde Frau erreicht hatte und setzte sich, mit einem angemessenen Abstand, zu ihr auf die Medo-Liege. Er wartete einen Moment lang, bevor seine Neugier die Oberhand gewann und er den Zweiten Offizier des Kreuzers direkt ansprach. „Wissen Sie vielleicht was geschehen ist, Hauptmann?“

Die Frau, die um ein paar Jahre älter war als Zertrec, blickte ihn an und erwiderte: „Auf die Schnelle, Oberfeldwebel: Als der Verband den Hyperraum verließ fand er sich mitten in einem Raumschiffspulk unbekannter Herkunft wieder. Eine Fregatte kollidierte mit einem Schweren Kreuzer dieses fremden Flottenverbandes und wurde dabei vollkommen zerstört. Bevor wir Verbindung zum Kommandeur dieses Verbandes aufnehmen konnten, eröffneten mehrere von deren Kriegsschiffen ohne Vorwarnung das Feuer auf unsere Einheiten. Die SILBERFALKE wurde dabei schwer getroffen, bevor sie sich kurzzeitig in den schützenden Hyperraum retten konnte. Was aus den übrigen Raumschiffen unserer Patrouille wurde wissen wir nicht.“

„Aber warum greifen uns die Terraner an?“

Hauptmann Sangrin warf dem Kräftigen einen langen Blick zu. „Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich Terraner waren. Ich vermute viel mehr, dass wir für Terraner gehalten wurden, denn Oberstleutnant Targorin hatte unseren Verband um einige Lichtjahre in terranisches Territorium einfliegen lassen, da unsere Langstreckensensoren schwache Unregelmäßigkeiten dicht an der Grenze zu unserem Territorium aufgefangen hatten. Nun, ich schätze jetzt wissen wir, was es war.“

Der Feldwebel schluckte. „Aber wer...“

„Später, Oberfeldwebel. Da kommt der Mann, der uns notdürftig zusammenflicken wird, damit wir ihn und die anderen Überlebenden, wie sagte er so treffend, aus dem Schlamassel bringen können.“ Beinahe flüsternd fügte sie hinzu: „Ich möchte nur einmal wissen, woher dieser grimmige Knochenflicker diesen antiquierten Ausdruck hat. So redet doch seit Jahrhunderten kein Mensch mehr.“

Trotz der wieder zunehmenden Schmerzen, als er sein Gewicht etwas verlagerte, erlaubte sich Zertrec ein unterdrücktes Schmunzeln.

Im nächsten Moment hatte der Assistenzarzt sie erreicht. Er scannte zuerst Serina Sangrins rechten Arm und aktivierte ein etwa handgroßes Gerät um bei ihr einen gebrochenen Unterarmknochen zusammenzuführen und zu verschweißen, was nur wenige Minuten in Anspruch nahm, bevor er sie aus seiner Obhut entließ und sich Zertrec zuwandte.

Serina Sangrin bewegte vorsichtig die Finger ihrer rechten Hand und bewegte dann ihren Arm einige Male in alle Richtungen. Zufrieden mit dem Ergebnis erhob sie sich von der Medo-Liege und blickte zu Zertrec. „Viel Glück, Oberfeldwebel.“

Serina Sangrin bekam noch mit, wie er den Wunsch erwiderte, bevor sie eilig die Krankenstation verließ um wieder zu ihrer Station, die Zentrale des Kreuzers, zu eilen.

Kaum dort angekommen sprach sie der Kommandant des Kreuzers, der zufällig in ihre Richtung blickte, sofort an. „Wie geht es Ihrem Arm, Hauptmann?“

„Ist wieder in Ordnung, Sir.“ Sie blickte in dem Chaos aus Trümmern und fieberhaft arbeitenden Crewmitgliedern zum leeren Sessel des Ersten Offiziers. „Wie geht es...“

„Der Erste Offizier ist tot“, erklärte Oberstleutnant Jovan Targorin, der ahnte, was die Frau hatte fragen wollen. „Sie werden für ihn übernehmen müssen, Hauptmann. Wie sieht es in den übrigen Abteilungen des Kreuzers aus?“

Serina Sangrin machte eine wiegende Handbewegung und ihre grün-grauen Augen verfinsterten sich. „Nicht gut, Sir. Ich schätze es hat uns übel erwischt. Wissen wir mittlerweile, wer der unbekannte Angreifer gewesen ist?“

Der Kommandant nickte bedeutungsschwer. „Ja, aus den Scannerprotokollen, die nicht zerstört wurden, konnten wir ermitteln, dass es sich um Einheiten der Konföderation Deneb gehandelt hat – was den Angriff auf uns plausibel macht, falls sie in dem Glauben handelten, wir seien Terraner.“

„Aber… Sir, das würde...“

Wieder nickte Jovan Targorin und fuhr sich mit der linken Hand durch das dichte, schwarze Haar, wobei ein ebenso von Sorgen belasteter, wie trauriger, Ausdruck in seine blauen Augen lag. „Es scheint so, als würden mehr als zweihundert Jahre des Friedens zu Ende gehen, Hauptmann Sangrin.“

 
 

* * *

 

Noch eine Stunde bis Mitternacht terranischer Standardzeit.

Auch auf dem Mars fanden an diesem Abend unzählige Silvesterfeiern statt. Es gab jedoch eine Reihe von Menschen, die nicht an diesen Festivitäten teilnahmen. Einer von ihnen hieß Kim Tae Yeon.

Nach einem Schäferstündchen mit ihrem neuen Liebhaber, Larenan Farralen, der vor etwa einer halben Stunde gegangen war, stand sie, in voller Dienstuniform, in ihrem Quartier vor dem Feldspiegel und überprüfte den Sitz ihrer Frisur. Sie strich mit der Hand eine Strähne aus ihrem Gesicht. Dann zuckte sie die Schultern.

„Wer sich in Gefahr begibt“, murmelte sie, diabolisch lächelnd, „darf sich am Ende nicht wundern, wenn ihm, oder ihr, ein paar Haare gekrümmt werden.“

Die Asiatin warf einen Blick auf das Chrono-Feld ihres Multifunktions-Armbandes bevor sie das Licht löschte und ihr Quartier eilig verließ.

Vor dem Gebäude begab sie sich zu ihrem Dienstgleiter. Kim warf sich geschmeidig auf den Vordersitz und der Gleiter schaukelte unmerklich. Sie schnallte sich an und schaltete das Triebwerk ein. Mit einem hellen, singenden Geräusch fauchten die hoch erhitzten und komprimierten Luftmassen aus den beiden Vortriebsfelddüsen. Die Asiatin ergriff das Steuer. Sie lenkte ihren Bodengleiter fast immer selbst, obwohl hinter der Steuerkonsole auch eine hochwertiger Automatiksteuerung installiert war.

Das schnittige Fahrzeug fegte über die Abfahrt zur öffentlichen Gleiter-Trasse.

Verächtlich blickte Kim Tae Yeon, während der Fahrt, auf die Silhouette der Stadt Red Sands, eine Stadt die immer noch wuchs. Die Turmbauten reckten sich gleich Riesenfingern aus Metall, Kunststoffen und Glassit in den Himmel - Monumente menschlicher Stärke und Schwäche. Es war, im Grunde genommen, unpraktisch, so hoch zu bauen, aber der Mensch hatte eben das Bedürfnis, der permanenten Herausforderung durch das Universum mit Taten und stolzen Gesten zu begegnen. Ein Ausdruck menschlichen Stolzes und Selbstbewusstseins waren diese himmelstürmenden Riesenbauten.

Die Angehörige des Militärischen Geheimdienstes verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das Naheliegende. Sie hatte es einrichten können, an diesem Abend, ab 23:30 Terra Standardzeit, im Strategischen Hauptquartier der Flotte einige Systemprüfungen vorzunehmen. Reine Routine offiziell.

Dabei war ihr wirkliches Vorhaben höchst inoffiziell.

Der Bodengleiter jagte mit fünfhundert Stundenkilometern dahin. Niemand, außer ihr, schien momentan unterwegs zu sein, was Kim nicht verwunderte. Alle wollten das bald neu anbrechende Jahr 3221 feiern.

Wenn die wüssten...

Kim Tae Yeon verzögerte, als in wenigen Kilometern Entfernung die erleuchteten Rohrmündungen des Schiparelli-Tunnels auftauchten. Die Luftströme der Atmosphäre erzeugten an diesen Ein- und Ausfahrten unablässig starke Turbulenzen, die sich in einem Donnern und Tosen wie von einer starken Brandung äußerten.

Der Gleiter der jungen Frau wurde von einer imaginären Faust gepackt und spürbar durchgeschüttelt, als er in die obligatorischen Luftwirbel stieß. Dann war er hindurch.

Fünf Minuten lang schoss das Fahrzeug durch den Tunnel, verließ ihn wieder und Kim lenkte den Gleiter schließlich nach rechts, als sie die Außenbezirke von Red Sands fast erreicht hatte. Sie kam schließlich zu der überwachten Abzweigung, die zum Hauptquartier führte und einige Augenblicke später passierte sie das automatisch arbeitende, äußere Überwachungsportal. Kam es hier zu Unregelmäßigkeiten, so wurde ein möglicher, unautorisierter Eindringling am inneren Portal gestoppt – notfalls mit Waffengewalt.

All das war Kim Tae Yeon bekannt. Da sie angemeldet war gab es für sie keinerlei Probleme. Sie würde sich lediglich nochmal am Eingang des Gebäudekomplexes beim Befehlshaber der Wache identifizieren müssen. Gemäß ihrer Weisung würden ihre beiden Verbündeten aus Akademietagen, Jonas Zandvoort und Jeremy James, bereits im Foyer des Hauptquartiers auf sie warten.

Die beiden bewaffneten Wachen salutierten, als sie das Taktische Hauptquartier der Terranischen Raumflotte, durch das Hauptportal, betrat. Freundlich lächelnd erwiderte sie den Gruß der beiden Uniformierten und betrat das Foyer des gewaltigen Gebäudes.

Mit federnden Schritten begab sie sich zum Empfang, wo ihre beiden Kameraden, wie geplant, bereits auf sie warteten. Sie legitimierte sich dem Befehlshaber der Wache gegenüber, mit Hilfe ihrer Dienst-ID-Karte, gab Zandvoort und James einen Wink ihr zu folgen und schritt dann, gemeinsam mit den beiden Männern, zu einem der zehn Lifts hinüber. Sie war schon so oft hier gewesen, dass sie dabei das marmorne Logo der Terranischen Raumflotte, auf dem Boden der Halle, nicht weiter beachtete.

Während sie zu dritt auf den Lift warteten überlegte Kim, dass von dem eigentlichen Gebäude, das im Jahr 2400, in einem feierlichen Festakt, in Betrieb genommen worden war, nicht mehr viel existierte. Mit den folgenden Jahrhunderten war es permanent erweitert, modernisiert und vergrößert worden. Von hier aus wurden alle militärischen Operationen der Terranischen Raumflotte geleitet. Ganz in der Nähe lag die Sektion-Mars, der Terranischen Raumflotten-Akademie, an der sie ihre ersten beiden Ausbildungsjahre verbracht hatte.

Eine ähnlich aufgebaute Anlage, wie dieses Strategische Hauptquartier, gab es für den eigentlichen Flottenstab auch auf Terra.

Dieser Gebäudekomplex, auf dem Mars, war am Rand von Red Sands errichtet worden, und er war eine, im Notfall autark funktionierende, Einrichtung, die im Verteidigungsfall hermetisch abgeriegelt werden konnte. Grundsätzlich gab es zwei große Bereiche in die der Komplex unterteilt war: Den allgemein zugänglichen Bereich und den geschützten Bereich. Zu dem ersten hatten Militärs und zivile Angestellte der Flotte Zutritt – er beherbergte nebenbei ein Informationsbüro für Vertreter der Regierung.

Zu dem geschützten Bereich hatten nur militärische Vertreter des Raumflotten-Stabes, der Verteidigungsminister und der Präsident des Terranischen Imperiums Zutritt. Und Angehörige des Militärischen Geheimdienstes, so wie sie.

Besonders autorisierten Personen, in der Regel hochrangigen Offizieren des Stabes, war es möglich, innerhalb des Komplexes Sonderschaltungen vorzunehmen, beispielsweise die verschiedenen Kommandozentralen separat abzuriegeln, oder besondere Alarmstufen für das gesamte Militär auszulösen.

In den oberirdisch gelegenen Gebäuden wurde das allgemeine Tagesgeschäft erledigt. Ein weit größerer Teil der Anlage lag jedoch unterirdisch. Dort gab es insgesamt fünf Tiefetagen. Der Zugang zu den unterirdischen Anlagen erfolgt über speziell gesicherte Lifts.

Der Komplex besaß eigene Kraftwerke und Sender-Empfänger-Anlagen, sowie Anlagen zur Nahrungs- und Trinkwasser-Herstellung. Des weiteren befand sich dort ein hochwertiges Lufterneuerungs-System und die zentrale Klimasteuerung.

Kim hatte davon gehört, dass es in den Tiefen-Etagen einige moderne Kliniken und alles, was bei einem erzwungenen längeren Aufenthalt der dort arbeitenden und lebenden Menschen erforderlich war, gab. Durch diese Vorkehrungen und hervorragenden Sicherheitsanlagen und Defensivsysteme sollte die volle Handlungsfreiheit der Terranischen Regierung auch in Notstandssituationen gewährleistet werden. Gegenwärtig konnte der Komplex, in einer Notsituation, insgesamt bis zu 50.000 Menschen aufnehmen und langfristig versorgen. Nun, daran konnten ihre Machenschaften, und die, ihrer beiden Mitverschwörer leider nicht viel ändern.

Die Abwehranlagen bestanden aus umliegenden Geschützstellungen und Torpedowerfern, deren Feuerkraft der von etwa zehn Schlachtkreuzern entsprach. Zahlreiche weitere Verteidigungsanlagen, die überall auf dem Mars verteilt waren, konnten im Notfall von dort aus zentral gesteuert werden.

An deren Treffsicherheit wird sich in den nächsten Stunden definitiv etwas ändern, überlegte die Asiatin düster, als sich das Schott des Lifts für sie öffnete, und sie dessen Kabine betrat.

„Siebenundvierzigstes Obergeschoss“, gab die junge Frau das Stimmenkommando, und die Liftkabine setzte sich unmerklich in Bewegung. Schon seit vielen Jahrhunderten besaßen solche Liftkabinen Schwerkraft-Absorber, um ihre Gäste, mit nahezu unglaublichen Geschwindigkeiten, zu ihrem jeweiligen Ziel bringen zu können.

Niemand stieg unterwegs zu, und so erreichten Kim Tae Yeon und ihre beiden Begleiter nur wenige Sekunden später die von ihr angegebene Zieletage. Sie verließen den Lift und Kim wandte sich, nachdem bisher kein Wort zwischen ihnen gefallen war, an die beiden Männer: „Sie beide überprüfen die Ortungsfrequenzen, meine Herren.“

Zandvoort und James wussten, dass es im gesamten Gebäude Überwachungsanlagen gab, die jeden ihrer Schritte, und jedes gesprochene Wort, aufzeichneten, weshalb sie den Befehl knapp bestätigten, und sich dann auf dem, durch indirekte Lichtquellen angenehm beleuchteten, hell-beigen, Korridor nach links wandten.

Kim sah ihnen kurz nach, lächelte unmerklich und wandte sich selbst dann nach rechts. Nach nur wenigen Schritten erreichte sie das Schott zum Kommunikations-Zentrum. Sie legte ihre rechte Handfläche auf die Scannerplatte des Individualtasters und wartete einen Augenblick, bevor sich die beiden Hälften des Panzerschotts vor ihr teilten. Die Automatik hatte sie identifiziert und als Zutrittsberechtigte eingestuft.

Als Kim zum ersten Mal hier gewesen war, hatte sie dieser zehn mal fünfzehn Meter große Raum enttäuscht. Sie hatte damals mit einer gewaltigeren Anlage für das wichtigste militärische Kommunikationszentrum des Terranischen Imperiums gerechnet. Mittlerweile war sie an die Dimensionen dieses Raumes gewöhnt.

Zu normaler Dienstzeit taten hauptsächlich Offiziere Dienst an den Konsolen und die Leitung oblag in der Regel mindestens einem Hauptmann der Flotte. Momentan erkannte Kim hauptsächlich Feldwebel-Dienstgrade an den Konsolen und ein junger, weiblicher Oberleutnant, unterstützt von einem Leutnant der den Eindruck erweckte als habe er eben erst die Akademie abgeschlossen, saß hinter der Hauptkonsole. Mit ein Zeichen dafür, wie gering man offensichtlich die Gefahr einer äußeren Bedrohung einschätzte.

Larenan hat ganz Recht, wenn er behauptet, das Imperium habe sich selbst überlebt, überlegte Kim Tae Yeon. Noch vor zweihundert Jahren wäre eine solche Schluderei undenkbar gewesen. Das imperiale Militär ist selbstgefällig geworden – höchste Zeit für einen radikalen und nachhaltigen Machtwechsel im Gefüge der fünf Sternenreiche.

Während Kim zur Kommandokonsole schritt überlegte sie, dass es sich bei dem weiblichen Oberleutnant um eine Frau von Wega-VIII handeln musste. Ihre blass-blaue Hautfärbung, der kräftige Körperbau und die dichten, dunkelroten Haare, mit einem metallisch wirkenden Schimmer, waren unübersehbare Anzeichen dafür. Ebenso, wie die tiefliegenden, dunklen Augen unter den dichten Brauen.

Die Weganerin erhob sich, als sie das Eintreten des Geheimdienstoffiziers bemerkt hatte, und schritt Kim entgegen. Drei Schritt vor der Asiatin salutierte die blauhäutige Frau und meldete: „Ich bin Oberleutnant Farana Starrin. Wir haben Sie bereits erwartet, Oberleutnant. Meine Kontrollkonsole steht zu ihrer Verfügung.“

Kim nickte freundlich. „Danke, Oberleutnant Starrin.“

Die Asiatin beobachtete die Weganerin dabei, wie sie zu einer Kontrollrunde ansetzte und zu einem der Feldwebel an den Nebenkonsolen schritt, während sie selbst sich zu der erhöhten Empore mit der Hauptkonsole begab. Beflissen wirkend nahm sie neben dem jungen Leutnant platz, ohne ihn zu beachten und aktivierte die Holokontrollen. In schneller Folge rief sie Kommunikations-Frequenzen und Verbindungspläne auf. Als sie die neugierigen Seitenblicke des Leutnants registrierte, unterbrach sie ihre Beschäftigung, blickte ihn direkt an und hob wortlos ihre Augenbrauen.

Der stechende Blick der Asiatin zeitigte die gewünschte Wirkung. Der Leutnant lief rot an und stammelte eine kaum verständliche Entschuldigung.

Kim Tae Yeon beschloss, sich dieses allzu neugierigen Offiziers für eine Weile zu entledigen, indem sie meinte: „Leutnant, bitte besorgen Sie mir doch einen Kaffee.“ Sie blickte bei ihren Worten zu Farana Starrin und fügte hinzu: „Mit Ihrer Erlaubnis.“

Die Weganerin nickte dem Leutnant zu, der froh war, aus Kims Nähe zu kommen.

Nachdem er fort war, begann Kim mit ihrem eigentlichen Vorhaben. Sie schätzte, dass der Leutnant mindestens zwei bis drei Minuten weg sein würde – mehr als genug Zeit dafür, ihr Vorhaben unbemerkt durchzuführen. Trotzdem arbeitete sie zielstrebig und effizient.

Schneller, als Kim gehofft hatte, war der Leutnant wieder bei ihr. Offensichtlich wollte er sich ihr Wohlwollen dadurch zurückgewinnen, dass er sie nicht allzu lange auf ihren Kaffee warten ließ. Hastig nahm sie die letzten Änderungen an den Übermittlungsfrequenzen vor, als der junge Mann bereits zu ihr auf die Empore kam, und speicherte sie. Noch bevor der Leutnant ihr den Kaffee reichen konnte hatte sie ihr Werk vollendet, das Menü geschlossen und blickte dann zu dem übereifrigen Offizier auf.

„Vielen Dank, Leutnant“, sagte Kim mit rauchiger Stimme und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, während sie dem Mann die Tasse aus der Hand nahm. „Ich bin Ihnen sehr verbunden für den Gefallen.“

Kim nahm einen Schluck, wobei sie den jungen Offizier über den Rand der Tasse hinweg ansah, was ihn erneut dazu veranlasste, zu erröten. Offenbar war dieser junge Mann noch nicht sehr erfahren, was das weibliche Geschlecht betraf, überlegte die Asiatin belustigt, bevor sie die halb ausgetrunkene Tasse an den Mann zurück reichte. Sie erhob sich geschmeidig und schritt zu Farana Starrin.

„Oberleutnant, ich bedanke mich für das freundliche Entgegenkommen.“

„Gerne geschehen, Sir.“ Die Weganerin salutierte und Kim erwiderte den militärischen Gruß, dem Protokoll gemäß. Schnell wandte sie sich danach um und verließ schwungvoll den Kontrollraum.

Drinnen hielt ein junger Leutnant eine halbleere Kaffeetasse und überlegte, ob er das, was er bei Kims anfänglichen Eingaben zu sehen geglaubt hatte an seine Vorgesetzte melden sollte. Für eine Weile war er unentschlossen, bevor er zu dem Schluss kam, dass er sich vielleicht geirrt haben könnte, und dass es sich nicht gut in seiner Dienstakte machen würde, wenn er einen Verweis bekam, wegen einer ungerechtfertigten Verdächtigung, ob eines Dienstvergehens eines Geheimdienstoffiziers. Nein, das würde wenig Sinn ergeben.

Doch in diesem Punkt irrte der junge Offizier. Es hätte sehr wohl Sinn gehabt.

 
 

* * *

 

Fast Mitternacht terranischer Standardzeit.

Auf dem Frachter UTIKAL blickte der Handelskapitän, Harin Geralon auf die Zeitanzeige seiner Instrumente. Dass der vierschrötige Mann alles andere war, als ein Zivilist, wusste nur seine Besatzung, im Terranischen Imperium galt er, seit Jahrzehnten, als Handelsraumschiff-Kommandant.

Vor wenigen Minuten erst war der Frachter, außerhalb der Saturn-Bahn, aus dem Hyperraum gefallen. Er hatte eigentlich bereits vor einer guten Stunde über dem Saturnmondes Titan ankommen, und auf dem zivilen Raumhafen landen sollen. Doch es hatte unerwartete, technische Probleme gegeben.

Geralon straffte sich nach einem Moment und blickte, in der mäßig beleuchteten Zentrale des Frachters, zum Kommunikationsoffizier des Raumers, der bereits das Kennungssignal für die terranische Raumüberwachung abgestrahlt hatte. Momentan war er dabei Kontakt zu den Behörden auf Titan herzustellen.

Der Erste Offizier des Frachters, eine mollige, harmlos wirkende Frau mittleren Alters, trat zu Harin Geralon und erkundigte sich: „Wie sieht es aus? Werden wir rechtzeitig über Titan ankommen, Kapitän?“

Geralon blickte seine Stellvertreterin, Nira Krinn, von der Seite an. „Die Verzögerung macht mir keine Sorgen, wir werden noch innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters landen. Was mir allerdings große Sorgen bereitet ist der Ausfall des Code-Empfängers an unserem Spezialgerät. Ich habe, vor knapp einer Stunde, bereits unsere Techniker darauf angesetzt ein Provisorium als Ersatz zu konstruieren und an der Außenhaut des Schiffes zu installieren. Ich hoffe nur, die bauen uns keinen Kasten von drei Metern Kantenlänge. Das würde auffallen.“

„Soll ich unseren Technikern vielleicht mal etwas einheizen?“

Geralon grinste humorlos. „Die kommen auch ohne Ihre Anfeuerungen bestimmt schon genug ins Schwitzen. Unsere Leute werden rechtzeitig fertig werden. Hauptsache der neue Empfänger versagt nicht im entscheidenden Augenblick.“

Nira Krinn nickte zustimmend. „Das würde unsere Einheiten, die gegen Titan und seine Abwehrstellungen vorgehen sollen, in eine unangenehme Lage bringen. Übrigens, haben Sie nochmal über meinen Vorschlag nachgedacht, mich das Kommandounternehmen gegen das Kommunikationszentrum auf Titan führen zu lassen? Ich finde immer noch, dass Sie selbst an Bord bleiben, und unsere anschließende Flucht decken sollten.“

Geralon schüttelte den Kopf. „Es bleibt bei der abgesprochenen Vorgehensweise, Nira. Sie werden die UTIKAL für einen Notstart bereithalten, solange ich mit meinem Team unterwegs bin. Ich war bereits einige Male in dem Gebäudekomplex auf Titan und kenne die örtlichen Gegebenheiten.“

Nira Krinn nahm die Ablehnung gleichmütig hin.

Der Kommunikationsoffizier hatte inzwischen erfolgreich Kontakt zur Zentrale des Raumhafens auf Titan hergestellt. Er gab Informationen zur angeblichen Fracht der UTIKAL und beantwortete die obligatorischen Code-Anfragen.

Als der Saturn sich bereits Fußball groß auf dem Hauptbildschirm der Zentrale abzeichnete kam endlich die Bestätigung der Techniker, dass der provisorische Empfänger installiert war und einwandfrei funktionierte.

Geralon und Krinn blickten sich mit einer Mischung aus Erleichterung und Anspannung an.

In einer halben Stunde würde die UTIKAL auf dem Titan landen – und erst dann begann der schwierige Teil dieses Unternehmens.

 
 

* * *

 

Eine Stunde nach Mitternacht terranischer Standardzeit.

Außer Kim Tae Yeon und Larenan Farralen hielten sich zehn Agenten der Konföderation Deneb in dem Shuttle auf, das die Kennung des Militärischen Geheimdienstes der Terranischen Flotte trug. Farralen und Kim saßen neben einander in der abgeteilten Pilotenkanzel, wobei zwischen ihnen beiden bisher kaum ein Wort gefallen war.

Nachdenklich blickte Farralen zu der Asiatin, die das Shuttle steuerte, an und fragte schließlich geradeheraus: „Wie hast du es angestellt, dass dir deine beiden Getreuen, die du vor einer knappen halben Stunde erst so eiskalt verraten hast, derart bereitwillig aus der Hand gefressen haben?“

„Muss ich dir das wirklich in allen schmutzigen Einzelheiten erläutern?“, erwiderte Kim spöttische, ohne den Blick von den Kontrollen des Shuttles zu nehmen.

Der Agent der Konföderation Deneb verzog die Mundwinkel. „Nein, wirklich nicht. Ich denke, ich kann es mir in etwa vorstellen. Ich war nur neugierig.“

Kim Tae Yeon, die ahnte, warum der Mann wirklich gefragt hatte, blickte ihn von der Seite an und fügte mit samtweicher Stimme hinzu: „Ich würde das niemals mit dir machen, denn für dich empfinde ich wirklich etwas. Wenn wir diese Fährnisse heil überstehen sollten dann werden wir in aller Ruhe, bei einem Abendessen, darüber reden. Jetzt müssen wir uns leider auf andere Dinge konzentrieren.“

Der Agent nickte stumm. Er schien sich mit der Antwort zu begnügen.

Wieder wurde es für eine ganze Weile still zwischen ihnen. Erst als der irdische Mond erbsengroß durch die Frontscheiben des Shuttles erkennbar wurde ergriff Larenan Farralen wieder das Wort.

„Ja, auf Denebarran werden wir uns intensiv über einige Dinge aus deiner Vergangenheit unterhalten müssen. Jetzt haben wir andere Probleme.“

Die Asiatin lächelte unmerklich und nickte.

Als das Shuttle nur noch einhunderttausend Kilometer von Luna entfernt war aktivierte Kim das Funksegment an der Konsole, nahm Verbindung mit der Raumkontrolle auf Luna auf und bat darum, wegen eines angeblichen Maschinenschadens zu einem Reparaturhangar geleitet zu werden. Während sie auf eine Bestätigung wartete, beantwortete sie korrekt die Code-Anfrage der Stationszentrale.

Nach einer Weile, die den beiden Verschwörern endlos vorkam, erhielt das Shuttle die Landefreigabe für Reparaturhangar 9-III-ROT.

Erleichtert atmete Larenan Farralen auf. Er erhob sich um seinem Agenten-Team Bescheid zu geben, dass die Landung auf Luna unmittelbar bevorstand.

Kim Tae Yeon, die angespannt die Instrumente im Auge behielt, konnte sich insgeheim eines unguten Gefühls nicht erwehren, welches seinen Höhepunkt erreichte, als sie in den Reparaturhangar einflogen und sich die gewaltigen Hangarschotts über dem Shuttle schlossen. Mit einer eventuellen schnellen Flucht war es damit vorbei. Nun konnten sie nur hoffen, dass ihre Machenschaften erfolgreich sein würden und die Flottenverbände der Konföderation Deneb bald erscheinen und handeln würden.



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